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Sizilien Teil II.

Auf Sizilien lebt man auf der Straße. Kein Wunder, die Wohnungen der Sizilianer sind eher klein und für Empfänge größerer Menschenmengen nicht geeignet. Für Treffen und Sozialleben dient die Straße. Sie tut es in zwei Phasen. Am Tag werden vor die Türen der Häuser Pensionisten geholt. Sie sitzen hier den ganzen Tag auf Stühlen oder in Sesseln und beobachten schweigend die Welt. Nach Sonnenuntergang werden sie von der Straße gebracht. Sie verschwinden in den Häusern und auf die Straße kommt die Jugend. Die ist viel lauter, es ist nichts Außergewöhnliches, kleine spielende Kinder noch nach Mitternacht hier zu treffen

So war das im Süden übrigens immer. Schon die alten Griechen lebten auf der Straße, in der Öffentlichkeit, zu Hause blieben nur die Frauen. Frauen wurde damals das Leben in der Öffentlichkeit – im Unterschied zu heute – untersagt. Trotzdem hatte Sizilien bereits in antiken Zeiten auf der politischen Karte des Mittelmeerraumes eine bedeutsame Stellung.          

Sizilien war in der Antik ein wichtiger Verkehrsknoten und ein begehrtes reiches Land. Griechische Kolonien in Syrakus, Segesta, Selinunt oder Agrigent waren damals schon reiche Städte. Die Griechen mussten allerdings um die Vorherschaft über die Insel mit den Karthaginern kämpfen, eine Vorentscheidung in diesem Kampf brachte die Schlacht bei Himera im Jahr 480 v. Christi, wobei auch der karthaginische Heerführer Hamilkar sein Leben verlor. Karthago gab aber trotzdem keine Ruhe, es nutzte die Kämpfe zwischen der griechischen Städten und im Jahr 409 kam die Rache, die Stadt Himera wurde vernichtet und nie wieder aufgebaut.

               Wir besuchten die antiken historischen Orte – Segesta und Selinunt – im Süden gibt es dann noch Agrigent und im Innenland Enna – die würde ich aber im August lieber nicht besuchen, die sommerliche Hitze ist nur am Meer erträglich. Wir waren hier zwar schon anfangs Juli, aber über die Insel bis ins Mitteleuropa ist gerade eine Hitzewelle gerollt, nach Besuch einer historischen Gedenkstätte war das Baden ein Muss. Segesta des Stammes der Elymen suchte jahrzehntelang einen Weg, den griechischen gehassten Konkurrenten Selinunt zu vernichten. Um die Allianz mit Athen schließen zu können, begann es einen gigantischen Tempel der Göttin  Athena im monumentalen dorischen Stil zu bauen.

Als dann aber die Athener im Jahr 413 v.Ch. ihren Kampf gegen Syrakus verloren haben und ihre ganze Flotte vernichtet wurde, gab es keinen Grund mehr, den Tempel fertig zu bauen, daher blieb er bis heute eine Art eines Potemkinsdorfes. (Wahrscheinlich das älteste  auf der Welt – zweitausend Jahre vor Potemkin.) Segesta verbündete sich mit Karthago und die Karthaginer machten Selinunt dem Boden gleich. Als dann aber während des ersten punischen Krieges auf die Insel Römer einmarschierten, erinnerten sich die Bürger von Segesta, dass sie laut einer Legende eigentlich mit den Römern verwandt sind und wechselten die Seiten. Als Belohnung mussten sie dann, als die Insel wirklich von Römer eingenommen wurde, keine Steuer zahlen. Der Opportunismus zahlte sich schon damals aus und wenn man sich sein Benehmen richtig begründen kann…

               Diese Verwandtschaft mit den Römern entstand, als Flüchtlinge aus Troja im heutigen Castellmare del Guolfo anlegten. Die Frauen aus Troja hatten von der Reise schon genug (möglicherweise waren sie seekrank wie meine Gattin) und sie beschlossen, dass ihre Männer mit weiteren Abenteuern Schluss machen sollten. Sie zündeten im Golf die vor Anker liegenden Schiffe an, nur Aeneas mit seiner Familie gelang die Flucht auf seinem Schiff, mit dem er dann in die Mündung vom Tiber fuhr und danach die Stadt Alba Longa gründete. Er wurde dort König, seine Nachkommen waren dann Jahrhunderte später Romulus und Remus, die Rom gegründet haben. Der Rest der Trojaner, die ihre Schiffe auf diese Art verloren haben, gründete dann die Stadt Segesta. Ob diese Legende wahr ist, oder aus praktischen Gründen frei erfunden wurde, werden wir nicht mehr erfahren, die Bürger von Segesta waren, wie schon gesagt, sehr erfinderisch, wenn es um ihren Profit ging.  

Heute erinnern an die ehemalige Existenz dieser Stadt der unvollendete Tempel und ein atemberaubendes Theater mit dem Blick auf die Landschaft bis zum Meer bei Castellmare de Guolfo, wo einmal die trojanischen Schiffe brannten. Vom Tempel zur Akropolis mit dem Theater, ist es zu Fuß eine halbe Stunde, wenn man in der Zeit hinkommt, wenn die Sonne bereits zu brennen beginnt, zahlt sich aus, ein Ticket für Bus um 3 Euro zu kaufen, der euch dann hinbringt.

               Übrigens nicht weit von Segesta gibt es das Ort Calatafimi. Eigentlich nichts, was man unbedingt sehen müsste, allerdings ist dieses Dorf mit dem Nationalheld Giuseppe Garibaldi verbunden. Nach der Landung mit seinen „Tausend Rothemden“ auf Sizilien traf er gerade hier das erste Mal an das zahlen-  und rüstungsmäßig weit überlegene Heer des sizilianischen Königsreiches und zum Erstaunen allen überlebte er und siegte sogar. Der Weg nach Palermo war frei und damit auch zur Eroberung des italienischen Südens – mit dem die italienische Regierung bis heute nicht weiß, was sie tun soll.

               In Selinunt hatte ich Glück, dass ich mich bei der Anfahrt verirrt habe – die sizilianische Straßenbezeichnung ist offensichtlich nur für Einheimische gemeint und die kennen sich ohnehin aus. Dank des Irrtums wusste ich, dass man vom Tempelbezirk, wo die Eintrittskarten verkauft werden, zu Akropolis mit dem Auto fahren kann.

Deshalb konnten wir mit gutem Gewissen das Angebot, uns um 12 Euro !!! mit einem Kleinbus hinzubringen, ignorieren. Sollte diese Besucherberaubung noch ein Rest der Tradition vom antiken Selinunt sein, begann ich zu verstehen, warum die Bürger von Segesta diese Stadt so hassten und sie gewannen sogar dafür meine Sympathien.           

               Im Sommer zahlt es sich auf Sizilien aus, bereits in der Früh bei den Sehenswürdigkeiten zu sein. Die Strände sind meistens nicht weit entfernt, wie dieser in Selinunt.

Die Sehenswürdigkeiten öffnen ihre Tore um neun Uhr und wir waren regelmäßig unter den ersten Besuchern. (Niemals aber die Allerersten, überall wurden wir von mindestens einem Auto mit tschechischem Kennzeichen überholt, die Tschechen leiden offensichtlich so tief in Süden auf Schlaflosigkeit.) Gegen Mittag, wenn die Sonne das Land heiß machte, konnten wir uns bereits im Meer abkühlen. Der schönste Strand Siziliens ist am Capo di Vito im Nordwesten der Insel,

gut vereinbar mit einem Besuch des Städtchens Erice auf einem kegelförmigen Berg mit einer Festung auf der Spitze und unglaublich schönen Ausblicken.

               Die Preise auf Sizilien waren erschwinglich (mit Ausnahme Cefalú, Taormina oder Erice  – also in den berühmten touristischen Destinationen, die sich bereits der Kaufkraft der Besucher angepasst haben – die Sizilianer, wie ich schon erwähnte, haben eher Zeit als Geld. Außer diese Zentren kann man also ziemlich günstig essen – natürlich, wenn man Melanzani mag, das ist nämlich wahrscheinlich ein untrennbares Teil jeder sizilianischen Mahlzeit.   

               Sogar die Naturliebhaber kommen auf ihre Kosten. Nicht nur auf dem Ätna, wohin man mit dem Auto fahren kann, um dann vom Massentourismus abgefangen und zur heißen Lava gebracht zu werden. Allerdings ist das Bild der strömenden roten Lava auf den Hängen des Berges in der Nacht, wenn man von Catania in Richtung Messina fährt, sehr eindrucksvoll. Der Vulkan hat übrigens sogar mehrmals in der Geschichte die Stadt Catania bedroht, am meistens im Jahr 1669. Dass das „Castelo Ursino“ damals direkt am Meer stand, ist heute kaum zu glauben, die Burg wurde von Lava umströmt und liegt jetzt weit vom Meer entfernt. Die Stadt Catania ist aber nicht besonders schön und damit nicht wirklich besuchswert, ich würde sie also aus meiner Erzählung über Sizilien ausklammern.

Im Westen der Insel gibt es in der Nähe des Städtchens Scopello (na ja, Städtchen, eher ein größeres Dorf, aber was, seien wir ehrlich, ein Dörfchen, also ein Loch) gibt es der Naturpark Zingaro. Einer der Wege führt am Meer vorbei, ist 7 Kilometer lang und unterwegs gibt es zahlreiche Museen zu unterschiedlichen Themen und kleine Strände mit kristallklarem Wasser und wunderschönen färbigen Fischen, die zwischen den Beinen der Besucher schwimmen.

Wir schafften 5 Kilometer hinzulegen, dann kam Mittag und mit ihm Temperaturen um 40 Grad Celsius. Dort fanden wir einen größeren Strand und entschieden wir uns zu warten, bis es abkühlt. Die Entscheidung war eindeutig falsch. Es kühlte nämlich nicht ab. Wir warteten und die Temperaturen stiegen an. Um drei nachmittags war heißer als um zwei, um vier heißer als um drei. Es wurde uns klar – wenn wir unseren Parkplatz erreichen möchten noch bevor der Park seine Tore schloss, mussten wir los. Meine Frau hatte mit dem Überleben auf dem Rückmarsch in der Nachmittagshitze nicht gerade kleine Probleme. Es half nicht einmal die Taktik „Schnell laufen, damit die Hitze früher hinter uns ist.“. Kalte Umschläge und Wasser konnten das tragische Ende nur verschieben, nicht aber verhindern. Gott sei Dank, gibt es auf dem Weg eine Quelle, wo wir unsere rasch schrumpfenden Wasservorräte wieder auffüllen konnten. Vor einem sicheren Tod hat uns ein kaltes Bier „Birra Moretti“ in einer Bar direkt hinter dem Ausgang aus dem Nationalpark gerettet. Also, wenn Sie den Park besuchen möchten, dann gehen sie früh morgens hin, lassen Sie sich durch die wunderschönen kleinen Strände mit den Fischen wie aus einem Aquarium unterwegs nicht verführen, sondern laufen Sie so schnell wie möglich um das andere Ende des Nationalparks noch zu verträglichen Temperaturen zu erreichen. Ins Wasser können Sie dann jederzeit am Rückweg eintauchen – wenn Sie dazu noch Kraft und Lust haben – man muss doch zu den Stränden vom Weg abbiegen und zum  Meer absteigen. Was eigentlich nicht das Schlimmste ist, aber man muss dann wieder zurück auf den Weg hinauf.

Sie können es glauben oder nicht, aber wir haben wirklich eine tschechische Gruppe getroffen, die irgendwann vor sieben Uhr auf den Weg aufbrach, um über die Berggipfel mit einer Höhe von 915 Meter zu gehen. (Man startet auf Seehöhe, also die Höhe des Berges ist zugleich der Höheunterschied) und gingen auf dem Weg am Meer zurück. Sie schauten erstaunlicherweise so aus, dass sie es überleben konnten.        

Ein Jahr nach unserem Besuch gab es im Nationalpark Zingaro einen riesiger Brand, also weiß ich nicht, wie viel von seiner Schönheit übrig geblieben ist.

Also sollte ich in jemandem durch meine Erzählung Lust Sizilien zu besuchen wecken, zögern Sie nicht. Wie ich schon sagte, es ist noch immer Europa, sogar Europäische Union und die Gesetze sind hier grundsätzlich ident mit den unseren. Nur es gibt, um John Travolta aus dem Film „Pulp Fiktion“ zu zitieren „solche kleine Unterschiede“

Übrigens in zwei Wochen geht die Erzählung weiter.

Sizilien I.Teil

               Es ist eigentlich noch Europa, sogar noch die Europäische Union und deshalb gelten hier grundsätzlich die gleichen Gesetze wie bei uns. Nur die Interpretation ist ein bisschen anders. Das kapierte ich spätestens in dem Moment, als mich bei der Durchfahrt durch Palermo plötzlich und gleichzeitig zwei Motorräder überholten, und zwar einer links und der zweite rechts. Nach der Bodenmarkierung konnte man annehmen, dass die Schnellstraße zwei Fahrspuren hätte. Aber wenn sich Palermitaner entscheiden, dass es zu wenig ist, bilden sie spontan eine dritte. Ich würde dringend empfehlen, ihnen das Spiel nicht zu verderben, sie könnten dann nervös oder sogar grantig werden. Übrigens, die Mittellinie gibt es manchmal wirklich, dann aber wieder nicht. Es ist mir ein Rätsel, wie dann der beinahe hundertjährige Opa weiterfuhr, der sich hartnäckig an der Mittellinie als Führungslinie hielt und damit permanent die mittlere Spur bildete. Sonst ist aber das Autofahren auf Sizilien eine relativ ruhige Angelegenheit. Niemand hat es eilig, die Zahl der Autos, besonders in der westlichen Hälfte der Insel, ist eher niedrig und auf den Autobahnen gibt es keine Maut, also man fährt kostenlos. Ausnahme ist die nur die Autobahn A 19 zwischen Catania und Palermo, dort haben wir auf dem Weg nach Cefalu 1,80 Euro bezahlt. Die Sizilianer sind ähnlich rücksichtsvoll wie die Italiener auf dem Festland, oder eher vorsichtig. Weil sie selbst sehr „kreativ“ fahren, erwarten sie, dass die anderen Teilnehmer im Straßenverkehr genau so „deppert“ wie sie selbst sind und passen also auf. Wenn ein Auto eine Delle oder einen Kratzer hat – und das kommt häufig vor – ist es eher ein Parkschaden. Als ich am ersten Tag sah, was auf dem Parkplatz beim Strand in Trapetto vor sich gegangen ist, entschied ich mich, lieber zu Fuß hinzugehen Es war mir klar, dass ich als ein Mitteleuropäer diesen Parkplatz ohne Dauerschaden am Auto und an der Seele niemals verlassen könnte. Sizilianer schaffen das zwar, allerdings für den Preis von Blechschäden am eigenen sowie auch an vielen anderen Autos. Die Polizei versuchte es, in das Chaos Ordnung zu bringen und verteilte fleißig Strafzettel, die die Autobesitzer wieder vor der Abfahrt demonstrativ wegwarfen.

               Als ich dann nach zwei Wochen meinen Fiat Bravo am Flughafen in Palermo zurückgab (nach der Meinung unserer Apartmentvermieterin handelte sich für das Fahren auf Sizilien um ein unsinnig großes Auto), kroch die Vertreterin der Autovermietungsagentur beinahe unter das Fahrzeug, um dann mit ungläubigem Gesicht festzustellen, dass es keinen Schaden am Auto gab. Sie hielt mich in diesem Moment offensichtlich für einen Außerirdischen.

               Das Reisen auf Sizilien hat trotzdem einen bestimmten Zauber. Es ist nicht besonders einfach, das Ziel zu finden, das man erreichen möchte, und Grundkenntnisse der italienischen Sprache sind dabei nicht wirklich hilfreich. Wir suchten unsere Unterkunft in Trapetto und natürlich fanden wir sie nicht. Ich rief die Haushälterin an und diese Dame erklärte mir, dass unser Apartment im Stadtzentrum sei, nahe der alten Kirche. Ich fand es wieder nicht und  kam in den Hafen. Dort saßen einige von der Sonne gebräunten Sizilianer. Ich fragte, wo ich „Chieza vecchia“ finden kann. Sie schüttelten ihre Köpfe, sie haben von dieser Kirche offensichtlich noch nie gehört. Ich versuchte deutlich und langsam zu artikulieren „kieza vekchia“. Sie zuckten die Schulter, dann aber strahlte einer und sagte „á czeca vecza“ und zeigte mir die Richtung. Ich verstand, dass es nicht einfach sein würde. Und es war wirklich nicht. 

               Nach Palermo fuhren wir aber mit dem Bus, Es zahlte sich aus, ich konnte mir wirklich nicht vorstellen, was ich dort mit meinem Auto im Stadtzentrum tun sollte. Natürlich mussten wir auf den Bus beinahe vierzig Minuten warten, wegen so einer Verspätung regte sich aber keiner auf, es gehört zum Lebensstil der Inselbewohner. Die Afrikaner kommentierten einmal den amerikanischen Spruch „time is money“ mit den Worten, dass die Amerikaner Geld haben mögen, sie wieder, also die Schwarzafrikaner, haben dafür Zeit. Die Sizilianer verhalten sich sehr ähnlich. Das Geld haben sie nicht (Nach der Rückkehr vom Urlaub erfuhr ich, dass sich das Land im Bankrott befand und der damalige Ministerpräsident einen Rücktritt des Gouverneurs erwartete), dafür aber genug Zeit. Sogar der Ministerpräsident Monti musste sich mit dem Rücktritt des Gouverneurs gedulden. Ein Kellner in der Bar in Trapetto, der 24 Jahre auf dem Flughafen in Düsseldorf gearbeitet hatte, um jetzt vor zwei Jahren nach Sizilien zurückzukehren, weil ihm das hektische Leben in Deutschland viel zu viel Stress bereitete, erzählte uns, wie schwierig es für ihn nach der Rückkehr war, sich daran zu gewöhnen, dass man bei jedem Treffen und bei jedem Termin eine halbe bis eine ganze Stunde warten musste. Als er fragte, warum man sich nicht zu vereinbarter Zeit treffen konnte, bekam er eine Antwort: „Du musst dich anpassen“. Er passte sich also an.

               Sizilianer haben keine Probleme. Wenn sie Probleme haben, dann wissen sie nichts davon oder wollen es nicht wissen. In erster Linie betrifft das die Entsorgung von Abfällen. Jeden Morgen lassen sie von den Balkonen Sackerl mit Abfällen an einem Spagat nieder und ein Dreiräder, der durch die Gassen fährt, sammelt sie ein. Ich kannte mich in dem System der Mülltrennung nicht ganz aus, also fragte ich unsere Vermieterin. Sie dachte kurz nach und dann sagte sie „Ihr habt aber doch ein Auto.“              

Ich gab es zu und sie erklärte uns: „Dann könnten Sie alles zusammenpacken und wenn Sie die Stadt verlassen, können sie es in einen Container werfen, der am Straßenrand steht.“ Das Problem haben wir ziemlich schnell kapiert. Die Container stehen wirklich dort, sie haben aber eher nur einen hinweisenden oder eher einen symbolischen Wert. Alle sind nämlich hoffnungslos überfüllt und um sie herum hunderte Meter entlang der Straßen türmen sich Säcke mit Abfällen aller Art – wochen-, möglicherweise monatelang bis ein Bagger kommt, der einzig fähig ist, sie wegzuräumen.        

        Palermo ist natürlich besuchswert, aber darüber werde ich andermal schreiben. Aber Palermo ist bei weitem nicht allein. Bereits auf einem Berg im Innenland oberhalb der Stadt steht Monreale. Die Kirche hier ließ Wilhelm II., genannt aus mir unbekannten Gründen „der Gute“, bauen, hundert Jahre nachdem das sein Großvater Roger II. in Palermo tat. Damit hatte Wilhelm bereits ein Vorbild, das unbedingt zu übertrumpfen galt. Dazu wollte dieser, mit seinem aufwändigen Lebensstil bekannter König, den Erzbischof von Palermo in Weißglut bringen. Also gab es genug Motivation, damit das Werk gelang.

Was nämlich an sizilianischen Werken aus der Zeit der Normannischen Könige auffällig ist, ist die Tatsache, dass sie ein Produkt einer unglaublichen gesellschaftlichen und religiösen Toleranz sind. Nicht umsonst sind Sizilianer gerade auf diese Zeit der normannischen Herrschaft stolz und man stolpert über die Spuren dieser Epoche auf jedem Schritt und Tritt. Nicht nur, dass in dieser Zeit Sizilien wirklich ein unabhängiges Königsreich mit der Hauptstadt in Palermo war, aber dank der toleranten Politik ihrer Herrscher wurde es damals zum reichsten Land der damaligen Welt. Um das Rezept dieses Erfolges zu verstehen, müssen wir ein bisschen tiefer in die Geschichte der Insel eintauchen.          

               Sizilien war die Kornkammer des alten Roms. Schon damals gab es hier eine blühende Landwirtschaft und der Sklavenmarkt in Enna war einer der größten im Reich. (Die Sklaven machten mehrmals Aufstände und zweimal im zweiten Jahrhundert vor Christus gelang es ihnen, hier eine unabhängige Republik zu gründen, bis diese von den römischen Legionen niedergeschlagen wurde). Nach dem Fall des Römischen Reiches beherrschten die Insel für ein paar Jahrzehnte die Goten und dann eroberte der berühmte byzantinische Heerführer Belisarius die Insel für seinen Kaiser Justinian. Danach war Sizilien griechisch und Kaiser Konstantin II. versuchte sogar, die Hauptstadt des Byzantinischen Reiches von Konstantinopel nach Syrakus zu verlegen. Es hatte eine bestimmte Logik, weil Sizilien damals gerade in der Mitte des Reiches lag, aber wie es schon mit den logischen Dingen einmal so ist, die Idee wurde nicht umgesetzt. Sizilien wurde zur Peripherie des Reiches und konnte der Invasion der Araber im neunten Jahrhundert nicht statthalten. Die Araber beherrschten die Insel, ließen aber die einheimischen Griechen in Ruhe weiterleben. Sie verlagerten die Hauptstadt von Syrakus nach Palermo, weil der Kontakt nach Osten für sie nicht mehr so wichtig war, wie für ihre Vorgänger und bauten auf der Insel Bewässerungsanlagen. Die Araber kamen aus Tunesien, wo es nur sehr wenig regnete und Bewässerungssysteme für die Landwirtschaft unentbehrlich waren. Weil es auf Sizilien doch viel mehr Regen gab, verwandelten sie die Insel dank ihrer Bewässerungstechnik in ein wahres Paradies. In so ein, dass örtliche Herrscher unter sich zu streiten begonnen haben. Wie man sagt: „Wenn es dem Esel zu wohl wird, geht er aufs Eis tanzen“. Im Jahr 1061 rief der Herrscher von Messina normannische Ritter unter der Führung zwei Brüder Roger und Robert Guiscard von Hauteville zur Hilfe gegen seinen Gegner in Syracus. Diese ehemaligen Wikinger eroberten in einem Handstreich Messina und begannen Stück für Stück die Insel einzunehmen. Sie bekamen zu diesem gottgefälligen Unternehmen den Segen vom Papst höchstpersönlich und dann, als die letzten arabischen Widerstandnesten im Südosten der Insel kapitulierten, wurde Roger zum Graf von Sizilien. Sein gleichnamiger Enkelsohn erreichte dann die Königswürde. Er nutzte ein Schisma in Rom, ließ sich vom Gegenpapst zum König krönen, womit er den wahren Papst wütend machte. Als ihm der Papst den Krieg erklärte, nahm er den Pontifex fest und als Gegenleistung für seine Freilassung ließ er sich die Königskrone auch von ihm bestätigen. Was an den Normanen faszinierend war,-  obwohl sie auf der Insel im Auftrag des Papstes waren, mit der Aufgabe, alles was nur geht, zu christianisieren und das übrige auszurotten – sie ließen alles beim Alten. Die Araber durften weiter in Ruhe ihre Bewässerungsanlagen ausbauen, die Griechen wieder ihre Kirchen mit ihren Mosaiken schmücken, niemand wurde zu etwas gezwungen und alle waren mit dem gegebenen Zustand zufrieden. Die Kirchen aus dieser Zeit sind die Frucht dieser Politik der Toleranz. In Palermo, Monreale oder Cefalu, um nur die drei berühmtesten zu nennen. Der Kreuzgang in Monreale  ist 47×47 Meter groß und jede der hundert Säulen ist anders, keine zwei haben ein gleiches Kapitell.

König Wilhelm hatte übrigens kein Problem damit, mit dem Bau der monumentalen katholischen Kirche einen arabischen Architekten zu beauftragen  und dieser hatte wieder – obwohl ein Moslem – kein Problem, eine katholische Kirche zu bauen und nicht einmal damit, die Kapitell der Säulen mit im Koran verbotenen Motiven zu schmücken. Für einen guten Lohn hat er eine gute Arbeit geleistet. Wir könnten auch noch heute davon lernen.

               Nach Normannen kamen die Staufer, die auch alles beim Alten belassen haben (nur die unruhigen Araber siedelte Kaiser Friedrich II. nach Lucera in Apulien um), im Jahr 1266 – wieder im Auftrag des Papstes – kamen die Franzosen und das hundertjährige Werk der Toleranz war dahin. Die Franzosen verärgerten zwar durch ihr Verhalten die Sizilianer soweit, dass sie  bei der Sizilianischen Vesper im Jahr 1282 alle ermordet worden sind, aber ein zerschlagenes Porzellan kann man nicht mehr zusammenkleben – die Zeit des sizilianischen Wohlstandes war definitiv dahin und sollte nie mehr zurückkehren.

               Soviel zur Einführung des Besuches Siziliens. Nächste Woche geht’s los.

Brixen

               Es ist irgendwie immer besser Maut einzuheben als zu arbeiten. Die Stadt Brixen bot sich  schon durch ihre Lage südlich des Brennerpasses, der bereits in den Zeiten des Römischen Reiches der Hauptübergang von Deutschland nach Italien war, für solche Tätigkeit optimal an. Das sicherte ihr einen Wohlstand (ähnlich wie dem nördlich liegenden Innsbruck, das die einzige Brücke über den Fluss Inn kontrollierte oder Verona in Süden, wo sich diese Brennerstrasse nach Italien öffnete). Das die Stadt Brixen (italienisch Bressanone) reich war, merkt man auf Schritt und Tritt. Ebenso merkt man, dass hier der Bischof ein unabhängiger Herr auf seinem Gebiet war und zugleich er auch den Titel eines souveränen Reichsfürsten besaß.

               In einer verhältnismäßig kleinen Stadt mit etwas mehr als zwanzigtausend Einwohnern ragt eine ganze Reihe Kirchentürme in  den Himmel empor, die über die Vergangenheit der Stadt keinen Zweifel aufkommen lassen. Übrigens auch im Wappen der Stadt ist das Lamm Gottes mit einer Fahne mit rotem Kreuz abgebildet – sollte doch noch jemand Zweifel haben.

               Offiziell wurde die Stadt im Jahr 901 gegründet, worauf die „Jahrtausendsäule“ auf einem kleinen Platz vor dem Bischofspalast, die zur Feier des Tausendjahrenbestehens der Stadt im Jahr 1901 aufgestellt wurde, erinnert.

Im Jahr 990 übertrug Bischof Albuin (der später heilig gesprochen wurde) den Bischofsitz von Stift Säben (dieses monumentales Kloster kann man in Klausen bewundern, wenn man von der Autobahn Richtung Bozen in Richtung „Passo di Gardena“, also das „Grödnerjoch“ abbiegt), nach Brixen und diese Stadt blieb dann Bischofsitz bis zum Jahr 1964, als er nach Bozen verlegt wurde.

               Die Bischöfe von Brixen standen in den Kämpfen zwischen Päpsten und Kaisern meistens treu auf der kaiserlichen Seite, einer von ihnen wurde dafür sogar mit der Papstwürde belohnt. Bischof Poppo wurde zum Papst – oder besser gesagt zu einem Gegenpapst unter dem Namen Damassus II. gegen den Skandalpapst Benedikt IX. gewählt. Benedikt IX. wurde zweimal aus Rom vertrieben und zweimal kehrte er zurück. Einmal verkaufte er sogar sein Amt, um nach dem Tod seines Nachfolgers wieder zurückzukehren. Kaiser Heinrich III. hatte von seinen Schurkereien die Schnauze voll und ließ im Jahre 1047 den ihm ergebenen Bischof von Brixen Poppo zum  Papst wählen. Dieser übernahm das päpstliche Amt am 17.Juli 1048, starb aber bereits nach 23 Tagen, ob an Malaria oder an Gift des unverbesserlichen Benedikt IX, ist nicht geklärt. 

               An die Päpste mit einer Beziehung zu Brixen erinnern drei Tafeln mit Wappen in der Vorhalle des Domes, neben Damassus II. ist das Pius VI., der nach Brixen im Jahr 1782 kam, um sich von erfolglosen Verhandlungen mit Kaiser Josef II. in Wien, wo er den Kaiser von seinen Reformen abbringen wollte, zu erholen und letztendlich Benedikt XVI. Josef Ratzinger hatte zu Brixen eine sehr enge Beziehung. Im Jahr 1967 nahm er hier als Vortragender an einem Priesterseminar teil und die Stadt gefiel ihm sosehr, dass er hier in den Jahren 1968 – 1976 regelmäßig im Wirtshaus „Stremitzer Grüner Baum“ seinen Sommerurlaub verbrachte. (Das Hotel findet man am anderen Ufer des Flusses Eisack – oder italienisch Isareo, im Stadtviertel Stufes, wenn man die Brücke in der Altstadt überquert und dann nach links abbiegt. Brixen lieg am Zusammenfluss dieses Flüsschens mit der größeren Rienza). Diese Praxis setzte Josef Ratzinger in den Jahren 1978 – 2004 als Kardinal fort und Brixen vergaß er nicht einmal, als er zum  Papst gewählt wurde und besuchte die Stadt mehrmals in der Zeit seines Pontifikats. Was für Johann Paul II. Val d´Aosta war, war für Benedikt XVI. Brixen. Er besuchte die Stadt sogar nach seiner Abdankung.

               Der Dom von Brixen ist ein monumentaler Bau im Stil des reinsten Barocks.

Es kommt selten vor, dass man ein Gebäude in so einem einheitlichen Stil sehen kann, er wurde in den Jahren 1745 – 1754 gebaut. Es ist eine riesige einschiffige Kathedrale, die mit ihren barocken Merkmalen von innen sowie auch von außen den Besucher blendet, inklusiv zweier hoher Türme und blauer Seitenkapellen, die dem Platz „Piazza del duomo“ zugewandt sind. Im Dom, geschmückt mit Unmengen an Altären, gibt es Grabmäler der Bischöfe von Brixen inklusiv des heiligen Albuins. Das einzige, das ein bisschen stört, ist die Tatsache, dass Eingang und Seitenkapellen blau sind und die Fassade der Kirchentürme gelb, die Farben passen nicht ganz gut zusammen, aber gegen  das Geschmack der Architekten…                 

Durch den italienischen Namen sollte man sich nicht beirren lassen, in Brixen wird fast ausschließlich Deutsch gesprochen, Italienisch spielt hier eine unterordnete Rolle und in den Namen der Straßen und auch in anderen mehrsprachigen Anschriften ist Deutsch fast immer an der ersten Stelle und Italienisch an der zweiten, obwohl Brixen, wie das ganze Südtirol seit 1918 zu Italien gehört. Im Gegenteil zum überwiegend italienischen Meran und gemischten Bozen behielt Brixen seinen deutschen Charakter, obwohl es natürlich auch einen italienischen Namen besitzt, schon erwähnte: Bressanone.      

 Der Dom ist von weiteren kirchlichen Gebäuden flankiert, auf der rechten Seite ist es der romanische Kreuzgang aus dem Jahr 1200, der in Jahren 1390 – 1510 mit wunderschönen Fresken im Stil der Renaissance geschmückt wurde, auf der linken Seite ist das dann die Pfarrkirche des Erzengels Michael im gotischen  Stil – inklusiv eines gotischen Kreuzganges. Das Wahrzeichen der Stadt ist der „Weiße Turm“, der zur Kirche des Erzengels Michael gehört.

Es ist das höchste Gebäude in der Stadt, mit seinen 71 Meter Höhe überragt er alle anderen zahlreichen Türme und er war der Sitz der Feuerwache. Gebaut wurde er um das Jahr 1300, im Jahr 1444 wurde er wie fast die ganze Stadt durch ein Feuer vernichtet. (Die Feuerwache ist wahrscheinlich eingeschlafen). Er wurde neu gebaut und erhielt den Namen „Schwarzer Turm“. Nachdem er eine neue Bedeckung am Ende des sechzehntes Jahrhunderts erhielt, wurde der Name geändert. Später erhielt er ein Kupferdach, das allerdings im ersten Weltkrieg abmontiert wurde, weil das Kupfer zur Kanonenerzeugung benötigt wurde. Er blieb weiß und es steht ihm gut.

               Auf dem großen Platz „Piazza del duomo“ befindet sich auch das Rathaus und der „Lebensbrunnen“, ein modernes Werk des südtiroler Künstlers Martin Rainer und stellt die Entwicklung des menschlichen Lebens in einer Spirale dar, die aus der Hand Gottes ausgeht und wieder in sie zurückkehrt.      

               Die Bischöfe wohnten im Palast Hofburg, den man am Rande der Altstadt findet, umgeben von einem Wassergraben und mehreren Gärten. Die ursprüngliche Burg ließ Bischof Bruno von Kirchberg in den Jahren 1255/1256 bauen. Erwähnungswert ist die Tatsache, dass nach diesem Bischof das fabelhafte Städtchen Bruneck (Brunico) östlich von Brixen heißt, das gerade dieser Bischof gründen ließ, um auch auf dem Wege von Osttirol die Maut kassieren zu können. Das Geld für den neuen Palast war also da. Übrigens nach diesem Herrn heißt auch die Brunogasse (Via Bruno), die zur Hofburg führt. Von der Burg des Bischofs Bruno blieb kaum was erhalten, eigentlich nur die Mauer im Keller. In den Jahren 1595 – 1610 ließen die Bischöfe Andreas von Österreich (der Sohn von Erzherzog Ferdinand von Tirol aus der Skandalehe mit Philippine Welser, geboren auf dem tschechischen Schloss Breznice) und Christoph Andrä von Spaur,  die Hofburg zu einem Schloss im Stil der Renaissance umbauen, das mit Statuen der habsburgischen Dynastie bereichert wurde.

Der Palast war der Sitz der Fürstbischöfe bis zur Säkularisation im Jahr 1803, dann war die Erhaltung des Gebäudes viel zu teuer und der Palast wurde nur teilweise bewohnt. Deshalb schenkte der Bischof Josef Gargitter nach Verlegung des Bischofsitzes nach Bozen das Gebäude der Stadt als Diözesanmuseum und diese Funktion hat es bis heute. Neben den repräsentativen Räumen der ehemaligen reichen Bischöfe, des üblichen Kirchenschatzes und Werken der Kirchenkunst, gibt es hier auch eine schöne Krippenausstellung.

               Ein anderes Museum – Museum der Pharmazie“ findet man am anderen Ende der Altstadt vor der Brücke über den Eisack auf dem Weg ins Viertel Stufens, dort, gleich hinter der Brücke, wird man von wunderschönen Häusern mit Fresken auf den Mauern und schmalen Gassen begrüßt.

               Das Priesterseminar befindet sich am Rand der Altstadt und es ist ein großes Gebäude am  Ufer des Eisacks, zu Recht rühmt es sich mit dem Namen „Seminario maggiore“. Hier lernte der zukünftige Papst Benedikt XVI. Brixen kennen und lieben.     

               Viel unauffälliger ist das „Seminar der englischen Jungfrauen“ Es ist ein kleines Kirchlein im Stil des Klassizismus, im Jahr 2011 wurde es in den Besitz der „Autonomen Provinz Südtirol“ übernommen. Protestanten des augsburgischen Bekenntnisses lesen ihre Messen im Kirchlein „Heiliger Eberhard – wenn man auf dem Zentralparkplatz nahe des Stadtzentrums einparkt, führt der Weg in die Stadt direkt an dieser Kirche vorbei. Das Parken in Brixen in der Nähe der Altstadt ist im Gegensatz zu vielen italienischen Städten absolut unproblematisch und gut gekennzeichnet.

               Schön rekonstruiert ist auch das gotische Gebäude vom „Spital zum Heiligen Geist“ aus Ende des vierzehnten Jahrhunderts bei einem der Stadttore (es wurden gleich mehrere erhalten) auf der Straße „Großer Graben“. Und letztendlich ist auch der Stadtfriedhof an der Romstraße besuchswert. Hier wird seit Ende des achtzehnten Jahrhundert bestattet, vom Eingangstor sieht man eine neugotische Kapelle, Arkaden auf beiden Seiten mit hohen Bergen im Hintergrund, auch ein Friedhof kann unter diesen Umständen romantisch aussehen.       

               In  Brixen wurde der berühmteste Südtiroler aus der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg geboren –  Reinhold Messner. Der erste Mensch, der alle zwölf Achttausender ohne künstlichen Sauerstoff bestiegen hat (und wie ein österreichischer Satiriker schrieb, sogar die ganze Wiener U-Bahn Linie 6  hinter sich gebracht hat und überlebte – ebenso ohne Sauerstoff). Sein Museum haben wir in Brixen nicht gefunden, dafür gibt es aber ein Mountain Museum mit seinem Namen in fünf verschiedenen Orten in Südtirol, eine davon zum Beispiel im Schloss in Bruneck oder auf dem Kronplatz.

Allerdings der Name Brixen muss jedem Tschechen, der in der Schule nur ein bisschen aufgepasst hat, mit dem Namen Karel Havlicek Borovsky  verbunden sein. Sein Werk „Tiroler Elegien“ gehörte zur Pflichtliteratur und wir lernten, wie dieser nationale Held hier im fernen Brixen litt.

Seine Seele litt vielleicht tatsächlich, weil er aus dem politischen Leben ausgeschieden war und die von ihm verlangte Unterschrift, dass er sich nach der Rückkehr nach Tschechien vom politischen Leben fernhalten würde, brach ihn dann wirklich. Auf der anderen Seite handelte sich für den an Tuberkulose leidenden Schriftsteller um einen Heilaufenthalt.

               Karel Havlicek wurde nach seiner Ankunft in Brixen im Hotel Elefant untergebracht und auch später, als er sich ein Haus mit Gartenaltan gemietet hatte, damit auch seine Frau und Tochter kommen durften (die ganze Familie von Karel Havlicek litt an Tuberkulose und seine Gattin verstarb noch bevor er nach Hause zurückkehren durfte), bezog er das Essen aus diesem Hotel. Die Spesen für die Reise nach Brixen in der Höhe von 150 Gulden bezahlte das Polizeidirektorium und Karel Havlicek bezog die ganze Zeit seines Aufenthaltes in der gesunden Bergluft in Brixen in regelmäßigen monatlichen Raten 500 Gulden jährlich. Das war in der Zeit, als ein höherer Beamter ein Jahresgehalt 500 – 700 Gulden, ein Lehrer 130 Gulden und ein Arbeiter um 100 Gulden im Jahr verdiente. So viel also zum kaiserlichen Terror.

               Havlicek blieb in diesem unfreiwilligen Asyl, das zwar seiner Lunge, nicht aber seiner Seele taugte, vier Jahre. Das Hotel Elefant ist auch heute noch eine der besten Adressen in Brixen.

Es steht an der nordöstlichen Ecke der Stadt – direkt gegenüber der Polizeidirektion (ein bisschen Tradition muss doch bleiben). Es ist ein Viersternluxushotel mit einem eigenen großen privaten Garten, wo Hochzeiten und Veranstaltungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden können. Im Inneren ist das ein Luxus mit einem Hauch historischer Patina, die Räume sind mit Holzschnitzereien geschmückt und überall gibt es Fresken mit Darstellung des historischen Elefanten, der dem Hotel seinen Namen gab. Dieser Elefant namens Soliman war ein Geschenk des portugiesischen Königs Johann III. an Erzherzog Maximilian, den späteren Kaiser Maximilian II. Der Erzherzog kehrte im Jahr 1551 von seinem langen Aufenthalt in Spanien zurück, wo er auch mit der spanischen Infantin Maria – der Cousine des portugiesischen Königs – verheiratet wurde. Der Elefant litt auf der langen Reise auf dem Schiff nach Genua und dann über die Alpen und in Brixen war schon fast sterbend. Ein vierzehntage lange Aufenthalt in der Herberge des Wirtes Andrä Posch brachte ihn wieder auf die Beine und so konnte er letztendlich eine Zielstation in Wien erreichen. Dort verendete er allerdings bald an Folgen einer falschen Fütterung.  

               Anders gesagt, ich konnte nicht nachvollziehen, warum Karel Havlicek sein Aufenthaltsort in Brixen nicht mochte. Wir tranken zur Ehre des berühmtesten tschechischen Querulanten auf der Hotelterasse ein kleines Bier für einen unverschämten Preis von 5 Euro – allerdings mit dem Wein, den mein Freund Vladimir bestellt hat, war es mit 7 Euro für ein Achtel noch schlechter. Die Preise waren also wirklich in Elefantenhöhe. Aber was würde man schon für einen Nationalhelden nicht tun, oder?                Uns hat Brixen im Gegenteil zu Havlicek gefallen, euch wird es sicherlich auch. Brixen ist nicht wirklich Italien, es ist noch immer eher Österreich mit einem Hauch Italiens, gerade das verleiht ihm aber ein interessantes Flair.        

Florenz III

               Als wir die Stadt Florenz im Jahre 1469 verlassen haben, sah sie bereits dem heutigen Stadtbild sehr ähnlich. Aber das Entscheidende fehlte noch. Nicht nur der große Regierungskomplex um den „Palazzo Pitti“ mit „Giardino Boboli“ auf dem linken Ufer des Arnos. Die Medici waren in dieser Zeit dabei, ihre Macht auszuüben und sie zu genießen, hatten aber noch keinen Bedarf, sie zu demonstrieren. Soweit war Lorenzo der echte Enkelsohn des großen Cosimos. Auch die „Fortezza Bassa“ nahe dem Hauptbahnhof war noch nicht da, die Medici hatten noch keinen Bedarf, sich vor dem Hass der Menschenmenge zu fürchten und zu schützen. Aber das Wichtigste, was der Stadt noch fehlte, waren ihre Kulturschätze, Bilder und Statuen der größten Meister, die Florenz zu Florenz machen sollten. Noch kein David vor dem „Palazzo Vecchio“, keine „Pieta“ im Duomo, keine Reiterstatue Cosimos I.und kein Neptunbrunnen auf der „Piazza della Signoria“, oder Statuen in der „Logia dei Lanzi“ (die übrigens noch immer nicht diesen Namen trug). Santa Maria Novella wartete noch auch ihre Fresken und Santa Croce auf  Grabmäler in ihrem Inneren.

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(Auf ihre heutige Fassade sollte sie noch 400 Jahre warten) Und es fehlte – fast symbolisch – auch der „Palazzo Uffizi“, wo die größten Schätze heute großteils ausgestellt sind.

               Dass Florenz zu Kulturhauptstadt Italiens aufgestiegen ist, ist einem Mann zu verdanken, nämlich Lorenzo, der einen Beiname „der Prächtige“ bekam. Dass es aber möglich war, ist nur durch Glück und möglicherweise durch Gottes Fügung passiert.

               Im Jahr 1478 verlor nämlich der Papst mit der aufstrebenden Stadt seine Geduld und entschied sich für ein Verbrechen, dass auf den Stuhl Petri schon für immer einen Schatten werfen sollte. Sixtus IV. sollte damit die Reihe der Verbrecher auf dem päpstlichen Thron beginnen, nach ihm folgten Innozenz VIII., Alexander VI. Borgia und Julius II. della Rovere, die durch ihres Benehmen die Reformationsbestrebungen beflügelten und Männern wie Martin Luther, der einer davon war, notwendige Argumente in die Hände legten.

               Der Papst entsandte Mörder nach Florenz, die Lorenzo und seinen Bruder Giuliano ermorden sollten. Sie erhielten vom Papst bereits eine Absolution, egal, wie sie ihren Verbrechen durchführen würden. In der Stadt standen sie in Verbindung mit der Familie Pazzi, die auf einen Volksaufstand nach dem Tod der „Diktatoren“ hoffte und die Herrschaft in der Stadt an sich reißen wollte. Der Mord war  während der Besichtigung der Kunststätten der Medici vorgesehen. Giuliano, der gerade dabei war, sich von einer lästigen Verletzung zu erholten, kam aber nicht. Die Mörder entschieden sich also für „Plan B“. Die Brüder Medici sollten in der Kirche während der Kommunion ermordet werden, wenn sie knien und damit wehrlos ausgeliefert sein würden. Das war aber sogar für den vom Papst entsandten professionellen Mörder Giovanni Battista Montececcovi zu viel. Er weigerte sich in der Kirche zu morden. Schnell wurden als Ersatz für ihn zwei Priester engagiert, die sich bereit erklärten, den Mord durchzuführen. Ihre Unerfahrenheit in der Handhabung von Dolchen sollte sich für die Verschwörern aber rächen. Giuliano wurde zwar durch neunzehn Stichwunden ermordet, Lorenzo aber nur am Nacken verletzt. Er konnte sich wehren und durch die Sakristei flüchten. Die Mörder von Guiliano verfolgten ihn, Lorenzos Freund Francesco Neri stellte sich aber ihnen in den Weg. Er verlor sein Leben, verschaffte aber Lorenzo genug Zeit zur Flucht.

               Die Verschwörer liefen trotzdem gleich zum Rathaus, um über den Tod beider Medici zu berichten und den Gonfaloniere, also den Bürgermeister, aufzufordern, ihnen die Macht zu übergeben. Der Bürgermeister war aber logischerweise ein Anhänger der Medicipartei. Unter einem Vorwand hielt er die Verschwörer in einem Raum fest und schickte Boten zur Kirche, um sich über die Lage ein Bild zu machen. Als er erfuhr, dass Lorenzo lebte, ließ er seine Gäste an sechs Fenstern des Palastes aufknüpfen. Es folgte eine Hetzjagd auf die Attentäter, nur dank höchstpersönlichem Eingreifen Lorenzos wurden nur achtzig Menschen getötet.

               Der Papst setzte seine Hasskampagne fort, er konfiszierte den ganzen Besitz der Medici in Rom, das alles konnte aber nicht den Aufstieg Lorenzos und seiner Kunstschule, die er finanzierte, aufhalten. Diese Schule produzierte Künstler, die dann Lorenzo nach ganzes Italien exportierte und sie machten die beste Werbung für Florenz. Die besten Bilder aus dieser Zeit befinden sich heute in der Gallerie Uffizi. Es ist umwerfend die Werke größten Meister der Hochrenaissance zu vergleichen. Von einem Punkt aus kann man die „Verkündigung Marias“ von Sandro Botticelli und Leonardo da Vinci sehen und den Blick genießen.

Eines dieser Bilder im Gold strahlend und den Besucher ansprechend, das andere silbrig und kalt, nur dem Autor selbst zugewandt. Aber es gibt hier natürlich nicht nur diese beiden Künstler. Man kann Bilder von Rafael, Perugino oder Tizian und vielen weiterer berühmten Künstler bewundern. Es gab sogar eine Malerin, also eine Frau – für diese Zeit absolut unüblich, die Berühmtheit in bildender Kunst erreichte – das Bild von Artemisia Gentileschi „Judith und Holofernes“ ist in den „Uffizien“ ausgestellt – und es ist eine brutale Angelegenheit – immerhin wurde diese Künstlerin in ihren jungen Jahren brutal vergewaltigt und diese Tatsache verfolgte sie und ihre Kunst das ganze Leben lang

 Die Madonna von Michelangelo Buonarotti ließ bereits eine neue künstlerische Strömung,  den Manierismus, ankündigen. Der „Palazzo Uffizi“, also der Beamtenpalast, besitzt die höchste Dichte an Bildern der Hochrenaissance weltweit. „Primavera“ oder „Die Geburt der Venus“ von Sandro Botticelli hatten aber großes Glück, dass sie nicht vernichtet wurden, eigentlich Glück haben wir, die sie bewundern können.   

               Glück hatten sie auch im Jahr 1993, als die italienische Mafia im Innenhof der „Uffizien“ einen mit Sprengstoff geladenes LKW hochgehen ließ. Neben fünf Tote hatte diese Explosion unreparierbare Schäden an den Kunstwerken verursacht. Eine Reihe von Werken wurde vernichtet oder beschädigt, viele konnten nicht mehr rekonstruiert werden.

Eine größere Gefahr für „Primavera“ oder „Venus“ lauerte aber unmittelbar nach Lorenzos Tod. Gegen Ende von Lorenzos Leben begann nämlich in der Stadt ein Bußprediger namens Girolamo Savonarola zu wirken. Er wurde eigentlich von Lorenzo eingeladen und Savonarola war sein Beichtvater. Lorenzo wurde immer mehr von Gewissenbissen geplagt und fürchtete den Tod. Er war sich nicht sicher, ob er bei allen von ihm ausgesprochenen Todesurteilen gerecht war. Sein Gewissen belasteten auch seine zahlreichen Geliebte, die dieser nicht gerade schöne, aber charmante Mann hatte, weil seine Gattin aus der Familie Orsini nur sehr zögerlich am freizügigen Leben in Florenz teilnahm. Lorenzo ließ also Savonarola freie Hand. Trotzdem bekam er im Moment seines Todes keine Absolution. Savonarola verlangte von ihm nämlich, dass er für sich und seine Nachkommen auf jede Macht in der Stadt verzichten sollte und auf diese Forderung drehte sich Lorenzo nur schweigend zur Wand und starb.

Lorenzo starb im Jahre 1492, zwei Jahre später brach in der Stadt ein Aufstand aus und sein Sohn Pietro wurde mit der ganzen Familie aus der Stadt vertrieben. Die Stadt wurde von Savonarola beherrscht, der dort ein Regime eingeführt hat, das dem „Islamischen Staat“ ähnelte. Unter anderem bedeutete das auch Vernichtung kultureller Kunstwerken. Jedes Bild, auf dem nur eine bisschen nackte Haut zu sehen war, sowie auch unanständige Bücher wie „Dekameron“ von Boccacio, sollten verbrannt werden. Auf der „Piazza della Signoria“ wurde ein zehn Meter hoher Haufen von Bildern und Büchern aufgetürmt, für den ein venezianischer Geschäftsmann 22 000 Dukaten angeboten hat. Es half nicht. Die Kunstwerke wurden verbrannt, nur dank der Tapferkeit mancher Menschen entgingen die Bilder von Sandro Botticelli der Zerstörung.

               Vier Jahre später hatten die Bürger von Florenz Savonarolas Terrorregimes die Nase voll. Er wurde gehängt und seine Leiche öffentlich verbrannt, an den Ort der Hinrichtung erinnert heute eine Steinplatte auf dem Boden nahe der Neptunfontäne. Immerhin hat sich Savonarola als ein Vorläufer der Reformation eine Statue auf dem Lutherdenkmal in Worms verdient. Die Kultur durfte nach seinem Tod wieder in die Stadt zurückkehren, gerade in dieser Zeit entstand im Jahr 1504 der „David“ von Michelangelo, heutiges Wahrzeichen der Stadt. Ohne ihn können wir uns Florenz gar nicht vorstellen. Die Stadt leistete aber auch ohne Savonarola weiter einen erbitterten Widerstand gegen Rückkehr der Medici. Die erlangten aber inzwischen großen politischen Einfluss. Ein Zeichen der Versöhnung zwischen Lorenzo und Papst Sixtus war die Ernennung Lorenzos Sohnes Giovanni zum Kardinal (er war damals gerade 13 Jahre alt). Im Jahr 1513 wurde Giovanni zu Papst Leo X. Ihm folgte auf dem päpstlichen Thron sein Cousin, der Sohn des ermordeten Giulianos Giulio als Papst Klemens VII. Medici eroberten Urbino, wo sie zu Herzögen wurden und Katharina Medici, Tochter des Herzogs von Urbino, Lorenzo, wurde durch Hochzeit mit dem französischen Thronfolger Heinrich im Jahr 1533 zur zukünftigen französischen Königin. Vierzig Jahre später sollte sie in die Geschichte als Anstifterin der Bartholomäusnacht in Paris im Jahr 1572 eingehen. Medici traten in die Gesellschaft der Souveräns, zwischen Könige und Fürsten, sie waren keine Bankierfamilie mehr und waren nicht bereit, das Weiterbestehen der florentinischen Republik in der Form, wie sie unter der Herrschaft von Cosimo und Lorenzo funktionierte, zu tolerieren.                      

Die Medici kamen im Jahr 1530 mit Hilfe der Armee des Kaisers Karl V. zurück in die Stadt. Papst Klemens VII,  bekannte sich stolz zu seinem eigenen Sohn Alessandro ( bis dahin gaben die Päpste ihre Söhne für Neffen aus – von hier stammt das Wort Nepotismus – Nepos heißt in Latein Neffe) und setzte ihn als ersten toskanischen Herzog durch. Der Wüstling freute sich an seinem Glück nicht lange, bereits im Jahr 1537 wurde er ermordet. Er machte seinem Verwandten aus der Nebenlinie der Medici, Cosimo I. Platz, der zum ersten Großherzog der Toskana aufsteigen sollte. Seine Reiterstatue aus Bronze von Giambologna schmückt die „Piazza della Signoria“.

Seine Enkeltochter Maria sollte wieder einmal durch die Hochzeit mit Heinrich IV. zur französischen Königin werden und nach Heinrichs Ermordung herrschte sie dann lange Zeit im Namen ihres unfähigen Sohnes Ludwig XIII. In „San Lorenzo“ ließen sich die neuen Herzöge eine neue fürstliche Kapelle bauen, zwar in der Nähe, aber doch getrennt von ihren Vorfahren, die doch „nur“ gemeine Bürger waren. Weil die Verwaltung des neuen Staates viele Beamten brauchte, ließ Cosimo für sie einen neuen Palast bauen – das Projekt realisierten berühmte Architekten Vasari und Buontalenti. So entstand der Palast „Uffizi“, der jedem Besucher von Florenz ein Begriff ist, weil er im achtzehnten Jahrhundert zu einer Gallerie umgewandelt wurde.

Aus der Zeit des Herrschaftsantritts Cosimos I. stammt auch der Neptunbrunnen auf der „Piazza della Signoria“, ein Werk von Bartolomeo Ammanatis – in die Toskana schaute damit ein wenig (aber wirklich nur ein wenig) Barock. Die Florentiner nennen diesen Brunnen „Il Biancone“ also „der große weiße“.

Nach den erlebten Erfahrungen mit ihrem Volk verließen sich die Medici nicht mehr auf seine Liebe, sondern bauten eine Festung, wo sie sich im Falle von Unruhen und Aufständen zurückziehen konnten. Die Festung heißt „Fortezza da Basso“ und befindet sich in der Nähe des Hauptbahnhofs. Wer sie sehen will, darf sich nicht durch den logischen Zwang, direkt ins Zentrum zu laufen, hinreißen lassen, die Festung ist nämlich auf der anderen Seite.

               Die Medici residierten seit langer Zeit nicht mehr im bescheidenen Palast Medici-Riccardi, sie zogen in den „Palazzo Pitti“ auf dem linken Arnoufer, um damit weit genug vom Stadtpöbel entfernt zu sein. Hinter dem Palast gibt es einen wunderschönen Garten „Giardino di Boboli“ mit einer kleinen Festung „Forte die Belvedere“. Man weiß ja nie…

Heutzutage gibt es im „Palazzo Pitti“ eine der großartigsten Pinakotheken Italiens, vor allem die Werke von Raffaelo Santi (1483 – 1520). Eigentlich in jedem Saal gibt es zumindest ein Bild von diesem Kind Gottes, das im Laufe seines relativ kurzen Lebens Unmenge Bilder schaffen konnte.

Rafael malte nämlich leicht und seine Kunst wurde sehr gefragt, zum Neid seines Konkurrenten Michelangelo, der, getrieben von seinem Genie – viel mehr Werke begonnen als vollendet hat. Das Original seines Davids befindet sich im „Museo Academico“, wo man auch viele seine unvollendeten Statuen in unterschiedlichen Stadien der Bearbeitung sehen kann. Normalerweise ist das „Museo Academico“ von Touristen überfüllt und bei „David“ gibt es das gleiche Gedränge, wie im Louvre bei „Mona Lisa“. Ich hatte aber einmal vor vielen Jahren großes Glück, als eine Firma in Rahmen eines Ultraschallkongresses, an dem ich in Florenz teilnahm, das „Museo Academico“ außerhalb der Öffnungszeiten für die Kongressteilnehmer reservieren ließ. Zu meinem Erstaunen nutzte dieses Angebot nur ein Handvoll Ärzte. Und so durfte ich vor dem David zuerst mit einer Gruppe Kollegen aus Japan und dann ganz allein stehen – ein Augenblick, den man nie vergisst.

               Die Medici starben im Jahr 1737 mit Großherzog Giovanni Gastone aus. Dass wir ihre Kultursammlungen bewundern dürfen, verdanken wir seiner Schwester Anna Maria Ludovica, die die ganze Familiensammlung, die sie vom Bruder geerbt hatte, der Stadt Florenz vermachte und damit den Ruhm der Stadt als Kulturzentrum begründete. Gerade wegen der Kulturschätze, die die Stadt infolge ihres Testaments nicht verlassen durften, kommen die Touristen aus der ganzen Welt massenhaft hierher.

               Die Macht in der Toskana ging an die Habsburger, genauer gesagt an Franz Stephan von Lothringen, der gezwungen wurde, auf sein Herzogtum Lothringen zu verzichten, damit die Franzosen die Ansprüche seiner Gattin Maria Theresia auf die habsburgischen Erblande akzeptierten. (Was sie dann ohnehin nicht taten). Es ist aber notwendig zu sagen, dass die Toskana von seiner Herrschaft profitierte. Er leitete positive Reformen ein, die dann sein Sohn, der spätere Kaiser Leopold II. fortsetzte.

               Die Habsburger mussten die Toskana nach der verlorenen Schlacht bei Solferino im Jahr 1859 verlassen, für eine kurze Zeit wurde Florenz in den Jahren 1865 – 1871 sogar zur Hauptstadt Italiens, bis es diese Würde an Rom abgeben musste.

 Kulturhauptstadt Italiens blieb Florenz aber bis heute.

Florenz II

Wir haben im letzten Artikel Florenz am Ende des vierzehnten Jahrhunderts verlassen, als es sich bemühte, sich von schweren Schlägen, wie Pest, Konkurs der größten Banken und Aufstand der Ciompi zu erholen. 

Hätten wir damals die Stadt angeschaut, hätten wir eine für ihre Zeit imposante Agglomeration mit acht Kilometer langer Befestigungsmauer gesehen. Auf dem Berg über die Stadt ragte das Kloster San Miniato empor, im Stadtzentrum rivalisierten die „Campanilla“ von Giotto mit dem Turn des „Palazzo vecchio“ um die Ehre des höchsten Gebäudes der Stadt. Den „Palazzo vecchio“ hätten wir im heutigen Aussehen gefunden, natürlich noch ohne David vor ihm, ihm gegenüber die „Loggia dei Lanzi“, die der Versammlungen der dezimierten Bevölkerung der Stadt diente. Auch hier hätten wir vergeblich nach Stauen gesucht, die sie heute schmücken „Perseus mit Kopf der Meduse“ von Benvenuto Cellini und „Raub der Sabinerinen“ von Giambologna. Die Loggia hatte damals nicht einmal ihren heutigen Namen, den bekam sie nach den deutschen Landsknechten des Herzogs Cosimo I. aus der Familie Medici, über die wir uns heute unterhalten werden. Es gab bereits den „Il Bargelo“ und die Kathedrale, allerdings noch ohne die heutige Kuppel. Die finanzielle Notlage der letzten Jahrzehnte erzwang die Unterbrechung des Baus. Dafür ragten über die Paläste der Stadt viele Türme, die aus Ferne bereits angekündigten, dass im Haus eine Familie logiert, die sich mit einem Adelstitel schmücken durfte. Der Fluss Arno wurde von einer einzigen Brücke überbrückt, die wir als „Ponte vecchio“ kennen, statt Goldschmuck wurden hier aber in den Geschäften Lebensmittel und Fische verkauft, der Geruch aus den Buden war für die Überquerung des Flusses nicht gerade einladend, und wer es versuchte, dann am besten mit einem Tuch vor der Nase. Natürlich hätten wir noch nicht den „Palazzo Uffizi“ oder den „Palazzo Pitti“ gefunden, die dominikanische Kirche „Santa Maria Novella“, „San Lorenzo“ oder „Santa Croce“ sahen ganz anders und viel bescheidener aus. Alle diese Kirchen haben auf ihre innere Ausstattung noch gewartet. Natürlich fehlten auch alle heutigen Paläste der reichen florentinischen Familie, die mussten auf ihre Entstehung die Renaissance abwarten.

               Im Hintergrund des politischen Lebens der Stadt arbeitete bereits unermüdlich der Gründer des Ruhmes der Familie, die in die florentinische, aber auch in die Weltgeschichte, eingehen sollte. Giovanni Medici, genannt „Bicci“ war nicht nur ein Bankier, aber auch ein Politiker. Das Bankhaus Medici war relativ jung und nicht besonders groß, damit entging es aber der Katastrophe der älteren Bankhäuser. Giovanni wirkte auch als ein Anwalt und erarbeitete sich eine Position, die einem Justizminister entsprechen würde. Er setzte eine Steuerreform durch, die arme Schichten der Bevölkerung begünstigte und gewann damit in den unteren und mittleren Schichten der florentinischen Gesellschaft eine große Popularität. Dazu beflügelte er die Erzeugung von Stoffen aus Wolle und beschäftigte damit immer mehr Leute, die von ihm abhängig wurden. Florentiner nutzten die Tatsache, dass das Osmanische Reich in einem Dauerstreit mit Genua und Venedig war und knüpften mit der „Großen Pforte“ sehr gute Beziehungen. Der Handel mit dem Orient blühte und nach dem Fall von  Konstantinopel gewannen die Florentiner in den Türken einen wichtigen Abnehmer ihrer Waren – natürlich solange sie sie durch die venezianische Blockade durchbringen konnten.

               Giovanni trat auf die Bühne der Weltpolitik im Jahre 1409, als er sich entschied, den Wahlkampf eines gewissen Seeräubers namens Baldassare Cossa zu finanzieren, der zum Staunen aller Papst werden wollte. Niemand würde auf ihn einen Cent setzen, Giovanni erkannte aber das Potenzial dieses Mannes und unterstützte ihn. Als sein Kandidat wirklich zum Papst unter dem Namen Johann XXIII. wurde, brachte es dem Haus Medici Zugang zum römischen Finanzmarkt.

               Im Wappen der Medicis gibt es fünf Kugeln, die unterschiedlichste Interpretationen hervorriefen. In Zusammenhang mit dem Namen Medici entstanden Vermutungen, dass es sich um Pillen handelt, da die „Medici“ Ärzte oder Apotheker wären. Die einfache Wahrheit ist, dass die Medici seit der Entstehung Ihrer Familie sich nur mit Finanzen beschäftigten und die sechs Kugel sind sechs Münzen, so genannte „Besants“, die bekannt gaben, dass im Haus, auf dem dieses Zeichen angebracht war, sich eine Wechselstube befand.      

               Im Jahr 1414 wurde von Kaiser Sigismund ein Konzil nach Konstanz auf dem Bodensee einberufen, das die Spaltung der Kirche mit drei Päpsten beenden sollte. Giovanni zögerte nicht und entsandte nach Konstanz seinen ältesten Sohn Cosimo. Auf der Stelle, wo auf dem Platz nahe der Kathedrale von Konstanz die Wechselstube der Medici stand und wo Cosimo wirkte, gibt es heute die „Bar Medici“.

Johann XXIII. verlor zwar seinen Kampf gegen den Kaiser, die Medici aber haben gewonnen. Und das, obwohl sie ihren Kandidaten aus der kaiserlichen Gefangenschaft für 40 000 Dukaten freikaufen mussten. Dank der Kontakte, die Cosimo in Konstanz knüpfte, drangen die Greifer der Bank Medici in das ganze Europa. Cosimo kehrte aus Konstanz als ein geschätzter Herr zurück und im Jahr 1429 übernahm er von seinem Vater die Geschäfte.

               Sein Vater gab ihm folgende Ratschläge: „Heget nie eine Meinung, die dem Willen des Volkes zuwider ist, selbst wenn das Volk Dummheiten macht. Vermeidet es, zu dozieren, redet vielmehr sanft, verständlich, wohlwollend. Macht den Regierungspalast nicht zur Stätte euer Geschäfte, sondern wartet, bis man euch ruft. Denkt daran, dem Volk seinen Frieden und dem Handel seine Blüte zu erhalten. Sorgt dafür, dass nicht mit Fingern auf euch gezeigt wird.“

               Heute würden wir ihn Populist nennen, vielleicht sogar den Vater des Populismus, gäbe es nicht vor ihm bereits ein gewisser Gaius Julius Caesar.

               Cosimo nahm sich die Ratschläge seines Vaters zum Herzen. Seit den Zeiten des Kaisers Augustus gab es auf der Welt keinen Politiker, der so geschickt bei der Machtergreifung vorging, wie Cosimo, nämlich unbemerkt. Er ließ sich nie in öffentliche Ämter wählen, er sorgte aber dafür, dass seine Verwandte oder Schuldner gewählt wurden. Er handelte so geschickt, dass die Tatsache, dass er die Macht über die Stadt an sich riss, nur die Reichsten und Einflussreichsten bemerkten, nicht aber die breiten Massen. Zusätzlich erweiterte Cosimo die Stoffproduktion um das Geschäft mit Seide und auch dieser riskante Zug ging auf. Er wurde zum größten Arbeitsgeber in der Stadt.

               Seine politischen Gegner konnten keine Mittel gegen den geschickten Mann finden. Deshalb ließen sie ihn am 7.September 1433 im „Palazzo vecchio“ verhaften und einkerkern. Weil sie wussten, dass sie sich keinen öffentlichen Prozess gegen Cosimo ohne Gefahr eines Volksaufstanden leisten konnten, entschieden sie ihn im Gefängnis zu vergiften. Sein Kerkermeister konnte aber zählen, von wem er mehr Profit haben konnte und warnte ihn vor dem Giftanschlag. Cosimo hielt also 4 Tage einen Hungerstreik. So viel Zeit brauchte er, um ein tausend Dukaten zusammenzubringen um den „Gonfaloniere“ zu bestechen und der ermöglichte ihm eine Flucht nach Padua. Cosimo brauchte ein weiteres Jahr, bis er durch Intrigen, Bestechungen und Geldüberweisungen eine Armee aufstellen konnte, die danach problemlos die Opposition überwältigte und Cosimo durfte triumphal in die Stadt einziehen. Machiavelli wird einmal schreiben: „Selten ist ein Mann nach einem großen Sieg in seine Heimat zurückkehrend, von einer solchen Volksmenge und mit so herzlichen Kundgebungen oder Anhänglichkeit empfangen worden, wie Cosimo bei seiner Rückkehr aus der Verbannung.“            

Cosimo dosierte seine Rache sehr vorsichtig. Er verbannte aus der Stadt nur die größten Konkurrenten der Familien Strozzi und Albizzi, es wurden keine Paläste oder Türme niedergerissen, wie es früher Brauch war, nur achtzig Personen wurden in die Verbannung geschickt und nach einiger Zeit durften sie sogar zurückkehren und zwischen Albizzi und Medizi sollten in Zukunft sogar eheliche Verbindungen entstehen. Cosimo beherrschte die Stadt und wurde zum „Pater patriae“. Die Stadt unter seiner Herrschaft wurde immer reicher, Cosimo investierte 600 000 Dukaten in die Kunst. Die wichtigste Tat war die Anstellung des genialen Architekten Brunelleschi für die Fertigstellung des Domes. Die neue revolutionäre Lösung der Kuppel, die ohne Stützgerüst gebaut wurde, war für die Bauarbeiter so ungewöhnlich, dass sie Angst hatten dort zu arbeiten und Brunelleschi musste persönlich nach oben klettern und dort die Backsteine legen, um sie von ihrer Angst zu befreien.

Die Statuen aus dem Dom, unter ihnen auch die „Pieta“ von Michelangelo, kann man in Museum „Museo dell´Opera del Duomo“ sehen. Cosimo ließ die Kirche „San Lorenzo“ umbauen, ein Jahr vor seinem Tod wurde hier die berühmte Kapelle Medici fertiggestellt, die als Grabstätte der Familie dienen sollte. Er ließ für sich nur einen ziemlich “bescheidenen” Palast bauen, der heutige Palast Medici-Riccardi, weil er dann später an die Familie Riccardi verkauft wurde, als ihn die Medici nicht mehr brauchten.

               Vom Vater hat Cosimo gelernt, dass es notwendig ist, in der Weltpolitik mitzumischen. Er nutzte den Kampf zwischen Papst Eugen IV. und der Konziliarbewegung, die ein Konzil nach Basel gerufen hat. Eugen verlagerte das Konzil nach Ferrara und hierher kam auch der byzantinische Kaiser Johann, um über die Einigung der westlichen und östlichen Kirche zu verhandeln. Cosimo ergriff seine Chance. Durch große Bestechungen brachte er den Papst und den Kaiser dazu, dass sie unter dem Vorwand einer drohenden Pestepidemie von Ferrara nach Florenz umzogen. Seine Erfahrungen aus Konstanz kamen jetzt zu gute. In Florenz wurde dann am 6. Juli 1439 in der gerade neu vollendeten Kathedrale der Vertrag über die Union zwischen Westen und Osten der so genannte „Laenentur coeli“ unterschrieben. Zwar erfüllte dieser Vertrag nicht, was er versprach, da er von der Mehrheit des byzantinischen Klerus abgelehnt wurde, das Konzil brachte aber Fürste und kirchliche Oberhaupte nach Florenz und die alle gaben Geld aus, vor allen der byzantinische Kaiser. Und sie meldeten nach Hause Nachrichten von einer wundervollen reichen Stadt am Fluss Arno und von den ungeahnten Handelsmöglichkeiten mit dieser Metropole und mit ihrem Herrscher Cosimo, der unglaublich schöne Stoffe aus Wolle und Seide produzierte. In PR kannte sich also Cosimo perfekt aus.

Im Jahr 1453 bewirtete er in seinem „bescheidenen“ Haus Kaiser Friedrich III. auf seiner Reise nach Kaiserkrönung in Rom. Die Person des Kaisers war für Cosimo bei weitem nicht so wichtig, wie sein Sekretär Aeneas Silvius Picolomini, der später zum Papst Pius II. werden sollte. Cosimo lud die besten Maler seiner Zeit in die Stadt und er unterstützte freigiebig ihre Arbeit, was später in der Zeiten der Regierung seines Enkelsohnes Lorenzo zu größtem Ruhm von Florenz und der Familie Medici führen sollte. Jetzt waren es Fra Angelico, Donatello, Giovanni Ruccelai, Lorenzo Ghiberti und weitere, die den Boden für die Größten der Hochrenaissance wie Sandro Botticelli, Filippo Lippi Leonardo da Vinci oder Michelangelo Buonarotti vorbereiten sollten. 

               Cosimo starb im Jahr 1464 gebrochen durch den Tod seines Sohnes Giovanni vor einem Jahr zuvor. Sein zweitgeborener Sohn Pietro war sehr krank und es war offensichtlich, dass er nicht  lange zu leben hatte. Das bestätigte sich zwar, er lebte aber trotzdem lang genug, dass sein Sohn Lorenzo, später genannt „ der Prächtige“ obwohl er selbst kein schöner Mann war und im Jahr 1469 gerade zwanzig Jahre alt, bereits im Stande war, die Macht über die Stadt zu übernehmen und aus ihr das mächtigste Zentrum damaligen Italiens zu machen. Es sollte die berühmteste Epoche für Florenz einbrechen, aber darüber das nächste Mal.

Florenz I

               Florenz ist ein Pilgerort, der beinahe so oft wie Rom besucht wird. Florenz ist die Stadt der Kultur und interessant ist die Tatsache, dass während in Rom ganze Generationen und Generationen von unzähligen Künstlern, die von Päpsten gesponsert wurden, an der Schönheit der Stadt arbeiten mussten, in Florenz das ganze Kulturwunder in einer relativ kurzer Zeit als Verdienst einer einzigen Familie entstand. 

               Florenz ist eine Stadt, die ich zufällig von allen italienischen Städten am häufigsten besucht habe, trotzdem ist die Stadt immer noch nicht „abgehackt“. So nennt es meine Frau und in der Praxis bedeutet das, dass ich immer noch nicht besucht habe, was ich besuchen möchte und somit ist ein weiterer Besuch dieser Stadt unentbehrlich. Ein eintägiger Besuch zahlt sich einfach nicht aus. Man schaut sich die Kathedrale an, eventuelle läuft man auf die Campanille, man besucht die „Ufizzien“, weil man sich per Internet eine Eintrittskarte reserviert hat (auf einen anderen Weg versuchen Sie es nicht einmal), man macht ein Photo mit der Kopie des Davids auf der „Piazza dela Signoria“, bewundert die Goldschmiede auf dem „Ponte vecchio“ und vielleicht schafft man es noch, die Säle „Palazzo Pitti“ mit dem Garten „ Giardino di Boboli“  zu durchlaufen. Aber was ist mit „San Lorenzo“ mit Gräbern der Familie Medici, was ist mit „Santa Croce“ mit Grabsteinen berühmter Florentiner was mit Santa Maria Novella mit Fresken von Boccacio und Filippino Lippi, was mit „Palazzo vecchio, Bargello, Museo Academico, San Miniato, Fortezza da Basso und mit allen wunderschönen Palästen?  Und so weiter, usw… Einen Kaffee  in einem der zahlreichen Bars auf „Piazza della Republica“ zu trinken, das kann man im Stress vergessen. Es geht einfach nicht! In Florenz muss man einige Tage bleiben, was bedeutet, dass man auch ein entsprechendes Budget zur Verfügung hat. Florenz ist nämlich schön in seinen Interieurs und die sind nicht kostenlos zu bewundern.

               Genau so hoffnungslos ist es zu versuchen über Florenz einen Artikel von vier bis fünf Seiten zu schreiben (geschweige von drei, was angeblich die längste empfohlene Textlänge im Internet sei). Es ist einfach eine unmögliche Mission, obwohl die Geschichte von Florenz eigentlich wesentlich kürzer ist, als die Geschichte der Mehrzahl italienischer Städte. In der Zeit, als die Mehrzahl von ihnen bereits stand und lebte, gab es in der Region des Flusses Arno, wo heute diese stolze Stadt steht, nur einen undurchlässigen Morast, wo Hannibals letzter Elefanten ertrank. Eine Stadt in dieser Region gab es zwar, aber die befand sich auf einem Hügel und hieß Fiesole. Sie ist auch heute auf dem gleichen Platz und ist ein Vorort des heutigen Florenz. Einmal war es umgekehrt.

               Fiesole brauchte einen Hafen am Fluss Arno und so entstand Fiorentina auf dem Flussufer, häufig überschwemmt (übrigens die letzte große Flut besuchte Florenz noch im Jahr 1966). Dann bauten Römer hier die Straße „Via Cassia“ und überbrückten den Fluss mit einer Brücke, die einen Schutz benötigte und so siedelte hier Gaius Julius Caesar seine Veteranen an und der Grundstein einer zukünftig berühmten Stadt wurde gelegt.

               Auf ihren Ruhm musste Florenz noch eine Weile warten. Bis zum Hochmittelalter blieb es im Schatten des mächtigen Pisa, des befestigten Lucca auf der wichtigen Kreuzung der römischen Straßen und sogar auch Arezzos. Um alle diese Nachbaren zu überholen, musste sehr viel Kleinarbeit getan werden. Keine der toskanischen Städte war so konsequent im Gewinn des Hinterlandes, im Straßen – und Infrastrukturausbau und in der Umsiedelung der Adeligen in die Stadt, wo sie hohe Türme an ihren Palästen bauten und mit reichen Kaufleuten eine neue Nobilität der Stadt entstehen ließen. Im elften Jahrhundert gab die Stadt das erste Zeichen der kommenden Prosperität – es war die Kirche „San Miniato al Monte“, zu der den Grundstein um das Jahr 1090 Bischof Hildebrand legte, der gute Beziehungen zum Kaiser sowie auch zu den Päpsten pflegte.

Die Kirche ließ er zur Ehre eines lokalen heiligen Minius bauen, der während der Christenverfolgung unter Kaiser Decius im Jahr 295 hingerichtet wurde. Die Glaubwürdigkeit der Legende über das Leben und Tod des Heiligen wird durch die Erzählung, dass er mit seinem eigenen, bereits abgetrennten, Kopf unter dem Arm auf den Berg gelaufen sei, wesentlich geschwächt, aber bei den Legenden geht es nicht um die Glaubwürdigkeit, sondern um den Kult. Also machen wird ein Auge zu und bewundern wir die Schönheit des Baues, der zu seiner Verehrung gebaut wurde. Es ist der einzige rein romanische Bau in der Stadt, eigentlich über der Stadt, also wenn man Florenz von oben anschauen möchte, muss man hierher fahren, zu einem ausgedehnten Klosterkomplex am südlichen Ufer des Arnos – also auf der Gegenseite des Stadtzentrums. 

In der gleichen Zeit, also im elften Jahrhundert, genauer im Jahr 1059, wurde der Grundstein des Baptisteriums gelegt, also des Taufhauses im Stadtzentrum. Das achteckige Gebäude aus weißem und dunkelgrünem Marmor musste auf seine Vollendung bis in das fünfzehnte Jahrhudert warten, als es mit der letzten Bronzetür geschmückt wurde. Es hat insgesamt drei Tore. Das Südtor mit den Szenen aus dem Leben des Johannes des Täufers schuf Andrea Pisano bereits im Jahr 1330. Das Nordtor schuf im Jahr 1401 Lorenzo Ghiberti, das schönste ist  aber das Osttor vom gleichen Künstler (er arbeitete an dieser Tür lange 27 Jahre!) Porta del Paradiso, also Paradistor. Den Namen verdankt die Tür Michelangelo, der angeblich sagte, dass die Tür so schön sei, dass sie würdig wäre, im Eingang zum Paradies zu stehen.

Kurz danach bekam Florenz das erste Mal Eroberungslust und zog im Jahr 1125 – absolut ohne Grund – gegen seine Mutterstadt Fiesole und nach einer vierjährigen Belagerung nahm sie ein. Für eine gute Integration der neuen Einwohner spricht, dass der erste Podestá, der gewählte Stadtherrscher, ungefähr einhundert Jahre später, gerade aus Fiesole stammte.

               Florenz setzte neben dem zielstrebigen Infrastrukturausbau auf Bankwesen. Gelddarlehen gegen Zinsen wurde von der katholischen Kirche streng verboten, die Bürger von Florenz zeigten aber deutlich weniger Angst vor dem Höllenfeuer als ihre Nachbaren aus den anderen toskanischen Städten. Familien Bardi, Cerchi, Donati und andere bauten ihre Niederlassungen in der ganzen damals bekannten Welt aus und zu ihren Kreditnehmern gehörten auch der französische oder der englische König. Über die lokal fehlenden Hemmungen bei Geldleihen gegen Zinsen spricht auch die Tatsache, dass sich in Florenz keine bedeutende jüdische Gemeinde niedergelassen hat, die sonst diese für Christen verbotene Tätigkeit gerne übernahm. Florenz wurde reicher, es lebte aber immer noch im Schatten der mächtigeren Nachbarn. Es wurde allerdings bereits fleißig gebaut. Vor allem entstand der „Palazzo vecchio“, der im Jahr 1314 vollendet wurde und in dem sich heute das Rathaus befindet.

Es hat einen für seine Zeit absolut extravaganten Turm mit einer Höhe von 94 Meter. Ursprünglich tagte hier der Stadtsenat und danach wurde das Gebäude der Amtssitz der Herrscher aus der Familie Medici. Als diese sich am anderen Arnoufer den Palast Pitti gebaut haben und dorthin umzogen, hieß der „Palazzo Pitti“ einige Zeit „Palazzo nuovo“, also „der neue Palast“ und das Gebäude auf der „Piazza della Signoria“ wurde logisch zum alten Palast. Der Name sollte ihm schon bleiben. Weiter entstand in der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhundert auch das „Bargello“.

Also das Gebäude, wo der Bürgermeister seinen Sitz hatte und wo im Innenhof die Bürgen der Stadt gefoltert und hingerichtet wurden. Heute gibt es hier ein großes Museum der Skulpturen der florentinischen Künstler, wie zum Beispiel „Der betrunkene Bacchus“ von Michelangelo. Dieses Museum hat so komische Öffnungszeiten, dass ich es bei meinen eintägigen Ausflügen nie geschafft habe, es zu besuchen (es ist 8:15 bis 14 Uhr, aber einmal ist am Sonntag geschlossen, andersmal wieder am Montag und manchmal an beiden diesen Tagen und ich habe nie den richtigen Tag erwischt.) Das ist also einer der Hauptgründe, warum ich die toskanische Metropole unbedingt noch einmal besuchen muss. Oder vielleicht sogar zweimal?

               Gerade in dieser Bauzeit wurde nach einem der wiederkehrenden Hochwässer, das die alte römische Brücke niedergerissen hatte, auf ihren Fundamenten eine neue Brücke gebaut, die allerdings paradoxerweise „Alte Brücke“, also „Ponte vecchio“ heißt und neben dem Palast auf der „Piazza della Signoria“ zum Wahrzeichen der Stadt werden sollte. Auf der Brücke wurden, wie es damals Brauch war, Geschäfte gebaut, vierundzwanzig auf jeder Seite, also insgesamt achtundvierzig. Ursprünglich wurden hier Lebensmittel verkauft, diese wurden aber später durch Goldschmiedgeschäfte ersetzt. Diese blieben hier bis heute. Ein Spaziergang über „Ponte vecchio“ ist also eine Augenweide, man wird von allen Seiten durch das Strahlen des Goldschmucks geblendet. Man muss hier nichts kaufen, aber ein Spaziergang über die Brücke ist einfach ein muss.

Schon deshalb, weil man sonst den Fluss nicht überqueren kann. Das wussten schon die Medici, die späteren Herrscher der Stadt und ließen sich im Obergeschoß der Geschäftenreihe einen geheimen überdachten Gang bauen, durch den sie unbeobachtet den Arno von ihrem Palast Pitti, wo sie lebten, zum „Palazzo dei Uffizi“, wo ihre Administrative, also ihre Beamten, ihren Sitz hatten, überqueren konnten.   

Im gleichen Jahr wie der „Palazzo vecchio“ begannen die Florentiner mit dem Bau des Domes „Santa Maria del Fiore“. Hier überschätzen sie aber ihre Kräfte. Der Bau wurde infolge der Pestepidemie unterbrochen und musste auf seine Vollendung unter der Führung des genialen Architekten Brunelleschi bis 1436 warten. Aber darüber später. Erfolgreicher waren die Florentiner bei dem Bau des Glockenturmes. Für dieses Projekt gewannen sie niemand kleineren als Giotto, der für die letzen Jahre seines Lebens in seine Heimatstadt zurückkehrte. Sein Projekt wurde einige Jahre nach seinem Tod im Jahr 1359 fertig gebaut. Der Glockenturm ist 82 Meter hoch und man kann ihn auf 414 Treppen besteigen. Obwohl das eine physisch anspruchsvolle Leistung ist, steht vor dem Eingang ständig eine Schlange, da der Gipfel der „Campanilla“ einen berauschenden Blick auf die Stadt bietet.

Natürlich zogen im dreizehnten Jahrhundert beide Bettlerorden der Dominikaner und Franziskaner in die Stadt ein. Über die Kirche „Santa Maria Novella“, die Dominikaner gehört, stolpert der Stadtbesucher gleich vor dem Hauptbahnhof (der übrigens den Namen dieser Kirche trägt).

Hinter einem Platz mit einem kleinen Obelisk gibt es eine Kirche mit einem großen Kloster. Der ursprüngliche Bau war romanisch-gotisch, das derzeitige Aussehen im Stil der Renaissance bekam die Kirche von Leon Battista Alberti in der Zeit der Herrschaft des ersten Medici Cosimos des Älteren in den Jahren 1456 – 1470. Im Inneren blieb die Kirche gotisch, die Innenausstattung stammt aber aus der Zeit der florentinischen Hochrenaissance, wie die „Geburt Christi“ von Sandro Botticelli (sein Bild „Die Anbetung der drei Könige“ wurde von hier nach Uffizien überführt) oder die Fresken von Filippino Lippi in der Kapelle Filippo Strozzi.

Die Franziskanerkirche befindet sich natürlich am anderen Ende der Stadt, wie es Brauch war, damit sich die zwei Bettlerorden nicht konkurrierten.

Die Kirche „Santa Croce“ hat in Florenz eine beinahe symbolische Bedeutung. Nicht wegen ihrer Fassade, die aus dem neunzehnten Jahrhundert stammt, sondern dank ihrer Innenausstattung, wo man 250 Grab- und Denkmäler berühmter Italiener finden kann. Der berühmteste Florentiner liegt aber in seinem Grab nicht, darüber später. Die Fresken in den beiden Kapellen rechts des Hauptaltars sind ein Werk von Giotto.

Anfangs des vierzehnten Jahrhunderts begannen die Florentiner den dritten Mauerring mit einer Gesamtlänge von acht Kilometern mit achtundsiebzig Türmen zu bauen. Dieser schloss auch die Vorstädte ein, die bisher nur mit Palisaden geschützt wurden. Die Mauer sollte sich auszahlen. Im Jahr 1311 zog Kaiser Heinrich VII. nach Italien, um hier die kaiserliche Autorität zu festigen, was seit der Zeiten Barbarossas niemand gewagt hatte. Die Stadt Florenz, die gerade vor kurzer Zeit die Seiten gewechselt hatte und von Guelfen, also der Papstpartei, beherrscht wurde, stellte für ihn ein Hindernis dar, das unbedingt entfernt werden musste. Das durch Krankheiten dezimierte kaiserliche Heer konnte aber keinen Belagerungsring um die Stadt bilden, der Kaiser schaffte es gerade noch, vor den Toren der Stadt seine Macht und Ärger zu demonstrieren, was die Florentiner ruhig ignorieren durften. Als der Kaiser zu einem neuen Angriff ansetzte, diesmal gestärkt durch Kontingente der anderen mit Florenz rivalisierten toskanischen Städte, die die wachsende Macht der Arnostadt mit Sorgen beobachteten, starb er plötzlich in einem Militärlager bei Siena. Die Mauer von Florenz musste auf die nächste Belastungsprobe weitere zweihundert Jahre warten, bis sie von Kaiser Karl V. belagert wurde – und nicht stand hielt.

               Der Anfang des Aufstieges von Florenz zu Metropole von Toskana war ganz unauffällig. Mit der Verwaltung dieser Region wurde im Jahr 1245 der uneheliche Sohn Kaisers Friedrich II., Friedrich von Antiochia, der mit einer schönen Frau aus Florenz verheiratet war, beauftragt. Dieser charmante und regierungsfähige Kunstliebhaber wählte die Geburtsstadt seiner Gattin zu seiner Residenz und – was für weitere Entwicklung der Stadt wichtig war – er vertrieb die Guelfen, als die Papstpartei, im Jahre 1248 aus der Stadt. Es wurden die Türme der Paläste der Guelfen niedergerissen und die Stadt wurde streng ghibellinisch, was sich als Segen für die kulturelle Entwicklung der Stadt herausstellen sollte.   

               Gerade in dieser Zeit sollte die Stadt der Welt die größten Schriftsteller ihrer Zeit, Dante Alighieri und Giovanni Boccacio, aber auch die Künstler der darstellenden Kunst wie Giotto, der in Florenz geboren und in dieser Stadt die letzten Jahre seines Lebens verbrachte, schenken. Die Ausnahme ist nur Francesco Petrarca, der dritte der größten Schriftsteller der entstehenden Renaissance. Seine Eltern stammten zwar aus Florenz, aber als Anhänger der Papstpartei mussten sie die Stadt in der Regierungszeit von Friedrich von Antiochia verlassen. Francesco kam also in Arezzo zur Welt, er studierte in Bologna, lebte in Avignon und starb letztendlich nahe Padova. In Florenz hatte er nur seine Wurzel.

               Dante hatte die besten Voraussetzungen eine große politische Karriere in seiner Geburtsstadt zu machen. Er stammte aus einer bedeutenden florentinischen Familie, er wurde in die Familie Donati verheiratet, einer der wichtigsten Familien in der Stadt. Er zeichnete sich in zwei Schlachten, die Florenz gegen ihre Nachbarn führte, aus. Zuerst in der Schlacht bei Campaldina im Jahr 1289 gegen Arezzo und dann im Kampf um die Festung Caprone gegen Pisa. Dante stieg in das „Consiglio de Podesta“ auf, also in das Beratungsgremium des Bürgermeisters. Dann traf er seine Beatrice (obwohl er verheiratet war), verliebte sich in sie und wurde zum Dichter. Seine Sonettensammlung „La vita nuova“ aus dem Jahr 1296 gilt als Geburtsstunde der Renaissanceliteratur. Schon deshalb, da Dante es wagte, im florentinischen Dialekt zu dichten, die offizielle Sprache der Literatur war damals natürlich Latein. Latein war aber die Sprache der Kirche und Dante stellte ins Zentrum seines Interesses einen Menschen (eine Frau), die Liebe zu ihr und die Bewunderung eines Menschenwesens. Der Grundstein zum Humanismus wurde damit gelegt und entfernte aus der Mauer des mittelalterlichen Denkens, in dem das Leben auf der Erde nur ein Marsch durch einen Tränental sein sollte mit Belohnung im Jenseits, den ersten Stein. Infolge der Untergrabung dieser Weltansicht sollte diese Mauer bald einstürzen.

Aber gerade für Dante sollte das Leben zum Tränental werden. Als er im Jahr 1302 in Rom als Anführer einer Gesandtschaft der Stadt weilte, fand in seiner Abwesenheit in der Stadt ein Staatsstreich statt. Die Partei der Guelfen gelang an die Macht und für Dante gab es keine Rückkehr mehr. Er wurde zu einer Gefängnisstrafe und zum Besitzverlust verurteilt und als er sich weigerte, in die Stadt zurückzukehren, zusätzlich zum Tode durch Verbrennung. Die Strafe betraf auch seine Söhne, nicht aber seine Frau, die in die Stadt zurückkehren und sogar den Besitz, den sie in die Ehe als Mitgift brachte, retten durfte. Dante wurde zum Anführer der Opposition, die sich in Emigration befand. Wir finden ihn beim Heer der Emigranten in Moltepulciano, das allerdings beim Versuch, die Verhältnisse in Florenz zu ändern, im Jahr 1304 scheiterte. Wir finden ihn auch an der Seite Kaisers Heinrich VII. bei seinem eher erbärmlichen Versuch im Jahr 1312, die widerspenstige Stadt einzunehmen. Dann verschwand Dante vom Bildschirm des damaligen politischen Lebens, dafür begann er mit dem Schreiben seines wichtigsten Werkes, das auch heute zu den größten Werken der Weltliteratur gezählt wird – mit der „Göttlicher Komödie“. Im Exil wechselte er seine Aufenthaltsorte, nach Verona ließ er sich in Ravenna nieder, da der örtliche Herrscher Guido da Polenta sein großer Verehrer war. In seinem Auftrag fuhr Dante im Jahr 1321 als Gesandter nach Venedig, steckte sich dort mit einer fieberhaften Erkrankung an und nach der Rückkehr nach Ravenna fand sein erschöpfter Körper nicht mehr genug Kräfte, sich der Krankheit zu erwehren. Er starb am 13. September 1321 im Alter von sechsundfünfzig Jahre. Florenz bekannte sich zu spät zu seinem berühmtesten Landsmann. Vergeblich wurde ihm in der Kirche „Santa Croce“ ein prächtiges Grabmal gebaut, dieses ist bis heute leer. Ravenna weigerte sich, den Leichnam des Vaters der italienischen Sprache auszuliefern. Er ruht in Ravenna, nur das Öl, das an seinem Grab brennt, darf seine Geburtsstadt Florenz, die ihn so schändlich behandelte, liefern.

               Auf Hochmut folgt Fall. Seit Mitte des vierzehnten Jahrhunderts erlitt Florenz einige vernichtende Schläge. Zuerst war das die Pest im Jahr 1348, die die Hälfte der Bevölkerung ausrottete – dafür aber Boccacios „Decameron“ entstehen ließ. Danach gingen die Bankhäuser Bardi und Cerchi in Konkurs und rissen eine Reihe kleineren Banken mit sich ins Verderben. Ihre größten Schuldner, der französische und englische König, verzettelten sich nämlich in den hundertjährigen Krieg und waren nicht imstande, weder die Kredite, noch zumindest die Zinsen, zu zahlen. Im Jahr 1378 kam es dann zum Aufstand der Arbeiter der Textilerzeugung der Stadt, die inzwischen neben dem Bankwesen die wichtigste Rolle spielte. Der Aufstand der „Ciompi“ erschütterte die Struktur der Stadt und ihre Verfassung, die noch aus dem Jahr 1255 stammte und auf die die Florentiner so stolz waren. Es dauerte lange vier Jahre, bis es gelang, die rebellierende Menschenmenge auf der Straße zu besiegen und mehr oder weniger wieder Ordnung in der Stadt herzustellen.

               Dass sich die Stadt von diesen tödlichen Schlägen im Gegensatz zu ihren Konkurrenten erholen und einen neuen und noch größeren Ruhm erreichen konnte, war Verdienst einer Familie. Bereits in der Zeit des „Ciompi“ Aufstandes  zog ein gewisser Salvestro Medici im Hintergrund die Fäden, sein Sohn Giovanni begründete dann den Ruhm seiner Familie als ein beliebter Anwalt der Armen und natürlich auch als ein erfolgreicher Bankier, der den von der traditionellen Bankenfamilien geräumten Raum einnahm. Aber darüber das nächste Mal.   

Pisa

               „Piazza dei Miraculi“, bedeutet „Platz der Wunder“. Wenn sich eine Stadt erlaubt, seinen Hauptplatz so zu benennen, fehlt es ihr sicher nicht am Selbstbewusstsein. Im Fall der Stadt Pisa ist dieses Selbstbewusstseins aber auch begründet. Ihr Platz mit der Kathedrale, dem Baptisterium und dem schiefen Turm gehört zu den bekanntesten, aber auch zu den schönsten, der Welt. Manchmal wird es auch „Campo dei Miraculi“ also Feld der Wunder genannt, dass ändert aber nichts an der oben genannten Tatsache.

               Als ich Pisa das erste Mal in meinem Leben besuchte, es war im Jahr 1993 – noch mit dem Auto Marke Skoda 120, gab es kein GPS und ich irrte machtlos im Gewirr der engen Gassen und suchte ein Plätzchen, wo ich das Auto für einen kurzen Augenblick abstellen durfte um in den Stadtplan einen Blick zu werfen. Ich fand endlich so einen Platz, hielt an, aber noch bevor ich überhaupt den Stadtplan in die Hand nehmen konnte, stand neben meinem Auto ein italienischer Polizist und klopfte an mein Fenster. Als ich es aufmachte, voll Angst, dass ich irgendwo parke, wo das strengst verboten war, fragte er mich kurz: “Torre?“ und zeigte mit den Händen eine schiefe Ebene.           

               Ich nickte. „Torre.“ So erfuhr ich, dass ein Turm auf Italienisch „Torre“ hieß, über die Geste des Polizisten gab es keinen Zweifel. Er zeigte auf eine Ausfahrt aus dem Platz und sagte: „Questa direttione.“

               Obwohl ich damals noch kein Wort italienisch verstand, war mir alles sofort klar und bald parkte ich in der Sichtweite des Wahrzeichens von Pisa ein. Der Polizist wusste, was los war. Was sonst hätte ein Exot in einem merkwürdigen Auto in Pisa gesucht?

               Heute scheint es unglaublich zu sein, dass dieser berühmte Platz direkt am Meer stand, genauer an der Mündung des Flusses Arno ins Meer. Heute trennt es zehn Kilometer Pisa vom Meer, so viel Boden konnte in der relativ kurzen Zeit von tausend Jahren der Fluss Arno anschwemmen. Gerade diese Anschwemmungen waren der Grund für den Untergang der stolzen Stadt, die im Frühmittelalter eine echte Großmacht war, viel wichtiger und mächtiger als das damals noch bedeutungslose Florenz. Pisa war eigentlich einer der vier wichtigsten „Meeresrepubliken“ (Pisa, Genua, Venedig und Amalfi). Neben dem Hinterland in der Toskana gehörten ihr auch die Inseln im Tyrrhenischen Meer, seit Anfang 11. Jahrhundert Korsika und seit 1052 auch Sardinien. Der Hauptgegner waren die Sarazenen, also Araber, die 1004 Pisa sogar einmal überfallen und geplündert haben. Sie sollten es lieber nicht tun, die verärgerten Pisaner waren ihnen dann eine Nummer zu groß. Die Stadt ging in eine Gegenoffensive über und vertrieb die Araber aus „ihrem“ Meer.

               Gerade in dieser Zeit der Blüte und des Reichtums begann die „Piazza dei Miraculi“ zu entstehen. Der Grundstein für die Kathedrale wurde im Jahr 1063 gelegt und im Jahr 1174 wurde sie geweiht. Der Bau des Baptisteriums wurde im Jahr 1152 gestartet und die Campanile, also der Turm, der Pisa weltweit berühmt machen sollte, folgte im Jahr 1173. Es gibt hier noch den „Campo Santo“, also „Das heilige Feld“.

Das entstand dadurch, dass die Kreuzfahrer (genauer gesagt der Erzbischof Ubaldo Lanfranchi, der an dem verbrecherischen vierten Kreuzzug, der mit Eroberung von Konstantinopel und Vernichtung von Byzanz endete, teilgenommen hat) hierher Erde aus Jerusalem, (angeblich direkt vom Berg Golgota) gebracht haben, um hier in der heiligen Erde die bedeutendsten Bürger der Stadt Pisa begraben zu können. Die Erde schafft es angeblich binnen einigen Tagen den Leichnam in ein kahles Skelet umzuwandeln, also bin ich mir nicht sicher, welchen Stoff hier die Kreuzritter beigemischt haben. Der Friedhof ist überraschend monumental mit einer Kirche mit vergoldeter Kuppel in der Front und hohen Bögen auf den Seiten, die sich anscheinend nicht entscheiden können, ob sie sich noch im Stil der Gotik oder schon der Renaissance präsentieren möchten. Natürlich findet man in den Kolonnaden auch viele Statuen berühmter Persönlichkeiten und Sarkophage aus römischen Zeiten.           

               Aber zurück zur Kathedrale.

Der Architekt Buschetto mischte den frühchristlichen Stil mit Byzantinischem, Lombardischem und Arabischem, ergänzte das alles mit einigen antiken Elementen und es entstand ein neuer spezifischer Stil, so genannter pisanischer romanischer Stil, nach dem man dann nicht nur in der gesamten Toskana, sondern auch auf Sardinien, Kirchen baute. Imposant wirkt der Wechsel des dunkelgrünen und sahneweißen Marmors, das gefiel den Italiener so lange, dass in diesem Stil noch am Ende neunzehnten Jahrhunderts der Architekt Maccicini sein „Cimitero monumentale“ in Mailand baute. Es ist nämlich wirklich schön. Was der Kathedrale von Pisa ihre Eigenartigkeit gibt, sind vier Säulengallerien in der Fassade, es geht um eine wirklich beeindruckende Schöpfung, wenn wir bedenken, dass bei uns im Mitteleuropa damals gerade erste Rotunden gebaut wurden, nicht zu groß, damit sie nicht einstürzten. Bronzetüre aus der gleichen Zeit findet man im Querschiff der Kathedrale, in der Hauptfassade gibt es eine Tür aus dem sechzehnten Jahrhundert, weil die ursprüngliche holzende bei einem Feuer verloren gegangen ist. Dieses Feuer ist auch der Grund, warum die Kirche in ihrem Inneren überwiegend im Renaissancestil inklusiv einer prächtigen vergoldeten Kassettendecke ausgestattet ist. Es stört nicht, der romanische Stil verträgt sich mit der Renaissance sehr gut. Fünf Schiffe sind dann halt fünf Schiffe, das verleiht jeder Kirche ihr imposantes Aussehen, die Schiffe sind durch antike Säulen voneinander getrennt, die Seeleute von Pisa als Kriegsbeute in die Stadt brachten. Übrigens, die Bögen zwischen den Säulen können sich wieder einmal nicht entscheiden, ob sie romanisch oder arabisch aussehen möchten, es ist etwas dazwischen  und  damit wieder einmal einfach pisanisch. Was mit dem Rest der Kirche nicht übereinstimmt, ist die Kanzel. Es ist eine wunderschöne Kanzel mit beinahe filigranen Reliefs aus dem alten und neuen Testament, stehend auf den Säulen aus Porphyr – aber gotisch. Sie passt einfach in die wunderschöne romanische Kirche nicht wirklich, aber ich war gern bereit, es ihr zu verzeihen.

               Das Baptisterium steht getrennt vor dem Hauptportal und es ist ein ganz anderes Kapitel.

Mit dem Bau wurde bereits im Jahr 1152 begonnen, der Bau musste aber aus finanziellen Gründen unterbrochen werden. Heute kann man „Gott sei dank“ sagen. Die Tatsache machte es nämlich möglich, dass die Fortsetzung des Baus im Jahr 1260 Nicolo Pisano übernehmen konnte, einer der größten Künstler der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts, ein Schüler der „Scuola nuova siciliana“ und damit ein Vorläufer der Renaissance. Neben dem Projekt des Baptisteriums, das mit einer Statue des heiligen Johannes des Täufers auf seiner Kuppel im Jahr 1395 finalisiert wurde, schuf Nicolo Pisano auch die Kanzel. Mit Reliefs mit den Bildern aus dem Leben Christi. Mit einem Adler, auf dessen Flügeln sich das Lesepult für den Priester befindet. Gleich wie in der Kathedrale. Es dauerte ein bisschen, bis ich entdeckt habe, dass der Adler das Wappentier der Stadt war.                      Das Wahrzeichen der Stadt ist aber der „Torre“ also der Turm – Glockenturm, Campanile, wie man ihn nennen möchte. Ein absolut eigenartiger Glockenturm, weil er schief ist. Das Problem war die unzureichende Inspektion des Unterbodens an der Stelle, wo Pisaner den Turm bauen wollten. Wie ich schon sagte, die Stadt stand am Ufer des Flusses Arno, auf seinen Sandanschwemmungen. Schon während des Baus begann sich der Turm auf dem instabilen Boden zur Seite zu neigen, die Pisaner bekamen ein bisschen Angst und sie brachen den Bau im Jahr 1185 ab. Dann aber gewann doch der Stolz, sie passten die Achse des Turmes an und beendeten den Bau.          

Der Turm neigte sich aber weiter und im zwanzigsten Jahrhundert drohte bereits der Einsturz, man durfte also EINIGE Jahrzehnte den Turm nicht besteigen. Die Rettung des Turmes war eine schwere Arbeit. Er bekam zuerst eine Art Sicherheitsgurt und auf der nördlichen Seite wurden sieben Kubikmeter des Bodens entfernt. Es gelang den Turm um 43 cm aufzurichten und so die Neigung zu erreichen, die der Turmachse aus der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts entsprach. Man darf also den Turm wieder besteigen. Es führen drei hundert Stufen hinauf, der Aufstieg ist aber lediglich für schwindelfreie Personen geeignet. Es ist nämlich ein eigenartiges Gefühl, wen man auf der nördlichen Seite des Turmes steht und der Boden unter den Füßen weg ins NICHTS läuft. Der Turm ist auf der nördlichen Seite 56,6 Meter hoch, auf der südlichen Seite aber nur 54,25 Meter. Es ist ein unwiederholbares Erlebnis, besonders abends. Ein Blick auf Pisa von oben, wenn man sich schon an die ungewöhnliche Situation mit der abfallenden Plattform gewöhnt hat, ist wunderschön. Obwohl die Medici, nachdem sie Pisa erobert und ihrem florentinischen Imperium angeschlossen hatten, ein Großteil der Altstadt niedergerissen und durch neue Boulevards ersetzt haben. „Piazza die Miraculi“ bleibt das Symbol des ehemaligen Ruhms und Reichtums des alten Pisas.

               Nichts dauert aber ewig, nicht einmal der Wohlstand der Stadt Pisa. Das Meer entfernte sich von der Stadt mehr und mehr, die Hegemonie über die Meere musste die Stadt an Genua abgeben. Genua vertrieb Pisa aus Korsika (Sardinien mussten sich diese beiden Mächte ohnehin von Anfang an teilen). Eine echte Tragödie war für die Stadt das Aussterben des Stammes der Hohenstaufen auf dem kaiserlichen Thron. Pisa war, in Gegenteil zu seinen ewigen Rivalen Florenz und Lucca, immer fest auf der Seite der Ghibellinnen, also auf der Seite des Kaisers. Nach dem Jahr 1268, als der letzte Staufer Konradin hingerichtet wurde, wurde die Lage der Stadt immer bedenklicher und im Jahr 1284 erlitt Pisa eine vernichtende Niederlage in der Seeschlacht bei Meloria gegen Genua. Die Zahl der gefangenen Pisaner war so riesig, dass ein Spruch aus dieser Zeit sagte, wenn man einen lebenden Pisaner sehen möchte, muss man nach Genua fahren. Anschließend verfiel die Stadt in einen Bürgerkrieg und der ganze Ruhm war dahin. Auf dem Festland wurde Florenz stärker und stärker und nach langen Kämpfen mit wechselhaften Ergebnissen gliederte es Pisa im Jahr 1406 definitiv in sein toskanisches Imperium ein. An diesen bösen Moment erinnert der Löwe auf den Mauern der „Piazza die Miraculi“ – es handelt sich um einen florentinischen Löwen, den die Eroberer auf den Mauern bauen ließen und die Bürger von Pisa mussten dem verhassten Symbol den Hintern küssen. Der Löwe hat den Adler besiegt.     

               Außer der „Piazza dei Miraculi“ gibt es in Pisa nicht so viel zu sehen, aber wenn man sucht, dann findet man auch. Suchen bedeutet aber „suchen“ im wahren Sinne des Wortes. Pisa steht in der Ebene und im Gewirr der Gassen ist die Orientierung nicht gerade einfach. Das wirkliche Stadtzentrum war die „Piazza dei Cavallieri“. Hier stehen zwei (eigentlich drei) interessante Gebäude. Im älteren „Palazzo dell´Orologio“ mit dem Uhrturm wurde Herzog Ugolino delle Gherrardesca im Jahre 1288 mit seinen Söhnen und Enkelsöhnen durch Hunger zum Tode gequält, da ihm die Pisaner die Schuld für die katastrophale Niederlage bei Melorie, die ihre Übermacht am See beendet hat, zugeschrieben haben.

Das schönste Gebäude ist der „Palazzo dei Cavallieri“, ein monumentales Gebäude im Stil der Renaissance, gebaut von Giorgio Vasari mit wunderschönen Sgraffiti auf der Fassade. Das dritte Gebäude ist die Kirche „Chieza di Santo Stefano dei Cavallieri“, die ebenfalls ein Werk von Vasari ist. Die Kirche und der Palast waren der Sitz des Ordens des heiligen Stephans, der von Cosimo I. Medici gegründet wurde, als dieser zum Großherzog von Toskana aufstieg.

               Es gibt in Pisa wie in jeder italienischen Stadt mehr als genug Kirchen. Eine davon ist aber Pflichtprogramm, ein herrliches Kirchlein am Ufer des Arnos „Santa Maria dell Spina“. Es ist winzig klein, aber wunderschön. Eine Hochgotik mit vielen Türmchen und Fassadenschmuck, trotzdem gibt es hier zumindest auf den Bögen über der Tür (Türen gibt es hier zwei, obwohl immer nur ein geöffnet wird) die typische pisanische Kombination des dunkelgrünen und sahnenweißen Marmors – die Bögen sind natürlich im romanischen Stil. Wie sonst in Pisa? Den Namen hat das Kirchlein von einem Dorn der Dornkrone Christi erhalten, der hier als heilige Reliquie aufbewahrt wird.

               Natürlich, wenn man Zeit und Lust hat, darf man durch die Gässchen der Altstadt bummeln. Die einmal reiche und große Stadt schrumpfte im siebzehnten Jahrhundert auf knappe 3000 Einwohner. Aus der berühmten Epoche ist hier noch die Kirche der heiligen Katharina, der „Palazzo dei Medici“, das Kloster der Benediktiner „San Matteo“, wo heute das Nationalmuseum mit den Bildern und Statuen lokaler Künstler untergebracht ist – das wertvollste Stück ist der Reliquienschrein des heiligen Lussorius von Donatello.  

               Also wie überall in Italien ist auch in Pisa viel zu sehen, aber  der „piú bella piazza del mondo“ also dem schönste Platz der Welt, kann nichts in der Stadt das Wasser reichen.

               Wunder sind einfach Wunder und die sind nicht wiederholbar.

Siena

Siena ist die kleinere Schwerster von Florenz, weniger bekannt, aber gleich schön. Allerdings einfache anders schön. Wenn sich Florenz der Schönheit des Interieurs ihrer Museen rühmen kann, die Stärke von Siena liegt im Exterieur. 

               Schon wenn man  aus dem Bus am Busbahnhof aussteigt (der Eisenbahnbahnhof ist vom Stadtzentrum beinahe zwei Kilometer entfernt), ragt die Stadt vor dem Besucher auf einem Hügel empor, was ihren Gebäuden einen imposanten Eindruck verleiht. Auf dem höchsten Punkt des Hügels erhebt sich der Dom gegen den Himmel. Wäre in die Stadt nicht im Jahr 1347 die Pest gekommen, würde er sich noch viel höher erheben. Aber darüber später. Auf Florenz muss man von irgendwo bei der Festung Belvedere von oben schauen, weil es sich in der Ebene um den Fluss Arno duckt, Siena ragt stolz auf einem der toskanischen Hügel (eigentlich auf drei) empor – und es hat dazu auch einen guten Grund. 

               Laut einer Legende wurde Saena Julia, wie die Stadt in den römischen Zeiten hieß, von  Söhnen des Gründers von Rom Remus namens Aschius und Senius gegründet, als sie hier vor ihrem Onkel Romulus Zuflucht suchten. In den antiken und frühmittelalterlichen Zeiten war Siena ein bedeutungsloses Plätzchen, bis das Einkommen aus den Silberminen in Montieri der Stadt nach dem Jahr 1137 Reichtum brachten und gegen Ende des 12.Jahrhunderts war sie bereits eine der bedeutendsten Stadtrepubliken Italiens. Was logischerweise zu Streitereien mit dem mächtigen Nachbarn Florenz führte. Im Jahr 1260 konnten die Sienesen die Florentiner in der Schlacht bei Montapetri noch schlagen, neun Jahre später erlitt die Stadt aber eine vernichtende Niederlage bei Colle Val d´Elsa und dadurch verlor sie die Dominanz in der Toskana.        

               Trotzdem blieb die Stadt sehr reich und wollte diese Tatsache auch gehörig publik machen. Obwohl sich auf dem höchsten Platz der Stadt eine Kathedrale – Duomo erhob, wollten die Bürgen von Siena die größte Kirche der Welt bauen und im Jahr 1339 begannen sie mit ihrem Bau. In den neuen „Duomo“ sollte die alte Kathedrale lediglich als ein Querschiff eingebaut werden. Aber Hochmut kommt vor dem Falle. Im Jahr 1348 schlug das Schicksal erbarmungslos zu, in die Stadt kam der schwarze Tod, der 60 Prozent der Bevölkerung auslöschte. Von diesem Schlag erholte sich die Stadt nie mehr. Das Geld ging aus und kam nie wieder, aus dem Projekt der neuen Kathedrale blieben nur die unvollendeten Bögen, die großteils abgerissen werden mussten. Die Mauerreste des geplanten megalomanischen Projektes, die noch heute dem Besucher den Atem rauben, kann man auf dem Weg von der „Piazza Il Campo“ zur „Piazza del Duomo“ sehen.  Nämlich auch die Kathedrale, die den Sienesen zu klein vorgekommen ist, ist erstaunlich. Sie wurde im Jahr 1264 vollendet, nur der Chor wurde über das Baptisterium im Jahr 1317 verlängert.

Duomo di Siena

Die Fassade aus dem roten, schwarzen und weißen Marmor wirkt wie Filigran und ist unglaublich schön. Sich auf eine Steinbank bei der Mauer „Ospedale di Santa Maria della Scala“ niederzusetzen und einen Blick auf die Fassade der Kirche zu genießen ist der beste Moment für ein bisschen Entspannung und eventuell auch für eine kleine Jause. Es gibt nie genug von diesem Blick. Man kann die Details der Fassade bewundern, inklusiv einer großartigen Rosette mit dem Bild des letzten Abendmahls umrahmt von 36 Büsten der Evangelisten, der Kirchenväter und der Propheten. Ein Blick in das Innere der Kirche ist vor allem teuer, bereits vor zwölf Jahren hat der Eintritt 8 Euro gekostet und die Inflation hat sicher inzwischen zugeschlagen. Das Innere der Kirche kann der Schönheit der Fassade nicht das Wasser reichen, obwohl es sich darum bemüht. Aber die Bilder auf dem Marmorboden sind meistens mit Teppichen bedeckt, nur in den Feiertagen und zwischen 15. August und 15. September werden die Teppiche entfernt und dann zahlt sich der Besuch der Kathedrale aus – wir waren hier im Juli. Die Kanzel aus dem weißen Marmor, die in den Jahren 1266 – 1268 geschaffen worden ist, stammt von Nicolo Pisano, einem Künstler, der unter anderem auch das Baptisterium in Pisa und die Fontäne in Perugia geschaffen hat und als Schüler der „Scuola nova Siciliana“, die Kaiser Friedrich II. gegründet hatte, für den ersten Künstler der gerade entstehenden Renaissance galt. Er war ein Flüchtling, der vor der Willkür des neuen Herrschers Karl von Anjou aus dem Sizilianischen Königsreich floh und logischerweise das Asyl in einer Stadt suchte, die streng ghibellinisch, also der kaiserlichen Partei treu war. Der Altar stammt aus dem sechzehnten Jahrhundert und im Mittelschiff kann man 172 Büsten aus Keramik und 36 Medaillons mit den Portraits der Päpste bewundern.

               Das wahre Zentrum und der Stolz der Stadt ist die „Piazza Il Campo“, ein Platz in der Form einer Jakobsmuschel, angeblich „der schönste Platz auf der Welt“ – da haben wir wieder einmal das italienische „Piú“, mit dem man sich in diesem Land einfach abfinden muss.

Der Platz  verdankt seine ungewöhnliche Form der Tatsache, dass gerade hier alle drei Hügel, auf denen Siena steht, zusammenlaufen. Auch hier zahlt sich aus, sich in einem der zahlreichen Bars für einen Espresso niederzusetzen und das Flair des Platzes zu genießen. Weil „Il Campo“ hat es in sich. Hier findet jedes Jahr die größte Attraktion der Stadt „Palio di Siena“ statt. Es ist ein Pferderennen, bei dem Stadtviertel (so genannte Contradas) mit je einem Teilnehmer vertreten sind. Da es aber in der Stadt 17 Contradas gibt und nur zehn Pferde am Rennen teilnehmen dürfen (mehr würde wirklich nicht hineinpassen), muss über die Teilnehmer ein Los entscheiden. Das Rennen findet immer am 2. Juli und am 16. August statt und der Stadtteil, der gewonnen hat, darf sich das ganze nächste Jahr mit seinen Flaggen schmücken, die aus den Fenstern hängen. „Palio“ ist eine großartige ganztägige Veranstaltung mit Umzügen in historischen Kostümen und mit einem Wettbewerb der Fahnenträger. Jede Contrada stellt sich mit eigenen Flaggen vor und auch mit einem Flaggenwagen (caroccio), der von Ochsen gezogen wird. Das Rennen selbst besteht aus drei Runden um den Platz und dauert nur ungefähr 90 Sekunden, es ist aber eine mörderische Fahrt auf einem aus Backsteinen gelegten glatten Boden, der nur mit Streu bedeckt ist. Der Platz, wie ich bereits erwähnt habe, ist keine gerade Fläche, also das Rennen geht bergauf und bergab und es mangelt nicht an Stürzen. Dazu sind eigentlich alle Arten, den Gegner zu besiegen, erlaubt, was das Rennen noch gefährlicher macht. Der Sieger ist dann das ganze Jahr der wahre Held der Stadt und vor allem des Stadtviertels, für das er ins Rennen gegangen war. Dieses Viertel hat dann die Ehre, das „Palio“ein prächtig geschmücktes Tuch bis zum nächsten Rennen aufzubewahren.

               Im Grunde genommen hat Siena keine Stadtviertel, sondern Stadtdrittel (Terzi), „Terzo di Citta“ mit dem „Duomo“, „Terzo di Camollia“ im Norden und „Terzo di San Martino“ im Osten der Stadt. „Il Campo“ selbst ist in neun Segmente geteilt, was die berühmteste Epoche der Stadtgeschichte, als der so genannte „Rat der Neun“, die Macht in den Jahren 1287 – 1355 in der Stadt innenhatte, symbolisieren sollte. Weil aber in dieser Zeit die Regierung bereits guelfisch war, mischte sich in die Stadtangelegenheiten Kaiser Karl IV. auf seiner Durchreise nach Rom zur Kaiserkrönung. Er unterstütze in der ungehorsamen Stadt eine Revolte der Adeligen, die sich mit dem Pöbel verbanden, um den „Rat der Neun“ zu stürzen. Das gelang, es hat sich aus den niedrigsten Schichten der Gesellschaft ein „Rat der Zwölf“ konstituiert, es begann die Zeit der Bürgerkriege, Umstürze und Machtkämpfe und die Epoche der Stadtblüte ging damit zu Ende. An die berühmte Periode der „Regierung der Neun“ erinnern die schönsten Gebäude in der Stadt, die gerade in dieser Wohlstandzeit entstanden sind. Neben dem bereits erwähnten „Duomo“ ist das „Palazzo publico“ auf dem niedrigsten Punkt der „Piazza Il Campo“ mit einem 102 Meter hohem Turm „Torre della Mangia“. Im „Palazzo publico“ gibt es heute das Rathaus und das „Museo Civico“ – dieses befindet sich im Obergeschoß in den mit wunderschönen Fresken geschmückten Räumen, der schönste Raum ist die „Sala del Mappamondo“ mit dem Fresko, das den Condottiere Guidarriccia da Fogliano darstellt, der das Heer von Siena seit dem Jahr 1327 anführte und zu zahlreichen Siegen führte.

Unbedingt muss man die Kapelle mit den Fresken aus dem Leben der heiligen Jungfrau Maria besuchen. Siena besitzt – wie jede italienische Stadt – auch eine Pinakothek mit Bilder berühmter Meister. Eigentlich sogar zwei, eine davon „Museo dell´Opera Metropolitana“ befindet sich im Seitenschiff der geplanten Kathedrale, die es nicht gelang fertigzubauen und hier findet man die berühmte „Maesta“ von Duccio di Buonisegna, eigentlich ein Altar, der für den neue nicht vollendete „Duomo“ bestimmt war. Wenn man dann bergab geht, findet man die „Pinacoteca Nazionale“ mit Bilder der Meister aus dem 12. bis 16. Jahrhundert. Wer also die bildnerische Kunst der Gotik und Frührenaissance liebt, kommt hier auf seine Kosten.

               Nach dem Fall des „Rates der Neun“ kam ein allmählicher Untergang von Siena, der in eine Eingliederung der Stadt ins Großherzogtum von Toskana im Jahr 1559 mündete, als sich die Stadt endgültig vor ihrem Rivalen Florenz und vor seiner Herrschaftsfamilie Medici beugen musste. Die Medicis bauten – für alle Fälle – eine eigene Festung „Forte di Santa Barbara“. Diese  befindet sich auf der Gegenseite des „Stadio communale“. Nach den Medici kam 1737 Franz von Lothringen mit Maria Theresia und die Habsburger, die dann im Jahr 1859 nach der Niederlage bei Solferino die Stadt mit der gesamten Toskana an das neu gegründete Königreich Italien abgeben mussten.

               Ein berühmter Bürger von Siena sollte nicht vergessen werden, schon deshalb, weil er eine direkte Beziehung zu österreichischer Geschichte hatte. Nahe Siena wurde Aeneas Silvius Piccolomini geboren, der spätere Papst Pius II. An diese Tatsache erinnert der „Palazzo Piccolo delle Papese“, den er für seine Schwester im Jahr 1460 bauen ließ. Außerdem findet man in der Stadt den „Palazzo Piccolomini“, den sich die Neffen des Papstes Giacomo und Andrea bauen ließen. Dieser geniale Humanist war Sekretär des Kaisers Friedrich III und schrieb die „Historia bohemica“, also tschechische Geschichte. Gerade in Sena wurde dem Kaiser seine zukünftige Gattin, die portugiesische Prinzessin Eleonore vorgestellt. Wer sonst, als Aeneas Silvius durfte sie dem Kaiser vorstellen? Es wurde zwar ursprünglich ein schlesischer Herzog für diese Aufgabe ausgewählt, aber weil er „im Trinken mächtiger als im Worte war“ – Zitat Aeneas Silvius, musste diese Funktion der gebildete Sekretär übernehmen. Es war nicht leicht, der Kaiser war ein hartnäckige Junggeselle und in seinen 37 Jahren immer noch jungfräulich. Die Braut war fünfzehn Jahre alt und sie war angeblich so schön, dass der Kaiser todblass und beinahe bewusstlos wurde und seine Begleitung sich ernste Sorgen um seine Gesundheit machte. Alles ging sich letztendlich gut aus, nach vielen Ausreden und Verschiebungen wurde die Ehe in Neapel endlich vollzogen und aus ihr entstand der Kaiser Maximilian I. – der letzte Ritter, seinem Vater nicht ein bisschen ähnlich. Aeneas Silvius wurde dann zum „heidnischsten aller Päpste“ Pius II.  

PIUS II (Aeneas Sylvius Piccolomini)

Die Orientierung in Siena ist keine einfache Sache. Enge Gassen laufen bergauf und bergab, eine Übersicht, wo man sich gerade befindet, ist schwer zu gewinnen. Es ist aber unbedingt notwendig die „Casa di Santa Caterina“ besuchen. Sie liegt logischerweise in der „Via San Catarina“ – aber finden Sie sie, bitte!

Heilige Katharina von Siena wurde dadurch berühmt, dass sie im Jahr 1377 Papst Gregor XI. zur Rückkehr aus Avignon nach Rom überredete. Nach mehr als siebzig Jahren, in denen der Papst seinen Wohnsitz in Avignon hatte, mehr oder weniger als Geisel und Vollstrecker des Willens des französischen Königs, sollte das Oberhaupt des Christentums wieder nach Rom zurückkehren und die Angelegenheiten des Christentums nach eigenen Vorstellungen leiten. Der französische König war alt und lag im Sterben, sein Sohn war noch ein Kind und dazu auch ein Narr und beide hatten mehr als Genug Probleme mit den Engländern, die sie im hundertjährigen Krieg vor sich hertrieben und die französischen Herrscher konnten sich also um den Priester in Avignon gar nicht kümmern. Gregor stimmte also der Prophezeiung der Mystikerin Katharina zu. Die Entscheidung hatte fatale Folgen. Der Papst starb bald nach der Rückkehr nach Rom und bei der nächsten Wahl kam es zum Schisma, als ein Teil der Kardinäle einen geisterkranken Urban VI. zum Papst wählten. Ein anderer Teil reagierte mit der Wahl von Klemens VII., der nicht um viel besser als sein römischer Gegner war – von seinem Charakter zeugt am besten sein Spitzname „Der Henker von Cesena“, den er sich durch ein Massaker, das seine Soldaten nach Eroberung der Stadt Cesena verbrochen haben, verdient hatte. Urban blieb in Rom und ertränkte seine Kardinäle in Säcken, die er ins Meer werfen ließ, Klemens zog sich nach Avignon zurück und das Malheur war da. Das Problem musste Kaiser Sigismund auf dem Konzil von Konstanz lösen – die Päpste vermehrten sich inzwischen übrigens auf drei Stücke. Dem Ruhm der heiligen Katharina schadete dieses ganze Malheur keinesfalls und sie wurde zu Namensgeberin aller unseren Katharinas. Also gut, nicht aller, es gibt  noch Katharina von Alexandrien, Katharina von Bologna, Katharina von Genua und sogar auch Katharina von Schweden und es gibt noch einige weitere Katharinas, Cataline oder sogar Kateri – das war aber eine kanadische Indianerin. Dem Ruhm der Katharina von Siena kann höchstens die Katharina von Alexandrien das Wasser reichen. Das Geburtshaus von Katharina von Siena ist ein Museum, zu dem drei Jahre nach ihrer Heiligsprechung ein Oratorium mit Fresken aus dem Leben der Heiligen zugebaut wurde Das Geburtshaus selbst ist unauffällig, übrigens Katharina war das 25.!!! Kind des Stofffärbers Benincaso, in dem Häuschen musste es für die Kinder ziemlich eng sein. Allerdings nicht einmal mit der Heiligsprechung war Katharinas Karriere zu Ende. Im Jahr 1939 wurde sie zur Patronin Italiens, im Jahre 1970 zur Lehrerin der Kirche und 1999 sogar zur Patronin Europas ernannt (hinter dieser Tat stand natürlich Johann Paul II., für den solche Taten das größte Hobby waren.)

Die heilige Reliquie der körperlichen Überreste der heiligen Katharina befindet sich in einer herrlichen Kirche San Domenico, die wie eine Burg direkt über den Busbahnhof emporragt.

Die heilige Katharina ist hier auf dem Hauptaltar dargestellt, Siena ehrt seine Heilige. Wir erlebten im heiligen Dominikus einen wundervollen Moment, als hier ein Chor ungarischer Kinder sang. Es war ein spontaner Gesang der Gruppe, die Kirche hat eine so wunderbare Akustik, dass wir durch den Gesang wortwörtlich betäubt stehen geblieben sind, wir standen nach seinem Ende noch lange bewegungslos in der Hoffnung, dass vielleicht noch eine Zugabe kommt.

               Sie kam nicht. Alles hat ein Ende, sogar auch der Besuch einer wunderschönen toskanischen Stadt namens Siena. Obwohl das Verlassen der Stadt gar nicht einfach war. Wir hatten nämlich eine Idee, nach San Gimignano, also in Richtung Florenz, zu fahren. Wahrscheinlich gibt es immer noch alte Animositäten, aber nirgends, wirklich NIERGENDS, war die Ausfahrt in Richtung Florenz gekennzeichnet. Das Benutzen des Wortes „Firenze“ ist offensichtlich in Siena immer noch strengst verboten. Wir fuhren um Siena insgesamt dreimal herum – es ist zwar ein schönes Erlebnis, aber einmal wäre genug gewesen. Dann entschied ich mich einfach in die Richtung zu fahren, wo ich Norden vermutet habe. Es gelang. Nach einer langen Fahrt auf beinahe unbefahrbaren Straßen im Wald und im Feld fand ich eine Richtungstafel mit dem Namen Poggibonsi und ich wusste, dass ich richtig war. Von Poggibonsi nach San Gimignano war es kein Problem mehr. Wir bestellten den legendären „Vernacca di San  Gimignano“ zu Spagetti mit Trüffel im Restaurant „Zur Perücke“ – ich kann es herzlich empfehlen. Beides. Den Wein und das Restaurant.

               Sollten Sie Siena in einem Bus verlassen wollen, wird es einfacher sein. Praktisch alle Buse haben hinter der Windschutzscheibe eine Tafel mit dem Namen „Firenze“, unabhängig davon, wohin sie eigentlich fahren. Wahrscheinlich ist das deshalb so, weil in Florenz der toskanische Hauptbusbahnhof ist und weil die Florentiner die Sienesen noch immer gerne provozieren – fragen Sie also lieber den Busfahrer, um nicht irgendwo zu landen, wohin Sie keinesfalls wollten. Italiener nehmen das mit der Zielbestimmung nicht so ernst. Es ist doch überall so schön!  

Gargano II – auf den Spuren Friedrichs II.

               Ich beschloss also Gargano zu verlassen und die herumliegenden Städte zu besuchen, da die eine Schlüsselrolle in meinem neuen Roman spielen sollten. Die erste sollte Foggia sein. Bis wir Forresta Umbra hinter uns gelassen haben (ohne meine Frau, die im Hotel blieb). bekam mein Sohn eine grünliche Hautfarbe und hörte auf zu sprechen. (Offensichtlich erbte er von meiner Frau ein Paar Gene inklusiv ihrer Kinetose). Dann war der Weg nach Foggia aber schnurgerade. Ich gebe zu, dass Foggia kein echter touristischer Magnet ist. Obwohl hier im dreizehnten Jahrhundert der schönste Palast des damaligen Europas stand, bei dem die westliche Baukunst mit orientalischer Pracht und orientalischem Luxus kombiniert worden ist Die Reste des kaiserlichen Palastes fielen aber einem Erdbeben irgendwann im neunzehnten Jahrhundert zum Opfer. Damals ging auch das Herz Kaisers Friedrich verloren, das er hier bestatten ließ (sein Grab ist im Dom in sizilianischem Palermo). Was das Erdbeben nicht schaffte, vollendeten Bomben des zweiten Weltkrieges. Die Stadt, ein wichtiger Stützpunkt der deutschen Luftwaffe, wurde dem Boden gleich gemacht. Von dem Palast blieb ein Brunnen – ein Bogen mit dem Reichsadler und das Wasser, das mitten aus den Säulen fließt.

Der Platz, auf dem der Brunnen steht, heißt nach dem Erbauer des Palastes „Piazza Federico secondo“. In der Stadt gibt es ein Museum, das diese berühmteste Periode der Stadtgeschichte neugierigen Touristen nahebringt, es gibt hier auch einen legendären „Augustaler“ aus dem Jahr 1231 – das war die erste goldene Münze, die in der Westeuropa geprägt wurde. Der Kaiser schätze richtig, dass der Warenumsatz beträchtlich steigen würde und führte eine wertvollere Währung in Gold ein.

Der Duomo, der ein  Paradebeispiel des romanischen Stils sein sollte, wurde gerade restauriert, also konnten wir ihn nicht besuchen und konnten also auch nicht die hier aufbewahrte byzantinische Ikone sehen. Nach einer Legende fanden sie Hirten in einem See, über den drei Flammen brannten (diese Flammen hat die Stadt in ihrem Wappen) Das Municipio, also das Rathaus, ist ein großes Gebäude in klassizistischem Stil, es erinnerte an eine umgebaute alte Festung, vielleicht war es das einmal sogar.

               Wir verließen Foggia in Richtung Lucera. Diese Stadt war deshalb so nah an Foggia, weil der Kaiser hierher die widerspenstigen Araber aus Sizilien umsiedelte. In Lucera wurden sie brav und der Kaiser bildete aus ihnen seine Leibgarde. Friedrich erlaubte ihnen freien Religionsausübung –  und das nur 290 Kilometer von Rom entfernt!, womit er den ohnehin schon wütenden Papst noch mehr ärgerte. Die Araber wurden ihm auf Leben und Tod ergeben und dann gleich auch seinem Sohn Manfred. Aber nach der Schlacht bei Benevent kam der Untergang. Anjous nahmen die Stadt ein, weil sie keine Mauer haben durfte (so viel vertraut der Kaiser seinen Arabern doch nicht) und gaben den Einheimischen die Wahl zwischen Taufe und Tod. Eine absolute Mehrheit hat den Tod gewählt. Karl von Anjou ließ die Stadt neu aufbauen, im Zentrum ragt eine gotische Kathedrale aus Backsteinen empor, ein Symbol des Triumphes der französischen Waffen.

Die Kathedrale steht auf dem Platz, wo die große Moschee stand. Die Kathedrale war natürlich geschlossen. Ein Tourist wurde in Lucera noch nie gesichtet, zumindest leitete ich diesen Schluss von den Reaktionen der Einheimischen ab. Diese hielten uns an und fragten, was wir in der Stadt wollten und warum wir hergekommen sind. Die Restaurants waren alle zu, vor dem Hungertod rettete uns ein Bistro auf der „Piazza del Duomo“. Der Kellner sagte, er könnte Englisch, sein Wortschatz bestand aber lediglich aus den Worten „Mozarela, Tomato und Beer“. Das hat gereicht. Das Brot mussten wir ihm zeigen, übrigens, das Wort „Pane“ konnte ich schon damals. Hinter Lucera gibt es die Ruine einer Festung aus der Zeit der Anjou. Friedrich II ließ gerade hier eine Festung bauen, die uneinnehmbar war – angeblich hatte sie einen unterirdischen Eingang, den man bei Bedarf überfluten konnte. Es wäre die letze Zuflucht des Kaisers, sollte er seinen ewigen Kampf gegen Papst und seine Diener verlieren. Anjou ließ die Festung vergrößern und umbauen, aus dem Bau des Kaisers blieb also nicht viel übrig. Heute handelt sich um eine monumentale Ruine auf einem felsigen Hügel 14 Kilometer von Lucera entfernt. Es handelt sich um eine fünfeckige Festung mit über ein Kilometer langen Mauern mit vierundzwanzig Türmen.

Wenn man aber naiv denkt, dass der Weg zu „Castello“ irgendwie gekennzeichnet wäre, dann liegt man falsch. Mit Touristen wird hier einfach nicht gerechnet. Bei Lucera findet man auch die Reste eines römischen Amphitheaters aus den Zeiten, als die Stadt noch Luceria geheißen hatte. Sie hörte im Frühmittealter auf zu existieren und wurde nur noch von der arabischen Kommune im dreizehnten Jahrhundert wiedergegründet.

               Der nächste Halt war „Castel del Monte“. Es ist ein Symbol des nördlichen Apuliens und ein Symbol der Herrschaft des Kaisers Friedrichs II. Nicht umsonst schaffte es dieser Bau auf die italienische 1-Cent Münze. Friedrich ließ diese Burg mitten in der offenen Landschaft bauen, bis heute weiß keiner warum. Es gab hier keinen Stall und Archelogen suchten auch vergeblich nach einer Küche. Die Burg war also unbewohnbar. Das Gebäude in der Form eines Achteckes auf einem waldlosen Hügel erinnert viel zu deutlich an eine Königskrone auf einem kahlem Schädel, um die symbolische Bedeutung nicht zu verstehen. Im Inneren spielten die Architekten mit der Perfektion der Formen auch um den Preis des Funktionalitätsverlustes. Das Gebäude hat zwei Stockwerke gebaut überwiegend aus dem schönen, mit den Korallen durchwachsenden roten Konglomerat von Gargano, genannt Brecca. An den Treppen findet man Köpfe aus Stein mit einem furchtbaren angstauslösenden  Greinen. Die Statuen brachten meinen Sohn auf die Idee, dass es sich hier um ein Gefängnis handeln könnte. Möglicherweise gerade hier wollte der Kaiser den ungehorsamen Papst Innozenz IV. einsperren, wenn er ihn aus Lyon nach Italien gebracht hätte. Der Plan schlug fehl. Die Festung diente aber trotzdem als ein Gefängnis. Anjou ließ hier Kinder des Königs Manfred, also die Enkelkinder des Kaisers, einkerkern. Der letzte der Söhne Manfreds Heinrich – also der letzte Staufer, starb hier im Jahr 1318 nach einer 52 Jahre langer Haft.  

               Der letzte Stopp auf unserer Reise war nicht geplant. Aber etwas zog mich einfach auf den Berg in die Stadt mit dem zauberhaften Namen „Monte San Angelo“. Ich sollte es nicht bereuen, auch wenn man dafür einen Höhenunterschied von 800 Meter überwinden musste.

               Der Engel, nach dem die Stadt den Namen trägt, ist Erzengel Michael, der hier angeblich mehrmals erschien, im vierten und fünften Jahrhundert, das letzte Mal allerdings in der Silvesternacht des Jahres 999. In dieser Nacht betete hier Kaiser Otto III., um eine Verschiebung des Weltunterganges. Wie wir wissen, für das Jahr 1000 nach Christi Geburt wurde mit Sicherheit mit dem jüngsten Gericht gerechnet ( dass es dazu nicht gekommen ist, erschütterte beträchtlich das Vertrauen in die katholischen Kirche) Es war angeblich der Verdienst des frommen Kaisers. Er betete für seine Untertanen so intensiv, dass ihm Erzengel Michael erschien und ihm mitteilte, dass der Weltuntergang vertagt wird. Offensichtlich auf unbestimmte Zeit. Wie ich bereits in meinem Artikel über Pavia geschrieben habe, erfreute sich Erzengel Michael als Anführer des Himmelheeres einer großen Verehrung der germanischen Stämme. Sein Kult zieht sich durch das ganze Europa von „Le-Mont San Michael“ in der Normandie über Pavia bis zum „Monte San Angelo“. Hier endet die Reihe seiner Kirchen und Pilgerorte. Hier ließen sich langobardische Könige bestatten, die hierher aus dem weiten Pavia überführt werden mussten. Der Platz war einfach ein Kult und behielt ein Flair bis heute. 

               Der Eingang ist in der Kirche, die Karl von Anjou über die Höhle bauen ließ, davon stammt also ihr gotischer Baustil. Auf einer engen Treppe steigt man in die Tiefe des Felsmassivs ab, bis zu einem massiven byzantinischen Tor. Nachdem „Monte San Angelo“ von Sarazenen im Jahr 869 zerstört wurde, ließ diese heilige Stätte Kaiser Ludwig II. im Jahr 871 wieder aufbauen. Das Tor stammt aus dieser Zeit. Gleich hinter ihm ist ein kleiner Raum, der den Namen des heiligen Franciscus von Assisi trägt. Franciscus war ein bescheidener Mensch, „PR“ beherrschte er aber hervorragend. Als er „Monte San Angelo“ besuchte, betete er nicht vor dem Altar wie alle anderen Pilger, sondern um die Ecke in einem Vorraum gleich hinter dem Tor aus Bronze. Angeblich weil er sich nicht würdig fühlte, vor den Erzengel zu treten. So bildete er eine eigene Kapelle und eine zweite Pilgerstätte. Wenn man sich durchsetzen will, muss es einfach kennen. Der Altar unter der tief hängenden Felsendecke ist aus Marmor und auf ihm steht die Statue des Erzengels Michael und ein Kreuz, das Kaiser Friedrich II. der Kirche gestiftet hat. Er brachte es aus Jerusalem. Friedrich wurde infolge der Hochzeit mit Isabella von Jerusalem (sie war seine zweite Frau) zum König von Jerusalem und im fünften Kreuzzug (in dem nicht gekämpft, umso intensiver aber verhandelt wurde) gelang es ihm, Jerusalem zu gewinnen und das Kreuz aus der Domkirche von Jerusalem wurde hierher gebracht – zu einer Pilgerstätte in seinem zweiten – eigentlich seinem ersten Königreich – Sizilien. Dem Menschen stockt ein bisschen der Atem, diese Kirche ist nichts für klaustrophobe Menschen. Im Untergrund der Kirche befinden sich die Gräber der langobardischen Könige, wir kamen nicht hin, ich weiß nicht, ob man sie überhaupt besuchen kann.

               Die zweite Dominante der Stadt ist das Kastell auf der Bergspitze. Eine riesige Festung ist von der Stadt durch einen Graben getrennt, gerade hier lebte die schöne Bianca Lancia mit ihren Kindern, die sie dem Kaiser gebar, dem zukünftigen König Manfred und der byzantinischen Kaiserin Konstanz. Vom Turm der Festung gibt es einen unglaublich schönen Blick auf das ganze Land bis zum Meer, das fast einen Kilometer tiefer liegt.

               Als wir nach Vieste zurückfuhren, belohnte uns Gargano mit einem wunderschönen Regenbogen über dem Meer. Es bedankte sich bei uns für den Besuch und für unsere Geduld mit seinen Serpentinen. Wir danken auch. Gargano ist ein schönes und vielfältiges Erlebnis. Für die Liebhaber von Baden, Geschichte, Natur oder für die Pilger. Nur Menschen mit Kinetose sollten es wahrscheinlich meiden.              

Gargano

Wissen Sie, wo es ist? Ich hätte das nicht gewusst, hätte sich meine Frau nicht entschieden, den Urlaub im Jahr 2011 gerad dort zu verbringen. Ich wollte nach Apulien, da ich gerade für meinen neuen Roman über Friedrich II. recherchierte und sie wollte baden. Eine Kombination der Unterkunft am Meer und des Kennenlernens der Umgebung schien uns beiden optimal. War es aber nicht. Also sicher nicht  für meine Frau, die an einer Kinetose leidet. Damit kommen wir endlich zur Antwort auf die Frage, was Gargano eigentlich ist. Es ist ein Gebirge. Zwar nicht besonders hoch, aber doch ein Gebirge, durch das man sich zu den Ortschaften am Meer durch unzählige Serpentinen durchkämpfen muss. Infolge dieser Tatsache blieb meine liebe Gattin an der Küste von Apulien eingesperrt. Ich glaube, es ist ihr dabei nicht wirklich schlecht gegangen, abgesehen von der Reise hin und dann wieder zurück. 

               Gargano ist der Sporn des italienischen Stiefels. Viel Natur, ein Wald mit einem mysteriösen Namen „Forresta umbra“, Seen in der Nähe des Meeres und einige kleinen Städtchen, die sich Badeorte nennen dürfen – Vieste, Peschici und Monte San Angelo, und natürlich auch das Dorf „ San Giovanni Rotondo“ (Entschuldigung, es ist eine Stadt, es leben hier doch 27 000 Einwohner), wo in den Jahren 1947 – 1968 bis zu seinem Tod der populärste aller zeitgenössischen italienischen Heiligen, Padre Pio, tätig war.

Er hat hier „Casa sollievo della sofferenza“ also „Das Haus der Leidensminderung“ gegründet. Es war sein Projekt, das Haus wurde im Jahr 1956 eröffnet und Padre Pio führte es bis zu seinem Tod.  Also eine Unterbrechung der unendlichen Serpentinen im „Forresta umbra“ gerade in diesem Ort ist sicherlich nicht uninteressant. Heute steht hier ein großes Krankenhaus, natürlich mit einer Verbindung zu einer modernen Kirche „Santa Maria delle Grazie“.

Padre Pio wurde im Jahr 1998 selig und drei Jahre später heilig gesprochen – von wem sonst als von Johannes Paulus II.?  Zur Heiligsprechung sind Wunder unentbehrlich, in diesem Fall konnte es aber Johann Paul sogar aus eigener Erfahrung tun. Im Jahr 1947 traf der damals siebenundzwanzigjährige junge polnische Priester Karol Wojtyla Padre Pio, der bereits damals den Ruf eines Heiligen hatte (ähnlich wie beim heiligen Franziskus erschienen auf seinem Körper Stigmata, also Wunden Christi). Padre Pio sagte Wojtyla eine große Karriere voraus und auch, dass er einmal Papst würde.               Wojtyla war ein Waisenkind, seine nächsten Freunde, die ihm seine Familie ersetzten, war ein Ehepaar Wanda und Andrei. Wojtyla erfuhr, dass Wanda, Mutter vier kleiner Mädchen, schwer krank wurde. Sie hatte einen Tumor. Es war notwendig, ihn operativ zu entfernen, die Ärzte konnten aber auch dann nicht garantieren, dass Wanda durch die Operation gerettet werden konnte. Wojtyla schrieb einen Brief an Padre Pio und bat ihn um Gebete für die Genesung Wandas. Der Tumor verschwand auch ohne Operation. An dieser Heiligsprechung hatte also Johann Paul persönliches Interesse.

               Die Region von Gargano erlebte seine Blütezeit in der Zeit der Regierung Kaisers Friedrich II. Dieser verlegte die Hauptstadt seines Reiches – des Sizilianischen Königreiches, in die Stadt Foggia und von dort aus regierte er auch das ganze Römische Reich. Gargano bot sich an  als Ort der Erholung, der Jagd und als Ort, wo seine Geliebten leben konnten, vor allen die Frau, die er über alles liebte, die schöne und erhabene Bianca Lancia. Für sie ließ er Burgen in Vieste und in Monte San Angelo bauen. Er hatte mit ihr drei Kinder, zwei Töchter und einen Sohn Manfred, den späteren sizilianischen König. Nach ihm heißt eine Stadt in der unmittelbaren Nähe von Gargano, heute ein Industriehafen Manfredonia – zum Gegenteil von allen bereits genannten Orten zahlt sich nicht aus, diese Stadt zu besuchen.

               Der Kaiser hat seine Geliebte an ihrem Sterbebett geheiratet, weil er aber gerade im kirchlichen Bann war genau wie auch der Priester, der die Hochzeitzeremonie zelebriert hat, erkannte der Papst diese Hochzeit nie an und Biancas Kinder waren offiziell Bastarde. Für Manfred sollte diese Tatsache fatale Folgen haben. Der Papst erkannte nie seine Ansprüche auf die sizilianische Krone an, er hetzte Karl von Anjou auf ihn und dieser hat Manfred in der Schlacht bei Benevento besiegt. Manfred verlor in der Schlacht nicht nur seine Krone sondern auch sein Leben. Das Grab von Bianca Lancia wurde angeblich in Tarent, wo sie starb, entdeckt, die Gräber weiterer zweier Gattinnen des Kaisers, zufällig beide Isabell (von Jerusalem und von England) befinden sich im Dom in der Stadt Andria. Andria ist ein Nest mit 100 000 Einwohnern mit einem unglaublichen Gewirr schmaler Gassen, ich glaubte von dort niemals herauskommen zu können. Wer aber genug Mut und Interesse seine Verehrung den Kaiserinnen persönlich zu bringen, soll das unbedingt versuchen. Ich habe diese Absicht aufgegeben. 

               Gargano ist aber vor allem Natur. Sie lädt zu Wanderungen im tiefen Wald „Forresta umbra“ oder zu Ausflügen an die Küste mit zauberhaften Buchten, Höhlen, alles geschmückt mit typischem roten Konglomerat, das als Baumaterial für den kaiserlichen Palast in Foggia sowie auch für die mysteriöse Burg „Castel del Monte“, genutzt worden ist.

Ich und mein Sohn entschlossen uns, die Schönheiten der Küste Garganos kennen zu lernen und meldeten uns für einen Bootsausflug an. Natürlich findet man in der ganzen Region niemanden, der Englisch sprechen würde, geschweige Deutsch, umso mehr sind aber die Einheimischen kommunikativ. Vor allem der Busfahrer Francesco, der uns zum Boot gefahren hat. Ein kleiner schlanker Mann von Gewicht irgendwo knapp unterhalb von fünfzig Kilo und ununterbrochen sprechend. Er stopfte in seinen Bus mit neuen Sitzplätzen locker 16 Personen, dreizehn Polen, mich mit meinem Sohn und eine Italienerin, wobei er die polnischen Kinder zum Erstaunen ihrer Eltern in den Gepäckraum steckte – ein Widerstand war allerdings absolut zwecklos

Mit Francesco zu diskutieren war einfach nicht möglich. Die Tatsache, dass es nur Italienisch sprach, spielte dabei aber nur eine untergeordnete Rolle. Francesco schaltete einfach nicht auf Empfang. Übrigens, bei der Rückreise fragten ihn zwei weitere Polen, ob sie mitfahren dürften. Für Francesco war das kein Problem, also fuhren wir zurück zum Hotel im Bus zu achtzehn. Es war eng aber gemütlich. Francesco fragte ein kleines polnisches Mädchen, das allen Vorschriften zuwider auf dem Vordersitz neben dem Fahrer am Schoss ihrer Mutter saß, ob sie schwimmen konnte. Als sie seine Frage mit einem „nein“ beantwortete, ohne sie zu verstehen, folgte ein längerer Vortrag von Francesco über die Risiken, die damit verbunden sind, wenn sich jemand, der nicht schwimmen kann, einen Bootausflug kauft. In diesem Moment hielt es die einzige Italienerin im Bus nicht mehr aus und sagte zu unserem lieben Busfahrer: „Francesco, non capiscono, sono tutti stranieri.“ („Francesco, keiner versteht dich, das sind alle Ausländer.“) Nicht einmal diese Bemerkung konnte Francescos Redefluss stoppen. Als er uns dann bei dem Felsen, unter dem unseres Schiff vor Anker lag, ausgesetzt hatte, verschwand er sofort mit seinem Bus. Warum, verstanden wir bald. Als wir ein Kap umfuhren und bei der nächsten Anlegestelle stopp machten, stand hier Francesco mit weiteren fünfzehn Menschen. Und als wir letztendlich im Hafen von Vieste anlegten, wo der größte Teil der Touristen zugstiegen ist, mussten wir nur eine kurze Weile warten und dann sahen wir, dass zu uns Francesco, gefolgt von weiteren achtzehn Touristen, läuft. Also, wenn ich richtig gezählt habe, schaffte es dieser eine Busfahrer mit seinem kleinen Bus mit 9 Sitzen insgesamt 48 (in Worten vierundvierzig) Passagiere zu unserem Schiff zu bringen. Das nenne ich Effektivität, da sollte sich jemand über die niedrige Arbeitsproduktivität in Italien beklagen!

               Die Küste von Gargano ist wirklich schön. Felsen, Kalkformationen wie „Arco di santa Lucia“, also „Bogen der heiligen Lucia“, Einfahrten in die Höhlen, versteckte Lagunen und zwischen Felsen kleine geschlossene Sandstrände, wo man baden konnte.

Natürlich hatten diese Idee auch viele andere Schiffe und so ist man nie allein. Nach dem Bad fuhren wir zurück, auf dem Kap vor der Stadt grüßte uns Statue des heiligen Franciscus von Paola und dann auch unserer Busfahrer Francesco. Er brachte uns alle in bester Ordnung zurück zum Hotel.       

               Die größte Stadt in Gagano ist Vieste. Die Stadt liegt auf einem Felsen hoch über das Meer mit einem Hafen, sein Wahrzeichen ist ein weißer Felsen namens Pizzomuno, der die Form eines erregten Penis hat und der sich auf dem Strand „Spiagga lunga“ also „Langer Strand“ befindet. Als ich dieses Motiv in meinem Roman „Lang sterbe der König“ verwenden wollte, leistete meine Lektorin einen unüberwindbaren Widerstand und ich musste die Stelle im Text zu einem aufgerichteten Finger verändern. Aber – nur unter uns – ein Finger schaut anders aus.

Vieste ist ein klassisches italienisches Städtchen mit einem kleinen, aber lieben, Hauptplatz und einem Dom, die Stromleitungen werden außen auf den Fassaden gezogen (gleich wie auch in London) und auf dem höchsten Punkt der Stadt ragt eine massive Festung empor, die hier Friedrich II. für seine Bianca Lancia bauen ließ. Auch die half aber nicht, als die Stadt im Jahr 1554 der türkische Pirat Dragut eroberte. Auf dem Hauptplatz vor der Kathedrale ließ er 5000 Einwohner der Stadt enthaupten. Alle italienischen Städte an der Ostküste litten unter türkischen Überfällen. Die Türken beherrschten in dieser Zeit den Balkan und von dem reichen Italien wurden sie nur durch die enge Adria getrennt. Die Festung kann man nicht besuchen, heute ist hier eine militärische Zone. Dafür kann man aber das Restaurant auf „Piazza Petrone“ besuchen. Die Tische standen schief nach unten in Richtung Meer geneigt. Man musste also aufpassen, dass das Essen und vor allem das Trinken nicht wegrutscht, aber es war ein wunderbares Erlebnis. Die Bucht tief unter uns wechselte die Farbe von hellblau zu silbern, dann zu  Gold und zuletzt, als die Sonne endlich unterging, wurde sie dunkelblau. Das Essen war hervorragend, aber der Ziegenkäse, der dort zum Essen serviert wird, hat eine unangenehme Eigenschaft – im Magen wächst und wächst und wächst er.  Ich hatte das Gefühl, dass mein Magen platzen würde, meine Frau fuhr mich zum Hotel und ich verdaute das Abendessen noch den ganzen nächsten Vormittag.

               Das zweite Städtchen heißt Peschici. Auch in diesem Fall handelt sich um ein Städtchen hoch über dem Meer mit einem Hafen und mit einer Festung aus dem zehnten Jahrhundert, die man im Gegenteil zu Vieste besuchen darf. Ich plagte mich mit meinem Peugeot 407 durch das Gewirr der schmalen Gassen der Stadt und suchte einen Parkplatz und dann erreichte ich eine Kreuzung in der Form des Buchstabes „T“. Ich verstand in diesem Moment, dass ich verloren war. An der Kreuzung wurde überall geparkt, mit meinem Auto war ich absolut chancenlos durchzukommen. Wie es so schon in Italien überall ist, standen in den nächsten paar Sekunden mindestens weitere drei Autos hinter mir. Ich kapierte, dass mich von dort nur mehr ein Hubschrauber holen konnte. Aber in diesem Moment eilten bereits drei italienische Pensionisten zu mir, um mir zu helfen. Sie zeigten mir, wie ich das Auto drehen sollte, mit einer Genauigkeit auf Millimeter. Es war notwendig, Zentimeter wären zu wenig gewesen. Mit dieser Hilfe verließ ich aber die Kreuzung ohne einen einzigen Kratzer und liebte die Italiener schon wieder ein bisschen mehr.

Das Städtchen selbst hat einen kleinen Hauptplatz, ein Tor der mittelalterlichen Befestigung, die Häuser drücken sich dicht zusammen, gleich wie die Restaurants. Also ein kleiner Hauptplatz für eine kleine Bewohnerzahl, die ganze Stadt hat 4500 Seelen. Wir aßen wieder einmal in einem Restaurant hoch über den Hafen mit wunderschönen Aussichten und diesmal bestellte den Ziegenkäse meine Frau. Das war der letzte Besuch in einem Restaurant in Gargano. 

               Ach so, dass ich Friedrich II. wegen dem ich eingetlich hingefahren bin, vergessen habe? Nicht ganz, aber darüber im nächsten Artikel in zwei Wochen.