Litauen

Im neuen Jahr lade ich euch wieder zum Reisen ein. Wir kehren bei dem ersten heurigen Stopp nach Baltikum zurück.

Estland ist grundsätzlich gleich Tallinn. Ja, es gibt hier auch andere Städte, wie die Universitätsstadt Tartu oder das an der russischen Grenze liegende Narva. Aber von 1,3 Millionen Einwohnern leben 450 000 in der Hauptstadt, also jeder dritte. Noch mehr gilt es für Lettland, hier ist Riga mehr oder weniger das ganze Lettland. 770 000 von 1,9 Million Einwohner Lettlands leben hier. Einige an der Küste liegenden Städtchen können die Dominanz der Hauptstadt nicht brechen.

               Litauen ist nicht Vilnjus und Vilnjus ist nicht Litauen. Nicht durch seine Größe (540 000 von 3,4 Million Einwohner) und auch nicht durch seine Geschichte. Obwohl diese Stadt der litauische Großfürst Geminidas im Jahr 1316 gegründet hat. Er soll zu dieser Tat laut einer Legende durch einen Traum bewegt worden sein, als er nach einer Jagd auf einem Hügel über dem Zusammenfluss der Flüsse Neris und Vilnia ausruhen wollte. Die Hauptstadt von Litauen lag in dieser Zeit unweit von hier bei der Burg Trakai.

Ob infolge dieses Traumes oder auch nicht, er wählte richtig. In sonst sehr flachem Land ist ein Hügel von der Höhe einiger dutzende Meter direkt an dem Zusammenfluss zweier Flüsse eine für den Aufbau einer Burg eine willkommene Gelegenheit. Die alte Burg von Vilnjus steht bis heute.

               Sie ist heutzutage eine Ruine, gebaut – wie es schon in Litauen, einem Land mit einem absoluten Steinmangel Brauch war – aus Backsteinen. Es gibt von hier einen wunderschönen Ausblick über die ganze Stadt und diejenigen, die zu faul oder unfähig sind, zu Fuß diesen Hügel zu erklimmen, können einen Aufzug verwenden – ein österreichischer Gruß nach weitentfernten Litauen.

               Litauen war einmal ein sehr großes Reich, sein Gebiet reichte bis nach Moskau und ans Schwarzes Meer. Das war noch in den Zeiten, als die Litauer heidnisch waren und das waren sie sehr lange – bis zum Ende des vierzehnten Jahrhunderts. Dann wurde der litauische Großfürst Wladyslaw Jagiello zum polnischen König (um die Erbin des polnischen Königtums Hedwig im Jahr 1386 heiraten zu dürfen, musste er sich taufen lassen.)  Die Litauer halten ihn eher für einen Verräter und verehren seinen Cousin Vytautas (auf Deutsch eher unter dem Namen Witold bekannt). Seine Statue findet man im Park der Wasserburg Trakai, woher er über sein Reich herrschte. Seine Sternstunde schlug am 15. Juli 1410, als die litauischen Truppen unter seiner Führung die Schlacht bei Tannenberg zugunsten des polnisch- litauischen Bündnisses über den Deutschen Ritterorden entschieden. Die Litauer zeigen stolz das berühmte Bild von Jan Matejko, wo Vytautas direkt in der Mitte des Bildes und Jagiello nur am Rande dargestellt wird. In der Burg Trakai erzählte uns die Reiseführerin über einen Versuch von Jagiello, seinen ruhmreichen Cousin zu vergiften, die Geschichte habe ich aber eher als Zeichen der Abneigung der Litauer gegen Polen abgetan. Die Zeit der Herrschaft des Wladyslaw Jagiellos läutete die Bildung eines gemeinsamen Staates mit Polen ein.  Der Großfürst Vytautas zeugte nämlich nur eine Tochter und sein Cousin, der polnische König, der ihn um vier Jahre überlebte (Vladislav Jagiello wurde 82 Jahre alt, was für seine Zeit ein unglaublich hohes Alter war, übrigens er heiratete mit 71 Jahren das vierte Mal eine 17-jährige polnische Adelige und zeugte mit ihr noch zwei Söhne) wurde nach seinem Tod zum Herrscher von Litauen. Mit Vytautas starb im Jahr 1430 also die Selbständigkeit des litauischen Staates, die nur im Jahr 1918 wiederhergestellt wurde.

               Die neue Burg in Vilnjus, also eigentlich ein Schloss, das unter dem Hügel liegt, hat eine bewegte Geschichte hinter sich. Das einmalige Renaissanceschloss der Großfürsten von Litauen (die zweite Gattin des polnischen Königs und litauischen Großfürsten Sigismund war italienische Prinzessin Bona Sforza, die nach Vilnjus die italienische Renaissance brachte) wurde bei dem russischen Einfall im Jahr 1655 vernichtet. Obwohl die Stadt nach einigen Jahren zurückerobert werden konnte, gab es kein Interesse, die fürstliche Residenz wieder aufzubauen. Seit der Union von Lublin aus dem Jahr 1569 war Litauen ein fester Bestandteil des polnischen Staates und der polnische König residierte in Warschau. Im Jahr 1801, nachdem Vilnjus ein Teil des russischen Imperiums geworden war, haben die Russen die Reste des Palastes endgültig entfernt. Erst im Jahr 1997 wurden bei Ausgrabungen die Grundmauer des Gebäudes entdeckt und es wurde entschieden, es zu erneuern. Der Bau wurde im Jahr 2012 vollendet und im Gebäude befinden sich ein Museum und Konzertsäle.

               Vilnjus rühmt sich mit seiner insgesamt 56 Kirchen, überwiegend katholischen, es gibt hier aber auch orthodoxe Kirchen. (Vilnjus soll angeblich die Stadt mit der größten Dichte an Kirchen pro Quadratkilometer weltweit sein, es könnte die Reaktion darauf sein, dass die Litauer sehr lange heidnisch waren und nach ihrer Christianisierung einen Bedarf hatten, der Welt ihre Rechtgläubigkeit unter Beweis zu stellen). Die orthodoxen Kirchen sind älter als die katholischen. Schon in den Zeiten, als sich die Litauer noch zum Heidentum bekannten, gab es hier ein Viertel der russischen Kaufleute, die schon damals Christen waren. Drei von diesen Kaufleuten, die hier im heidnischen Vilnjus im vierzehnten Jahrhundert tot aufgefunden wurden, werden als heilige Märtyrer in der Kathedrale der göttlichen Dreieinigkeit geehrt. Diese Kirche ist besuchswert, sie hat eine einzigartige Ikonostase.  So eine habe ich eigentlich noch nirgends gesehen. Es dauert, bis man darauf kommt, dass es in dieser Kirche eine Ikonostase, einen nicht wegzudenkenden Teil der orthodoxen Kirchen, überhaupt gibt. Die größte Kirche in Vilnjus ist die Kirche der Heiligen Peter und Paulus, ein Bauwerk des Hochbarocks, gebaut nach Anweisung des litauischen Heerführers Michael Kazimir Pac, der sich unter der Schwelle im Eingang der Kathedrale bestatten ließ.

               Diese Kirche sollte ein Symbol der Dankbarkeit für die Befreiung der Stadt von der russischen Macht sein. Die Russen kamen aber im Jahr 1795 wieder und sie blieben. Die Kirche diente in der Zeit der russischen Okkupation als Lager, da ein Umbau zu einer orthodoxen Kirche viel zu teuer gewesen wäre. Paradox ist die Tatsache, dass gerade diese Kirche in der Zeit der sowjetischen Okkupation nach der Schließung der Kathedrale von Vilnjus für Gottesdienste geöffnet wurde, hier wurde vorübergehend auch der Sarkophag mit den leiblichen Überresten des örtlichen Heiligen – des heiligen Kazimir – bestattet. Er befindet sich heute schon wieder in einer selbständigen Kapelle in der Kathedrale, die aber nicht ihm sondern dem heiligen Stanislaus, dem Bischof von Krakau, geweiht ist. Wie man sieht, tun sich die Litauer mit ihrer Identität schwer, besonders dann in ihrer Hauptstadt. Polnisch heißt die Stadt Wilno und aus ihrer Umgebung stammte der polnische Präsident in der Zeit zwischen den zwei Weltkriegen Józef Pilsudski. Er ist im Wawel in Krakau begraben, er selbst aber bestimmte, dass sein Herz in Vilnjus bestattet werden sollte. Als ich aber unsere Reiseführerin gefragt habe, wo das Herz von Pilsudski begraben ist, antwortete sie lakonisch und gereizt: „Irgendwo auf dem Friedhof“ und sie mochte mich ab diesem Zeitpunkt nicht mehr. Ich musste selbständig erfahren, dass es auf dem Friedhof im Stadtviertel Rasos ist, unweit vom Stadtzentrum. Die Litauer haben also an diesen ihren berühmten Bürger keine positiven Erinnerungen, und nicht nur weil er ein Pole war (wie nach dem ersten Weltkrieg auch ein Großteil der Bevölkerung von Vilnjus). Obwohl Vilnjus im Jahr 1920 Litauen zugesprochen wurde, ließ Pilsudski die Stadt besetzen und stellte die Weltmächte vor vollendete Tatsache. Weil er gerade durch den Sieg über die Rote Armee bei Warschau berühmt geworden war, übergingen die Weltmächte diese Verletzung des internationalen Rechtes mit Schweigen und Wilno blieb bis 1939 polnisch. Die Hauptstadt des neuen litauischen Staates wurde für diese Zeit Kaunas, das sich demzufolge immer noch für die litauischste Stadt und eigentlich für „eine geheime Hauptstadt der Litauischen Republik“ hält. Übrigens Kaunas wird im Jahr 2022 gemeinsam mit dem luxemburgischen Esch an der Alzette zur Kulturhauptstadt Europas.

               In Kaunas wurde auch die erste Universität in Litauen gegründet, die in Vilnjus folgte im Jahr 1569 als eine Schule der Jesuiten. Jesuiten wurden nach Vilnjus von dem örtlichen Bischof eingeladen, um zu verhindern, dass es seinen Untertanen einfallen könnte, zum Protestantismus zu konvertieren. Zur Sicherheit gründete er die Universität gleich neben seiner Residenz, um die Kontrolle über die Jesuiten zu behalten. Seine Taten zeigten Wirkung, die Gedanken von Luther hatten in Litauen keine Chance und Litauen blieb katholische bis geht nicht mehr. Der Beweis dafür ist ein einzigartiges Relikt, so genannter „Berg der Kreuze“ nah der lettischen Grenze. Eigentlich ist das kein Berg, nur so ein Hügelchen von einer Höhe von 5-6 Meter. Aber der „Berg“ selbst und seine Umgebung ist mit tausenden Kreuzen bedeckt, jeder Tourist darf dort ein Kreuz kaufen und es dann dort platzieren. Wir kauften und platzierten keines. Es regnete ohne Ende, ich rutschte auf dem nassen Fußweg zwischen den Kreuzen aus und zerriss dabei meinen Mantel. Vielleicht wäre es nicht passiert, hätte ich ein Kreuz hingebracht. Im Jahr 1993 war hier Papst Johannes Paulus II. (wen überrascht es, er war doch überall). Er gab Anlass dazu, dass auf diesem denkwürdigen Ort ein Kloster gebaut wird.

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