Urbino ist ein Schmuckstück der Renaissancearchitektur. So schaut es nämlich aus, wenn der Bauherr dem Architekten sagt, dass Geld keine Rolle spielt. Welcher Architekt möchte so einen Satz nicht hören? Seine Fantasie bekommt Flügel und die unbeschränkten finanziellen Möglichkeiten lassen – sein schöpferisches Talent vorausgesetzt – Werke von unbegrenzter Schönheit entstehen. So war es auch bei dem Herzogpalast in Urbino.
Urbino ist ein kleines Nest inmitten der italienischen Berge in der Province Marche. Es hat ungefähr 15 000 Einwohner aber auch eine Universität, die im Jahr 1508 von der Familie De la Rovere gegründet wurde und die derzeit von ungefähr 15 000 Studenten besucht wird. Die Folge ist der Eindruck einer jungen Stadt. Auf den Straßen trifft man laute junge lächelnde Menschen, was die gute Laune und die Attraktivität der Stadt wesentlich erhöht. Wenn man dann die Stadt in den ersten Julitagen besucht, wenn es die Zeit der Promotionen gibt, merkt man es noch deutlicher. Auf den Straßen der Stadt um die Universität laufen nämlich Absolventen mit Lorbeerkränzen auf den Häuptern, umkreist von stolzen Familienmitgliedern, alle natürlich feierlich angezogen – es ist eine Augenweide. Junge Italerinnen übrigens verlassen niemals das Haus oder die Wohnung ungepflegt („um jederzeit den Mann ihres Lebens treffen zu können“). Am Tag des Schulabschlusses gilt das dann noch viel mehr. Urbino ist einfach ein Lobeslied an die Schönheit. An die menschliche sowie auch an die architektonische.
Die Bedeutung der Stadt übertraf bei weitem ihre Größe, den Höhepunkt erreichte Urbino im fünfzehnten Jahrhundert, als hier der Herzog Federico de Montefeltro residierte. Wann die Familie Montefeltro in den Herzogstand erhoben wurde, ist nicht ganz klar. Nach Urbino wurden die Grafen von Montefeltro aus einer kleinen Burg nahe Rimini als kaiserliche Vikare von Kaiser Friedrich I. Barbarossa im Jahr 1155 eingesetzt. Die Provinz „Marche“ also „Marke“, war immer eine Pufferregion, wo der Kaiser mit dem Papst ihre Kräfte gemessen haben. Also kein Wunder, dass eine weitere Beschenkung der Familie Montefeltro vom Enkelsohn Barbarossas, Friedrich II., der einige Jahrzehnte mit Päpsten unerbittliche Kämpfe führte, stattfand. Aber wann traten die Montefeltros in den Rang der Fürsten, also der Herzöge und Souveräne? In Wikipedia las ich, dass es im Jahr 1442 war, eine andere Quelle behauptet, dass der erste Herzog von Urbino der bereits erwähnte Federico war, der allerdings seine Herrschaft erst im Jahr 1444 antrat. Und um noch ein bisschen mehr Chaos in die Sache zu bringen, feiert Urbino gerade heuer, also im Jahr 2022, 600 Jahre der Herzogstumentstehung. Laut örtlichen Chronisten wurden die Montefeltros nämlich von den Päpsten (es müsste dann der in der Konstanz gewählte Martin V. gewesen sein) in den Herzogstand bereits im Jahr 1422 erhoben. Unbefangene Historiker schreiben diese Tat Eugen IV. zu, der im Jahr 1431 Papst wurde und einige behaupten sogar, dass Federico de Montefeltro vom Papst Sixtus IV. zum Herzog erhoben wurde, der allerdings sein Amt im Jahr 1471 antrat.
Grundsätzlich ist es egal, wichtig ist, dass der „Palazzo ducale“ ein wirklich würdiger Sitz eines Fürsten ist.
Alles in der Stadt dreht sich um den bedeutendsten Sohn der Stadt Federico (Also nicht ganz alles, aber darüber später, die Stadt hat noch weitere weltbekannte Personen im Talon). Federico war ein Condottiere, also ein Heerführer, allerdings kein gewöhnlicher. Er hatte den Ruf eines Unbesiegbaren und deshalb wollten ihn immer alle Fürsten, Stadtrepubliken oder sogar Päpste anwerben, wenn sie wieder einmal irgendwo einen Krieg angezettelt haben. Es war praktisch. Als der Feind erfuhr, dass die Truppen des Gegners von Federico kommandiert wurden, gab er meistens sofort auf und kapitulierte. Damit sanken wesentlich die Kriegsführungskosten und Federico durfte unverschämte Honorare für seine Dienste verlangen. Aus diesem Geld hat er dann seinen Palast bauen lassen, aber nicht nur das. Federico war ein leidenschaftlicher Leser (vielleicht gerade deshalb gewann er überall. Stellen Sie sich vor: ein General, der lesen konnte, das ist sogar heutzutage eine Seltenheit) und Büchersammler. Die Buchdruckerei feierte gerade ihre Geburtsstunde, Federico sammelte also Manuskripte, die er kopieren ließ. In diese seine Leidenschaft investierte er eine unvorstellbare Geldsumme von 30 000 Dukaten. Um seiner Bibliothek ein entsprechendes Niveau zu verleihen, engagierte er für ein nicht gerade kleines Honorar Ottavio Ubaldini, einen der größten Gelehrten der damaligen Zeit, um Bücher für seine Sammlung auszuwählen. Zum Schluss gab es in seiner Bibliothek 900 Schriften. 600 in Latein oder auf Italienisch, 168 auf Griechisch, 86 auf Hebräisch und zwei auf Arabisch.
Nicht umsonst schrieb gerade an seinem Hof Baldesar Castiglione sein Buch „I libro del Cortegiano“ also „Das Buch über einen Hofmann“, das ein ideales Bild eines Herrschers beschreibt, der Federico verdächtig ähnlich ist.
Der einzige Condottiere, der Federico wirklich ärgerte, war Sigismondo Malatesta von Rimini. Der hatte nicht vor, sich zu ergeben und behauptete sogar, er wäre ein besserer Heerführer als Federico. So eine Frechheit! Der mit Federico befreundete Papst bildete eine große Koalition, die Sigismondo letztendlich im Jahr 1463 bei Cesena besiegte. Natürlich unter dem Kommando des Herrschers von Urbino.
Der Herzogpalast in Urbino ist einfach atemberaubend. Schon das Treppenhaus aus Marmor, breit und mit niedrigen Stufen, damit auch ein Pferd diese Treppen besteigen konnte, wirkt imposant. Federico ließ sich in einer Nische im Treppenhaus wie ein römischer Imperator darstellen. Der Palast umgibt einen viereckigen Hof mit wunderschönen Renaissancebögen und hat repräsentative Räume für den Herzog sowie auch für die Herzogin. Federicos Gattin Battista Sforza, eine Nichte des Gründers des Ruhmes der Sforzafamilie Francesco, bewohnte einen eigenen Palastflügel – bereits damals waren getrennte Schlafräume in der Mode. Gleich am Anfang des Palastbesuches gibt es den Hochzeitssaal, wo diese zwei in den Ehebund traten. Die Tatsache, dass der Condottiere Sforza, der sich bis zum Herzogshut in Mailand durchkämpfen konnte, seine Nichte mit Federico verheiratete, war eigentlich eine Anerkennung der Fähigkeiten seines Kollegen. Über den dritten von den damaligen Condottieri, Sigismondo Malatesta, habe ich bereits genug geschrieben, den vierten – Jacopo Piccinino – ließ der psychopatische neapolitanische König Ferrante töten und dann für seine Leichensammlung ausstopfen.
Die persönlichen Räume des Herzogs Federico, vor allem sein Arbeitszimmer „studiolo“, befinden sich hinter der unglaublich schönen westlichen Fassade des Palastes. Alle Türe haben Marmorrahmen mit Intarsien, die Wände sind mit Gobelins und Bilder geschmückt. Es gibt gleich zwei riesige Säle, der erste ist der Krönungssaal, der zweite bekam den Namen „Nachtwachesaal“, weil hier regelmäßig lange in die Nacht großartige Feste gefeiert wurden. Es gab genug Geld und genug Gründe zu feiern.
Federico finanzierte an seinem Hof berühmte Künstler. Unter ihnen war Luca della Robia, der die ursprüngliche Fassade des Doms in Florenz schuf. In Urbino ist er Autor des Portals aus Terrakotta an der Kirche des heiligen Dominik, die gegenüber dem Herzogpalast steht. Am Hof wirkte auch Piero della Francesca, von ihm stammen Portraits von Francesco (aber auch seines Konkurrenten Sigismondo von Rimini). Am Hof Federicos war auch ein bestimmter Giovanni Santi tätig, ein Flüchtling aus dem Städtchen Colbordola, das von den Truppen aus Rimini zerstört wurde. Dieser talentierte Maler (seine Werke findet man heute in Museen in Florenz, London und Rom) arbeitete sich zum Hofmaler empor, er kaufte in der Stadt ein Haus, das sich in der Straße, die den Namen seines Sohnes Raffaello Santi trägt, befindet. Das ist nämlich der zweite der gebürtigen Urbinesen, den man nicht außer Acht lassen kann.
Raffaello wurde im Jahr 1483 in Urbino geboren und lebte hier die ersten sechzehn Jahre seines Lebens. Dieser außergewöhnliche Maler und Architekt ist in Urbino nur durch zwei seine Werke vertreten – erstes ist die so genannte „Stumme“, ein Portrait einer adeligen Dame. Dieses Bild befindet sich in „Palazzo ducale“. In Raffaelos Geburtshaus ist dann ein Fresco „Madonna mit dem Kind“. Manche Forscher vermuten den Vater Raffaellos Giovanni als Autor, andere behaupten, dies wäre die erste Arbeit Raffaellos, die er noch unter Aufsicht seines Vaters schuf.
Sein Geburtshaus ist gefüllt mit Kopien seiner Werke, die werden aber nicht so hochgeschätzt. Giovanni starb im Jahr 1494, als Raffaello elf Jahre alt war (seine Mutter starb sogar schon früher). Raffaello verließ also im Jahr 1500 Urbino. Er ging nach Perugia, wo er eine Ausbildung bei Meister Pietro Vanucci, genannt Perugino, genoss. Er kam nie mehr nach Urbino zurück, er starb jung im Jahr 1520 in Rom. Sein Geburtshaus ist ziemlich geräumig mit einem kleinen Hof und einer Kolonnade. Giovanni Santi musste also relativ wohlhabend gewesen sein. Die Stadt Urbino ist auf ihren Sohn gehörig – möglicherweise sogar ungehörig – stolz, Raffaellos Namen begegnet man hier auf jedem Tritt und Schritt.
Der dritte berühmte Sohn der Stadt war Papst Klement XI., mit eigenem Namen Francesco Albani, geboren in Urbino im Jahr 1649. Er war Papst in den Jahren 1700 – 1721.
Nach ihm heißt das Museo Albani neben dem Dom. Seine Statue befindet sich nicht nur vor dem Dom, sondern auch in der Bramantestraße auf dem Weg vom Tor der heiligen Lucia in Richtung Stadtzentrum. Auch Donato Bramante, der später Rom baute, gehörte zur Künstlerschule von Urbino, er wurde von Luciano Laurano ausgebildet, vom Architekten, der den Herzogspalast in Urbino baute. Bramante verließ Urbino im Jahr 1476 in Richtung Mailand und später ging er dann nach Rom. In Urbino trägt eine der wichtigsten Straßen seinen Namen.
Papst Klemens XI. hatte es in seinem Amt nicht gerade einfach. Bereits im ersten Jahr seines Pontifikats entflammte der Spanische Erbfolgekrieg, in dem er zuerst auf der Seite Ludwigs XIV. von Frankreich stand. Als sich aber der Blatt nach der Schlacht bei Blenheim gewendet hat und die kaiserliche Armee in den Kirchenstaat eingefallen ist, musste auch er die Seiten wechseln. Als aber Kaiser Josef I. im Jahr 1711 starb, mussten die Habsburger wieder in die Defensive und der Papst mit ihnen. Zusätzlich zu diesem Leiden hat ihn der branderburgische Kurfürst Friedrich III. zu Weißglut gebracht, der sich ohne päpstliche Genehmigung im Jahr 1700 zum preußischen König proklamierte. Papst hat zwar seinen Königstitel niemals anerkannt und er nannte den preußischen Herrscher immer nur „Kurfürst von Brandenburg“, das war aber ungefähr alles, was er dagegen tun konnte. Wenn man in Rom eine Spur dieses Pontifex suchen würde, sollte man in die Kirche „Basilica Santa Maria degli Angeli“ gehen. Es ist ein geniales Werk von Michelangelo, der diese Kirche aus einer alten römischen Therme schuf. Auf dem Boden in der Kirche befindet sich der Meridian, den hier gerade Papst Klemens XI. platzieren ließ, als er den gregorianischen Kalender von einer Gruppe Wissenschaftler überprüfen ließ.
Der Dom von Urbino ist von außen großartig, er ist ein riesiges Renaissancegebäude, auf dem, wie es in Italien schon Brauch ist – eine klassistische Fassade geklebt wurde. Es ging nicht anders, der Dom wurde von einem Erbeben im Jahr 1789 schwer beschädigt und bis zum Jahr 1801 praktisch neu aufgebaut. Der Eindruck ist nicht schlecht, der Klassizismus und die Renaissance harmonieren gut miteinander.
Das Innere der Kirche ist einfach, ebenso klassizistisch, mit Bildern von Barockmeister Federico Barocci – eine Menge seiner Bilder ist auch im Herzogspalast aufgestellt.
Wenn man die Stadt Urbino von oben sehen möchte – was sich wirklich auszahlt – ist es notwendig zur Festung „Fortezza Albornoz“ oberhalb des „Parco della Resistenza“, das nach den Opfern des Widerstandes gegen Nazismus in der Zeit des zweiten Weltkrieges benannt ist, aufzusteigen
Federico de Montefeltro hatte lediglich einen Sohn Guidobaldo, der starb im Jahr 1508 kinderlos. Er wurde aus der Stadt von Cesare Borgia vertrieben und nach seinem Tod übernahm die Familie della Rovere die Regierung in der Stadt (aus dieser Familie stammte Papst Julius II., der Papst in den Jahren 1503 – 1513 war und nicht vergaß, seine eigene Familie mit Herzogtum von Urbino reichlich zu beschenken. Nur für drei Jahre 1516 – 1519 wurde Lorenzo Medici Herzog von Urbino. Dank dieser Tatsache konnte seine Tochter Katharina den Titel Prinzessin von Urbino tragen, obwohl sie diese Stadt nie gesehen hat. Sie wurde im Jahr 1519 in Florenz geboren und ihre Eltern starben 15 und 21 Tage nach ihrer Geburt. Ihr Titel spielte aber eine wesentliche Rolle, als sich ihr Onkel Papst Klemens VII., mit eigenem Namen Giulio di Medici, erfolgreich bemühte, seine Nichte mit dem zweitgeborenen Sohn des französischen Königs Franz I. Heinrich zu verheiraten. Als Tochter eines reichen Kaufmanns Medici hätte sie keine Chancen und die Medici durften in Florenz, das auf seiner republikanischen Tradition beharrte, keine Titel tragen, obwohl sie in der Stadt viele Jahre inoffiziell herrschten. Dank ihres Titels Prinzessin von Urbino wurde Katharina später französische Königin und organisierte eines der furchtbarsten Gemetzel der Menschengeschichte – die Bartholomäusnacht in Paris im Jahr 1572.
Die Familie De la Rovere übernahm im Jahr 1519 wieder die Macht in Urbino und im Herzogspalast ließ sie sich private Apartments im zweiten Stockwerk einrichten. Man kann sie besuchen, sie dienen als eine Pinakothek. Nach dem Aussterben der Familie De la Rovere im Jahr 1631 schloss Papst Urban VIII. Urbino an den Kirchenstaat an und die Stadt verlor ihre Bedeutung. Aus dieser Zeit stammt der ägyptische Obelisk, der im Jahr 1737 vor dem „Palazzo ducale“ aufgerichtet wurde.
Natürlich zum Schluss eine immer wichtige Frage: Was sollte man in Urbino essen? In Rimini werden überall als ein Schnellimbiss „Piadine“, also Fladenbrot aus Mehl, Eier, Salz und Wasser angeboten. In Urbino heißt ein ähnliches Gericht „Cresce“, bzw. „Cresce sfogliate“. Neben Mehl, Eier, Schweinschmalz und Milch erhalten sie nur mehr Salz und Pfeffer. Ihr Ursprung muss man wieder einmal in der Zeit der Herrschaft Federicos de Montefeltro suchen. Federico mochte als ein Soldat einfache Gerichte. Als er aber seine Gäste bewirten sollte, wollte er ihnen doch etwas Besseres servieren, und so wurde in dem traditionellen Fladenbrot auch Milch, aber vor allem in dieser Zeit der rare und geschätzte Pfeffer beigemischt. In so einen Fladen kann man alles einwickeln, die einfachste Füllung ist „Prosciuto crudo“, Käse oder Rucola. Und ein Schnellimbiss für Tausende hungrige Studenten ist fertig. Deshalb gibt es in Urbino „Cresceriae“ an jeder Ecke.
Danke lieber Antonin für deine ausführliche Stadtführung ! Ich genieße deine Berichte sehr . Liebe Grüße Eva
Danke, Eva. Liebe Grüße.