Ich beschloss also Gargano zu verlassen und die herumliegenden Städte zu besuchen, da die eine Schlüsselrolle in meinem neuen Roman spielen sollten. Die erste sollte Foggia sein. Bis wir Forresta Umbra hinter uns gelassen haben (ohne meine Frau, die im Hotel blieb). bekam mein Sohn eine grünliche Hautfarbe und hörte auf zu sprechen. (Offensichtlich erbte er von meiner Frau ein Paar Gene inklusiv ihrer Kinetose). Dann war der Weg nach Foggia aber schnurgerade. Ich gebe zu, dass Foggia kein echter touristischer Magnet ist. Obwohl hier im dreizehnten Jahrhundert der schönste Palast des damaligen Europas stand, bei dem die westliche Baukunst mit orientalischer Pracht und orientalischem Luxus kombiniert worden ist Die Reste des kaiserlichen Palastes fielen aber einem Erdbeben irgendwann im neunzehnten Jahrhundert zum Opfer. Damals ging auch das Herz Kaisers Friedrich verloren, das er hier bestatten ließ (sein Grab ist im Dom in sizilianischem Palermo). Was das Erdbeben nicht schaffte, vollendeten Bomben des zweiten Weltkrieges. Die Stadt, ein wichtiger Stützpunkt der deutschen Luftwaffe, wurde dem Boden gleich gemacht. Von dem Palast blieb ein Brunnen – ein Bogen mit dem Reichsadler und das Wasser, das mitten aus den Säulen fließt.

Der Platz, auf dem der Brunnen steht, heißt nach dem Erbauer des Palastes „Piazza Federico secondo“. In der Stadt gibt es ein Museum, das diese berühmteste Periode der Stadtgeschichte neugierigen Touristen nahebringt, es gibt hier auch einen legendären „Augustaler“ aus dem Jahr 1231 – das war die erste goldene Münze, die in der Westeuropa geprägt wurde. Der Kaiser schätze richtig, dass der Warenumsatz beträchtlich steigen würde und führte eine wertvollere Währung in Gold ein.

Der Duomo, der ein  Paradebeispiel des romanischen Stils sein sollte, wurde gerade restauriert, also konnten wir ihn nicht besuchen und konnten also auch nicht die hier aufbewahrte byzantinische Ikone sehen. Nach einer Legende fanden sie Hirten in einem See, über den drei Flammen brannten (diese Flammen hat die Stadt in ihrem Wappen) Das Municipio, also das Rathaus, ist ein großes Gebäude in klassizistischem Stil, es erinnerte an eine umgebaute alte Festung, vielleicht war es das einmal sogar.

               Wir verließen Foggia in Richtung Lucera. Diese Stadt war deshalb so nah an Foggia, weil der Kaiser hierher die widerspenstigen Araber aus Sizilien umsiedelte. In Lucera wurden sie brav und der Kaiser bildete aus ihnen seine Leibgarde. Friedrich erlaubte ihnen freien Religionsausübung –  und das nur 290 Kilometer von Rom entfernt!, womit er den ohnehin schon wütenden Papst noch mehr ärgerte. Die Araber wurden ihm auf Leben und Tod ergeben und dann gleich auch seinem Sohn Manfred. Aber nach der Schlacht bei Benevent kam der Untergang. Anjous nahmen die Stadt ein, weil sie keine Mauer haben durfte (so viel vertraut der Kaiser seinen Arabern doch nicht) und gaben den Einheimischen die Wahl zwischen Taufe und Tod. Eine absolute Mehrheit hat den Tod gewählt. Karl von Anjou ließ die Stadt neu aufbauen, im Zentrum ragt eine gotische Kathedrale aus Backsteinen empor, ein Symbol des Triumphes der französischen Waffen.

Die Kathedrale steht auf dem Platz, wo die große Moschee stand. Die Kathedrale war natürlich geschlossen. Ein Tourist wurde in Lucera noch nie gesichtet, zumindest leitete ich diesen Schluss von den Reaktionen der Einheimischen ab. Diese hielten uns an und fragten, was wir in der Stadt wollten und warum wir hergekommen sind. Die Restaurants waren alle zu, vor dem Hungertod rettete uns ein Bistro auf der „Piazza del Duomo“. Der Kellner sagte, er könnte Englisch, sein Wortschatz bestand aber lediglich aus den Worten „Mozarela, Tomato und Beer“. Das hat gereicht. Das Brot mussten wir ihm zeigen, übrigens, das Wort „Pane“ konnte ich schon damals. Hinter Lucera gibt es die Ruine einer Festung aus der Zeit der Anjou. Friedrich II ließ gerade hier eine Festung bauen, die uneinnehmbar war – angeblich hatte sie einen unterirdischen Eingang, den man bei Bedarf überfluten konnte. Es wäre die letze Zuflucht des Kaisers, sollte er seinen ewigen Kampf gegen Papst und seine Diener verlieren. Anjou ließ die Festung vergrößern und umbauen, aus dem Bau des Kaisers blieb also nicht viel übrig. Heute handelt sich um eine monumentale Ruine auf einem felsigen Hügel 14 Kilometer von Lucera entfernt. Es handelt sich um eine fünfeckige Festung mit über ein Kilometer langen Mauern mit vierundzwanzig Türmen.

Wenn man aber naiv denkt, dass der Weg zu „Castello“ irgendwie gekennzeichnet wäre, dann liegt man falsch. Mit Touristen wird hier einfach nicht gerechnet. Bei Lucera findet man auch die Reste eines römischen Amphitheaters aus den Zeiten, als die Stadt noch Luceria geheißen hatte. Sie hörte im Frühmittealter auf zu existieren und wurde nur noch von der arabischen Kommune im dreizehnten Jahrhundert wiedergegründet.

               Der nächste Halt war „Castel del Monte“. Es ist ein Symbol des nördlichen Apuliens und ein Symbol der Herrschaft des Kaisers Friedrichs II. Nicht umsonst schaffte es dieser Bau auf die italienische 1-Cent Münze. Friedrich ließ diese Burg mitten in der offenen Landschaft bauen, bis heute weiß keiner warum. Es gab hier keinen Stall und Archelogen suchten auch vergeblich nach einer Küche. Die Burg war also unbewohnbar. Das Gebäude in der Form eines Achteckes auf einem waldlosen Hügel erinnert viel zu deutlich an eine Königskrone auf einem kahlem Schädel, um die symbolische Bedeutung nicht zu verstehen. Im Inneren spielten die Architekten mit der Perfektion der Formen auch um den Preis des Funktionalitätsverlustes. Das Gebäude hat zwei Stockwerke gebaut überwiegend aus dem schönen, mit den Korallen durchwachsenden roten Konglomerat von Gargano, genannt Brecca. An den Treppen findet man Köpfe aus Stein mit einem furchtbaren angstauslösenden  Greinen. Die Statuen brachten meinen Sohn auf die Idee, dass es sich hier um ein Gefängnis handeln könnte. Möglicherweise gerade hier wollte der Kaiser den ungehorsamen Papst Innozenz IV. einsperren, wenn er ihn aus Lyon nach Italien gebracht hätte. Der Plan schlug fehl. Die Festung diente aber trotzdem als ein Gefängnis. Anjou ließ hier Kinder des Königs Manfred, also die Enkelkinder des Kaisers, einkerkern. Der letzte der Söhne Manfreds Heinrich – also der letzte Staufer, starb hier im Jahr 1318 nach einer 52 Jahre langer Haft.  

               Der letzte Stopp auf unserer Reise war nicht geplant. Aber etwas zog mich einfach auf den Berg in die Stadt mit dem zauberhaften Namen „Monte San Angelo“. Ich sollte es nicht bereuen, auch wenn man dafür einen Höhenunterschied von 800 Meter überwinden musste.

               Der Engel, nach dem die Stadt den Namen trägt, ist Erzengel Michael, der hier angeblich mehrmals erschien, im vierten und fünften Jahrhundert, das letzte Mal allerdings in der Silvesternacht des Jahres 999. In dieser Nacht betete hier Kaiser Otto III., um eine Verschiebung des Weltunterganges. Wie wir wissen, für das Jahr 1000 nach Christi Geburt wurde mit Sicherheit mit dem jüngsten Gericht gerechnet ( dass es dazu nicht gekommen ist, erschütterte beträchtlich das Vertrauen in die katholischen Kirche) Es war angeblich der Verdienst des frommen Kaisers. Er betete für seine Untertanen so intensiv, dass ihm Erzengel Michael erschien und ihm mitteilte, dass der Weltuntergang vertagt wird. Offensichtlich auf unbestimmte Zeit. Wie ich bereits in meinem Artikel über Pavia geschrieben habe, erfreute sich Erzengel Michael als Anführer des Himmelheeres einer großen Verehrung der germanischen Stämme. Sein Kult zieht sich durch das ganze Europa von „Le-Mont San Michael“ in der Normandie über Pavia bis zum „Monte San Angelo“. Hier endet die Reihe seiner Kirchen und Pilgerorte. Hier ließen sich langobardische Könige bestatten, die hierher aus dem weiten Pavia überführt werden mussten. Der Platz war einfach ein Kult und behielt ein Flair bis heute. 

               Der Eingang ist in der Kirche, die Karl von Anjou über die Höhle bauen ließ, davon stammt also ihr gotischer Baustil. Auf einer engen Treppe steigt man in die Tiefe des Felsmassivs ab, bis zu einem massiven byzantinischen Tor. Nachdem „Monte San Angelo“ von Sarazenen im Jahr 869 zerstört wurde, ließ diese heilige Stätte Kaiser Ludwig II. im Jahr 871 wieder aufbauen. Das Tor stammt aus dieser Zeit. Gleich hinter ihm ist ein kleiner Raum, der den Namen des heiligen Franciscus von Assisi trägt. Franciscus war ein bescheidener Mensch, „PR“ beherrschte er aber hervorragend. Als er „Monte San Angelo“ besuchte, betete er nicht vor dem Altar wie alle anderen Pilger, sondern um die Ecke in einem Vorraum gleich hinter dem Tor aus Bronze. Angeblich weil er sich nicht würdig fühlte, vor den Erzengel zu treten. So bildete er eine eigene Kapelle und eine zweite Pilgerstätte. Wenn man sich durchsetzen will, muss es einfach kennen. Der Altar unter der tief hängenden Felsendecke ist aus Marmor und auf ihm steht die Statue des Erzengels Michael und ein Kreuz, das Kaiser Friedrich II. der Kirche gestiftet hat. Er brachte es aus Jerusalem. Friedrich wurde infolge der Hochzeit mit Isabella von Jerusalem (sie war seine zweite Frau) zum König von Jerusalem und im fünften Kreuzzug (in dem nicht gekämpft, umso intensiver aber verhandelt wurde) gelang es ihm, Jerusalem zu gewinnen und das Kreuz aus der Domkirche von Jerusalem wurde hierher gebracht – zu einer Pilgerstätte in seinem zweiten – eigentlich seinem ersten Königreich – Sizilien. Dem Menschen stockt ein bisschen der Atem, diese Kirche ist nichts für klaustrophobe Menschen. Im Untergrund der Kirche befinden sich die Gräber der langobardischen Könige, wir kamen nicht hin, ich weiß nicht, ob man sie überhaupt besuchen kann.

               Die zweite Dominante der Stadt ist das Kastell auf der Bergspitze. Eine riesige Festung ist von der Stadt durch einen Graben getrennt, gerade hier lebte die schöne Bianca Lancia mit ihren Kindern, die sie dem Kaiser gebar, dem zukünftigen König Manfred und der byzantinischen Kaiserin Konstanz. Vom Turm der Festung gibt es einen unglaublich schönen Blick auf das ganze Land bis zum Meer, das fast einen Kilometer tiefer liegt.

               Als wir nach Vieste zurückfuhren, belohnte uns Gargano mit einem wunderschönen Regenbogen über dem Meer. Es bedankte sich bei uns für den Besuch und für unsere Geduld mit seinen Serpentinen. Wir danken auch. Gargano ist ein schönes und vielfältiges Erlebnis. Für die Liebhaber von Baden, Geschichte, Natur oder für die Pilger. Nur Menschen mit Kinetose sollten es wahrscheinlich meiden.              

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