Wenn man Rimini sagt, stellt man sich gleich übervölkerte Strände vor, ein Gedränge in den Straßen sowie auch im Meer und wilde nächtliche Partys. Es ist grundsätzlich wirklich so. Einmal hatte ich die Gelegenheit, den berühmten Strand von oben von einem Flugzeug aus zu sehen, als ich nach Spanien flog. Er ist vierzig Kilometer lang und zweihundert Meter breit und er strahlte mit seinem goldenen Sand bis in den Himmel. Es gibt in Italien wahrscheinlich nichts des Gleichen oder Vergleichbares und deshalb wurde Rimini – beginnend mit dem Jahr 1843 – zum Mekka für alle Urlauber, die das Liegen in der Sonne und das Baden im warmen Wasser lieben. Wie zum Beispiel meine Frau.
Im Jahr 1843 haben nämlich der Bischof von Rimini Francesco Gentilini und der Kardinallegat Luigi Vannicelli Casoni das erste „Privilegierte Strandbad“ eröffnet, das von den Grafen Alessandro und Ruggero Baldini und vom Arzt Claudio Tintori als das erste Badezentrum am Meer an der Adria gegründet wurde. Es war damals eine große Begebenheit und der Beginn der Prosperität der bis dahin untergekommenen Stadt Rimini.
Wenn eine Stadt im Winter 150 000 Einwohner hat, und im Sommer vermehrt sich ihre Zahl fünffach, muss man, glaube ich, nichts kommentieren. Ich rechne keine Gäste aus den umliegenden Städtchen Riccione oder Cattolica dazu – dort geht nämlich der berühmte Strand zu Ende. Rimini ist sehr gut erreichbar. Entweder per Flugzeug, mit dem landet man auf dem Flughafen, der den Namen des berühmtesten Sohnes der Stadt Federico Fellini trägt, mit dem Zug aus Bologna oder auf der Autobahn ebenso aus der Richtung von Bologna. Wer die Autobahngebühr sparen will, kann eine Abkürzung auf der Küstenstraße über Ravenna nehmen, muss dann aber eine Stunde mehr in die Einfahrtzeit einkalkulieren. Die Stadt Rimini ist also bereit, so viel Touristen wie möglich aufzunehmen und deshalb ist die ganze Küste mit Hotels und Appartementhäusern verbaut, man findet hier eigentlich nichts anderes. Die Strände haben ihre Nummer und Reservationen für bestimmte Hotels und Appartements, die Preise für Sonnenschirme und Liegen sind für die Hotelgäste absolut akzeptabel. Wir bezahlten für einen Sonnenschirm und zwei Liegen für sechs Tage 87 Euro, also 14,50 Euro für einen Tag. Rimini hat allerdings viel mehr anzubieten, sogar für so einen Nörgler wie mich.
Rimini hat eine reiche Geschichte und obwohl es in dem zweiten Weltkrieg fast dem Boden gleich gemacht wurde, schafft es sich stolz zu präsentieren. Also zumindest das, was man retten oder nach dem Krieg rekonstruieren konnte. Im Jahr 1944 hatte die Stadt Pech. Gerade durch die Stadt (oder ein bisschen südlicher über die Stadt Pesaro) führte die so genannte Gotenstellung (italienisch Linea Gotica genannt), wo sich die Deutschen befestigten, um die Alliierten bei ihrem Vormarsch nach Mitteleuropa zu stoppen). Diese Verteidigungslinie führte quer durch die ganze Appenninhalbinsel, die Alliierten hatten aber keine Lust in den Bergen zu kämpfen, wo sie ihre technische Überlegenheit nicht geltend machen konnten. Sie entschieden sich also für einen Angriff der Küste entlang und den Kanadiern, die den Hauptvorstoß führten, stand gerade die Stadt Rimini im Weg. Sie machten es also dem Boden gleich und machten so den Weg für den Vormarsch der achten britischen Armee frei. Die Kriegsoperation endete mit einem Erfolg, die Gotenstellung wurde durchbrochen, für die Stadt Rimini war es aber fatal.
Es gelang zumindest die wichtigsten Stadtgebäuden zu rekonstruieren und auch ein paar historische Monumente, die wie Artefakte in der modernen Bebauung wirken. Es wäre allerdings sicher schade, wenn sie verschwunden wären.
Rimini wurde im Jahr 268 vor Christi Geburt als eine römische Kolonie namens Ariminium gegründet. Ihren Namen bekam sie nach dem Fluss Ariminus, der bei der Gründung eine entscheidende Rolle spielte, weil in seiner Mündung der Hafen gebaut wurde. Die Adriaküste ist nämlich in dieser Gegend gerade und bietet keine anderen Möglichkeiten für Schiffe, sich vor dem Unwetter zu schützen.
Die Flussmündung bietet diesen Schutz auch noch heute, obwohl der Fluss heute Marecchia heißt und sein Strom verlegt worden ist. Nahe am Meer stehen Ausflugschiffe vor Anker, hinter ihnen Fischerboote, dann Yachten und weiter im Innenland dann Motorboote. Alles schön eines nach dem anderen nach ihrer Wichtigkeit, wie das sein soll. In Rimini herrscht nämlich für italienische Verhältnisse außerordentliche Ordnung und Sauberkeit (obwohl die Italiener nicht immer den Kot ihrer Hunde entsorgen, also aufpassen, wohin man tritt).
Im Jahr 220 v.Ch. ließ Konsul Gaius Flaminius die Straße Via Flaminia bauen, die gerade in Ariminium endete und so aus der Stadt den nordöstlichen Vorposten der römischen Macht machte. (Gaius Flaminius starb drei Jahre später in der Schlacht an Trasimenersee im Kampf gegen Hannibal). Später schlossen sich an die Via Flaminia die Via Emilia, die von Ariminum nach Piacenza und weiter nach Mailand führte, und die Via Poppilia an, also konnte die Ware, die im Hafen von Rimini umgelagert wurde, gleich in drei Richtungen befördert werden und die Stadt wurde zu einem Verkehrsknoten. Als Diktator Sulla den Fluss Rubikon zur nördlichen Grenze Italiens erklärte (weiter nördlicher gab es die Provinzen Gallia Cispadana und Gallia Cisalpina), wuchs die Bedeutung der Grenzstadt weiter und alle Bürger der Stadt erhielten die römische Bürgerschaft. Das Gesetz erklärte, dass kein römischer Heerführer diese Grenze an dem Rubikon mit einer Streitkraft übertreten durfte.
Allerdings sagte im Jahr 49 v.Ch. ein bestimmter Gaius Julius Caesar seinen berühmten Satz „Alea iacta est“ und ignorierend das Gesetz Sullas (den er nie leiden konnte), er übertrat den Rubikon und begann damit den Bürgerkrieg. Ariminum war die erste Stadt, die er einnehmen konnte und hierher eilten zu ihm seine Parteigänger wie Marcus Antonius, aber auch die Verhandler der senatorischen (heute würde man sagen demokratischen) Partei, geführt von Caesars Neffen Lucius Caesar. Sie hatten keinen Erfolg und Lucius selbst, obwohl er vom Onkel amnestiert, wurde im Jahr 46. aus Caesars Anlass ermordet. An die Anwesenheit Caesars in der Stadt erinnert seine Statue auf dem Platz „Piazza de tre Martyri“, wo in römischen Zeiten das Forum war.
Im Jahr 27 v.Ch. ließ in Ariminium Oktavianus, der gerade in diesem Jahr sich Augustus zu nennen begann, seinen ersten Triumphbogen bauen. Der Bau den Triumphbögen wurde später zur Mode, die sich kein Kaiser entgehen lassen wollte, allerdings der Augustusbogen in Rimini aus dem Jahr 27 v.Ch. ist der älteste auf der Welt. Später wurde er praktischerweise in die Stadtmauer als das Tor auf der Via Flaminia eingebaut, die in der Stadt ihr Ende findet.
Augustus Adoptivsohn Tiberius ließ den Bau der Brücke über den Fluss Marecchia beenden und verband so die Stadt mit der Fischerkolonie an dem anderen Flussufer. Die Brücke steht noch heute und überstand sogar das Grauen des zweiten Weltkrieges- die Römer kannten sich in der Baukunst wirklich aus. Der Augustusbogen wird durch „Corso Augusto“ – die Hauptstraße von Rimini und eine Fortsetzung der Via Flaminia – mit der Tiberiusbrücke verbunden.
Aus den römischen Zeiten blieb einiges erhalten. Nicht nur „Das Haus des Chirurgen“ auf der „Piazza Ferrari“, sondern viele Artefakte, die im „Museo della Citta“ ausgestellt werden, nur um eine Kirche von der Piazza Ferrari entfernt. Das Museum befindet sich im ehemaligen Jesuitenkollegium, im Hof ist ein römisches Lapidarium mit vielen antiken Grabsteinen.
Das Erstaunlichste im Museum sind rekonstruierte Bodenmosaiken der römischen Häuser – eben auch aus dem Haus des Chirurgen, das bei dem ersten Einfall der Alemannen im dritten Jahrhundert vernichtet wurde. Das römische Amphitheater in der südwestlichen Ecke der Altstadt ist schwer zu finden. Ich wollte die Suche gerade aufgeben, als ich merkte, dass ich mich gerade im „Viale al Anfiteatro“ befand. Ich kämmte also die ganze Umgebung durch und ich habe das Amphitheater gefunden. Ich muss – glaube ich – nicht betonen, dass in einem Amphitheater, das man so schwer finden kann, nicht gerade viel zu sehen ist.
Wegen seiner strategischen Bedeutung wechselte die Stadt häufig ihre Besitzer, was ihr nicht besonders gefiel. Zuerst wurde sie vom Gotenkönig Totilla im Jahr 550 n.Ch. eingenommen, ein paar Jahre später wurden die Goten aus der Stadt vom byzantinischen General Narses vertrieben und Rimini wurde für die nächsten zweihundert Jahre ein Teil des Exarchates von Ravenna, also des von Byzantinern beherrschten Gebietes in Norditalien. Die Langobarden eroberten die Stadt im Jahr 728, im Jahr 756 war Rimini ein Teil der „Pippinischen Schenkung“, also der Region, die der Frankenkönig dem Papst als eine Gegenleistung für seine Krönung zur direkten Verwaltung geschenkt hat.
Mit der Verwaltung aus fernem Rom war es nicht so einfach. Der Papst hatte nicht genug Kraft, um auf seinem Gebiet Ordnung zu halten und die Stadtkommunen emanzipierten sich. Sie machten sich selbständig – und rauften miteinander. Im Jahr 1157 erteilte Kaiser Friedrich Barbarossa – wahrscheinlich um den Papst zu ärgern – der Stadt Rimini das Recht der Selbstverwaltung und Münzenprägung. Im Jahr 1216 nach einer Niederlage im Krieg gegen die Stadt Cesena wusste die Stadtregierung nicht, was zu tun. Sie heuerte also zwei Mitglieder der mächtigen Familie Malatesta an, um die Führung der Streitkräfte zu übernehmen. Malatesta I. Malatesta wurde zu Podesta der Stadt und übernahm die Macht. Wenn schon die Armee unter seinem Kommando stand, konnte er offensichtlich nicht widerstehen. Sein Sohn Malatesta da Verucchio, der unglaubliche hundert Jahre alt wurde, hatte genug Zeit, um die Macht in der Stadt zu festigen. Im Jahr 1288 wurde er zwar vertrieben, bereits im Jahr 1295 kehrte er aber zurück und die Familie Malatesta herrschte in Rimini weitere zweihundert Jahre.
Die Mitglieder der Familie zeichneten sich mit Klugheit, hoher Bildung, politischer Weitsicht und vor allem mit einer unglaublichen Rücksichtlosigkeit aus. Das alles waren hervorragende Voraussetzungen für ihren politischen Erfolg. Zum Beispiel Carlo I. Malatesta gewährte in der Zeit des päpstlichen Schismas dem aus Rom vertriebenen Papst Gregor XII in Rimini Asyl. Er begleitete ihn zum Konzil von Konstanz, wo er ihn nach Beurteilung aller Möglichkeiten und nach einer Verhandlung mit Kaiser Sigismund zum Rücktritt überredete, womit er wesentlich zu Beendigung des Dreipapstums beitrug. Umsonst war diese seine Leistung sicher nicht. Über den Namen Malatesta stolpert man in Rimini auf jedem Tritt, schon deshalb, weil hier die Bank „Banca Malatestiana“ ihren Sitz hat.
Viel mehr als durch ihr politisches Geschickt wurde aber die Familie Malatesta durch ihre Liebesaffären berühmt, die sogar einen Platz in der Weltliteratur gefunden haben. Die erste Geschichte spielte sich im Jahr 1284 ab. Der Sohn Malatestas da Verucchio Giovanni, genannt Gianciotto, heiratete die Tochter des Herrschers aus dem nahen Ravenna, Francesca da Polente. Es ging um eine politische Verbindung zweier Familien, die gerade in dieser Zeit die Spitze der politischen Macht in ihren Städten erklommen haben. Die Familien Malatesta und Polente fühlten sich zu dieser Zeit in ihren Städten noch nicht ganz sicher und versprachen sich für den Fall der Fälle, also für einen Aufstand der Untertanen, gegenseitige Hilfe. Francesca verliebte sich aber in den Bruder ihres Mannes, Paolo (genannt „Il Bello“, was ihre Schwäche erklären könnte). Giovanni war dagegen ein hässlicher Krüppel. Als er aber seinen Bruder mit seiner Gattin in flagranti ertappte (angeblich wirklich direkt bei der Tat), wollte er Paolo mit seinem Schwert töten. Francesca stellte sich aber zwischen beide Männer und Giovanni erstach mit einem Schlag beide Geliebten auf einmal. Für einen Krüppel eine beachtliche Leistung, wahrscheinlich war er wirklich sauer.
Diese Liebesgeschichte war so gut bekannt, dass sie einen Weg in die „Göttliche Komödie“ von Dante fand. Natürlich in dem Teil „Hölle“, weil ein Ehebruch einfach ein Ehebruch ist, und eine untreue Gattin verdient die ewige Qual in der Hölle. Laut Dante ging die Initiative von dem schönen Paolo aus und die arme Francesca konnte seinem Charme einfach nicht widerstehen. Sie selbst entschuldigte ihre Schwäche mit einem Vergleich mit der Liebe des Ritters Lancelot zur Gattin des Königs Artur Guinevra. Manchmal ist es nicht gescheit, Frauen viel lesen zu lassen, in Italien aber begann in dieser Zeit bereits die Renaissance zu wüten. Es war also schwer, Francesca ihre Liebe zu Büchern zu verbieten. Die Geschichte erfasste später auch Giovanni Boccaccio. Seiner Version nach sandte der hässliche Giovanni seinen Bruder Paolo nach Ravenna, damit er Francesca in Vertretung heiratete, wobei die Braut glaubte, dass es sich um den tatsächlichen Gatten handelte. Als sie dann ihren Mann in Rimini erblickte, entschied sie sich doch für Paolo. Es war eine fatale Entscheidung. Was beide Autoren verschwiegen haben, war die Tatsache, dass Paolo selbst verheiratet war. Seine Frau Beatrice Orabile war die Erbin der Grafschaft Giaggiolo und er hatte mit ihr zwei Kinder. Sie passte weder Dante noch Boccaccio in ihre romantischen Erzählungen. Im Jahr 2022 gab es in dem Stadtmuseum von Rimini das ganze Jahr eine Ausstellung zu dieser Liebesgeschichte und ihrer literarischen Bearbeitung, besonders im Werk Dantes. Die Geschichte von Francesca und Paolo wurde zum Teil der italienischen Kultur und lebt bereits ein eigenes Leben. In der Gelateria auf der „Piazza della Republica“ in Urbino wird Eis „Paolo e Francesca“ verkauft. Natürlich habe ich es ausprobiert, es war ein bisschen Kaffee, ein bisschen Chocolade. Keine Ahnung, wer und wie auf diese Idee gekommen ist, sie hat aber Erfolg und wird verkauft.