Grosseto war die letzte der toskanischen Städte, die ich besucht habe, und ich tat es mehr oder weniger der Vollständigkeit halber, denn in Bezug auf Zeugnisse aus der glorreichen toskanischen Vergangenheit hat Grosseto nicht allzu viel zu bieten. Dennoch ist es interessant.
Im Gegensatz zu anderen italienischen Städten liegt Grosseto in der Ebene, unweit des Meeres. Was wie ein Vorteil erscheinen könnte, war für die Stadt eher ein Fluch. Sie liegt auf den Schwemmlandböden des Flusses Ombrone, auf sumpfigem Untergrund, was eine Vielzahl von Mücken und immer wiederkehrende Malariaepidemien zur Folge hatte, die die Stadt beinahe entvölkerten. Schon die Etrusker und Römer versuchten vergeblich, die Sümpfe trockenzulegen, später taten dies mit vorübergehendem Erfolg die Medici, nachdem die Stadt im Jahr 1559 Teil des Großherzogtums Toskana geworden war. Erst den Habsburgern gelang dies im 19. Jahrhundert. Nachdem es unter Großherzog Leopold II. endlich gelungen war, die Mücken aus der Umgebung zu vertreiben, begann die Stadt wirtschaftlich zu florieren.
Historisch gewann sie an Bedeutung, als Papst Innozenz II. den Bischofssitz aus der von Sarazenen zerstörten Stadt Rusellae nach Grosseto verlegte, das bis dahin nur eine kleine Burg an der Via Aurelia war. Der erste Bischof, Rollando, begann sofort mit dem Bau einer dem Heiligen Laurentius geweihten Kirche. Die Kathedrale, das Hauptmonument der Stadt, wurde ab dem Jahr 1190 erbaut, jedoch musste der Bau mehrfach unterbrochen werden, da Grosseto in ständigem Krieg mit dem nahegelegenen Siena lag, was Geld kostete. Grosseto war eine unabhängige Republik unter der Herrschaft der Familie Aldobrandeschi und stand auf der Seite der Guelfen im Kampf gegen die Anhänger des Kaisers Friedrich II., die Ghibellinen, deren Hochburg Siena war. Der Kaiser selbst übergab die Herrschaft über die Stadt dem toskanischen Pfalzgrafen Ildobrand und besuchte die Stadt im Jahr 1224 persönlich. Dennoch wurde die Kathedrale in ihrem Rohbau und mit Dach bereits 1249 aufgebaut, also noch vor dem Tod des Kaisers. Die Kämpfe mit Siena zogen sich bis zum Jahr 1336 hin, als Grosseto kapitulierte und Teil der Republik Siena wurde.
Die Kathedrale ist wunderschön und hat etwas Besonders in sich.
Wie in den anderen Städten der Umgebung wurde sie aus verschiedenfarbigen Marmorblöcken errichtet – aber während man in Pisa, Siena oder Orvieto eine Kombination aus weißem und grünem Marmor findet, ist es hier weißer und roter – tiefroter bis bordeauxfarbener Marmor, was dem Bauwerk seinen eigenen Charakter und Charme verleiht. Der Bau begann im romanischen Stil, und die Kathedrale hat diesen Stil größtenteils beibehalten. Aufgrund der durch die Malariaepidemien verursachten Notlage der Stadt zog sich die Ausgestaltung der Fassade und der Eingänge zur Kirche lange hin; im 16. Jahrhundert verfiel die Kirche sogar so sehr, dass im Jahr 1535 ein Teil von ihr einstürzte. Daher stammt das Südportal bereits aus dem frühen 14. Jahrhundert, aber das Tympanon mit seinen Skulpturen entstand erst im Jahr 1897. Die gotische Rosette an der Fassade gehört zu den schönsten in der Toskana, und darunter befinden sich die Symbole der vier Evangelisten – der Löwe, der Stier, der Adler und der Mensch.
Im Inneren der Kathedrale ist das Juwel das Gemälde „Madonna delle Grazie“ von Matteo di Giovanni aus dem Jahr 1470. Es wirkt wie ein Übergang zwischen gotischer und renaissancezeitlicher Malerei und ist reich mit Gold verziert. Angeblich handelt es sich nur um ein Fragment eines größeren Bildes, das bei einem Brand zerstört wurde. Das schöne Weihwasserbecken ist ein Werk von Girolamo Ventagioli aus dem Jahr 1506. Drei Delfine tragen auf ihren Rücken drei Truthähne, die eine Wanne halten, die außen mit Vögeln, Girlanden, Blumen und Früchten und innen mit Krebsen, Fröschen und Fischen geschmückt ist. Die Ähnlichkeit mit dem Taufbecken in Siena ist kein Zufall – Girolamo arbeitete in der Werkstatt des Meisters Federighi in Siena.
Auch das Taufbecken von Antonio di Ser Ghino aus dem Jahr 1470 ist reich verziert, unter anderem mit den Wappen von Grosseto, Siena und dem Auftraggeber.
Grosseto ist vielleicht aus der Luft interessanter als beim Spazieren durch die Stadt.
Das liegt am erhaltenen Mauerring, der von den Medici errichtet wurde. Cosimo I. begann mit dem Bau im Jahr 1564, und Ferdinand I. beendete ihn 1593. Es handelt sich um eine imposante Festungsanlage im Renaissancestil aus Ziegelsteinen mit Bastionen, in die auch der sienesische Turm aus dem 14. Jahrhundert integriert wurde. Auch das sogenannte Glacis – also der unbebaute Streifen Land rund um die Mauern – ist erhalten geblieben. Deshalb wird Grosseto manchmal als das „Lucca der Maremma“ bezeichnet. Die Maremma ist die Küstenregion mit Stränden am Tyrrhenischen Meer, in der Grosseto liegt.
Stadtmauern
Ein Besuch des Archäologischen Museums „Museo archeologico e d’Arte della Maremma“ wird empfohlen, das allerdings sehr merkwürdige Öffnungszeiten hat – an manchen Tagen öffnet es nachmittags erst um fünf Uhr, was uns zu viel zu langem Warten verdonnerte. Die Fundstücke stammen aus der Zeit der Etrusker und Römer, vor allem aus der Stadt Rusellae, die etwa 10 Kilometer von Grosseto entfernt liegt. Es war eines der zwölf Städte des etruskischen Bundes und verlor seine Bedeutung erst 1138, als der Papst die Stadt nach wiederholten Überfällen durch Sarazenen endgültig aufgab und den Bischofssitz nach Grosseto verlegte. Auch dort sind noch Überreste mächtiger Stadtmauern erhalten – deutlich älter als die von Grosseto – sowie die Ruinen eines römischen Amphitheaters.
Was mich aber wirklich fasziniert hat, war das Parken. Grosseto hat – im Gegensatz zu anderen italienischen Städten – keinerlei Parkprobleme. Ein riesiges unterirdisches Parkhaus liegt auf dem Glacis, das man ohne Ticket betreten kann. Das machte mich zunächst etwas nervös. Am Eingang stand allerdings geschrieben, dass man vor der Abfahrt bezahlen müsse. Als wir die Stadt verließen, ging ich also zur Kasse – gespannt, was passieren würde. Man musste nur das Kennzeichen des Autos eingeben, und der Automat berechnete 40 Cent für zwei Stunden Parkzeit. Offenbar funktioniert alles über Kameras, die das Fahrzeug bei der Einfahrt erfassen. Also: überhaupt kein Problem und fast kostenloses Parken.
Wenn man Lust hat, kann man in den Thermalquellen von Saturnia baden, die in den Hügeln hinter Grosseto liegen. In Sinterbecken unter freiem Himmel kann man kostenlos bei 37 Grad warmem Wasser baden – allerdings ist es dort sehr überlaufen. Als die Italiener schließlich auch noch ihre Hunde mitbrachten und anfingen, sie dort zu baden, sprang meine liebe Ehefrau auf und war kein zweites Mal ins Wasser zu bekommen.
Diese Halbinsel im Süden der Toskana im Tyrrhenischen Meer war einst eine Insel. Erst als der Fluss Albegna genug Sand und Schlamm angeschwemmt hatte und so drei schmale Landzungen entstanden, die die Insel mit dem Festland verbanden, wurde aus der Insel eine bergige Halbinsel. Der höchste Berg, der Monte Telegrafo, erreicht eine Höhe von 635 Metern über dem Meeresspiegel.
Zwei dieser Landzungen bilden die südliche und nördliche Verbindung zum Festland (Tombolo di Feniglia und Tombolo di Giannella). Die mittlere, auf der die kleine Stadt Orbetello liegt, reicht nicht bis zur Insel, sodass die Menschen sie mit einer Brücke ergänzten, über die Monte Argentario erreichbar ist.
Heute ist die Gegend ein attraktives Urlaubsziel. Früher jedoch hatte die Insel eine strategische Bedeutung, weshalb sie sehr begehrt war und oft den Besitzer wechselte. Schließlich fiel sie – wie auch das nahegelegene Grosseto – an die Republik Siena. Siena stand jedoch ständig in Konflikt mit dem mächtigeren Florenz und suchte Verbündete, die es gegen den nördlichen Nachbarn verteidigen konnten. Nach einem Bündnis mit den Visconti aus Mailand und einer kurzen Phase der Diktatur unter Pandolfo Petrucci entschied sich die Stadt im Jahr 1512, sich unter den Schutz von Kaiser Karl V. zu begeben und damit die spanische Oberhoheit anzunehmen. Ob das die richtige Entscheidung war, ist fraglich, denn schon bald herrschte unter den Italienern Unzufriedenheit mit der spanischen Regierungsweise. Das nutzte Cosimo de’ Medici, der erste Großherzog der Toskana.
Im Jahr 1555 – als Kaiser Karl, geplagt von Gicht und Depressionen, nicht mehr in der Lage war, zur Hilfe zu eilen (im selben Jahr dankte er ab, übergab die Kaiserwürde an seinen Bruder Ferdinand und die spanische Krone an seinen Sohn Philipp) – entschloss sich Siena zu einem fatalen Schritt: es verbündete sich mit Frankreich. Großherzog Cosimo gelang es im Namen des Kaisers nach langer Belagerung, Siena einzunehmen und seinem Großherzogtum einzuverleiben. Doch gemäß dem Vertrag zur Aufteilung der habsburgischen Ländereien fielen alle italienischen Besitzungen an Karls Sohn Philipp.
Um einen langen und erschöpfenden Krieg mit dem mächtigen spanischen König zu vermeiden, entschied sich Cosimo, den Spaniern bestimmte Gebiete abzutreten, an denen sie besonders interessiert waren – und das waren logischerweise Küstengebiete. So wurden die Hafenstadt Piombino, Teile der Insel Elba und eben Monte Argentario im Jahr 1557 spanisch – und blieben es für lange Zeit. Es entstand das Stato dei Presidi, also der „Staat der Festungen“. Dieses Gebiet blieb bis 1708 spanisch, als es im Zuge des Spanischen Erbfolgekrieges von Österreich erobert wurde. Im Jahr 1735 fiel es erneut an Spanien, danach ging es in den Besitz des Königreichs Neapel über. 1797 besetzte Napoleon die Halbinsel und gliederte sie in das neu geschaffene Königreich Etrurien ein, das 1807 von ihm wieder abgeschafft, woraufhin das gesamte Gebiet Teil des Französischen Kaiserreichs wurde. Erst der Wiener Kongress schuf 1815 endgültig Ordnung und gliederte alle diese Festungen dem Großherzogtum Toskana ein.
An die spanische Präsenz auf der Insel erinnern zahlreiche Festungen in den beiden Städtchen, die sich auf der Halbinsel befinden – Porto Santo Stefano und Porto Ercole. In Porto Santo Stefano gibt es eine Festung, die sich inmitten der Stadtbebauung befindet und daher leicht zu Fuß erreichbar ist.
Fortezza spagnola in Porto Santo Stefano
In Porto Ercole hingegen gibt es zwei deutlich größere Festungen, die auf Hügeln an beiden Seiten des Hafens errichtet wurden – der Aufstieg zu ihnen gleicht einer kleinen Bergwanderung.
Porto Ercole ist winzig, aber liebenswert – ein kleiner Hafen für Privatyachten, mit einer Promenade, an der sich eine Reihe kleiner Geschäfte und Restaurants befinden. Über dem Ort thronen die zwei bereits erwähnten riesige spanische Festungen, die einst die Zufahrt zum Hafen kontrollierten. In Porto Ercole starb im Jahr 1610 der Maler Caravaggio. Dieser geniale Raufbold führte ein intensives Leben und geriet praktisch überall, wo er hinkam, in Konflikte. 1606 tötete er in Rom einen Mann und musste fliehen. Er fand Zuflucht auf Malta (wo er ein Gemälde des heiligen Hieronymus malte), doch auch dort geriet er in Streit mit Ordensbrüdern und musste erneut fliehen. Er kam nach Porto Santo Stefano, wo er auf die Begnadigung aus Rom wartete. Doch wie ich bereits im Artikel über Grosseto schrieb, war das südliche toskanische Küstengebiet von Mücken und Malaria verseucht. Caravaggio erkrankte an Malaria und starb mit nur 36 Jahren. Sein Grab befindet sich in der Kirche Sant’Erasmo.
Porto Ercole
Der zweite Hafen, Porto Santo Stefano, ist hingegen ein touristisches Zentrum. Von hier legen Boote zu den Inseln des toskanischen Archipels ab, insbesondere zur größten Insel, Giglio. Diese ist 18 Kilometer entfernt, und dort ereignete sich am 13. Januar 2012 das tragische Unglück des Kreuzfahrtschiffs Costa Concordia, bei dem 32 Menschen ums Leben kamen.
Der Hafen von Porto Santo Stefano ist deutlich größer und wunderschön.
Porto Santo Stefano
Die Häuser sind gepflegt, es gibt viele Restaurants mit herrlichem Blick auf das Meer, und ein riesiger Parkplatz erleichtert den Besuch. Es gibt zwei Buchten, auf der Landzunge dazwischen steht die dem heiligen Stephan – dem ersten Märtyrer – gewidmete Kirche Chiesa arcipretale di Santo Stefano Protomartire. Die Kirche wurde noch zur spanischen Zeit im Jahr 1750 erbaut, im Zweiten Weltkrieg jedoch von den Deutschen völlig zerstört und nach dem Krieg wiederaufgebaut. Sie wurde am 26. Dezember 1950 – am Stephanstag – erneut geweiht.
Über der Stadt erhebt sich stolz die spanische Festung Fortezza Spagnola. Ein riesiger Steinbau mit zwei Stockwerken und Terrassen, von denen man einen traumhaften Blick über die Stadt und das Meer hat. In der Festung befindet sich ein Museum mit etruskischen Ausgrabungen und aus dem Meer geborgenen Artefakten, denn die gesamte Region war ursprünglich von den Etruskern besiedelt, bevor sie unter die Verwaltung der Römer kam – insbesondere der Familie Ahenobarbi. Diese wurde durch Geldverleih reich, und von ihnen stammt auch der Name der Halbinsel: „Argenti“ hießen im Römischen Reich die Schuldscheine.
Dass sich Porto Santo Stefano und ganz Monte Argentario ihren Charme bewahrt haben, ist Susanna Agnelli zu verdanken – der Enkelin des Fiat-Gründers Gianni Agnelli. Sie war hier Bürgermeisterin und sorgte dafür, dass keine Hochhäuser gebaut wurden und der Massentourismus fernblieb. Die Region konnte sich so ihren familiären Charakter erhalten. Ein großes Dankeschön an sie!
Am nördlichen Verbindungsarm der Halbinsel zum Festland gibt es zwar einige Apartmentanlagen und Hotels, doch baden kann man hier nicht – die Wasserqualität ist zu schlecht. Über diese Route gelangt man weiter in den Süden nach Grosseto oder Saturnia.
Auf dem mittleren „Finger“, der erst durch eine Brücke vervollständigt wurde, liegt das Städtchen Orbetello. Die Kathedrale dort hat eine gotische Fassade aus dem 14. Jahrhundert, wurde jedoch im 16. Jahrhundert im spanischen Stil umgebaut.
Orbetello Kathedrale
Von der spanischen Besatzung zeugen auch die Vizekönigsresidenz auf der „Piazza Eroe dei Due Mondi“, eine Festung sowie die Stadtmauern.
Der südliche „Finger“ ist nicht befahrbar, doch von Porto Ercole aus gelangt man zum einzigen wirklich schönen Strand Feniglia – lang, sandig und mit der nötigen Infrastruktur ausgestattet.
Übrigens suchte der Komponist Giacomo Puccini in der Nähe der südlichen Landverbindung bei Ansedonia Linderung für seine Lungenkrankheit – die er sich durch sein leidenschaftlichen Tabakkonsum zugezogen hatte. Der Torre Puccini ragt dort über dem Meer empor – jedoch ist es schwierig, dorthin zu gelangen. Uns gelang es nicht. Der Turm befindet sich angeblich im Privatbesitz und ist der Öffentlichkeit nicht zugänglich.
Wer dann Lust auf ein wenig Nervenkitzel hat: Eine Rundstraße führt um Monte Argentario – nur teilweise asphaltiert, entsprechend schmal, aber mit spannenden Momenten und herrlichen Ausblicken.
Als Urlaubsziel ist dieses eher unauffällige Fleckchen Italiens bestens geeignet: zum Baden, Wandern oder als Ausgangspunkt für Ausflüge ins Umland – etwa nach Grosseto, Saturnia oder Tarquinia. Alles ist von hier aus gut erreichbar.
Tarquinia ist ein nettes Städtchen mit etwa 15.000 Einwohnern in der Nähe des Tyrrhenischen Meeres, das auf eine lange und bewegte Geschichte zurückblicken kann. Genau das macht es interessant – archäologische Funde aus der Umgebung haben es zu einem der spannendsten historischen Reiseziele in Italien gemacht.
Gegründet wurde es irgendwann im zwölften Jahrhundert vor Christus und erlebte seine Blütezeit im sechsten Jahrhundert v. Chr., als es Tarchuna hieß und die letzten Könige, die über Rom herrschten, von dort stammten. Der letzte von ihnen, Lucius Tarquinius Superbus, wurde im Jahr 509 v. Chr. aus Rom verbannt, womit Rom zur Republik wurde. “Verbannt” ist vielleicht nicht ganz zutreffend – der König befand sich gerade auf einem Feldzug, als die Römer ihm einfach die Stadttore versperrten und ihn nicht mehr hineinließen.
Tarchuna war eines der zwölf Städte des etruskischen Städtebundes und musste früher oder später in Konflikt mit dem nahen Rom geraten. Als es 358 v. Chr. so weit war, besiegten die Tarchuner zwar die Römer, versäumten es jedoch, sie zu vernichten. Es folgten mehrere Niederlagen und schließlich ein 40-jähriger Friedensvertrag im Jahr 351, der 308 um weitere vierzig Jahre verlängert wurde. Doch die Römer hatten nicht genug Geduld und gliederten die Stadt bereits im Jahr 281 v. Chr. in ihr Territorium ein. Die Stadt erhielt den neuen Namen Tarquinii und verlor an Bedeutung. Die Nähe zum Meer erwies sich als Segen, aber auch als Fluch. Einerseits brachte der Hafen von Gravisca der Stadt in einer Zeit, in der das Reisen über Wasser viel schneller und sicherer war als über Land, satte Gewinne und Wohlstand. Andererseits führte dies im achten Jahrhundert zur völligen Zerstörung der Stadt durch die Sarazenen, die im Hafen landeten und die Stadt dem Erdboden gleichmachten.
Die Bewohner machten sich nicht einmal die Mühe, die Ruinen wieder aufzubauen, sondern zogen auf den benachbarten Hügel und gründeten dort eine neue Stadt mit dem Namen Corneto. Im Jahr 1872 beschlossen sie jedoch, zu ihren Wurzeln zurückzukehren, und die Stadt wurde wieder in Tarquinia umbenannt. Ab 1922 verschwand der Name Corneto endgültig – Benito Mussolini, der stolz auf die alte Geschichte seines Landes war, war dies lieber so.
Tarquinia ist also eigentlich nicht Tarquinia – und trotzdem lohnt sich ein Besuch. Auf den ersten Blick wirkt es wie ein kleines San Gimignano mit vielen Türmen städtischer Paläste und großteils erhaltenen mittelalterlichen Stadtmauern.
Parken ist kein Problem – es gibt einen großen Parkplatz direkt bei der Touristeninformation, und der liegt außerdem in einem Park, sodass man das Auto im Schatten abstellen kann. Die Touristeninformation befindet sich in einem riesigen Gebäude eines ehemaligen Klosters, und die freundliche junge Frau dort sprach sehr gut Englisch.
Das wichtigste Gebäude der Stadt ist natürlich das Archäologische Museum, das sich direkt hinter dem Stadttor im „Palazzo Vitelleschi“ befindet.
Palazzo Vitelescchi
Dieser prachtvolle Renaissancepalast hat seine eigene Geschichte und wäre vermutlich auch ohne die vielen ausgestellten Exponate, die in der Nekropole des einstigen etruskischen Tarchuna gefunden wurden, einen Besuch wert.
Der Palast wurde vom einheimischen Kardinal Giovanni Vitelleschi in Auftrag gegeben, einer der schillerndsten Figuren der aufkommenden Renaissance. Vitelleschi war weit mehr ein Soldat und Condottiere als ein Geistlicher – was seiner kirchlichen Karriere jedoch nicht im Wege stand, insbesondere weil er sich in den unruhigen Zeiten gut zu positionieren wusste und auf die „richtige Seite“ stellte. Im Jahr 1431 wurde in Rom Eugen IV. zum Papst gewählt. Gegen ihn erhoben sich die Mitglieder der Familie Colonna, aus der sein Vorgänger Martin V. stammte, der auf dem Konzil von Konstanz im Jahr 1417 gewählt worden war. Die Colonnas hatten von ihrem Verwandten große Besitzungen in und um Rom erhalten, darunter auch die Engelsburg, und hatten das Gefühl, dass der neue Papst nicht vorhatte, diesen ihren Riesenbesitz unangetastet zu belassen. 1434 lösten sie in Rom einen Aufstand gegen den neuen Papst aus, der am 4. Juni jenes Jahres verkleidet in einem kleinen Boot, bedeckt mit Schilden, fliehen musste, während ihn die Menge vom Ufer aus mit Steinen und Pfeilen attackierte. Eugen gelang die Flucht, er fand Asyl in Florenz, er wollte allerdings Rom keineswegs aufgeben.
Giovanni Vitelleschi blieb ihm treu und bot sich als idealer Befehlshaber der päpstlichen Truppen an. Die Wette des Papstes ging auf – schon im Oktober unterwarf Vitelleschi Rom mit brutaler Gewalt, das sich wieder einmal kurz als Republik versuchte. Er entzog den Bürgern sämtliche Rechte und zwang den Stadtsenat, ihn zum „tertius pater patriae post Romulum“ – also zum „dritten Vater der Stadt nach Romulus“ – zu ernennen. Er herrschte mit harter Hand, und der Papst dankte ihm für seine Loyalität unter anderem, indem er ihn zum Erzbischof von Florenz und zum lateinischen Patriarchen von Alexandria ernannte. 1437 erhob Papst Eugen Vitelleschi schließlich auch zum Kardinal. Von den Aktivitäten ihres berühmten Sohnes profitierte auch die Stadt, die damals noch Corneto hieß. 1435 verlieh ihr der Papst die Stadtrechte und machte sie zum Bischofssitz.
Gerade in jener Zeit, auf dem Höhepunkt seiner Macht, ließ sich der frisch ernannte Kardinal in seiner Heimatstadt Tarquinia einen Palast erbauen – die Bauzeit war von 1436 bis 1439. Und so sieht der Palast auch aus. Es ist ein repräsentativer Sitz eines Mannes, der im Grunde die katholische Kirche beherrschte – und sich dessen auch bewusst war. Besonders das Obergeschoss mit den privaten Räumen war reich mit Fresken geschmückt, und kein Geringerer als Filippo Lippi malte 1437 die Madonna für die Kapelle des Kardinals. Diese Madonna, bekannt als „Madonna von Tarquinia“, gehört zu den Juwelen der italienischen Renaissancemalerei.
Madonna de Tarquinia von Filippo Lippi
Kardinal Giovanni konnte seinen neuen Luxus jedoch nicht lange genießen – hauptsächlich, weil er das Maß nicht kannte. 1440 begann der Papst ihm zu misstrauen, denn er sah, wie Vitelleschi immer mehr Macht an sich riss. Es gelang, Briefe abzufangen, die der Kardinal mit einem der berühmtesten Condottieri seiner Zeit, Niccolò Piccinino, austauschte, der gerade in der Toskana wütete. Der Papst fürchtete – möglicherweise zu Recht –, dass diese beiden Herren ihn stürzen wollten und Vitelleschi vielleicht selbst nach der Papstkrone strebte. Er ließ ihn daher hinterhältig von seinem Kastellan der Engelsburg, Antonio Rido, gefangen nehmen. Vitelleschi leistete bei der Verhaftung offenbar Widerstand, denn offiziell starb er kurz darauf an den Folgen seiner Verletzungen.
Heute befindet sich in seinem Palast das Archäologische Museum mit den reichhaltigsten etruskischen Funden in ganz Italien. Zahlreiche Grabsteine – männliche wie weibliche, aus Stein oder Keramik – und viele Fundstücke aus diesen Gräbern sind dort zu sehen. Die Etrusker waren recht konservativ, lehnten lange die neue Methode der roten Figurenkeramik ab und blieben bei der alten Technik der schwarzen Figuren. Ihre Spezialität waren Gefäße, die unter Sauerstoffausschluss in Kohlenmonoxid gebrannt wurden, wodurch sie ihre intensive schwarze Farbe erhielten. Was die auf der Keramik dargestellten Themen betrifft, waren sie allerdings nicht allzu konservativ – auf Tellern und Gefäßen gibt es viele erotische Szenen. Interessant fand ich, dass dabei nicht nur der klassische Geschlechtsverkehr von hinten dargestellt ist, sondern auch der in der Missionarsstellung – ich dachte, diese sei erst von den Christen eingeführt worden, aber offenbar lag ich falsch.
Im Museum gibt es neben der Madonna von Lippi auch mehrere rekonstruierte etruskische Gräber mit Wandmalereien sowie eine große numismatische Sammlung. Die Hauptattraktion ist eine Sammlung goldener Münzen (ich zählte 174) aus der Zeit der römischen Kaiser Valentinian I., Valentinian II., Theodosius, Arcadius und Honorius. Diese wurden bei Ausgrabungen in Gradisca entdeckt. Wahrscheinlich hatte ein unglaublich reicher Mensch diesen Schatz vergraben, um ihn vor den herannahenden Westgoten unter Alarich zu verbergen, die Italien im Jahr 410 verwüsteten. Offenbar überlebte er den Gotensturm nicht und konnte das Gold nie wieder ausgraben.
Der berühmteste archäologische Fund ist allerdings ein Fragment einer Statue geflügelter Pferde, das zum Symbol von Tarquinia wurde. Es ist in einem eigenen Saal im obersten Stockwerk des Gebäudes ausgestellt.
Die Hauptachse der Stadt ist die „Corso Vittorio Emanuele“, auf der man bis zum Hauptplatz „Piazza G. Matteotti“ mit dem reizenden „Palazzo Comunale“ hinaufspazieren kann.
Palazzo Communale
Aber Achtung! Bestellt euch auf keinen Fall weißen Wein in der Bar auf diesem Platz! Wir bekamen ein schrecklich saures Gesöff, vermutlich Apfelwein, und die Kellnerin wollte nicht verstehen, dass wir unter Wein etwas völlig anderes verstehen. Es mag sich um eine lokale Spezialität handeln – aber auf die kann man mit gutem Gewissen verzichten. Das so etwas in Italien passieren konnte, war für mich vollkommen unvorstellbar.
Das Städtchen selbst ist mit seinen steinernen Gebäuden und den vielen Türmen und Kirchen charmant. Der Dom („Duomo“) ist etwas eigenartig, denn obwohl er im klassizistischen Stil umgebaut wurde, blieb die Apsis in ihrem gotischen Stil erhalten. Diese sowie die Seitenkapellen sind mit Fresken von Antonio da Viterbo aus dem Jahr 1509 geschmückt. Die Kirche wirkt dadurch etwas uneinheitlich, aber die Fresken anzuschauen lohnt sich auf jeden Fall.
Die Hauptattraktion von Tarquinia liegt jedoch außerhalb der Stadt – auf der „Necropoli Etrusca“, auch Monterozzi genannt. Eintrittskarten kann man zusammen mit denen für das Museum kaufen, und ein großer Parkplatz befindet sich direkt vor dem Eingang. Das Problem ist nur, ihn zu finden. Als wir uns auf das GPS und die Beschilderung verließen, landeten wir irgendwo im Niemandsland. Erst als wir die Adresse „Via di Ripagretta“ eingaben, kamen wir an den richtigen Ort.
Diese etruskische Nekropole erinnert stark an das Tal der Könige in Ägypten. Es sind einige Gräber zugänglich. Man steigt über Treppen hinunter in die Grabkammern, die wunderschön geschmückt sind – bemalt mit Naturmotiven, aber vor allem mit Szenen von Festen und Banketten. Das brachte den britischen Schriftsteller D.H. Lawrence, der die Ausgrabungen im April 1927 besuchte, auf die Idee, dass die Etrusker sich auf den Tod freuten und ihn als Befreiung von den irdischen Mühen sahen. Vielleicht lag das auch daran, dass Lawrence an Tuberkulose litt und seinen eigenen Tod nahen fühlte. Er starb im März 1930 im Alter von 44 Jahren, und sein Werk „Etruscan Places“ erschien erst postum im Jahr 1932.
Wir sind in mehrere Gräber hinabgestiegen, die heute durch Glaswände vom Publikum getrennt sind, um zu verhindern, dass Feuchtigkeit an die Fresken gelangt und sie beschädigt. Am schönsten ist meiner Meinung nach die „Tomba dei Leopardi“, mit einer wunderschön erhaltenen Malerei eines Festmahls, wo dem Verstorbenen von links Speisen und Getränke von Dienern gebracht werden, während von rechts Musik gespielt wird. Über seinem Kopf befindet sich das Bild zweier Leoparden, nach denen das Grab benannt wurde.
Übrigens: Nur 5 Kilometer von der Stadt entfernt liegen schöne Strände, die sich hervorragend zum Baden eignen. So lässt sich eine Bildungsreise wunderbar mit dem Genuss eines Meeresbades verbinden.
Rom war nicht immer der Nabel der Welt und der Sitz des Oberhauptes der katholischen Kirche. Es gab Zeiten, in denen die Päpste außerhalb Roms residierten – und manchmal sogar für recht lange Zeiträume. Die Stadt Viterbo lebt bis heute von einer dieser berühmten Episoden ihrer Geschichte im 13. Jahrhundert.
Doch die Einwohner Viterbos geben sich nicht damit zufrieden, dass in den Mauern ihres „Sala del Conclave“ einst fünf Päpste gewählt wurden. Sie behaupten sogar, ihre Stadt sei von niemand Geringerem als dem biblischen Urvater Noah gegründet worden. Damit würden sie das Recht beanspruchen, sich als älteste Stadt Italiens – wenn nicht der Welt – zu bezeichnen. Als jedoch der Maler Baltassare Croce bei der Ausgestaltung des Rathaussaals „Palazzo dei Priori“ statt Noah Herkules malte, waren sie dennoch zufrieden.
Zu den berühmten Persönlichkeiten, die aus Viterbo stammen sollen, gehört auch der byzantinische Kaiser Michael Palaiologos, der Eroberer Konstantinopels im Jahr 1261. Die Einwohner stört dabei wenig, dass der griechische Kaiser damals den lateinischen Kaiser aus Konstantinopel verjagte – ein orthodoxer und damit eigentlich häretischer Herrscher, der einen rechtgläubigen besiegte und verbannte. Für eine Stadt mit päpstlicher Geschichte ist das ein beeindruckendes Zeichen von Toleranz. Das Porträt von Michael Palaiologos schmückt die Stirnwand des Rathaussaals „Sala Regia“.
Kaiser Michail Palailogos
All diese Legenden – oder vielleicht eher Märchen – beruhen auf den Schriften von Annius von Viterbo, einem Humanisten des 15. Jahrhunderts, der seine Heimatstadt berühmt machen wollte und dabei seiner Fantasie freien Lauf ließ. Seine Leistung wurde schließlich mit seinem Porträt in einem der Fresken der „Sala Regia“ gewürdigt. Der „Sala Concilii“ ist mit einfarbigen Fresken von Teodoro Siciliano verziert, die zwar weniger auffällig sind, dafür aber den Raum, in dem bis heute das Stadtparlament tagt, in eine feierliche Atmosphäre tauchen.
Der „Palazzo dei Priori“ auf der „Piazza del Plebiscito“ ist allein schon wegen dieser seinen kunstvoll gestalteten Sälen einen Besuch wert. Dieser malerische Platz im Herzen der von historischen Mauern umgebenen Altstadt wird zudem vom „Palazzo del Podestà“ und dem Gebäude der Präfektur geschmückt. Ein absolutes Highlight ist dann die Terrasse mit einem Brunnen im Innenhof des „Palazzo dei Priori“. Von hier aus bietet sich ein atemberaubender Blick über die Stadt.
Die Terasse Palazzo dei Priori
Doch das wahre historische Zentrum liegt ein Stück weiter auf der „Piazza di San Lorenzo“, wo sich neben der Kathedrale auch der päpstliche Palast „Palazzo dei Papi“ erhebt.
Palazzo dei Papi
Um die Geschichte zu spüren, muss man die Treppen zur Terrasse des Palastes mit ihrem herrlichen Blick auf die Stadt hinaufsteigen und betritt dann den Saal, in dem Geschichte geschrieben wurde. Über dem Eingang prangen die Porträts der fünf Päpste, die hier gewählt wurden. Doch einfach war es nicht, besonders im Jahr 1271.
In Viterbo gewählte Päpste
1268 starb in Viterbo Papst Clemens IV., und die 18 Kardinäle, die seinen Nachfolger wählen sollten, fanden drei Jahre lang keinen Konsens. Eine Fraktion unterstützte den Kandidaten von Karl von Anjou, dem König von Neapel, die andere wollte auf die Wahl des römischen Königs warten. Das römische Reich befand sich seit dem Jahr 1254 in einem Interregnum, also ohne einen legitimen Herrscher. Der endlose Aufenthalt der Kardinäle kostete die Stadt Viterbo viel Geld und das strapazierte die Geduld der Stadtverwaltung. Schließlich beschlossen Bürger unter der Führung des Franziskaner-Generals Bonaventura, im Januar 1270 alle Ausgänge des Palastes zuzumauern. Als das nicht reichte, ließ Karl von Anjou im Mai das Dach des Saals entfernen. Es regnete hinein, die Sonne brannte, die Kardinäle suchten Schutz unter Zelten, die sie notfallmäßig aufgestellt hatten – die Löcher zur Befestigung der Zelten sind noch heute in dem Steinboden des Saales sichtbar. Schließlich, am 1. September 1271, wurde Teobaldo Visconti zum Papst gewählt, der sich gerade im Heiligen Land aufhielt. Also dauerte es weitere vier Monate, bis er in Italien erschien. Er nahm den Namen Gregor X. an.
Eine Urkunde, in der sich die Kardinäle über die Umstände ihres Aufenthaltes beschweren
1276, das Jahr der vier Päpste, war noch chaotischer. Eigentlich wurden fünf Päpste gewählt, aber einer starb bereits am Tag nach seiner Wahl und konnte daher nicht geweiht werden. Deshalb zählt er nicht. Symptomatisch ist, dass unter den fünf Päpsten, die in Viterbo gewählt wurden – Urban IV., Gregor X., Johannes XXI., Nikolaus III. und Martin IV. – schickte Dante in seiner „Göttlichen Komödie“ zwei in das Fegefeuer und zwei direkt in die Hölle. Nur Johannes XXI. schaffte es in seinen Augen in den Himmel. Er war ein Gelehrter aus Portugal, der sich der Alchemie widmete und möglicherweise bei einem Experiment starb.
Wenn Sie den Audioguide (kostenlos) nutzen, erfahren Sie alles über diese Wahlen bis ins kleinste Detail.
Auf der einen Seite des Platzes steht die Kathedrale San Lorenzo, ursprünglich eine romanische Kirche, die später mit gotischen Elementen erweitert wurde. Irgendwo in dieser Kathedrale soll Papst Alexander IV. begraben sein, der 1261 in Viterbo starb. Dieser unfähige Papst widmete sein Leben dem Kampf gegen die staufische Herrschaft, vertreten durch Manfred von Sizilien, den Sohn Kaiser Friedrichs II. Doch in den Auseinandersetzungen mit Manfred unterlagen die Guelfen, die Anhänger des Papstes, besonders verheerend in der Schlacht von Montaperti. Alexander starb in Viterbo. Aus Angst vor der Entweihung der Leiche versteckten die Kanoniker den toten Papst so gut, dass sein Grab bis heute unentdeckt geblieben ist.
Neben der Kathedrale befindet sich die Sakristei, die 1793 unter Bischof Giovanni Carlo Bandi im klassizistischen Stil erbaut wurde. Ihre Wände sind mit Holz verkleidet und tragen das Wappen des Bischofs. Von hier aus gelangt man in das archäologische Museum „Museo Civico“. Im Museum sind etruskische Artefakte sowie Werke von drei Künstlern aus Viterbo zu sehen, auf die die Stadt besonders stolz ist: Domenico Corvi, Ludovico Mazzanti und Bartolomeo Cavarozzi. Besonders beeindruckend ist der Evangelist Johannes von Mazzanti.
Johann Evangelist von Ludovico Mazzanti
Nach Verlassen der „Piazza San Lorenzo“ führt der Weg am prächtigen Palazzo Farnese vorbei zur „Piazza della Morte“, dem „Platz des Todes“. Dass hier Hinrichtungen stattgefunden haben, entspricht anscheinend nicht der Wahrheit. Der Name könnte auf die Tätigkeit der „Confraternità della Misericordia“ zurückgehen, die Kranke pflegte und Verstorbene beerdigte. Der Friedhof war damals in der Nähe dieses Platzes.
In der mittelalterlichen Viertel „San Pellegrino“, der einstigen Handwerkersiedlung, ist der historische Charme Viterbos besonders lebendig. Hier befindet sich auch die romanische Kirche „Santa Maria Nuova“ mit einer ungewöhnlichen Außenkanzel. Von hier predigte der berühmte Thomas von Aquin, der auf Einladung von Papst Clemens IV. 1267–1268 in Viterbo gegen Häresie predigte. Die Kanzel ist nicht in der Kirche aber auf einer Ecke auf der Außenseite gebaut. Offensichtlich hatte der heilige Thomas zu dieser Zeit noch nicht seine legendäre Körperfülle, da er sonst in die verhältnismäßig kleine Kanzel nicht passen würde.
Die Kanzel der Kirche Santa Maria Nuova
Abschließend ist die „Piazza Fontana Grande“ mit dem „Fontana Grande“ ein Muss – der Bau des Brunnens begann 1206 und wurde 1424 abgeschlossen.
Weitere Sehenswürdigkeiten findet man im nördlichen Teil der Stadt bei der „Porta Fiorentina“ (wo man problemlos unter den Stadtmauern in der Nähe des großen Parks parken kann). Das Zentrum dieses Stadtteils bildet die „Piazza Verdi“ – logisch mit dem Stadttheater. In unmittelbarer Nähe befindet sich jedoch die Wallfahrtskirche „Santuario di Santa Rosa“, wo die sterblichen Überreste der Stadtpatronin, der Heiligen Rosa, aufbewahrt werden. Sie lebte von 1233 bis 1252. Während ihres kurzen Lebens soll sie durch zahlreiche Wunder berühmt geworden sein, vor allem jedoch durch ihr politisches Engagement. Als siebzehnjähriges Mädchen versuchte sie mit flammenden Reden die Bevölkerung von Viterbo zu überzeugen, auf der Seite von Papst Innozenz IV. im Kampf gegen Kaiser Friedrich II. auszuharren. Dies gelang ihr nicht vollständig, sie musste sogar zusammen mit ihren Eltern aus der Stadt fliehen und kehrte erst nach dem Tod des Kaisers zurück. Nach mehreren vergeblichen Versuchen, in den Klarissenorden einzutreten – was ihr aufgrund der Unfähigkeit, eine angemessene Mitgift aufzubringen, verweigert wurde –, starb sie im Alter von achtzehn Jahren an der dadurch verursachten Depression. Heute wird ihr Leichnam im „Sanctuario de Santa Rosa“ aufbewahrt, einem Klarissenkloster, das sie damals abgelehnt hatte. In der Nähe des Klosters zeigt man ihr Geburtshaus, und eines der Stadttore ist sogar nach ihr benannt. Am 3. September tragen 90 Männer einen mehrere Tonnen schweren Turm von San Sisto nach Viterbo.
Bevor man Viterbo verlässt, lohnt es sich, die gigantische Kirche San Francesco in der Nähe des Tores Porta Fiorentina zu besuchen. Dort befinden sich zwei monumentale Grabmäler von Päpsten, die in Viterbo gestorben sind – und deren Leichname im Gegensatz zu Alexander IV. nicht versteckt werden mussten. Vielleicht, weil es inzwischen gelungen war, die Staufer zu besiegen, auszurotten und Italien unter päpstliche Kontrolle zu bringen. (Diese Kontrolle war allerdings relativ, die Päpste taten zwar so, als ob sie herrschten und Karl von Anjou ihnen diente, aber in Wirklichkeit war es umgekehrt. Dennoch mussten sie nicht mehr um die Schändung ihrer Leichname fürchten).
Es handelt sich um die Grabmäler des bereits erwähnten Clemens IV. und vor allem von Hadrian V., die sich durch schöne, farbenfrohe Marmor- und Glas-Mosaiken auszeichnen, die in weißen Marmorstein eingelassen sind.
Die Grabstätte von Hadrian V.
Auf dem Boden befinden sich runde Steine, die an zwei Päpste erinnern, die diese Kirche besuchten: Pius XII., der am 9. Dezember 1949 hier war, und Johannes Paul II., der am 27. Mai 1984 hier war – aber der war ja sowieso überall.
Übrigens war der Grund, warum die Päpste so gerne in Viterbo wohnten, natürlich die dortigen Thermalbäder. Die „Terme dei Papi“ oder „Päpstlichen Bäder“ liegen etwa 3 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt, und ihrem schwefelhaltigen Wasser werden heilende Wirkungen zugeschrieben. Es gibt dort auch Schlammbäder. Sie sind immer noch in Betrieb.
Mittelitalien wird von drei großen, schönen Seen geschmückt: dem „Lago di Trasimeno“, dem „Lago di Bracciano“ und dem „Lago di Bolsena“. In der Nähe des letztgenannten befinden sich zwei touristisch äußerst attraktive Ziele, die ich nicht unerwähnt lassen kann.
Etwa 20 Kilometer von Orvieto entfernt liegt das Städtchen Bagnoregio. Ich danke Facebook dafür, dass mir jemand eine Luftaufnahme dieses kleinen Juwels geschickt hat – dadurch habe ich es in meine Reiseroute aufgenommen. Das habe ich keineswegs bereut. Allerdings hatte es einen Haken.
Civita vecchia de Bagnoregio
Wir parkten bequem auf einem großen Parkplatz unterhalb der Stadt vor dem Stadttor Porta Albana, wo ein Denkmal Sacrario Garibaldino steht, weil hier, unter der Stadt, stellten sich im Jahr 1867 die Freiwiligen Garibaldis der päpstlichen Armee bei ihrem Marsch auf Rom – und verloren. Wir machten uns auf der Hauptstraße in die Richtung auf, in die das Schild „Civitas Vecchia“, also zur Altstadt, wies. Ich wusste allerdings nicht, wie weit es tatsächlich war. Nachdem wir etwa zwei Kilometer gegangen waren – und damit fast die Hälfte der Parkzeit verbraucht hatten, die ich bezahlt hatte –, stellten wir fest, dass es direkt in der Nähe der Altstadt noch einen weiteren Parkplatz gab. Nur geringfügig teurer und ziemlich gut erreichbar. Also machten wir uns im schnellen Schritt wieder zwei Kilometer zurück zum Auto und parkten um. Immerhin kamen wir auf diese Weise an der Stadtverwaltung der neuen Stadt und an einer Kirche vorbei, die einem berühmten Sohn der Stadt gewidmet ist – dem wir später noch mehrmals begegnen sollten. Diese Kirche befindet sich direkt am Porta-Albani. Doch auch die Stadtkathedrale auf der Piazza Cavour ist dem heiligen Nikolaus, dem heiligen Donatus sowie diesem berühmten Sohn der Stadt gewidmet, der in Bagnoregio einfach allgegenwärtig ist. Bagnoregio wurde bereits im sechsten Jahrhundert von Papst Gregor dem Großen zum Bischofssitz erhoben. Bis zum Jahr 1699 residierte der Bischof in der Altstadt, bevor er in die neue Stadt umzog, die leichter zugänglich ist und mehr Komfort bietet.
Es handelt sich um den heiligen Bonaventura, einen berühmten Philosophen und Schriftsteller des Franziskanerordens, der im 13. Jahrhundert lebte. Besonders bekannt wurde er durch seine apokalyptischen Visionen, in denen er das Ende der Welt und das Kommen des Antichristen voraussagte. Er war überzeugt, dass der Antichrist bereits geboren sei und sich auf seinen entscheidenden Angriff gegen das Christentum vorbereite – er identifizierte ihn mit Kaiser Friedrich II., der 1195 geboren wurde. Bonaventura wurde auch dadurch berühmt, dass er im Jahr 1270 die Bürger von Viterbo davon überzeugte, die Türen des Saales zuzumauern, in dem sich die Kardinäle bereits drei Jahre lang bei einem Konklave nicht auf einen neuen Papst einigen konnten. Doch selbst das half nicht – der damalige (inoffizielle) Herrscher Mittelitaliens, Karl von Anjou, musste den Kardinälen sogar das Dach abnehmen und die Lebensmittelzufuhr einschränken, bis sie schließlich Teobaldo Visconti wählten, der den Namen Gregor X. annahm. Der Legende nach soll Bonaventura sogar ein ernstzunehmender Kandidat für das Papstamt gewesen sein – aber das ist wohl eher ein Mythos. Ich kann mir schwer vorstellen, dass verärgerte Kardinäle, eingemauert und auf Brot und Wasser gesetzt, ihren „Gefängniswärter“ gewählt hätten. Gregor X. ernannte Bonaventura jedoch zum Kardinal und beauftragte ihn mit der Vorbereitung eines Kirchenkonzils in Lyon. Während dieser Vorbereitungen starb Bonaventura 1274 in Lyon. Sein Denkmal befindet sich in der Neustadt auf dem Platz vor der Kirche Chiesa Santa Annunziata. Auf dem Denkmal sind drei Geschichten aus seinem Leben dargestellt: seine wunderbare Heilung durch den heiligen Franziskus, seine Begegnung mit dem heiligen Thomas von Aquin und seine Tätigkeit beim Konzil in Lyon.
Das Denkmal des heiligen Bonaventura
Das Geburtshaus des heiligen Bonaventura befindet sich in Bagnoregio, in der „Civitas Vecchia“, ist jedoch ohne Führer nur schwer zu finden – uns ist es jedenfalls nicht gelungen. Dafür gibt es eine Höhle, in der er der Legende nach gelebt haben soll – diese befindet sich jedoch nicht in der Altstadt, sondern unterhalb des Aussichtspunkts auf diese, dem sogenannten „Belvedere“ im Park Falcone e Borsellino am äußersten Ende der Neustadt.
Die Grotte des heiligen Bonaventura
Bonaventura war als Kind – damals hieß er noch Giovanni Fidanza – schwer krank, und der heilige Franziskus heilte ihn durch seinen Segen. Der Legende nach besuchte die dankbare Mutter mit dem Jungen den sterbenden Franziskus (sein Sterben zog sich über längere Zeit hin), und Franziskus soll beim Anblick des Kindes ausgerufen haben: „Buona ventura“, was so viel bedeutet wie „gute Zukunft“. Wenn es nicht wahr ist, dann ist es immerhin eine gut erfundene Geschichte – Giovanni nahm diesen Namen später beim Eintritt in den Franziskanerorden an. Er studierte an der Sorbonne in Paris und wurde im Jahr 1257 zum General des Franziskanerordens gewählt – die Legende könnte bei der Wahl eine wichtige Rolle gespielt haben. Aufgrund seines Wirkens im Orden wird er manchmal als „zweiter Gründer des Ordens“ bezeichnet. Heiliggesprochen wurde er im Jahr 1482 von dem eher problematischen Papst Sixtus IV. – dem Erbauer der Sixtinischen Kapelle, der 1478 angeblich den Mordanschlag auf die Medici-Brüder Lorenzo und Giuliano angestiftet haben soll (wobei nur Giuliano getötet wurde).
Bagnoregio ist jedoch auch ohne seinen berühmten Sohn für einen Besuch verlockend. Die Stadt liegt auf einem Tufffelsen inmitten eines weiten, grünen Tals, das nichts anderes sein kann als eine riesige vulkanische Caldera. Der Felsen, auf dem die Stadt steht, ist eigentlich ein Vulkanschlot, also eine Magmaausfüllung im Inneren des Kraters. Der Vulkan ist jedoch nicht mehr aktiv – die Stadt wurde einst von den Etruskern erbaut und bislang von keinem Ausbruch zerstört. Allerdings wurde die Altstadt von einem Erdbeben im Jahr 1695 in Mitleidenschaft gezogen worden, was den damaligen Bischof dazu bewegte, den Bischofsitz im Jahr 1699 von der Altstadt in die Neustadt zu verlegen. Bagnogerio wurde bereits im sechsten Jahrhundert durch ein Dekret von dem Papst Gregor dem Großen zum Bischofsitz. Erreichen kann man die Altstadt nur über eine Brücke, und aus der Ferne wirkt sie wie eine Ruine. Tritt man jedoch durch das Stadttor ein, ist man überrascht, wie lebendig sie ist.
Es gibt eine romanische Kirche, wo der Leichnam des heiligen Hildebrand als eine heilige Reliquie aufbewahrt ist – der heilige war in den Jahren 856 – 873 der Bischof von Bagnoregio – an Heiligen mangelte es in Italien nie.
Der heilige Hildebrand
Weiter gibt es hier zahlreiche Restaurants, Hotels, Apartments, ein geologisches Museum, und man kann etruskische Höhlen besichtigen, die vor zweieinhalbtausend Jahren von den damaligen Bewohnern in den Felsen gehauen wurden. Romantische Gassen zwischen steinernen Häusern, viel Grün, herrliche Ausblicke auf die grünen und felsigen Wände des Tals, das die Stadt von allen vier Seiten umgibt – es ist ein Ort der Ruhe und des Genusses. Jedenfalls bis die Touristenmassen eintreffen.
Deshalb lohnt es sich, die Stadt bereits am Morgen zu besuchen – gegen elf Uhr verwandelt sie sich nämlich in ein wahres Babylon. Touristengruppen strömen durch die engen Gassen, die Reiseleiter winken mit Fähnchen und ziehen ihre Gruppen hinter sich her. Das ist dann der richtige Moment, diesen wunderbaren Ort wieder zu verlassen, bevor der Eindruck getrübt wird.
Im neuen Stadtteil gibt es außerdem noch ein weiteres Museum, das einen Besuch wert ist – das „Museo Piero Taruffi“. Taruffi (1906–1988) war ein Automobilrennfahrer in den 1930er bis 1950er Jahren. Er fuhr und gewann Rennen der damaligen Weltmeisterschaft zunächst für Fiat, Alfa Romeo, Ferrari und schließlich für Lancia. Weltmeister wurde er zwar nie, seine beste Platzierung war ein dritter Platz im Jahr 1952 – in diesem Jahr errang er übrigens in der Schweiz seinen einzigen Sieg in der Formel 1. Das Museum zeigt Pokale, aber auch historische Autos. Wer sich also für die Anfänge der Formel 1 interessiert, ist dort genau richtig. Parken kann man allerdings direkt am Museum nicht. Warum sich dieses Museum gerade in Bagnoregio befindet, ist ein wenig rätselhaft. Taruffi wurde dort weder geboren noch ist er dort gestorben, eigentlich hatte er mit dieser Stadt überhaupt nichts zu tun. Doch seine Familie entschied sich angeblich für diesen Ort, um die Attraktivität des Ortes für den Tourismus zu steigern. Wahrscheinlich suchte man gezielt eine Gegend ohne große Konkurrenz durch andere Sehenswürdigkeiten (was in Italien nicht einfach ist) und nutzte gleichzeitig die Anziehungskraft der Altstadt – womit man zumindest mit einer gewissen Besucherzahl für das Museum rechnen konnte.
Nur sechs Kilometer von Bagnoregio entfernt liegt das Städtchen Bolsena. Es handelt sich um die ehemalige römische Stadt Volsinii Novi, wohin die Römer die etruskische Bevölkerung aus dem eroberten Volsinii – dem heutigen Orvieto – umsiedelten. Von der antiken Stadt sind heute nur sehr bescheidene Reste erhalten. Doch Bolsena am Ufer des gleichnamigen Sees ist sowohl schön als auch berühmt.
Zunächst zur Schönheit. Die Stadt hat einen oberen und einen unteren Teil. Über dem oberen thront die große Festung „Rocca Monaldeschi della Cervara“, erbaut von der Familie Monaldeschi, die die Stadt im Namen des nahen Orvieto verwaltete.
Rocca Monaldeschi della Cervara
Orvieto kämpfte nämlich mit dem Papst bis zum Jahr 1448 um Bolsena – erst dann wurde auch Orvieto endgültig Teil des Kirchenstaats und die Auseinandersetzungen fanden ein Ende. In der Festung befindet sich heute ein Museum. In unmittelbarer Nähe steht die Kirche „Chiesa San Salvatore“. Ebenfalls nahebei: der „Palazzo del Drago“, ein Renaissancepalast mit Fresken, und der „Palazzo Conte“, in dem sich das örtliche Museum befindet. In den engen steinernen Gassen findet man zahlreiche Enotheken und Bars, die den berühmten lokalen Wein „Est! Est!! Est!!!“ anbieten.
Doch das berühmteste von Bolsena befindet sich im unteren Stadtteil, nahe dem Seeufer: die Kathedrale „Chiesa di Santa Cristina“.
Chiesa di Santa Christina
Die heilige Christina ist die Schutzpatronin der Stadt und in der Krypta der Kirche bestattet. Ihren Sarkophag kann man durch ein Gitter sehen – wenn man 50 Cent für die Beleuchtung bezahlt hat. Ihre Darstellung findet sich auch in der Seitenkapelle der romanischen Kathedrale. Die sterblichen Überreste dieser Märtyrerin, die im Jahr 295 n. Chr. starb, könnten tatsächlich echt sein. Im Jahr 1880 fanden Archäologen bei der Untersuchung der Fundamente einer frühchristlichen Basilika nahe Bolsena eine Marmorurne mit der Inschrift I.R.Q.E.S.C.P.B.T.X.M, die als „Hic requiescit corpus Beatae Xristinae Martyris“ (Hier ruht der Leib der seligen Märtyrerin Christina) interpretiert wurde. Eine Analyse bestätigte, dass es sich um die Überreste eines jungen Mädchens aus dem 3. Jahrhundert n. Chr. handelte. Christina ist daher Schutzheilige der Stadt. Da Bolsena an der Pilgerroute Via Francigena nach Rom liegt (die in Canterbury, England, beginnt), wird ihr Grab von Pilgern häufig besucht.
Kein Wunder also, dass ausgerechnet in dieser Kathedrale aus dem 10. Jahrhundert, die der heiligen Christina geweiht ist und in der seit 1880 ihre Gebeine ruhen, das Blutwunder geschah, das ich in meinem Artikel über Orvieto beschrieben habe. Die Kirche stand in ihrer heutigen architektonischen Form (wenn auch mit anderer Innenausstattung) bereits im denkwürdigen Jahr 1263. Wenn Sie jedoch den steinernen Altar sehen möchten, bei dem es zu dem Wunder gekommen ist, dann ist es nicht der im Hauptschiff, sondern in der Seitenkapelle in Richtung der Grabstätte der heiligen Christina.
Der Altar des Blutwunders – Frohleichnam
Diesen Altar ließ die legendäre Gräfin Mathilde von Canossa, Markgräfin der Toskana, bereits im 11. Jahrhundert errichten. Diese Dame herrschte über die Toskana und Emilia-Romagna; im Investiturstreit stellte sie sich auf die Seite des Papstes gegen Kaiser Heinrich IV., und um ihr Erbe stritten sich Papst und Kaiser noch bis ins 13. Jahrhundert. Die Fassade der Kirche ist jünger – sie wurde in den Jahren 1493–1495 von Kardinal Giovanni di Medici (Sohn von Lorenzo dem Prächtigen) in Auftrag gegeben, der 1513 Papst Leo X. wurde. Architekt dieser Fassade war niemand Geringerer als der damals zwanzigjährige Michelangelo Buonarroti.
Das Bild mit der blutenden Hostie, bekannt als „Wunder von Bolsena“, befindet sich nicht nur in der Seitenkapelle der Kathedrale, sondern wurde unter anderem auch von dem großen Raffael (Raffaello Santi) gemalt. Sein Fresko „La Messa di Bolsena“ von 1512 schmückt die „Sala di Eliodoro“ im Vatikan.
Und natürlich gibt es noch den See, mit seinen Stränden, Bootsausflügen und umliegenden Bergen – also ein idealer Ausgangspunkt für die Erkundung der Umgebung. Bolsena ist darauf bestens vorbereitet.
Vor einer langen Zeit, im Jahr 2001, reiste ich mit meiner Familie mit dem Zug nach Rom. Früh am Morgen hielt der Zug an einem Bahnhof, und über mir erhob sich auf beeindruckenden hohen Felsen eine wunderschöne Stadt. Ich fand heraus, dass es sich um Orvieto handelte, und schon damals beschloss ich, dass ich sie eines Tages besuchen muss. Ich hätte nicht gedacht, dass ich weitere 24 Jahre auf dieses Erlebnis warten müsste und dass die Stadt noch schöner sein würde, als ich es mir vorgestellt hatte.
Die Italiener haben die unangenehme Angewohnheit, ihre Städte auf Hügeln zu bauen. Das ist eine Herausforderung, besonders wenn man ein verletztes Knie hat – was in meinem Fall zutraf. Orvieto steht jedoch vollständig auf einem Tuffsteinfelsen, was bedeutet, dass es eher schwierig ist, mit dem Auto dorthin zu gelangen (es gibt nur eine Zufahrt von der Westseite der Stadt, was in der Praxis bedeutet, dass man den beeindruckenden Felsen nach der Autobahnausfahrt vollständig umfahren muss). Und vor allem ist es fast unmöglich, in der Stadt einen Parkplatz zu finden. Deshalb habe ich ein Apartment, das „Parcheggio privato“ versprach, gebucht. Doch erst bei der Ankunft stellte ich fest, dass dies noch lange kein Sieg war. Man musste sich durch ein Labyrinth enger Straßen schlängeln, wobei die Via Albani, obwohl ein grünes Schild sie als Zubringer zur Autobahn A1 auswies, so schmal war, dass ich überlegte, die Außenspiegel zuzuklappen.
Glücklicherweise hatte ich zu diesem Zeitpunkt bereits unsere Gastgeberin Francesca am Telefon, die mich lautstark mit „Avanti, Avanti!“ ermutigte in die enge Gasse hineinzufahren. Als wir sie dann an der Kirche „Chiesa SS Apostoli“ trafen, übergab ich ihr gerne die Autoschlüssel, damit sie selbst in das „Parcheggio“ fuhr. Wie sie es schaffte, weiß ich nicht und verstehe es bis heute nicht. Zwei Tage später hatte ich erhebliche Schwierigkeiten, überhaupt aus der Garage herauszukommen. Francesca meinte, ein Fiat 500 wäre für den Besuch italienischer Städte besser geeignet als mein BMW X1. Und das mag tatsächlich stimmen. Sie prahlte jedoch nicht ohne Stolz, dass sie sogar einmal ein großes Audi in ihrer Garage geparkt hatte.
Orvieto hat das Problem mit dem Parking für Tagestouristen elegant gelöst. Direkt neben dem Bahnhof und damit in der Nähe der Autobahnausfahrt gibt es einen großen Parkplatz, von dem aus ein „Funiculare“ (eine Standseilbahn) in die Stadt hinauffährt. Der Fahrpreis ist in der sogenannten „Carta unica“ enthalten, einem Ticket, das Zugang zu allen Museen und Attraktionen in Orvieto gewährt – es ist ein Jahr lang gültig, falls man es an einem Tag nicht schaffen würde. Man kann es direkt auf dem Parkplatz oder an mehreren Stellen in der Stadt kaufen. Genau darin lag unser Problem. Als ich im Touristeninformationszentrum die „Carta unica“ kaufen wollte, musterte mich ein junger Italiener kritisch und fragte, wie lange wir in der Stadt bleiben wollten. Als ich sagte, nur einen Tag, erklärte er mir in perfektem, aber unverständlich schnellem und leisem Englisch, dass es sich für uns nicht lohne, da ältere Leute wie wir es ohnehin nicht schaffen, alle Attraktionen an einem Tag zu besuchen – und außerdem sei die etruskische Nekropole geschlossen.
Auf meine Frage, welche Tickets wir dann kaufen sollten und wo, antwortete er, dass wir das online über das Handy machen sollten, da es dort Angebote gebe – und damit hörte er auf, sich für uns zu interessieren. Ja, das Reisen in der heutigen digitalen Welt ist für analoge Menschen unseres Alters nicht einfach, und die digitale Jugend versteht das nicht und will es auch nicht verstehen. Also ging ich ins Museum „Musei archeologici Civico e Faina“ und kaufte dort die „Carta unica“ – ermäßigt für Senioren für 25 Euro. Wir haben beinahe alles geschafft – natürlich mit Ausnahme der geschlossenen etruskischen Nekropole. Die Jugend mag uns in Sachen digitaler Registrierung unterschätzen, aber körperlich schaffen wir noch immer mehr, als die jungen Leute glauben wollen.
Das Juwel von Orvieto ist seine Kathedrale. Wahrscheinlich kann sich niemand psychisch auf die Pracht vorbereiten, die einen dort erwartet. Es ist einfach ein Schock, und man könnte stundenlang auf dieses Wunder der romanisch-gotischen Architektur starren. Nicht umsonst wird sie „Goldene Lilie“ genannt. Das Bauwerk ist, ähnlich wie die Kathedrale von Siena oder Pisa, aus einer Kombination von weißem und grünem Marmor errichtet, aber das wahre Wunder ist ihre Fassade. Eine harmonische Mischung aus Mosaiken, die in leuchtenden Farben und Gold erstrahlen, Skulpturen und einer filigranen Verzierung der Säulen bis zur Spitze der Fassade – es wirkt wie ein riesiges Freiluftaltar. Oder wie ein Traum.
Die Frage ist, warum eine so prächtige Kathedrale, bei deren Bau wirklich nicht auf Geld geachtet wurde, gerade in einer Stadt wie Orvieto steht. Das hat seinen Grund. Im Jahr 1263 reiste ein deutscher Geistlicher durch die Gegend und zelebrierte eine Messe im nahegelegenen Bolsena, in der Kirche der heiligen Christina. Er selbst war ein skeptischer Priester und zweifelte an der tatsächlichen Transsubstantiation, also der Verwandlung des Brotes in den Leib Christi während der Messe. Als er allerdings die Hostie während der Messe brach, begann daraus Blut auf das Altartuch zu tropfen.
Die Hostie und das Altartuch wurden Papst Urban IV. gezeigt, der sich gerade in Orvieto aufhielt (weil ihn die Einwohner Roms wegen seiner anti-staufischen Aktivitäten vertrieben hatten). Dieser erkannte das Ereignis sofort als Wunder an und ordnete den Bau eines würdigen Heiligtums zur Aufbewahrung der Hostie in Orvieto an. Der Bau begann 1290 im romanischen Stil, da aber gute Dinge Zeit brauchen, kam vor der Fertigstellung die Gotik auf, sodass beide Stile kombiniert wurden. Allein die Erstellung der Baupläne dauerte dreißig Jahre, der eigentliche Bau zog sich über 300 Jahre hin.
Zunächst arbeitete Fra Bevignate an der Kathedrale, ihm folgten Lorenzo Maitani (der auch die Kathedrale in Florenz baute) und weitere Größen wie Andrea Pisano, sein Sohn Niccolò Pisano, Andrea Orcagna und Michele Sanmicheli. Überraschend modern sind die großen Bronzetüren der Kathedrale, die erst in den 1960er Jahren von dem lokalen Künstler Emilio Greco geschaffen wurden. (Gleich neben der Kathedrale gibt es ein Museum, das seinem Werk gewidmet ist). Im Jahr 1311 wurde das Ereignis von Bolsena auf dem Konzil von Vienne zu einem der größten kirchlichen Feste erklärt – dem „Fronleichnam“. Es wird regelmäßig am zweiten Donnerstag nach Pfingsten gefeiert, wobei Hostien in Monstranzen in feierlichen Prozessionen um die Kirchen getragen werden. In Österreich freuen wir uns, weil es ein Feiertag ist und wir nicht zur Arbeit gehen müssen.
Im Inneren der Kathedrale sollte man unbedingt die Kapellen im Querschiff besuchen. Rechts befindet sich die Kapelle mit den Fresken von Luca Signorelli, die das „Jüngste Gericht“ darstellen. Es fiel mir auf, dass in der Hölle fast ausschließlich Männer dargestellt wurden, während im Paradies auch viele Frauen waren. Wusste Signorelli nicht, dass nach kirchlicher Lehre die Frau die Quelle aller Sünden war? Die Fresken sind jedoch großartig, auch weil sie erst kürzlich restauriert wurden.
Auf der linken Seite befindet sich die „Corpus Domini“-Kapelle, also die Kapelle, in der die wundersame Hostie und das Altartuch mit den Blutflecken in einem Reliquienschrein aufbewahrt werden. Der Zugang zu dieser Kapelle ist nur zum Gebet gestattet. Das Fotografieren und Filmen sind dort strengstens verboten.
Auf der „Piazza del Duomo“ befinden sich neben dem bereits erwähnten Museum über Emilio Grecos Werk noch zwei weitere Museen. Im Palast, in dem die Päpste während ihrer Aufenthalte in Orvieto wohnten (Orvieto gehörte seit 1290 zum Kirchenstaat, dessen Herrscher der Papst persönlich war), befindet sich das „Museo Archeologico Nazionale“ mit Artefakten aus der Kathedrale, Gemälden von Andrea, Nino und Giovanni Pisano und einigen wenigen etruskischen Funden.
Die ganze Region lebt davon, dass hier einst das Reich der Etrusker war – genauer gesagt, eher eine lose Konföderation von zwölf etruskischen Städten, die es nie schafften, sich wirksam gegen die römische Expansion zu verbünden und daher untergingen.
Viel mehr dieser archäologischen Funde befinden sich im „Museo Claudio Faina e Civico“ gegenüber der Kathedrale. Graf Mauro Faina begann 1864, Gegenstände für seine Sammlung zu erwerben, und nach seinem Tod setzte sein Neffe Eugenio diese Arbeit fort. Er hörte auf, Kunstwerke aus anderen Teilen Italiens zu kaufen (viele Objekte in der Sammlung erwarb Mauro von Maria Bonaparte, der Tochter von Napoleons Bruder Lucien, da die Fainas mit dieser Familie verwandt waren) und spezialisierte sich auf Funde aus Orvieto und seiner Umgebung. Die örtliche etruskische Nekropole bot mehr als genug Material, damit die Familie Faina ihr Museum aufbauen konnte. Eugenios Sohn Claudio Junior machte die Sammlungen 1957 der Öffentlichkeit zugänglich. Für Münzsammler ist die numismatische Sammlung mit etwa 3000 antiken Münzen sicherlich sehr interessant.
Etruskische Keramik war nich gerade prüde.
Die Achse der Stadt bildet die „Corso Cavour“, die auf der „Piazza della Repubblica“ beginnt – dem ehemaligen römischen Forum der Stadt – mit der Kirche „Chiesa di Sant’Andrea“ und einer Reihe von Restaurants in unmittelbarer Nähe. An der höchsten Stelle der Stadt ragt der „Torre del Moro“ in den Himmel. Nachts wirkt er faszinierend, denn die beleuchtete Uhr strahlt in der Dunkelheit wie ein Vollmond mit Uhrzeigern.
Der Aufstieg auf den Turm umfasst 280 Stufen (oder 170, wenn man einen Teil des Weges mit dem Aufzug fährt), und von oben hat man einen wunderschönen Blick auf die gesamte Stadt.
So entdeckten wir auch den dritten Platz Orvietos, die etwas abseits gelegene „Piazza del Popolo“ mit dem gleichnamigen Palast. Davor hat Orvieto seinem berühmten Sohn Adolfo Cozza eine Büste gewidmet. Dieser Künstler, Erfinder und vor allem Archäologe, dem Orvieto die meisten archäologischen Funde verdankt, mit denen es sich heute rühmt, schloss sich im Alter von 18 Jahren den „Rothemden“ Garibaldis an und kämpfte unter der Führung des legendären Giuseppe für die Einigung Italiens, um später zur Vernunft zu kommen und sich durch seine intellektuelle Tätigkeit einen Namen in der Geschichte zu machen.
Adolfo Cozza
Geht man die „Corso Cavour“ bis zu ihrem unteren Ende entlang, erreicht man die „Fortezza Albornoz“ mit dem imposanten Tor „Porta Rocca“.
Fortezza Albornoz
Von hier aus hat man die schönsten Ausblicke auf die Felsen, auf denen die Stadt steht, sowie auf den Parkplatz am Fuße der Klippen. Die Festung ist heute ein Park, der weiter zu den eher bescheidenen Überresten der etruskischen Nekropole mit den Resten eines antiken Tempels führt.
Viel interessanter ist jedoch der nahegelegene Brunnen „Pozzo di San Patrizio“. Orvieto hatte schon immer ein Problem mit der Wasserversorgung. Es liegt auf einem Tuffsteinfelsen, der porös ist und Regenwasser durchlässt, das sich dann erst auf einer Lehmschicht 54 Meter unter der Stadt sammelt. Deshalb war der Brunnenbau in Orvieto schon immer eine äußerst anspruchsvolle Angelegenheit. Als Papst Clemens VII. im Jahr 1527 nach Orvieto kam, um hier Schutz vor den kaiserlichen Truppen zu suchen, die gerade beim „Sacco di Roma“ die Heilige Stadt geplündert hatten, beschloss er, einen Brunnen bauen zu lassen, der der Stadt im Falle einer Belagerung eine ausreichende Wasserversorgung sichern sollte.
Der Brunnen wurde vom Architekten Antonio da Sangallo gegraben, und die Arbeiten dauerten zehn Jahre. Das Ergebnis ist beeindruckend. Der Brunnen hat eine Tiefe von 54 Metern und einen Durchmesser von 13 Metern. Zur Wasseroberfläche führen 248 Stufen hinab. Diese Stufen sind sehr flach, da Esel den ganzen Tag über das Wasser hinauftrugen. Damit die absteigenden Tiere mit leeren Wassersäcken den aufsteigenden mit vollen Säcken nicht im Weg standen, ist die Treppe als Doppelspirale konstruiert, die sich nie kreuzt. Ich habe das Prinzip nicht ganz verstanden, aber es ist genial. Man kann die neugierigen Touristen gleichzeitig hinab- und hinaufsteigen sehen, ohne dass sie sich begegnen, da der Brunnen durch 72 große Fenster beleuchtet wird.
Übrigens ist der Eintrittspreis im „Carta Unica“-Ticket enthalten, aber das eigentliche Ticket muss am Informationszentrum abgeholt werden. Die „Carta Unica“ allein gewährt keinen direkten Zugang durch die Schranken am Eingang.
Orvieto ist wunderschön an der Oberfläche, aber es hat auch ein interessantes Untergrundsystem, das man sich nicht entgehen lassen sollte. Auch dieser Besuch ist in der „Carta Unica“ enthalten, aber man muss sich im Informationszentrum einen Platz reservieren – am besten zur Mittagszeit, wenn die anderen Attraktionen geschlossen sind.
Unsere Führerin Christina, die ein wunderschönes Englisch sprach, allerdings in italienischem Sprechtempo, führte uns in die Räume und Gänge im Felsen unter der Stadt. In den Tuffstein zu graben, war relativ einfach und die Gänge boten eine stabile Temperatur von etwa 15 Grad – sowohl im heißen Sommer als auch im kalten Winter. Außerdem dienten diese Gänge während des Zweiten Weltkriegs als Luftschutzbunker. Viele von ihnen sind heute privat und werden als Weinkeller, Lebensmittellager oder allgemein als Lagerräume für alles genutzt, was vor Hitze geschützt werden muss. Es gibt hier auch Olivenölpressen und Mühlen. Der interessanteste Teil sind jedoch Räume mit kleinen, in die Wände gegrabenen Nischen – riesige Taubenschläge.
Die Taubenzucht war damals sehr lukrativ, da sie keine finanziellen Kosten verursachte. Das Jungtaubenfleisch „Palombo“ ist immer noch Teil der Orvietos Küche und eine lokale Spezialität, die man in Restaurants bestellen kann. Ich sah eine englische Touristin, die es bestellte. Am Ende aß sie jedoch Nudeln, weil die Taube, obwohl vermutlich lecker, nicht genug Fleisch bietet um satt zu werden.
Diese Gänge unter der Stadt dienten jedoch auch als Schmuggelwege, um Waren in die Stadt zu bringen, da die Händler die päpstlichen Zölle umgehen wollten. Als der Papst herausfand, dass die durch den Schmuggel verursachten finanziellen Verluste die Gewinne aus der Taubenzucht überstiegen, verbot er einfach die Zucht im Untergrund der Stadt und ließ die Fenster vergittern, damit die Tauben nicht zu ihren Nestern zurückkehren konnten. So ist es auch heute noch.
Ein der Gänge, die für Schmuggeln genutzt worden sind
Orvieto nennt sich selbst „Stadt des Weins“, und ich empfehle, ihn zu probieren, besonders den lokalen Weißwein. Nur einmal ließ ich mich dazu verleiten, ein Bier zu bestellen – weil der Durst groß war. Das tat ich jedoch unvorsichtigerweise auf der „Piazza del Duomo“, mit Blick auf die atemberaubende Fassade. Der Preis betrug acht Euro für 0,4 Liter, also eine „birra grande“ – offenbar war der Blick auf die Fassade im Preis inbegriffen. Es erinnerte mich ein wenig an eine Graupensuppe in der Schweiz mit Blick auf die Nordwand des Eigers.
Wenn ihr also nach Orvieto fahrt, bestellt lieber Wein, und nicht unbedingt auf dem Platz vor der Kathedrale. In anderen Lokalen waren die Preise deutlich angemessener.
Blick von der Festung auf die Felsen, auf denen die Stadt steht
Arezzo ist eine mehr oder weniger unscheinbare Stadt in den toskanischen Bergen, etwa 80 Kilometer südöstlich von Florenz entfernt. Deshalb hat es ziemlich lange gedauert, bis ich mich entschlossen habe, sie zu besuchen. Umso größer war dann meine Überraschung, als ich diese schöne Stadt sah.
Arezzo ist die Geburtsstadt mehrerer berühmter Männer. Einige von ihnen sind von weltweiter Bedeutung, sodass jene, deren Ruhm sich auf Italien beschränkt, wie der Humanist Leonardo Bruni, der während der Zeit von Cosimo de’ Medici Staatssekretär in Florenz war, oder Andrea Cisalpino, ein Arzt und Botaniker aus der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts, im Schatten dieser Giganten bleiben. Dennoch kümmert sich Arezzo um seine Söhne, und bei einem Spaziergang durch die Stadt stößt man immer wieder auf Büsten berühmter Männer mit entsprechenden Beschreibungen. Zum Beispiel hat Guido Monaco, ein Benediktinermönch, der von 992 bis 1050 lebte und in Arezzo die Methode der Musiknotation – also die Noten, wie wir sie heute kennen – erfand, eine große Statue auf einem runden Platz mit Kreisverkehr, der nach ihm benannt ist.
Quido Monaco
Doch die drei wirklich großen Persönlichkeiten, die in Arezzo geboren wurden, sind Gaius Cilnius Maecenas, Francesco Petrarca und vor allem Giorgio Vasari.
Derjenige, der am wenigsten Zeit in seiner Geburtsstadt verbrachte, war der Humanist und einer der Gründer der modernen Lyrik und ein Gigant der Renaissance-Literatur, Francesco Petrarca. (Leonardo Bruni nannte ihn in seinem Buch „Ignoranten“, weil er seine Verse auf Italienisch und nicht in „schönem“ Latein schrieb). Er wurde 1304 geboren, und schon 1311 musste sein Vater die Stadt verlassen, weil er in den heftigen Auseinandersetzungen zwischen Guelfen und Ghibellinen zu den Verlierern gehörte. Die Familie zog nach Avignon, und Petrarca studierte an mehreren der renommiertesten Universitäten der damaligen Zeit, hatte aber weiterhin kaum noch etwas mit seiner Geburtsstadt zu tun. In Arezzo zeigt man dennoch sein Geburtshaus, obwohl die Bedeutung dieses Gebäudes einigermaßen fraglich ist. Der Standort mag stimmen, aber das Haus wurde mehrfach umgebaut, während des Zweiten Weltkriegs gleich wie ein Großteil der Stadt bei alliierten Bombenangriffen zerstört und später wieder aufgebaut, sodass sein historischer Wert umstritten ist. Trotzdem ist in diesem Haus nahe der Kathedrale von Arezzo bis heute die „Francesco Petrarca Gesellschaft“ untergebracht.
Gaius Cilnius Maecenas lebte viel früher, als Arezzo noch Arretium hieß und eine römische Kolonie war. Maecenas war ein enger Freund des ersten römischen Kaisers Augustus – und zusammen mit ihm und Marcus Agrippa bildeten sie eine Art Triumvirat. Maecenas war Augustus sehr nützlich, ohne selbst politische Ambitionen zu haben. Er diente im diplomatischen Dienst und kümmerte sich vor allem um die Förderung der Kultur im augusteischen Rom. Sein Name ging daher als „Mäzen“ in die Sprache ein – als Bezeichnung für jemanden, der kulturelle Projekte finanziell unterstützt. Besonders förderte er die lateinischen Schriftsteller Horaz und Vergil. Ursprünglich versuchte er selbst, Verse zu schreiben, gab dies jedoch nach einer vernichtenden Kritik von Seneca auf und unterstützte lieber finanziell diejenigen, die es besser konnten. In Arezzo ist nach Maecenas das archäologische Museum benannt, das sich direkt auf dem Gelände des römischen Amphitheaters in einem ehemaligen Benediktinerkloster befindet, der die römische Bausubstanz bei dem eigenen Aufbau nutzte.
Museo archeologico
Den größten Einfluss auf das Erscheinungsbild der Stadt hatte jedoch der dritte ihrer großen Söhne – Giorgio Vasari. Dieser universelle Künstler – Bildhauer, Maler, Architekt und Schriftsteller des 16. Jahrhunderts – wurde nicht nur in Arezzo geboren, sondern lebte und arbeitete auch hier. Seine Werke sind in ganz Italien zu finden – wie der „Palazzo Uffizi“ in Florenz, die „Sala de Cinquecento“ im „Palazzo Vecchio“ ebendort oder die gigantische Kuppel der Kirche Madonna dell’Umiltà, die die Stadt Pistoia dominiert.
Aber seine Werke befinden sich auch in Mailand, Rom oder in Neapel. Ebenso seine Gemälde, Fresken und Skulpturen. Natürlich befinden sich die meisten seiner Werke in der Toskana, schließlich war Vasari der Hofkünstler und Architekt des ersten Großherzogs der Toskana, Cosimo I., und teilte auch das bewegte Schicksal der Medici-Familie.
Seinen größten Beitrag zur Kulturgeschichte der Menschheit leistete er jedoch mit seinem Werk „Le vite de’ più eccellenti pittori, scultori e architettori“, in dem er die Biografien berühmter Künstler bis zu seiner Zeit niederschrieb. Es umfasst in drei Büchern insgesamt 161 Biografien, und viele Details aus dem Leben von Künstlern wie Michelangelo oder Leonardo da Vinci sind uns nur dank ihm bekannt. Von ihm stammt übrigens auch die Einteilung der kulturellen Entwicklungsstufen in Gotik, Renaissance und Manierismus (das Barock kam erst nach ihm). Das Buch erschien erstmals im Jahr 1550 und begann mit der Biografie von Cimabue (1240–1306), während die letzte Biografie Michelangelo Buonarroti gewidmet war (der als Einziger zur Zeit der Veröffentlichung noch lebte – er starb 1564).
In Arezzo begegnet man Vasari an vielen Orten. Auf dem Hauptplatz „Piazza Grande“ wurde nach seinem Entwurf eine Loggia errichtet, unter der sich heute bekannte Restaurants wie „La Lancia d’Oro“ oder „Ristorante Logge Vasari“ befinden. Auf der Loggia ist – wohl als eine Art Signatur – ein Relief mit seinem Abbild zu sehen.
Piazza Grande
In der Kirche „Badia di Santa Flora e Lucilla“ befindet sich nicht nur sein Gemälde der Marias Himmelfahrt, sondern er malte dort auch den prächtigen Altar aus. Seine Werke sind ebenfalls im „Museo Statale d’Arte Medievale e Moderna“ zu finden.
Vor allem aber kaufte der inzwischen wohlhabende Giorgio Vasari im Jahr 1541 in Arezzo für 700 Goldstücke ein Haus in der Straße XX Settembre. Er richtete es selbst ein, malte es aus und gestaltete es, einschließlich des angrenzenden Gartens. Hier heiratete er im Jahr 1549 – er war 38 Jahre alt, seine Braut Nicolosa Bacci hingegen erst vierzehn – was damals jedoch nichts Ungewöhnliches war. Seine junge Braut verewigte er sogar selbst auf einem Fresko im Raum „Camera di Apollo e delle Musae“. So blieb sie immer jung. Der Besuch von Vasaris Haus lohnt sich auf jeden Fall, besonders der „Sala del Camino“ ist ein wahres Meisterwerk der manieristischen Kunst.
Giorgio Vasari Sebstportrait
Arezzo war lange Zeit eine eigenständige Kommune und kämpfte auf der Seite der Ghibellinen gegen die Guelfen aus Florenz. Doch 1384 unterlag es dem mächtigeren Nachbarn und musste sich unterwerfen – es wurde Teil der florentinischen Republik und später des Großherzogtums. Im Jahr 1289 führte der kämpferische Bischof und „Signore“ Guglielmo Ubertini die Aretiner in die Schlacht bei Campaldino gegen die Florentiner – auf der Gegenseite kämpfte damals auch der junge Dante Alighieri. Die Florentiner siegten und der Bischof ertrank auf der Flucht im Fluss. Sein Leichnam wurde im Dom von Arezzo bestattet – was ihm gebührte, da er das war, der im Jahr 1277 mit Erlaubnis von Papst Gregor X. den Grundstein für diese Kirche legte.
Duomo
Sein relativ bescheidenes Grab wird von dem monumentalen, mehrstöckigen Grab des Bischofs Guido Tarlati überragt, doch hinter diesem Monument befindet sich an der Wand etwas viel Schöneres – nämlich das herrliche Fresko der Maria Magdalena von Piero della Francesca.
Maria Maddalena
Die Werke dieses Meisters der Frührenaissance sind der größte Schatz der Stadt – insbesondere der Freskenzyklus der Legende „Vom Heiligen Kreuz“. Dieser befindet sich in der Kapelle der Familie Bacci (eine der wohlhabendsten Familien der Stadt, und die Bedeutung von Giorgio Vasari wird dadurch unterstrichen, dass er in diese Familie einheiratete) in der Kirche San Francesco.
Die Kapelle liegt hinter dem Altar, und obwohl einige Fresken durch die Zeit beschädigt sind, lohnt sich der Besuch auf jeden Fall. Eine Voranmeldung zur Besichtigung, am besten online, ist erforderlich. Die Besuchszeit ist auf 30 Minuten begrenzt, und wer wie ich nicht mit QR-Codes umgehen kann, muss sich für vier Euro einen Audioguide ausleihen. Damit kann man sich ausführlich über die Entstehungsgeschichte der Kirche, den Freskenzyklus und die gesamte Legende vom Kreuz Christi informieren, die bis zu Adam zurückreicht.
Der sterbende Adam schickte seinen Sohn Seth in das Paradies zum Erzengel Michael, um heilendes Öl zu erhalten. Stattdessen bekam Seth jedoch einen Setzling, den er auf Adams Grab pflanzte. Aus diesem Baum wurde später das Kreuz, an dem Christus starb. Eine schöne Legende, aber die Fresken sind noch schöner. Sie erzählen auch die Geschichte von Kaiser Konstantin dem Großen, dem das Kreuz in der Nacht vor der Schlacht an der Milvischen Brücke gegen seinen Gegner Maxentius im Traum erschien und wie seine Mutter Helena das Kreuz Christi in Jerusalem entdeckte.
Zuerst war ich verwirrt, dass es auf den Fresken zwei Schlachten gab, aber die zweite Fresco stellt die Schlacht von Kaiser Heraklius gegen den persischen König Chosrau dar, bei der es den Byzantiner gelang, das Kreuz den Persern zu entreißen, sodass es endgültig in den Besitz der Christen überging. Auffällig an diesen Fresken ist, dass es sich zwar um Schlachtenszenen handelt, aber die Hektik des Kampfes fehlt und sie eher einen ruhigen, eher statischen Eindruck vermitteln. Piero della Francesca vergaß nicht, in dem Werk die Stadt Arezzo darzustellen und man findet sogar sein eigenes Porträt.
Fresco von Pierro da Francesco – sein Selbstportrait und Bild von Arezzo sind im mittleren Bild
Arezzo hat jedoch noch viele weitere beeindruckende und schöne Gebäude. Zum Beispiel die gigantische romanische Kirche „Pieve di Santa Maria“, deren riesige Apsis einen Teil des „Piazza Grande“ bildet. Dieser Platz, der recht steil abfällt (in Arezzo ist es schwer, ein Stück ebenen Boden zu finden), wird am oberen Ende von der Vasari-Loggia und am unteren Ende vom „Palazzo della Fraternitá dei Laici“ mit seiner prächtigen Fassade (fertiggestellt – von niemand anderem als Giorgio Vasari) und der astronomischen Uhr begrenzt – zu diesem Thema gibt es im Gebäude auch ein Museum.
Ein Stück weiter – wieder bergauf – steht der imposante „Palazzo Pretorio“. Neben dem Dom befindet sich der großartige „Palazzo dei Priori“.
Palazzo dei Priori
Von dort lohnt es sich, einen Abstecher zur unscheinbaren Kirche „Chiesa San Domenico“ mit ihrer ungewöhnlichen asymmetrischen Fassade zu machen. Dort kann man nämlich das von Cimabue gemalte Kruzifix bewundern – genau jener Renaissancekünstler, mit dem Vasari seine Biographie Schreibung begann.
Cimabue, der von 1240 bis 1302 lebte, ist zwar noch kein typischer Renaissancekünstler und stark von der byzantinischen Tradition beeinflusst, aber wer es verdient, von Vasari erwähnt zu werden, musste etwas Besonderes sein.
Das Kreuz in der Kirche San Domenico
Es gibt in der Stadt eine ganze Reihe von Kirchen, die meist imposant groß sind. Neben den bereits genannten zählen dazu die „Chiesa di Sant´Agostino“ auf einem schönen modernen Platz im unteren Stadtteil, die „Chiesa SS. Annunziata“ und die „Chiesa di Santa Maria di Gradi“ am oberen Ende der Stadt. Und direkt an der Hauptstraße „Corso Italia“ befindet sich die charmante kleine Kirche „San Michele“.
Die Altstadt ist größtenteils von Stadtmauern umgeben und verfügt über mehrere erhaltenen Stadttore. Da es hier jedoch oft steil bergauf oder bergab geht, hat sich die Stadt ein Herz für Besucher gefasst. So erreicht man zum Beispiel das Tor Porta Stufi bequem über eine Rolltreppe. Nur im unteren Teil der Stadt, der sich zum Bahnhof und zur Neustadt hin öffnet, wurden die Mauern abgerissen, und es blieben nur zwei Bastionen „Bastione di Santo Spirito“ erhalten.
Oberhalb der Altstadt liegt ein großer grüner Park mit einem Denkmal für Francesco Petrarca, das seine Krönung zum Fürsten der Dichter (am 8. April 1341 auf dem Kapitol in Rom, sein Titel lautete „Poeta laureatus“) zeigt.
Das Denkmal von Francesco Petrarca
Über dem Park erhebt sich die „Fortezza Medicea“, die Medici-Festung. Die Medici lernten aus ihren schlechten Erfahrungen mit ihren Untertanen, die sie mehrmals aus der Stadt und aus der Toskana vertrieben hatten (die letzte republikanische Phase dauerte von 1527 bis 1530, und der 16-jährige Vasari musste damals zusammen mit seinem Vater Florenz verlassen – sein Vater starb noch im selben Jahr). Sie begannen daher, in all ihren Städten Festungen zu errichten, wobei sie nie vergaßen, die Kanonen nicht nur nach außen, sondern auch nach innen auf die Stadt zu richten – für den Fall, dass die Bewohner wieder auf den Gedanken kamen, von Freiheit zu träumen.
In Fortezza Medicea
Die Festung in Arezzo ist beeindruckend und kann besichtigt werden. Von ihren Mauern aus hat man einen wunderschönen Blick nicht nur auf die Stadt, sondern auch auf die umliegende Landschaft. Die Stadt ist von drei Seiten von den grünen Gipfeln des Apennin-Gebirges umgeben.
Die Hauptachsen der Stadt sind die sich kreuzenden Straßen Via Roma und Corso Italia. An der Via Roma befinden sich die Portici, Arkaden unter hohen Renaissance-Bögen, während die Corso Italia durch die Stadt hinauf zum „Parco di Prato“ führt und von kleinen Läden und Gaststätten gesäumt ist.
In Arezzo gibt es also viel zu sehen – langweilig wird es hier nicht, und verhungern oder verdursten wird man auch nicht. Allerdings ist es zur Mittagszeit in den Restaurants so voll, dass es schwierig sein kann, einen freien Platz zu finden.
Übrigens haben wir am besten und zu einem vernünftigen Preis in der „Osteria antica l’Agania“ in der Via Mazzini gegessen. Allerdings scheint dies längst kein Geheimtipp mehr zu sein, denn kurz nach der Öffnung bildet sich dort immer eine Schlange. Es ist also ratsam, rechtzeitig zu kommen.
Die größte kulinarische Attraktion der Stadt sind die Trüffel, die in den Wäldern des Apennin-Gebirges rund um die Stadt wachsen. Sie werden in vielen kleinen Geschäften in allen möglichen Formen als essbare Souvenirs angeboten. Ich konnte nicht widerstehen und habe Nudeln mit Trüffeln probiert. Meine Frau ließ sich nicht davon abbringen, dass meine anschließenden Darmprobleme damit zusammenhingen.
Aber wer würde bei einer solchen Gelegenheit schon auf Trüffel verzichten?
Diese Frage stelle ich mir schon seit Jahren und ich bin dabei sicherlich nicht allein. Worum geht es den Milliardären in der heutigen Welt eigentlich? Sie besitzen Reichtum, florierende Unternehmen oder große Aktienvermögen an der Börse. Und dennoch geben sie keine Ruhe, dringen in die Politik ein, beeinflussen sie und streben nach der Macht.
Das Wort „Oligarchie“ bedeutet im Griechischen „Herrschaft weniger“. Ja, es geht um die Macht. Bisher haben wir Menschen mit großem Vermögen als Oligarchen bezeichnet, unabhängig davon, ob sie politische Macht besaßen oder nicht. (In Russland übrigens besitzen sie keine politische Macht, nur das Geld, also trifft bei Ihnen die Bezeichnung „Oligarchen“ eigentlich nicht). Doch die Situation im demokratischen Westen verändert sich dramatisch – Personen wie Musk oder Babiš streben aktiv nach politischer Herrschaft, und es gelingt ihnen sie zu gewinnen. Worum geht es ihnen also? Natürlich abgesehen von staatlichen Subventionen – Babiš konnte sich als Premierminister staatliche Fördermittel für seinen Konzern Agrofert selbst zuschieben, Musk erwartet für Tesla einen Regierungsauftrag über gepanzerte Fahrzeuge im Wert von 400 Millionen Dollar. Der Kauf eines Teslas ist für Privatpersonen mittlerweile fast zu einem politischen Statement geworden.
Doch worauf zielen diese Oligarchen am meisten? Auf die unabhängige Justiz. Diese betrachten sie als „links“ und fordern entweder eine Reform oder gar deren Abschaffung. Worin besteht der „linke“ Charakter der Justiz? Darin, dass sie verpflichtet ist, alle Bürger nach denselben Gesetzen zu richten – unabhängig von deren Vermögen oder politischem Einfluss. Das empfinden die Mächtigen als skandalös. Warum sollte Elon Musk für denselben Verstoß nach demselben Gesetz verurteilt werden wie irgendein John Braun aus Little Rock?
Der Versuch, die Justiz zu diskreditieren oder unter Kontrolle zu bringen, ist überall spürbar. Viktor Orbán hat sich die ungarische Justiz bereits unterworfen, Jarosław Kaczyński versuchte dasselbe in Polen. Sind das nostalgische Erinnerungen an die kommunistische Totalität, in der die Partei über Schuld und Unschuld sowie über die Höhe der Strafe entschied und der Richter nur noch das Urteil verlas? Aber dieser Trend zeigt sich auch in Ländern ohne kommunistische Vergangenheit. Herbert Kickl in Österreich erklärte, dass das Recht der Politik zu folgen habe, nicht die Politik dem Recht. Donald Trump verkündet, dass jemand, der den Staat rettet, für seine Taten nicht strafrechtlich verfolgt werden könne. Dabei waren gerade die Unabhängigkeit der Justiz und die Gleichheit vor dem Gesetz die Grundpfeiler der bürgerlichen Gesellschaft, wie sie in der Verfassung der Französischen Republik vom 3. September 1791 definiert wurden. Drei Artikel der Präambel dieser Verfassung lauteten:
Artikel 1: Alle Menschen sind von Geburt an frei und haben die gleichen Rechte. Artikel 2: Der Zweck jeder politischen Entscheidung ist die Bewahrung der natürlichen und unveräußerlichen Menschenrechte. Diese Rechte sind Freiheit, Eigentum, Sicherheit und Widerstand gegen Unterdrückung. Artikel 3: Der Ursprung jeder Souveränität liegt im Volk.
Insbesondere beim ersten Artikel dreht sich manchen heutigen Milliardären der Magen um. Wie war es bis zu jenem denkwürdigen Jahr 1791? Ein Baron, Graf oder Marquis richtete über seine Untertanen nach eigenem Ermessen, während er selbst außerhalb der Gerichtsbarkeit stand – er unterlag nur dem Herrscher.
Die Bemühungen, ein einheitliches Recht für alle durchzusetzen, reichen bis ins Hochmittelalter zurück. Papst Gregor IX. versuchte, ein Gesetzbuch zu schaffen, das allgemeingültige Gesetze für alle christlichen Länder festlegen sollte. Natürlich ging es ihm dabei vor allem um die Stärkung der kirchlichen Macht – er wollte die Gerichtsbarkeit an sich reißen. Doch die Vorstellung, dass ein Adliger von einem Mönch gerichtet werden könnte, der in seiner Kindheit Ziegen hütete, aber durch ein Universitätsstudium zu einer einflussreichen Persönlichkeit der Kirche wurde, ließ so manchem Adeligen das Messer in der Tasche aufgehen.
Kaiser Friedrich II. kam Papst Gregor zuvor, indem er 1231 in Melfi sein eigenes Gesetzbuch erließ – was den Papst in unkontrollierbaren Wutanfall versetzte. Zur Verteidigung des Kaisers sei gesagt, dass er an der Universität Neapel weltliche Richter für sein Reich ausbilden ließ. Seine Gesetze bedeuteten also nicht Willkür, sondern die ersten schriftlichen Anzeichen eines Rechtssystems. Doch bis zur Französischen Revolution existierten die sogenannten drei Stände, und zwei davon – der Adel und die Kirche – waren nicht nur steuerlich privilegiert, sondern auch in ihrem Status vor Gericht.
Die Französische Revolution hat dies entscheidend verändert. Sie führte die Gleichheit vor dem Gesetz für alle Bürger ein. Natürlich konnte diese Gleichheit in der Praxis nie vollständig verwirklicht werden – wohlhabende Menschen hatten das Geld, um bessere Anwälte zu engagieren oder gegebenenfalls Richter zu bestechen. Das konnten wir in Tschechien sowohl im Fall „Čapí hnízdo, also „Storchnest“ als auch bei der Vergiftung des Flusses Bečva sehen, wo der wahre Schuldige (Milliardär Babiš) entweder gar nicht angeklagt oder aus sehr fragwürdigen Gründen freigesprochen wurde. In den USA wiederum hat der Oberste Gerichtshof den Angriff von Trumps Anhängern auf das Kapitol zumindest insofern abgesegnet, als er Trump von der Verantwortung für diesen Angriff entlastete.
Gerichte haben also nie eine absolute Unabhängigkeit erreicht, doch es gibt dennoch einen erheblichen Unterschied zwischen der Justiz in demokratischen Ländern, in autoritären Systemen und in Diktaturen. Dort folgt das Recht tatsächlich der Politik. Interessanterweise wird dieser neue Trend auch von der Kirche unterstützt. Während sich die katholische Kirche aufgrund des kränkelnden Papstes Franziskus mit der Unterstützung des modernen Faschismus noch zurückhält, fördern sowohl amerikanische protestantische Kirchen als auch die russisch-orthodoxe Kirche diesen Kurs. (Ehre den Ausnahmen, wie etwa der Bischöfin Mariann Budde.) Die Prälaten sehen die Chance, erneut an der politischen Macht teilzunehmen – an der Macht, die ihnen gerade die Französische Revolution und ihre Ideen genommen haben.
Die rassistische Ideologie Adolf Hitlers führt keine der modernen faschistischen Parteien offiziell in ihrem Programm – auch wenn Rassismus unter der Oberfläche brodelt. Doch die Religion als aggressive Ideologie drängt wieder in den Vordergrund.
Rassismus wird heute eher von extremen Linken als Argument genutzt. Das Problem eingewanderter Muslime ist nicht, dass sie Semiten, Hamiten oder Schwarze sind. Das Problem ist die intolerante Ideologie des Islams, der sie bereit sind zu folgen. Doch sobald jemand es wagt, diese Ideologie zu kritisieren, wird er sofort des „Rassismus“ bezichtigt. Die Menschen spüren diese Verdrehung der Realität – und es geht ihnen auf die Nerven. Genau wie Gendern oder die angeblichen 70 verschiedenen Geschlechter. Die Mehrheit der Bevölkerung ist konservativ und neigt dazu, dem Versprechen einer Rückkehr zur „Normalität“ Gehör zu schenken. Das bedeutet eine Rückkehr zu den „guten alten Zeiten“, in denen die Frau zu Hause saß, kochte, Kinder gebar und dem Mann gehorchte, weil sie vollständig von ihm abhängig war. Dieses Programm vertreten nicht nur die Republikaner in den USA, sondern auch FIDESZ in Ungarn oder die FPÖ in Österreich. Es geht also nicht um den klassischen Nationalsozialismus als Programm, sondern um Klerikalfaschismus. Das Ergebnis soll dennoch eine radikale Veränderung der gesellschaftlichen Struktur sein.
Und genau das ist auch das Ziel der heutigen Finanzelite à la Elon Musk. Wobei Musk nur der Vollstrecker ist – den eigentlichen Ideologen dieser sogenannten „Liberalen“, wie sich diese Egoismus predigenden Milliardäre selbst nennen, muss man in einem anderen amerikanischen Milliardär suchen: Peter Thiel. Thiel beschrieb seine Ansichten in der Neue Zürcher Zeitung am 17. Oktober 2022:
„Demokratie und Freiheit sind unvereinbar, und wirtschaftlicher Wettbewerb ist nicht entscheidend. Das ist etwas für Verlierer. Das Ziel jedes Unternehmers muss es sein, ein Monopol zu erreichen – nur so kann er seine Ziele verwirklichen. Eine effiziente Staatsführung sollte der Führung von Konzernen ähneln. Wahlen und parlamentarische Prozesse sind nur ein Hindernis. Selbst dem Frauenwahlrecht steht Thiel skeptisch gegenüber, da Frauen im Allgemeinen eher zu sozialen als zu egoistischen Agenden neigen und somit das Wirtschaftswachstum bremsen.“
Einen Staat wie ein Unternehmen zu führen – das hören viele Menschen gerne, ohne sich über die Konsequenzen im Klaren zu sein. Dafür begeistert sich beispielsweise auch der 94-jährige Bernie Ecclestone, der Trump offen bewundert und behauptet, Trump sei das Beste, was der Welt passieren konnte. Natürlich – seiner Welt, also der Welt des Geldes und der Finanzoligarchie.
Die Voraussetzung für eine solche Staatsführung ist jedoch die Abschaffung der Demokratie, freier Wahlen und der Bürgerrechte. In keinem Unternehmen gibt es Demokratie – die Gewinne gehören dem Eigentümer, während die Angestellten im Grunde genommen rechtlose Subjekte sind. Unternehmen haben jedoch eine völlig andere Struktur als Staaten. Und wenn jemand einen Staat wie ein „Start-up“ führt, sollte man bedenken, dass über 90 Prozent aller Start-ups in die Insolvenz rutschen.
Thiel gehört zu den Verfechtern des „Individualismus“ in seiner aggressivsten Form.. Sein Vermögen wurde im Mai 2022 auf 7,8 Milliarden Dollar geschätzt. Thiel ist ein Freund von Donald Trump und Elon Musk und unterstützt ultrarechte Strömungen in der amerikanischen Gesellschaft. Sein Mitarbeiter ist übrigens auch der ehemalige österreichische Kanzler Sebastian Kurz – jener, der ohne Bedenken eine Regierungskoalition mit der der FPÖ einging.
Und jetzt aufgepasst! Ein „Produkt“ Thiels ist der Vizepräsident J.D. Vance. Im Jahr 2022 unterstützte Thiel die Wahlkampagne seines ehemaligen Mitarbeiters für den US-Senat aus seinem Hedgefonds mit 10 Millionen Dollar. Während er mit einem anderen ehemaligen Mitarbeiter, Blake Masters in Arizona, scheiterte, gewann Vance in Ohio und zog in den Senat ein. Heute ist dieser ehemalige Kriegsveteran, der sich erst nach seiner Rückkehr aus dem Militärdienst für ein Studium entschied, der Vizepräsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Diese Position ist zwar weitgehend passiv – die einzige Aufgabe des Vizepräsidenten besteht darin, im Falle eines Ausfalls des Präsidenten einzuspringen. Doch im Fall des 77-jährigen Donald Trump bekommt das eine ganz neue Brisanz. Auf die Frage, warum er Vance als seinen Vizepräsidenten ausgewählt habe, antwortete Trump: „Weil er mich am meisten liebt.“ Ich glaube eher, dass ihm jemand geschickt diesen Gedanken eingeflüstert hat – nämlich, dass Vance ihn mehr als alle anderen verehrte. Vance als Trumps Ersatzmann ist das Beste, was Thiel und seinen politischen Verbündeten passieren konnte.
Im Grunde weiß auch Thiel, dass Trump ein Clown und Verrückter ist, auf den man sich nicht verlassen kann. Doch seine Popularität und die Faschisierung der Republikanischen Partei, in der sich inzwischen niemand mehr traut, eine eigene Meinung zu äußern und die wirren Äußerungen des krankhaft narzisstischen Präsidenten mit insgesamt 102 „Standing Ovations“ belohnt, sind für die Oligarchen äußerst nützlich. Sie haben nie aufgehört, neidisch nach Russland zu schielen – das dortige System gefällt ihnen unheimlich. Daher rührt wohl auch Trumps Zuneigung zu Wladimir Putin. Natürlich spielt auch sein persönlicher Bewunderungseffekt eine Rolle, da er die USA gerne genauso regieren möchte wie Wladimir Russland. Doch eine derart offene Unterstützung eines Diktators in einem anderen Land könnte er sich nicht leisten, wenn er nicht die Rückendeckung „seiner“ Oligarchen verlieren möchte. Falls Trump jedoch zu unberechenbar würde oder es ihm doch nicht gelingen sollte, seine geplante lebenslange Herrschaft durchzusetzen, sind die faschistischen Strömungen in den USA mit J.D. Vance als Ersatzmann gut abgesichert.
Es ist wohl kein Zufall, dass Milliardäre, die diese Ideale nicht vertreten – wie Bill Gates oder György Soros –, öffentlich dämonisiert werden. Für die Massen, die einst auch Hitler blind zujubelten, ist es unvorstellbar, dass sich ein Milliardär freiwillig von einem Teil seines Vermögens trennen könnte, nur um etwas Gutes zu tun. Dass er einfach ein Philanthrop ist und die Wohltätigkeit seiner Seele guttut. Bill Gates, der enorme Summen in die medizinische Forschung, insbesondere in Impfungen und die Prävention von Krankheiten investierte, wird als Monster dargestellt, das Chips in geimpfte Menschen implantiert, um sie in Zombies zu verwandeln. Und György Soros ist ein Kapitel für sich. Die Dämonisierung dieses Philanthropen (lassen wir heute einmal beiseite, wie er zu seinem Vermögen gekommen ist) begann 2008 in Ungarn.
Viktor Orbán brauchte für seine Wahlkampagne – ganz im Sinne von Hitlers Rede von 1925 – eine feindliche Bewegung und eine Person, die diese verkörperte. Orbán engagierte für seine Kampagne den amerikanischen Wahlkampfberater und Kommunikationsstrategen Arthur Finkelstein sowie dessen Assistenten George Birnbaum. Diese beiden hatten bereits in den 1990er-Jahren für Benjamin Netanjahu gearbeitet, der sie Orbán empfahl. „Finkelsteins Formel“ besagt, dass man für einen Wahlsieg einen Feind benötigt. In Soros fand Finkelstein ein ideales Ziel: Ein Milliardär, ein Jude, der auf unlautere Weise zu Reichtum gekommen war und somit die jüdische Gier nach Weltherrschaft verkörpern konnte – ein Motiv, das in vielen Verschwörungstheorien bis heute überlebt hat. Zudem war Soros in Ungarn als gebürtiger Ungar bekannt (geboren 1930, geflohen vor dem Holocaust 1944). Er war zudem der größte finanzielle Unterstützer der Partei FIDESZ, und viele ihrer heutigen Abgeordneten konnten dank seiner Stiftung an ausländischen Universitäten studieren. Selbst Viktor Orbán lebte von April 1988 bis zur Wahl 1990 von Geldern dieser Stiftung und durfte von September 1989 mit Stiftungsgeldern als Gaststudent am Pembroke College in Oxford tätig sein.
Nun aber wurde das „Monster Soros“ erschaffen, das Orbán den Wahlsieg bescherte. Viele Jahre später betrachtete Birnbaum die Schaffung dieses Mythos als seinen genialsten politischen Schachzug. „Es lag auf der Hand. Es war das einfachste Produkt, das wir je hatten. Wir mussten es nur verpacken und verkaufen.“ Finkelstein starb 2017 – auch er hielt die Dämonisierung von Soros für sein erfolgreichstes, wenn auch letztes Projekt.
Inzwischen schwingen alle Möchtegern-Diktatoren weltweit die Keule des „Monsters Soros“. Ľuboš Blaha, die rechte Hand von dem slowakischen Premier Robert Fico und sein „Mann für die Drecksarbeit“, der Ahnung von gar nichts hat, bezeichnet sogar das Ende der kommunistischen Herrschaft in der Tschechoslowakei im November 1989 als „sorosianischen Umsturz“ und weigert sich, ihn zu feiern. Jemand sollte ihm sagen, dass Soros im Jahr 1989 noch völlig in Ordnung war und erst nach 2008 zum Anführer einer weltweiten jüdischen Verschwörung zur Zerstörung Europas stilisiert wurde.
Philanthropen sind durch die von Milliardären kontrollierten sozialen Medien zu Dämonen geworden, während Egoisten, die nur an sich und ihren Profit denken, zu neuen Helden stilisiert werden. Deshalb kaufen sich Milliardäre auch Medien – so sichern sie sich nicht nur Macht, sondern lenken vor allem den Hass der unzufriedenen Massen in die Richtung, die sie brauchen. Silvio Berlusconi war der Erste, der damit begann, und sein Erfolg machte Schule. Derzeit sind die sogenannten „Eliten“ die neuen Feinde – also gebildete Menschen, die bereit sind, Gesetze zu unterstützen und sich an sie zu halten. Der österreichische Journalist Michael Fleischhacker schreibt dazu treffend: „Die Stärke des Rechts ist die Zuflucht der Schwachen, das Recht des Stärkeren hat die Stärke des Rechts abgelöst“ Das Ziel ist es also, eine Gesellschaft nach dem Vorbild des frühen Mittelalters zu schaffen. Eine Aristokratie, die über dem Gesetz steht und nur dem Herrscher unterworfen ist. Ihre Loyalität gegenüber dem Herrscher ist das tragende Fundament der Gesellschaft, und mit ihren Untertanen können die Adligen dann tun, was sie wollen. Doch anstelle des über Jahrhunderte kultivierten Blutadels tritt nun eine neue Aristokratie – die Finanzelite. Eine Aristokratie, die nicht einmal über grundlegende Umgangsformen verfügt (was dem „Pöbel“ allerdings sehr gefällt). Die auf dem Metamphetamin lebt und sich für unverwundbar hält. Sie braucht nur noch einen Herrscher und seine treuen Vasallen. In den USA ist das bereits gelungen – die Frage ist, ob die amerikanische Demokratie stark genug ist, diesen Angriff zu überstehen und zu den Idealen der Französischen Revolution zurückzufinden.
Denn wenn ein Clown den königlichen Palast besetzt, wird er dadurch nicht zum König – sondern der Palast verwandelt sich in einen Zirkus.
Hoffentlich wird sich die Mehrheit der Amerikaner dessen bewusst. Doch die Gefahr einer Rückkehr zum Feudalismus mit einem klerikal faschistischen Anstrich ist groß.
Vielleicht ist dieser Artikel nur für echte Geschichtsfans interessant, aber ich kann es mir nicht verkneifen, die Verhältnisse nach dem Ersten Weltkrieg ein wenig zu beleuchten. Diese führten zu einer völligen wirtschaftlichen Instabilität mit weitreichenden Folgen. Österreich und insbesondere Deutschland bekamen nämlich von dieser wirtschaftlichen Katastrophe mehr als genug zu spüren. Dies führte später zu ihrer Sympathie für den Faschismus und zur Errichtung autoritärer Systeme – in Österreich zur klerikal faschistischen oder auch „Ständestaat“-Regierung und in Deutschland letztendlich zur nationalsozialistischen Diktatur.
Geld steht in jedem Staat „immer „nur“ an erster Stelle“. Seitdem es in ferner Vergangenheit erfunden wurde, dreht sich fast alles darum. Ein stabiler Staat braucht auch eine stabile, verlässliche Währung. Die Österreichisch-Ungarische Monarchie hatte in dieser Hinsicht eine alte und sehr positive Tradition.
Die Reform Maria Theresias (wobei ich dahinter eher die Hand ihres Mannes, des Finanzgenies Franz Stephan, vermute) aus dem Jahr 1748 führte in den habsburgischen Ländern den sogenannten Konventionstaler ein.
Dieser wurde durch das Wiener Abkommen mit Bayern in Mitteleuropa eingeführt. Aus einer Mark Silber (233,85 Gramm) wurden zehn Taler geprägt. Eine Münze wog 28 Gramm und hatte einen Feingehalt von 83,3 Prozent Silber (der Rest war Kupfer). Ein Taler entsprach 100 Kreuzern. Auch Kreuzer wurden teilweise aus Silber, teilweise aus Kupfer geprägt. Nicht unbedingt nach dem Nennwert – sogar Sieben-Kreuzer-Stücke bestanden aus Silber, während die Dreißig-Kreuzer-Münze aus Kupfer war –allerdings war sie natürlich viel größer.
Dass es sich in dem Taler um eine sehr hochwertige und begehrte Münze handelte, zeigt zum Beispiel die Tatsache, dass der gesamte Silberimport in das weit entfernte Oman nur auf Basis dieser Münzen erfolgte. In den neu entstehenden Vereinigten Staaten von Amerika wurde am 6. Juli 1785 eine Münze mit diesen Parametern unter dem Namen „US-Dollar“ als nationale Währung eingeführt – und ist es bis heute geblieben.
Der Taler entsprach zwei Gulden und blieb bis 1858 in Umlauf. Damals führte der Druck, die Währung mit dem aufstrebenden mächtigen deutschen Nachbarn zu synchronisieren, erneut zu einer Reform, die durch Wiener Verträge festgelegt wurde. Die neue Währungseinheit war der Gulden – aus einem Pfund Silber wurden 45 Gulden geprägt, mit einem Reinheitsgrad von erneut 83,5 Prozent. Dies diente nur der Angleichung an die deutsche Mark, um den Handel zwischen beiden Ländern zu erleichtern. Die Währung mit dem Namen „Gulden“ oder „Forint“ hielt sich bis 1892, als eine weitere Reform durchgeführt wurde und Österreich vom Gulden zur Krone überging. Ein Gulden entsprach zwei Kronen, und bis zum Jahr 1900 wurden beide Währungen parallel akzeptiert. Eine Krone bestand aus 100 Heller.
Auch die Krone war eine sehr hochwertige Münze (noch heute wird sie von Sammlern gerne in ihre Kollektionen aufgenommen). Eine Krone enthielt fünf Gramm Silber mit einem Feingehalt von 83,5 Prozent. Die Fünf-Kronen-Münze, als größte Silbermünze, wurde aus 24 Gramm Silber geprägt.
5 Kronen aus dem Jahr 1908
Ab zehn Kronen aufwärts bestanden die Münzen aus Gold. Die 100-Kronen-Münze enthielt eine Unze, also 33,875 Gramm Gold mit einem Feingehalt von 90 Prozent. Heute wird sie für etwa 2500 Euro gehandelt.
Die Münzen wurden separat in Zisleithanien (Österreich mit den böhmischen Ländern und Südpolen) und Transleithanien (Ungarn) geprägt, während die Banknoten von der Zentralbank gemeinsam für beide Teile der Monarchie ausgegeben wurden. Ein interessantes Detail ist, dass auf der Vorderseite der Banknoten – der österreichischen Seite – der Text in Deutsch, Tschechisch, Polnisch, Ruthenisch, Italienisch, Slowenisch, Kroatisch, Serbisch und Rumänisch geschrieben war. Die Rückseite – die ungarische Seite – enthielt neben dem ungarischen Wappen ausschließlich ungarischen Text – Slowakisch wurde also auf den Banknoten nicht verwendet.
20 Kronen Vorderseite20 Kronen Hinterseite
Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs waren sowohl Deutschland als auch Österreich gezwungen, aufgrund der enormen Kriegskosten den Goldstandard ihrer Währungen aufzugeben. Dies führte zu einer Erhöhung der Geldmenge und einer Entwertung des Geldes. Die wahre Katastrophe brach jedoch erst nach dem Krieg aus. Deutschland und Österreich gehörten zu den Verlierern und waren gezwungen, hohe Kriegsreparationen zu zahlen. Dieses Geld stand schlichtweg nicht zur Verfügung, also wurden die Druckerpressen angeworfen und Geld wurde massenhaft gedruckt, ohne gedeckt zu sein.
Nach dem Ersten Weltkrieg hatte Österreich mehrere gewaltige Probleme:
Die Kriegsreparationen, die an die Siegermächte gezahlt werden mussten.
Ein großes Haushaltsdefizit. Österreich, insbesondere Wien, war das Verwaltungszentrum eines riesigen Reiches gewesen. Für den kleinen Reststaat Österreich war der Verwaltungsapparat völlig überdimensioniert. Zehntausende Beamte zu entlassen, wagte die neue Republik jedoch nicht aus Angst vor sozialen Unruhen.
Subventionierung der Lebensmittelpreise aus dem Staatshaushalt. Die Versorgung der Städte, insbesondere Wiens, mit Lebensmitteln war äußerst problematisch – die ehemalige Agrarregion Ungarn und die industriellen böhmischen Länder fielen nun als Versorger aus. Um den steigenden Lebensmittelpreisen entgegenzuwirken, druckte die Regierung immer mehr Geld, um bei den Gehältern Schritt zu halten.
Rückgang der Goldreserven des Staates. Österreich bezahlte importierte Waren, die früher innerhalb der Monarchie gehandelt wurden, nun mit Gold aus den Reserven der Zentralbank. Dies führte zu einer weiteren Abwertung der Währung.
Spekulationen an der Börse führten zu unkontrollierbaren Wertschwankungen des Geldes. Die österreichische Republik hatte nicht genügend finanzielle Reserven, um sich gegen Spekulanten zu wehren.
Anfangs wurde die Inflation von der Regierung gefördert, da sie sich davon eine wirtschaftliche Belebung versprach – einen „Flucht in Sachwerte“-Effekt, also den Kauf von Waren anstelle von Sparen. Dieser Effekt hielt jedoch nur sehr kurzfristig an.
Die Österreicher betrachteten ihren Reststaat lediglich als Übergangslösung mit dem Ziel, sich Deutschland anzuschließen. Sie hielten den neuen Staat für nicht überlebensfähig, was zu einem Kapitalabfluss führte. Dieses Gefühl hielt lange an – erst in den 1970er Jahren, dank der wirtschaftlichen Erfolge der Regierung Bruno Kreiskys sowie sportlicher Erfolge wie Franz Klammers Sieg bei den Olympischen Spielen in Innsbruck oder dem Sieg der österreichischen Fußballnationalmannschaft über Deutschland bei der WM 1978 in Córdoba, begann eine deutliche Mehrheit der Österreicher, sich als eigenständige Nation und nicht mehr als Deutsche zu fühlen.
Aus Angst, in dieselbe Inflationsspirale hineingezogen zu werden, begannen die Nachfolgestaaten der Monarchie, Banknoten, die sich auf ihrem Gebiet befanden, zu stempeln. Damit begann bereits im Januar 1919 das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen (das spätere Jugoslawien), im Februar folgte die Tschechoslowakei. Ab März war auch „Deutschösterreich“, wie der verbliebene Reststaat damals genannt wurde, gezwungen, seine Banknoten zu stempeln.
Gestempelte Banknote
Die Tschechoslowakei blieb dank Finanzminister Rašín lange beim Goldstandard, also dem Vorkriegssystem der Währung. Dies führte jedoch zu einem Kapitalabfluss (ausländische Banken legten tschechoslowakische Kronen als Devisenreserven anstelle von Gold an, und tschechoslowakische Touristen waren verpflichtet, mitgebrachte Währung sofort in die Landeswährung umzutauschen) und zu einer Deflation mit Bargeldmangel. Übrigens war die Einrichtung der sogenannten „Vermögensprüfungskommission“ aus praktischer Sicht zwar wenig sinnvoll, führte jedoch dazu, dass große Geldmengen aus Kriegsgewinnen und Spekulationen entweder gar nicht oder nur sehr langsam in Umlauf kamen – niemand wollte zu sehr auffallen und dadurch das Interesse dieser Kommission auf sich ziehen.
Rašíns Nachfolger Karel Engliš gab den Goldstandard 1923 sofort auf, doch der positive Effekt war bereits eingetreten: Die tschechoslowakische Währung war stabilisiert und blieb es auch. Die Tschechen lieben ihre Krone bis heute und sind bereit, dafür einen Preis zu zahlen. Banken und Versicherungen kassieren Gebühren für die Umrechnung des Wechselkurses zum Euro, aber das scheint die Tschechen nicht zu stören – offenbar können sie es sich leisten. Übrigens blieb nur die Tschechoslowakei beim ursprünglichen österreichischen Namen ihrer Währung – der Krone (tschechisch “Koruna”). Die Ungarn und Polen kehrten zum Gold zurück (Forint, Złoty), die Jugoslawen führten den Dinar ein (die Slowenen später nostalgisch den Tolar/Taler), die Rumänen die Leu (auch in der Tschechoslowakei wurde überlegt, die neue Währung „Lev“, also Löwe“ zu nennen), und die Österreicher entschieden sich schließlich für den Schilling – doch dazu später mehr.
Das Ergebnis all dieser Faktoren, die nach dem Zerfall der Monarchie im Jahr 1918 einwirkten, war, dass im August 1922 das Verhältnis der Goldkrone zur Papierkrone bei 1:14.400 lag. Den Rekord erreichte die Inflation ebenfalls im August 1922, als sie 129 Prozent pro Monat betrug.
1000 Kronen Münze – entsprach nach der Währungsreform 10 Groschen
Deutschland wurde von der Hyperinflation allerdings noch weitaus härter getroffen als Österreich. Während der Wert der Mark im Oktober 1921 auf ein Hundertstel des Vorkriegskurses sank, war es im Oktober 1922 bereits nur noch ein Tausendstel. Im Juli 1923 erreichte der Kurs einen Dollar pro eine Billion Mark, und am 15. November 1923 wurde mit 4,2 Billionen Mark pro Dollar der historische Höchststand erreicht.
Deutsche Banknoten auf dem Höhepunkt der Inflation
Philatelisten kennen aus dieser Zeit Briefmarken mit Nominalwerten in Hunderten von Milliarden Mark.
Die Probleme jener Epoche beschreibt eindrucksvoll und zugleich mit Humor Erich Maria Remarque in seinem Roman Der schwarze Obelisk. Erst danach wurde in Deutschland die sogenannte „Rentenmark“ eingeführt – zu einem Umrechnungskurs von einer neuen Mark für eine Billion alte Mark.
In Österreich kam es dank konservativer Regierung von Kanzler Ignaz Seipel nicht zu solchen extremen Zuständen. Er bemühte sich mit aller Kraft um eine Stabilisierung der Lage. Am 16. September 1920 trat Österreich dem Völkerbund bei. Am 4. Oktober 1922 wurden dann die sogenannten „Genfer Protokolle“ zwischen Österreich und Großbritannien, Frankreich, Italien sowie der Tschechoslowakei unterzeichnet. Österreich erhielt einen Kredit in Höhe von 650 Millionen Goldkronen zur Stabilisierung seiner Wirtschaft (den es bis in die 1970er Jahre zurückzahlte). Im Gegenzug verpflichtete sich das Land, jegliche Bestrebungen nach einem Anschluss an Deutschland aufzugeben und somit seine Eigenständigkeit zu bewahren. Darüber hinaus wurde ein Sanierungsplan mit Reformen zur Haushaltskonsolidierung auferlegt. Dies führte zu massiven Entlassungen und einem Anstieg der Arbeitslosigkeit – die rasch die 10% Grenze überschritt und im Jahr 1930 den Rekordwert von 25% erreichte. Dies war einer der Gründe für die Sympathien der österreichischen Bevölkerung gegenüber der Ideologie ihres Landsmannes Adolf Hitler, der in Deutschland aktiv war. Die Einnahmen aus Tabak und Zöllen wurden den Gläubigern als Sicherheit übertragen. Bis zum 30. Juli 1926 überwachte der niederländische Generalbevollmächtigte Alfréd Zimmermann die Einhaltung des Sanierungsplans.
Als Folge der Währungsstabilisierung entschied sich die Regdierung Seipels für eine Währungsreform: Die diskreditierte Krone wurde abgeschafft, und eine neue Währung sollte eingeführt werden – die Wahl fiel auf den Schilling.
Ein Schilling aus dem Jahr 1925
Ironischerweise verabschiedete das österreichische Parlament diese Änderung am 20. Dezember 1924, einen Monat nach Seipels Rücktritt. Der Schilling wurde ab dem 1. März 1925 eingeführt und entsprach 10.000 Kronen. Er war in 100 Groschen unterteilt, sodass ein Groschen 100 Kronen entsprach.
1 Groschen, die zwei Null erinnern auf den parallelen Wert von 100 Kronen
Dank einer strikten restriktiven Geldpolitik entwickelte sich der Schilling zu einer stabilen Währung und erhielt den Spitznamen „Alpendollar“.
Goldene Münze 25 Schilling aus dem Jahr 1929
Er blieb den Österreichern bis zum „Anschluss“ im April 1938 erhalten. Danach wurde die Reichsmark eingeführt, die für die Österreicher zu einem für sie günstigen Kurs von 1,5:1 umgetauscht wurde. Ein Jahr später war Hitler gegenüber den Tschechoslowaken weit weniger großzügig. Dort wurde die Reichsmark zum Kurs von 1:10 gegen die tschechoslowakische Krone getauscht, obwohl die Krone einen wesentlich höheren realen Wert hatte.
Nach dem Zweiten Weltkrieg kehrten die Österreicher zum Schilling zurück – allerdings bestand er nicht mehr aus Silber, sondern aus Nickel.
Ein Schilling aus dem Jahr 1947
Dennoch gelang es nach den anfänglichen Hungerjahren, sowohl die Wirtschaft als auch die Währung zu stabilisieren. Der Schilling blieb bis zur Einführung des Euro im Jahr 1999 (als Bargeld ab 2002) erhalten – obwohl er bereits seit dem 1. Juli 1976 fest an die Deutsche Mark im Verhältnis 7:1 gebunden war. Damit hatte Österreich faktisch seine eigenständige Geldpolitik aufgegeben, trat der Europäischen Union – deren Gründungsmitglied Deutschland war – aber erst 1995 bei.
Ein Schilling aus dem Jahr 1993
Trotz der offensichtlichen Vorteile der gemeinsamen europäischen Währung erinnern sich viele Österreicher noch immer mit nostalgischer Zuneigung an den Schilling. Er war eine „Erfolgsgeschichte“ der österreichischen Staatlichkeit.
Möchten Sie sich im Dezember oder Januar wie in Kroatien im Juli fühlen? Dann reisen Sie nach Oman, genauer gesagt nach Salalah und übernachten Sie im Hotel Fanar. Hier stellen Tschechen definitiv die relative Mehrheit, zusammen mit ihren slowakischen Brüdern sogar die absolute Mehrheit. Sollten sich Polen und Ungarn hinzugesellen (was für Slowaken natürlich nicht in Frage kommt), könnten sie sogar eine verfassungsgebende Mehrheit erreichen. Nur einige verstreute Italiener und Deutsche erwecken den Eindruck, dass man sich tatsächlich im Ausland befindet.
Natürlich gilt das nicht für die örtlichen Strände: lang, breit, sandig, sanft abfallend und vor allem mit warmem Meerwasser. Zum Jahreswechsel erreicht das Wasser des Indischen Ozeans eine Temperatur von 25 Grad und lädt somit zum Baden ein. Aus Tschechien und der Slowakei gibt es Charterflüge direkt nach Salalah, aus Österreich noch nicht. Daher haben wir zu zweit mit meiner Frau Österreich vertreten – jedenfalls soweit wir das beurteilen können, da wir niemanden anderen aus Österreich entdeckt haben, obwohl es uns an Bemühung nicht gefehlt hat.
Für Tschechen und Polen baut das Unternehmen Amazi hier ein Sommerdomizil – eigentlich ein Winterdomizil –, damit Tschechen und Polen auch im Winter die Sonne genießen können. Es werden einstöckige und zweistöckige Villen mit zwei bis vier Schlafzimmern direkt am Wasser mit eigenem Bootsanleger angeboten. Die Preise beginnen bei rund 200 000 Euro. Am Anfang genügt eine Anzahlung von 20 % des Preises, danach zahlt man alle drei Monate 7,5 %. Das halte ich für ziemlich attraktiv und seriös. Wir reisen jedoch jedes Jahr gerne woanders hin und sind daher den Versuchungen nicht erlegen.
Positiv war für uns persönlich – ich möchte nicht für andere Gäste sprechen, insbesondere nicht für Ungarn und Slowaken –, dass wir hier keinen einzigen Russen getroffen haben (wenn man Nadia, die an der Rezeption arbeitete, nicht mitzählte). Ich weiß nicht, wie es mit den Visa aussieht oder ob für die Russen in Oman andere Regeln gelten als in den benachbarten Emiraten. Der Hauptgrund für ihre Abwesenheit könnte jedoch der eingeschränkte Zugang zum Alkohol sein. In den Hotels wird Alkohol vor 12 Uhr nicht ausgeschenkt, und freitags, wenn das große Mittagsgebet stattfindet, gibt es alkoholische Getränke erst ab 14 Uhr. Diese Regel gilt auch für Hotelgäste, die selbst nicht zum Freitagsgebet verpflichtet sind. Für einen Russen im Urlaub sind das also völlig unakzeptable Einschränkungen. Die Omaner sind zwar Ibaditen, eine Sekte, die mit dem intoleranten Wahhabismus nichts zu tun hat, und sie legen den Koran angeblich liberaler aus. Deshalb sollen sie farbenfrohere Gewänder tragen (wir haben keine gesehen, nur davon gehört). Was Alkohol betrifft, schreibt der Koran Gläubigen nur vor, dass sie nicht unter dem Einfluss berauschender Substanzen zum Gebet erscheinen sollen. Ein absolutes Alkoholverbot steht in dem heiligen Buch angeblich nicht. Logistisch kann es jedoch ein Problem sein. Wann sollte man bei fünf Pflichtgebeten am Tag Alkohol trinken, um zur Gebetszeit 0,0 Promille im Blut zu haben?
Oman gilt als das freundlichste und weltoffenste arabische Land. Ich kann das bestätigen. Schon bei der Ankunft am Flughafen scherzte der Zollbeamte mit uns, Taxifahrer bemühten sich die ganze Zeit, Gespräche aufrechtzuerhalten, und erstaunlicherweise kannten sie sich in der weltpolitischen Lage recht gut aus. Oman ist ein großes Land – mit einer Fläche von 309.500 km² und knapp fünf Millionen Einwohnern, davon nur drei Millionen einheimische Omaner. Der Rest sind Ausländer, die überall arbeiten, wo man hinschaut, meist aus Indien, Pakistan, Ägypten oder sogar aus der Türkei. Sie lächeln die ganze Zeit, scheinen gute Laune zu haben und scherzen auch miteinander. Das spricht für gute Arbeitsbedingungen. Angeblich verdienen sie hier deutlich besser als in Dubai oder den Emiraten und werden nicht als minderwertig angesehen. So habe ich es gehört.
Die Geschichte Omans ist tatsächlich nicht kompliziert und begann eigentlich erst 1970, als Sultan Qaboos ibn Said seinen Vater stürzte und das Land in eine moderne Richtung führte.
Sultan Quaboos ibn Said
Der Umsturz war nicht ganz friedlich. Der alte Sultan Said ibn Taimur weigerte sich, die Macht aufzugeben, und schoss mit einer Pistole um sich, bis er sich selbst ins Bein traf. Damit war sein Widerstand gebrochen, und sein Sohn konnte die Herrschaft übernehmen. Dieser Sultan hat den Omanern so viel Wohlstand gebracht, dass sie ihm bis heute dankbar sind und ihn dementsprechend verehren. Auch wenn seit 2020 sein Cousin Haitham ibn Tariq regiert, sind überall Fotos mit beiden Sultanen zu sehen. Das durchschnittliche Einkommen eines Omaners soll zwar 1.100 Euro nicht überschreiten, aber der Staat gewährt seinen Bürgern so viele Sozialleistungen, dass niemand klagen muss. Das ist Grund genug, ihren Sultan zu lieben (Oman ist eines von zwei Sultanaten auf der Welt; das andere ist Brunei auf der Insel Borneo).
Die Geschichte des Landes begann natürlich nicht erst 1970. Oman war seit jeher ein Exporteur von Weihrauch, der von hier aus in die ganze Welt verschifft wurde – auf Schiffen (Dhaus), die aus Palmstämmen gefertigt und mit Kokosfasern zusammengebunden wurden. Diese Boote, die zur Überraschung der Europäer tatsächlich schwimmfähig waren und sich auch für lange Reisen eigneten, lernten die Omaner erst später durch die Portugiesen mit Metallnägeln zu verstärken. Die Omaner kannten Seewege sowohl nach Osten als auch nach Westen, und da sie Fässer mit Datteln mitführten (die Dattelpalme gilt im Oman als wertvollster Baum und wird „Baum des Lebens“ genannt), litten sie – im Gegensatz zu europäischen Seeleuten – nicht an Skorbut, und ihre Zähne blieben ihnen bis ins hohe Alter erhalten. Selbst der Lotse Ahmed bin Majid, der Vasco da Gama nach Indien führte, war ein Omaner. Die Portugiesen „bedankten“ sich für diese Hilfe, indem sie die omanische Küste beherrschten und 150 Jahre lang hier regierten. Zwei Festungen am Eingang des Hafens von Alt-Maskat zeugen von dieser Zeit. (Die neue Stadt, die heutige Hauptstadt, hat – wie könnte es anders sein – das Geburtsjahr 1970.)
Die Straße von Hormuz, die den Persischen Golf mit dem Indischen Ozean verbindet, war immer von strategischer Bedeutung, heute mehr denn je, da durch sie alle Öltanker fahren müssen, die Öl aus Saudi-Arabien, dem Irak und Kuwait transportieren. Das Gebiet an der Spitze der Halbinsel, das in die Straße von Hormuz ragt, ist eine omanische Exklave (es gibt eigentlich zwei, aber eine davon ist so klein, dass sie kaum der Erwähnung wert ist). Die dortigen Bewohner entschieden sich in einer Volksabstimmung im Jahr 1971, als die Vereinigten Arabischen Emirate gebildet wurden, dafür, nicht Teil des Zusammenschlusses zu werden, sondern bei Oman zu bleiben. Ein Sultan hat eben mehr Prestige als ein Emir (vergleichbar mit König und Fürst in unserer Terminologie). Der neue Sultan weckte offenbar schon damals bei der Bevölkerung Hoffnungen, die sich dann später als berechtigt erwiesen. Die Exklave ist gebirgig, die Berge fallen direkt ins Meer und bilden Fjorde wie in Norwegen. Die größte Stadt dort ist al-Hasab, und das Gebiet ist vom Oman aus nur per Flugzeug oder Schiff erreichbar – und das nur bei gutem Wetter. Glücklicherweise gibt es dort fast immer gutes Wetter.
Über Maskat, wo die Berge bis zu 3.000 Meter hoch sind, bauen die Omaner Wanderwege und Klettersteige. Das ist ein Anreiz für Bergtouristen, denen die Alpen nicht genügen und der Himalaya zu weit entfernt oder zu hoch ist. Im Süden um Salalah gibt es ebenfalls Berge, die jedoch bereits zur jemenitischen Bergkette gehören. Der Jemen liegt nur 150 Kilometer von Salalah entfernt und zeigt, dass die Herrschaft eines aufgeklärten Sultans doch besser ist als ein kommunistisches Experiment, aus dem sich der westliche Nachbar Omans bis heute nicht erholt hat und das dort zu einem niemals endenden Bürgerkrieg führte. Davon bemerkt man im Oman allerdings nichts, abgesehen von den zahlreichen Kasernen der omanischen Armee und gelegentlichen Hubschrauberüberflügen. Jemeniten machen hier keine Probleme – sie haben genug eigene Sorgen und betrachten derzeit den jüdischen Staat im Norden als ihren Hauptfeind.
Die Kommunisten haben es allerdings auch im Oman versucht. 1965 gab es in der Provinz Dhofar, deren Zentrum Salalah ist, mit Unterstützung der jemenitischen Kommunisten einen bewaffneten Aufstand. Das führte in dieser Region zu einem Bürgerkrieg, der erst 1976 endete. Seitdem hat der Sultan die Kontrolle über das gesamte Staatsgebiet – was aus meiner Sicht sehr positiv ist. In Salalah scheint die Sonne praktisch immer (das ist der einzige Punkt, der nicht dem Sultan zuzuschreiben ist), mit Ausnahme der Monate Mai bis Juli. Das ist die Monsunzeit, in der sich die Sonne nicht blicken lässt und es ununterbrochen regnet. Dieses Wetter ist ein weiterer touristischer Anziehungspunkt der Region. Während Europäer von September bis April nach Salalah reisen, um die Sonne zu genießen, kommen zwischen Mai und Juli Araber aus Saudi-Arabien und anderen Wüstenländern, um der Hitze zu entfliehen. Während dort die Temperaturen auf über 45 Grad steigen, sind es in Salalah zu dieser Zeit „nur“ 30 Grad. Die größte Hitze herrscht hier Ende April und Anfang Mai. Ein Taxifahrer erzählte uns, dass es letztes Jahr 41 Grad im Schatten gab, und ich war bereit, ihm das zu glauben. Obwohl Oman größtenteils aus Wüste besteht, sollen sich die Berge, die in dieser südlichen Provinz bis zu 2.100 Meter hoch sind, in den Sommermonaten grün färben. Für Araber ist das ein Wunder und ein Abbild des Paradieses – nicht umsonst hat jede arabische Flagge einen grünen Streifen (einschließlich der omanischen).
Auf einem Aussichtspunkt in 1400 Metern Höhe, der mit dem Auto erreichbar ist und tatsächlich das sprichwörtliche Ende der Welt darstellt, steht ein Hotel.
Es hat allerdings nur in den drei Sommermonaten geöffnet und richtet sich speziell an arabische Gäste, die das Wunder genießen möchten, im Regen und Nebel zu sitzen und darauf zu warten, dass es sich ein wenig lichtet, um die grünen Hänge unter ihnen zu betrachten. Einen Tschechen, Slowaken oder sogar Österreicher wird man dort kaum antreffen – sie haben genug Nebel zu Hause.
Wasser ist in einem Wüstenland ein Wunder. Als wir zu einem Ausflug in diese Berge aufbrachen, besuchten wir alle Orte, an denen es ein wenig Wasser gab. Das Wadi Darbat mit seinem Bach, einem kleinen See und einem Wasserfall von fast fünf Metern Höhe war eines dieser Ziele. Der Reiseleiter verriet uns, dass wir Glück hatten – im Januar war der Wasserfall noch aktiv. Irgendwann im Februar versiegt er, weil das Wasser ausgeht, und es muss auf die Regenfälle im Mai gewartet werden. Selbst der kleine See unterhalb des Wasserfalls, etwa 50 Meter lang und 20 Meter breit, ist für die Einheimischen eine touristische Attraktion. Es gibt dort einen Erholungspark, und man kann sogar ein Boot für fünf Rial pro Stunde mieten. Übrigens: Egal, welchen Ausflug man im Hotel bucht, das Wadi Darbat ist immer Teil des Programms.
Wadi Darbat
Der Rial, die lokale Währung, ist ein Erbe der Portugiesen, die hier zu Beginn des 16. Jahrhunderts ihre Reals einführten, bevor sie um 1650 vertrieben wurden. Ein Rial entspricht etwa 2,60 Euro und ist damit eine der nominal höchsten Währungen der Welt. Nominal stärker ist nur das kuwaitische Dinar – für einen Dinar kriegt man 3,12 Euro.
Nach den Portugiesen hinterließen auch die Engländer ab 1798 ihren Einfluss in der Region. Trotzdem wird auf den Straßen Omans – die neu und in ausgezeichnetem Zustand sind – rechts gefahren. Alle Schilder im Land sind konsequent zweisprachig, mit arabischem Text und englischer Übersetzung. Nach der Vertreibung der Portugiesen übernahm die Said-Dynastie die Macht, die bis heute regiert. Besonders im 19. Jahrhundert expandierte das omanische Sultanat und eroberte 1730 die Insel Sansibar sowie angrenzende afrikanische Küstengebiete. Bis 1856 war Sansibar sogar die Hauptstadt des omanischen Reiches und die Residenz des Sultans. Nach dessen Verlust begann jedoch ein wirtschaftlicher Niedergang, da die Omanis ihre afrikanischen Plantagen und Einnahmen aus Hafengebühren verloren. Zudem hatten die dominierenden Europäer etwas gegen den Sklavenhandel, der damals die wichtigste Einnahmequelle des omanischen Staates war. Sklaverei blieb in Oman jedoch bis 1970 legal, bis der reformorientierte Sultan Qaboos an die Macht kam und die Sklaverei verbot.
Nicht weit vom Wadi Darbat befindet sich die Tawi-Attair-Schlucht, die durch Monsunregen bis zu 200 Meter tief ausgewaschen wurde. Im Januar war dort jedoch kein Wasser mehr sichtbar, und auch der Imbiss am Anfang des Wanderwegs war geschlossen.
Im Norden von Salalah liegt das Wadi Dawkah mit Plantagen von Weihrauchbäumen. Weihrauch war über Jahrhunderte der wichtigste Exportartikel des Landes und ist natürlich in Souvenirläden – sogar in Hotels – erhältlich. Den Laden findet man oft schon durch den angenehmen Duft von brennendem Weihrauch, den die Verkäufer als Köder einsetzen. Es gibt auch Weihrauchöl mit angeblich heilender Wirkung gegen nahezu alles, besonders wirksam soll es aber bei Hautkrankheiten sein. Ob das stimmt, sei dahingestellt – der Verkäufer wird Sie davon aber garantiert überzeugen, und zwar in jeder Sprache.
Das Weihrauchmuseum „Al Baleed“ befindet sich in Salalah. Die Anfahrt mit dem Taxi ist kein Problem – die Straßen in Oman sind durchweg asphaltiert und in gutem Zustand, allerdings mit zahlreichen Kreisverkehren, da Ampeln hier wenig Vertrauen genießen. Die Hauptprobleme im Straßenverkehr sind jedoch Kamele. Sie laufen in großen Herden, grasen am Straßenrand oder überqueren die Fahrbahn, unabhängig von deren Größe und Bedeutung. Die vierspurige Fahrbahn lieben sie offensichtlich noch mehr als zweispurige. Und das Kamel hat immer Vorrang – und weiß das auch.
Salalah ist eine komplett neue Stadt, deren Wachstum ausschließlich des Tourismus zu verdanken ist. Der englische Reisende Wilfred Thesiger beschrieb sie 1940 noch als ein Nest aus einigen Lehmhütten. Heute ist Salalah mit etwa 300.000 Einwohnern eine moderne Stadt mit Infrastruktur, Einkaufsstraßen und mit einem Flughafen. Logischerweise gibt es auch eine große Moschee, die Platz für 3200 Gläubige bietet. Ein Besuch ist auch für Nicht-Muslime möglich – jedoch ohne Schuhe, in langen Hosen, und Frauen müssen ein Kopftuch tragen, das vor Ort nicht ausgeliehen werden kann.
In der Nähe von Salalah befindet sich das Städtchen Taqah mit einer kleinen Festung, die im 19. Jahrhundert vom Scheich Timman al Ma’ashani erbaut wurde. Für drei Rial Eintritt kann man dort historische Einrichtungen besichtigen, einschließlich eines Schlafzimmers mit Baldachin und etwas verblassten Spiegeln. Bis 1984 diente die Festung als Sitz des Gouverneurs der Provinz, bevor dieser nach Salalah umzog. Heute ist sie eine Touristenattraktion.
Alles in allem bietet die Umgebung von Salalah für Historiker und Kulturinteressierte nicht allzu viel. Der Schwerpunkt liegt auf Sandstränden, gutem Essen (vor allem Fisch und Meeresfrüchte) und Erholung.
Und – Salalah war die erste Destination, die ich besucht habe, wo man den Sonnenaufgang sowie auch Sonnenuntergang über dem Meer beobachten konnte. Und im Dezember musste man nicht einmal zu früh aufstehen. Die Sonne ging gegen 6:45 Uhr auf und gegen 18 Uhr unten. Beides war ein schönes Spektakel, wenn es keine störenden Wolken am Horizont gab.