Category: Italienische Impressionen

Gorizia

Im Januar 1001 war Kaiser Otto III. auf der Rückreise von seinem Italienbesuch zurück. Er war in guter Stimmung. Gerade hatte er die Welt gerettet, und die gesamte Menschheit war dem jungen, zwanzigjährigen Mann dafür sehr dankbar. Im Jahr 1000 war man sich nämlich sicher, dass der Weltuntergang bevorstand, da die Prophezeiungen das Jüngste Gericht tausend Jahre nach Christi Geburt vorhergesagt hatten (und nur die Eingeweihten damals wussten, dass Christus sieben Jahre früher geboren worden war). Das Warten auf das Ende der Welt brachte auf einer Seite eine Resignation, auf der anderen einen religiösen Fanatismus, abgesehen von denen vielen Menschen, die sich das Warten auf die Apokalypse mit Saufen und Orgien verkürzen wollten. Damit musste man etwas tun. Am Vorabend des letzten Tages des ersten Jahrtausends betete also der junge Kaiser in einer Höhlenkapelle in Monte Sant’Angelo in Apulien so innig, dass ihm der Erzengel Michael erschien und ihm verkündete, dass dank seiner Frömmigkeit das Ende der Welt auf unbestimmte Zeit verschoben würde. Die Welt atmete auf und der Kaiser wurde zum Helden und Weltretter.

Im Januar hielt er in Cividale del Friuli an, einer Stadt, die nach der Zerstörung von Aquileia durch die Hunnen zum Sitz des Patriarchen von Aquileia geworden war. Der Kaiser schenkte in seiner guten Laune dem Patriarchen ausgedehnte Gebiete östlich von Cividale bis zu den Grenzbergen, hinter denen die Slawen lebten. Auf einem solchen Hügel ließ der Patriarch einen Wachturm errichten, aus dem später eine Burg wurde, unter der allmählich eine Stadt entstand. Zu Beginn des zwölften Jahrhunderts residierte dort der aquileianische Vogt Meinhard I., der der erste Graf von Görz (Gorizia) wurde und die Dynastie der Meinhardiner gründete, die in der Geschichte der Region und darüber hinaus eine bedeutende Rolle spielen sollte. Die Meinhardiner wurden allmählich Grafen von Tirol, Herzöge von Kärnten, und einer von ihnen, Heinrich, wurde sogar für kurze Zeit in den Jahren 1306–1310 gleich zweimal König von Böhmen, konnte den böhmischen Thron jedoch beide Male nicht behaupten.

Das Wappen der Grafen von Görz

Zu Beginn des fünfzehnten Jahrhunderts ging es mit der Familie der Meinhardiner jedoch bergab. Graf Meinhard III. war ein wirtschaftlicher Dilettant, und sein Sohn Heinrich VI. war ein Trinker und krankhafter Spieler. Um Schutz vor der expandierenden Republik Venedig zu erhalten, schloss Heinrich VI. einen Erbvertrag mit Kaiser Friedrich III., in dem sich beide Seiten verpflichteten, dass im Falle des Aussterbens einer der herrschenden Familien das gesamte Besitz an die andere Seite übergehen würde.

Für die Habsburger war die Grafschaft Görz von unschätzbarem Wert. Seit 1382 waren sie nämlich die Schutzmacht der wichtigen Hafenstadt Triest, hatten aber keine Landverbindung dorthin und mussten für die Ware, die in den Hafen gebracht wurde, Zölle an die Grafen von Görz zahlen. Die Grafschaft bildete genau diese Landbrücke, durch deren Erwerb die Habsburger schließlich auch eine Seemacht werden konnten.

Heinrich VI. trank sich schließlich im Jahr 1454 zu Tode (er erreichte trotz seines Lebensstils das beachtliche Alter von 78 Jahren), und von seinen Söhnen überlebte bald nur noch einer, Leonard. Zunächst versuchte er, auf Kosten Friedrichs III. Gebiete in Kärnten zu erobern, doch nach einer Niederlage (der Kaiser hatte nach damaliger Sitte tschechische Söldner angeworben, die von dem husitischen Hauptmann Jan Jiskra von Brandeis ausgebildet worden waren und als unbesiegbare Killer galten) musste er sogar auf seine Residenz in der Burg Bruck bei Lienz verzichten, wohin die Grafen inzwischen von Görz umgezogen waren (diese Burg und die Stadt wurden vom Kaiser dem tschechischen Heerführer Jan Vitovec zum Greben geschenkt, doch er langweilte sich im östlichen Tirol und verkaufte das Anwesen bald für viertausend Gulden weiter). Leonhard musste wieder nach Gorizia umsiedeln.

Leonard kam nach seinem Vater. Er lebte sehr gerne, und so wurde die Lage der Finanzen seines Herrschaftsgebiets immer prekärer. Kaiser Friedrich geriet in Panik, dass der Graf beginnen könnte, seine Ländereien an Venedig zu verkaufen, und vermittelte ihm daher eine Ehe mit einer reichen Braut – Paola Gonzaga aus Mantua. Die arme Paola war ein kluges und gebildetes Mädchen, litt jedoch an Knochentuberkulose und hatte dadurch einen Buckel. Leonard zeugte mit ihr erwartungsgemäß keine Kinder, und als er 1500 kinderlos starb, ging die lang ersehnte Grafschaft schließlich in den Besitz der Habsburger über. Kaiser Maximilian hatte Leonard kurz vor dessen Tod noch zur Bestätigung des Erbvertrags gezwungen, den sein Vater geschlossen hatte. Von der Bedeutung der Grenzfestung Görz für die Habsburger zeugen auch die Besuche von Herrschern aus dieser Familie, wie Kaiser Karl VI. im Jahr 1711; Franz Josef besuchte Görz sogar zweimal, zuletzt im Jahr 1900.

Gorizia

Über der Stadt erhebt sich eine imposante Festung, die ursprüngliche Burg der Grafen von Görz, die jedoch erst von den Habsburgern in ihre heutige Form ausgebaut wurde. An den Bastionen und Befestigungsanlagen war der berühmte Edmond Halley maßgeblich beteiligt – allerdings machte er sich nicht als Architekt, sondern als Astronom einen Namen, als er 1680 den nach ihm benannten Kometen entdeckte. Die Rückkehr des Kometen, die er korrekt für das Jahr 1756 berechnete, erlebte er jedoch nicht mehr, da er 1742 starb. In der Burg befindet sich ein Museum, das das mittelalterliche Leben zeigt; das Museum des Großen Krieges also „La Grande Guerra“, wie die Italiener den Ersten Weltkrieg nennen, ist momentan in den Attems-Palast in der Stadt verlegt worden. Unter der Festung steht die entzückende Heilig-Geist-Kapelle, die jedoch gerade umgebaut wird – wie vieles andere in der Stadt, auf die Ursache des Baufiebers, der die ganze Stadt umfasste, werden wir noch eingehen.

Die Festung in Gorizia

Gorizia spielte im Ersten Weltkrieg eine wichtige Rolle. Im August 1916, während der sechsten italienischen Offensive am Isonzo (Soča), gelang es den Italienern, die Stadt einzunehmen. Dieser Sieg kostete Italien 100.000 Soldaten (Tote und Verwundete), während die Österreicher, die zu dieser Zeit der Brusilow-Offensive im Osten widerstanden und nicht genügend Soldaten an den Isonzo schicken konnten, 40.000 Mann verloren. Alles vergeblich. Am 24. Oktober 1917 durchbrachen die Deutschen zusammen mit den Österreichern die Front bei Caporetto (dem heutigen Kobarid) und trieben die Italiener bis zum Fluss Piave zurück – Gorizia kehrte in den österreichischen Besitz zurück.

Doch nicht für lange. Nach dem Krieg nahm Italien als Siegermacht den gesamten Halbinsel Istrien in Besitz, und das hielt bis 1945 an. Damals wurden ihre Truppen von Titos Partisanen vertrieben. Diese erreichten die Soča und wollten nicht weichen. In Gorizia bedeutete dies, dass sie den Bahnhof unter Kontrolle hatten. 1947 wurde die Grenze zwischen Italien und Jugoslawien mitten auf dem Platz vor dem Bahnhof festgelegt. Ähnlich wie in Teschen im Jahr 1918, als der Bahnhof in der Tschechoslowakei und die Stadt in Polen verblieben, wodurch um den Bahnhof herum das heutige Tschechische Teschen entstand, entstand hier um den Bahnhof die slowenische Stadt Nova Gorica, die jedoch nichts Sehenswertes bietet.

Die Grenze verläuft auch heute noch mitten über den Platz, der auf der italienischen Seite „Piazza Transalpina“ und auf der slowenischen „Trg Evrope“ heißt.

Erinnerung auf den “Eisernen Vorhang”

Diese Grenze war nie so undurchlässig wie beispielsweise in Berlin, und im Jahr 2004, als Slowenien der EU beitrat, verschwand sie – fast – vollständig. Bis zu diesem Jahr gab es zwar noch Stacheldraht und Metallbarrieren, aber es wurde nie allzu ernst mit dem „Eisernen Vorhang“, es fuhr beispielsweise auch eine Straßenbahn zwischen den beiden Bahnhöfen. Heute wird der Platz renoviert, da Gorizia sich auf das Jahr 2025 vorbereitet, in dem es zur „Kulturhauptstadt Europas“ ernannt werden soll. Daher wird fieberhaft renoviert und aus EU-Fonds nicht nur in Gorizia selbst, sondern auch in Cividale und in der ganzen Region umgebaut.

Die Stadt wird von zwei Kirchen dominiert. Auf der „Piazza della Vittoria“ steht die große barocke Kirche des Heiligen Ignatius, die hier von den Jesuiten errichtet wurde, die Erzherzog Ferdinand (dem späteren Kaiser Ferdinand II.) im Jahr 1615 hierhergebracht hat, errichtet wurde.

Die Kirche des Heiligen Ignatius

(Im selben Jahr verursachte Ferdinand einen unnötigen Krieg in der Region mit Venedig um die Burg Gradisca, wo sich der junge Offizier Albrecht von Wallenstein erstmals auszeichnete). Im Jahr 1921 wurden in der Kirche die Überreste eines unbekannten Soldaten (genauer gesagt elf Soldaten von verschiedenen Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs) beigesetzt.

Die zweite Kirche ist der Dom im Herzen der Altstadt, mit einem zauberhaften modernen Platz vor seiner Fassade.

Der Dom

Er ist im klassizistischen Stil erbaut und den Heiligen Hilarius und Tatian (Santi Illario e Taziano) geweiht. Hier befindet sich auch der Grabstein des letzten Grafen von Görz, des bereits erwähnten Leonhard. Die Kirche stand zwar schon im 13. Jahrhundert, wurde aber im Jahr 1752 zur Erzbischofskirche erhoben. In diesem Jahr beschloss Papst Benedikt XIV., die ewigen Streitigkeiten zwischen Venedig und der Habsburgermonarchie zu beenden, wer eigentlich der Verwalter des Patriarchats von Aquileia sei, das seit der Zerstörung Aquileias durch die Hunnen im vierten Jahrhundert eigentlich nur ein formaler Titel war (der Sitz des Patriarchen war seither in Cividale del Friuli). Der Papst hob das Patriarchat auf und errichtete zwei Erzbistümer, eines für das venezianische Udine und das zweite für das habsburgische Görz. Der erste Erzbischof wurde Karl-Michael von Attems. Sein Bruder Sigmund ließ in den Jahren 1745–1750 in Görz einen riesigen barocken Palast errichten, in dem sich heute das Hauptmuseum der Stadt mit verschiedenen Ausstellungen befindet, und momentan ist dort auch wegen Umbauarbeiten das Museum des Ersten Weltkriegs untergebracht. Die Familie Attems stammte aus dem steirischen Graz, der gleichnamige Großvater Sigmunds lebte noch dort und schrieb die Geschichte seiner Familie, die Sigmund in Görz vollendete, wo die Familie ihre neue Heimat fand und eine bedeutende Rolle in der Geschichte der Region spielte.

Palast Attems

Der Erzbischöfliche Palast mit großen Gärten liegt gegenüber dem Attems-Palast, es handelt sich um den Palast Coronini-Cromberg. Auch dieser kann besichtigt werden. Der Eintritt in die Garten ist kostenlos.

In der Nähe des Zentrums, am Platz Piazza Cesare Battisti, wo eine Statue eines Soldaten ohne Bein steht, der die Leiden des „Großen Krieges“ symbolisiert, gibt es eine Einkaufsstraße, ein slowenisches Kulturhaus und zwei völlig unterschiedliche Gebäude – einen reizenden überdachten Markt und die schreckliche Hauptpost. Diese wurde unter Mussolini im Stil des faschistischen Realismus erbaut. Vor einem ebenso schrecklichen modernen Gebäude im Zentrum steht eine Statue des Kaisers Augustus. Warum sie dort steht, habe ich nicht ganz verstanden, vielleicht einfach nur, weil das nahegelegene Cividale vor dem Rathaus eine Statue von Julius Caesar hat und Görz als größere Stadt Cividale einfach übertreffen wollte.

Ist also in Görz noch etwas Österreichisches geblieben? Zumindest ist es der Wein. Das Gebiet zwischen Cividale und Görz ist ein großes Weinanbaugebiet mit dem Hauptsitz in Cormons. Der typische Wein, der hier ausgeschenkt wird, ist der Tokai Friulano, eine Rebsorte, die aus Ungarn hierhergebracht wurde und die hier besonders gut gedeiht – sie hat offenbar den richtigen Boden gefunden, den ein guter Wein braucht. Er hat allerdings nichts mit dem süßen ungarischen Tokajer gemeinsam, außer dass die Reben denselben Ursprung haben. Es ist ein trockener und sehr guter Wein – voller Geschmack. Im Jahr 2007 setzten die Ungarn jedoch durch, dass er nicht mehr als Tokai bezeichnet werden darf, und so heißt er heute offiziell „Friulano“, wie mich die Kellnerin mit einem Lächeln auf den Lippen korrigierte. Dem Geschmack hat das jedoch keinen Abbruch getan.

Vielleicht gibt es deshalb in Görz dutzende Bars. Auf jedem Platz, in den Gassen der Altstadt. Ein richtiges Restaurant zu finden, ist jedoch eine viel größere Herausforderung, da die Einheimischen offensichtlich lieber trinken als essen. Wir wählten zwischen zwei Trattorien: „Alla Luna“, wo allerdings neben Ćevapčići auch Slivovitz angeboten wurde, was zu sehr an den Einfluss der lokalen slowenischen Minderheit erinnerte, und so entschieden wir uns für die Trattoria „Giani“. Es war ein Erlebnis. Zu niedrigen Preisen servieren sie hier unglaublich große Portionen – praktisch jede reichte für mindestens zwei Personen, und von einem „cotelette milanese“, also einem Wiener Schnitzel in der lokalen Interpretation, kann eine ganze Familie satt werden. Also einmal am Samstag zum Mittagessen hingehen und man ist für das ganze Wochenende versorgt.

Nachtisch in Trattoria Giani

Görz ist einfach eine liebenswerte und gastfreundliche Stadt mit Geschichte. Und im nächsten Jahr wird sie auch Kulturhauptstadt Europas. Dann werden hoffentlich alle diese nervigen Bauarbeiten abgeschlossen sein.

Gardasee II

Im Südwesten des Sees gibt es zwei Städtchen – Desenzano mit einem Gemälde von Tiepolo in der örtlichen Kathedrale (als Beweis dafür, dass hier während des Barockzeitalters die Venezianer herrschten) sowie römischen Ausgrabungen, und Saló, dem ehemaligen Sitz der venezianischen Statthalter. Von dieser Stadt aus “regierte” Mussolini ab 1943, als Italien auf die Seite der Alliierten wechselte und die Deutschen im Norden eine Art Protektorat schufen, das formell vom ehemaligen “Duce” geführt wurde. Aus diesem Grund wird dieser Staat auch “Republik von Saló” genannt. Zumindest wusste der große Benito, wie man eine schöne Residenz findet – auch wenn er nichts mehr zu sagen hatte. Diese Residenz liegt etwas nördlich von Saló im Palazzo Feltrinelli in Gargnano. Zwischen Saló und Mussolinis Residenz gibt es eine weitere Kuriosität, die wiederum mit dem italienischen Faschismus zu tun hat – der Gardasee übte offensichtlich für diese Menschenart eine unwiderstehliche Anziehungskraft aus. An der “Riviera Gardone” befindet sich die Villa “Il Vittoriale degli Italiani” des Abenteurers und Dichters Gabriello d’Annunzio. Diese Figur der italienischen Geschichte ist so skurril, dass ich nicht widerstehen kann, einen Moment bei ihr zu bleiben. Gabrielle d’Annunzio war ein Dichter. Er schrieb nicht nur Gedichte, sondern auch Romane, Theaterstücke und Libretti für Opern. Als er aufgrund hoher Schulden vor seinen Gläubigern nach Frankreich fliehen musste, schrieb er auch auf Französisch. Politisch war er zwar ein Abgeordneter im italienischen Parlament für die Konservativen, bei den Wahlen gab er aber seine Stimme der radikalen Linken. Er nahm seine politische Ausrichtung also nicht allzu ernst. Im Jahr 1915 hat er dafür plädiert, dass Italien in den Ersten Weltkrieg eintritt, an dem er auch aktiv als Soldat teilnahm. Am kuriosesten war seine Aktion, als er sich entschied, mit zehn Flugzeugen über der Hauptstadt des Feindes, also über Wien, zu fliegen. Die Aktion fand am 8. August 1918 statt. Von zehn Flugzeugen erreichten zwar nur sechs ihr Ziel. Die anderen mussten aufgrund von Störungen vorzeitig landen, eins davon in Österreich, wo der Pilot sofort verhaftet wurde – der technische Zustand  der Fliegers war offensichtlich nicht ganz optimal – es handelte sich schließlich um italienische Flugzeuge. Über Wien ließ d’Annunzio Zehntausende von Flugblättern abwerfen. Es gab zwei Texte, einer war zweisprachig in Italienisch und Deutsch, den anderen Text hatte d’Annunzio selbst verfasst und er war nur auf Italienisch. Aber zumindest konnten die Wiener am Ende lesen, wie er sie aufrief: „Wiener, Viva l’Italia!“

            Die berühmteste Aktion von d’Annunzio war jedoch die Besetzung des heutigen Rijeka, das damals “Fiume” hieß. Da Italien, das Anspruch auf diese Stadt erhob, durch die Entscheidung der Pariser Konferenz befürchtete, dass es die Stadt nicht bekommen würde (sie sollte dem neu entstandenen „Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen“ zugeteilt werden), entschied er sich kurzerhand zu handeln. Mit einer Gruppe bewaffneter Abenteurer besetzte er im September 1919 die Stadt, erklärte die Unabhängigkeit der so entstandenen “Republik Fiume” und führte dort ein Regime ein, das eine Art Labor für den zukünftigen faschistischen Staat war, in dem der “Führer” natürlich d’Annunzio selbst war. Lassen Sie sich nicht von der Tatsache täuschen, dass sogar der große Wladimir Iljitsch Lenin ihn bewundernd als Revolutionär bezeichnete – Faschisten und Kommunisten hatten immer viel gemeinsam, weshalb sie sich schließlich so sehr verachteten. D’Annunzio ließ sich sogar auf Briefmarken seines “Staates” verewigen.

Im Dezember 1920 wurde er von einer italienischen Militärflotte aus Fiume vertrieben – eine Granate traf sogar sein Büro. Obwohl d’Annunzio verkündete, er würde lieber sterben, als nachzugeben, änderte er dann seine Meinung und verkündete, dass es sich nicht lohne, für DIESES Italien zu sterben.

Er zog zum Gardasee, wo er eine Villa am Ufer kaufte. Von dort aus versuchte er, vom König zum Ministerpräsidenten ernannt zu werden, um in Italien eine “Ordnung” im faschistischen Stil einzuführen, wurde jedoch von Benito Mussolini übertroffen. Danach zog sich d’Annuzio aus dem politischen Leben zurück, was “Il Duce” zu schätzen wusste. Auf seinen Vorschlag hin erhob ihn König Vittore Emanuele Gabrielle in den Adelsstand mit dem Titel “Principe de Montenevoso”, und der italienische Staat veröffentlichte seine gesammelten Werke. D’Annunzio ließ sich dann von Mussolinis Regierung seinen aufwändigen Lebensstil finanzieren, sodass er nicht zum zweiten Mal nach Frankreich fliehen musste. Er starb am 1. März 1938 in seiner Villa am Lago di Garda. Seine Villa wurde bereits vor seinem Tod zum nationalen Denkmal erklärt und, glauben Sie es oder nicht, mir war nicht danach – der Flughafen in Brescia wurde nach ihm benannt. Offensichtlich sind die Italiener ähnlich wie die Slowaken, Ungarn oder auch Österreicher mit ihrer faschistischen Vergangenheit noch nicht ganz im Reinen – sonst hätten sie wahrscheinlich nicht Giorgia Meloni gewählt, die sich offen zum Erbe Mussolinis bekennt.

Und damit ich es nicht vergesse – natürlich darf auch am Seeufer kein botanischer Garten fehlen. Ohne diesen würde es am italienischen Alpensee einfach nicht gehen. Der “Giardino botanico Hruska” liegt in der Nähe von d’Annunzios Residenz, befindet sich in privatem Besitz und gehört seit den 1980er Jahren dem österreichischen Schriftsteller André Heller. Heller ist zwar auch eine etwas skurrile Persönlichkeit, aber zumindest kann man sein politisches Engagement im Gegensatz zu den anderen berühmten Bewohnern des Sees als links von der Mitte einordnen. Übrigens besitzt er auch einen weiteren Garten namens “Anima”, den er selbst entworfen hat und wo er sich gegenwärtig öfter aufhält als am Gardasee oder in Wien. Aber dafür müsste man bis nach Marrakesch in Marokko reisen.

Im Nordwesten des Gardasees liegt die Stadt Limone, die, wie ihr Name schon vermuten lässt, von großen Zitronenplantagen umgeben ist.


            Wer weder mit dem Auto noch mit dem Boot fahren möchte, kann es mit dem Fahrrad versuchen. Radfahren ist am Gardasee sehr beliebt, es gibt Hunderte von Radfahrern, und Fahrräder können praktisch in jedem Dorf ausgeliehen werden. Es gibt jedoch keine speziellen Fahrradwege, also müssen sich die Radfahrer die Straßen mit Autofahrern teilen, die sie dafür natürlich angemessen hassen. Die Italiener sind sich dieses Problems offensichtlich bewusst. Es ist geplant, einen 166 Kilometer langen Radweg zu bauen, der den gesamten See umrunden sollte. Die Kosten sollen sich auf 345 Millionen Euro belaufen, wobei allein 19 Kilometer in der Provinz Trento, wo die Felsen direkt in den See fallen – und wo früher die österreichisch-venezianische Grenze verlief – 100 Millionen kosten sollen. Das gesamte Projekt soll bis 2026 abgeschlossen sein, also wenn Sie den unwiderstehlichen Drang verspüren, den See mit dem Fahrrad zu umrunden, könnten Sie vielleicht noch drei Jahre warten. Dann wird es viel gemütlicher.

Eine klassische Touristenfalle ist jedoch Sirmione. Es liegt auf einer langen Halbinsel, die praktisch durch die Mitte des Sees verläuft und an einigen Stellen nur etwa hundert Meter breit ist – dennoch gibt es natürlich auf beiden Seiten Hotels, Apartments, Restaurants und Parkplätze.

Achtung! Auf allen Parkplätzen muss gezahlt werden, auch auf denen, wo es nicht angegeben ist und wo man die Parkscheinaen mühsam zwischen den Bäumen am Straßenrand suchen muss. Das habe ich schmerzlich erfahren, als ich an meiner Windschutzscheibe einen Strafzettel fand. Das Problem ist nicht der Betrag von 29 Euro, sondern die Tatsache, dass diese Summe praktisch nicht aus dem Ausland bezahlt werden kann – und wenn sie dann als Inkasso kommt, ist sie erheblich höher (der administrative Aufwand für die Sicherstellung der Daten des Autobesitzers und seiner Adresse ist teuer). Wenn Sie also einen Strafzettel finden, fahren Sie sofort zur nächsten Polizeistation und versuchen Sie, die Strafe vor Ort zu bezahlen. Wie gesagt, man befindet sich in einer klassischen Touristenfalle, und die Italiener werden versuchen, jeden möglichen Cent von jedem Touristen auszuquetschen.

Sirmione ist von allen Seiten von Wasser umgeben, die Brücke, über die Sie hineinkommen, ist ziemlich neu, in der Vergangenheit betrat man sie über eine Zugbrücke der Wasserburg – wieder einmal einer Scaligerburg.

Die Burg selbst ist vor allem wegen der Ausblicke interessant, die sie von ihren Mauern und Türmen bietet, es gibt keine Ausstellung dort. In der Stadt gibt es Thermalquellen. Sie können besichtigt werden, die wohlhabenderen können in Hotels mit direktem Zugang zu den Thermalbädern übernachten.

Und dort, wo die heißen Quellen waren, war auch das römische Anwesen nicht weit. Auf dem äußersten Vorsprung der Halbinsel ließ Kaiser Augustus eine riesige Villa mit Terrassen über dem See, mit einem gigantischen Tank zur Regenwassergewinnung – und natürlich Thermalbädern – bauen. Die Villa erhielt später den Namen „Grotte die Catullo“, benannt nach dem Veroneser Dichter Catull, mit dem sie jedoch nichts zu tun hat. Catull starb im Jahr 54 v. Chr., als Augustus neun Jahre alt war. Der Besuch der ausgedehnten Ausgrabungsstätten mit herrlichem Blick auf den See ist ein Erlebnis, das man unbedingt genießen sollte.

Das Museum mit Relikten aus der Villa befindet sich gleich rechts am Eingang. Ungeduldige Touristen wie ich könnten es übersehen, und wenn sie dann zurück in das Gelände wollen, könnten sie Schwierigkeiten haben zu erklären, dass ihr Ticket noch gültig ist. Es gibt eine kombinierte Eintrittskarte für die Wasserburg der Scaliger und die Villa des Catull, sie kostet 14 Euro – die Einzeltickets zusammen kosten ebenfalls genau 14 Euro. In der kombinierten Karte ist auch der Besuch der römischen Ausgrabungen in Desenzano enthalten – also der ist dann praktisch kostenlos.

            Und natürlich – wenn Sie mit Kindern am See ankommen, gibt es Gardaland, einen der größten Vergnügungsparks Europas. Meine Enkelinnen lieben es. Meine Frau nicht. Ich bin mit ihr nicht ins Gardaland gegangen, weil sie sich auf einem Karussell gerne – eigentlich nicht gerne – übergibt. Reisekrankheit ist furchtbar.

Eine Überraschung waren die absolut erschwinglichen Preise in den Restaurants. Obwohl ich gerade in Sirmione gegen eine italienische Essgewohnheit verstoßen habe. Ich bestellte „Penne con salmone“ (Penne mit Lachs) und war überrascht, dass ich keinen Parmesan zu den Teigwaren bekam. Also bat ich den Kellner um „Parmigiano“ und bekam anstelle des Käses einen vernichtenden Blick und ein klares Nein. Ich verstand, dass etwas nicht stimmte, und so bildete ich mich weiter. In Italien wird NIE Parmesan zu Fischgerichten serviert. Und diese Lachsstücke in den Nudeln waren eindeutig ein Fisch! Ich bin schlauer geworden, aber der Kellner könnte an die germanischen Barbaren aus dem Norden gewöhnt und daher toleranter sein. Aber wenn es um Essen geht, kennen die Italiener keine Gnade. Abgesehen von diesem Zwischenfall war das Essen großartig und sehr preiswert. Offensichtlich gibt es viel Wettbewerb, der die Preise nach unten drückt. Und die ziehen natürlich die Touristen nachträglich an. Im Restaurant Al Pino haben wir zwei für 47,50 Euro hervorragend gegessen. Sowohl die Forelle als auch der Goldbrasse waren ausgezeichnet. Und in Malcesine im Stadtzentrum gibt es sogar gezapftes Pilsner Urquell. Und das bis spät in die Nacht.

Vielleicht ist doch nicht alles Goethes Schuld.

Sirmione Burg, Hafen

Formularbeginn

Gardasee I

Jahrelang habe ich mir den Kopf darüber zerbrochen, warum die Österreicher und die Deutschen eine unglaubliche Affinität zum Gardasee, auf Italienisch Lago di Garda, haben. Alle fahren dorthin, manche sogar jedes Jahr, und erzählen davon, als wäre es ein unglaubliches Erlebnis. Da ich den Grund für ihr Verhalten lange nicht verstanden habe, machte ich mich heuer endlich auf, um dieses Rätsel zu lösen.

Und ich habe es herausgefunden. Alles ist Goethes Schuld! Johann Wolfgang machte sich 1786 von Karlsbad aus (woher auch sonst, in Karlsbad war er praktisch immer) auf seine italienische Reise. Während dieser Reise sollte er endlich die Erfüllung seiner erotischen Fantasien finden, sich neu zu definieren und einen neuen Abschnitt seiner Schriftstellerkarriere zu beginnen. Bis dahin hatte er eine erfolgreiche Karriere als Beamter in Weimar hinter sich, sieben Jahre einer platonischen Beziehung zu einer Hofdame, bei der er keine Chance auf echte körperliche Liebe hatte (sein Roman “Die Leiden des jungen Werthers”, inspiriert von dieser Beziehung, machte ihn jedoch zu einem schriftstellerischen Star seiner Generation).

Aus für mich unverständlichen Gründen bog er von der üblichen Route von Trient nach Verona nach Westen ab und erreichte im September 1786 das Städtchen Riva am Nordufer des Gardasees. Er war von der Schönheit der lokalen Natur so begeistert, dass er in sein Tagebuch schrieb, wie sehr er bedauere, dass seine deutschen Freunde dieses unglaubliche Erlebnis nicht mit ihm teilen konnten. Von Riva aus ging er nach Torbole. Am 13. September wollte er dann mit einem Boot nach Verona weiterfahren, aber der ungünstige Wind trieb ihn nach Malcesine, wo er zuerst als möglicher Spion des österreichischen Kaisers Joseph II. festgehalten wurde (die Region gehörte damals zur Republik Venedig, die gerade noch zehn Jahre existieren sollte und deren Beziehungen zum Kaiserreich traditionell angespannt waren). Dank seiner Redegewandtheit konnte Goethe jedoch schnell alle Verdächtigungen zerstreuen und sogar eine Freundschaft mit dem örtlichen Bürgermeister schließen (der zuvor in Frankfurt am Main studiert hatte). In Torbole gibt es übrigens eine Gedenktafel, die auf den Besuch von Kaiserin Maria Theresia und ihrem Sohn Joseph erinnert. Der nördliche Teil des Sees gehörte zur Provinz Trient und damit zu Südtirol, der südliche Teil zu Venedig. Die Grenze ist auch heute immer noch gut nachvollziehbar, es ist der längste Tunnel an der Ostküste. Die Straße um den See herum wurde erst von Mussolini gebaut, bis in die 1930er Jahre gab es die Verbindung zwischen dem nördlichen und dem südlichen Teil des Sees ausschließlich auf dem Wasserweg.

Die Büste von Goethe in Malcesine


Goethe beschrieb seine Erlebnisse in der Region Gardasee in seinem Tagebuch und veröffentlichte sie später nach seiner Rückkehr nach Deutschland im Jahr 1788. Seitdem strömen die Massen von Deutschen und in der Folge auch von Österreichern zu dieser zauberhaften Naturszenerie, von der einst der König aller deutschen Dichter so suggestiv sprach. Die Italiener haben schnell den wirtschaftlichen Nutzen dieser germanischen Begeisterung erkannt und eine entsprechende Infrastruktur ausgebaut. Übrigens haben sie Johann Wolfgang seine Verdienste nie vergessen. In Riva di Garda ist ihm ein Brunnen auf dem Platz vor dem Schloss gewidmet, in Torbole gibt es eine Gedenktafel am Haus, in dem er wohnte, und in Malcesine ist ihm im örtlichen Schloss sogar ein ganzer Saal gewidmet, der seine Reise durch Italien dokumentiert.

In einem Punkt hatte der “poeta mirabilis” allerdings recht. Der Lago di Garda oder Benaco, wie der See zu Goethes Zeiten genannt wurde, ist wunderschön. Es ist der größte See in Italien mit einem Volumen von 49 Milliarden Kubikmetern Wasser (ganz Italien verbraucht jährlich acht Milliarden). Natürlich ist er ein Überbleibsel aus der Eiszeit, als ein Gletscher aus den Alpen eine Moräne bildete und dahinter den See entstehen ließ. Und das auf einer überdimensionalen und beeindruckenden Weise.

Die Entfernung vom südlichen Ende des Sees in Sirmione bis zum nördlichen Ende in Riva beträgt etwa sechzig Kilometer und die Fahrt auf dem Festland dauert anderthalb Stunden. Oder länger, wenn Sie einen oder mehrere Stopps einlegen möchten – Anreize dazu gibt es mehr als genug.

Beginnen wir im Norden, dort gibt es das bereits erwähnte Riva di Garda. Ein zauberhaftes Städtchen mit einer Festung namens „Rocca“, die einst von den Herrschern von Verona aus dem Geschlecht Della Scala erbaut wurde, daher der Name „Rocca Scaligera“.

Angeblich ließen die Herrscher von Verona die Festung bereits im Jahr 1124 bauen, allerdings noch im Jahr 1393 wurde sie als “castrum novum” bezeichnet, also haben sie sich möglicherweise viel Zeit gelassen. Später diente die Burg als Sommerresidenz der Bischöfe von Trient, die ihren Sitz im Renaissancestil umbauen ließen. Die Festung und das Städtchen erlebten ihre größte Blütezeit unter dem Fürstbischof Cristoforo Mandruzza, der vor seinen aufgebrachten Untertanen aus Trient fliehen musste und Riva 1568 zu seiner Residenzstadt machte. Hier lud er Politiker und Gelehrte ein, und das Städtchen konnte sich zumindest für kurze Zeit als Nabel der Welt fühlen. Später befanden sich hier Kasernen der österreichischen Armee, denn Riva war der südlichste Militärposten des österreichischen Kaiserreichs – woran das Datum 1852 mit dem Namen Franz Josephs an der Fassade der Festung erinnert. In dem Gebäude, einer klassischen Wasserburg, gibt es ein Museum mit archäologischen Ausgrabungen und der Geschichte der Stadt im Ersten Weltkrieg, als sie an vorderster Front war und auch im Zweiten Weltkrieg. Die Stadt schaffte es, sich dank örtlicher Partisanen am Ende April 1944 von den Deutschen selbst zu befreien, so dass die 10. Gebirgsdivision der Amerikaner hier ohne Widerstand vorrücken konnte. Nicht so im nahegelegenen Torbole, wo es zu einem intensiven Zusammenstoß mit zurückweichenden deutschen Panzern kam. Die Stadt hat noch das erhaltene „Heilige Michael-Tor“ und die große einschiffige barocke Kirche „Inviolata“ aus dem Jahr 1603. Man kann mit einem Aufzug zum „Bastione“ fahren.

Es ist eine kleine Festung oberhalb der Stadt, die im Jahr 1703 von den Franzosen während des spanischen Erbfolgekriegs zerstört wurde – also in einem Krieg, der die Einheimischen eigentlich überhaupt nicht interessieren sollte. Von dort hat man einen herrlichen Blick auf das Städtchen aus der Vogelperspektive, also lohnen sich die paar Euro für den „Funiculare“, mit dem man hinauffahren kann. Übrigens gibt es auch einen Weg für die Sparsamen, um zu Fuß hochzusteigen.

Riva

Riva ist wunderschön in die hohen Felsen eingebaut, und der Anblick von den engen Gassen aus nach oben raubt einem den Atem, besonders bei der Vorstellung, dass dort ein Felsen abbrechen könnte. Was angesichts der aktuellen Klimaveränderungen nicht ungewöhnlich wäre. Es scheint jedoch nicht, als würde dies die Italiener auf irgendeine Weise beunruhigen. Sie lassen sich sowieso nicht leicht beunruhigen. Und die Tradition steht über allem. Schon im Mittelalter wurden die Einwohner der Stadt von den örtlichen Bürgermeistern unter dem Bogengang des Gebäudes gerichtet, wo sich heute immer noch das Rathaus befindet.

Übrigens befindet sich am Ufer des Sees in der Nähe des Hafens und des Aufzugs zum Bastione das örtliche Kraftwerk. Wasser wird über Röhre von den hohen Felsen zugeführt, die direkt über dem Kraftwerk aufragen. Es handelt sich also um einen umweltfreundlichen Strom. Man muss nur hoffen, dass sich eines dieser Felsstücke nicht anders besinnt und durch seinen Absturz einen Stromausfall für Riva verursacht.

Der Brunnen in der Mitte der Stadt erinnert an Goethes Besuch, genauso wie die Ausstellung im „Rocca“. Dort sind alle Berühmtheiten aufgeführt, die die Stadt jemals besucht haben, idealerweise mit Zitaten, in denen sie Riva gelobt haben. Es ist praktischerweise nichts anderes als Lob überliefert.

Wenn Riva auf seinen historischen Charme setzt, ist das nahegelegene Torbole, durch einen Felsen von Riva getrennt, eine typische Badeortstadt mit Kieselstränden und einer großen Surfschule.

Die Bergwinde sind ideal zum Surfen, und Torbole hat das ausgenutzt. Selbst hier war eine österreichische Garnison, und zwar im „Beuz-Haus“, wo sich heute ein sehr gutes italienisches Restaurant befindet.

Richtung Süden am östlichen Ufer gelangt man nach Malcesine. Die Hauptattraktion in dieser Stadt ist die „Funiculare“, also die Seilbahn, die Touristen auf den „Monte Baldo“ bringt. Der „Monte Baldo“ ist nicht nur ein Aussichtsberg, sondern auch sehr reich an Natur. Da dieser Berg nie ganz vereist war, vermischen sich hier die mitteleuropäische Vegetation mit der mediterranen Flora. Die Seilbahn bringt Sie auf eine Höhe von 1790 Metern, und von dort aus können Sie in alle Richtungen wandern. Am attraktivsten ist wahrscheinlich der Spaziergang entlang des Gratwegs Richtung Süden zum „Monte Telegrapho“ mit einer Höhe von 2215 Metern über dem Meeresspiegel. Angeblich bietet sich von dort oben ein wunderschöner Blick auf den ganzen See. Natürlich nur, wenn es Mitte Mai nicht schneit und die Berge nicht in dichten Wolken versinken, wie es uns passiert ist. Der Hauptgrund für unseren Aufenthalt in dieser malerischen Stadt wurde also durch das Wetter zunichte gemacht. Es schien mir jedoch, dass meine Frau das nicht allzu viel bedauerte. Es ist aber nicht aller Tage Abend, sie sollte sich nicht zu früh freuen.  Der Gardasee ist für einen nächsten Besuch nicht unerreichbar weit.

Malcesine hat auch eine Burg, die von den Della Scala errichtet wurde, die sogenannte „Scaligerburg“.

Neben dem Saal, den Goethebesuch beschreibt und der seine Reise durch Italien inklusiv seiner erotischen Erlebnisse dokumentiert, gibt es hier ein Naturmuseum mit Exponaten zur Fauna und Flora des Gardasees sowie ein Saal, wo eine unglaubliche militärische Operation aus dem mittelalterlichen Italien beschrieben wird. In der ersten Hälfte des fünfzehnten Jahrhunderts kämpften Venedig und Mailand um die Vorherrschaft in Norditalien. Venedig wurde von dem berühmten Condottiere Gattamelata geführt (seine Statue von Donatello kann man vor der Kirche des Heiligen Antonius in Padua bewundern), die Mailänder Armee von dem ebenso berühmten Feldherrn Piccinino. Den Mailändern gelang es 1438, Brescia zu erobern, und damit erreichten sie die Kontrolle über den Gardasee. Gattamelata hatte eine Idee, von der er auch den venezianischen Stadtrat überzeugen konnte. Er wollte die Mailänder, die ihre Flotte in Desenzano am südlichen Ende des Sees hatten, mit einem gewagten Trick überraschen. Es wollte die venezianische Flotte stromaufwärts des Flusses Adige transportieren und dann die Schiffe über den Bergpass von Mori bis nach Riva am Land ziehen, Es handelte sich um eine ziemlich große Flotte mit 2 großen Fregatten, 6 Galeeren und 25 kleineren Schiffen. Diese ganze Aktion ging als „Galeas per montes“ in die Geschichte ein. Der Feldzug dauerte ein halbes Jahr bis Mai 1439 (also war Sultan Mehmed doch nicht der erste in der Geschichte mit einem ähnlichen Trick seine Flotte in der Bucht des Goldenen Horns während der Belagerung von Konstantinopel im Jahr 1452 zu positionieren). Gattamelata schaffte es zwar, die venezianische Flotte zum See zu bringen, die Mailänder ließen sich jedoch nicht überraschen und zerstörten die Schiffe bereits beim Auslaufen auf den See.


Malcesine, das sind schmale Gassen am Ufer des Sees. Man kann bis unterhalb der Burg hinabsteigen, zur Bucht, wo die Frauen von der Burg früher Wäsche waschen gingen. Diese Bucht diente auch dem örtlichen Verwalter als ein Nothafen für den Fall der Flucht, wenn es im Falle einer kriegerischen Auseinandersetzung wirklich schlimm würde. Das war allerdings nie der Fall. Der riesige Palast des venezianischen Verwalters, in dem einst Goethe verhört wurde, liegt direkt am Ufer des Sees mit einem Garten und einem eigenen Hafen.

Über seine Geschichte zeugt ein großes Fresko mit dem venezianischen Löwen an der Decke des Korridors, der die Straße mit dem Garten und dem See verbindet. Ein Stück weiter ist dann der moderne Hafen geschmückt mit zeitgenössischen Skulpturen.

Zwischen den Dörfern am Ufer kann man auch mit dem Boot reisen (in jeder größeren Ortschaft gibt es einen Hafen), aber die Reisezeiten sind ziemlich lang – von Malcesine nach Sirmione würde die Bootsfahrt drei Stunden dauern, also haben wir lieber das Auto gewählt.

Südlich von Malcesine liegt Garda, nach dem der See seinen Namen bekam, mit großen Wochenmärkten (die Stände sind samstags und sonntags geöffnet) und weiter südlich Lazise mit einer großen, aber für die Öffentlichkeit unzugänglichen Burg und gut erhaltenen mittelalterlichen Stadtmauern.

Lazise

Überall gibt es Wein, Geschäfte, Weinberge und Weingüter.

Also nehmen wir hier eine kurze Rast. Den westlichen Teil des Sees schauen wir uns in zwei Wochen an.

Lago Maggiore

Ich gestehe, dass ich mit einigen Heiligen ein Problem habe. Ihre Heiligsprechung riecht zu sehr nach Politik, und wenn sogar ein Verwandter des Heiligen die Heiligsprechung durchsetzte, stellt sich die Frage, ob diese Person wirklich ihre Heiligkeit verdient hat. Das ist für mich der Fall bei Karl Borromäus, der im Jahr 1610 von Papst Paul V., auf Drängen des Erzbischofs von Mailand und Karls Cousin Federico Borromeo heiliggesprochen wurde. Wenn dann Papst Pius X. das dreihundertste Jubiläum seiner Heiligsprechung mit Worten feierte, in denen er die Reformation als Rebellion und Perversion des Glaubens bezeichnete, bekommt die ganze Geschichte in der heutigen Welt, die nach ökumenischer Einheit strebt, einen etwas bitteren Geschmack.

Karl Borromäus lebte von 1538 bis 1584. Er begann seine Karriere als Administrator des Trienter Konzils in den Jahren 1562–1563, als dieses Konzil Dogmen verabschiedete, die die Spaltung der Kirche endgültig besiegelten. Ab 1560 war er Erzbischof von Mailand und sorgte sorgfältig dafür, dass jeder Hauch von Protestantismus aus seiner Diözese ausgelöscht wurde. Er zögerte nicht, Hilfe zu leisten, als italienische Protestanten in das Misox-Tal in der Schweiz flohen und die einheimischen Katholiken um Hilfe baten. Karl hatte eine Methode, wie man mit Ketzer umgeht – sie wurden einfach der Hexerei beschuldigt. Die Ergebnisse ließen nicht auf sich warten. Elf von ihnen wurden verbrannt, die anderen kehrten nach grausamer Folter in den Schoß der katholischen Kirche zurück.

Es gibt natürlich auch Positives über Karl zu berichten. Er förderte Bildung, gründete in Pavia ein Internat für arme Studenten. Er kümmerte sich um Pestkranken und lebte so asketisch.  dass er im Alter von 46 Jahren starb. Dennoch hege ich ernsthafte Zweifel, ob er seine Heiligsprechung mit seinen Taten wirklich verdient hat.


          Aber gut, er ist ein Heiliger, und wenn man ihn besuchen möchte, muss man  sich zum Lago Maggiore begeben. Dort in der Stadt Arona, wo er geboren wurde, bereits im Jahr 1618, wurde für ihn eine riesige Statue aus Kupfer errichtet (28 Meter hoch – mit Sockel sogar 35 Meter), in die man bis in seinen Kopf hinaufsteigen kann. Ich habe es gemacht, obwohl es ziemlich anstrengend war, aber ich war neugierig, was in seinem Kopf ist. Ich fand, was ich erwartet hatte, da war nichts drin.

Dennoch bereue ich es nicht, es war eine ziemlich interessante Erfahrung. Gleich neben der Statue befindet sich eine Wallfahrtskirche mit einer Nachbildung seines Geburtszimmers (Es wird behauptet, dass er genau an diesem Ort geboren wurde, aber was hätte die edle Medici-Frau kurz vor der Geburt auf diesem Hügel gemacht? Sie hat sicherlich im Schloss in der Stadt entbunden, das Napoleon im Jahr 1800 dem Erdboden gleichgemacht hat). Der ganze Hügel oberhalb der Stadt Arona heißt Sacro Monte, von dort aus hat man einen herrlichen Blick auf den südlichen Teil des Sees sowie auf die Burg Angera, die seit 1449 ebenfalls im Besitz der Borromeo-Familie ist.

Diese Familie spielte in der Geschichte dieser Region eine bedeutende Rolle. Von 1445 bis 1797 hatten sie hier einen eigenen Staat, der keiner Jurisdiktion unterlag. Obwohl die Borromeos “nur Grafen” waren, wurden sie wiederholt zu Markgrafen ernannt oder bekleideten Ämter von Vizekönigen und vor allem – sie waren unglaublich reich.

Ihre Karriere begann wenig glanzvoll. Um das Jahr 1370 mussten sie aus San Miniato in der Toskana fliehen, als einer von ihnen, Filippo Boromei, sogar hingerichtet wurde. Seine Söhne Filippo, Borromeo und Giovanni flohen nach Mailand und gründeten hier eine Bank. Filippo Boromei hatte dann sehr viel Glück bei der Wahl seiner Lebenspartnerin. Er heiratete Taddea di Tenda, die Schwester der Gattin des Herzogs Filippo Maria Visconti, und konnte sich dank seines Geldes sogar mit seinem mächtigen Schwager sehr gut anfreunden. Sein Sohn Filippo heiratete sogar direkt in die Familie Visconti ein, als er 1438 Francesca Visconti zur Frau nahm. Dem rapiden Aufstieg der Familie stand also nichts im Wege, insbesondere, als sie nach dem Aussterben der Visconti auf die richtige Karte setzten. Denn sie finanzierten den Nachfolger der Visconti, Francesco Sforza, als er das unnachgiebige Mailand belagerte, das von einer Wiederherstellung der Republik träumte. Die Borromeos erwarben weitere große Ländereien in der Nähe des Lago Maggiore und machten sich dort unabhängig. Die Sforzas tolerierten diese Tatsache und nach ihnen auch die nachfolgenden Herrscher von Mailand. Sowohl die Franzosen als auch die Habsburger akzeptierten ihre Unabhängigkeit. Die Borromeos hatten sich in der Zwischenzeit mit fast allen bedeutenden Familien Europas verschwägert, sodass niemand das Risiko einging, sich mit ihnen anzulegen. Der Lago Maggiore und das Land um diesen See gehörten einfach ihnen, und niemand stellte das in Frage.

Und genau dort entstand etwas Erstaunliches, für das es sich lohnt, so weit nach Westitalien zu reisen.

Im Jahr 1501 kauften die Borromeos die erste der Inseln im See, die „Isola Madre“, und danach noch zwei weitere Inselchen, die heute „Isola Superiore dei Pescatori“ und „Isola Bella“ heißen. Damals war die letzte allerdings noch nicht schön wie heute und hieß „Isola Inferiore“, sollte aber schön werden. So schön, dass einem der Atem stockt. Der Bau des Palastes und des unglaublichen Gartens begann unter Carlo III. Borromeo. Es gelang ihm, zwei kleine Klöster von dort auf die nahegelegene Insel „Isola Superiore dei Pescatori“ zu verlegen, und die „Isola Inferiore“ benannte er nach seiner Frau in Isabella um. Von da an war es nur noch ein kleiner Schritt zum heutigen Namen, der die Schönheit der Insel viel besser widerspiegelt (obwohl man sagt, auch Isabela sei außergewöhnlich schön gewesen). Aus Isabella wurde „Isola Bella“. Was aus dem Felsbrocken im See entstand, ist nämlich atemberaubend.


          Der Bau des Palastes und des Gartens dauerte bis 1959, also fast dreihundert Jahre, aber die Borromeos waren beharrlich. Obwohl ihnen immer wieder das Geld ausging, gaben sie das Projekt nie auf. Sie waren zwar nur Grafen, aber sie verkehrten in der höchsten Gesellschaft von Päpsten, Kardinälen, Herzögen und Königen und wollten ihre Gäste aus dieser Gesellschaft beeindrucken, daher wurden die Kosten nicht gescheut. Das Erdgeschoss, das sie in Form von einer Höhle bauen ließen (eigentlich sechs Höhlen), wurde neunzig Jahre lang errichtet und kostete unglaubliche Geldsummen. Die gesamte Insel hat die Form eines Schiffes, wobei der Palast den Kapitänsposten darstellt und der Park den Bug des Schiffes. Der Palast wirkt von außen zwar recht schlicht im manieristischen Stil, aber die Innenausstattung ist umso prächtiger. Übrigens verbringt die Familie Borromeo im Palast immer noch den Sommer, sie bewohnt jedoch nur das obere zweite Stockwerk des Palastes und lässt den Rest für Touristen offen. Die Einnahmen aus dem Tourismus spielen wahrscheinlich eine wichtige Rolle bei der kostspieligen Erhaltung der Schönheit der Insel.

Bereits die Eingangstreppe des Palastes ist monumental, und dann geht es von Raum zu Raum, alles blendend. Ob es sich um Gemälden in vergoldeten Rahmen in der nach dem französischen General Barthier benannten Galerie handelt, den Thronsaal mit einem Thron, der nicht nur für einen Grafen, sondern auch für einen König angemessen wäre, das Schlafzimmer mit Himmelbett oder den Musiksalon mit einem vergoldeten Cembalo.

Dieser “Sala della Musica” ist auch historisch bedeutsam. Vom 11. bis 14. April 1935 trafen sich hier Vertreter der “Siegermächte”, um das Problem zu besprechen, nämlich die Entscheidung Hitlers über die Einführung der Wehrpflicht in Deutschland, womit er die Vereinbarungen des Versailler Vertrags nach dem Ersten Weltkrieg verletzt hatte. Der Gastgeber war Mussolini, denn zum einen betrachtete er sich auch als einer der Vertreter der “Siegermächte”, schließlich errichtete er in seinem Land viele Siegesdenkmäler, und zum anderen war er damals noch nicht so eng mit Adolf befreundet. Das änderte sich erst nach dem Münchner Abkommen im September 1938 und vor allem nach 1939, als er mit Hitler einen “Deal” über Südtirol abschloss. 1935 empfing er auf „Isola Bella“ Vertreter Großbritanniens und Frankreichs. Das abgesegnete Dokument hängt an der Wand des Musiksalons. Wie es ausging, wissen wir. Das zahnlose Memorandum schreckte Hitler nicht ab, im nächsten Jahr in das demilitarisierte Rheinland einzumarschieren, und alles steuerte auf einen Weltkonflikt zu. Der größte Saal im Palast ist der “Salone” Er ist der Hauptsaal, der erst 1959 fertiggestellt wurde und sich über alle drei Stockwerke des Palastes erstreckt Es gibt aber auch den großen „Saal der Medaillen“, in dem größere Gesellschaften speisten, und natürlich darf auch der große Ballsaal nicht fehlen. Er ist ganz aus mit Spiegeln bedecktem Marmor gemacht.

Einer der Säle trägt den Namen des französischen Kaisers Napoleon, als Erinnerung an den Besuch dieses prominenten Gastes auf der Insel im Jahr 1797. Es war während seines ersten italienischen Feldzugs, bei dem er die Österreicher aus Italien vertrieb, die Republik Venedig auflöste und seinen Triumph mit dem Frieden von Campoformio im Palast des letzten Dogen von Venedig, Vernier beendete. Napoleon kam mit seiner Frau Josephine auf die Insel. Ihr verdankte er viel, insbesondere das Kommando über die französische Armee in Italien. Premierminister Barras drückte dadurch seine Dankbarkeit dafür aus, dass Napoleon ihn von seiner schwierigen Geliebten befreit hatte. Napoleon und Josephine übernachteten in einem Saal, der heute noch ihren Namen trägt, in einem Himmelbett, das immer noch dort steht. Allerdings waren die Erinnerungen an den Besuch des kleinen Korsen nicht gerade die besten. Der Verwalter des Schlosses ließ verlauten, dass er noch nie eine so schreckliche Gesellschaft erlebt habe, die um Essen und Plätze am Tisch beinahe gekämpft habe (Napoleon kam mit sechzig Begleitern, aber im großen Speisesaal, dem Medaillensaal, gab es nur Platz für dreißig). Napoleon hinterließ das Zimmer, in dem er die Nacht verbracht hatte, voller Müll, Unordnung und Schmutz, sodass der Verwalter froh war, dass der problematische Gast nur zwei Tage geblieben war, da er sonst den Palast in eine Kaserne verwandelt hätte. Die Erinnerungen an den Besuch waren offensichtlich sehr frustrierend, denn als Napoleon im Jahr 1805, kurz nach seiner Krönung zum Kaiser, erneut seinen Besuch ankündigte, schrieb Graf Gibero Borromeo, dass er gehört habe, dass der Kaiser und die Kaiserin Bedenken wegen des feuchten Klimas auf der Insel hätten. In seinen Anweisungen fügte er hinzu: “Obwohl diese Information nicht auf Wahrheit beruht, sollte sie unterstützt werden, und das kaiserliche Paar sollte in seinem Glauben an das ungesunde Klima der Insel belassen werden.”

Selbst diese durchdachte Taktik half jedoch nicht, denn Napoleon und Josephine erschienen im Juni 1805 auf der Insel, und ein Jahr später kam sogar Josephines Sohn Eugenio Bernharnais mit seiner Frau. Nach diesem Besuch verschwanden einige wertvolle Leuchter und flämische Wandteppiche, sodass die Besuche der französischen Kaiserfamilie den Gastgebern eher Sorgen als Freude bereiteten. Immerhin war das ein lebenslanges Problem Napoleons. Da er aus sehr bescheidenen Verhältnissen stammte, hatte er nie gelernt, sich anständig zu benehmen, und echte Aristokraten wie der russische Zar Alexander oder Napoleons Außenminister Talleyrand, verachteten ihn deshalb zutiefst. Dies ist ein Problem, mit dem heutzutage zum Beispiel auch russische Oligarchen zu kämpfen haben.

Obwohl einige wertvolle Wandteppiche mit Eugenio Bernharnais aus dem Palast verschwanden, gibt es immer noch genug von ihnen, die im letzten Saal des Palastes ausgestellt sind. Sie sind sechs mal vier Meter groß und zeigen verschiedene Motive aus dem Tierleben, hauptsächlich werden hier Löwen dargestellt.

Von diesem Saal aus gelangt man in den Garten.

Dieser ist vom Palast durch eine von hohen Bäumen gebildete Wand getrennt, sodass man den Palast vom Garten aus nicht sehen kann. Dadurch stört den Besucher nichts, um die Schönheit dieses Gartens wirklich zu genießen. Der Garten erstreckt sich über fünf Terrassen bis zur Aussichtsplattform auf dem Gipfel. Die Terrassen sind mit duftenden Rosen bedeckt, unten blühen Azaleen und Rhododendren, aber auch Zitronenbäume, Orangenbäume, Lotusblumen und andere duftende Pflanzen. Alles wird durch antike Motive wie das Atrium der Göttin Diana oder Herkules ergänzt. Das alles ist in Form eines französischen Barockgartens gepflegt, also eine künstliche Schönheit, aber dennoch eine atemberaubende.

Man muss es mit allen Sinnen erleben, und egal, ob man fotografiert, filmt oder auf andere Weise versucht, diese Eindrücke für die Ewigkeit festzuhalten, es gelingt einfach nicht. Das Gedächtnis ist das einzige, wo man die Eindrücke speichern kann.

Die zweite Insel, die „Isola Madre“ ist ebenso erstaunlich.

Verschiedene orientalische Bäume wie Eukalyptus, Zypressen, Palmen, die unter dem Palast eine gesamte Kolonnade bilden, Kamelien, Zitronenbäume und sogar Bananen (offensichtlich friert es hier im Winter trotz der Nähe der Alpen nicht, sonst würden es Bananen nicht überstehen). Die größte Kuriosität ist ein ganzes Beet verschiedener Blumenarten aus der Protea-Familie, von denen die berühmteste die wunderschöne Protea cynaroides ist, die 1967 zur Nationalblume der Republik Südafrika erklärt wurde.

Darüber hinaus werden hier viele unbekannte, aber äußerst farbenfrohe und daher schöne Vögel gezüchtet. Die imposanteste Pflanze ist wahrscheinlich ein riesiger Kaschmirzypresse, die ein Sturm im Jahr 2006 mit Wurzeln ausgerissen hat. Der Baum konnte wieder an seinen ursprünglichen Standort gepflanzt und dadurch gerettet werden. Heute wächst er weiter, sicherheitshalber ist er mit Stahlseilen befestigt, aber offensichtlich geht es ihm nicht schlecht.

Der Palast demonstriert erneut die Nähe der Borromeos zu den mächtigsten Familien Europas; es gibt Porträts und Wappen von Familien, mit denen sie durch Heiraten verwandt waren, und so sind Wappen von Papst Pius IV. Medici (der Onkel des heiligen Karls), Papst Innozenz XI. aus dem Odescalchi-Geschlecht und Karl II., König von Spanien, abgebildet. Und natürlich wird man dort von einer Büste des berühmtesten Mitglieds der Borromeo-Familie, des heiligen Karl, begrüßt. Um sicherzustellen, dass man nicht am Wert der Familie zweifelt, findet man zusätzlich Porträts der Päpste, mit denen die Borromeos verwandt waren (Clemens VII. Medici, Paul III. Farnese, Pius IV. Medici und Innozenz XI. Odescalchi) im Konferenzsaal, der aufgrund seiner Dekoration auch als Papstsaal bekannt ist. Die Säle und Schlafzimmer sind mit Barockmöbeln eingerichtet, der runde venezianische Saal ist bereits im Rokoko-Stil gestaltet und mit einem Kronleuchter aus Muranoglas geschmückt. Als Kuriosität gibt es dort auch eine Sammlung von Puppen von Robert und Gisela Pesché, die diese Sammlung den Borromeos geschenkt haben, sowie mehrere Marionettentheater mit Ersatzpuppen in mehreren anderen Räumen. Dieses Marionettentheater wurde in der wunderschönen Kulisse des Gartens auf Isola Madre gespielt, und die erste Aufführung ist im Jahr 1657 dokumentiert. Wenn man also nach Isola Bella gereist ist, um den Palast der Borromeos zu bewundern, dann fährt man nach Isola Madre, um die Natur zu genießen. Gustave Flaubert bezeichnete einmal die Insel als das “sinnlichste” Fleckchen Erde, und daran ist etwas Wahres.

Man kann die Inseln von verschiedenen Orten aus erreichen, da sie sich in einer Bucht im westlichen Ausläufer des Sees befinden. Im Norden ist es Verbania, genauer gesagt ihr Stadtteil Palanza, im Süden ist es entweder Baveno oder vor allem Stresa.

Dieser luxuriöse Kurort bietet riesige Hotels mit Blick auf die Borromäischen Inseln und eine wunderschöne Seepromenade mit Stränden – teilweise privat, teilweise öffentlich. Hier haben auch die Teilnehmer der Mussolini-Konferenz auf Isola Bella gewohnt, weshalb der Vertrag “Fronte di Stresa” (Stresa-Front) genannt wurde.

Wer viel Geld hat, könnte hier wohnen; wir haben auf der preisgünstigeren Nordseite in Verbania gewohnt. Aber auch Verbania hat einiges zu bieten. Es ist nicht nur mit 35.000 Einwohnern die größte Stadt am Seeufer, sondern am Stadtrand gibt es auch einen zauberhaften botanischen Garten – „Villa Taranto“. Die Boote, die Touristen über den See transportieren, legen dort an, zu Fuß ist es eine halbe Stunde vom Hafen in Palanza aus. Am schönsten ist es dort im April, wenn die Tulpen blühen, aber wer nach dem Besuch der Inseln noch ein bisschen Energie für botanische Gärten übrig hat, sollte auf jeden Fall noch dorthin gehen. Ihre Augen und Ihre Nase werden wieder auf ihre Kosten kommen.

Como

Die Stadt Como trat in die europäische Geschichte etwas unfreiwillig und unglücklich ein. Am Ende des 11. und zu Beginn des 12. Jahrhunderts, während der Herrschaft der letzten Herrscher der salischen Dynastie, verringerte sich in Italien die Macht der römischen Kaiser, die in Deutschland jenseits der Alpen residierten und Italien nur sehr sporadisch, wenn überhaupt besuchten. Die einzelnen italienischen Stadtgemeinden wurden unabhängiger und nahmen den entfernten Kaiser zwar zur Kenntnis, sie waren aber nicht gewillt, sich ihm zu unterwerfen. Allerdings begannen sie dann untereinander zu kämpfen. Es ging um die Macht und um das liebe Geld. Das wohlhabende Como wurde schließlich zur Beute des mächtigeren Mailands. Die Mailänder eroberten Como im Jahr 1127, zerstörten seine Mauern und alle Häuser außer den Kirchen.

Die Bürger von Como wollten das nicht einfach hinnehmen und beschwerten sich beim Kaiser. Sie hatten Glück, dass Friedrich Barbarossa seit 1152 Kaiser war. Er war ein ehrgeiziger und fähiger Politiker und die italienischen Angelegenheiten ließen ihn nicht kalt. Er entschied zugunsten der Bürger von Como und schickte eine Botschaft nach Mailand, die den Mailändern befahl, sich aus Como zurückzuziehen und die entstandenen Schäden zu erstatten. Doch Mailand wurde überheblich und demütigte die Boten des Kaisers so sehr, dass dem Kaiser nichts anderes übrigblieb, als – ob er es wollte oder nicht – nach Italien zu ziehen, um mit militärischer Macht seine kaiserliche Reputation wiederherzustellen. Dies sollte ihn den Rest seines Lebens beschäftigen, bis hin zur demütigenden Niederlage bei Legnano im Jahr 1176. Mailand wurde von dem Kaiser jedoch diesmal im Jahr 1158 erobert (auch mit Hilfe tschechischer Soldaten, die angeblich Teigfiguren von Kindern vor den Mauern brieten, um den Stadteinwohner von Mailand die Angst einzujagen und sich damit den Ruf der Kannibalen verdienten). Für diese Hilfe wurde der tschechische Fürst Vladislav zum König, und die Herren von Kunštát erhielten ein halbes Pferd in ihrem Wappen, da das andere angeblich von dem Gitter des Stadttores abgetrennt wurde – wohl bemerkt, es geschah auf der Flucht aus der Stadt, also wurde der Hinterteil des Pferdes abgetrennt). Der Kaiser zerstörte nach dem Sieg die Mauern von Mailand und Como durfte seine Mauern wieder errichten. Seitdem sind sie nahezu vollständig erhalten geblieben und durchziehen die städtische Bebauung. Manchmal überrascht den Besucher einer ihre Türme an Stellen, wo man es nicht erwarten würde, sogar in der unmittelbaren Nähe vom städtischen Bahnhof.

Como liegt am westlichen der beiden südlichen Zipfel des Comer Sees. Übrigens ist es der See, wo George Clooney seinen Wohnsitz hat, er liegt etwas nördlich der Stadt am westlichen Ufer im Dorf Laglio. Da der See nur einen Abfluss hat, und zwar am östlichen Ende in der Stadt Lecco, wurde Como häufig von Frühlingsfluten heimgesucht. Heutzutage gibt es hier Abflusskanäle, die das überschüssige Wasser abführen. Die Stadt war schon in der Römerzeit wichtig und ist stolz darauf. An einem Denkmal an der Wand eines Hauses findet man Auszüge aus dem Werk des Schriftstellers Strabon, der die Stadt in seinem Werk “Geographie” beschrieben hat, und an der Fassade des Doms sind sogar zwei Darstellungen von Plinius Caecilius Secundus zu sehen. Dieser bekannte römische Senator wurde im Jahr 61 nach Christus in “Novum Comum”, wie Como damals genannt wurde, geboren. Er wurde durch seine Beschreibung des verheerenden Ausbruchs des Vesuvs im Jahr 79 berühmt, der die Städte Pompeji und Herculaneum zerstörte und den der damals noch junge Plinius persönlich miterlebte – und überlebte.

Como wurde später vor allem durch seine Seidenproduktion berühmt. Die Maulbeerbäume verschwanden zwar zu Beginn des 20. Jahrhunderts aufgrund von Krankheiten und der industriellen Revolution, aber die Seidenverarbeitung findet hier immer noch statt und man kann hier Seidenprodukte – als Souvenir – immer noch günstig kaufen.

Der wichtigste und von Touristen meistbesuchte Teil der Stadt ist natürlich die Seepromenade. Hier befinden sich auch die luxuriösen Hotels „Metropole Suisse“ und „Barchetta Excelsior“. Hier gibt es einen schönen großen Park, der Mafalda von Savoyen gewidmet ist.

Diese savoyische Prinzessin, die Schwester von König Viktor Emanuel III. von Italien, wurde 1902 geboren. Ihre Schönheit erbte sie von ihrer Mutter, die eine von vielen Töchtern von König Nikola I. von Montenegro war. (Über Nikola, der als den Schwiegervater Europas galt, habe ich in meinem Artikel über Montenegro geschrieben). Mafalda heiratete 1925 den hessischen Prinzen Philipp und hatte mit ihm vier Kinder. Prinz Philipp war ein wichtiger Vermittler zwischen Mussolini und Hitler. Nach dem Sturz Mussolinis im Jahr 1943, als Italien auf die Seite der Alliierten wechselte und Deutschland den Krieg erklärte, schickte Hitler acht Divisionen nach Italien. König Viktor Emanuel III. und seine Familie retteten sich durch die Flucht ins Exil. Hitler wollte sich jedoch rächen. Er verdächtigte Philipp von Hessen, an Mussolinis Sturz beteiligt gewesen zu sein. Deshalb ließ er seine Frau, die sich gerade bei ihrer Schwester Zariza Johanna in Bulgarien, aufhielt, da ihr Ehemann, König Boris III. von Bulgarien, gerade verstorben war, in die deutsche Botschaft in Sofia locken. Dort wurde sie verhaftet und nach München und dann ins Konzentrationslager Buchenwald gebracht. Am 24. August 1944 unternahmen die Alliierten einen Luftangriff auf das Konzentrationslager, bei dem Mafalda verschüttet wurde und schwere Verbrennungen erlitt. Es dauerte drei Tage, bis sie operiert werden konnte, wobei ihr ein Arm amputiert wurde. Dennoch starb sie noch am selben Tag an den Folgen der Verletzungen. In Bezug auf ihr Vermächtnis gibt es im Park ein großes Denkmal für den antifaschistischen Widerstand mit Texten und Namen bedeutender Künstler und Schriftsteller, die dem schrecklichen faschistischen Regime zum Opfer fielen – es gibt hier zum Beispiel auch Auszüge aus dem Tagebuch von Anne Frank. Ein Stück entfernt vom Denkmal befindet sich ein Stein, der an Giovanni Palatucci erinnert. Er sollte als Regent der Republik Fiume über 5000 Juden gerettet haben und wurde deshalb 1990 in Israel als “Gerechter unter den Völkern” anerkannt. Im Jahr 1944 wurde er wie auch viele andere italienische Beamte aus Rijeka und Triest von der deutschen Besatzungsverwaltung wegen Hochverrats verhaftet und zum Tode verurteilt. Er starb im Februar 1945 an Typhus in Dachau. Seit 2000, als Palatucci von Johannes Paul II. als “Märtyrer des 20. Jahrhunderts” erklärt wurde, läuft das Verfahren für seine Heiligsprechung.

Im Kontrast zu Mafaldas Park mit modernen Denkmälern des antifaschistischen Widerstands stehen am Ufer des Sees zwei dominante Gebäude aus der Zeit von Mussolinis faschistischer Diktatur. Das erste von ihnen, „Tempio Voltiano“, wurde von Mussolini in den Jahren 1927-1928 zu Ehren des berühmtesten Sohnes der Stadt, Alessandro Volta, erbaut. Volta war der Erfinder der elektrischen Batterie. Er wurde 1745 in Como geboren und starb dort im Jahr 1827

. Im Jahr 1810 wurde er für seine Verdienste in den Adelsstand erhoben und sogar zum Grafen ernannt. In dem Tempel-förmigen Denkmal gibt es eine Ausstellung über sein Leben. Volta ist übrigens in Como auch begraben, sein Grab befindet sich jedoch an einer anderen Stelle, nämlich in einem kleinen Mausoleum auf dem historischen Friedhof „Cimitero Monumentale“.

Wenn man sich mit dem „Tempio“ noch innerlich arrangieren kann, wird man von dem monumentalen Denkmal für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs umso mehr überrascht sein. Dieses Monument wurde von den Architekten Giuseppe und Attilio Terragnil im Zeitraum von 1930-1933 geschaffen.

Offensichtlich hatte Mussolini eine Schwäche für Como. Er verbrachte hier einen großen Teil seiner Kindheit, weil sein Vater hier Lehrer war und der kleine Benito die Grundschule besuchte. Später als “Duce”, besaß er in der Nähe des Sees eine Villa, in der er gerne den Sommer verbrachte. Auch nach seinem politischen Sturz im Jahr 1943, als er als ein Marionetten-Vorsitzender der Regierung der “Republik von Salò” fungierte, empfing er hier Politiker und spielte politische Verhandlungen vor, obwohl alle wichtigen Entscheidungen längst von der deutschen Besatzungsverwaltung getroffen wurden. Paradoxerweise wurde er gerade in Como nach seiner Gefangennahme von Partisanen im April 1945 festgehalten, bevor er hingerichtet wurde. Seine Leiche wurde jedoch nicht auf dem Platz in Como, sondern in dem bedeutenderen Mailand ausgestellt. Der Kreis der Geschichte schloss sich. Da Mussolini Como so sehr liebte, ließ er die Stadt mit einigen Werken faschistischer Architektur bereichern, die den Werken des sozialistischen Realismus ähnlich waren. Wenn man versteht, warum sie dort stehen, erschreckt man vor ihnen etwas weniger.

Als Ausgleich für diese faschistischen Bauwerke ließ die Stadt Como zu Ehren Alessandro Voltas noch ein weiteres Denkmal errichten, das dem polnisch-jüdischen Künstler Daniel Liebeskind anvertraut wurde. Dieses Denkmal namens “The Life Electric” besteht aus Stahl, ist 13,75 Meter hoch, wiegt 29 Tonnen und steht in der Mitte des Sees vor der Uferpromenade von Como. Es ist über eine lange Brücke erreichbar, die den Namen des Physikers Piero Cardiolo trägt. Sowohl Volta als auch Cardiolo arbeiteten im gleichen Bereich. Das Liebeskind-Denkmal wurde im Jahr 2015 enthüllt.

Nicht nur dieses Denkmal, sondern auch der gesamte Park am Ufer und das Denkmal des europäischen Widerstands gegen den Faschismus sollen offensichtlich zeigen, dass sich die Stadt Como von ihrem berühmt-berüchtigten Sohn Benito distanziert.

Auf dem Hauptplatz “Piazza del Duomo” befinden sich sowohl das Rathaus, das im Jahr 1435 etwas angepasst wurde, um Platz für das schönste Gebäude, den Comer Dom Santa Maria Maggiore, zu schaffen. Schon von außen ist es ein beeindruckendes Gebäude, vor allem die unglaublich hohe Marmorfassade mit zahlreichen Skulpturen von verschiedenen Künstlern, wobei die wichtigsten von Tomasso Rodari stammen, sowie auch die hohe achteckige grüne Kuppel. Aber der Innenraum der Kirche raubt dem Besucher einfach den Atem. Es ist regelrecht gigantomanisch,

es handelt sich um eine riesige dreischiffige Kirche, die auch ohne die zwischen den Schiffen hängenden Gobelins beeindruckend wäre. Aber sie hängen dort und verleihen der Kirche noch mehr Erhabenheit und Schönheit. Der Bau begann im Jahr 1395, als Bischof Luchino da Brossano den Architekten Lorenzo Degli Spazzi mit dem Auftrag für den Baubeginn beauftragte. Die Seitenschiffe sind daher noch im spätgotischen Stil. Das Hauptschiff hingegen ist bereits ein Prachtstück der Hochrenaissance. An der Wand des linken Seitenschiffs befindet sich das Porträt eines weiteren berühmten Sohnes der Stadt, Es ist Benedetto Odescalchi, der im Jahr 1611 in Como geboren wurde und es 1676 bis zur Wahl zum Papst Innozenz XI. brachte. Die Kuppel, die eine Höhe von 75 Metern erreicht, ist wesentlich jünger und wurde in den 1730er Jahren im barocken Stil erbaut. Der Dom wurde im Jahr 1774 fertiggestellt, der Bau dauerte also fast vierhundert Jahre. Aber das Ergebnis ist es wert.

Vom Comer Dom möchte man nicht weggehen und eigentlich auch nicht aus Como. Es gibt hier viele Touristen, und für Bootsfahrten auf dem See stehen lange Schlangen. Vielleicht möchten alle sehen, wo der berühmte Nespresso-Mann George wohnt. Wenn Sie hier vorbeikommen, sollten Sie auf jeden Fall in Como anhalten. So wie wir es getan haben.

Bozen – Bolzano

Kann eine so perverse Ideologie wie der Faschismus auch etwas Positives hervorbringen? Bozen ist der Beweis dafür, dass selbst aus Taten, die von eindeutig bösen Absichten geleitet sind, etwas Positives entstehen kann.

Im Jahr 1919 wurde Südtirol durch den Vertrag von Saint Germain Italien zugesprochen und vom Rest des Landes Tirol abgetrennt. Mit der Grenze am Brennerpass haben sich die Österreicher bis heute nicht abgefunden. Zu dieser Zeit lebten in der Provinz Bozen 7000 Italiener, der Rest der Bevölkerung sprach Deutsch. Mussolini entschied sich, dieses Land zu romanisieren. In Bozen erhielten ab sofort nur Italiener Stellen als Beamte und Polizisten (hauptsächlich aus dem armen Süden, wo es keine Arbeitsmöglichkeiten gab), sondern es flossen auch staatliche Investitionen in den Aufbau von Industrie, um italienische Arbeiter anzuziehen. Da diese Investitionen im Gegensatz zu Kampanien oder Kalabrien nicht veruntreut wurden, profitiert die Stadt davon bis heute. Alle Vororte von Bozen sind industrielle Ballungsgebiete (obwohl traditionelle Tiroler Obstgärten und Weinberge bis unmittelbar zu den ersten Hochhäusern am Rand der Stadt reichen) und die Stadt ist auf 100.000 Einwohner angewachsen. Im Jahr 1939 schloss Mussolini dann einen Deal mit Hitler. Die Südtiroler erhielten die Möglichkeit, ins Deutsche Reich umzuziehen. 75 Prozent von ihnen entschieden sich dafür. Hitler brauchte Soldaten für die Armee und Siedler in den neu eroberten Gebieten. Viele junge Männer starben in einem Krieg, der sie eigentlich nicht interessierte, und viele von ihnen kehrten nach dem Krieg zurück. Der Kampf um die Selbstbestimmung der deutschsprachigen Bevölkerung erhielt 1957 einen neuen Impuls, als sich über dreißigtausend Südtiroler auf der Burg Sigmundskron im Vorort von Bozen trafen und Silvio Magnago, ein Aktivist, den Ruf “Weg vom Trident” (der südliche Teil Südtirols um die Stadt Trient ist im Gegensatz zur Bozner Provinz größtenteils italienisch) ausstieß. Der Kampf um die Autonomie dauerte lange an, forderte Tote und langjährige Haftstrafen für “Terroristen”. Schließlich erhielt die Provinz 1992 ihre Autonomie, lebt also seitdem für sich und lebt sehr gut. Zu den letzten Auseinandersetzungen zwischen italienisch- und deutschsprachigen Bürgern kam es im Jahr 2002, als der Stadtrat von Bozen beschloss, den Platz vor Mussolinis triumphalem Denkmal von “Siegesplatz” in “Feiheitplatz“ umzubenennen, was jedoch von der heute bereits größtenteils italienischsprachigen Bevölkerung von Bozen abgelehnt wurde.

Seitdem herrscht Ruhe. Die gemeinsame Proklamation Italiens und Österreichs, dass sie keine strittigen Fragen haben, war übrigens die Bedingung für Österreichs Beitritt zur EU im Jahr 1995. Auch die Tiroler Deutschen haben sich daran gewöhnt, dass auf den Straßen der Stadt hauptsächlich Italienisch gesprochen wird, obwohl die Straßen nach Tiroler Persönlichkeiten mit vorwiegend deutschen Namen benannt sind. Neben der Stadtkathedrale befindet sich ein Denkmal für den Tiroler Nationalhelden Peter Mayr, der am 19. Februar 1810 hingerichtet wurde. Er war einer der engsten Mitstreiter von Andreas Hofer, der dank der Bitten seiner Frau, mit der er fünf Kinder hatte, die Möglichkeit bekam, sein Leben zu retten, indem er lügen würde. Er lehnte es jedoch ab, zu behaupten, dass er nie von dem Erlass über das Waffenverbot gehört habe, und daher blieb den Franzosen nichts anderes übrig, als ihn hinzurichten. Einfach ein echter stolzer Tiroler. Heutzutage sprechen jedoch fast alle Bewohner der Stadt beide Sprachen und leben in Frieden. Beide Volksgruppen können schätzen, dass Südtirol eine der reichsten Provinzen Italiens ist, direkt nach dem Piemont und vor der Lombardei oder Rom.

Der städtische Fortschritt ist offensichtlich. Der Aufbau der Stadt ist noch nicht abgeschlossen, Man kämpft sich bei der Anfahrt in die Stadt durch Baustellen und Industriekomplexe zum Zentrum und ein Foto einer Sehenswürdigkeit zu machen, ohne einen Baukran darauf zu haben, ist eine echte Herausforderung. Dennoch ist das Stadtzentrum ruhig, malerisch und das Parken in der Tiefgarage unter dem Walterplatz ist zwar nicht gerade billig, aber bequem und die Garage ist problemlos erreichbar.

Interessanterweise liegt Bozen nicht am Fluss Etsch (italienisch: Adige), der das Tal vom Brennerpass bis Verona durchquert und auf dem sich über Jahrhunderte deutsche Kaiser zu ihren italienischen Feldzügen begeben mussten. Eine strategische Rolle bei diesen Reisen spielten die lokalen geistlichen Herrscher, die Bischöfe von Brixen und Trient, mit denen der Kaiser sich gutstellen musste, um nach Italien zu reisen (und ebenso mit dem Stadtrat von Verona). Bozen spielte zu dieser Zeit eine untergeordnete Rolle, was auch seine Lage am Zusammenfluss der Flüsse Talfer (italienisch: Talvaro) und Eisack (Isarco) widerspiegelt, die erst einige Kilometer von der Stadt entfernt in die Etsch münden.

Der Waltherplatz ist nach Walther von der Vogelweide benannt, dem Hofdichter von Kaiser Friedrich II., der angeblich in der Nähe von Bozen geboren wurde.

Dieser erste und wohl berühmteste Minnesänger des Mittelalters verfasste seine Verse in Deutsch – genauer gesagt in einem südtirolerischen Dialekt, der der deutschen Sprache entfernt ähnlich war, was zu Beginn des 13. Jahrhunderts etwas noch nie Dagewesenes war. Der Kaiser, der damals bereits den Heiligen Stuhl und damit auch die von der Kirche kontrollierte lateinische Poesie herausforderte, unterstützte Walther und verhalf ihm zum heutigen Ruhm. Seine große Statue steht in der Mitte des Platzes, der seinen Namen trägt.

Am Rand des Platzes steht der Bozner Dom.

Er ist imposant und es lohnt sich, ihn zu besuchen. Hier ist der österreichische Erzherzog Rainer begraben, einer von vielen Söhnen Kaisers Leopold II., ein Bruder von Erzherzog Johann und Kaiser Franz I. Rainer war von 1818 bis 1848 mehrmals Vizekönig des Königreichs Lombardo-Venetien, das auf dem Wiener Kongress geschaffen wurde. Nachdem er in der revolutionären Zeit 1848 von seinem Amt zurückgetreten war, kaufte er den “Palazzo Capofranco” am Waltherplatz. Rainers Sohn Heinrich wurde hier 1889 von Kaiserin Sissi besucht, die einen Ginkgo-Baum in den Hof pflanzte.

Heute ist daraus ein riesiger Baum geworden und natürlich ein Kult – alles, was mit den Habsburgern und damit mit der österreichischen Geschichte der Stadt zu tun hat, hat ein riesiges Potenzial, zum Kult zu werden – und auf Sissi, wie ich bereits in meinem Artikel über Meran erwähnt habe, werden Sie überall in Südtirol stoßen.

In der Kathedrale gibt es mehrere Selige (keine Heiligen) wie Heinrich von Bozen, der im frühen 14. Jahrhundert lebte, Johann Nepomuk von Tschiderer (geboren in jenem Palazzo Capofranco, aber bereits im Jahr 1777), der von Johannes Paul II. im Jahr 1995 seliggesprochen wurde, und Josef Mayr Nusser, ein ziviler Mitarbeiter des Bozener Dekanats, der Opfer der nationalsozialistischen Ideologie wurde. Nachdem sich Italien auf die Seite der Alliierten geschlagen und Deutschland den Krieg erklärt hatte, besetzte Deutschland Norditalien. Die ethnischen Deutschen in Südtirol waren verpflichtet, in die deutsche Armee einzurücken. Nusser wurde zur SS eingezogen, aber er weigerte sich, dem Führer Treue zu schwören. Dafür wurde er zum Tode verurteilt. Auf dem Weg ins Konzentrationslager Buchenwald blieb der Zug mehrere Tage am Bahnhof in Erlangen stehen, und die Gefangenen starben in überfüllten Viehwaggons an Hunger und Durst. So erging es auch Josef Mayr Nusser. Er wurde 2017 von Papst Franziskus seliggesprochen.

Ein Stück von der Kathedrale entfernt befindet sich die Dominikanerkirche. Für eine Reihe von Kirchen in Bozen kam der schicksalhafte Tag am 29. März 1944. An diesem Tag unternahmen die Alliierten einen massiven Luftangriff auf die Stadt, weil Bozen logischerweise ein wichtiger Knotenpunkt in der Versorgung der deutschen Einheiten an der italienischen Front war. Statt den Bahnhof trafen die Bomben jedoch sowohl die Dominikanerkirche als auch die Franziskanerkirche. Die Kirche St. Nikolaus neben dem Dom verschwand sogar vollständig. Die Narben an den Gebäuden der Bozener Kirchen sind unübersehbar. Doch wie durch ein Wunder blieb die Kapelle des Heiligen Johannes des Täufers erhalten, das Kostbarste nicht nur in der Dominikanerkirche, sondern wohl in ganz Bozen. Diese Kapelle ließ der florentinische Bankier Giovanni de Bartolomeo di Rossi irgendwann um 1330 als Begräbnisstätte für seine Familie errichten. Und er ließ sie mit wunderschönen Fresken schmücken, die von Künstlern der Schule von Giotto geschaffen wurden. Die Bozener Fresken ähneln denjenigen in Padua von Giotto wie ein Ei dem anderen, und der Bankier selbst ist zusammen mit seiner Frau dargestellt, kniend unter dem Kreuz mit Jesus Christus. Das wertvollste Fresko ist jedoch der “Triumph des Todes” als Bild des Jüngsten Gerichts – diese Abbildung des Todes versprüht wirklich Angst.

Wenn Sie den erstaunlichen riesigen Gemüsemarkt durchqueren, der jeden Tag in Bozen stattfindet, gelangen Sie zu den Franziskanern. Von der ursprünglichen Kirche ist wenig übriggeblieben, an der erhaltenen Wand befinden sich Fresken von Brüdern, die es in ihrem Leben weit gebracht haben, Päpsten, Kardinälen, Bischöfen und vor allem Theologie-Doktoren. Die Franziskaner legten immer Wert auf Bildung.

Es gibt noch einige weitere interessante Kirchen in Bozen, die älteste überhaupt ist die romanische Kirche “St. Johann im Dorf”. Dann gibt es die Kirche des Deutschen Ritterordens mit den Wappen und Fahnen bedeutender Mitglieder des Ordens. Auch ihr Turm fiel dem Bombardement von 1944 zum Opfer. Und dann gibt es noch die neoromanische Kirche “Herz Jesu”, die 1909 zum hundertjährigen Jubiläum des Tiroler Aufstands gegen die Franzosen erbaut wurde, sowie die unauffällige Kapuzinerkirche mit einem großen Klostergarten direkt im Stadtzentrum.

In Bozen und seiner Umgebung gibt es noch mehr Burgen als Kirchen. Eine von ihnen, Maretsch, befindet sich direkt in der Stadt und kann besichtigt werden. In ihr befinden sich Renaissance-Fresken. Der Innenhof sieht so aus, als wäre er nach einem erfolgreichen Treffer einer alliierten Bombe aus Beton gegossen worden, aber die Burgwartin versicherte mir, dass dieses Aussehen nichts mit dem Zweiten Weltkrieg zu tun hat. Am nördlichen Stadtrand befindet sich die Burg Firmian. Einst als Burg Sigmundskron bekannt, wo 1957 der Kampf für die Tiroler Autonomie begann. Sie erhielt ihren Namen von einem Tiroler Herrscher, der “Sigmund der Münzreiche” genannt wurde, Allerdings schaffte es Sigmund, den Reichtum des Landes, das große Mengen an Silber abbaute, mit vielen unsinnigeren Aktionen zu verschwenden, wie auch mit dem Kauf dieser Burg. Eine Vielzahl unehelicher Kinder kostete ihn ebenfalls viel Geld. Schließlich wurde er seiner Herrschaft enthoben und in den vorzeitigen Ruhestand geschickt – für damalige Verhältnisse eine recht humane und nicht gerade eine übliche Methode, um einen Herrscher von der Macht zu entfernen. Heutzutage befindet sich in dieser Ruine eines der fünf Museen von Reinhold Messner, dem wohl berühmtesten Südtiroler der heutigen Zeit. Er war der erste Bezwinger des Mount Everest ohne Sauerstoff, er bestieg als erster alle vierzehn Achttausender – einige sogar mehrmals.

Das Museum ist logischerweise den Bergen, dem Bergsteigen und der Kultur Tibets gewidmet und es lohnt sich, dort hinzufahren. Weitere Burgen in der Nähe von Bozen sind Runkelstein, von wo aus eine Seilbahn nach San Genesio fährt, die Burg Flavon Haselburg südlich der Stadt und die Burg Gries am rechten Ufer der Talfer. Und wenn wir schon bei den Seilbahnen sind, gibt es noch eine weitere “Funikulare”, die Seilbahn „Funivia de Renon“, die am nordwestlichen Rand der Altstadt in der Nähe der Kirche Sankt Magdalena startet und über die Stadt nach Oberbozen hinauffährt, von wo aus man den schönsten Blick auf die Stadt aus einer Höhe von 1221 Metern über dem Meeresspiegel hat. Und noch eine weitere Seilbahn, diesmal am linken Ufer der Eisack, führt auf eine Höhe von 1134 Metern zur Kirche in Colle-Kohlern. Also, wenn man genug Zeit hat, kann man die Stadt aus drei verschiedenen Perspektiven von oben betrachten.Formularbeginn

Aber Bozen besteht bei weitem nicht nur aus Kirchen und Burgen. Die Einkaufsstraßen konzentrieren sich auf die Laubengasse und die Josef Steinert Straße, die durch mehrere Passagen miteinander verbunden sind – von sehr engen, durch die nur eine Person gehen kann, bis hin zu wunderschönen breiten Einkaufspassagen. Angesichts des bergigen und im Sommer auch heißen Klimas der Stadt befinden sich die Geschäfte oft in Laubengängen oder Passagen, eine davon – die Galeria Greif – liegt direkt am Walterplatz. Bozen ist also bestens für Shopping geeignet.

Interessant ist die Verbindung von historischer und moderner Architektur. Manchmal ist es sogar atemberaubend, wie zum Beispiel das riesige Gebäude des städtischen Theaters, entworfen vom Architekten Marco Zanus (das alte Theater wurde beim alliierten Bombardement 1943 zerstört).

Das neue Theater aus riesigen Marmorblöcken ist wirklich beeindruckend, glücklicherweise befindet sich in unmittelbarer Nähe des romantischen Gartens des Kapuzinerklosters.

Das Siegesdenkmal Mussolinis befindet sich am anderen Ufer des Flusses Talvera und beeinträchtigt daher nicht das Stadtbild. Das Naturmuseum befindet sich in der Nähe der Kirche des Deutschen Ritterordens und ist in einem Renaissancegebäude untergebracht, das Kaiser Maximilian zwischen 1500 und 1512 errichten ließ – zu dieser Zeit gehörte Bozen zum Habsburgerreich.

Aber Bozen wäre nicht Bozen ohne sein Archäologisches Museum und die berühmteste europäische Mumie – den Ötzi, den Mann aus dem Eis. Im Jahr 1992 wurde er von Touristen im Ötztaler Alpenpass gefunden. Reinhold Messner wurde hinzugerufen und stellte fest, dass sich Ötzi auf der italienischen Seite des Passes befand – angeblich gute hundert Meter jenseits der Staatsgrenze. Die Österreicher haben ihm das nie verziehen und machen weiterhin Ansprüche auf die berühmte Mumie geltend – schließlich erhielt sie ihren Namen nach dem Ötztal, einem eindeutig österreichischen Tal. Die Österreicher haben also ein Konkurenzmuseum im Ötztal eingerichtet, und da sie die originale Mumie nicht haben, stellen sie dort eine Kopie aus. In Bozen befindet sich das Original in dem archäologischen Museum, aber da dort nur kleine Gruppen der Besucher eingelassen werden, ist es notwendig, die Besichtigung im Voraus zu reservieren.

Bevor man hingehen darf, kann man durch die Gassen von Bozen schlendern, die Schönheit des Gemüsemarktes bewundern oder durch die zahlreichen Geschäfte in den Laubengängen und Passagen der Stadt bummeln. Man kann sich ein Glas des hervorragenden Südtiroler Weines oder einen Aperolspritz in den unzähligen Bars gönnen oder Tiroler Spezialitäten in den vielen Gasthäusern probieren. Oder man kann die bekannteste Tiroler Spezialität, den “Speck”, also den Tiroler Schinken, kosten. Und Vorsicht! Vergessen Sie nicht den in Meran bereits erwähnten Apfelstrudel. Angesichts der bereits erwähnten Produktion von einer Million Tonnen Äpfel pro Jahr (aber nur einer Tausend Tonnen Birnen) müssen diese Äpfel irgendwie verbraucht werden (obwohl die meisten natürlich exportiert werden). Daher bieten jede Bar und jedes Restaurant logischerweise Apfelsaft und Apfelstrudel an.

Solange Sie also den Apfelstrudel nicht probiert haben, verlassen Sie Tirol nicht. Es wäre eine Missachtung der lokalen Kultur. Und die Tiroler sind ein stolzes und traditionsbewusstes Volk.

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Meran

Meine Frau hat bei der Wahl der Urlaubdestination ziemlich hohe Ansprüche. Sie reiste mit mir durch ganz Italien und fand fast immer etwas auszusetzen. Wenn sie also erklärt, dass sie sich in eine bestimmte Stadt verliebt hat und dorthin zurückkehren möchte, sollte man das ernst nehmen. Und genau das ist in Meran passiert.

Ich musste ihr recht geben. Meran (auf Italienisch Merano, da sich ein Italiener nicht vorstellen kann, ein Wort mit einem Konsonanten abzuschließen) hat wirklich das Potenzial, dass man sich in die Stadt verlieben könnte.

Es wurde als eine Handelsstadt von den Tiroler Grafen gegründet, die auf einem nahegelegenen Hügel in der Burg Tirol residierten. Sie akzeptierten dabei auch, dass diese neue Stadt jedes Frühjahr regelmäßig von den Fluten des Flusses Passer, einem Nebenfluss der Etsch (auf Italienisch Adige genannt), überschwemmt wurde, wenn der Schnee in den Bergen zu schmelzen begann.

Aber die goldene Ära der Stadt begann erst viel später, als heiße Quellen entdeckt wurden, denen aufgrund ihres hohen Radongehalts eine heilende Wirkung zugeschrieben wurde. Und als im Jahr 1870 Kaiserin Elisabeth – Sissi mit ihrer kränkenden Tochter Maria Valeria in der Stadt auftauchte und sogar im Jahr 1889 noch einmal zurückkehrte, war das Schicksal der Stadt endgültig besiegelt.

Statue von Sissi im Stadtpark

Die Erfolgskurve ging von diesem Moment an steil nach oben. Und mit ihr auch die Besucherzahlen. Meran benötigte also keine Industrie, um prosperieren zu können, es kam vollständig mit dem Tourismus aus. Und das ist bis heute so. Um die Stadt herum gibt es jedoch endlose Obstgärten und Weinberge, die sogar an so steilen Terrassen angelegt sind, dass es den Atem raubt. Die eine Million Tonnen Äpfel, die Südtirol jedes Jahr produziert (und 600.000 Kilogramm Honig, denn ohne Bienen wäre das nicht möglich), müssen irgendwo angebaut werden. Und die Südtiroler Weine sind sehr gut, sei es der rote Lagrein oder der weiße Traminer, aber auch andere Sorten, die an den Berghängen in angenehmem mediterranem Klima wachsen. Die warme Luft aus dem Süden erreicht diesen Ort, über die Berge in den Norden schafft es der warme Wind aber nicht weiter und bleibt hier im Tal hängen. Genauso wie der Regen. Das heißt, in Südtirol gedeiht alles. Einschließlich Palmen, die sogar die Promenade in Meran säumen und so – für Mitteleuropäer etwas überraschend – das Panorama der schneebedeckten Dreitausender ergänzen.

Die Heilquellen sprudeln am linken Ufer des Flusses und dort gibt es heute die Therme mit vielen warmen Wasserbecken, ideal für einen Besuch nach einem anstrengenden Tag in den Bergen.

Heutzutage ist es ein modernes Gebäude in der Form eines großen Würfels, aber überall ist zu sehen, dass Meran als Kurstadt gewachsen ist. Sowohl das riesige Kurhaus als auch die überdachte Promenade – Wandelhalle – sind im Jugendstil erbaut, einem Stil, der Ende des 19. Jahrhunderts in der österreichischen (und nicht nur österreichischen) Architektur dominierte. In der Wandelhalle trafen sich Kurgäste ab März oder April, je nach Wetter, zu Konzerten oder einfach nur zu Gesprächen beim Kaffee. Ursprünglich stand hier eine sogenannte Wandelbahn aus Holz, in den Jahren 1890-1891 wurde diese durch eine Eisenkonstruktion der Firma Gridl ersetzt (die unter anderem auch das Palmenhaus im Wiener Schönbrunn baute). Und sie steht dort noch heute. Am Flussufer lädt eine breite und schön angelegte Promenade mit vielen Blumen zu Spaziergängen ein.

Hier spazierte auch Franz Kafka, der hier im Jahr 1920 einen dreimonatigen Kuraufenthalt absolvierte. Das Radonwasser half zwar seiner Tuberkulose nicht, aber an seinen Aufenthalt in Meran erinnert eine örtliche höhere Handelsschule, die seinen Namen trägt.

Das Wahrzeichen der Stadt ist jedoch das große Theatergebäude, das im Jahr 1900 vom Architekten Martin Düfler erbaut wurde.

Die deutschsprachige Bevölkerung nennt es einfach “Stadttheater”, die Italiener nennen es “Teatro Puccini”. Der legendäre Opernkomponist Giacomo Puccini war hier im Jahr 1928, und zur Erinnerung an seinen Besuch wurde das Theater im Jahr 1937 während der faschistischen Diktatur in “Puccini-Theater” umbenannt – die deutschsprachige Bevölkerung der Stadt hat diesen Namen jedoch nie vollständig akzeptiert. Das Gebäude ist von außen klassizistisch mit nur dezenten Jugendstil-Elementen, innen ist es jedoch reiner Jugendstil, wie es für diese Zeit typisch war.

Meran ist zwischen dem Fluss Passer und den Bergen eingeklemmt. Es ist also eine lange und schmale Stadt, von der ehemaligen Befestigung sind zwei Stadttore erhalten geblieben. Das eine, das “Bozentor”, ist zum Fluss hin ausgerichtet, von wo regelmäßige Überschwemmungen kamen. Angeblich saß der Meraner Henker gerne in der darüber liegenden Kneipe. Das andere erhaltene Tor, das “Passeirertor”, verschloss die Stadt in Richtung des Passer-Tals. Hier führte der Weg über die Jaufer- und Brenner-Pässe nach Innsbruck und Deutschland. Durch dieses Tor betraten die Grafen von Tirol die Stadt, wenn sie von ihrer Burg Tirol herabstiegen.

Die Hauptachse der Stadt ist die Laubengasse.

Es ist eine lange Einkaufsstraße mit vielen Geschäften, Boutiquen und Restaurants, mit Arkaden auf beiden Seiten. Dort steht auch das etwas langweilige Rathaus, und diese Straße führt zur Hauptkirche in Meran, zur Kirche St. Nikolaus. An der Kirchenwand wird man von einem Fresko mit dem Heiligen Christophorus begrüßt. Er sollte im Mittelalter Glück bringen. Wer ihn anblickte, starb an diesem Tag nicht. Die dreischiffige Kirche ist gotisch mit modernen Glasfenstern und einem gotischen geschnitzten Altar. Gleich nebenan befindet sich die Kapelle der Heiligen Barbara, die stark an ein klassisches italienisches Baptisterium erinnert, und ich kann dem Verdacht nicht widerstehen, dass sie auch für den Zweck der Taufe genutzt wurde. Offiziell diente die Kapelle als Beinhaus, in der darunterliegenden Krypta wurden die Knochen der Verstorbenen aufbewahrt, für die es auf dem örtlichen Friedhof keinen Platz mehr gab. Dies entspricht auch der etwas makabren Ausstattung der Kapelle. Es gibt zwei Schreine mit den Gebeinen von zwei heiligen Märtyrern Paulanus und Telius. Trotz meiner Bemühungen konnte ich über sie nichts herausfinden, weder im Internet noch im Oxford Lexikon der Heiligen, und sogar nicht in dem Buch von Schaub und Schindler über die Heiligen im Laufe des ganzen Jahres, in dem wirklich praktisch alle aufgeführt sind, die heiliggesprochen wurden. Das Einzige, was ich herausgefunden habe, ist, dass sie im Jahr 1730 aus den römischen Katakomben hierhergebracht wurden. An der Eingangswand befindet sich auch ein Fresko mit dem Heiligen Christophorus (wohl damit die Leute nicht um die Ecke gehen müssen, um den größeren an der Kirchenwand anzusehen).

Die Kirche des Heiligen Nikolaus, die Barbarakapelle rechts

Etwa in der Mitte der Laubengasse biegt man links zur Sesselbahn ab. Man fährt mit ihr einzeln, und der Prospekt verspricht, dass sie den Stadtbesucher zur Burg Tirol bringt, also zum Sitz der ehemaligen Grafen von Tirol. Das ist nicht ganz wahr. Von der Bergstation der Seilbahn aus hat man zwar einen herrlichen Blick auf die Stadt Meran von oben, aber zur Burg ist es noch fast eine Stunde eines relativ schnellen Gehens. Die Wegweiser versprechen in regelmäßigen Zwanzigminuten-Abständen, dass der Weg zur Burg genau zwanzig Minuten dauern sollte. Offensichtlich wurde das gleiche Wegweiser Schild mehrmals hergestellt und dann in regelmäßigen Abständen auf dem Weg zur Burg aufgestellt. Insbesondere der letzte Abschnitt, der zwischen blühenden Bäumen oberhalb der Obstplantagen und unterhalb des Dorfes Tirol führt, ist jedoch schon für sich allein einen Spaziergang wert.

Die Burg ist eines Besuches wert. Man begann mit dem Bau irgendwann um das Jahr 1120, der letzte Ausbau wurde von Gräfin Margarete Maltausch durchgeführt. Die Burg verlor an Bedeutung, als die neuen Landesherren, die Habsburger, ihren Hauptsitz in das günstiger gelegene Innsbruck verlegten. Auf der Burg gibt es eine Ausstellung zur Geschichte Tirols mit Gemälden der Grafen von Tirol. Hier findet man auch das Porträt des unglücklichen Bruders Karls IV., Johann Heinrich, der vergeblich versuchte, die Jungfräulichkeit Margarete Maltausch zu beenden, bevor seine Ehe wegen seiner angeblichen Impotenz geschieden wurde. (Später hat er allerdings mit seinen weiteren Gattinnen sechs Kinder gezeugt). Es gibt hier auch eine wunderschöne zweistöckige Kapelle und in einem Turm eine Ausstellung zum Kampf Tirols für Autonomie, nachdem Südtirol nach dem Ersten Weltkrieg an Italien angeschlossen wurde. Dieser Kampf, der nach dem Zweiten Weltkrieg seinen Höhepunkt erreichte, endete erst im Jahr 1992. Noch in den 1980er Jahren zündeten die Tiroler Autos italienischer Urlauber an. Die Burg Tirol, von der aus die Tiroler Grafen regierten, erlangte vor allem im 19. Jahrhundert den Status eines nationalen Heiligtums. Hier verkündete der nationale Held Andreas Hofer im Jahr 1809 die Wiederherstellung der alten Landesverfassung, die Napoleon aufgehoben hatte, als er Tirol seinem Vasallen Bayern geschenkt hatte. Tiroler Dichter kamen hierher, um Verse zu schaffen, und Maler, um die Burg und ihre umliegende Landschaft zu verewigen. Die Stadt Meran verschenkte die Burg im Jahr 1816 an Kaiser Franz I. Aber erst in den Jahren 1878 bis 1914 fanden Restaurierungsarbeiten statt, die die Burg vor dem Verfall retteten. Im Jahr 1940 wurden dann bestimmte Teile des Neubaus, die den gotischen Eindruck störten, von der Burg wieder entfernt.

In der Nähe von Meran gibt es außer des Liftes zu Dorf Tirol auch andere Seilbahnen. Die bekannteste ist wahrscheinlich die M 2000, die den Besucher tatsächlich auf eine Höhe von 2000 Metern über dem Meeresspiegel bringt, von wo aus man zu Bergwanderungen aufbrechen kann.

Im Stadtpark vor der Kirche Heiliger Geist steht eine Statue von Kaiserin Sissi. Und gleich nebenan gibt es ein Café, das ihren Namen trägt, also „Elisabeth“. Entlang des Flusses Passer erstreckt sich eine Promenade, die nach ihr benannt ist Es ist bekannt, dass die Kaiserin, wenn sie nicht reiten konnte, lange und schnelle Spaziergänge machte, um in Form zu bleiben und ihre schlanke Figur zu erhalten (es gab sicherlich auch ein bisschen Anorexie dabei). Entlang des Flusses führt die sogenannte Winterpromenade bis zur Brücke mit dem Namen „Steinerner Steg“. Es war lange Zeit die einzige Brücke, die jedes Jahr das Hochwasser überstehen konnte – solide Arbeit aus Stein, auf der auch die österreichische Kaiserin den Fluss überquerte.

Aber das Schönste im Meran liegt am Stadtrand und das ist der Garten von Schloss Trauttmansdorff.

Nicht umsonst wurde er im Jahr 2005 zum schönsten italienischen Garten erklärt (und es gibt hier eine harte Konkurrenz), und im Jahr 2013 wurde er sogar zum internationalen Garten des Jahres gekürt. Meiner Meinung nach zu Recht. Für einen Moment hatte ich das Gefühl, dass ich wahrscheinlich schon gestorben bin und mich im Paradies befinde. Natürlich verdient, schließlich habe ich es mit meinem vorbildlichen Leben verdient. Viele Rosen, Palmen, Azaleen, Rhododendren, Zitronenbäume – nicht nur die Augen, sondern auch die Nase kommen auf ihre Kosten, überall duftet es wunderschön und berauschend. Es ist nur schade, dass die Tulpen bereits im Mai verblüht waren, sonst wäre es noch erstaunlicher gewesen. Inmitten darf ein See mit einem Café nicht fehlen und an den Hängen des Hügels, an dem der Garten liegt – natürlich der Sissi-Pfad. Bei ihrem zweiten Besuch im Jahr 1889 residierte die Kaiserin gerade im Schloss Trauttmansdorff, und um ihr entgegenzukommen, wurden eilig mit Schotter bedeckte Pfade am Hang des Hügels angelegt – wieder für ihre konditionellen Spaziergänge. Diese Pfade sind im Laufe der Zeit zwar zugewachsen, aber die heutigen Meraner haben den Zauber und das kommerzielle Potenzial dieser historisch umstrittenen, aber mit unwiderstehlichem Charme ausgestatteten Persönlichkeit entdeckt, die Pfade wieder gefunden, gereinigt und mit neuem Schotter bedeckt, sodass es kein Problem ist, einen ganzen Vormittag auf den Spuren der Kaiserin zu wandern – natürlich nur, wenn man Lust und Kondition hat. Natürlich erinnert dort eine Büste an Sissi. Der Pfad führt bis zur Aussichtsterrasse von Schloss Trauttmansdorff, hoch über dem Garten und – ehrlich gesagt – nichts für schwindelgeplagte Menschen.


Der Blick von hier ist allerdings atemberaubend. Danach kann man noch höher zur “Garten der Liebe” spazieren. Er ist wunderschön, aber er ist ziemlich hoch und meine liebe Frau meinte, dass sie nicht so hoch klettern würde, egal wie sehr es um die Liebe geht. Also bin ich alleine dorthin gekommen, aber es hat sich trotzdem gelohnt.

Im Schloss gibt es ein großes Restaurant, und auf der Terrasse vor dem Schloss auf einer Bank mit einem Buch in der Hand – raten Sie mal wer – natürlich Sissi.

Da konnten wir nicht widerstehen und ließen uns mit ihr von vorbeigehenden Touristen fotografieren – wir hatten dabei eine große Auswahl. Im Restaurant haben wir das Tiroler Nationalgericht – Apfelstrudel – gegessen. Solange man es nicht probiert hat, darf man Südtirol nicht verlassen. Solange es noch Grenzen in Europa gab, wurde das sicherlich überprüft. Übrigens war es keine falsche Investition, der Strudel war großartig, es gibt eben genug Äpfel in Tirol.

Am Ende dieses Beitrags muss ich jedoch meine neuen Landsleute aus der Steiermark ansprechen. Meran hat eine sehr enge Beziehung zu ihrem Land. Natürlich hängt das mit dem “steirischen Prinzen” Johann zusammen. Für die wenigen meiner Leser, die noch nicht von ihm gehört haben (die Steirer und die eser meiner Serie über Graz dürfen den folgenden Text über ihn überspringen): Johann wurde im Jahr 1782 in der Toskana als achter Sohn des zukünftigen Kaisers Leopold II. geboren. Als sein Vater Kaiser wurde, zog er nach Wien um. Nach einem unglücklichen Zwischenfall im Krieg gegen Napoleon im Jahr 1809, als er eine entscheidende Rolle bei der Niederlage in der Schlacht bei Wagram spielte, zog er sich aus dem öffentlichen Leben zurück. Er kaufte in der Steiermark in der Nähe von Mariazell den Bauernhof Brandhof und begann mit Reformen der Steiermark. Es waren nicht nur Experimente mit dem Anbau von Pflanzen unter bergigen Bedingungen und Aufklärungsvorträge. Er gründete eine Getreidebörse, die den Bauern feste Preise beim Getreideankauf garantierte, die Versicherung Grazer Wechselseitige, bei der sie sich gegen Missernten versichern konnten, und die Sparkasse-Bank, die Kleinkredite vergab. So blieben die steirischen Gelder in der Steiermark und bildeten die Grundlage des örtlichen Wohlstands. Darüber hinaus gründete er nach dem Vorbild seiner Großmutter Maria Theresia eine Bergbau-Hochschule, wo Carl Friedrich Christian Mohs die Härteskala der Mineralien erfand – wir erinnern uns zumindest teilweise daran, wir mussten das alle in der Schule lernen – der härteste ist natürlich der Diamant. In Graz erinnert an den Erzherzog das Museum Johanneum, das er ebenso gegründet hat.

Aber zu seiner Lebenspartnerin wählte der liebe Johann die Tochter des Postmeisters aus Bad Aussee, Anna Plochl, was zu dieser Zeit einen enormen Skandal darstellte. Es dauerte zehn Jahre, bis er von seinem Bruder – Kaiser Franz – die Erlaubnis zur Heirat erwirkte. Und um den Skandal nicht allzu groß werden zu lassen, erhob der Kaiser die liebe Anna zur Gräfin von Meran. Johann kaufte daraufhin in der Nähe von Meran, im Dorf Schenna, ein Schloss. Sein Sohn Franz zog dann dauerhaft nach Südtirol und als Johann im Jahr 1859 starb (bis zu seinem Tod bekleidete er das Amt des Bürgermeisters in der Stadt Stainz in der Steiermark), beauftragte sein Sohn den Architekten Moritz Wappler mit dem Bau eines Mausoleums im neugotischen Stil, das als Familiengrabstätte dienen sollte.

Das Mausoleum in Schenna

Es wurde 1869 fertiggestellt, und im selben Jahr wurden auch die leiblichen Überreste von Erzherzog Johann hierher überführt. Später wurden hier im Jahr 1885 auch seine Frau Anna und später auch sein Sohn Franz mit seiner Frau beigesetzt. Das Mausoleum inmitten der Tiroler Berge ist sehr schön. Das nahe gelegene Schloss ist etwas vom Zahn der Zeit gezeichnet und kann nur zu bestimmten Besuchszeiten besichtigt werden – als wir dort waren, war es gerade geschlossen. Natürlich gibt es in Schenna auch das Hotel “Erzherzog Johann”, und die Stadt pflegt eine Partnerschaft – Sie können einmal raten – natürlich mit Stainz in der Steiermark.

Schenna liegt etwa zehn Kilometer von Meran entfernt im Passertal und von hier aus fahren Seilbahnen in die Berge. Die Stadt ist hübsch und hat zwei Kirchen, die interessant ineinander gebaut sind (und natürlich mit einem Fresko des Heiligen Christophorus an der Außenwand), ein schönes Zentrum mit dem Rathaus und dem Restaurant Schlosswirt, mit einer Terrasse und Blick auf das Mausoleum. Und natürlich kann man hier einen Apfelstrudel genießen, aber nicht nur das. Zu den Tiroler Spezialitäten gehören Knödel mit verschiedenster Füllung von Hackfleisch, Käse über verschiedene Gemüsesorten bis hin zu roter Beete und natürlich „Tyroler Gröstl“. Es ist ein recht einfaches Gericht, gebratene Kartoffeln mit Zwiebeln, Speck (Speck wird in Tirol an jeder Ecke angeboten, es gibt sogar Geschäfte, die sich darauf spezialisiert haben), Fleischstückchen oder Blutwurst und oben drauf gibt es ein Spiegelei. Auf den ersten Blick nichts Besonderes, aber es schmeckt gut, besonders beim Skifahren ist es mein Lieblingsessen in der Mittagspause.

Wenn man Glück hat wie wir und Schenna am ersten Sonntag im Mai besucht, wenn der Feiertag des heiligen Florian gefeiert wird, wird man auch das große Fest der örtlichen Freiwilligen Feuerwehr erleben. Zur Kirche marschierte eine große Blaskapelle in Tiroler Tracht unter tirolerischen Fahnen, dann eine große Anzahl von Feuerwehrleuten in Uniformen, wieder unter wehenden Fahnen. Übrigens haben wir auch in Meran eine große Prozession mit dem Bildnis der Jungfrau Maria erlebt, wieder in Trachten und mit wehenden Fahnen. Die Tiroler lassen sich ihre Traditionen nicht nehmen, sie haben immer noch einen Teil ihres nationalen Helden, des Rebellen Andreas Hofer, in sich. Zumindest in Meran ist der italienische Einfluss marginal, und man kann sich überall auf Deutsch verständigen.

Und trotzdem verleiht gerade diese Mischung aus österreichischer und italienischer Kultur Meran anscheinend ihren besonderen Charme. Es herrscht Ordnung wie in Österreich, aber die Architektur hat einen italienischen Touch, alles ist mit viel Geschmack gemacht. Und es gibt dort unglaublich viele Blumen – das ist offensichtlich auf das lokale Klima zurückzuführen.

Also hatte meine Frau mehr als genug Gründe, sich in Meran zu verlieben.

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Faenza

Sie haben noch nie von diesem italienischen Nest gehört? Dann ist die Zeit gekommen, es zu ändern. Faenza ist eine liebenswerte italienische Stadt und ist besuchswert.

               In den römischen Zeiten waren für die Neugründungen der Städte die Straßenverbindungen entscheidend. Im Jahr 187 ließ der Konsul Marcus Aemilius Lepidus die Straße Via Emilia bauen und dann entstanden an dieser Straße zwischen Ariminum (Rimini) und Bononia (Bologna) eine nach der anderen in regelmäßigen Abständen eines Tagesmarsches, also ungefähr zwanzig Kilometer, Städte wie die Schwalben auf einem Draht. Es waren Cesena, Forum Popilii (Forli), Faventia (Faenza) und Forum Cornelii (Imola).

               Jede dieser Städte schrieb sich in die Weltgeschichte ein, was offensichtlich mit ihrer strategisch wichtigen Lage am Rande der Poebene zusammenhängte. Imola ist auch heute berühmt, weil hier das Rennen der Formel 1  – der Große Preis von San Marino  – ausgetragen wird,. Forli war die erste Wirkungsstätte des heiligen Antonius von Padua, wo er durch seine erste Rede berühmt geworden ist. Cesena trat in die Geschichte am 3.Februar 1377 ein, als hier der päpstliche Legat und der spätere Papst Klement VII., mit eigenem Namen Robert von Genf, in den ersten drei Tagen nach der Einnahme der Stadt einige Tausend Bewohner ermorden ließ. Dieser auch für die damalige Zeit brutaler Exzess brachte ihm den Spitznahmen „Metzger von Cesena“. Nicht einmal dies konnte seine Wahl zum Papst am 20.September 1378 verhindern.

               Auch Faenza schrieb sich in die Geschichte während eines Kriegsgeschehens ein, aber doch kreativer und weniger brutal. Nämlich in die Welt der Literatur. In der Zeit des Krieges zwischen Kaiser Friedrich II. und Papst Gregor IX. stellte sich die Stadt auf die päpstliche Seite. Im August 1240 kam der Kaiser mit einer Armee, die zu dieser Zeit im nahen Ravenna stationär war (und grub dort – um sich nicht zu langweilen – das Grab von Galia Placidia, das Touristen bis heute besuchen). Der Kaiser belagerte die Faenza, die sich entschied, nicht aufzugeben. Die Bürger der Stadt wussten nämlich, dass der Kaiser knapp bei der Kasse war, das Geld sollte ihm bald ausgehen und er wäre gezwungen, seine Armee aufzulösen. Sie verrechneten sich dabei fatal. Friedrich genoss bei seinen Soldaten so ein großes Vertrauen, dass er ihnen den Sold in wertlosen Münzen aus Leder zahlte, mit der Versprechung, später diese Münzen für Gold und Silber auszutauschen. Die Soldaten akzeptierten diese Art von Sold und sie haben später tatsächlich ihr Geld bekommen. Die Belagerung der Stadt zog sich acht Monate lang. Der Kaiser langweilte sich. Also fiel ihm ein, dass ihn sein Sohn Manfred bereits vor langer Zeit gebeten hatte, ein Buch über die Falknerei zu schreiben. Friedrich war nämlich auch ein hervorragender Vogelkenner. Der Kaiser nahm die Arbeit an und das Buch – die erste wissenschaftliche Arbeit im Fach der Ornithologie, die auch heute noch immer wieder zitiert wird – konnte er wirklich vollenden. Das Buch heißt „De arte venandi cum avibus“ also „Von der Kunst mit Vögeln zu jagen“, es beschäftigt sich aber auch mit allgemeinem Wissen über verschiedene Vogelarten und ihre Lebensart.

               Während sich der Kaiser dieser gottgefälligen Tätigkeit widmete, starben die Verteidiger der Stadt an Hunger. Die erwartete Hilfe kam weder aus Milan noch aus Bologna und die Bitten, dass zumindest den Frauen und Kindern erlaubt wird, die Stadt zu verlassen, wurden vom Kaiser strikt abgelehnt. Am 14. April 1241 bot die Stadt in Erwartung drakonischer Strafen und Hinrichtungen eine bedingungslose Kapitulation an. Der Kaiser war aber gut gelaunt und mit seinem literarischen Werk höchst zufrieden – geben wir objektiv zu, dass es zurecht war – er erteilte allen Bürgern von Faenza eine Begnadigung und ließ in die Stadt Lebensmittel liefern. Das war für die damalige Zeit ein sehr ungewöhnlicher Vorgang. Aber die Literaten sind nach einem erfolgreichen Abschluss ihrer Arbeit schon einmal so.

               Faenza ist aber vor allem durch ihre Keramik berühmt. Das Wort „Fayence“ hat seinen Ursprung im Namen der Stadt. Faenza war seit dem dreizehnten Jahrhundert das italienische Zentrum der Tonwareproduktion. Das war die Folge von großen Vorräten der Tonerde von hoher Qualität in seiner Umgebung auf einer Seite und der guten Verkehrsverbindung auf der Via Emilia ostwärts zum Hafen von Rimini, sowie auch auf der anderen Seite westwärts nach Bologna und Mailand. Auch heute gibt es in der Stadt an die vierzig Betriebe, die Kunstkeramik produzieren und sie in die ganze Welt verkaufen. Faenza ist in der Welt der Keramik noch immer eine Marke.

               Die Geschichte der Keramikerzeugung – Majolika (dieser Name stammt überraschenderweise vom Namen der Insel Mallorca und weist auf die dortige arabische Tonwareproduktion hin) – kann man im „Museo internationale delle ceramiche di Faenza“ kennenlernen.

Das Museum wurde im Jahr 1908 von Gaettano Ballardini gegründet, seit 1938 gibt es in zweijährigen Abständen einen Wettbewerb in der Keramikkunst, bei dem der Faenza-Preis vergeben wird. Manche von den siegreichen Werken kann man im Museum sehen. 

Das Museum ist nicht ganz einfach zu finden, es gibt keine Wegweiser und die Einheimischen nach dem Weg zu fragen ist nicht ganz einfach – fast alle fahren nämlich Rad, zu Fuß bewegen sich auf den Straßen nur verlaufene Touristen. Das Museum selbst ist so riesig, dass es gar nicht einfach ist, sich dort zu orientieren. Ich suchte vergeblich den Saal 6, wo die Geschichte der Erzeugung der glasierten Tonware in Faenza beginnen sollte. Die Säle 1-5 widmeten sich der orientalischen Keramik von der chinesischen, über die japanische und die koreanische bis zu der arabischen. Es war vergebens. Letztendlich ging ich zu einem Angestellten des Museums mit der Bitte, mich zum Saal sechs zu bringen. Ich sagte klar, dass ich „Sala sei“ suchte und zur Sicherheit zeigte ich ihm die Nummer sechs auch im Plan, den ich bei mir hatte. Der Angestellte war zuvorkommend, brachte mich aber zum Saal neun und so lernte ich die Geschichte der Keramik von Faenza beginnend von ihrem Ende. Nicht einmal die Angestellten kennen sich im riesigen Gebäude offensichtlich aus. Genau so kompliziert war es auch, die gut versteckten Toiletten zu finden – für die, die mir folgen möchten, verrate ich, dass sie sich gleich neben dem Lift befinden.

Die Geschichte ist interessant. Mit Majolika, also mit der bemalten Keramik, begannen die Faenzaner auf einem primitiven Niveau – auf einem groben Grund der Tonware mit blauer und grüner Farbe irgendwann im vierzehnten Jahrhundert. Die Erzeugung verbesserte sich aber ständig und im sechzehnten Jahrhundert erreichte sie mit der Produktion der so genannten „Faenzanischen Weiße“ die höchste Vollkommenheit. Die Keramik war fein weiß (man könnte sie mit Porzellan verwechseln) und man konnte sie mit verschiedenen Nuancen der blauen und gelben Farbe schmücken. Im sechzehnten Jahrhundert kam für die Keramikproduktion der wahre Boom. Am Anfang des sechzehnten Jahrhunderts erschien in den europäischen Häfen der Tee, im Jahr 1616 landete im Hafen von Amsterdam die erste Kaffeelieferung. Venedig erreiche der Kaffee im Jahr 1683, also im gleichen Jahr, in dem die flüchtenden Türken vor Wien bei ihrem Rückzug Säcke mit Kaffee hinterließen und damit die Wiener Kaffeekultur indirekt ins Leben riefen). Im achtzehnten Jahrhundert wurde durch Zugaben von Gewürzen, Milch, Vanille und Zucker auch die Schokolade zu einem Modegetränk. Für das Genuss dieser neuen Getränke war ein neues Geschirr unentbehrlich – also Schalen, Tassen und Kannen.

               Als es schon so ausgesehen hat, dass aus den Tonwareproduzenten Millionäre würden, kam im Jahr 1708 ein beinahe Todesstoß für sie. Johann Friedrich Böttger, ein Alchemist aus Meißen, erfand für seinen Herrn, den Kurfürst August den Starken, das erste europäische Porzellan. Der sächsische Kurfürst wurde dadurch märchenhaft reich und die Produzenten der Tonware in Faenza suchten vergeblich Abnehmer für ihre Ware. Nicht nur der Adel, sondern auch die wohlhabende bürgerliche Stadtschicht wollte zu Hause Porzellangeschirr haben und für die traditionelle Tonware sind lediglich die Bauer geblieben, die allerdings tief in die Tasche haben greifen müssen.

               Im Jahr 1745 erfanden die Majolikaerzeuger in Frankreich den Produktionsvorgang des so genannten „dritten Brennens“, also eines langsamen Vorgangs mit Temperaturen zwischen 700 und 750 Grad, was die Verwendung der gleich satten Farben wie bei Porzellan (Purpurrot, Gold und Dunkelgrün) erlaubte und damit wieder dem Porzellan eine Konkurrenz zu machen vermochte.

               Die Ausstellung im Museum ergänzen keramische Garnituren und Produkte und eine Menge moderner Kunstwerke. Es gibt genug zum Schauen, obwohl der Besucher durch das Museum irrt – oder vielleicht gerade deshalb.

               Übrigens, die Keramik trifft man in der Stadt überall. Es gibt sie an den Hausfassaden und die Tafel mit den Hinweisen an Ärzte- oder Advokatenpraxen sind alle ausnahmslos aus Keramik gemacht.

               Faenza hat aber auch ein entzückendes historisches Zentrum. Es entstand aus zwei miteinander verbundenen Plätzen „Piazza di Popolo“ und „Piazza della Liberta“, das Stadtzentrum ließ die herrschende Familie Manfredi großartig ausbauen. Im Jahr 1474 legte Bischof Federico Manfredi, ein Bruder der Herrscher der Stadt Carlo und Galeotto, den Grundstein einer neuen Kathedrale. Die Dominante des Platzes ist „Palazzo del Podestá“ mit wunderschönen Rennaisancearkaden und das mittelalterliche Rathaus. Alles wird vom Glockenturm „Torre Civica dell Orologio“ überragt. Schön ist auch der Brunnen auf der „Piazza della Liberta“.

               Gleich hinter dem Brunnen steht das „Duomo di San Pietro Apostolo“, also Sankt Peterkirche. Die raue Fassade aus den Backsteinen sprach mich nicht wirklich an – den Marmor gibt es nur auf dem Sockel und aus der Mauer ragen einzelne Backsteine chaotisch hervor.

Na ja, den Ton gab es – im Gegenteil zum Stein – in der Umgebung immer genug. Im Inneren wirkt die Kirche schroff wie alle Kirchen in dieser Gegend, die alle im klassizistischen Still umgebaut und ihres barocken Schmucks beraubt wurden. Nur die Seitenkapellen sind reich geschmückt.

               Sie haben dafür einen guten Grund. Sie beherbergen nämlich eine ganze Reihe von heiligen und seligen Einheimischen, oder eher heiligen, die in Faenza starben und deren Reliquien hier unter ihren Altären ausgestellt werden. Möglicherweise gab es in der Gegend schlechte Luft, dass so viele gerade hier das Ewige gesegnet haben. Beinahe in jeder Kapelle gibt es eine Leiche oder zumindest ihren Teil. In der linken Reihe ist es zuerst der selige Giacomo Filippo Bertoni, der in den Jahren 1454 – 1483 lebte, dann folgt aber unmittelbar ein stärkeres Kaliber in der Person des heiligen Pier Damiani, der in Faenza im Jahr 1072 auf der Rückereise aus Ravenna starb. Er war der engste Mitstreiter des Hildebrands von Soana, der ein Jahr nach dem Tod von Damiani zum Papst Gregor VII. wurde und den Investiturstreit auslöste. Übrigens bereits Damiani hat schon dem Kaiser Heinrich IV., der nach Canossa gehen musste, Leviten gelesen. Sein Skelet wurde in die Kapelle im Jahr 1826 übertragen, dieser Zeit entspricht auch die Verzierung der Kapelle.

Gleich nebenan sind die Überreste vom heiligen Ämilianus ausgestellt. Dieser schottische Bischof starb in Faenza bei seiner Rückkehr von seiner Pilgerreise nach Rom im Jahr 1139 und wurde gleich wie ein Heiliger geehrt.  Links neben der Hauptkapelle gibt es ein Grabmal von heiligen Sabinus. Dieser Märtyrer aus der Zeit des Kaisers Diokletian starb zwar im fernen Spoleto, das Ehepaar Astorgio II. Manfredi und seine Frau ließ aber für den Heiligen zwischen den Jahren 1468 – 1470 einen Marmorgrabmal in Faenza einrichten, der im Jahr 1616 in der Kapelle eingemauert wurde. Auf der rechten Seite der Kirche gibt es die leiblichen Überreste des seligen Nevolons, der in Faenza im Jahr 1280 starb und letztendlich des heiligen Terentius, der in der Nähe von Faenza wie ein Eremit lebte, Blinde heilte und hier um das Jahr 1175 starb.

               Ich gebe zu, dass ich – außer Rom – noch in keiner Stadt so eine Sammlung der heiligen Knochen gesehen hatte. Natürlich, ich war noch nicht überall, die Ausstellung im „Duomo di San Pietro Apostolo“ ist aber imposant. Die Hauptattraktion sind aber keine Knochen, sondern der Altar der Gnadenmadonna im Querschiff links. Sie ist die Patronin der Stadt und der Diözese. Im Jahr 1412 erschien die Madonna einer Frau namens Giovanna de Costumis und versprach, das Wüten der Pest in der Stadt aufzuhalten, was dann tatsächlich geschah. Gebrochene Pfeile in der Hand der Madonna symbolisieren ihre wirksame Fürsprache bei Gott.

               Unweit vom historischen Stadtzentrum gibt es einen großen Militärfriedhof „Faenza Commonwealth War Cemetery“, wo Soldaten der achten britischen Armee begraben sind, die den deutschen Widerstand auf der Via Emilia anfangs April 1945 durchbrachen. In der Armee kämpften nicht nur Soldaten aus Indien, Neu Seeland oder Südafrika, sondern auch das italienische Korps Cremona. Nach beinahe zwanzig Tage dauernden hartnäckigen Kämpfen gelang es, die deutschen Verteidigungslinien durchzubrechen und den Weg nach Mitteleuropa vom Süden zu öffnen.

               Übrigens, Faenza gefiel auch meiner Frau. Während ich im Keramikmuseum irrte, besuchte sie die Geschäfte im Stadtzentrum und war mit der Ausbeute höchst zufrieden. Das Shopping war ein voller Erfolg. Also Faenza ist ein Ausflugsziel für die gesamte Familie.

Urbino

               Urbino ist ein Schmuckstück der Renaissancearchitektur. So schaut es nämlich aus, wenn der Bauherr dem Architekten sagt, dass Geld keine Rolle spielt. Welcher Architekt möchte so einen Satz nicht hören? Seine Fantasie bekommt Flügel und die unbeschränkten finanziellen Möglichkeiten lassen  – sein schöpferisches Talent vorausgesetzt – Werke von unbegrenzter Schönheit entstehen. So war es auch bei dem Herzogpalast in Urbino.

               Urbino ist ein kleines Nest inmitten der italienischen Berge in der Province Marche. Es hat ungefähr 15 000 Einwohner aber auch eine Universität, die im Jahr 1508 von der Familie De la Rovere gegründet wurde und die derzeit von ungefähr 15 000 Studenten besucht wird. Die Folge ist der Eindruck einer jungen Stadt. Auf den Straßen trifft man laute junge lächelnde Menschen, was die gute Laune und die Attraktivität der Stadt wesentlich erhöht. Wenn man dann die Stadt in den ersten Julitagen besucht, wenn es die Zeit der Promotionen gibt, merkt man es noch deutlicher. Auf den Straßen der Stadt um die Universität laufen nämlich Absolventen mit Lorbeerkränzen auf den Häuptern, umkreist von stolzen Familienmitgliedern, alle natürlich feierlich angezogen – es ist eine Augenweide. Junge Italerinnen übrigens verlassen niemals das Haus oder die Wohnung ungepflegt („um jederzeit den Mann ihres Lebens treffen zu können“). Am Tag des Schulabschlusses gilt das dann noch viel mehr.  Urbino ist einfach ein Lobeslied an die Schönheit. An die menschliche sowie auch an die architektonische.

               Die Bedeutung der Stadt übertraf bei weitem ihre Größe, den Höhepunkt erreichte Urbino im fünfzehnten Jahrhundert, als hier der Herzog Federico de Montefeltro residierte. Wann die Familie Montefeltro in den Herzogstand erhoben wurde, ist nicht ganz klar. Nach Urbino wurden die Grafen von Montefeltro aus einer kleinen Burg nahe Rimini als kaiserliche Vikare von Kaiser Friedrich I. Barbarossa im Jahr 1155 eingesetzt. Die Provinz „Marche“ also „Marke“, war immer eine Pufferregion, wo der Kaiser mit dem Papst ihre Kräfte gemessen haben. Also kein Wunder, dass eine weitere Beschenkung der Familie Montefeltro vom Enkelsohn Barbarossas, Friedrich II., der einige Jahrzehnte mit Päpsten unerbittliche Kämpfe führte, stattfand. Aber wann traten die Montefeltros in den Rang der Fürsten, also der Herzöge und Souveräne? In Wikipedia las ich, dass es im Jahr 1442 war, eine andere Quelle behauptet, dass der erste Herzog von Urbino der bereits erwähnte Federico war, der allerdings seine Herrschaft erst im Jahr 1444 antrat. Und um noch ein bisschen mehr Chaos in die Sache zu bringen, feiert Urbino gerade heuer, also im Jahr 2022, 600 Jahre der Herzogstumentstehung.  Laut örtlichen Chronisten wurden die Montefeltros nämlich von den Päpsten (es müsste dann der in der Konstanz gewählte Martin V. gewesen sein) in den Herzogstand bereits im Jahr 1422 erhoben. Unbefangene Historiker schreiben diese Tat Eugen IV. zu, der im Jahr 1431 Papst wurde und einige behaupten sogar, dass Federico de Montefeltro vom Papst Sixtus IV. zum Herzog erhoben wurde, der allerdings sein Amt im Jahr 1471 antrat.

               Grundsätzlich ist es egal, wichtig ist, dass der „Palazzo ducale“ ein wirklich würdiger Sitz eines Fürsten ist.

Alles in der Stadt dreht sich um den bedeutendsten Sohn der Stadt Federico (Also nicht ganz alles, aber darüber später, die Stadt hat noch weitere weltbekannte Personen im Talon). Federico war ein Condottiere, also ein Heerführer, allerdings kein gewöhnlicher. Er hatte den Ruf eines Unbesiegbaren und deshalb wollten ihn immer alle Fürsten, Stadtrepubliken oder sogar Päpste anwerben, wenn sie wieder einmal irgendwo einen Krieg angezettelt haben. Es war praktisch. Als der Feind erfuhr, dass die Truppen des Gegners von Federico kommandiert wurden, gab er meistens sofort auf und kapitulierte. Damit sanken wesentlich die Kriegsführungskosten und Federico durfte unverschämte Honorare für seine Dienste verlangen. Aus diesem Geld hat er dann seinen Palast bauen lassen, aber nicht nur das. Federico war ein leidenschaftlicher Leser (vielleicht gerade deshalb gewann er überall. Stellen Sie sich vor: ein General, der lesen konnte, das ist sogar heutzutage eine Seltenheit) und Büchersammler. Die Buchdruckerei feierte gerade ihre Geburtsstunde, Federico sammelte also Manuskripte, die er kopieren ließ. In diese seine Leidenschaft investierte er eine unvorstellbare Geldsumme von 30 000 Dukaten. Um seiner Bibliothek ein entsprechendes Niveau zu verleihen, engagierte er für ein nicht gerade kleines Honorar Ottavio Ubaldini, einen der größten Gelehrten der damaligen Zeit, um Bücher für seine Sammlung auszuwählen. Zum Schluss gab es in seiner Bibliothek 900 Schriften. 600 in Latein oder auf Italienisch, 168 auf Griechisch, 86 auf Hebräisch und zwei auf Arabisch.

               Nicht umsonst schrieb gerade an seinem Hof Baldesar Castiglione sein Buch „I libro del Cortegiano“ also „Das Buch über einen Hofmann“, das ein ideales Bild eines Herrschers beschreibt, der Federico verdächtig ähnlich ist.

               Der einzige Condottiere, der Federico wirklich ärgerte, war Sigismondo Malatesta von Rimini. Der hatte nicht vor, sich zu ergeben und behauptete sogar, er wäre ein besserer Heerführer als Federico. So eine Frechheit! Der mit Federico befreundete Papst bildete eine große Koalition, die Sigismondo letztendlich im Jahr 1463 bei Cesena besiegte. Natürlich unter dem Kommando des Herrschers von Urbino.

               Der Herzogpalast in Urbino ist einfach atemberaubend. Schon das Treppenhaus aus Marmor, breit und mit niedrigen Stufen, damit auch ein Pferd diese Treppen besteigen konnte, wirkt imposant. Federico ließ sich in einer Nische im Treppenhaus wie ein römischer Imperator darstellen. Der Palast umgibt einen viereckigen Hof mit wunderschönen Renaissancebögen und hat repräsentative Räume für den Herzog sowie auch für die Herzogin. Federicos Gattin Battista Sforza, eine Nichte des Gründers des Ruhmes der Sforzafamilie Francesco, bewohnte einen eigenen Palastflügel – bereits damals waren getrennte Schlafräume in der Mode. Gleich am Anfang des Palastbesuches gibt es den Hochzeitssaal, wo diese zwei in den Ehebund traten. Die Tatsache, dass der Condottiere Sforza, der sich bis zum Herzogshut in Mailand durchkämpfen konnte, seine Nichte mit Federico verheiratete, war eigentlich eine Anerkennung der Fähigkeiten seines Kollegen. Über den dritten von den damaligen Condottieri, Sigismondo Malatesta, habe ich bereits genug geschrieben, den vierten – Jacopo Piccinino – ließ der psychopatische neapolitanische König Ferrante töten und dann für seine Leichensammlung ausstopfen.

               Die persönlichen Räume des Herzogs Federico, vor allem sein Arbeitszimmer „studiolo“, befinden sich hinter der unglaublich schönen westlichen Fassade des Palastes. Alle Türe haben Marmorrahmen mit Intarsien, die Wände sind mit Gobelins und Bilder geschmückt. Es gibt gleich zwei riesige Säle, der erste ist der Krönungssaal, der zweite bekam den Namen „Nachtwachesaal“, weil hier regelmäßig lange in die Nacht großartige Feste gefeiert wurden. Es gab genug Geld und genug Gründe zu feiern.

               Federico finanzierte an seinem Hof berühmte Künstler. Unter ihnen war Luca della Robia, der die ursprüngliche Fassade des Doms in Florenz schuf. In Urbino ist er Autor des Portals aus Terrakotta an der Kirche des heiligen Dominik, die gegenüber dem Herzogpalast steht. Am Hof wirkte auch Piero della Francesca, von ihm stammen Portraits von Francesco (aber auch seines Konkurrenten Sigismondo von Rimini). Am Hof Federicos war auch ein bestimmter Giovanni Santi tätig, ein Flüchtling aus dem Städtchen Colbordola, das von den Truppen aus Rimini zerstört wurde. Dieser talentierte Maler (seine Werke findet man heute in Museen in Florenz, London und Rom) arbeitete sich zum Hofmaler empor, er kaufte in der Stadt ein Haus, das sich in der Straße, die den Namen seines Sohnes Raffaello Santi trägt, befindet. Das ist nämlich der zweite der gebürtigen Urbinesen, den man nicht außer Acht lassen kann.

Raffaello wurde im Jahr 1483 in Urbino geboren und lebte hier die ersten sechzehn Jahre seines Lebens. Dieser außergewöhnliche Maler und Architekt ist in Urbino nur durch zwei seine Werke vertreten – erstes ist die so genannte „Stumme“, ein Portrait einer adeligen Dame. Dieses Bild befindet sich in „Palazzo ducale“. In Raffaelos Geburtshaus ist dann ein Fresco „Madonna mit dem Kind“. Manche Forscher vermuten den Vater Raffaellos Giovanni als Autor, andere behaupten, dies wäre die erste Arbeit Raffaellos, die er noch unter Aufsicht seines Vaters schuf.

Sein Geburtshaus ist gefüllt mit Kopien seiner Werke, die werden aber nicht so hochgeschätzt. Giovanni starb im Jahr 1494, als Raffaello elf Jahre alt war (seine Mutter starb sogar schon früher). Raffaello verließ also im Jahr 1500 Urbino. Er ging nach Perugia, wo er eine Ausbildung bei Meister Pietro Vanucci, genannt Perugino, genoss. Er kam nie mehr nach Urbino zurück, er starb jung im Jahr 1520 in Rom. Sein Geburtshaus ist ziemlich geräumig mit einem kleinen Hof und einer Kolonnade. Giovanni Santi musste also relativ wohlhabend gewesen sein. Die Stadt Urbino ist auf ihren Sohn gehörig – möglicherweise sogar ungehörig – stolz, Raffaellos Namen begegnet man hier auf jedem Tritt und Schritt. 

               Der dritte berühmte Sohn der Stadt war Papst Klement XI., mit eigenem Namen Francesco Albani, geboren in Urbino im Jahr 1649. Er war Papst in den Jahren 1700 – 1721.

Nach ihm heißt das Museo Albani neben dem Dom. Seine Statue befindet sich nicht nur vor dem Dom, sondern auch in der Bramantestraße auf dem Weg vom Tor der heiligen Lucia in Richtung Stadtzentrum. Auch Donato Bramante, der später Rom baute, gehörte zur Künstlerschule von Urbino, er wurde von Luciano Laurano ausgebildet, vom Architekten, der den Herzogspalast in Urbino baute. Bramante verließ Urbino im Jahr 1476 in Richtung Mailand und später ging er dann nach Rom. In Urbino trägt eine der wichtigsten Straßen seinen Namen.

               Papst Klemens XI. hatte es in seinem Amt nicht gerade einfach. Bereits im ersten Jahr seines Pontifikats entflammte der Spanische Erbfolgekrieg, in dem er zuerst auf der Seite Ludwigs XIV. von Frankreich stand. Als sich aber der Blatt nach der Schlacht bei Blenheim gewendet hat und die kaiserliche Armee in den Kirchenstaat eingefallen ist, musste auch er die Seiten wechseln. Als aber Kaiser Josef I. im Jahr 1711 starb, mussten die Habsburger wieder in die Defensive und der Papst mit ihnen. Zusätzlich zu diesem Leiden hat ihn der branderburgische Kurfürst Friedrich III. zu Weißglut gebracht, der sich ohne päpstliche Genehmigung im Jahr 1700 zum preußischen König proklamierte. Papst hat zwar seinen Königstitel niemals anerkannt und er nannte den preußischen Herrscher immer nur „Kurfürst von Brandenburg“, das war aber ungefähr alles, was er dagegen tun konnte. Wenn man in Rom eine Spur dieses Pontifex suchen würde, sollte man in die Kirche „Basilica Santa Maria degli Angeli“ gehen. Es ist ein geniales Werk von Michelangelo, der diese Kirche aus einer alten römischen Therme schuf. Auf dem Boden in der Kirche befindet sich der Meridian, den hier gerade Papst Klemens XI. platzieren ließ, als er den gregorianischen Kalender von einer Gruppe Wissenschaftler überprüfen ließ.

               Der Dom von Urbino ist von außen großartig, er ist ein riesiges Renaissancegebäude, auf dem, wie es in Italien schon Brauch ist – eine klassistische Fassade geklebt wurde. Es ging nicht anders, der Dom wurde von einem Erbeben im Jahr 1789 schwer beschädigt und bis zum Jahr 1801 praktisch neu aufgebaut. Der Eindruck ist nicht schlecht, der Klassizismus und die Renaissance harmonieren gut miteinander.

Das Innere der Kirche ist einfach, ebenso klassizistisch, mit Bildern von Barockmeister Federico Barocci – eine Menge seiner Bilder ist auch im Herzogspalast aufgestellt.

               Wenn man die Stadt Urbino von oben sehen möchte – was sich wirklich auszahlt – ist es notwendig zur Festung „Fortezza Albornoz“ oberhalb des „Parco della Resistenza“, das nach den Opfern des Widerstandes gegen Nazismus in der Zeit des zweiten Weltkrieges benannt ist, aufzusteigen

               Federico de Montefeltro hatte lediglich einen Sohn Guidobaldo, der starb im Jahr 1508 kinderlos. Er wurde aus der Stadt von Cesare Borgia vertrieben und nach seinem Tod übernahm die Familie della Rovere die Regierung in der Stadt (aus dieser Familie stammte Papst Julius II., der Papst in den Jahren 1503 – 1513 war und nicht vergaß, seine eigene Familie mit Herzogtum von Urbino reichlich zu beschenken. Nur für drei Jahre 1516 – 1519 wurde Lorenzo Medici Herzog von Urbino. Dank dieser Tatsache konnte seine Tochter Katharina den Titel Prinzessin von Urbino tragen, obwohl sie diese Stadt nie gesehen hat. Sie wurde im Jahr 1519 in Florenz geboren und ihre Eltern starben 15 und 21 Tage nach ihrer Geburt. Ihr Titel spielte aber eine wesentliche Rolle, als sich ihr Onkel Papst Klemens VII., mit eigenem Namen Giulio di Medici, erfolgreich bemühte, seine Nichte mit dem zweitgeborenen Sohn des französischen Königs Franz I. Heinrich zu verheiraten. Als Tochter eines reichen Kaufmanns Medici hätte sie keine Chancen und die Medici durften in Florenz, das auf seiner republikanischen Tradition beharrte, keine Titel tragen, obwohl sie in der Stadt viele Jahre inoffiziell herrschten. Dank ihres Titels Prinzessin von Urbino wurde Katharina später französische Königin und organisierte eines der furchtbarsten Gemetzel der Menschengeschichte – die Bartholomäusnacht in Paris im Jahr 1572.

               Die Familie De la Rovere übernahm im Jahr 1519 wieder die Macht in Urbino und im Herzogspalast ließ sie sich private Apartments im zweiten Stockwerk einrichten. Man kann sie besuchen, sie dienen als eine Pinakothek. Nach dem Aussterben der Familie De la Rovere im Jahr 1631 schloss Papst Urban VIII. Urbino an den Kirchenstaat an und die Stadt verlor ihre Bedeutung. Aus dieser Zeit stammt der ägyptische Obelisk, der im Jahr 1737 vor dem „Palazzo ducale“ aufgerichtet wurde.

               Natürlich zum Schluss eine immer wichtige Frage: Was sollte man in Urbino essen? In Rimini werden überall als ein Schnellimbiss „Piadine“, also Fladenbrot aus Mehl, Eier, Salz und Wasser angeboten. In Urbino heißt ein ähnliches Gericht „Cresce“, bzw. „Cresce sfogliate“. Neben Mehl, Eier, Schweinschmalz und Milch erhalten sie nur mehr Salz und Pfeffer. Ihr Ursprung muss man wieder einmal in der Zeit der Herrschaft Federicos de Montefeltro suchen. Federico mochte als ein Soldat einfache Gerichte. Als er aber seine Gäste bewirten sollte, wollte er ihnen doch etwas Besseres servieren, und so wurde in dem traditionellen Fladenbrot auch Milch, aber vor allem in dieser Zeit der rare und geschätzte Pfeffer beigemischt. In so einen Fladen kann man alles einwickeln, die einfachste Füllung ist „Prosciuto crudo“, Käse oder Rucola. Und ein Schnellimbiss für Tausende hungrige Studenten ist fertig. Deshalb gibt es in Urbino „Cresceriae“ an jeder Ecke.

San Marino

               Die winzig kleine Republik San Marino hat eine Fläche von 61,2km2 und 34 000 Einwohner. (sie ist der drittkleinste Staat im Europa nach Vatikan und Monaco). Sie ist unheimlich stolz auf ihre Geschichte und ihre Unabhängigkeit. Im Unterschied zu allen anderen italienischen Stadtkommunen hat hier niemals ein Diktator die Macht an sich gerissen, das Land ist immer eine Republik geblieben und ihre Verfassung wurde seit dem Jahr 1263 nicht geändert. Die Gesetzgebung unterliegt einem „Großen Rat“ mit 60 Mitgliedern, die Exekutivgewalt dann zehn Mitgliedern eines „Congresso die Stato“. An der Spitze des Staates stehen zwei „Capitani Regenti“, die sich mit einer großen Parade auf dem Freiheitsplatz vor dem „Palazzo del Governo“, also vor dem Regierungspalast  immer am 1.April und am 1.Oktober in ihrem Amt abwechseln.

               San Marino auf dem Gipfel des felsigen Berges Monte Titano sollte laut einer Legende im Jahr 303 in der Zeit der letzten großen Christenverfolgung unter dem Kaiser Diocletianus gegründet worden sein. Ein aus der dalmatischen Insel Rab stammender Steinmetz namens Marinus floh damals aus nahem Rimini in die damals unbewohnten Berge und gründete dort eine christliche Kommune. Der Beruf des Stadtgründers ist wahrscheinlich aber nicht der Grund, warum San Marino – anders als die herumliegenden italienischen Städte, wo in der Architektur Backsteine überwiegen – aus Stein gebaut ist. Die Ursache war eher die Verfügbarkeit dieses Baumaterials auf dem felsigen Monte Titano, im Gegenteil zur nahen Poebene, wo Stein eine kostbare Seltenheit ist. Die monumentalen Steingebäuden geben San Marino sein flair, als ob die Stadt wirklich mit dem umgebenden Italien nicht kompatibel wäre. Seine Schönheit kann man aber nicht abstreiten.

               Mit dem Toleranzedikt des Kaisers Konstantin aus dem Jahr 313 war die Christenverfolgung zu Ende, die christliche Kommune blieb aber weiterhin auf dem Berg und ließ sich dort nieder. Die folgenden unruhigen Jahrhunderte überlebten die Siedler in relativer Ruhe. Niemand wusste von ihnen und niemand kümmerte sich um sie. Trotzdem begannen sie im zehnten Jahrhundert mit dem Bau einer Stadtbefestigung – heute ist der Kreis der hohen Schutzsteinmauer die Hauptattraktion der Stadt. Die drei Türme, die die Stadtbefestigung dominieren, waren zweifellos die Inspiration für John Ronald Reuel Tolkien, als er seinen „Herrn der Ringe“ schrieb. Deshalb wird in San Marino jedes Jahr ein Tolkienfest organisiert. Die Türme sind imposant und gut sichtbar (abends, wenn die Sonne im Westen ist) sogar von der Küste bei Rimini. Sie sind natürlich auch im Staatswappen der Republik, wo, gleich wie überall in der Stadt, die Farben blau und weiß herrschen – die Farben, die für die Bürger der Republik ihre Freiheit symbolisieren.

Das Staatswappen ist mit Eichenzweigen als Symbol der Härte umgeben. Es gibt genug Eichen auf den Böschungen des Kalkfelsens „Monte Titano“ und San Marino musste nicht nur einmal die Tapferkeit und die Widerstandsfähigkeit beweisen, um seine Unabhängigkeit zu bewahren. Besonders im fünfzehnten Jahrhundert, als San Marino zu einer breiten päpstlichen Koalition gegen Sigismondo Malatesta aus Rimini beitrat. Die Sanmarinösen hatte mit der Familie Malatesta ihre liebe Not bereits seit dem dreizehnten Jahrhundert und verbanden sich also gerne mit jedem, der ihnen gegen die Herrscher von Rimini helfen konnte. Nach dem Sieg über Sigismondo im Jahr 1463 erhielten sie zur Belohnung von Papst Paul II. einige Dörfer am Fuße des Berges und so expandierte die Republik vom Felsen in die Ebene und erreichte ihre derzeitige Größe. Im Jahr 1503 besetzte zwar für eine kurze Zeit Cesare Borgia die Stadt, nach seinem Tod wurde aber der Anschluss der Republik an den Kirchenstaat diskret vergessen und sie durfte weiterhin unabhängig existieren.

               San Marino ist ein Idealziel für Eintagesausflug. Es ist ganz einfach erreichbar. Vom Bahnhof in Rimini verkehren zwischen Rimini und San Marino regelmäßig Busse, eine Zugverbindung gibt es zwischen Rimini und San Marino seit 1932. Wenn man sich entscheidet mit Auto anzureisen, dann fährt man auf der SS 72 von Rimini und man kann entweder bereits auf dem Parkplatz 11 in Borgo Maggiore einparken und dann mit einer Gondelbahn in die Stadt hochfahren oder man kann die Reise über die Kehren fortsetzen und dann ruhig in den Parkhäusern Nummer 9 oder 10 stehen bleiben. Von dort kommt man in die Stadt mit einem Lift, also schwitzen muss man nicht unbedingt, wenn man die Stadt erreichen will. Wer feste Nerven hat, kann weiterfahren und sich zu weiteren Parkplätzen von hübschen Polizistinnen in gelben Uniformen leiten lassen.

               Wenn man die Stadt durch das Tor des heiligen Franziskus betritt, findet man im Vorsaal einer Kirche, die direkt bei dem Eingang steht, eine Tafel, die eine Erklärung bietet, warum San Marino nicht zu Italien gehört. Es ist eine Gedenktafel, die an 31.Juli 1849 erinnert, als die Stadt Asyl Giuseppe Garribaldi und seinen zweitausenden Soldaten gewährte, die hierher von einer Übermacht von fünfzehntausend Österreicher getrieben wurden. San Marino war häufig ein Zufluchtsort, während des zweiten Weltkrieges suchten hier an die hunderttausend Menschen die Sicherheit. Garribaldi versteckte sich auf dem Monte Titano und am nächsten Tag gelang es ihm mit 150 treuesten Soldaten aus der Umzingelung zu entkommen.

Am 2.August drängten die Österreicher in die Stadt und suchten den ewigen Unruhestifter – vergebens. Nachdem das vereinigte Italienische Königsreich am 17.März 1861 verkündet wurde, meldete sich Garribaldi und bedankte sich gleich zweimal am 24.April und am 1.Juni für die Verleihung der Ehrenbürgerschaft San Marinos. Für die Liebhaber der italienischen Sprache also im Original:

„Vado superbo di essere cittadino di cotanto virtuosa repubblica.“

Es wäre durchaus möglich, dass Garribaldi die Bewahrung der Unabhängigkeit der „virtuosen“ Republik bereits im Jahr 1849 dem damaligen Kapitän Regenten Dominico Mario Belzoppi als Belohnung für das Asyl versprach. Die Bürger von San Marino versicherten sich aber auch wo anders, als sie die Ehrenbürgerschaft ihres Staates dem amerikanischen Präsidenten Abraham Lincoln mit der Begründung, dass die amerikanischen Idealen dem traditionellen Verständnis der Demokratie in ihrem Land entsprachen, verliehen. Abraham Lincoln bedankte sich für die Verleihung der Ehrenbürgerschaft in einem Brief aus 7.Mai 1861. Heben sie dann ein Land auf, dessen Ehrenbürgerschaft der amerikanische Präsident besitzt!

Am 22.März 1862 unterschrieb also das Italienische Königreich mit der Republik San Marino ein Abkommen über die gegenseitige Anerkennung der Souveränität, über den Respekt und Zusammenarbeit. Was blieb schon den Italienern übrig? Den unberechenbaren Garribaldi oder der mächtigen amerikanischen Präsidenten wütend zu machen zahlte sich wegen eines Felsens wirklich nicht aus.

Natürlich trägt ein Platz in San Marino den Namen Garribaldis, der von seiner Büste beherrscht wird. Auf diesem Platz befindet sich das Museum der Philatelie und Numismatik, also Briefmarken- und Münzenmuseum, weil San Marino aufgrund einer Übereinkunft mit dem  Italienischen Königreich aus dem Jahr 1862 das Recht eigene Münzen zu prägen und eigene Briefmarken auszugeben hat – die Münzenprägung muss allerdings der italienischen Emissionspolitik entsprechen. Die erste Münze war eine Kupfermünze mit Nominalwert von 5 Centessimi aus dem Jahr 1864, später kamen Silbermünzen und seit dem Jahr 1925 auch Goldmünzen dazu. In der Gegenwart sind sie ein Teil der Eurozone und die Münzen von San Marino sind dankbares Sammelobjekt für die Münzensammler. Auch deshalb änderte die Republik im Jahr 2017 das ursprüngliche Design der ersten Münzen aus dem Jahr 2002 und ließ in der neuen Serie neue Motive prägen. Die Serie aus dem Jahr 2017 in dem Nominalwert 3,88 Euro konnte ich in einem Souvenirgeschäft auf der Piazza Garribaldi für 65 Euro kaufen – es ist also für die winzige Republik kein schlechtes Geschäft.

Eigene Briefmarken begann San Marino im Jahr 1877 auszugeben. In San Marino lebte einer der ersten Wissenschaftler im Fach der Numismatik Bartolomeo Borghesi, der wissenschaftlich die Münzen der Römischen Republik bearbeitete und in San Marino eine Büste zu seiner Ehre hat. Also eine Tradition in der Münzenprägung gibt es allemal.

San Marino musste ein großes diplomatisches Geschickt beweisen, um die eigene Unabhängigkeit zu bewahren. Im Jahr 1739 versuchte es der Kardinal Giulio Alberoni, die Macht in der Stadt an sich zu reißen. Die Bürger von San Marino wendeten sich an den Papst und er befahl dem Kardinal, sich aus der Stadt zurückzuziehen. Im Jahr 1740 war die Republik schon wieder frei. Im Widerstand gegen diese Okkupation – die einzige in der Geschichte der Republik – spielte eine wichtige Rolle Girolamo Gozi. Sein Denkmal aus Bronze steht auf dem Platz der Heiligen Agatha gleich hinter dem Eingangstor in die Altstadt.

Als Anerkennung seiner Verdienste wurde er im Jahr 1742 zum Kapitän Regent gewählt. Als Napoleon Norditalien erobert und die Cisalpinische Republik gegründet hat, war das Schicksaal von San Marino wieder einmal unsicher. San Marino schickte an Napoleon einen Brief, in dem die Verbreitung der Ideen der Französischen Revolution bewundert wurde. Ideen, die mit den seit Jahrhunderten in San Marino herrschenden Idealen übereinstimmten. Napoleon bot dann unter dem Eindruck dieses Briefes San Marino zwei Kanonen, eine Getreidelieferung und eine Erweiterung des Gebietes der Republik bis zum Meer mit Einnahme von Rimini. San Marino hatte wieder einmal einen gescheiten „Capitano Regent“. Er lehnte die Kanonen sowie auch die Landeinnahme ab, er war bereit, lediglich das Getreide zu empfangen. Dank dieser Entscheidung wurde San Marino auf dem Wiener Kongress nicht zu Napoleons Verbündeten gezählt und durfte seine Souveränität behalten.

               Das Zentrum der Stadt ist die „Piazza della Liberta“ mit der Freiheitsstatue von Stefano Galleti und mit dem „Palazzo del Governo“ – auch Palazzo publico genannt. Es ist im neugotischen Stil gebautes Gebäude aus dem Jahr 1894. In dem residiert der Rat der Zehn. Am Samstag, als wir die Stadt besuchten, gab es natürlich Hochzeiten und der Palast war deshalb für die Öffentlichkeit geschlossen.

               Auf dem Weg hinauf kommt man zum so genanntem Canton, wo die Bergstation der Gondelbahn ist (und die Büste von Bartolome Borhesi und, fantastische Ausblicke in die Landschaft geboten werden. Gleich daneben gibt es „Cava die Baleistrieri“, wo die San-Marinesen Armbrustschützer ihre Kunst vorführen. Überall gibt es moderne Metallstatuen (ich konnte den Namen ihres Autors nicht erfahren, aber sie haben etwas mysteriöses in sich und ergänzen perfekt die mittelalterliche Mauer und Gebäude). Sie haben ein Hauch von Fantasy und führen einen Menschen in die Welt des „Game of Thrones“ oder „Herr der Ringe“.

Die San-Marinesen können also ihre Stadt mit gutem Geschmack schmücken. Weiter bergauf kommt man zum klassizistischen Gebäude der Kirche „Del Santo“, wo die Knochen des Stadtgründers des Heiligen Marinus aufbewahrt werden. Dann führt der Weg nur mehr zu den drei Türmen der Stadtbefestigung.

               Der erste Turm Rocca Guaita ist der älteste. Er stammt aus dem elften Jahrhundert und ist ein Teil der Stadtmauer, eigentlich bildet er den höchsten Punkt der Stadtbefestigung.

Von dort führt ein Schutzweg („Via del Strege“, also ein „Hexenweg“) zu zweitem Turm Rocca Cesta oder auch Fratta. Dieser Turm ist noch eine klassische Festung mit allem, was dazu gehört, sogar mit einer Kapelle für die Besatzung.

Weiter geht der Weg zu dem dritten Turm Rocca Montale. Seine Bedeutung stieg angeblich in der Zeit der Kämpfe gegen die Familie Malatesta im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert. Rekonstruiert wurde er im Jahr 1935, seine heutige Funktion blieb für mich allerdings rätselhaft, beim besten Willen konnte ich nämlich keinen Eingang finden.

               Die Wege zwischen den Türmen sind nicht besonders lang, es ist immer nur ein paar hundert Meter und zwischen dem ersten und dem zweiten Turm darf natürlich eine Bar mit einer Erfrischung nicht fehlen. Wenn man die Türme im Abendlicht von Rimini beobachtet, scheint die Entfernung zwischen ihnen viele Kilometer zu sein und man wundert sich, wie man alle Türme in der sommerlichen Hitze besuchen konnte. Es ist aber nicht schwer und es ist ein schönes Erlebnis. Der Eintrittspreis ist absolut akzeptabel. Als Senioren über 60 Jahre zahlten wir 6 Euro für den Besuch aller Türme sowie auch Museen – wir besuchten das Museum der Philatelie und Numismatik und das Stadtmuseum. Das Stadtmuseum ist besuchswert. Außer der Stadtgeschichte ist hier als der größte Anziehungsgegenstand ein Goldschatz aus dem Grab einer gotischen Prinzessin aus der Zeit des Königs Theodorich des Großen, also aus dem Anfang des sechsten Jahrhunderts, ausgestellt. Der Schatz wurde in den Jahren 1892 – 1893 im Dorf Domagnano auf dem Gebiet der Republik ausgegraben.

               Essen und Trinken war in San Marino in akzeptablem Bereich und das Parken für die gesamte Besuchszeit, die über 5 Stunden dauerte, kostete 4,50 Euro.

               San Marino erwies sich also als touristisch außerordentlich freundliches Land. Sogar der Treibstoff kostete hier um 10 Cent weniger als in Italien und um zwanzig weniger als in Österreich. Also die Versuchung hier zu tanken war besonders groß. Ich tankte voll, obwohl der Tanka jede Konversation in einer anderen als italienischen Sprache streng verweigerte.