Es ist eigentlich noch Europa, sogar noch die Europäische Union und deshalb gelten hier grundsätzlich die gleichen Gesetze wie bei uns. Nur die Interpretation ist ein bisschen anders. Das kapierte ich spätestens in dem Moment, als mich bei der Durchfahrt durch Palermo plötzlich und gleichzeitig zwei Motorräder überholten, und zwar einer links und der zweite rechts. Nach der Bodenmarkierung konnte man annehmen, dass die Schnellstraße zwei Fahrspuren hätte. Aber wenn sich Palermitaner entscheiden, dass es zu wenig ist, bilden sie spontan eine dritte. Ich würde dringend empfehlen, ihnen das Spiel nicht zu verderben, sie könnten dann nervös oder sogar grantig werden. Übrigens, die Mittellinie gibt es manchmal wirklich, dann aber wieder nicht. Es ist mir ein Rätsel, wie dann der beinahe hundertjährige Opa weiterfuhr, der sich hartnäckig an der Mittellinie als Führungslinie hielt und damit permanent die mittlere Spur bildete. Sonst ist aber das Autofahren auf Sizilien eine relativ ruhige Angelegenheit. Niemand hat es eilig, die Zahl der Autos, besonders in der westlichen Hälfte der Insel, ist eher niedrig und auf den Autobahnen gibt es keine Maut, also man fährt kostenlos. Ausnahme ist die nur die Autobahn A 19 zwischen Catania und Palermo, dort haben wir auf dem Weg nach Cefalu 1,80 Euro bezahlt. Die Sizilianer sind ähnlich rücksichtsvoll wie die Italiener auf dem Festland, oder eher vorsichtig. Weil sie selbst sehr „kreativ“ fahren, erwarten sie, dass die anderen Teilnehmer im Straßenverkehr genau so „deppert“ wie sie selbst sind und passen also auf. Wenn ein Auto eine Delle oder einen Kratzer hat – und das kommt häufig vor – ist es eher ein Parkschaden. Als ich am ersten Tag sah, was auf dem Parkplatz beim Strand in Trapetto vor sich gegangen ist, entschied ich mich, lieber zu Fuß hinzugehen Es war mir klar, dass ich als ein Mitteleuropäer diesen Parkplatz ohne Dauerschaden am Auto und an der Seele niemals verlassen könnte. Sizilianer schaffen das zwar, allerdings für den Preis von Blechschäden am eigenen sowie auch an vielen anderen Autos. Die Polizei versuchte es, in das Chaos Ordnung zu bringen und verteilte fleißig Strafzettel, die die Autobesitzer wieder vor der Abfahrt demonstrativ wegwarfen.

               Als ich dann nach zwei Wochen meinen Fiat Bravo am Flughafen in Palermo zurückgab (nach der Meinung unserer Apartmentvermieterin handelte sich für das Fahren auf Sizilien um ein unsinnig großes Auto), kroch die Vertreterin der Autovermietungsagentur beinahe unter das Fahrzeug, um dann mit ungläubigem Gesicht festzustellen, dass es keinen Schaden am Auto gab. Sie hielt mich in diesem Moment offensichtlich für einen Außerirdischen.

               Das Reisen auf Sizilien hat trotzdem einen bestimmten Zauber. Es ist nicht besonders einfach, das Ziel zu finden, das man erreichen möchte, und Grundkenntnisse der italienischen Sprache sind dabei nicht wirklich hilfreich. Wir suchten unsere Unterkunft in Trapetto und natürlich fanden wir sie nicht. Ich rief die Haushälterin an und diese Dame erklärte mir, dass unser Apartment im Stadtzentrum sei, nahe der alten Kirche. Ich fand es wieder nicht und  kam in den Hafen. Dort saßen einige von der Sonne gebräunten Sizilianer. Ich fragte, wo ich „Chieza vecchia“ finden kann. Sie schüttelten ihre Köpfe, sie haben von dieser Kirche offensichtlich noch nie gehört. Ich versuchte deutlich und langsam zu artikulieren „kieza vekchia“. Sie zuckten die Schulter, dann aber strahlte einer und sagte „á czeca vecza“ und zeigte mir die Richtung. Ich verstand, dass es nicht einfach sein würde. Und es war wirklich nicht. 

               Nach Palermo fuhren wir aber mit dem Bus, Es zahlte sich aus, ich konnte mir wirklich nicht vorstellen, was ich dort mit meinem Auto im Stadtzentrum tun sollte. Natürlich mussten wir auf den Bus beinahe vierzig Minuten warten, wegen so einer Verspätung regte sich aber keiner auf, es gehört zum Lebensstil der Inselbewohner. Die Afrikaner kommentierten einmal den amerikanischen Spruch „time is money“ mit den Worten, dass die Amerikaner Geld haben mögen, sie wieder, also die Schwarzafrikaner, haben dafür Zeit. Die Sizilianer verhalten sich sehr ähnlich. Das Geld haben sie nicht (Nach der Rückkehr vom Urlaub erfuhr ich, dass sich das Land im Bankrott befand und der damalige Ministerpräsident einen Rücktritt des Gouverneurs erwartete), dafür aber genug Zeit. Sogar der Ministerpräsident Monti musste sich mit dem Rücktritt des Gouverneurs gedulden. Ein Kellner in der Bar in Trapetto, der 24 Jahre auf dem Flughafen in Düsseldorf gearbeitet hatte, um jetzt vor zwei Jahren nach Sizilien zurückzukehren, weil ihm das hektische Leben in Deutschland viel zu viel Stress bereitete, erzählte uns, wie schwierig es für ihn nach der Rückkehr war, sich daran zu gewöhnen, dass man bei jedem Treffen und bei jedem Termin eine halbe bis eine ganze Stunde warten musste. Als er fragte, warum man sich nicht zu vereinbarter Zeit treffen konnte, bekam er eine Antwort: „Du musst dich anpassen“. Er passte sich also an.

               Sizilianer haben keine Probleme. Wenn sie Probleme haben, dann wissen sie nichts davon oder wollen es nicht wissen. In erster Linie betrifft das die Entsorgung von Abfällen. Jeden Morgen lassen sie von den Balkonen Sackerl mit Abfällen an einem Spagat nieder und ein Dreiräder, der durch die Gassen fährt, sammelt sie ein. Ich kannte mich in dem System der Mülltrennung nicht ganz aus, also fragte ich unsere Vermieterin. Sie dachte kurz nach und dann sagte sie „Ihr habt aber doch ein Auto.“              

Ich gab es zu und sie erklärte uns: „Dann könnten Sie alles zusammenpacken und wenn Sie die Stadt verlassen, können sie es in einen Container werfen, der am Straßenrand steht.“ Das Problem haben wir ziemlich schnell kapiert. Die Container stehen wirklich dort, sie haben aber eher nur einen hinweisenden oder eher einen symbolischen Wert. Alle sind nämlich hoffnungslos überfüllt und um sie herum hunderte Meter entlang der Straßen türmen sich Säcke mit Abfällen aller Art – wochen-, möglicherweise monatelang bis ein Bagger kommt, der einzig fähig ist, sie wegzuräumen.        

        Palermo ist natürlich besuchswert, aber darüber werde ich andermal schreiben. Aber Palermo ist bei weitem nicht allein. Bereits auf einem Berg im Innenland oberhalb der Stadt steht Monreale. Die Kirche hier ließ Wilhelm II., genannt aus mir unbekannten Gründen „der Gute“, bauen, hundert Jahre nachdem das sein Großvater Roger II. in Palermo tat. Damit hatte Wilhelm bereits ein Vorbild, das unbedingt zu übertrumpfen galt. Dazu wollte dieser, mit seinem aufwändigen Lebensstil bekannter König, den Erzbischof von Palermo in Weißglut bringen. Also gab es genug Motivation, damit das Werk gelang.

Was nämlich an sizilianischen Werken aus der Zeit der Normannischen Könige auffällig ist, ist die Tatsache, dass sie ein Produkt einer unglaublichen gesellschaftlichen und religiösen Toleranz sind. Nicht umsonst sind Sizilianer gerade auf diese Zeit der normannischen Herrschaft stolz und man stolpert über die Spuren dieser Epoche auf jedem Schritt und Tritt. Nicht nur, dass in dieser Zeit Sizilien wirklich ein unabhängiges Königsreich mit der Hauptstadt in Palermo war, aber dank der toleranten Politik ihrer Herrscher wurde es damals zum reichsten Land der damaligen Welt. Um das Rezept dieses Erfolges zu verstehen, müssen wir ein bisschen tiefer in die Geschichte der Insel eintauchen.          

               Sizilien war die Kornkammer des alten Roms. Schon damals gab es hier eine blühende Landwirtschaft und der Sklavenmarkt in Enna war einer der größten im Reich. (Die Sklaven machten mehrmals Aufstände und zweimal im zweiten Jahrhundert vor Christus gelang es ihnen, hier eine unabhängige Republik zu gründen, bis diese von den römischen Legionen niedergeschlagen wurde). Nach dem Fall des Römischen Reiches beherrschten die Insel für ein paar Jahrzehnte die Goten und dann eroberte der berühmte byzantinische Heerführer Belisarius die Insel für seinen Kaiser Justinian. Danach war Sizilien griechisch und Kaiser Konstantin II. versuchte sogar, die Hauptstadt des Byzantinischen Reiches von Konstantinopel nach Syrakus zu verlegen. Es hatte eine bestimmte Logik, weil Sizilien damals gerade in der Mitte des Reiches lag, aber wie es schon mit den logischen Dingen einmal so ist, die Idee wurde nicht umgesetzt. Sizilien wurde zur Peripherie des Reiches und konnte der Invasion der Araber im neunten Jahrhundert nicht statthalten. Die Araber beherrschten die Insel, ließen aber die einheimischen Griechen in Ruhe weiterleben. Sie verlagerten die Hauptstadt von Syrakus nach Palermo, weil der Kontakt nach Osten für sie nicht mehr so wichtig war, wie für ihre Vorgänger und bauten auf der Insel Bewässerungsanlagen. Die Araber kamen aus Tunesien, wo es nur sehr wenig regnete und Bewässerungssysteme für die Landwirtschaft unentbehrlich waren. Weil es auf Sizilien doch viel mehr Regen gab, verwandelten sie die Insel dank ihrer Bewässerungstechnik in ein wahres Paradies. In so ein, dass örtliche Herrscher unter sich zu streiten begonnen haben. Wie man sagt: „Wenn es dem Esel zu wohl wird, geht er aufs Eis tanzen“. Im Jahr 1061 rief der Herrscher von Messina normannische Ritter unter der Führung zwei Brüder Roger und Robert Guiscard von Hauteville zur Hilfe gegen seinen Gegner in Syracus. Diese ehemaligen Wikinger eroberten in einem Handstreich Messina und begannen Stück für Stück die Insel einzunehmen. Sie bekamen zu diesem gottgefälligen Unternehmen den Segen vom Papst höchstpersönlich und dann, als die letzten arabischen Widerstandnesten im Südosten der Insel kapitulierten, wurde Roger zum Graf von Sizilien. Sein gleichnamiger Enkelsohn erreichte dann die Königswürde. Er nutzte ein Schisma in Rom, ließ sich vom Gegenpapst zum König krönen, womit er den wahren Papst wütend machte. Als ihm der Papst den Krieg erklärte, nahm er den Pontifex fest und als Gegenleistung für seine Freilassung ließ er sich die Königskrone auch von ihm bestätigen. Was an den Normanen faszinierend war,-  obwohl sie auf der Insel im Auftrag des Papstes waren, mit der Aufgabe, alles was nur geht, zu christianisieren und das übrige auszurotten – sie ließen alles beim Alten. Die Araber durften weiter in Ruhe ihre Bewässerungsanlagen ausbauen, die Griechen wieder ihre Kirchen mit ihren Mosaiken schmücken, niemand wurde zu etwas gezwungen und alle waren mit dem gegebenen Zustand zufrieden. Die Kirchen aus dieser Zeit sind die Frucht dieser Politik der Toleranz. In Palermo, Monreale oder Cefalu, um nur die drei berühmtesten zu nennen. Der Kreuzgang in Monreale  ist 47×47 Meter groß und jede der hundert Säulen ist anders, keine zwei haben ein gleiches Kapitell.

König Wilhelm hatte übrigens kein Problem damit, mit dem Bau der monumentalen katholischen Kirche einen arabischen Architekten zu beauftragen  und dieser hatte wieder – obwohl ein Moslem – kein Problem, eine katholische Kirche zu bauen und nicht einmal damit, die Kapitell der Säulen mit im Koran verbotenen Motiven zu schmücken. Für einen guten Lohn hat er eine gute Arbeit geleistet. Wir könnten auch noch heute davon lernen.

               Nach Normannen kamen die Staufer, die auch alles beim Alten belassen haben (nur die unruhigen Araber siedelte Kaiser Friedrich II. nach Lucera in Apulien um), im Jahr 1266 – wieder im Auftrag des Papstes – kamen die Franzosen und das hundertjährige Werk der Toleranz war dahin. Die Franzosen verärgerten zwar durch ihr Verhalten die Sizilianer soweit, dass sie  bei der Sizilianischen Vesper im Jahr 1282 alle ermordet worden sind, aber ein zerschlagenes Porzellan kann man nicht mehr zusammenkleben – die Zeit des sizilianischen Wohlstandes war definitiv dahin und sollte nie mehr zurückkehren.

               Soviel zur Einführung des Besuches Siziliens. Nächste Woche geht’s los.

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