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Urbino

               Urbino ist ein Schmuckstück der Renaissancearchitektur. So schaut es nämlich aus, wenn der Bauherr dem Architekten sagt, dass Geld keine Rolle spielt. Welcher Architekt möchte so einen Satz nicht hören? Seine Fantasie bekommt Flügel und die unbeschränkten finanziellen Möglichkeiten lassen  – sein schöpferisches Talent vorausgesetzt – Werke von unbegrenzter Schönheit entstehen. So war es auch bei dem Herzogpalast in Urbino.

               Urbino ist ein kleines Nest inmitten der italienischen Berge in der Province Marche. Es hat ungefähr 15 000 Einwohner aber auch eine Universität, die im Jahr 1508 von der Familie De la Rovere gegründet wurde und die derzeit von ungefähr 15 000 Studenten besucht wird. Die Folge ist der Eindruck einer jungen Stadt. Auf den Straßen trifft man laute junge lächelnde Menschen, was die gute Laune und die Attraktivität der Stadt wesentlich erhöht. Wenn man dann die Stadt in den ersten Julitagen besucht, wenn es die Zeit der Promotionen gibt, merkt man es noch deutlicher. Auf den Straßen der Stadt um die Universität laufen nämlich Absolventen mit Lorbeerkränzen auf den Häuptern, umkreist von stolzen Familienmitgliedern, alle natürlich feierlich angezogen – es ist eine Augenweide. Junge Italerinnen übrigens verlassen niemals das Haus oder die Wohnung ungepflegt („um jederzeit den Mann ihres Lebens treffen zu können“). Am Tag des Schulabschlusses gilt das dann noch viel mehr.  Urbino ist einfach ein Lobeslied an die Schönheit. An die menschliche sowie auch an die architektonische.

               Die Bedeutung der Stadt übertraf bei weitem ihre Größe, den Höhepunkt erreichte Urbino im fünfzehnten Jahrhundert, als hier der Herzog Federico de Montefeltro residierte. Wann die Familie Montefeltro in den Herzogstand erhoben wurde, ist nicht ganz klar. Nach Urbino wurden die Grafen von Montefeltro aus einer kleinen Burg nahe Rimini als kaiserliche Vikare von Kaiser Friedrich I. Barbarossa im Jahr 1155 eingesetzt. Die Provinz „Marche“ also „Marke“, war immer eine Pufferregion, wo der Kaiser mit dem Papst ihre Kräfte gemessen haben. Also kein Wunder, dass eine weitere Beschenkung der Familie Montefeltro vom Enkelsohn Barbarossas, Friedrich II., der einige Jahrzehnte mit Päpsten unerbittliche Kämpfe führte, stattfand. Aber wann traten die Montefeltros in den Rang der Fürsten, also der Herzöge und Souveräne? In Wikipedia las ich, dass es im Jahr 1442 war, eine andere Quelle behauptet, dass der erste Herzog von Urbino der bereits erwähnte Federico war, der allerdings seine Herrschaft erst im Jahr 1444 antrat. Und um noch ein bisschen mehr Chaos in die Sache zu bringen, feiert Urbino gerade heuer, also im Jahr 2022, 600 Jahre der Herzogstumentstehung.  Laut örtlichen Chronisten wurden die Montefeltros nämlich von den Päpsten (es müsste dann der in der Konstanz gewählte Martin V. gewesen sein) in den Herzogstand bereits im Jahr 1422 erhoben. Unbefangene Historiker schreiben diese Tat Eugen IV. zu, der im Jahr 1431 Papst wurde und einige behaupten sogar, dass Federico de Montefeltro vom Papst Sixtus IV. zum Herzog erhoben wurde, der allerdings sein Amt im Jahr 1471 antrat.

               Grundsätzlich ist es egal, wichtig ist, dass der „Palazzo ducale“ ein wirklich würdiger Sitz eines Fürsten ist.

Alles in der Stadt dreht sich um den bedeutendsten Sohn der Stadt Federico (Also nicht ganz alles, aber darüber später, die Stadt hat noch weitere weltbekannte Personen im Talon). Federico war ein Condottiere, also ein Heerführer, allerdings kein gewöhnlicher. Er hatte den Ruf eines Unbesiegbaren und deshalb wollten ihn immer alle Fürsten, Stadtrepubliken oder sogar Päpste anwerben, wenn sie wieder einmal irgendwo einen Krieg angezettelt haben. Es war praktisch. Als der Feind erfuhr, dass die Truppen des Gegners von Federico kommandiert wurden, gab er meistens sofort auf und kapitulierte. Damit sanken wesentlich die Kriegsführungskosten und Federico durfte unverschämte Honorare für seine Dienste verlangen. Aus diesem Geld hat er dann seinen Palast bauen lassen, aber nicht nur das. Federico war ein leidenschaftlicher Leser (vielleicht gerade deshalb gewann er überall. Stellen Sie sich vor: ein General, der lesen konnte, das ist sogar heutzutage eine Seltenheit) und Büchersammler. Die Buchdruckerei feierte gerade ihre Geburtsstunde, Federico sammelte also Manuskripte, die er kopieren ließ. In diese seine Leidenschaft investierte er eine unvorstellbare Geldsumme von 30 000 Dukaten. Um seiner Bibliothek ein entsprechendes Niveau zu verleihen, engagierte er für ein nicht gerade kleines Honorar Ottavio Ubaldini, einen der größten Gelehrten der damaligen Zeit, um Bücher für seine Sammlung auszuwählen. Zum Schluss gab es in seiner Bibliothek 900 Schriften. 600 in Latein oder auf Italienisch, 168 auf Griechisch, 86 auf Hebräisch und zwei auf Arabisch.

               Nicht umsonst schrieb gerade an seinem Hof Baldesar Castiglione sein Buch „I libro del Cortegiano“ also „Das Buch über einen Hofmann“, das ein ideales Bild eines Herrschers beschreibt, der Federico verdächtig ähnlich ist.

               Der einzige Condottiere, der Federico wirklich ärgerte, war Sigismondo Malatesta von Rimini. Der hatte nicht vor, sich zu ergeben und behauptete sogar, er wäre ein besserer Heerführer als Federico. So eine Frechheit! Der mit Federico befreundete Papst bildete eine große Koalition, die Sigismondo letztendlich im Jahr 1463 bei Cesena besiegte. Natürlich unter dem Kommando des Herrschers von Urbino.

               Der Herzogpalast in Urbino ist einfach atemberaubend. Schon das Treppenhaus aus Marmor, breit und mit niedrigen Stufen, damit auch ein Pferd diese Treppen besteigen konnte, wirkt imposant. Federico ließ sich in einer Nische im Treppenhaus wie ein römischer Imperator darstellen. Der Palast umgibt einen viereckigen Hof mit wunderschönen Renaissancebögen und hat repräsentative Räume für den Herzog sowie auch für die Herzogin. Federicos Gattin Battista Sforza, eine Nichte des Gründers des Ruhmes der Sforzafamilie Francesco, bewohnte einen eigenen Palastflügel – bereits damals waren getrennte Schlafräume in der Mode. Gleich am Anfang des Palastbesuches gibt es den Hochzeitssaal, wo diese zwei in den Ehebund traten. Die Tatsache, dass der Condottiere Sforza, der sich bis zum Herzogshut in Mailand durchkämpfen konnte, seine Nichte mit Federico verheiratete, war eigentlich eine Anerkennung der Fähigkeiten seines Kollegen. Über den dritten von den damaligen Condottieri, Sigismondo Malatesta, habe ich bereits genug geschrieben, den vierten – Jacopo Piccinino – ließ der psychopatische neapolitanische König Ferrante töten und dann für seine Leichensammlung ausstopfen.

               Die persönlichen Räume des Herzogs Federico, vor allem sein Arbeitszimmer „studiolo“, befinden sich hinter der unglaublich schönen westlichen Fassade des Palastes. Alle Türe haben Marmorrahmen mit Intarsien, die Wände sind mit Gobelins und Bilder geschmückt. Es gibt gleich zwei riesige Säle, der erste ist der Krönungssaal, der zweite bekam den Namen „Nachtwachesaal“, weil hier regelmäßig lange in die Nacht großartige Feste gefeiert wurden. Es gab genug Geld und genug Gründe zu feiern.

               Federico finanzierte an seinem Hof berühmte Künstler. Unter ihnen war Luca della Robia, der die ursprüngliche Fassade des Doms in Florenz schuf. In Urbino ist er Autor des Portals aus Terrakotta an der Kirche des heiligen Dominik, die gegenüber dem Herzogpalast steht. Am Hof wirkte auch Piero della Francesca, von ihm stammen Portraits von Francesco (aber auch seines Konkurrenten Sigismondo von Rimini). Am Hof Federicos war auch ein bestimmter Giovanni Santi tätig, ein Flüchtling aus dem Städtchen Colbordola, das von den Truppen aus Rimini zerstört wurde. Dieser talentierte Maler (seine Werke findet man heute in Museen in Florenz, London und Rom) arbeitete sich zum Hofmaler empor, er kaufte in der Stadt ein Haus, das sich in der Straße, die den Namen seines Sohnes Raffaello Santi trägt, befindet. Das ist nämlich der zweite der gebürtigen Urbinesen, den man nicht außer Acht lassen kann.

Raffaello wurde im Jahr 1483 in Urbino geboren und lebte hier die ersten sechzehn Jahre seines Lebens. Dieser außergewöhnliche Maler und Architekt ist in Urbino nur durch zwei seine Werke vertreten – erstes ist die so genannte „Stumme“, ein Portrait einer adeligen Dame. Dieses Bild befindet sich in „Palazzo ducale“. In Raffaelos Geburtshaus ist dann ein Fresco „Madonna mit dem Kind“. Manche Forscher vermuten den Vater Raffaellos Giovanni als Autor, andere behaupten, dies wäre die erste Arbeit Raffaellos, die er noch unter Aufsicht seines Vaters schuf.

Sein Geburtshaus ist gefüllt mit Kopien seiner Werke, die werden aber nicht so hochgeschätzt. Giovanni starb im Jahr 1494, als Raffaello elf Jahre alt war (seine Mutter starb sogar schon früher). Raffaello verließ also im Jahr 1500 Urbino. Er ging nach Perugia, wo er eine Ausbildung bei Meister Pietro Vanucci, genannt Perugino, genoss. Er kam nie mehr nach Urbino zurück, er starb jung im Jahr 1520 in Rom. Sein Geburtshaus ist ziemlich geräumig mit einem kleinen Hof und einer Kolonnade. Giovanni Santi musste also relativ wohlhabend gewesen sein. Die Stadt Urbino ist auf ihren Sohn gehörig – möglicherweise sogar ungehörig – stolz, Raffaellos Namen begegnet man hier auf jedem Tritt und Schritt. 

               Der dritte berühmte Sohn der Stadt war Papst Klement XI., mit eigenem Namen Francesco Albani, geboren in Urbino im Jahr 1649. Er war Papst in den Jahren 1700 – 1721.

Nach ihm heißt das Museo Albani neben dem Dom. Seine Statue befindet sich nicht nur vor dem Dom, sondern auch in der Bramantestraße auf dem Weg vom Tor der heiligen Lucia in Richtung Stadtzentrum. Auch Donato Bramante, der später Rom baute, gehörte zur Künstlerschule von Urbino, er wurde von Luciano Laurano ausgebildet, vom Architekten, der den Herzogspalast in Urbino baute. Bramante verließ Urbino im Jahr 1476 in Richtung Mailand und später ging er dann nach Rom. In Urbino trägt eine der wichtigsten Straßen seinen Namen.

               Papst Klemens XI. hatte es in seinem Amt nicht gerade einfach. Bereits im ersten Jahr seines Pontifikats entflammte der Spanische Erbfolgekrieg, in dem er zuerst auf der Seite Ludwigs XIV. von Frankreich stand. Als sich aber der Blatt nach der Schlacht bei Blenheim gewendet hat und die kaiserliche Armee in den Kirchenstaat eingefallen ist, musste auch er die Seiten wechseln. Als aber Kaiser Josef I. im Jahr 1711 starb, mussten die Habsburger wieder in die Defensive und der Papst mit ihnen. Zusätzlich zu diesem Leiden hat ihn der branderburgische Kurfürst Friedrich III. zu Weißglut gebracht, der sich ohne päpstliche Genehmigung im Jahr 1700 zum preußischen König proklamierte. Papst hat zwar seinen Königstitel niemals anerkannt und er nannte den preußischen Herrscher immer nur „Kurfürst von Brandenburg“, das war aber ungefähr alles, was er dagegen tun konnte. Wenn man in Rom eine Spur dieses Pontifex suchen würde, sollte man in die Kirche „Basilica Santa Maria degli Angeli“ gehen. Es ist ein geniales Werk von Michelangelo, der diese Kirche aus einer alten römischen Therme schuf. Auf dem Boden in der Kirche befindet sich der Meridian, den hier gerade Papst Klemens XI. platzieren ließ, als er den gregorianischen Kalender von einer Gruppe Wissenschaftler überprüfen ließ.

               Der Dom von Urbino ist von außen großartig, er ist ein riesiges Renaissancegebäude, auf dem, wie es in Italien schon Brauch ist – eine klassistische Fassade geklebt wurde. Es ging nicht anders, der Dom wurde von einem Erbeben im Jahr 1789 schwer beschädigt und bis zum Jahr 1801 praktisch neu aufgebaut. Der Eindruck ist nicht schlecht, der Klassizismus und die Renaissance harmonieren gut miteinander.

Das Innere der Kirche ist einfach, ebenso klassizistisch, mit Bildern von Barockmeister Federico Barocci – eine Menge seiner Bilder ist auch im Herzogspalast aufgestellt.

               Wenn man die Stadt Urbino von oben sehen möchte – was sich wirklich auszahlt – ist es notwendig zur Festung „Fortezza Albornoz“ oberhalb des „Parco della Resistenza“, das nach den Opfern des Widerstandes gegen Nazismus in der Zeit des zweiten Weltkrieges benannt ist, aufzusteigen

               Federico de Montefeltro hatte lediglich einen Sohn Guidobaldo, der starb im Jahr 1508 kinderlos. Er wurde aus der Stadt von Cesare Borgia vertrieben und nach seinem Tod übernahm die Familie della Rovere die Regierung in der Stadt (aus dieser Familie stammte Papst Julius II., der Papst in den Jahren 1503 – 1513 war und nicht vergaß, seine eigene Familie mit Herzogtum von Urbino reichlich zu beschenken. Nur für drei Jahre 1516 – 1519 wurde Lorenzo Medici Herzog von Urbino. Dank dieser Tatsache konnte seine Tochter Katharina den Titel Prinzessin von Urbino tragen, obwohl sie diese Stadt nie gesehen hat. Sie wurde im Jahr 1519 in Florenz geboren und ihre Eltern starben 15 und 21 Tage nach ihrer Geburt. Ihr Titel spielte aber eine wesentliche Rolle, als sich ihr Onkel Papst Klemens VII., mit eigenem Namen Giulio di Medici, erfolgreich bemühte, seine Nichte mit dem zweitgeborenen Sohn des französischen Königs Franz I. Heinrich zu verheiraten. Als Tochter eines reichen Kaufmanns Medici hätte sie keine Chancen und die Medici durften in Florenz, das auf seiner republikanischen Tradition beharrte, keine Titel tragen, obwohl sie in der Stadt viele Jahre inoffiziell herrschten. Dank ihres Titels Prinzessin von Urbino wurde Katharina später französische Königin und organisierte eines der furchtbarsten Gemetzel der Menschengeschichte – die Bartholomäusnacht in Paris im Jahr 1572.

               Die Familie De la Rovere übernahm im Jahr 1519 wieder die Macht in Urbino und im Herzogspalast ließ sie sich private Apartments im zweiten Stockwerk einrichten. Man kann sie besuchen, sie dienen als eine Pinakothek. Nach dem Aussterben der Familie De la Rovere im Jahr 1631 schloss Papst Urban VIII. Urbino an den Kirchenstaat an und die Stadt verlor ihre Bedeutung. Aus dieser Zeit stammt der ägyptische Obelisk, der im Jahr 1737 vor dem „Palazzo ducale“ aufgerichtet wurde.

               Natürlich zum Schluss eine immer wichtige Frage: Was sollte man in Urbino essen? In Rimini werden überall als ein Schnellimbiss „Piadine“, also Fladenbrot aus Mehl, Eier, Salz und Wasser angeboten. In Urbino heißt ein ähnliches Gericht „Cresce“, bzw. „Cresce sfogliate“. Neben Mehl, Eier, Schweinschmalz und Milch erhalten sie nur mehr Salz und Pfeffer. Ihr Ursprung muss man wieder einmal in der Zeit der Herrschaft Federicos de Montefeltro suchen. Federico mochte als ein Soldat einfache Gerichte. Als er aber seine Gäste bewirten sollte, wollte er ihnen doch etwas Besseres servieren, und so wurde in dem traditionellen Fladenbrot auch Milch, aber vor allem in dieser Zeit der rare und geschätzte Pfeffer beigemischt. In so einen Fladen kann man alles einwickeln, die einfachste Füllung ist „Prosciuto crudo“, Käse oder Rucola. Und ein Schnellimbiss für Tausende hungrige Studenten ist fertig. Deshalb gibt es in Urbino „Cresceriae“ an jeder Ecke.

San Marino

               Die winzig kleine Republik San Marino hat eine Fläche von 61,2km2 und 34 000 Einwohner. (sie ist der drittkleinste Staat im Europa nach Vatikan und Monaco). Sie ist unheimlich stolz auf ihre Geschichte und ihre Unabhängigkeit. Im Unterschied zu allen anderen italienischen Stadtkommunen hat hier niemals ein Diktator die Macht an sich gerissen, das Land ist immer eine Republik geblieben und ihre Verfassung wurde seit dem Jahr 1263 nicht geändert. Die Gesetzgebung unterliegt einem „Großen Rat“ mit 60 Mitgliedern, die Exekutivgewalt dann zehn Mitgliedern eines „Congresso die Stato“. An der Spitze des Staates stehen zwei „Capitani Regenti“, die sich mit einer großen Parade auf dem Freiheitsplatz vor dem „Palazzo del Governo“, also vor dem Regierungspalast  immer am 1.April und am 1.Oktober in ihrem Amt abwechseln.

               San Marino auf dem Gipfel des felsigen Berges Monte Titano sollte laut einer Legende im Jahr 303 in der Zeit der letzten großen Christenverfolgung unter dem Kaiser Diocletianus gegründet worden sein. Ein aus der dalmatischen Insel Rab stammender Steinmetz namens Marinus floh damals aus nahem Rimini in die damals unbewohnten Berge und gründete dort eine christliche Kommune. Der Beruf des Stadtgründers ist wahrscheinlich aber nicht der Grund, warum San Marino – anders als die herumliegenden italienischen Städte, wo in der Architektur Backsteine überwiegen – aus Stein gebaut ist. Die Ursache war eher die Verfügbarkeit dieses Baumaterials auf dem felsigen Monte Titano, im Gegenteil zur nahen Poebene, wo Stein eine kostbare Seltenheit ist. Die monumentalen Steingebäuden geben San Marino sein flair, als ob die Stadt wirklich mit dem umgebenden Italien nicht kompatibel wäre. Seine Schönheit kann man aber nicht abstreiten.

               Mit dem Toleranzedikt des Kaisers Konstantin aus dem Jahr 313 war die Christenverfolgung zu Ende, die christliche Kommune blieb aber weiterhin auf dem Berg und ließ sich dort nieder. Die folgenden unruhigen Jahrhunderte überlebten die Siedler in relativer Ruhe. Niemand wusste von ihnen und niemand kümmerte sich um sie. Trotzdem begannen sie im zehnten Jahrhundert mit dem Bau einer Stadtbefestigung – heute ist der Kreis der hohen Schutzsteinmauer die Hauptattraktion der Stadt. Die drei Türme, die die Stadtbefestigung dominieren, waren zweifellos die Inspiration für John Ronald Reuel Tolkien, als er seinen „Herrn der Ringe“ schrieb. Deshalb wird in San Marino jedes Jahr ein Tolkienfest organisiert. Die Türme sind imposant und gut sichtbar (abends, wenn die Sonne im Westen ist) sogar von der Küste bei Rimini. Sie sind natürlich auch im Staatswappen der Republik, wo, gleich wie überall in der Stadt, die Farben blau und weiß herrschen – die Farben, die für die Bürger der Republik ihre Freiheit symbolisieren.

Das Staatswappen ist mit Eichenzweigen als Symbol der Härte umgeben. Es gibt genug Eichen auf den Böschungen des Kalkfelsens „Monte Titano“ und San Marino musste nicht nur einmal die Tapferkeit und die Widerstandsfähigkeit beweisen, um seine Unabhängigkeit zu bewahren. Besonders im fünfzehnten Jahrhundert, als San Marino zu einer breiten päpstlichen Koalition gegen Sigismondo Malatesta aus Rimini beitrat. Die Sanmarinösen hatte mit der Familie Malatesta ihre liebe Not bereits seit dem dreizehnten Jahrhundert und verbanden sich also gerne mit jedem, der ihnen gegen die Herrscher von Rimini helfen konnte. Nach dem Sieg über Sigismondo im Jahr 1463 erhielten sie zur Belohnung von Papst Paul II. einige Dörfer am Fuße des Berges und so expandierte die Republik vom Felsen in die Ebene und erreichte ihre derzeitige Größe. Im Jahr 1503 besetzte zwar für eine kurze Zeit Cesare Borgia die Stadt, nach seinem Tod wurde aber der Anschluss der Republik an den Kirchenstaat diskret vergessen und sie durfte weiterhin unabhängig existieren.

               San Marino ist ein Idealziel für Eintagesausflug. Es ist ganz einfach erreichbar. Vom Bahnhof in Rimini verkehren zwischen Rimini und San Marino regelmäßig Busse, eine Zugverbindung gibt es zwischen Rimini und San Marino seit 1932. Wenn man sich entscheidet mit Auto anzureisen, dann fährt man auf der SS 72 von Rimini und man kann entweder bereits auf dem Parkplatz 11 in Borgo Maggiore einparken und dann mit einer Gondelbahn in die Stadt hochfahren oder man kann die Reise über die Kehren fortsetzen und dann ruhig in den Parkhäusern Nummer 9 oder 10 stehen bleiben. Von dort kommt man in die Stadt mit einem Lift, also schwitzen muss man nicht unbedingt, wenn man die Stadt erreichen will. Wer feste Nerven hat, kann weiterfahren und sich zu weiteren Parkplätzen von hübschen Polizistinnen in gelben Uniformen leiten lassen.

               Wenn man die Stadt durch das Tor des heiligen Franziskus betritt, findet man im Vorsaal einer Kirche, die direkt bei dem Eingang steht, eine Tafel, die eine Erklärung bietet, warum San Marino nicht zu Italien gehört. Es ist eine Gedenktafel, die an 31.Juli 1849 erinnert, als die Stadt Asyl Giuseppe Garribaldi und seinen zweitausenden Soldaten gewährte, die hierher von einer Übermacht von fünfzehntausend Österreicher getrieben wurden. San Marino war häufig ein Zufluchtsort, während des zweiten Weltkrieges suchten hier an die hunderttausend Menschen die Sicherheit. Garribaldi versteckte sich auf dem Monte Titano und am nächsten Tag gelang es ihm mit 150 treuesten Soldaten aus der Umzingelung zu entkommen.

Am 2.August drängten die Österreicher in die Stadt und suchten den ewigen Unruhestifter – vergebens. Nachdem das vereinigte Italienische Königsreich am 17.März 1861 verkündet wurde, meldete sich Garribaldi und bedankte sich gleich zweimal am 24.April und am 1.Juni für die Verleihung der Ehrenbürgerschaft San Marinos. Für die Liebhaber der italienischen Sprache also im Original:

„Vado superbo di essere cittadino di cotanto virtuosa repubblica.“

Es wäre durchaus möglich, dass Garribaldi die Bewahrung der Unabhängigkeit der „virtuosen“ Republik bereits im Jahr 1849 dem damaligen Kapitän Regenten Dominico Mario Belzoppi als Belohnung für das Asyl versprach. Die Bürger von San Marino versicherten sich aber auch wo anders, als sie die Ehrenbürgerschaft ihres Staates dem amerikanischen Präsidenten Abraham Lincoln mit der Begründung, dass die amerikanischen Idealen dem traditionellen Verständnis der Demokratie in ihrem Land entsprachen, verliehen. Abraham Lincoln bedankte sich für die Verleihung der Ehrenbürgerschaft in einem Brief aus 7.Mai 1861. Heben sie dann ein Land auf, dessen Ehrenbürgerschaft der amerikanische Präsident besitzt!

Am 22.März 1862 unterschrieb also das Italienische Königreich mit der Republik San Marino ein Abkommen über die gegenseitige Anerkennung der Souveränität, über den Respekt und Zusammenarbeit. Was blieb schon den Italienern übrig? Den unberechenbaren Garribaldi oder der mächtigen amerikanischen Präsidenten wütend zu machen zahlte sich wegen eines Felsens wirklich nicht aus.

Natürlich trägt ein Platz in San Marino den Namen Garribaldis, der von seiner Büste beherrscht wird. Auf diesem Platz befindet sich das Museum der Philatelie und Numismatik, also Briefmarken- und Münzenmuseum, weil San Marino aufgrund einer Übereinkunft mit dem  Italienischen Königreich aus dem Jahr 1862 das Recht eigene Münzen zu prägen und eigene Briefmarken auszugeben hat – die Münzenprägung muss allerdings der italienischen Emissionspolitik entsprechen. Die erste Münze war eine Kupfermünze mit Nominalwert von 5 Centessimi aus dem Jahr 1864, später kamen Silbermünzen und seit dem Jahr 1925 auch Goldmünzen dazu. In der Gegenwart sind sie ein Teil der Eurozone und die Münzen von San Marino sind dankbares Sammelobjekt für die Münzensammler. Auch deshalb änderte die Republik im Jahr 2017 das ursprüngliche Design der ersten Münzen aus dem Jahr 2002 und ließ in der neuen Serie neue Motive prägen. Die Serie aus dem Jahr 2017 in dem Nominalwert 3,88 Euro konnte ich in einem Souvenirgeschäft auf der Piazza Garribaldi für 65 Euro kaufen – es ist also für die winzige Republik kein schlechtes Geschäft.

Eigene Briefmarken begann San Marino im Jahr 1877 auszugeben. In San Marino lebte einer der ersten Wissenschaftler im Fach der Numismatik Bartolomeo Borghesi, der wissenschaftlich die Münzen der Römischen Republik bearbeitete und in San Marino eine Büste zu seiner Ehre hat. Also eine Tradition in der Münzenprägung gibt es allemal.

San Marino musste ein großes diplomatisches Geschickt beweisen, um die eigene Unabhängigkeit zu bewahren. Im Jahr 1739 versuchte es der Kardinal Giulio Alberoni, die Macht in der Stadt an sich zu reißen. Die Bürger von San Marino wendeten sich an den Papst und er befahl dem Kardinal, sich aus der Stadt zurückzuziehen. Im Jahr 1740 war die Republik schon wieder frei. Im Widerstand gegen diese Okkupation – die einzige in der Geschichte der Republik – spielte eine wichtige Rolle Girolamo Gozi. Sein Denkmal aus Bronze steht auf dem Platz der Heiligen Agatha gleich hinter dem Eingangstor in die Altstadt.

Als Anerkennung seiner Verdienste wurde er im Jahr 1742 zum Kapitän Regent gewählt. Als Napoleon Norditalien erobert und die Cisalpinische Republik gegründet hat, war das Schicksaal von San Marino wieder einmal unsicher. San Marino schickte an Napoleon einen Brief, in dem die Verbreitung der Ideen der Französischen Revolution bewundert wurde. Ideen, die mit den seit Jahrhunderten in San Marino herrschenden Idealen übereinstimmten. Napoleon bot dann unter dem Eindruck dieses Briefes San Marino zwei Kanonen, eine Getreidelieferung und eine Erweiterung des Gebietes der Republik bis zum Meer mit Einnahme von Rimini. San Marino hatte wieder einmal einen gescheiten „Capitano Regent“. Er lehnte die Kanonen sowie auch die Landeinnahme ab, er war bereit, lediglich das Getreide zu empfangen. Dank dieser Entscheidung wurde San Marino auf dem Wiener Kongress nicht zu Napoleons Verbündeten gezählt und durfte seine Souveränität behalten.

               Das Zentrum der Stadt ist die „Piazza della Liberta“ mit der Freiheitsstatue von Stefano Galleti und mit dem „Palazzo del Governo“ – auch Palazzo publico genannt. Es ist im neugotischen Stil gebautes Gebäude aus dem Jahr 1894. In dem residiert der Rat der Zehn. Am Samstag, als wir die Stadt besuchten, gab es natürlich Hochzeiten und der Palast war deshalb für die Öffentlichkeit geschlossen.

               Auf dem Weg hinauf kommt man zum so genanntem Canton, wo die Bergstation der Gondelbahn ist (und die Büste von Bartolome Borhesi und, fantastische Ausblicke in die Landschaft geboten werden. Gleich daneben gibt es „Cava die Baleistrieri“, wo die San-Marinesen Armbrustschützer ihre Kunst vorführen. Überall gibt es moderne Metallstatuen (ich konnte den Namen ihres Autors nicht erfahren, aber sie haben etwas mysteriöses in sich und ergänzen perfekt die mittelalterliche Mauer und Gebäude). Sie haben ein Hauch von Fantasy und führen einen Menschen in die Welt des „Game of Thrones“ oder „Herr der Ringe“.

Die San-Marinesen können also ihre Stadt mit gutem Geschmack schmücken. Weiter bergauf kommt man zum klassizistischen Gebäude der Kirche „Del Santo“, wo die Knochen des Stadtgründers des Heiligen Marinus aufbewahrt werden. Dann führt der Weg nur mehr zu den drei Türmen der Stadtbefestigung.

               Der erste Turm Rocca Guaita ist der älteste. Er stammt aus dem elften Jahrhundert und ist ein Teil der Stadtmauer, eigentlich bildet er den höchsten Punkt der Stadtbefestigung.

Von dort führt ein Schutzweg („Via del Strege“, also ein „Hexenweg“) zu zweitem Turm Rocca Cesta oder auch Fratta. Dieser Turm ist noch eine klassische Festung mit allem, was dazu gehört, sogar mit einer Kapelle für die Besatzung.

Weiter geht der Weg zu dem dritten Turm Rocca Montale. Seine Bedeutung stieg angeblich in der Zeit der Kämpfe gegen die Familie Malatesta im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert. Rekonstruiert wurde er im Jahr 1935, seine heutige Funktion blieb für mich allerdings rätselhaft, beim besten Willen konnte ich nämlich keinen Eingang finden.

               Die Wege zwischen den Türmen sind nicht besonders lang, es ist immer nur ein paar hundert Meter und zwischen dem ersten und dem zweiten Turm darf natürlich eine Bar mit einer Erfrischung nicht fehlen. Wenn man die Türme im Abendlicht von Rimini beobachtet, scheint die Entfernung zwischen ihnen viele Kilometer zu sein und man wundert sich, wie man alle Türme in der sommerlichen Hitze besuchen konnte. Es ist aber nicht schwer und es ist ein schönes Erlebnis. Der Eintrittspreis ist absolut akzeptabel. Als Senioren über 60 Jahre zahlten wir 6 Euro für den Besuch aller Türme sowie auch Museen – wir besuchten das Museum der Philatelie und Numismatik und das Stadtmuseum. Das Stadtmuseum ist besuchswert. Außer der Stadtgeschichte ist hier als der größte Anziehungsgegenstand ein Goldschatz aus dem Grab einer gotischen Prinzessin aus der Zeit des Königs Theodorich des Großen, also aus dem Anfang des sechsten Jahrhunderts, ausgestellt. Der Schatz wurde in den Jahren 1892 – 1893 im Dorf Domagnano auf dem Gebiet der Republik ausgegraben.

               Essen und Trinken war in San Marino in akzeptablem Bereich und das Parken für die gesamte Besuchszeit, die über 5 Stunden dauerte, kostete 4,50 Euro.

               San Marino erwies sich also als touristisch außerordentlich freundliches Land. Sogar der Treibstoff kostete hier um 10 Cent weniger als in Italien und um zwanzig weniger als in Österreich. Also die Versuchung hier zu tanken war besonders groß. Ich tankte voll, obwohl der Tanka jede Konversation in einer anderen als italienischen Sprache streng verweigerte.

Rimini II

Das zweite Mal, etwas weniger romantisch, schrieb sich Sigismondo Pandolfo Malatesta in die Lebesgeschichten der Stadt ein. Dieser Mensch war ein typisches Produkt Italiens in der Renaissancezeit. Er war sehr gebildet, gottlos, gewalttätig und rücksichtlos, ein hervorragender Heerführer und ein Schürzenjäger. Er unterstützte Kultur, er sponserte Maler und Bildhauer, er umgab sich mit Künstler wie Agostino di Duccio, Giovanni Bellini und Ghirlandaio. Übrigens, bereits seit dem vierzehnten Jahrhundert gab es in Rimini eine eigene Künstlerschule. Sigismondo ließ in Rimini die Franziskanerkirche zu einem „Tempio Malatestiano“ umbauen, was ein Grabmal seiner Geliebten und dritter Frau Isotta degli Atti sein sollte und wo er später selbst begraben wurde.

Tempio Malatestiano

Es ist ein prächtiges Renaissancegebäude, obwohl das Projekt Sigismondos, hier so etwas wie ein Pantheon für berühmte Gelehrte seiner Zeit zu errichten dem Papst viel zu heidnisch schien. Sigismondo ließ sich auf der Kirchenwand in einem Fresco von einem der berühmtesten Künstler der damaligen Zeit Piero della Francesca darstellen. Kniend und voll Reue, was seinem Naturell überhaupt nicht entsprach.

Es ist ein von zwei seiner Portraits, die erhalten geblieben sind, der zweite befindet sich in Paris. Mit seiner geliebten Isotta war es ein bisschen problematisch. Sigismondo war nämlich in der Zeit, als er mit ihr ein Verhältnis hatte, gleich zweimal verheiratet und seine Gattinnen waren aus keinem schlechten italienischen Hause – Ginevra d´Este war eine Tochter von Niccolo III. d´Este aus Ferrara und Polisena Sforza war eine Tochter von Francesco Sforza, des Gründers des Ruhmes seiner Familie in Mailand. Nach den erhaltenen Berichten ließ Sigismondo die Erste vergiften und die Zweite erdrosseln, um endlich seine geliebte Isotta heiraten zu dürfen. Diese Berichte stammen allerdings aus der päpstlichen Kanzlei und ihre Verlässlichkeit kann man anzweifeln. Frage ist, wieviel von den Sünden, die Sigismondo zugeschrieben wurden (Er wurde „Ezzelino“, also „der kleine Atilla“ genannt, offensichtlich blieb hinter ihm nicht gerade wenig Leichen) er tatsächlich beging und wieviel davon das Produkt der päpstlichen Propaganda war. Der größte Fehler Sigismondos war nämlich, dass er sich zum Todfeind den größten Condottiere der damaligen Zeit, Federico di Montefeltro, gemacht hat, der im benachbarten Urbino herrschte. Sigismondo führte einen Ermüdungskrieg mit ihm und der hervorragende Stratege Federico konnte Papst Pius II. an seine Seite ziehen. Dieser, obwohl selbst kein Heiliger (er war der ehemalige Kanzler des Kaisers Friedrich III. und ein großer Humanist Aeneas Silvius Piccolomini), war von den angeblichen Verbrechen Sigismondos so weit erschüttert, dass er in Rom sein Portrait öffentlich verbrennen ließ und ihn zur Verdammung in der Hölle verurteilte. Als nicht einmal so etwas Sigismondo zur Einkehr bringen konnte, schmiedete der Papst eine breite Koalition gegen ihn, die auch sein Nachfolger Paul II. fortsetzte, und mit vereinigten Kräften ist es gelungen, Sigismondo zu besiegen und ihm alle seine Länder mit Ausnahme von Rimini zu entnehmen.

               Sigismondo ließ am nördlichen Rand der Stadt eine gewaltige Festung bauen (Castel Sismondo), die bis heute erhalten blieb und heutzutage als Museum dient, nicht einmal die konnte ihm aber zum Sieg helfen.

Castel Sigmondo

               Sigismondo machte vor seinem Tod die Kinder von Isotta zu seinen Erben, er rechnete allerdings nicht damit, dass seine gewalttätigen Gene in der reinsten Form sein Sohn aus einer anderen außerehelichen Beziehung mit Vanetta Tocchi, Roberto, geerbt hatte. Sigismondo zeugte mindestens dreizehn Kinder (manche Autoren zählten sogar 21 Nachkommen aber im offiziellen Stammbaum der Familie Malatesta im Stadtmuseum sind dreizehn angeführt, also bleiben wir bei dieser Zahl), wobei er – wie es damals üblich war – kein Unterschied zwischen legitimen und illegitimen Kindern machte. Roberto beseitigte im Jahr 1470 seine Stiefbrüder, die Söhne von Isotta, Sallustio und Valerio und wurde Herrscher in Rimini. Er versöhnte sich mit Federico von Urbino, er heiratete sogar eine Tochter des Herrn von Urbino und er erreichte auch einen Ausgleich mit Papst Sixtus IV. (mit dem ersten wirklichen Verbrecher auf dem päpstlichen Thron, ihm folgte eine Reihe ähnlichen Existenzen, wie Innozenz VIII, Alexander VI. Borgia und Julius II della Rovere – dann musste schon zwingend Luther mit seiner Reform kommen).

               Gerade Cesare Borgia, der Sohn von Papst Alexander, vertrieb im Jahr 1503 Robertos Sohn Pandolfo IV. aus Rimini und beendete damit die Herrschaft dieser Familie in der Stadt. Pandolfo und sein Sohn Sigismondo haben es mehrmals versucht, die Stadt wieder unter ihre Kontrolle zu bringen, sie blieb aber dauerhaft unter päpstlicher Verwaltung. Rimini wurde zu einer von vielen Städten im Kirchenstaat und wurde arm, besonders, als ein Erdbeben im Jahr 1672 den Hafen verschüttete – und dann erschien in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts der Tourismus. An die päpstliche Herrschaft erinnert die Statue des Papstes Paul V. auf dem zentralen Platz der Stadt „Piazza Cavour“.

Papst Paul V. (Pontifikat 1605 – 1621)

Dieser Papst hatte keine Verdienste um Rimini, er herrschte aber gerade in Rom als es die Bürger von Rimini beschlossen, es mit der Arschkriecherei zu probieren in der Hoffnung, es könnte etwas bringen. Es brachte nichts. Auf der Piazza Cavour gibt es auch das „Palazzo publico“, also das Rathaus, und das Stadttheater „Teatro Galli“ aus dem Jahr 1846 (erneuert nach seiner Zerstörung im zweiten Weltkrieg und wiederöffnet im Jahr 1947) im klassizistischen Stil. Alle historischen Gebäude mussten nach dem Krieg neu gebaut werden, das Ergebnis ist aber imposant und eigentlich auch schön. An der westlichen Seite schließt sich an den Platz eine gemauerte Kolonnade, es war ursprünglich der Fischmarkt, gebaut im Jahr 1749, der die Bedeutung der Fischerei für die Stadtwirtschaft symbolisieren sollte (heute ist es marginal). „Fontana della Pigna“ (Pinienzapfenfontäne) stammt aus dem Jahr 1543, es wurden Artefakte aus den römischen Zeiten in sie eingebaut. Als Erster erwähnte sie niemand geringer als Leonardo da Vinci.

               Die Stadt Rimini ist auch mit der Mission des heiligen Antonius von Padua verbunden. Er begann seine italienische Karriere im nahen Forli, wo er seine erste Predigt hielt. In Rimini konnte er die Bürger nicht wirklich mit seiner Rede fesseln. Wenn sie kein Interesse zeigten, sich seine Predigt anzuhören, ging er zum Fluss Marecchia und er predigte den Fischen. Nur als die Fische seiner Predigt interessiert zuhörten, schlossen sich auch die Menschen an. Die Kirche des heiligen Antonius steht aber auf einem anderen Platz, nämlich auf dem „Platz der drei Märtyrer“, also auf dem ehemaligen römischen Forum.

Der Platz bekam seinen Namen zu Ehren dreier hingerichteter antinazistischen Widerstandkämpfer, die hier am 16.August 1944 gehängt wurden. Mit dem Platz, wo die Kirche steht, steht sich eine andere Geschichte in Verbindung, nämlich das Eucharistiewunder. Es sollte gerade hier stattfinden.

               Antonius, wie auch der ganze Franziskanerorden, gehörte zu so genannten Realisten, die glaubten, dass bei der heiligen Messe sich in der Hostie das Brot in einen tatsächlichen Leib Christi verwandelt, der Mensch ist allerdings nicht in der Lage, dieses Wunder mit seinen Sinnen zu ergreifen. Es bestand auch die Schule der Symbolisten, die die Hostie nur für ein Symbol des letzten Abendmales hielten und lehnten die tatsächliche Anwesenheit des Leibes Christi in ihr ab. Antonius geriet so mit einem – einem reichen Bürger namens Boncillo – in Streit. Als Boncillo Antonius für seine Lehre auslachte, forderte ihn Antonius zu einer Konfrontation auf. Boncillo sollte sein Maultier drei Tage hungern lassen und dann zur Kirche bringen, und zwar zum Zeitpunkt, als Antonius das Brot in ein Leib Christi verwandeln würde. Boncillo sollte dem hungernden Tier ein Korb mit Hafer anbieten, Antonius behauptete, dass das Tier das Essen nicht merken, sondern vor der Hostie niederknien würde. So geschah es. Das Maultier ignorierte den angebotenen Hafer und kniete vor Antonius. An dem Ort dieses Wunders gibt es eine kleine Pilgerkapelle, das Wunder wird im Inneren der Kirche sogar mehrmals dargestellt (an der Wand bei dem Kircheneingang dann noch einmal).

               Der Dom, also die Kathedrale Sant´Agostino ist etwas in einer Seitengasse (mit vielen kleinen Geschäften) versteckt, es ist ein riesiges Gebäude aus Backsteinen, in ihrem Inneren, wie die meisten Kirchen in Rimini, klassizistisch gestaltet. Mit der Popularität vom „Tempio Malatestiano“ kann sie nicht mithalten.

Der Dom von Rimini

               Wenn man durch die Arkaden des Rathauses auf die Piazza Cavour geht, kommt man auf ein kleines Plätzchen mit einer großen Statue eines Nasenhorns. Es ist der Platz des heiligen Martins. Hier befindet sich das Museum Federico Fellinis (1920 – 1993), eines des berühmtesten Regisseurs der Kinematographie.

Er wurde in Rimini geboren, er besuchte die Stadt jeden Sommer und mehrmals ließ er hier seine Filme entstehen, besonders sein Film Amarcord. Fellini gewann insgesamt fünf Oscars, vier davon in der Kategorie „der beste nicht englischsprachige Film“, kein anderer Filmemacher kam ihm nur nahe. Im Jahr 1993, also kurz vor seinem Tod, hat er dann noch einen Oscar für das Lebenswerk erhalten. In Rimini ist dieser Mann eine Kultfigur. Nicht nur, dass nach ihm der Flughafen benannt wurde und er in der Stadt ein eigenes Museum hat (die Karte für das Fellinimuseum ist allerdings mit der Malatestafestung (Castel Sismondo) kombiniert, warum es so ist, habe ich nicht erfahren können. Es gibt eine ganze Felllinirunde. In der besucht man das Geburtshaus Fellinis in der „Via Dardanelli“ nahe dem Hafen, dann Palazzo Dolci in der Via Clementini, wohin die Eltern Fellini umzogen, als Fellini noch ein Bub war, dann das Kino Fulgor, wohin der kleine Fellini ging, und seine Inspiration gerade in diesem Fach tätig zu werden fand (es ist ein bisschen altmodischer, aber noch immer charmanter Kinosaal und sicherlich besuchswert). Dann gibt es in der Runde Orte aus seinen Filmen wie Borgo San Giuliano hinter der Tiberiusbrücke, Piazza Cavour, Palazzo Gambalunga, wo es ein altes Gymnasium mit Theater und eine Bibliothek gibt, „Piazzale Battisti“ vor dem Bahnhof, Piazalle Boscovich an der Mole an der Mündung des Flusses Marecchia, wo sich Szenen aus dem Film Amarcord abspielten und letztendlich „Piazzale Fellini“ am Meeresufer mit einer großen Fontäne und einem riesigen Podium, wo Konzerte veranstaltet werden, wie zum Beispiel in der „Rosaroten Nacht“ „Notte rosa“ jedes Jahr am 1.Juli. An diesem Tag (besser gesagt in dieser Nacht) verkleidet sich Rimini in Pink. Rosarote Hütchen oder Papierhalsbänder werden an jeder Ecke verkauft. In rosa leuchtet auch der Augustusbogen oder die Tiberiusbrücke sowie auch die Fontäne auf „Piazzale Fellini“.

Die Stadt feiert mit Musik eine große Party, einen Platz in einer Bar oder in einem Restaurant zu finden verlangt Geduld. Allerdings nur am Meeresufer, in der Altstadt gibt es in dieser Nacht „Tote Hose“.

               Fellini ist in „Cimitero di Rimini“ im Stadtviertel Rivabella gemeinsam mit seiner Gattin Giulietta Massina und mit ihren einzigen gemeinsamen Kind Pierfederico, der lediglich elf Tage am Leben blieb, begraben. Fellinis imposantes Grabmal „La Grande Prua“ steht gleich beim Friedhofeingang und es wurde vom italienischen Bildhauer Arnaldo Pomodora entworfen.

               Was kann Rimini noch mehr anbieten? Zum Beispiel „Italia in Miniatura“ bei Viserbo, acht Kilometer von Rimini auf der SS 16 entfernt (SS bedeutet leider nicht wie in Österreich Schnellstraße sondern „Strada statale“, also es ist nicht notwendig, sich durch ein langsames Weiterkommen frustrieren zu lassen). Der Verkehr in Rimini funktioniert absolut passabel. Thermalquellen gibt es in Riccione, einem Städtchen, das in Süden an Rimini grenzt und wenn man talaufwärts am Fluss Marecchia fährt, erscheint nach neun Kilometer ein Felsennest „San Leo“, wo im Jahr 1795 nach siebenjähriger Haft der Alchemist Cagliostro starb, der eine Inspiration für Goethe und Schiller war.

               Sollte sich man in Rimini doch beginnen zu langweilen, was besonders den Kindern passieren könnte, dann gibt es im Stadtviertel Rivaazzura einen Vergnügungspark „Fiabilandia“, etwa im Stil von Gardaland. In Rimini hat man es nicht nötig, überall mit dem eigenen Auto zu fahren, die Busverbindung funktioniert verlässlich. Die südlichen Strände werden mit dem Stadtzentrum mit der Linie 11 verbunden und die nördlichen mit der Linie 4. Eine Fahrkarte kostet 1,50 Euro und man kann sie in jeder Tabaccheria kaufen, die es an jeder Ecke gibt. Das Rauchen gehört noch immer in der „Macho-Ländern“ zum Zeichen der Männlichkeit, eventuell Unabhängigkeit, deshalb rauchen hier auch viele Frauen. Ich liebe diese „Macho-Länder“ da hier die Frauen und Mädchen immer sehr gepflegt und schön angezogen auf den Straßen laufen und es ist ein Genuss, sie zu beobachten. Das Sonnenbad „oben ohne“ ist hier aber verpönt. Wir befinden uns doch auf dem Gebiet des ehemaligen Kirchenstaates und der erste Strand wurde von einem Bischof und einem Kardinal eröffnet.

               Der überfüllte Strand von Rimini ist zum Aushalten. Als ich meine Frau fragte, ob es im Meer noch einen freien Platz zum Baden gab, antwortete sie, dass es nur mehr Stehplätze gab. Natürlich hat sie übertrieben. Man musste noch ein bisschen weiter vom Ufer gehen und es gab genug Platz sogar zum Schwimmen. An flachen Sandstränden kann man nämlich hunderte Meter ins Meer gehen und noch immer spürt man den Boden unter den Füssen. Natürlich solange der Strand nicht mit der Bakterie Escherichia coli verseucht ist,. weil die Kreuzschiffe ihre Toilette ins Meer entleeren. Aber das passierte nach unserer Abfahrt.

               Und noch eine wichtige Frage – was isst man in Rimini? Natürlich alles, was italienisch ist. Es gibt hier Unmengen von Restaurants, Trattorien, Osterien, Cantinen und Bars, ich glaube, dass nicht einmal die Stadtverwaltung ahnt, wieviel es davon gibt. Womit Rimini die Weltküche bereichert hat, ist nicht die Pizza, die stammt aus Apulien. In Rimini werden „piadine“ gegessen. Ich habe zu meinem Erstaunen für dieses Wort in keinem Wörterbuch und nicht einmal im Internet eine passable Übersetzung gefunden. Deutsche übersetzen das Wort „Piadina“ als „Fladenbrot kebab“, von dieser Übersetzung könnte ein gebürtiger Italiener vom Schlag getroffen werden. Es ist einfach ein Fladenbrot aus Mehl, Wasser und Salz. Man kann es mit jedem Zusatz füllen. Wir aßen zwei Piadine in der Cantina „Hasta luego“ am lieben Plätzchen San Martino vor dem Fellinimuseum, besonders die eine mit Roastbeef war wirklich gut.

               Also nicht einmal vom Hunger ist man in Rimini bedroht.

Rimini I

               Wenn man Rimini sagt, stellt man sich gleich übervölkerte Strände vor, ein Gedränge in den Straßen sowie auch im Meer und wilde nächtliche Partys. Es ist grundsätzlich wirklich so. Einmal hatte ich die Gelegenheit, den berühmten Strand von oben von einem Flugzeug aus zu sehen, als ich nach Spanien flog. Er ist vierzig Kilometer lang und zweihundert Meter breit und er strahlte mit seinem goldenen Sand bis in den Himmel. Es gibt in Italien wahrscheinlich nichts des Gleichen oder Vergleichbares und deshalb wurde Rimini – beginnend mit dem Jahr 1843 – zum Mekka für alle Urlauber, die das Liegen in der Sonne und das Baden im warmen Wasser lieben. Wie zum Beispiel meine Frau.

               Im Jahr 1843 haben nämlich der Bischof von Rimini Francesco Gentilini und der Kardinallegat Luigi Vannicelli Casoni das erste „Privilegierte Strandbad“ eröffnet, das von den Grafen Alessandro und Ruggero Baldini und vom Arzt Claudio Tintori als das erste Badezentrum am Meer an der Adria gegründet wurde. Es war damals eine große Begebenheit und der Beginn der Prosperität der bis dahin untergekommenen Stadt Rimini.

               Wenn eine Stadt im Winter 150 000 Einwohner hat, und im Sommer vermehrt sich ihre Zahl fünffach, muss man, glaube ich, nichts kommentieren. Ich rechne keine Gäste aus den umliegenden Städtchen Riccione oder Cattolica dazu – dort geht nämlich der berühmte Strand zu Ende. Rimini ist sehr gut erreichbar. Entweder per Flugzeug, mit dem landet man auf dem Flughafen, der den Namen des berühmtesten Sohnes der Stadt Federico Fellini trägt, mit dem Zug aus Bologna oder auf der Autobahn ebenso aus der Richtung von Bologna. Wer die Autobahngebühr sparen will, kann eine Abkürzung auf der Küstenstraße über Ravenna nehmen, muss dann aber eine Stunde mehr in die Einfahrtzeit einkalkulieren. Die Stadt Rimini ist also bereit, so viel Touristen wie möglich aufzunehmen und deshalb ist die ganze Küste mit Hotels und Appartementhäusern verbaut, man findet hier eigentlich nichts anderes. Die Strände haben ihre Nummer und Reservationen für bestimmte Hotels und Appartements, die Preise für Sonnenschirme und Liegen sind für die Hotelgäste absolut akzeptabel.  Wir bezahlten für einen Sonnenschirm und zwei Liegen für sechs Tage 87 Euro, also 14,50 Euro für einen Tag. Rimini hat allerdings viel mehr anzubieten, sogar für so einen Nörgler wie mich.

               Rimini hat eine reiche Geschichte und obwohl es in dem zweiten Weltkrieg fast dem Boden gleich gemacht wurde, schafft es sich stolz zu präsentieren. Also zumindest das, was man retten oder nach dem Krieg rekonstruieren konnte. Im Jahr 1944 hatte die Stadt Pech. Gerade durch die Stadt (oder ein bisschen südlicher über die Stadt Pesaro) führte die so genannte Gotenstellung (italienisch Linea Gotica genannt), wo sich die Deutschen befestigten, um die Alliierten bei ihrem Vormarsch nach Mitteleuropa zu stoppen). Diese Verteidigungslinie führte quer durch die ganze Appenninhalbinsel, die Alliierten hatten aber keine Lust in den Bergen zu kämpfen, wo sie ihre technische Überlegenheit nicht geltend machen konnten. Sie entschieden sich also für einen Angriff der Küste entlang und den Kanadiern, die den Hauptvorstoß führten, stand gerade die Stadt Rimini im Weg. Sie machten es also dem Boden gleich und machten so den Weg für den Vormarsch der achten britischen Armee frei. Die Kriegsoperation endete mit einem Erfolg, die Gotenstellung wurde durchbrochen, für die Stadt Rimini war es aber fatal.

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               Es gelang zumindest die wichtigsten Stadtgebäuden zu rekonstruieren und auch ein paar historische Monumente, die wie Artefakte in der modernen Bebauung wirken. Es wäre allerdings sicher schade, wenn sie verschwunden wären.

               Rimini wurde im Jahr 268 vor Christi Geburt als eine römische Kolonie namens Ariminium gegründet. Ihren Namen bekam sie nach dem Fluss Ariminus, der bei der Gründung eine entscheidende Rolle spielte, weil in seiner Mündung der Hafen gebaut wurde. Die Adriaküste ist nämlich in dieser Gegend gerade und bietet keine anderen Möglichkeiten für Schiffe, sich vor dem Unwetter zu schützen.

Die Flussmündung bietet diesen Schutz auch noch heute, obwohl der Fluss heute Marecchia heißt und sein Strom verlegt worden ist. Nahe am Meer stehen Ausflugschiffe vor Anker, hinter ihnen Fischerboote, dann Yachten und weiter im Innenland dann Motorboote. Alles schön eines nach dem anderen nach ihrer Wichtigkeit, wie das sein soll. In Rimini herrscht nämlich für italienische Verhältnisse außerordentliche Ordnung und Sauberkeit (obwohl die Italiener nicht immer den Kot ihrer Hunde entsorgen, also aufpassen, wohin man tritt). 

               Im Jahr 220 v.Ch. ließ Konsul Gaius Flaminius die Straße Via Flaminia bauen, die gerade in Ariminium endete und so aus der Stadt den nordöstlichen Vorposten der römischen Macht machte. (Gaius Flaminius starb drei Jahre später in der Schlacht an Trasimenersee im Kampf gegen Hannibal). Später schlossen sich an die Via Flaminia die Via Emilia, die von Ariminum nach Piacenza und weiter nach Mailand führte, und die Via Poppilia an, also konnte die Ware, die im Hafen von Rimini umgelagert wurde, gleich in drei Richtungen befördert werden und die Stadt wurde zu einem Verkehrsknoten. Als Diktator Sulla den Fluss Rubikon zur nördlichen Grenze Italiens erklärte (weiter nördlicher gab es die Provinzen Gallia Cispadana und Gallia Cisalpina), wuchs die Bedeutung der Grenzstadt weiter und alle Bürger der Stadt erhielten die römische Bürgerschaft. Das Gesetz erklärte, dass kein römischer Heerführer diese Grenze an dem Rubikon mit einer Streitkraft übertreten durfte.

               Allerdings sagte im Jahr 49 v.Ch. ein bestimmter Gaius Julius Caesar seinen berühmten Satz „Alea iacta est“ und ignorierend das Gesetz Sullas (den er nie leiden konnte), er übertrat den Rubikon und begann damit den Bürgerkrieg. Ariminum war die erste Stadt, die er einnehmen konnte und hierher eilten zu ihm seine Parteigänger wie Marcus Antonius, aber auch die Verhandler der senatorischen (heute würde man sagen demokratischen) Partei, geführt von Caesars Neffen Lucius Caesar. Sie hatten keinen Erfolg und Lucius selbst, obwohl er vom Onkel amnestiert, wurde im Jahr 46. aus Caesars Anlass ermordet. An die Anwesenheit Caesars in der Stadt erinnert seine Statue auf dem Platz „Piazza de tre Martyri“, wo in römischen Zeiten das Forum war. 

 

               Im Jahr 27 v.Ch. ließ in Ariminium Oktavianus, der gerade in diesem Jahr sich Augustus zu nennen begann, seinen ersten Triumphbogen bauen. Der Bau den Triumphbögen wurde später zur Mode, die sich kein Kaiser entgehen lassen wollte, allerdings der Augustusbogen in Rimini aus dem Jahr 27 v.Ch. ist der älteste auf der Welt. Später wurde er praktischerweise in die Stadtmauer als das Tor auf der Via Flaminia eingebaut, die in der Stadt ihr Ende findet.

Augustusbogen

               Augustus Adoptivsohn Tiberius ließ den Bau der Brücke über den Fluss Marecchia beenden und verband so die Stadt mit der Fischerkolonie an dem anderen Flussufer. Die Brücke steht noch heute und überstand sogar das Grauen des zweiten Weltkrieges- die Römer kannten sich in der Baukunst wirklich aus. Der Augustusbogen wird durch „Corso Augusto“ – die Hauptstraße von Rimini und eine Fortsetzung der Via Flaminia – mit der Tiberiusbrücke verbunden.

Tiberiusbrücke

               Aus den römischen Zeiten blieb einiges erhalten. Nicht nur „Das Haus des Chirurgen“ auf der „Piazza Ferrari“, sondern viele Artefakte, die im „Museo della Citta“ ausgestellt werden, nur um eine Kirche von der Piazza Ferrari entfernt. Das Museum befindet sich im ehemaligen Jesuitenkollegium, im Hof ist ein römisches Lapidarium mit vielen antiken Grabsteinen.

Das Erstaunlichste im Museum sind rekonstruierte Bodenmosaiken der römischen Häuser – eben auch aus dem Haus des Chirurgen, das bei dem ersten Einfall der Alemannen im dritten Jahrhundert vernichtet wurde. Das römische Amphitheater in der südwestlichen Ecke der Altstadt ist schwer zu finden. Ich wollte die Suche gerade aufgeben, als ich merkte, dass ich mich gerade im „Viale al Anfiteatro“ befand. Ich kämmte also die ganze Umgebung durch und ich habe das Amphitheater gefunden. Ich muss – glaube ich – nicht betonen, dass in einem Amphitheater, das man so schwer finden kann, nicht gerade viel zu sehen ist.

               Wegen seiner strategischen Bedeutung wechselte die Stadt häufig ihre Besitzer, was ihr nicht besonders gefiel. Zuerst wurde sie vom Gotenkönig Totilla im Jahr 550 n.Ch. eingenommen, ein paar Jahre später wurden die Goten aus der Stadt vom byzantinischen General Narses vertrieben und Rimini wurde für die nächsten zweihundert Jahre ein Teil des Exarchates von Ravenna, also des von Byzantinern beherrschten Gebietes in Norditalien. Die Langobarden eroberten die Stadt im Jahr 728, im Jahr 756 war Rimini ein Teil der „Pippinischen Schenkung“, also der Region, die der Frankenkönig dem Papst als eine Gegenleistung für seine Krönung zur direkten Verwaltung geschenkt hat.

               Mit der Verwaltung aus fernem Rom war es nicht so einfach. Der Papst hatte nicht genug Kraft, um auf seinem Gebiet Ordnung zu halten und die Stadtkommunen emanzipierten sich. Sie machten sich selbständig – und rauften miteinander. Im Jahr 1157 erteilte Kaiser Friedrich Barbarossa – wahrscheinlich um den Papst zu ärgern – der Stadt Rimini das Recht der Selbstverwaltung und Münzenprägung. Im Jahr 1216 nach einer Niederlage im Krieg gegen die Stadt Cesena wusste die Stadtregierung nicht, was zu tun. Sie heuerte also zwei Mitglieder der mächtigen Familie Malatesta an, um die Führung der Streitkräfte zu übernehmen. Malatesta I. Malatesta wurde zu Podesta der Stadt und übernahm die Macht. Wenn schon die Armee unter seinem Kommando stand, konnte er offensichtlich nicht widerstehen. Sein Sohn Malatesta da Verucchio, der unglaubliche hundert Jahre alt wurde, hatte genug Zeit, um die Macht in der Stadt zu festigen. Im Jahr 1288 wurde er zwar vertrieben, bereits im Jahr 1295 kehrte er aber zurück und die Familie Malatesta herrschte in Rimini weitere zweihundert Jahre.

               Die Mitglieder der Familie zeichneten sich mit Klugheit, hoher Bildung, politischer Weitsicht und vor allem mit einer unglaublichen Rücksichtlosigkeit aus. Das alles waren hervorragende Voraussetzungen für ihren politischen Erfolg. Zum Beispiel Carlo I. Malatesta gewährte in der Zeit des päpstlichen Schismas dem aus Rom vertriebenen Papst Gregor XII in Rimini Asyl. Er begleitete ihn zum Konzil von Konstanz, wo er ihn nach Beurteilung aller Möglichkeiten und nach einer Verhandlung mit Kaiser Sigismund zum Rücktritt überredete, womit er wesentlich zu Beendigung des Dreipapstums beitrug. Umsonst war diese seine Leistung sicher nicht. Über den Namen Malatesta stolpert man in Rimini auf jedem Tritt, schon deshalb, weil hier die Bank „Banca Malatestiana“ ihren Sitz hat.

               Viel mehr als durch ihr politisches Geschickt wurde aber die Familie Malatesta durch ihre Liebesaffären berühmt, die sogar einen Platz in der Weltliteratur gefunden haben. Die erste Geschichte spielte sich im Jahr 1284 ab. Der Sohn Malatestas da Verucchio Giovanni, genannt Gianciotto, heiratete die Tochter des Herrschers aus dem nahen Ravenna, Francesca da Polente. Es ging um eine politische Verbindung zweier Familien, die gerade in dieser Zeit die Spitze der politischen Macht in ihren Städten erklommen haben. Die Familien Malatesta und Polente fühlten sich zu dieser Zeit in ihren Städten noch nicht ganz sicher und versprachen sich für den Fall der Fälle, also für einen Aufstand der Untertanen, gegenseitige Hilfe. Francesca verliebte sich aber in den Bruder ihres Mannes, Paolo (genannt „Il Bello“, was ihre Schwäche erklären könnte). Giovanni war dagegen ein hässlicher Krüppel. Als er aber seinen Bruder mit seiner Gattin in flagranti ertappte (angeblich wirklich direkt bei der Tat), wollte er Paolo mit seinem Schwert töten. Francesca stellte sich aber zwischen beide Männer und Giovanni erstach mit einem Schlag beide Geliebten auf einmal. Für einen Krüppel eine beachtliche Leistung, wahrscheinlich war er wirklich sauer.

               Diese Liebesgeschichte war so gut bekannt, dass sie einen Weg in die „Göttliche Komödie“ von Dante fand. Natürlich in dem Teil „Hölle“, weil ein Ehebruch einfach ein Ehebruch ist, und eine untreue Gattin verdient die ewige Qual in der Hölle. Laut Dante ging die Initiative von dem schönen Paolo aus und die arme Francesca konnte seinem Charme einfach nicht widerstehen. Sie selbst entschuldigte ihre Schwäche mit einem Vergleich mit der Liebe des Ritters Lancelot zur Gattin des Königs Artur Guinevra. Manchmal ist es nicht gescheit, Frauen viel lesen zu lassen, in Italien aber begann in dieser Zeit bereits die Renaissance zu wüten. Es war also schwer, Francesca ihre Liebe zu Büchern zu verbieten. Die Geschichte erfasste später auch Giovanni Boccaccio. Seiner Version nach sandte der hässliche Giovanni seinen Bruder Paolo nach Ravenna, damit er Francesca in Vertretung heiratete, wobei die Braut glaubte, dass es sich um den tatsächlichen Gatten handelte. Als sie dann ihren Mann in Rimini erblickte, entschied sie sich doch für Paolo. Es war eine fatale Entscheidung. Was beide Autoren verschwiegen haben, war die Tatsache, dass Paolo selbst verheiratet war. Seine Frau Beatrice Orabile war die Erbin der Grafschaft Giaggiolo und er hatte mit ihr zwei Kinder. Sie passte weder Dante noch Boccaccio in ihre romantischen Erzählungen. Im Jahr 2022 gab es in dem Stadtmuseum von Rimini das ganze Jahr eine Ausstellung zu dieser Liebesgeschichte und ihrer literarischen Bearbeitung, besonders im Werk Dantes. Die Geschichte von Francesca und Paolo wurde zum Teil der italienischen Kultur und lebt bereits ein eigenes Leben. In der Gelateria auf der „Piazza della Republica“ in Urbino wird Eis „Paolo e Francesca“ verkauft. Natürlich habe ich es ausprobiert, es war ein bisschen Kaffee, ein bisschen Chocolade. Keine Ahnung, wer und wie auf diese Idee gekommen ist, sie hat aber Erfolg und wird verkauft.

Leipzig II

Die Universität hatte immer ihren Sitz im Augusteon am Rande des Stadtzentrums, nach dem Krieg ließen hier die Kommunisten einen neuen Campus bauen, wobei sie die Sankt Pauls Kirche, die seit der Gründung der Universität ihren zentralen Punkt und Aula darstellte (obwohl die Universität offiziell bei der Kirche des heiligen Thomas gegründet wurde), niederreisen ließen. In der Fassade der neuen Universität, die im Jahr 2004 fertiggestellt wurde, ließ der Architekt Erick van Ereraat das Motiv der Kirchenfassade wieder beleben – es wirkt sehr interessant und modern – die Leipziger Universität ist schon nur aus diesem Grund besuchswert.

            Das ursprüngliche Gebäude wurde bei der Bombardierung Leipzigs im zweiten Weltkrieg vernichtet. Leipzig hatte trotzdem großes Glück, dass die Alliierten sich entschieden, Dresden anstatt Leipzig dem Boden gleichzumachen, Leipzig war nämlich das ursprüngliche Ziel dieses Angriffs). Trotzdem erlebte die Stadt insgesamt 14 Luftangriffe und die Gegend um Augustusplatz litt am meistens. Deshalb steht hier heute eine Oper im Stil der kommunistischen Architektur aus dem Jahr 1960 (wirkt aber mit ihrem neoklassizistischen Stil gar nicht so übel wie man es erwarten würde) und das Gewandhaus aus dem Jahr 1981, dieses moderne Konzerthaus befindet sich auf der anderen Seite des Platzes.

            Leipzig hatte nach dem zweiten Weltkrieg Pech. Am 18.April 1945 zogen amerikanische Einheiten in die Stadt (ob sie die Stadt besetzten oder befreiten, wird bis heute diskutiert, es geht dabei um den Blickwinkel). Die Amerikaner traten aber anschließend das ganze westliche Sachsen und Thüringen im Austausch für Westberlin an die Russen ab und am 2.Juli 1945 zog in die Stadt die Rote Armee ein. Leipzig wurde so zum Teil Ostdeutschlands, also der russischen Besatzungszone, und anschließend der Deutschen Demokratischen Republik, die im Jahr 1949 gegründet wurde.

            In Leipzig wurde der bereits erwähnte Anführer der erfolglosen deutschen kommunistischen Revolution im Jahr 1918 Karl Liebknecht geboren, später auch der ostdeutsche Diktator in den Jahren 1949 – 1971 Walter Ulbricht, einer der Hauptprotagonisten des militärischen Einsatzes des Warschauer Paktes in der Tschechoslowakei im Jahr 1968. In der Stadt lebte auch Klara Zetkin, deren Initiative wir den Internationalen Frauentag am 8.März verdanken.

            Die Stadt hatte immer aufgrund ihrer Industrie eine starke rote Tradition. Paradoxerweise begann das kommunistische Regime in Deutschland gerade in Leipzig zu bröckeln. In keiner anderen Stadt gibt es so viele Museen und Expositionen, die sich mit dem kommunistischen Regime und seinem Untergang beschäftigen wie in Leipzig. Gleich neben der Mädlerpassage gibt es eine Dauerausstellung im „Zeitgeschichtliches Forum“ und dem Besucher ist auch die ehemalige STASI Zentrale zugänglich. Auch im Museum der Stadtgeschichte wird der kommunistischen Episode ein großer Raum eingeräumt. Die Bürger von Leipzig sind nämlich stolz darauf, dass sie es waren, die dem kommunistischen Regime den entscheidenden Todesstoß verpasst haben. Sie waren immer ein bisschen anders. Wo sonst wäre es möglich, dass eine Punkkapelle namens „Wutanfall“ ihren Unterschlupf und Konzertmöglichkeit in der Sakristei der Kirche des heiligen Nikolaus finden könnte? Gerade diese Kirche mit ihren feinen Farben der Innenwände – rosarot und hellgrün – die an die Frauenkirche in Dresden erinnern, sollte beim Fall der kommunistischen Regime in Ostdeutschland eine entscheidende Rolle spielen.

            Alles hat ganz harmlos begonnen. Im Jahr 1980 wurde die so genannte „Dekade der Friedentoleranz“ ausgerufen. Seit dem Jahr 1981 trafen sich jeden Montag um fünf Uhr nachmittags Menschen zu einem Gebet für den Weltfrieden. Unter der biblischen Parole: „Dann schmieden wir Pflugscharen aus ihren Schwertern“ (Micha 4,3), eine Parole, die auch die kommunistische Propaganda so gerne benutzte.

            Jetzt aber schlug STASI Menschen, die einen Aufkleber mit diesem Text trugen, sie wurden verhaftet und stundenlang verhört. Trotzdem kamen zum Gebet immer mehr Leute. Was mit einigen Dutzend Menschen begann, wuchs von Hunderten zu Tausenden. Im Mai 1989 erlaubten sich Leipziger Aktivisten die Wahlergebnisse zu kontrollieren und konnten feststellen, dass die „Einheitliche Kandidatenliste“ nicht die angekündigten 96,8 Prozent sondern nur knapp über 90 Prozent Stimmen bekam. Für die, die dem Regime noch immer vertrauten, war der Nachweis der Wahlfälschung ein herber Schlag. Als dann das chinesische Regime am 3.Juni 1989 auf dem „Platz am Tor des himmlischen Friedens“ in Peking über 2000 Studenten massakrierte und die ganze Welt im Angesicht diese Gräueltat erstarrte, gab es auf der ganzen Welt nur zwei Regierungen, die der chinesischen Führung offiziell gratulierten. Es war Kim Ir Sen von Nordkorea und Erich Honecker in der DDR. Diese sinnlose Geste erschütterte auch die letzten Treuen und die Menschenmenge in der Kirche des heiligen Nikolaus wuchs an. Am 4.September verlangte der Bürgermeister von Leipzig vom Pfarrer der Kirche des Heiligen Nikolaus, mit den Gebeten aufzuhören. Dieser lehnte es ab.

            Für 9.Oktober 1989 bereitete die Kommunistische Regierung eine abschreckende Aktion. Sie warnte im Radio und im Fernseher alle Bürger von Leipzig vor dem Kirchenbesuch. Die Kommunisten gaben bekannt, dass sie 10 000 Polizisten und Soldaten mobilisierten und dass diese einen Schießbefehl erhielten. Ich erfuhr, dass 10 000 Feldbetten für die Verwundeten und 20 000 Blutkonserven bereitgestellt wurden. Die deutsche Regierung bereitete also ein echtes Massaker nach dem chinesischen Vorbild vor. Trotzdem erschienen am 9.Oktober zum Gebet 70 000 Menschen. Mit den Kerzen in den Händen füllten sie die Straßen von Leipzig. Das Regime wagte es nicht, auf die Menschen zu schießen, die in einer Hand eine Kerze hielten und mit der anderen Hand das Licht vor dem Wind schützten. Es wäre schwer zu behaupten, dass die Demonstranten Zusammenstöße mit der Polizei durch Steinwerfen ausgelöst haben. So nämlich hieß die im Voraus vorbereitete offizielle Begründung des Einsatzes. Dazu – der Schießbefehl kam aus dem gehassten Berlin – der Leipziger Kommandeur wurde plötzlich zum Leipziger Patrioten und ließ die Sicherheitskräfte zurückziehen. Der Protest blieb ohne Blutvergießen. Am 23, Oktober waren dann in den Straßen von Leipzig sogar 320 000 Menschen. Am 9.November fiel die Berliner Mauer. Die Gebete in der Kirche Sankt Nikolaus finden auch heutzutage jeden Montag um 5 Uhr statt – als eine Erinnerung, aber auch als Streben nach einem Weltfrieden, dieses Streben ist heutzutage aktueller denn je.

            Leipzig kann sich über eine Mangel an Kriegsgeschehen in seiner Nähe nicht beschweren. Seine Lage auf der Kreuzung zwei wichtigen Straßen “Via imperialis” und „Via regia“ machte aus der Stadt nicht nur ein Handelszentrum und nach dem Jahr 1945 auch ein Finanzzentrum Ostdeutschlands, sondern auch einen Platz zahlreicher kriegerischen Auseinandersetzungen. Während des Dreißigjährigen Krieges fanden vor der Stadtmauer von Leipzig sogar drei große Schlachten statt, zweimal bei Breitenfeld (1630 und 1642) und einmal bei Lützen (1632). Besonders die Schlacht bei Lützen war schicksalhaft. Der österreichische Heerführer Wallenstein hat zwar die Schlacht verloren, aber der schwedische König und genialer Stratege Gustav Adolf starb in der Schlacht.

            Das berühmteste militärische Ereignis in dieser Gegend war aber mit Sicherheit die „Völkerschlacht“ am 16. – 19. Oktober 1813. In dieser größten Schlacht der napoleonischen Kriege gelang es dem Generalissimus Karl von Schwarzenberg den französischen Kaiser Napoleon zu bezwingen und das auf so eine vernichtende Art, dass sich Frankreich von diesem Schlag nie mehr erholte. Während dieser drei Tage starben vor der Mauer von Leipzig 90 000 Soldaten (zum Vergleich, Leipzig selbst hatte damals gerade 90 000 Einwohner). Übrigens die Sachsen haben wieder einmal auf der falschen Seite gekämpft – also in der französischen Armee. Die Sachsen haben ohnehin eine seltene Eigenschaft, immer auf der Seite der Verlierer zu kämpfen und wenn sie sich einmal der siegreichen Armee anschlossen – das war bei Breitenfeld im Jahr 1630 – flüchteten sie bereits nach dem Beginn der Schlacht und blieben 20 Kilometer hinter der Kampflinie stehen. Also erfuhren sie von dem Sieg der Schweden über den kaiserlichen General Tilly (der in der Schlacht verwundet wurde und bald danach an den Folgen der Verletzung in Leipzig starb) nur vom Hören. In Leipzig starb übrigens an den Folgen seiner Verletzungen aus der Schlacht bei Lützen auch der berühmte General der Kavallerie Pappenheim (der seine Pappenheimer gut kannte) und zuletzt ertrank hier am 18.Oktober 1813 der polnische Marschall Poniatowski – es liegen hier also viele Kriegshelden begraben. Im Jahr 1813 machten das die Sachsen doch gescheiter. In dem entscheidenden Moment der Schlacht beim Dorf Propstheida wechselten sie die Seiten und begannen auf die überraschten Französen zu schießen. Also es gibt nichts Besseres, als einen verlässlichen Verbündeten zu haben.

            Heute steht an der Stelle des ehemaligen Dorfes ein riesiges „Völkerschlachtdenkmal“.

Es wurde hier im Jahr 1913 für die Feier des hundertsten Jahrestages der Schlacht erbaut und in der Anwesenheit des deutschen Kaisers Wilhelm II. feierlich eröffnet. Zu dieser Zeit stürzte sich die Welt gerade in die nächste Katastrophe, die schlimmer als die vorherige sein sollte. Diese Tragödie begann im Jahr 1914 und endete durch Besetzung von Leipzig von den amerikanischen Soldaten am 28. April 1945.

            Leipzig kann sich mit seiner Schönheit sicherlich nicht mit Dresden, Lübeck oder Aachen messen. Historisch hat aber viel zu bieten und genau so auch, was die Kultur betrifft. Es wird hier regelmäßig die Buchmesse veranstaltet, die Konzerte im Gewandhaus auf dem Augustusplatz sind dank der Bach- und Mendellsohntradition von weltbesten Musikern besucht.

            Der Fußballklub RB Leipzig spielt in der Bundesliga und in den europäischen Wettbewerben. Übrigens war Leipzig im Jahr 1903 (damals noch unter einem anderen Namen) der erste deutsche Fußballmeister. Seinen Aufstieg aus der vierten deutschen Liga verdankt der Klub dem österreichischen Unternehmer Didi Mateschitz, dem Besitzer der Firma Red Bull. Das Fußballstadion am Ufer des Flusses Elser heißt also Red Bull Arena. Der Klub darf aber offiziell diesen Namen nicht tragen – das deutsche Gesetz verbietet den Klubs die Namen ihren Sponsoren zu präsentieren. Die einzige Ausnahme ist Bayer Leverkusen, weil dieser Klub als Klub der Angestellten des Pharmagiganten entstand, der einmal in den Gründungszeiten durch Aspirin berühmt wurde. Der Trick von Mateschitz, die Abkürzung RB, dass die Fußballer auf ihren Trikots tragen, als „RasenBallsport“ zu interpretieren, ließ Emotionen in der deutschen Fußballwelt hochgehen, aber wie schon der Fernseher-Kommentator knapp vor dem Aufstieg von RB Leipzig in die Bundesliga resigniert sagte: „Wir können sie hassen, aber in ihrem Erfolg und Aufstieg können wir sie nicht hindern.“

            Also warum eigentlich nach Lepzig fahren? Es ist nicht so weit, die Stadt ist interessant und für Shopping günstig. Nur bitte, wenn Sie dort sind, versuchen Sie lieber keine lokalen Spezialitäten. Man kann dort gut und für vernünftige Preise essen, die Stadt hat nämlich genug Restaurants mit internationaler Küche. Zum Schluss – entweder als Einladung oder als Warnung präsentiere ich die Liste der berühmtesten sächsischen Spezialitäten.

  • Quarkkeulchen – Top 1.
  • Sächsische Flecke – Top 2.
  • Leipziger Allerlei – Top 3.
  • Sächsisches Feuerfleisch – Top 4.
  • Pulsnitzer Lebkuchen – Top 5.
  • Leipziger Lerchen – Top 6.
  • Der Dresdner Christstollen – Top 7.
  • Leipziger Räbchen – Top 8

Also Mahlzeit und gute Reise.

Leipzig I

            Mein Sohn lacht immer über die Tatsache, dass die Tschechen für jede Stadt in Europa einen eigenen Namen haben müssen, mit dem Original sind sie nie zufrieden. So ist aus Wien Vídeň, aus Graz Štýrský Hradec, aus Konstanz Kostnice und aus Koppenhagen Kodaň. Manchmal ist aber der tschechische Name der richtige und ursprüngliche (wie es auch bei Konstanz der Fall ist – im Altdeutsch hieß die Stadt Kostnitz). Bei Leipzig ist es auch so. Der ursprüngliche Name der Gemeinde war Lipsk, also in der serbischen Sprache ein Ort, wo „Lipy“ also Linden wachsen. Die ganze nördliche Seite des Erzgebirges wurde zu dieser Zeit von den Serben bewohnt, bevor sie von den deutschen Kaisern Heinrich I. und einem Sohn Otto I verdrängt wurden. Seitdem sind aber mehr als tausend Jahre vergangen und die slawische Vergangenheit Sachsens spiegelt sich nur mehr in zahlreichen slawischen Ortsnamen. Angeblich aber auch in der Schönheit der dortigen Frauen, wie mir ein einheimischer Taxifahrer in Dresden erklärte.

            In Leipzig war ich das erste Mal im Jahr 1982 und ich habe nach Hause ein Bild einer grauen depressiven unschönen Industriestadt gebracht, die ich nie mehr besuchen wollte. Das Schicksal wollte es aber anders. Zuerst besuchte mein Sohn Leipzig und nach einer Nacht, die er in der Moritzbastei (in der ehemaligen Stadtbefestigung errichteten Studenten der Leipziger Universität einen Klub und einen Ort, wo Diskotheken stattfinden) verbrachte, pochte er darauf, dass ich unbedingt noch einmal hinfahren müsste, um meine Meinung zu korrigieren.

            Ich tat es. Ich habe die Stadt besucht und meine Meinung korrigiert, obwohl nur teilweise. Leipzig wird die Schönheit von Dresden, München oder Aachen niemals erreichen. Es wirkt irgendwie inhomogen, zwischen historischen Häusern steht moderne Architektur kombiniert mit den Häusern aus der kommunistischen Vergangenheit der Stadt. An der Schönheit hat die Stadt dadurch viel eingebüßt.

So war es aber immer, die Stadt ist immer im Schatten von Dresden oder Meißen gestanden, sie war nie eine Residenz-, dafür aber immer eine Handelsstadt. Zwei Privilegien des Kaisers Maximilian I. aus den Jahren 1497 und 1507 verliehen der Stadt das Recht, Messen zu organisieren und Leipzig wurde so zum ostdeutschen Frankfurt am Main. Das echte Frankfurt war nämlich für die Kaufleute mit schlechter Anbindung an das Rhein/Main Flusssystem nur mühsam erreichbar. Wenn also nach Frankfurt die Ware auf dem Wasserweg transportiert wurde, nach Leipzig geschah es auf dem Landweg. Aus diesem Grund wurden die Paläste im Stadtzentrum mit sehr breiten Einfahrten in den Innenhof gebaut, damit ein vollbeladener Wagen einfahren konnte und die Ladung nicht auf der Straße umgelagert werden müsste. Heute wurden diese Einfahrten in charmante Passagen im Stadtzentrum umgebaut.

            In Leipzig war und ist eine Universität. Sie entstand im Jahr 1409 aus einem guten Grund und mit sehr guten Voraussetzungen für ihre Prosperität. Am18.Januar 1409 hat der tschechische König Wenzel IV. in Kuttenberg ein Dekret erlassen, das die Verhältnisse auf der Karlsuniversität in Prag gründlich veränderte. Bis dahin hatten ausländische Studenten und Lehrer in Prag bei Abstimmungen drei Stimmen und die Tschechen nur eine. Ab jetzt sollten die Tschechen drei Stimmen haben und alle Ausländer zusammen nur eine.  In Folge dieser Veränderung verließen Prag viele deutsche (aber auch polnische und viele andere) Professoren und Studenten – die Mehrheit von ihnen ging nach Leipzig, das auf die neue Situation flexibel mit einer Gründung der eigenen Universität am 2.Dezember 1409 reagierte. Jede neue Universität – das gilt bis heute – hat das Hauptproblem, gute Lehrer zu gewinnen. Leipzig hatte dieses Problem also nicht, hier ließen sich sofort die besten Professoren aus Prag nieder. Im Jahr 1519 fand in Leipzig die so genannte Leipziger Disputation zwischen dem katholischen Gelehrten Johann Eck und Martin Luther und seinen Freunden statt. Auch diese Tatsache bezeugt, dass Leipzig bereits damals ein anerkanntes Bildungszentrum Sachsens war. Luther mochte diese Stadt nie (er nannte Leipzig „Sodoma und Gomora“) es gelang ihm die Stadt für seine Lehre durch eine leidenschaftliche Rede in der Kirche des Heiligen Thomas im Jahr 1539 zu gewinnen. Trotzdem ist es gerade das Leipziger Museum der Stadtgeschichte im Alten Rathaus, das den Ehering der Gattin Luthers, Katharina von Bora, besitzt.

            An der Leipziger Universität studierten viele berühmten Menschen, vor allem in den Jahren 1765 – 1768 Johann Wolfgang Goethe. Seine Statue, die ihn als einen jungen Studenten darstellt, steht vor dem schönen Rokokogebäude der Börse.

            Gerade aus diesem Grund platzierte der große Dichter eine der Szenen seines Doktor Faust Dramas in den Auerbachkeller in der Mädlerpassage, wo wahrscheinlich der Lebemann Goethe nicht wenige Gläser während seines Studentenlebens leerte. Ich habe lange Zeit nicht verstanden, warum es diese Szene im „Faust“ überhaupt gibt, – aus meiner Sicht wirkt sie dort künstlich und überflüssig. Nur als ich Bescheid über die stürmischen jungen Jahre Johann Wolfgangs in Leipzig erfuhr (und er konnte wirklich leben!), dämmerte mir, warum Mephistopheles dieses Lokal besuchen musste. Übrigens Mephisto ist der Name einer Bar in dieser Passage sowie auch auf dem Leipziger Hauptplatz.

            Das Lokal Auerbachkeller, geschmückt beim Eingang mit Statuen von Doktor Faust, Mephisto und den Studenten, die in diesem Drama auftreten, ist natürlich eine Attraktion der Stadt, geschmückt mit Motiven aus Faust.

Die typische sächsische Küche würde ich aber nicht unbedingt probieren. Also ich habe es natürlich ausprobiert und erfahren, dass sie nur für Menschen mit einer sehr guten Verdauung geeignet ist. Kraut und Kartoffel sind allanwesend, der Geruch vom sauren Kraut schlägt in die Nase gleich beim Eintreten in dieses berühmte Wirtshaus und die sächsische Ernährung kann in den Gedärmen eine explosive Mischung bilden.

            Goethe lässt hier seine Studenten folgende Sätze sagen:

Will keiner trinken? Keiner lachen?
Ich will euch lehren Gesichter machen!

Ihr seyd ja heut wie nasses Stroh,

Und brennt sonst immer lichterloh.

            Goethe besuchte dieses Wirtshaus offensichtlich sehr gerne.

            Weitere berühmten Absolventen der Universität waren Richard Wagner, Karl Liebknecht oder Angela Merkel. Sie als eine Studentenaktivistin half die Moritzbastei auszugraben, ein Ort der besuchswert ist. Dieser Teil der Stadtbefestigung war nach der Bombardierung des zweiten Weltkrieges unter Trümmern begraben. Die Studenten der Universität wählten diesen Ort im Jahr 1974 aus und nach acht Jahren Ausgrabungen und Reparaturarbeiten eröffneten sie hier im Jahr 1982 eine Bar und eine Diskothek – in diesem Jahr besuchte die Moritzbastei auch meine Gattin, die damals ihre Famulatur in Leipzig machte.

            Richard Wagner war durch seinen Antisemitismus bekannt – möglicherweise auch deshalb wurde er zum Kultautor des Naziregimes. Er wurde zum Antisemiten gerade in Leipzig. Er kam in Leipzig in armen Verhältnissen zur Welt, sein Vater starb als der kleine Richard ein Jahr alt war. Mit der Mutter und dem Stiefvater war er viel unterwegs und im Jahr 1827 kehrte er nach Leipzig zurück. In Jahr 1831 begann er sein Studium an der Universität – er studierte Musik. Zur gleichen Zeit war Felix Mendelssohn-Bartholdy der Star der Leipziger Musikwelt, er wirkte in Leipzig in den Jahren 1835 – 1841. Mendelssohn Bartholdy stammte aus einer reichen jüdischen Familie und durch seinen Ruhm, seine Erziehung und seinen Reichtum waren für ihn alle Türe der Leipziger höher Gesellschaft geöffnet. Wagner dagegen kämpfte mit dem harten Schicksal und versuchte vergeblich mit seinem strahlenden Vorbild gleichzuziehen. Nach der katastrophalen Premiere seines ersten Werkes „Das Liebeverbot oder die Novize“ verließ der frustrierte Wagner Leipzig und ging nach Königsberg in der Überzeugung, dass seine Kariere in seinem Geburtsort eine jüdische Verschwörung zunichte gemacht hätte. Er hörte bis Ende seines Lebens nicht auf, die Juden zu hassen.

            Übrigens das erste, was Nazis nach der Machtergreifung im Jahr 1933 in Leipzig entfernten, war die Statue von Mendelssohn – Bartholdy, die vor der Fassade der Kirche des Heiligen Thomas stand. Heute steht sie dort wieder und bei der Feier „200 Jahre von der Geburt des Komponisten“ wurde nach ihm auch die Fassade der Kirche benannt.

            Wenn man aber über Leipzig und Musik spricht, sollte man in erster Linie an Johann Sebastian Bach denken.

Dieser höchste Meister der Barockmusik war nämlich seit dem Jahr 1723 siebenundzwanzig Jahre lang der Chormeister in der Kirche des heiligen Thomas und ist seit 1950 in dieser Kirche auch bestattet. In Leipzig waren auch Robert Schumann, Franz Liszt oder Hector Berlioz tätig, alle in der für Wagner so schicksalhafter Zeit um 1840, als in die Stadt Schumann einzog – sein Haus ist als sein Museum erhalten.

Passau II

            Mit Passau ist auch das Schicksal der seligen Gisela verbunden. Sie ist hier in der Kirche Heiligenkreuz bestattet, in einem Kloster in Niederburg, wo sie Äbtistin war. Ihr Grab ist ein Pilgerort für viele ungarische Stadtbesucher. Gisela war die Gattin des ersten ungarischen Königs Stephan und nach seinem Tod zog sie sich nach Passau zurück, wo sie zur Äbtistin wurde. In der Tat sollte die selige Gisela eigentlich einigermaßen frustriert sein. Ihr Ehemann Stephan, ihr Sohn Emmerich, ihr Bruder Heinrich und sogar auch ihre Schwägerin Kunigunde wurden alle ein nach dem anderen heiliggesprochen, sie blieb die Einzige aus der ganzen Familie, die „nur“ selig wurde. Wahrscheinlich haben die Passauer vergessen, dieses Versäumnis dem Papst Johann Paul II. zu melden. Er hätte sich so eine Gelegenheit zum Stadtbesuch sicher nicht entgehen lassen und in die kaiserliche Familie im Himmel hätte Ruhe einkehren können. Gisela hätte sich die Heiligsprechung sicher mehr als ihr Bruder, der machtgierige Kaiser Heinrich II. verdient. Wenn jemand einen Spitznahmen „der Zänker“ hat, passt es nicht unbedingt zur Heiligsprechung. Gisela und ihr Bruder Heinrich waren Kinder Herzogs Heinrich von Bayern, genannt „der Streitbare“ (sie hatten die Streitlust offensichtlich in der Familie), des jüngeren Bruders des Kaisers Otto II. Heinrich schaffte es sich gegen seinen Gegenkandidaten Hermann von Schwaben geschickt zu behaupten und dann mischte er sich ordentlich auch in die tschechische Politik ein, als er tschechische Fürsten nach Belieben eingesetzt und abgesetzt hat. Als auf dem tschechischen Thron ein schwerer Alkoholiker Vladivoj vom polnischen Fürst Boleslaw Chrobry eingesetzt wurde, lief dieser zum Kaiser und ließ sich im Jahr 1002 mit dem Fürstentum belehnen. Dadurch wurde Böhmen für viele weitere Jahrhunderte ein Teil des Römischen Reiches. Vladivoj soff sich ein Jahr später zu Tode und Heinrich intrigierte zwischen den Premyslidenbrüdern Jaromir und Oldrich, wobei er seinen treuen Verbündeten Jaromir fallen ließ, als er ihm nicht mehr von Nutzen sein konnte. Der Hauptgegner des Kaisers war aber der polnische König Boleslaw Chrobry, gegen den der Heilige viele Kriege führte. Kaiser Heinrich, der keinesfalls mit heiligen Mitteln herrschte, wurde im Jahr 1146 heiliggesprochen, als bereits der Stamm der Staufer an der Macht war. Wahrscheinlich wollte der Papst die Staufer mit dem Kult ihren Vorgängers aus dem konkurrierenden bayerischen Stamm provozieren. Ein skurriles Detail der Heiligsprechung war die Tatsache, dass die Ehe Heinrichs mit Kunigunde kinderlos blieb. Es wurde behauptet, dass es die Folge eines Schwures der Kaiserin jungfräulich zu bleiben war und dass der Kaiser mir seiner Gattin wie „Bruder und Schwester“ lebten. Natürlich kann man es glauben, ob aber eventuell dahinten eine nicht operierte Phimose oder andere sexuelle Orientierung des Herrschers war, erfahren wir wahrscheinlich nicht mehr. In jedem Fall war die Keuschheit des kaiserlichen Ehepaares der Hauptgrund für ihre Heiligsprechung. Natürlich abgesehen von williger Hilfe des Kaisers dem Papst Benedikt VIII. gegenüber, der von Normanen in Süditalien bedrängt war. Übrigens gerade um sich diese Hilfe zu erkaufen, schob der Papst in das Glaubensbekenntnis das Wort „Filioque“ ein, das seit der Zeit des Karls des Großen in seinem Reich (aber nur dort, nicht in Rom und überhaupt nicht in Konstantinopel) verwendet wurde. Das hat einige Jahrzehnte später das Schisma zwischen der westlichen und östlichen Kirche zu Folge gehabt.

            Aber zurück zu der seligen Gisela. Sie hat ihre Arbeit in Ungarn sehr gut erledigt, sie brachte ihren Mann zur Taufe (aus Geiza wurde Stephan) und zur Einführung des Christentums in seinem Königreich und nach seinem Tod (der Sohn Emmerich starb bei einem Jagdunfall noch vor seinem Vater) ging sie nach Passau in ihr Heimatland Bayern – geboren wurde sie im nahen Regensburg. Dort wurde sie, wie schon gesagt, Äbtistin. Ihre sterblichen Überreste wurden im Jahr 1908 exhumiert, heute ist ihr Grab das Ziel von tausenden Pilgern aus Ungarn und herum liegen viele Kränze und hängen viele ungarische trikoloren. Ich glaube, es ist richtig so, obwohl sie „nur“ selig ist. Sie hat sich das verdient.

            Mehr als durch das Feuer wurde Passau immer durch das Hochwasser bedroht. Egal ob das Wasser von den Bergen mit dem Inn oder aus Deutschland mit der Donau kommt, die Gefahr vom Hochwasser ist immer anwesend, das letzte Mal wurde die Stadt von einer Flut im Jahr 2013 betroffen. Es war nicht das erste Mal, obwohl die Spuren dieser Überflutung an den Passauer Häusern noch jahrelang sichtbar blieben, vielen von ihnen fehlte noch Jahre später, als wir die Stadt besucht haben, der Putz bis zum ersten Stock. Es war aber nicht die schlimmste Flut in der Geschichte, wie die Aufzeichnungen auf dem Passauer Rathaus zeigten. Am höchsten war das Wasser im Jahr 1501, als der Inn mit der Donau noch vor der Stadt zusammenflossen und das Stadtzentrum wie eine Insel aus den Flutwellen ragte.

            Passau verlor seinen Wohlstand durch den Verlust des Salzmonopols. Es wurde ihm von den bayerischen Herzögen entzogen, denen natürlich so ein Einkommen willkommen war. Im Jahr 1803 verlor dann Passau in Rahmen der Säkularisierung des Römischen Reiches unter dem Einfluss von Napoleon und den Ideen der französischen Revolution definitiv seine Selbständigkeit und es wurde zu einem Teil des neuentstandenen Bayerischen Königsreiches. Die Passauer lösten ihre Frustration vom Verlust ihrer Privilegien wirklich seltsam. Dem König Maximilian I., der aus Passau eine bedeutungslose Bezirksstadt seines Königreiches machte, bauten sie vor dem Dom eine riesige Statue – sie wurde von dem „dankbaren Passauer Volk“ gestiftet. Wofür das Volk so dankbar war, konnte ich nicht erforschen, die Arschkriecherei ist aber offensichtlich eine universale menschliche Eigenschaft.

            Passau als eine Bischofresidenz musste natürlich eine ganze Reihe von Kirchen haben. Neben dem monumentalen Dom in Stil des Barocks, der Kirche Heiligenkreuz mit den sterblichen Überresten der seligen Gisela und der bereits erwähnten Kirche Mariahilf am rechten Innufer sind das zum Beispiel ein großes Gebäude der Kirche des Heiligen Pauls am Donauufer oder ein interessantes kleines turmloses Kirchlein des Heiligen Salvators im Viertel Ilzstadt. Hier, eingebaut in einen Berg über dem Fluss, stand bis zum Jahr 1477 eine jüdische Synagoge. In diesem Jahr wurden Juden beschuldigt, die heilige Hostie mit einem Messer durchbohrt zu haben. Die Beschuldigten wurden auf dem Scheiterhaufen verbrannt, der Rest der jüdischen Kommune wurde aus der Stadt verbannt und die Synagoge abgerissen. In den Jahren 1479 – 1495 bauten hier die Bürger das Kirchlein des Heiligen Salvators als ein Zeichen der Reue über diese Tat.

            In Passau kann man natürlich noch viel mehr sehen. Besonders die Atmosphäre der Gässchen zwischen beiden Flüssen, die Promenaden entlang der Flussufer, die Erinnerungen an die berühmte Geschichte der Stadt, die man auf jedem Schritt begegnet – wie zum Beispiel die Erinnerung an den Besuch der bayerischen Prinzessin Elisabeth, die in Passau einen Halt auf ihrer Reise nach Wien machte, wo sie den österreichischen Kaiser Franz Josef heiraten und dadurch zur legendären Kaiserin Sissi werden sollte.

            Fahren Sie bitte, hin. Passau ist wunderschön und das Essen und Bier sind auch sehr gut – einfach bayerisch.

Passau I

            In Tschechien ist Passau – historisch gesehen – mit negativen Emotionen verbunden. Im Jahr 1611 lud Kaiser Rudolf II. Passauer Truppen nach Prag zur Hilfe und weigerte sich dann sie zu bezahlen. Die Soldaten wüteten demzufolge in Prag und in Südböhmen, um sich den entgangenen Sold mit Gewalt zu nehmen. Damals rettete die Tschechen der alte Petr Vok von Rosenberg, der die raubenden Truppen auszahlte und sie zogen nach Süden ab. Dieses negative historische Ereignis steht in einem direkten Zusammenhang mit der Zeit, als die Habsburger das erste Mal an der enorm reichen Stadt ihr Interesse zeigten. Im Jahr 1598 ist es ihnen gelungen, den jüngeren Bruder des späteren Kaisers Ferdinand II. Leopold zum Passauer Bischof zu installieren, obwohl der Bursche damals gerade zwölf Jahre alt war. Dreizehn Jahre später verstrickte er sich in die oben beschriebene Prager Angelegenheit. Er wurde niemals zum Priester geweiht, verließ nicht nur Passau, sondern auch den Kirchendienst und heiratete die junge Witwe Katharina Medici. So viel also zu dieser nicht gerade berühmten Episoden in der Passauer Geschichte.

            Aber lassen wir die Emotionen bei Seite.

            Passau, genannt „Drei Flüsse Stadt“, ist nämlich eine der schönsten deutschen Städte. Hier fließt der blaugrüne Inn mit der dunklen Donau zusammen und zu den zwei großen Strömen gesellt sich der kleinere Fluss Ilz. Der Inn wirkt mächtiger als die Donau, weil aber der Fluss den Namen des Stromes bekommt, der seine Richtung hält, geht hier der Inn zu Ende. Der Inn bring tatsächlich weniger Wasser als die Donau, weil er hier die Tiefe von lediglich zwei Metern hat und die Donau sechs Meter tief ist, es ist aber faszinierend zu beobachten, wie Inns helles Wasser den dunklen Strom der Donau verdrängt, weil der Inn wilder ist und das Wasser der Donau ein Problem hat, sich gegen seinen Strom durchzusetzen.

            Passau war immer eine bedeutende Stadt – und eine reiche Stadt. Es ist allerdings nicht durch Arbeit seiner Bürger und von ihnen produzierter Ware reich geworden, sondern das Geschäft mit Salz war die Quelle des Reichtums. Passau war viele Jahrhunderte lang der Umschlagplatz für Salz auf dem Wege von Salzkammergut nach Tschechien. Hier begann  der so genannte „Goldener Pfad“, der in mehreren Richtungen durch den Böhmerwald führte, der älteste von diesen Wegen endete in der Stadt Prachatice. Der Zoll auf Salz, das auf dem Inn transportiert wurde, war die Quelle des Wohlstandes der Stadt. Die Häfen für Schiffe mit Salz sind noch heute am Ufer des Inns entlang der Promenade Innkai unter der Stadtmauer sichtbar.

            An der Stelle von Passau gab es bereits in den römischen Zeiten eine kleine Festung namens Batavis, ein Vorposten des Limes Romanus, der das Römische Reich gegen germanische Angriffe von Norden schützen sollte. Die Römer gaben die Grenze an der Donau Mitte des fünften Jahrhunderts auf und ihre Kastelle verödeten. Im nächsten Jahrhundert kamen hierher germanische Bajuwaren und gründeten auf der Halbinsel am Zusammenfluss eine Burg – den Kern der heutigen Stadt. Bereits im Jahr 739 ist Passau als ein Bischofsitz genannt. Die Sternstunde der Stadt schlug aber im Jahr 1217, als Kaiser Friedrich II. den Bischof von Passau zum Reichsfürsten beförderte, der weiterhin nur dem Kaiser persönlich unterstellt war – so sollte es bis zum Jahr 1803 bleiben. Im Jahr 1225 erhielt Passau die Stadtrechte und dem wachsenden Wohlstand der Stadt stand nichts mehr im Wege. Also fast nichts. Es gab doch ein kleines Problem. Die Bürger der Stadt verstanden sich nämlich mit dem Bischof, der sich auf dem gegenüber liegenden Ufer der Donau seine Burg Oberhaus Veste bauen ließ, nicht besonders gut. Es folgte eine Reihe von Aufständen und Kämpfen, in denen die Bürger versuchten, sich von der kirchlichen Herrschaft zu befreien, es gelang ihnen aber nie. Nach der entscheidenden Schlacht im Jahr 1368, in der 200 Passauer Männer starben, durften diese nicht einmal in der geweihten Erde begraben werden – als Aufständische gegen einen kirchlichen Herrscher befanden sie sich logischerweise in einem Kirchenbann.

            Zum Oberhaus konnte man sich mit einem Bus fahren lassen, der Ticketpreis wurde dann vom Eintrittspreis in die Burg abgezogen. Man kann zur Burg zu Fuß über die Luipoldsbrücke gelangen, deren Bau einmal in Passau ähnliche Proteste auslöste, wie der Bau des Eifelturmes in Paris. Ein berühmter Passauer Schriftsteller, dessen Namen ich leider vergessen habe, hat aus Protest gegen die neue Brücke die Stadt verlassen und ist niemals zurückgekehrt. Danach führt der Weg bergauf auf der Ludwigstiege – es ist ein schöner romantischer Spaziergang, an seinem Ende wird man mit wunderschönen Ausblicken vom Bischofssitz auf die Stadt belohnt. In der Burg gibt es eine schöne und informative Ausstellung über die Stadtgeschichte, man merkt, dass die Zusammenstellung jemand machte, der sich in der Geschichte auskannte und seine Stadt wirklich mochte. Das Niederhaus, das direkt auf dem Zusammenfluss von Donau und Ilz steht, ist im Privatbesitz und ein Besuch ist deshalb nicht gestattet. Über die Festung flatterte eine schweizerische Fahne und weil eine Menge der Kreuzfahrtschiffe, die Touristen auf der Donau transportieren, ebenfalls unter der schweizerischen Fahne fährt, bietet sich ein Zusammenhang an. Sollte ich der Besitzer einer solchen Schiffgesellschaft sein, könnte ich meinen Sitz nicht besser wählen.

Unterhaus mit Oberhaus im Hingtergrund

            Passau trat gleich mehrmals in die europäische Geschichte und ist auf seine Geschichte auch gehörig stolz, man findet ihre Präsentation in der Stadt überall.

            In Passau entstand das Nibelungenlied, die berühmteste altdeutsche Sage. Der Autor blieb zwar unbekannt, es war offensichtlich ein Beamter des Bischofsamtes. Die Tafel über die Entstehung des Epos ist an der Wand des ehemaligen Bischofsamtes in der Nähe des Passauer Doms platziert. Im Rathaus ist dann ein monumentales Bild der Ankunft der Königin Krimhild in die Stadt Passau.

Krimhild war auf dem Weg zum Hunnenkönig Atilla, um ihn zu heiraten und sich seine Hilfe bei der Rache für den Tod ihres ersten Mannes Siegfried zu holen. Zum Treffen mit Atilla kam es in Tulln, dort ist dieses Ereignis mit einem Monument am Donauufer verewigt. Obwohl sich die Geschichte des germanischen Massakers am Rheinufer und dann in der Burg Atillas irgendwo in Pannonien abspielte, die Idee, über die heldenhaften, rachsüchtigen und heimtückischen Burgunden ein Heldenepos zu schreiben, entstand am Zusammenfluss von Donau und Inn.

            In Passau wurde im Jahr 1552 Passauer Vertrag unterschrieben, der Religionsfreiheit im Reich garantieren sollte und er war die Basis für den Beschluss des sogenannten Augsburger Friedens drei Jahre später. Der Leitsatz „Cuius regio, eius religio“, also „wessen Regierung, dessen Religion“ war ein Kompromiss, der die Kämpfe zwischen Katholiken und Protestanten beenden sollte. Dieser Frieden, ein Meisterstück der Diplomatie Kaisers Ferdinand I. (zu dieser Zeit erst nur des tschechischen und ungarischen Königs und österreichischen Erzherzogs – zum Kaiser sollte er dann später nach der Abdankung seines Bruders Karl im Jahr 1556 werden) hielt nur bis zum Jahr 1618 – dann explodierte die angesammelte Spannung und ging in das Grauen des Dreißigjährigen Krieges über, eines der grausamsten Konflikte der Menschengeschichte. Der Passauer Vertrag fand auch seinen Platz auf einem Bild im Passauer Rathaus.

            Die dritte berühmte geschichtliche Episode ist mit dem Aufenthalt Kaisers Leopold I. in der Stadt im Jahr 1683 verbunden.

Dieser hässlichste von allen Habsburgern hat hier geheiratet (diese Hochzeit verdiente sich ein weiteres monumentale Bild im Rathaus gegenüber dem Bild der Königin Krimhild) und durch seine Gebete gelang es ihm angeblich gerade hier, die türkische Expansion und die Eroberung von Wien abzuwehren. Dieser Geschichte ist ein vernichtender Stadtbrand im Jahr 1662 vorausgegangen. Noch bevor es gelang, die Stadt neu zu bauen, feierte hier Leopold I. im Jahr 1676 seine Hochzeit mit Eleonore Magdalena von Pfalz – es war bereits seine dritte Hochzeit, aber gerade aus dieser Ehe gingen beide späteren Kaiser Josef I. und Karl VI. hervor. Aus den beiden früheren Ehen überlebte nämlich von insgesamt sechs Kindern nur eine einzige Tochter ihren ersten Geburtstag. Möglicherweise deshalb war das gerade Passau, wohin sich der Kaiser zurückzog, als sich Wien eine riesige türkische Armee unter der Führung des Großwesirs Kara Mustafa Pascha näherte. In der Zeit, als Wien unter dem Kanonenbeschuss der Belagerer litt, betete „Türken-Poldi“, wie dieser Herrscher noch heute in Österreich genannt wird, in der Kirche „Maria-Hilf“ am rechten Innufer.

Heute ist dieser Stadtteil das einzige Stück Deutschlands am rechten Innufer, der Rest des östlichen Passauer Territoriums fiel im Jahr 1779 in Folge des so genannter „Friede von Teschen“ an Österreich. In der gleichen Zeit, als der Kaiser vor dem Votivbild Mariahilf in Passau kniete, vernichteten die türkischen Kanonenkugeln die Kirche Mariahilf in Wien (das dortige Votivbild Jungfrau Marias gelang es aber zu retten). Dem Kaiser sollte die Jungfrau Maria bei seinem Gebet erscheinen und ihm den Ratschlag gegeben haben, dass gerade die Parole „Mariahilf“ die christliche Armee zum Sieg führen würde. Und diese Parole wurde dann tatsächlich von dem alliierten österreichischen und polnischen Heer gerufen, als dieses die türkischen Belagerer am 12. September 1683 angegriffen und vernichtend geschlagen hat. Damit wurde der türkische Angriff Richtung Westen endgültig gestoppt und beendet. Die Kirche Mariahilf auf dem gleichnamigen Hügel ist ein Pilgerort. Man kann hierher über eine Brücke über den Inn und dann auf 321 Stufen in einem überdachten Gang gelangen. (Angeblich haben die Männer so lange gemeckert, dass es entweder geregnet hat oder zu heiß war, bis ihre gottesfürchtigen Frauen den Weg überdachen ließen). Beim Eingang in den Korridor steht ein schönes frühbarockes Kreuz und in der Kirche kann man das berühmte Votivbild sehen, das angeblich Wien und damit auch das gesamte westliche Christentum gerettet haben soll.

Frankfurt am Main II

Vom Goetheplatz geht man weiter zur Station Hauptwache und biegt nach rechts. Mit der Besichtigung der Altstadt kann man in einer Stunde fertig sein.

               Der Hauptplatz wurde erfolgreich rekonstruiert. Hier steht das historische Rathaus Römerberg. In den Jahren 1405 – 1408 wurde hier das Rathaus aus zwei Häusern „Römer“ und „Goldener Schwann“ errichtet und am Ende des neunzehnten Jahrhunderts nach Zukauf weiterer sechs Patrizierhäusern vom Architekten Max Meckel im neugotischen Stil umgebaut. Vor dem Rathaus steht ein Brunnen mit der Statue der „Justitia“.

               Auf dem Hauptplatz steht auch die Nikolauskirche. Die erinnert in ihrem Inneren an den Weg Martin Luthers nach Worms im Jahr 1521. Es gibt einen Pilgerweg Martin Luthers von Eisenach nach Worms, ein Pilgerort auf diesem Weg ist auch Frankfurt. Luther wurde in Frankfurt sehr freundlich empfangen, letztendlich wurden seine Bücher hervorragend verkauft, nur im Jahr 1520 verkaufte ein Buchhändler in Frankfurt 1400 seiner Schriften – für diese Zeit war das ein enormer Umsatz – zu Vergleich die Auflage von der Guttenbergs Bibel betrug 500 Stück). Im Jahr 1533 führte die Stadt die Lehre Luthers ein und bis zum neunzehnten Jahrhundert konnten die Katholiken trotz der anerkannten Bekenntnisfreiheit das Frankfurter Bürgerrecht nur in sehr seltenen Fällen gewinnen – sie mussten dafür sehr viel Geld haben.

               Die Hauptkathedrale ist die Bartholomäuskirche. Ein monumentales gotisches Gebäude nur ein paar Schritte vom Hauptplatz entfernt wirkt in seinem Inneren verhältnismäßig bescheiden. Auf seiner Wand gibt es eine Gedenktafel seines Erbauers, des Architekten Madern Gerthener, der aber die Vollendung des Baus nicht mehr erlebte.

               Viel mehr blieb von der mittelalterlichen Stadt nicht erhalten, mit der Ausnahme des Eschenheimerturmes, des einzigen Turmes der Stadtbefestigung, wo es heute ein Restaurant gibt. 

Von den alten Palästen blieb der Palast Thurn und Taxis stehen, komisch eingepresst zwischen moderne Glashäuser. Diese sind übrigens überall, nicht nur in der Finanzcity. Die Kaufmeile gibt es in der Galeria Kaufhof Hauptwache – Shopping darf beim Besuch von Frankfurt nicht fehlen und die Besucherinnen der Stadt loben es sehr.

               Die Museen befinden sich auf dem anderen, also südlichen, Mainufer. Über den Main führen mehrere Brücken und zwei Stege für Fußgänger. Einer davon endet gerade beim Museum, wo in der Zeit meines Busches eine Renoir-Ausstellung war, der zweite Steg ist der legendäre Eiserner Steg, der am Rande der Altstadt beginnt. Er wurde im Jahr 1868 gebaut und verbindet das historische Stadtzentrum mit dem Stadtviertel Sachsenhausen auf dem anderen Mainufer. Dass dieses Stadtviertel seinen Namen nach einer Sachsenkolonie bekommen hätte, die hier Karl der Große als seine Gefangene ansiedeln sollte, ist nur eine Legende.

               Im Gegensatz von Museen, die auf das südliche Ufer verbannt wurden – mit der Ausnahme des Geburtshauses von Goethe, das ebenfalls in ein Museum verwandelt wurde und des Struwwelpetermuseums, das dem Buch von Frankfurter Psychiater Heinrich Hoffmann aus dem Jahr 1844 gewidmet ist, das Generationen von Kindern Angst vor ihren bösen Taten einjagen sollte, hat Frankfurt zwei Opernhäuser und beide auf dem richtigen – also nördlichen – Ufer. Die Alte Oper wurde im Jahr 1880 gebaut. Die geplanten Baukosten von 2 Millionen Gulden wurden von den sonst so sparsamen Frankfurter Bürgern so großzügig überzogen, dass Kaiser Wilhelm, der die feierliche Eröffnung beiwohnte, angeblich jammern sollte „Das kann ich mir nicht leisten!“

               Außer dieses historischen Gebäudes hat Frankfurt noch eine Oper in der Nähe von der City neben dem Weg von Hauptbahnhof in die Stadt. Sie wurde im Jahr 1963 gebaut und als sie durch eine Brandstiftung im Jahr 1987 ausgebrannt war, wurde sie im Jahr 1992 erneuert.

               Zum Besuch einer Stadt gehört natürlich auch das Essen. Mit meiner üblichen Neugier suchte ich nach örtlichen Spezialitäten. Neben den Käsebrezeln, die überall angeboten werden, sind sehr populär die „Mettbrötchen“, das sind Brötchen für Schnellimbiss mit faschiertem frischem Fleisch und Zwiebel.

               Allerdings wer Frankfurt besucht, sollte unbedingt die legendäre „Grüne Soße“ kosten. Keine Angst, sie schmeckt nicht schlecht, eigentlich schmeckt sie nach nichts. Was in Betracht ihrer Zusammenstellung wie ein Wunder wirkt. Der Grund wird von sieben Kräuter gebildet: das sind der Boretsch, der Kerbel, die Kresse, die Petersilie, die Pimpinelle (auch Bibernelle genannt) der Sauerampfer und der Schnittlauch. Es wird normalerweise mit hartgekochten Eiern und Kartoffel serviert, ich habe mich für die Variante des „Frankfurterschnitzels“ entschieden. Das ist eigentlich das übliche Wiener Schnitzel (sehr dünn geklopft) eben mit der grünen Soße.

               Der Ursprung dieser geheimnisvollen Mischung ist unbekannt. Eindeutig falsch ist die Legende, nach der die Soße Goethes Mutter Aja erfunden haben soll. Entweder brachten das Rezept nach Frankfurt im sechszehnten Jahrhundert französische Hugenotten oder katholische Handelsmänner aus Lombardei im achtzehnten Jahrhundert. Aufgrund des fehlenden Geschmacks dieser Spezialität würde ich eher die Hugenotten, also die Folgenmänner Calvins – dahinten vermuten. Die Gründe für diese meine Hypothese habe ich in meinem Artikel „Calvin ist an allem Schuld“ erörtert.

               Zum Trinken gibt es in Frankfurt den legendären Apfelwein.

Ein Fass mit Apfelwein

Bereits im Jahr 1754 erhielten die Frankfurter Bürger die Schankerlaubnis, dieses derbe Getränk aus sauren Äpfeln (sogar die Holzäpfel dürfen verwendet werden) zu verkaufen. Seit diesem Jahr ist sein Verkauf auch versteuert. Das Getränk hat 5-7% Alkohol und man soll es bei einem Frankfurter Besuch unbedingt ausprobieren. Gerüstet mit einer Tablette Pantoprazol muss man davor keine Angst haben.

               Die aufmerksamen Leser wurden wahrscheinlich hellhörig, wenn man den Zusammenhang Frankfurt – Wien bemerkte. Natürlich – es geht um die legendären Würstchen, die in Wien „Frankfurter“ heißen und in Deutschland allgemein „Wiener“ als ob sich niemand zu der Spezialität bekennen möchte. Die Wirklichkeit ist viel einfacher. Das Rezept wurde in Wien von Metzger Johann Georg Lahner erfunden, der aus Frankfurt stammte. Deshalb entstand in Wien der Name „Frankfurter Würstel“. In Deutschland wurden aber diese Würstchen durch das Urteil des Berliner Gerichtes im Jahr 1955 für eine „lokale Spezialität“ erklärt, also darf der Name Frankfurter Würstchen in Deutschland nur in Frankfurt benutzt werden, genauer gesagt, dürfen so nur Würstchen genannt werden, die in Frankfurt produziert wurden. Aus diesem Grund verhalf sich der Rest Deutschlands damit, dass diese Spezialität nach der Stadt genannt wird, wo sie entstanden ist – also „Wiener Würstchen“. In Österreich ist dann die Gerichtsentscheidung eines deutschen Gerichtes irrelevant und so können sie dort weiterhin „Frankfurter“ genannt werden. Aber Hauptsache, sie schmecken gut!

               Frankfurt ist nicht dazu da, um hier das Leben zu genießen, sondern um hier das Geld zu verdienen. Das Geld kann man dann viel angenehmer ausgeben, zum Beispiel in der nahen Hauptstadt des Landes Hessen, in Wiesbaden. Also, wenn man genug davon verdient hat…

               Übrigens, es gibt neben den Würsteln noch eine Verbindung zwischen Frankfurt und Österreich, nämlich den Fußball. Der traditionelle Klub Eintracht Frankfurt hat offensichtlich eine Schwäche für österreichische Trainer. Der Klub hat sein Stadion am südlichen Mainufer auf der Strecke vom Stadtzentrum zum Flughafen, man kann es mit der S-Bahn erreichen. Nicht verwunderlich ist die Tatsache, dass der Platz, wo die Spiele ausgetragen werden, Deutsche Bank Park heißt. Der Klub hat gute, sowie auch schlechte Zeiten, erlebt. Neben dem deutschen Meistertitel aus dem Jahr 1959 und UEFA Pokal aus dem Jahr 1980, erlebte er in den Jahren 1996 – 2012 ein „Pater noster“ Phänomen, wann er immer wieder in die zweite Liga abstieg und um den Aufstieg zurück in die Bundesliga kämpfen musste. In den letzten Jahren allerdings blüht Eintracht Frankfurt wieder auf. Nach dem ersten österreichischen Trainer Adi Hütter übernahm heuer den Klub der Salzburger Oliver Glassner, der Eintracht Frankfurt bis zum Europa League Titel geführt hat. Nach 42 Jahren versetzte er also die Frankfurter Fans wieder in den Siegesrauschzustand. Also Österreich begegnet man hier nicht nur beim Würstelessen.

Frankfurt am Main I

               Wenn man über Frankfurt fliegt, und das kann wegen des dortigen internationalen Flughafens, des größten in Deutschland und einer Umsteigestation für interkontinentale Flüge ziemlich häufig passieren, sieht man, wie sich die Stadt über viele Kilometer überwiegend auf dem nördlichen Ufer des Flusses Main hinzieht und der Blick wird von einer Gruppe Hochhäuser angezogen, die an die Londoner City erinnern. Die Stadt wirkt also von oben wie eine Metropole und dieser Eindruck wird durch einen Spaziergang auf der Promenade entlang des Flussufers verstärkt – Deutsch hört man dort nämlich nur selten. Auch deshalb wird Frankfurt „die kleinste europäische Metropole“ genannt – mit seinen 760 000 Einwohnern gehört es in Deutschland zu den mittelgroßen Städten.

               Die Anfänge der Stadt waren bescheiden. In Unterschied zu dem westlichen Rheinufer, wo eine Reihe Städte infolge der römischen Gründungen stand, gab es auf dem östlichen Ufer nur Urwald, Wildnis und Germanen, vor denen die Römer panische Angst hatten. Das erste Mal wird die Stadt in einer Urkunde Karls des Großen aus dem Jahr 794 bereits unter seinem Namen Franconofurd also fränkische Furt erwähnt. Wenn man heute auf dem Ufer des mächtigen Stroms des Flusses Main steht, versteht man nicht wirklich, wie hier einmal eine wichtige Furt sein konnte. Damals war aber der Fluss viel breiter als heute und bildete zahlreiche tote Flussarme und Sümpfe, aus denen eine Insel ragte, auf der Karl eine Pfalz bauen ließ, also eine Festung, aus der dann sein Enkelsohn Ludwig der Deutsche seine Residenz machte – die Hauptstadt des Reiches – Aachen – lag nämlich im Herrschaftsgebiet seines Bruders Lothar.

               Dank seiner günstigen Lage auf dem Verbindungsweg zwischen Rheingebiet und Ostdeutschland wurde Frankfurt bereits im zwölften Jahrhundert zu einem bedeutsamen Handelszentrum. Der entscheidende Tag, der die Entwicklung der Stadt bis heute bestimmen sollte, kam aber am 11. Juli 1240. An diesem Tag bewilligte Kaiser Friedrich II. der Stadt eine Herbstmesse zu veranstalten und zugleich stellte er mit seinem Geleitbrief alle Geschäftsleute, die zur Messe unterwegs waren, unter seinen persönlichen Schutz. Das war in der Zeit, als die Wälder von Räubern und Dieben nur so wimmelten, ein unbezahlbares Privileg. Mit dem Kaiser wollte sich lieber keiner anlegen, was den Kaufleuten eine bestimmte Sicherheit garantierte. Es handelte sich um die erste Messe in Mitteleuropa und bald strömten Händler aus Italien, Tschechien, aber auch aus Flandern oder Frankreich in die Stadt, um ihre Ware anzubieten. Im Jahr 1330 bewilligte dann Kaiser Ludwig IV. der Bayer der Stadt, die ihn in seinem Kampf gegen den Papst treu unterstützt hatte, das Recht eine Fasten- also eine Frühlingsmesse zu organisieren. Frankfurt wurde definitiv zum deutschen Handelszentrum und blieb es bis heute. Das Frankfurter Messegelände ist gigantisch und beeindruckt den Besucher auch heute noch.

               Vielleicht spielte in der Entscheidung des Reformkaisers Friedrich II. auch die Tatsache eine Rolle, dass gerade hier in Frankfurt sein Großvater Friedrich I. Barbarossa zum deutschen König gewählt wurde, was der Aufstieg der Staufer Dynastie bedeutete. Seit dem Jahr 1147 fanden die Wahlen der deutschen Könige ausschließlich in Frankfurt statt. Die Wahl in dieser Stadt wurde zur Voraussetzung der Wahlgültigkeit und diese Tatsache bestätigte dann Karl IV. in seiner „Goldenen Bulle“ aus dem Jahr 1356. Im Jahr 1372 beförderte dann Karl die Stadt Frankfurt zu einer freien Reichstadt, die formal nur mehr dem Kaiser, also ihm persönlich, untertan war. Das Geld aus der reichen Stadt war für den Herrscher willkommen und stand bei seiner Entscheidung sicherlich – wie immer – „nur“ auf dem ersten Platz.

               Diese Meilensteine in der Stadtgeschichte symbolisieren die Statuen der Kaiser Friedrichs Barbarossa, Ludwigs des Bayer und Karls IV. an der Fassade des Frankfurter Rathauses.

Zu diesen drei Kaisern gesellte sich noch Maximilian II., der erste Kaiser, der sich in Frankfurt nicht nur wählen, sondern sogar auch gleich krönen ließ. (Die Krönung von Papst schaffte bereits Maximilians Vater Ferdinand I. ab.) Maximilian hatte eine sehr reservierte Haltung zu heiligen Reliquien und hatte keine Lust nach Aachen zu reisen, um sich dort über der Erde aus dem Heiligen Land krönen zu lassen, abgesehen von der abscheulichen Tradition, den Schädel Karls des Großen bei der Zeremonie küssen zu müssen. Also fand im Jahr 1562 in Frankfurt die erste kaiserliche Krönung statt. Im Jahr 1742 musste dann Frankfurt sogar als Residenzstadt eines deutschen Kaisers einspringen. Kaiser Karl VII. suchte hier Zuflucht, da sein Land – Bayern – von österreichischen Truppen besetzt war. Er starb hier in seinem Exil im Palast Barckhaus an der Zeil. Typisch für den Frankfurter Handelsgeist ist die Tatsache, dass dieser Palast im Jahr 1908 dem Kaufhaus Wronker weichen musste – das Geld war schon damals wichtiger als die Nostalgie über eine ehemalige kaiserliche Residenz. Es sollte nicht das letzte Mal in der Frankfurter Geschichte sein.

               Im Jahr 1455 begann gerade in Frankfurt am Main die historische Neuzeit. Auf der Messe wurde die Bibel von Johann Guttenberg aus dem nahen Mainz ausgestellt – das erste gedruckte Buch. Der Buchdruck bestimmte entscheidend den weiteren Lauf der Geschichte, Frankfurt nutzte die Tatsache der ersten Präsentation des gedruckten Wortes dazu, dass hier die Frankfurter Buchmesse entstand – sie wird bis heute veranstaltet, seit dem Jahr 1480 zweimal jährlich. Vom Handelszentrum war nur ein kleiner Schritt dazu, dass Frankfurt auch zu einem Finanzzentrum aufstieg. Das blieb es bis heute und was für eines! Neben London ist Frankfurt das bedeutendste Finanzzentrum Europas. Hier residiert nicht nur die Deutsche Bank, aber auch die Europäische Zentralbank (ECU). Weiter die Commerzbank, Ing Di-Ba Bank und natürlich auch die Börse, die wichtigste Börse auf dem Kontinent. Der Brexit stärkte zusätzlich die Stellung von Frankfurt in der Finanzwelt. Also, wer in der Welt des Geldes etwas bedeuten will, kommt an Frankfurt nicht vorbei.

               Aber zurück in die Vergangenheit. Von Bedeutung war das Jahr 1848. Als Folge der Märzrevolution kam es zu ersten deutschen Wahlen und die gewählten Delegaten trafen sich in Frankfurt in der Sankt Pauluskirche, um unter dem Vorsitz des österreichischen Erzherzogs Johann die erste deutsche Verfassung zu erschaffen. (Die Pauluskirche steht im Stadtzentrum zwischen dem Platz Zeil und Goetheplatz bei der U-Bahn-Station Hauptwache). Leider endete diese Versammlung ohne Erfolg. Österreich konnte sich mit seiner „Großdeutschen Lösung“ gegen den Widerstand von Preußen nicht durchsetzen und der preußische König Friedrich Wilhelm IV. lehnte die angebotene deutsche Kaiserkrone ab, weil er sie aus den Händen „der Revolutionäre“ hätte empfangen müssen.

               Frankfurt behielt seine Bedeutung auch in der Nazizeit, von 11 134 Juden, die in dem damaligen Finanzzentrum vor dem Jahr 1933 lebten und hier eine bedeutsame Rolle spielten, überlebten den Krieg nur 367. Unter denen, die in Auschwitz ermordet wurden, war auch Hermann Wronker mit seiner ganzen Familie. Dann aber schlug für die Stadt die Schicksalsstunde – eigentlich zwei Stunden. Am 18. und am 22. März 1944 unternahm die Royal Force zwei vernichtende Luftangriffe, bei denen Frankfurt dem Boden gleich gemacht wurde. Nur die Kirche des Heiligen Bartholomäus, also die Kathedrale, wurde teilweise verschont und blieb als eine Ruine im Ruinenfeld stehen. Vernichtet wurde auch das Kaufhaus Wronker, seine ursprünglichen Eigentümer lebten zu dieser Zeit nicht mehr.

               Wenn in anderen deutschen Städten es Bemühungen gab, die zerstörten Städte zu rekonstruieren (in Dresden dauert dieser Prozess noch an) in Frankfurt wurden in den leeren Flächen günstige Grundstücke für den Bau der Wolkenkratzer für die Banken und weiteren Institute der Finanzwelt gesehen. Die grenzen jetzt nicht nur direkt an die Altstadt, sie dringen sogar in die Altstadt ein und bilden das typische Frankfurter Panorama. Es kommen erstaunlich viele Touristen, um genau das zu sehen, die Amerikaner oder die Briten könnten hier sogar ein Hauch von Heimat spüren – des Manhattans oder der Londoner City.

               Also wenn man in Frankfurt ankommt – es ist leicht mit Flugzeug oder mit Zug erreichbar – dann steigt man am Hauptbahnhof aus und geht immer geradeaus bis zum Platz des berühmtesten in Frankfurt geborenen Mannes Johann Wolfgang Goethe, der hier am 28. August 1749 zur Welt kam. Er erlebte hier seine Kindheit und war hier nach seinem Studium in Leipzig und Straßburg als Anwalt tätig, bis er im Jahr 1775 an den Hof des Fürsten Karl August in Weimar übersiedelte, wo er dann für den Rest seines Lebens blieb.

Goetheplatz