Eigentlich haben wir den Aufenthalt in der Region Alta Badia (konkret in einem sehr schönen Arschlein der Welt namens Lungiarü) bereits im Jahr 2019 bestellt. Damals für März 2020. Dann kam plötzlich das idiotische chinesische Virus, viel zu spät, um den Aufenthalt kostenlos stornieren, aber viel zu früh, um den Schiurlaub konsumieren zu können. Südtirol schloss nämlich seine Pisten am Wochenende, als wir die Region bereits verlassen sollten. Zum Glück ist es uns gelungen, mit dem Apartmentbetreiber einen Gutschein auszuhandeln, damit die bereits bezahlte Anzahlung nicht verfiel und wir reservierten einen Aufenthalt für Januar 2021. Damit haben wir nicht viel erreicht. Es kam der nächste Lock down, zum Glück war der Besitzer unserer Unterkunft sehr kooperativ und wir durften die Bestellung stornieren. Natürlich unmittelbar, bevor wir den dritten Versuch des Schiurlaubs antreten wollten, kam das Omikron. Das konnte uns aber nicht mehr aufhalten. Geimpft mit drei Dosen inklusiv eines Boosters, traten wir die Reise an.
Der wichtigste Gegenstand beim Schifahren ist heutzutage ein Handy. Nicht, um Hilfe zu rufen, wenn man von Omikron angegriffen wird, aber ohne Bestätigung des Besitzes eines Grünen Passes mit dem quadratischen Code (offiziell ist das ein QR Code, aber fragen Sie mich, bitte, nicht, was die zwei Buchstaben bedeuten) kann man nicht einmal pinkeln gehen. Also pinkeln kann man schon, aber nur im Wald. Nicht in einer Toilette. Beim Eingang jeder Berghütte in der Schiregion Alta Badia sowie auch auf dem Kronplatz und daher vermute ich, dass auch überall in Italien, stand nämlich eine Person von der Security und scannte den Code. Das gleiche natürlich beim Kartenverkauf. Vergeblich schwenkte eine Deutsche ihren Impfpass. Das Ticket bekam sie nicht. Wenn man nicht gescannt war, konnte ihm keine Karte verkauft werden, der Computer erlaubte es nicht. Natürlich war es möglich, den Code in einem Papierausdruck zu besitzen (für die, die eine elektronische Beobachtung fürchteten), aber versuchen Sie es, vor jeder Hütte das Papier aus der Tasche zu ziehen! Früher oder später wird es kaputt gehen und für das Harnlassen bleibt wieder nur der Wald. Im Museum der ladinischen Kultur reichte nicht einmal der Scan. Wir mussten zusätzlich auch einen Lichtbildausweis vorlegen. So viel also für unsere Mitbürger, die sich über die epidemiologischen Maßnahmen zu Hause beschweren. In Italiener sitzt offensichtlich der Schock aus der ersten Welle tief genug, die Tragödie von Bergamo ist ein Memento, das man nicht vergisst.
Das Hauptproblem war für mich aber nicht das Scannen von meinem Handy, sondern die Pflicht, die Masken auf den Liften, in den Gondeln und in den Hütten zu tragen, solange man nicht am Tisch beim Essen saß. Ich bin nämlich ein Brillenträger. Im Moment, in dem ich die Maske aufgesetzt habe, vernebelte sich meine Brille und ich wurde blind. Was bei jedem Aussteigen aus dem Lift bedeutete: die Handschuhe runter, die Helm runter, die Maske runter, die Brille abwischen und abtrocknen, die Brille ansetzen, die Helm aufsetzen und zuletzt auch die Handschuhe anziehen. Beim Einsteigen in den Lift der Prozess in ähnlicher Reihenfolge, mit der Ausnahme des Runternehmens und Abtrocknens der Brille – und natürlich anstatt Abnahme der Maske ihr Aufsetzen. Ich kann euch versichern, dass es ordentlich auf die Nerven geht, ich lernte letztendlich ohne Brille zu fahren. Man sieht dabei zwar nicht richtig den Boden unter dem Schi, besonders beim Übergang von Sonne in den Schatten, aber man gewöhnt sich daran. Schlimmer war das beim Bestellen von Essen in den Hütten. Die einzige Chance stellten Tische im Freien vor der Hütte dar, wenn sie mit einer Speisekarte versorgt waren. Diese gab es aber nur sehr selten. Im Moment, als ich das Essen in der Hütte kaufen musste, war ich verloren. Ohne Brille konnte ich das Speiseangebot nicht lesen und als ich meine Brille aufgesetzt habe und sie vernebelte sich, war ich komplett blind. Vor dem Hungertod wurde ich von meinem Sohn gerettet. Er fotografierte das Speiseangebot mit seinem Handy und brachte mir das Bild zum Tisch vor der Hütte. Wie ich schon sagte, das Handy ist der wichtigste Gegenstand, den man beim Schifahren heutzutage braucht.
Wir wohnten in einer Region, wo die Nation der Ladiner lebt. Es ist eine interessante Geschichte. Diese vergessene winzig kleine Nation lebt in fünf Bergtäler in Südtirol und in Friaul, die einzige Siedlung, wo sie leben und die man eine Stadt nennen dürfte, ist Cortina d´Ampezzo. Es gibt insgesamt lediglich 30 000 Menschen dieser Nationalität, sie haben aber ihre eigene Sprache (eher viele Sprachen, da jedes Tal, sogar jedes Dorf mit einem anderen Dialekt spricht) eigene Kultur und Identität. Ihre Sprache, die zur rhetoromanischen Sprachgruppe gehört, wird in den Schulen unterrichtet. Unser Quartiergeber wechselte fließend zwischen Ladinisch, Italienisch und Deutsch, seit seiner Kindheit kommunizierte er in allen drei Sprachen. Das Essen der Ladiner ist einfach, in ihrem Museum hörten wir, dass sie noch im neunzehnten Jahrhundert die Bauern im Pustertal bei Bruneck beneideten, weil diese sogar Fleisch aßen. Dazu war nie ganz klar, zu welcher Obrigkeit ladinische Bauern und ihre Täler gehörten. Um ihren Zehnten kämpften der Bischof von Brixen mit der Äbtissin des Klosters in Sonnenberg und gegen die Steuererhebung in seine Kassa hatte auch der Graf von Tirol als der Landesherr keine Einwände. Im Jahr 1458 eskalierte der Streit, die Steuer wollten auf einmal alle, die Bauern wehrten sich aber und in der „Schlacht von Ennenberg“ starben 55 tiroler Soldaten unter einer Steinlawine, die auf sie die Bauern herunterlassen haben. Danach meinte der tiroler Graf Sigismund, dass sich die Steuererhebung in dieser Region nicht auszahle. Er hatte übrigens genug Geld, nicht umsonst hatte er seinen Spitznamen „Der Münzreiche“. Durch seinen Lebenswandel (er hatte angeblich um die vierzig unehelichen Kinder) ruinierte er trotzdem das silberreiche Land Tirol und er wurde entmachtet, enteignet und in den Zwangsruhestand geschickt. Weil er keinen legitimen Nachfolger gezeugt hatte, starb mit ihm der tiroler Ast der Habsburgerfamilie aus.
Aber zurück zu den Ladinern.
Zu dem nächsten Arzt in San Lorenzen war es fünf Stunden weit – ein kranker Mensch hat also den Arzt sicher nicht erreichen können. Dann kam aber die Touristik. Heute stehen in jedem Dorf Pensionen, Pensionen und wieder einmal Pensionen, alle Häuser sind mindestens auf drei Stockwerke angehoben, um Tausende Besucher unterzubringen, die im Winter Schi fahren und im Sommer wandern wollen. Die Kulisse der Dolomiten ist nämlich atemberaubend und unverwechselbar.
Wie ich verstand, das typische Essen ist hier die Gerstensuppe, der Polenta und die Knödel, sowie auch Nudeln mit verschiedener Füllung. Heutzutage bekommen die Touristen aber auch Speck, Schinken und Eier und Fleisch ist in den ladinischen Tälern auch keine Mangelware mehr. Die Küche unterscheidet sich nicht wirklich von der nord- oder osttiroler, sie besitzt nur ein wenig von den italienischen Einflüssen, was ihr sicherlich nicht schadet. Ich mag die ladinische Flagge. Von unten nach oben grün, weiß und blau, also Wälder, Gletscher und blauer Himmel. Eine Flagge, die Frieden, Natur und die Schönheit des Landes symbolisiert, in dem diese Leute leben.
Übrigens Südtirol in Italien Südtirol zu nennen ist nicht anständig. Als ob die Italiener noch immer ein schlechtes Gewissen hätten, wie sie dieses Land im Jahr 1918 gewonnen haben, sauber war es sicher nicht. Sie gingen in den Krieg mit dem Versprechen, nach dem Sieg dieses attraktive Land zu bekommen. Deshalb haben sie ihre damaligen Verbündeten die Deutschen und die Österreicher, verraten und haben sich im Jahr 1914 ihnen nicht angeschlossen. Ein Jahr später griffen sie sogar Österreich an und haben dafür teuer bezahlt. Nach der Niederlage bei Caporetto (Kobrid) mussten sie sich bis zum Fluss Piave tief ins eigene Land zurückziehen und dort verteidigten sie sich bis zum Kriegsende. Nachdem sich die österreichische Armee Ende Oktober 1918 aufgelöst hatte, schlossen die Italiener mit Österreich einen Waffenstillstand, aber mit einer Übergangfrist von 48 Stunden. Sie vermuteten richtig, dass die österreichischen Soldaten, die nichts anderes als heim wollten, nicht mehr kämpfen würden. So schafften die Italiener binnen zwei Tage den südlichen Teil Tirols bis zum Brennerpass zu besetzen und nach dem Frieden von Saint Germain auch zu behalten. Mussolini bemühte sich, die Deutschen aus dem Land auszusiedeln und es italienisch zu machen, er schloss in dieser Sache sogar einen Vertrag mit Hitler – und es ist ihm tatsächlich gelungen, einen Teil der deutschsprachigen Bevölkerung zu vertreiben. Die, die hierblieben, strebten nach dem zweiten Weltkrieg so lange nach der Autonomie, bis sie sie im Jahr 1972 erhielten. Österreich hat in dieser Sache Vermittlerrolle gespielt. Die autonome Region heißt aber nicht Südtirol, sondern Trentino- Alto Adige. Ich glaube nicht, dass es die Südtiroler stört, sie haben ähnlich wie die anderen Italienischen autonomen Regionen Sardinien, Sizilien und Friaul eigene Regierung und das Budget und es geht ihnen gut. Neben Piemont ist Südtirol die reichste italienische Provinz. Der Boden hier ist enorm fruchtbar, also im Tal südlich von Bozen wird jeder Quadratmeter mit Obstplantagen oder Weinbergen bestellt. Es wird hier guter Wein angebaut, zum Beispiel der weiße Traminer, der nach gleichnamigem Ort Tramin südlich von Bozen genannt ist oder der rote Lagrein. Wir waren hier im Winter, wir tranken also Lagrein und er war hervorragend.
Alta Badia ist ein Schizentrum, dass durch das Rennen des Weltcups der Männer im Riesentorlauf berühmt ist (die Abfahrt und der Super-G werden im unweiten Val Gardena bestritten. Wenn man die Schikarte „Dolomiti Superski“ um 67 Euro kaufen würde, dürfte man in beiden Zentren Schi fahren – und auch in einigen weiteren in der Umgebung. Dann ist auch eine Sellaronda, also eine Runde um die Sellagruppe oder sogar die „Grande Guerra“ für die Berggipfeljäger möglich). Aber ganz ehrlich – Alta Badia allein kann für einen Schifahrer ausreichend sein.
Die Mehrzahl der Pisten ist gemütlich blau, die roten sich super zum Fahren und es gibt auch einige schwarze wie Gran Risa, auf der der Riesentorlauf der Herren bestritten wird oder die Piste Nummer eins, die in der Höhe 2550 m bei einem Photopoint beginnt und nach Ort Corvara läuft. An dem Photopoint können sich Touristen mit dem höchsten Berg Südtirols, der Marmolata (3343 m), im Hintergrund fotografieren.
Der Berg schaut monumental aus, als der einzige in Südtirol besitzt er nämlich einen eigenen Gletscher, er wird aber stolz von Civetta (3220) und dem bedrohlichen Felsen von Monte Pelmo (3168) flankiert. Aber diese Berge sind nicht die einzigen atemberaubenden in der Umgebung. Die ganze Zeit fährt man um das Gebirge Gruppo del Sella mit steilen Kalkfelsen und dem höchsten Berg Piz Boé mit der Höhe 3152m herum. Die ganze Gruppe ist ein Erlebnis. Wenn die österreichischen Berge meistens schwarz sind (Granit), die Kalkberge der Dolomiten haben hellbraune Farbe.
Schon die Hochebene von Alta Badia allein scheint unendlich zu sein und bietet Unmengen an Pisten, wem es aber zu wenig wäre, kann weiter in Richtung Passo die Gardena (Grödner Joch) fahren. In der Jimmi Hütte sitzend, hat man die ganze Welt zu Füßen, besonders, wenn die Sonne strahlt, und man sitzt auf der Terrasse vor der Hütte. Dann ist es ein wunderschönes Erlebnis, die Sellagruppe und in der Ferne den Langkofel vor sich zu haben. Bei Jimmi ist aber Schluss mit der Schikarte Alta Badia. Um nach Val Gardena weiterzufahren, würde man den „Dolomiti Superski“ Pass brauchen.
Unterwegs zu „Passo die Gardena“ passiert man das Dorf Colfosco. Das Dorf liegt eingeklemmt zwischen zwei Bergmassiven. Von einer Seite ist es die imposante „Gruppo del Sella“, von der anderen dann die „Gruppo Puez“ mit einem beeindruckenden felsigen Berg Sassonger (2665). Im Sommer kann man ihn besteigen, der Klettersteig unter dem Gipfel ist nicht so furchterregend, wie er von der Ferne aussieht. In jedem Fall verleiht die Lage zwischen zwei steilen Felsenmassiven Colfosco seine Attraktivität. Wenn jemand kleine Kinder hat, und diese sich auf blauen, aber keinesfalls langweiligen Pisten austoben möchten, ist er hier absolut richtig. Die Erwachsenen, für die das eventuell zu wenig ist, setzen sich einfach in die Gondel und lassen sich nach Corvara bringen, was eine der wichtigsten Einstiegstellen für Alta Badia ist. Die weiteren sind La Villa, San Cassiano und mit dem Schigebiet ist auch Abtei Badia verbunden. In diesem Ort gibt es die Abtei, die der Ortschaft ihren Namen gab, nicht mehr, es blieb nur eine Kirche, die allerdings Ende des achtzehnten Jahrhunderts im Barockstil neu gebaut wurde. Die Abtei wurde aufgelöst, da sie dem Templerorden gehört hatte. Natürlich, wie überall, ließen die Ritter irgendwo hier einen Schatz versteckt, den bisher niemand finden konnte. In der Abtei Badia wurde im Jahr 1852 der einzige südtirolische Heilige geboren. Er hieß Joseph Freinademetz und er war ein Missionar in China, wo er im Jahr 1908 an Typhus starb. Er wurde im Jahr 2003 heiliggesprochen – von wem sonst, wenn nicht von Johann Paul II.? In Abtei Badia gibt es das Geburtshaus des Heiligen.
Aber aufpassen! Wenn man sich überall in Südtirol, oder zumindest in seinem nordöstlichen Teil um Bruneck und Brixen auf Deutsch verständigen konnte, in Alta Badia kann die Sache ein bisschen komplizierter sein. Die Mehrheit der Gäste sind Italiener und das Personal in den Hütten sind nicht unbedingt die Einheimischen, also gibt es genug Kellner, die des Deutschen nicht mächtig sind. Zumindest der Grundwortsatz auf Italienisch ist von Vorteil. Die Speisekarten sind aber überall zweisprachig. Man findet im Angebot Nudelgerichte, Lasagne, aber auch Wienerschnitzel. Ein Schock waren für mich die Preise für Suppen. Es stimmt, dass die Portionen riesig waren und die Suppen so dick, dass sie eher einem Brei ähnelten, und man wurde nach ihrem Verzehr satt. Aber elf Euro für eine Gerstensuppe kam mir doch zu viel vor. Die Pizzas waren billiger. Es ist interessant. Es gab nur wenig Deutsche, die üblicherweise mit ihrer Kaufkraft prahlen und die Preise wortlos akzeptieren. Die meisten Gäste waren Italiener und die haben normalerweise doch tiefer in die Tasche gegriffen. Mein Sohn war mit seinen blauen Augen eher exotisch, eine weitere blauäugige Person habe ich dort nicht gesehen. Offensichtlich haben also die Italiener, die Schiurlaub fahren, keine finanziellen Probleme. Die Preise für die Unterkunft direkt auf den Pisten sind astronomisch. Zwischen den Schiorten fährt aber ein Skibus, der die Leute verlässlich zur Piste bringt, wenn man keine Lust hat, dorthin mit dem Auto zu fahren. Er pendelt sogar zwischen Alta Badia und dem nächsten Schizentrum Kronplatz, das über die Stadt Bruneck emporragt und mit zwanzig Einstiegstellen prahlt.
Kronplatz ist mit seinen langen Pisten sportlicher, Alta Badia mit seinem Bergpanorama schöner. Unter den zwanzig Einstiegstellen von Kronplatz ist die längste von Piccollino über San Vigilio die Marebbe im Ennenbergtal (also dort, wo die ladiner Bauern die tiroler Soldaten mit Steinen verschütteten, die dort die Steuer einheben wollten). Lässt euch nicht durch die Werbung täuschen, dass zu diesem Anstieg die „Migliore pista nera“ also die beste schwarze Piste führt. Wenn man auf der Piste nachmittags fährt, ist das Fahren zwischen den Mulden und Schneehaufen eine Belastungsprobe nicht nur für die Beine.
Aber trotzdem. Südtirol ist ein Land, das man unbedingt besuchen sollte. In Winter oder in Sommer. Oder in beiden diesen Jahreszeiten.