Auf Sizilien lebt man auf der Straße. Kein Wunder, die Wohnungen der Sizilianer sind eher klein und für Empfänge größerer Menschenmengen nicht geeignet. Für Treffen und Sozialleben dient die Straße. Sie tut es in zwei Phasen. Am Tag werden vor die Türen der Häuser Pensionisten geholt. Sie sitzen hier den ganzen Tag auf Stühlen oder in Sesseln und beobachten schweigend die Welt. Nach Sonnenuntergang werden sie von der Straße gebracht. Sie verschwinden in den Häusern und auf die Straße kommt die Jugend. Die ist viel lauter, es ist nichts Außergewöhnliches, kleine spielende Kinder noch nach Mitternacht hier zu treffen
So war das im Süden übrigens immer. Schon die alten Griechen lebten auf der Straße, in der Öffentlichkeit, zu Hause blieben nur die Frauen. Frauen wurde damals das Leben in der Öffentlichkeit – im Unterschied zu heute – untersagt. Trotzdem hatte Sizilien bereits in antiken Zeiten auf der politischen Karte des Mittelmeerraumes eine bedeutsame Stellung.
Sizilien war in der Antik ein wichtiger Verkehrsknoten und ein begehrtes reiches Land. Griechische Kolonien in Syrakus, Segesta, Selinunt oder Agrigent waren damals schon reiche Städte. Die Griechen mussten allerdings um die Vorherschaft über die Insel mit den Karthaginern kämpfen, eine Vorentscheidung in diesem Kampf brachte die Schlacht bei Himera im Jahr 480 v. Christi, wobei auch der karthaginische Heerführer Hamilkar sein Leben verlor. Karthago gab aber trotzdem keine Ruhe, es nutzte die Kämpfe zwischen der griechischen Städten und im Jahr 409 kam die Rache, die Stadt Himera wurde vernichtet und nie wieder aufgebaut.
Wir besuchten die antiken historischen Orte – Segesta und Selinunt – im Süden gibt es dann noch Agrigent und im Innenland Enna – die würde ich aber im August lieber nicht besuchen, die sommerliche Hitze ist nur am Meer erträglich. Wir waren hier zwar schon anfangs Juli, aber über die Insel bis ins Mitteleuropa ist gerade eine Hitzewelle gerollt, nach Besuch einer historischen Gedenkstätte war das Baden ein Muss. Segesta des Stammes der Elymen suchte jahrzehntelang einen Weg, den griechischen gehassten Konkurrenten Selinunt zu vernichten. Um die Allianz mit Athen schließen zu können, begann es einen gigantischen Tempel der Göttin Athena im monumentalen dorischen Stil zu bauen.
Als dann aber die Athener im Jahr 413 v.Ch. ihren Kampf gegen Syrakus verloren haben und ihre ganze Flotte vernichtet wurde, gab es keinen Grund mehr, den Tempel fertig zu bauen, daher blieb er bis heute eine Art eines Potemkinsdorfes. (Wahrscheinlich das älteste auf der Welt – zweitausend Jahre vor Potemkin.) Segesta verbündete sich mit Karthago und die Karthaginer machten Selinunt dem Boden gleich. Als dann aber während des ersten punischen Krieges auf die Insel Römer einmarschierten, erinnerten sich die Bürger von Segesta, dass sie laut einer Legende eigentlich mit den Römern verwandt sind und wechselten die Seiten. Als Belohnung mussten sie dann, als die Insel wirklich von Römer eingenommen wurde, keine Steuer zahlen. Der Opportunismus zahlte sich schon damals aus und wenn man sich sein Benehmen richtig begründen kann…
Diese Verwandtschaft mit den Römern entstand, als Flüchtlinge aus Troja im heutigen Castellmare del Guolfo anlegten. Die Frauen aus Troja hatten von der Reise schon genug (möglicherweise waren sie seekrank wie meine Gattin) und sie beschlossen, dass ihre Männer mit weiteren Abenteuern Schluss machen sollten. Sie zündeten im Golf die vor Anker liegenden Schiffe an, nur Aeneas mit seiner Familie gelang die Flucht auf seinem Schiff, mit dem er dann in die Mündung vom Tiber fuhr und danach die Stadt Alba Longa gründete. Er wurde dort König, seine Nachkommen waren dann Jahrhunderte später Romulus und Remus, die Rom gegründet haben. Der Rest der Trojaner, die ihre Schiffe auf diese Art verloren haben, gründete dann die Stadt Segesta. Ob diese Legende wahr ist, oder aus praktischen Gründen frei erfunden wurde, werden wir nicht mehr erfahren, die Bürger von Segesta waren, wie schon gesagt, sehr erfinderisch, wenn es um ihren Profit ging.
Heute erinnern an die ehemalige Existenz dieser Stadt der unvollendete Tempel und ein atemberaubendes Theater mit dem Blick auf die Landschaft bis zum Meer bei Castellmare de Guolfo, wo einmal die trojanischen Schiffe brannten. Vom Tempel zur Akropolis mit dem Theater, ist es zu Fuß eine halbe Stunde, wenn man in der Zeit hinkommt, wenn die Sonne bereits zu brennen beginnt, zahlt sich aus, ein Ticket für Bus um 3 Euro zu kaufen, der euch dann hinbringt.
Übrigens nicht weit von Segesta gibt es das Ort Calatafimi. Eigentlich nichts, was man unbedingt sehen müsste, allerdings ist dieses Dorf mit dem Nationalheld Giuseppe Garibaldi verbunden. Nach der Landung mit seinen „Tausend Rothemden“ auf Sizilien traf er gerade hier das erste Mal an das zahlen- und rüstungsmäßig weit überlegene Heer des sizilianischen Königsreiches und zum Erstaunen allen überlebte er und siegte sogar. Der Weg nach Palermo war frei und damit auch zur Eroberung des italienischen Südens – mit dem die italienische Regierung bis heute nicht weiß, was sie tun soll.
In Selinunt hatte ich Glück, dass ich mich bei der Anfahrt verirrt habe – die sizilianische Straßenbezeichnung ist offensichtlich nur für Einheimische gemeint und die kennen sich ohnehin aus. Dank des Irrtums wusste ich, dass man vom Tempelbezirk, wo die Eintrittskarten verkauft werden, zu Akropolis mit dem Auto fahren kann.
Deshalb konnten wir mit gutem Gewissen das Angebot, uns um 12 Euro !!! mit einem Kleinbus hinzubringen, ignorieren. Sollte diese Besucherberaubung noch ein Rest der Tradition vom antiken Selinunt sein, begann ich zu verstehen, warum die Bürger von Segesta diese Stadt so hassten und sie gewannen sogar dafür meine Sympathien.
Im Sommer zahlt es sich auf Sizilien aus, bereits in der Früh bei den Sehenswürdigkeiten zu sein. Die Strände sind meistens nicht weit entfernt, wie dieser in Selinunt.
Die Sehenswürdigkeiten öffnen ihre Tore um neun Uhr und wir waren regelmäßig unter den ersten Besuchern. (Niemals aber die Allerersten, überall wurden wir von mindestens einem Auto mit tschechischem Kennzeichen überholt, die Tschechen leiden offensichtlich so tief in Süden auf Schlaflosigkeit.) Gegen Mittag, wenn die Sonne das Land heiß machte, konnten wir uns bereits im Meer abkühlen. Der schönste Strand Siziliens ist am Capo di Vito im Nordwesten der Insel,
gut vereinbar mit einem Besuch des Städtchens Erice auf einem kegelförmigen Berg mit einer Festung auf der Spitze und unglaublich schönen Ausblicken.
Die Preise auf Sizilien waren erschwinglich (mit Ausnahme Cefalú, Taormina oder Erice – also in den berühmten touristischen Destinationen, die sich bereits der Kaufkraft der Besucher angepasst haben – die Sizilianer, wie ich schon erwähnte, haben eher Zeit als Geld. Außer diese Zentren kann man also ziemlich günstig essen – natürlich, wenn man Melanzani mag, das ist nämlich wahrscheinlich ein untrennbares Teil jeder sizilianischen Mahlzeit.
Sogar die Naturliebhaber kommen auf ihre Kosten. Nicht nur auf dem Ätna, wohin man mit dem Auto fahren kann, um dann vom Massentourismus abgefangen und zur heißen Lava gebracht zu werden. Allerdings ist das Bild der strömenden roten Lava auf den Hängen des Berges in der Nacht, wenn man von Catania in Richtung Messina fährt, sehr eindrucksvoll. Der Vulkan hat übrigens sogar mehrmals in der Geschichte die Stadt Catania bedroht, am meistens im Jahr 1669. Dass das „Castelo Ursino“ damals direkt am Meer stand, ist heute kaum zu glauben, die Burg wurde von Lava umströmt und liegt jetzt weit vom Meer entfernt. Die Stadt Catania ist aber nicht besonders schön und damit nicht wirklich besuchswert, ich würde sie also aus meiner Erzählung über Sizilien ausklammern.
Im Westen der Insel gibt es in der Nähe des Städtchens Scopello (na ja, Städtchen, eher ein größeres Dorf, aber was, seien wir ehrlich, ein Dörfchen, also ein Loch) gibt es der Naturpark Zingaro. Einer der Wege führt am Meer vorbei, ist 7 Kilometer lang und unterwegs gibt es zahlreiche Museen zu unterschiedlichen Themen und kleine Strände mit kristallklarem Wasser und wunderschönen färbigen Fischen, die zwischen den Beinen der Besucher schwimmen.
Wir schafften 5 Kilometer hinzulegen, dann kam Mittag und mit ihm Temperaturen um 40 Grad Celsius. Dort fanden wir einen größeren Strand und entschieden wir uns zu warten, bis es abkühlt. Die Entscheidung war eindeutig falsch. Es kühlte nämlich nicht ab. Wir warteten und die Temperaturen stiegen an. Um drei nachmittags war heißer als um zwei, um vier heißer als um drei. Es wurde uns klar – wenn wir unseren Parkplatz erreichen möchten noch bevor der Park seine Tore schloss, mussten wir los. Meine Frau hatte mit dem Überleben auf dem Rückmarsch in der Nachmittagshitze nicht gerade kleine Probleme. Es half nicht einmal die Taktik „Schnell laufen, damit die Hitze früher hinter uns ist.“. Kalte Umschläge und Wasser konnten das tragische Ende nur verschieben, nicht aber verhindern. Gott sei Dank, gibt es auf dem Weg eine Quelle, wo wir unsere rasch schrumpfenden Wasservorräte wieder auffüllen konnten. Vor einem sicheren Tod hat uns ein kaltes Bier „Birra Moretti“ in einer Bar direkt hinter dem Ausgang aus dem Nationalpark gerettet. Also, wenn Sie den Park besuchen möchten, dann gehen sie früh morgens hin, lassen Sie sich durch die wunderschönen kleinen Strände mit den Fischen wie aus einem Aquarium unterwegs nicht verführen, sondern laufen Sie so schnell wie möglich um das andere Ende des Nationalparks noch zu verträglichen Temperaturen zu erreichen. Ins Wasser können Sie dann jederzeit am Rückweg eintauchen – wenn Sie dazu noch Kraft und Lust haben – man muss doch zu den Stränden vom Weg abbiegen und zum Meer absteigen. Was eigentlich nicht das Schlimmste ist, aber man muss dann wieder zurück auf den Weg hinauf.
Sie können es glauben oder nicht, aber wir haben wirklich eine tschechische Gruppe getroffen, die irgendwann vor sieben Uhr auf den Weg aufbrach, um über die Berggipfel mit einer Höhe von 915 Meter zu gehen. (Man startet auf Seehöhe, also die Höhe des Berges ist zugleich der Höheunterschied) und gingen auf dem Weg am Meer zurück. Sie schauten erstaunlicherweise so aus, dass sie es überleben konnten.
Ein Jahr nach unserem Besuch gab es im Nationalpark Zingaro einen riesiger Brand, also weiß ich nicht, wie viel von seiner Schönheit übrig geblieben ist.
Also sollte ich in jemandem durch meine Erzählung Lust Sizilien zu besuchen wecken, zögern Sie nicht. Wie ich schon sagte, es ist noch immer Europa, sogar Europäische Union und die Gesetze sind hier grundsätzlich ident mit den unseren. Nur es gibt, um John Travolta aus dem Film „Pulp Fiktion“ zu zitieren „solche kleine Unterschiede“
Übrigens in zwei Wochen geht die Erzählung weiter.