Im Südwesten des Sees gibt es zwei Städtchen – Desenzano mit einem Gemälde von Tiepolo in der örtlichen Kathedrale (als Beweis dafür, dass hier während des Barockzeitalters die Venezianer herrschten) sowie römischen Ausgrabungen, und Saló, dem ehemaligen Sitz der venezianischen Statthalter. Von dieser Stadt aus “regierte” Mussolini ab 1943, als Italien auf die Seite der Alliierten wechselte und die Deutschen im Norden eine Art Protektorat schufen, das formell vom ehemaligen “Duce” geführt wurde. Aus diesem Grund wird dieser Staat auch “Republik von Saló” genannt. Zumindest wusste der große Benito, wie man eine schöne Residenz findet – auch wenn er nichts mehr zu sagen hatte. Diese Residenz liegt etwas nördlich von Saló im Palazzo Feltrinelli in Gargnano. Zwischen Saló und Mussolinis Residenz gibt es eine weitere Kuriosität, die wiederum mit dem italienischen Faschismus zu tun hat – der Gardasee übte offensichtlich für diese Menschenart eine unwiderstehliche Anziehungskraft aus. An der “Riviera Gardone” befindet sich die Villa “Il Vittoriale degli Italiani” des Abenteurers und Dichters Gabriello d’Annunzio. Diese Figur der italienischen Geschichte ist so skurril, dass ich nicht widerstehen kann, einen Moment bei ihr zu bleiben. Gabrielle d’Annunzio war ein Dichter. Er schrieb nicht nur Gedichte, sondern auch Romane, Theaterstücke und Libretti für Opern. Als er aufgrund hoher Schulden vor seinen Gläubigern nach Frankreich fliehen musste, schrieb er auch auf Französisch. Politisch war er zwar ein Abgeordneter im italienischen Parlament für die Konservativen, bei den Wahlen gab er aber seine Stimme der radikalen Linken. Er nahm seine politische Ausrichtung also nicht allzu ernst. Im Jahr 1915 hat er dafür plädiert, dass Italien in den Ersten Weltkrieg eintritt, an dem er auch aktiv als Soldat teilnahm. Am kuriosesten war seine Aktion, als er sich entschied, mit zehn Flugzeugen über der Hauptstadt des Feindes, also über Wien, zu fliegen. Die Aktion fand am 8. August 1918 statt. Von zehn Flugzeugen erreichten zwar nur sechs ihr Ziel. Die anderen mussten aufgrund von Störungen vorzeitig landen, eins davon in Österreich, wo der Pilot sofort verhaftet wurde – der technische Zustand der Fliegers war offensichtlich nicht ganz optimal – es handelte sich schließlich um italienische Flugzeuge. Über Wien ließ d’Annunzio Zehntausende von Flugblättern abwerfen. Es gab zwei Texte, einer war zweisprachig in Italienisch und Deutsch, den anderen Text hatte d’Annunzio selbst verfasst und er war nur auf Italienisch. Aber zumindest konnten die Wiener am Ende lesen, wie er sie aufrief: „Wiener, Viva l’Italia!“
Die berühmteste Aktion von d’Annunzio war jedoch die Besetzung des heutigen Rijeka, das damals “Fiume” hieß. Da Italien, das Anspruch auf diese Stadt erhob, durch die Entscheidung der Pariser Konferenz befürchtete, dass es die Stadt nicht bekommen würde (sie sollte dem neu entstandenen „Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen“ zugeteilt werden), entschied er sich kurzerhand zu handeln. Mit einer Gruppe bewaffneter Abenteurer besetzte er im September 1919 die Stadt, erklärte die Unabhängigkeit der so entstandenen “Republik Fiume” und führte dort ein Regime ein, das eine Art Labor für den zukünftigen faschistischen Staat war, in dem der “Führer” natürlich d’Annunzio selbst war. Lassen Sie sich nicht von der Tatsache täuschen, dass sogar der große Wladimir Iljitsch Lenin ihn bewundernd als Revolutionär bezeichnete – Faschisten und Kommunisten hatten immer viel gemeinsam, weshalb sie sich schließlich so sehr verachteten. D’Annunzio ließ sich sogar auf Briefmarken seines “Staates” verewigen.
Im Dezember 1920 wurde er von einer italienischen Militärflotte aus Fiume vertrieben – eine Granate traf sogar sein Büro. Obwohl d’Annunzio verkündete, er würde lieber sterben, als nachzugeben, änderte er dann seine Meinung und verkündete, dass es sich nicht lohne, für DIESES Italien zu sterben.
Er zog zum Gardasee, wo er eine Villa am Ufer kaufte. Von dort aus versuchte er, vom König zum Ministerpräsidenten ernannt zu werden, um in Italien eine “Ordnung” im faschistischen Stil einzuführen, wurde jedoch von Benito Mussolini übertroffen. Danach zog sich d’Annuzio aus dem politischen Leben zurück, was “Il Duce” zu schätzen wusste. Auf seinen Vorschlag hin erhob ihn König Vittore Emanuele Gabrielle in den Adelsstand mit dem Titel “Principe de Montenevoso”, und der italienische Staat veröffentlichte seine gesammelten Werke. D’Annunzio ließ sich dann von Mussolinis Regierung seinen aufwändigen Lebensstil finanzieren, sodass er nicht zum zweiten Mal nach Frankreich fliehen musste. Er starb am 1. März 1938 in seiner Villa am Lago di Garda. Seine Villa wurde bereits vor seinem Tod zum nationalen Denkmal erklärt und, glauben Sie es oder nicht, mir war nicht danach – der Flughafen in Brescia wurde nach ihm benannt. Offensichtlich sind die Italiener ähnlich wie die Slowaken, Ungarn oder auch Österreicher mit ihrer faschistischen Vergangenheit noch nicht ganz im Reinen – sonst hätten sie wahrscheinlich nicht Giorgia Meloni gewählt, die sich offen zum Erbe Mussolinis bekennt.
Und damit ich es nicht vergesse – natürlich darf auch am Seeufer kein botanischer Garten fehlen. Ohne diesen würde es am italienischen Alpensee einfach nicht gehen. Der “Giardino botanico Hruska” liegt in der Nähe von d’Annunzios Residenz, befindet sich in privatem Besitz und gehört seit den 1980er Jahren dem österreichischen Schriftsteller André Heller. Heller ist zwar auch eine etwas skurrile Persönlichkeit, aber zumindest kann man sein politisches Engagement im Gegensatz zu den anderen berühmten Bewohnern des Sees als links von der Mitte einordnen. Übrigens besitzt er auch einen weiteren Garten namens “Anima”, den er selbst entworfen hat und wo er sich gegenwärtig öfter aufhält als am Gardasee oder in Wien. Aber dafür müsste man bis nach Marrakesch in Marokko reisen.
Im Nordwesten des Gardasees liegt die Stadt Limone, die, wie ihr Name schon vermuten lässt, von großen Zitronenplantagen umgeben ist.
Wer weder mit dem Auto noch mit dem Boot fahren möchte, kann es mit dem Fahrrad versuchen. Radfahren ist am Gardasee sehr beliebt, es gibt Hunderte von Radfahrern, und Fahrräder können praktisch in jedem Dorf ausgeliehen werden. Es gibt jedoch keine speziellen Fahrradwege, also müssen sich die Radfahrer die Straßen mit Autofahrern teilen, die sie dafür natürlich angemessen hassen. Die Italiener sind sich dieses Problems offensichtlich bewusst. Es ist geplant, einen 166 Kilometer langen Radweg zu bauen, der den gesamten See umrunden sollte. Die Kosten sollen sich auf 345 Millionen Euro belaufen, wobei allein 19 Kilometer in der Provinz Trento, wo die Felsen direkt in den See fallen – und wo früher die österreichisch-venezianische Grenze verlief – 100 Millionen kosten sollen. Das gesamte Projekt soll bis 2026 abgeschlossen sein, also wenn Sie den unwiderstehlichen Drang verspüren, den See mit dem Fahrrad zu umrunden, könnten Sie vielleicht noch drei Jahre warten. Dann wird es viel gemütlicher.
Eine klassische Touristenfalle ist jedoch Sirmione. Es liegt auf einer langen Halbinsel, die praktisch durch die Mitte des Sees verläuft und an einigen Stellen nur etwa hundert Meter breit ist – dennoch gibt es natürlich auf beiden Seiten Hotels, Apartments, Restaurants und Parkplätze.
Achtung! Auf allen Parkplätzen muss gezahlt werden, auch auf denen, wo es nicht angegeben ist und wo man die Parkscheinaen mühsam zwischen den Bäumen am Straßenrand suchen muss. Das habe ich schmerzlich erfahren, als ich an meiner Windschutzscheibe einen Strafzettel fand. Das Problem ist nicht der Betrag von 29 Euro, sondern die Tatsache, dass diese Summe praktisch nicht aus dem Ausland bezahlt werden kann – und wenn sie dann als Inkasso kommt, ist sie erheblich höher (der administrative Aufwand für die Sicherstellung der Daten des Autobesitzers und seiner Adresse ist teuer). Wenn Sie also einen Strafzettel finden, fahren Sie sofort zur nächsten Polizeistation und versuchen Sie, die Strafe vor Ort zu bezahlen. Wie gesagt, man befindet sich in einer klassischen Touristenfalle, und die Italiener werden versuchen, jeden möglichen Cent von jedem Touristen auszuquetschen.
Sirmione ist von allen Seiten von Wasser umgeben, die Brücke, über die Sie hineinkommen, ist ziemlich neu, in der Vergangenheit betrat man sie über eine Zugbrücke der Wasserburg – wieder einmal einer Scaligerburg.
Die Burg selbst ist vor allem wegen der Ausblicke interessant, die sie von ihren Mauern und Türmen bietet, es gibt keine Ausstellung dort. In der Stadt gibt es Thermalquellen. Sie können besichtigt werden, die wohlhabenderen können in Hotels mit direktem Zugang zu den Thermalbädern übernachten.
Und dort, wo die heißen Quellen waren, war auch das römische Anwesen nicht weit. Auf dem äußersten Vorsprung der Halbinsel ließ Kaiser Augustus eine riesige Villa mit Terrassen über dem See, mit einem gigantischen Tank zur Regenwassergewinnung – und natürlich Thermalbädern – bauen. Die Villa erhielt später den Namen „Grotte die Catullo“, benannt nach dem Veroneser Dichter Catull, mit dem sie jedoch nichts zu tun hat. Catull starb im Jahr 54 v. Chr., als Augustus neun Jahre alt war. Der Besuch der ausgedehnten Ausgrabungsstätten mit herrlichem Blick auf den See ist ein Erlebnis, das man unbedingt genießen sollte.
Das Museum mit Relikten aus der Villa befindet sich gleich rechts am Eingang. Ungeduldige Touristen wie ich könnten es übersehen, und wenn sie dann zurück in das Gelände wollen, könnten sie Schwierigkeiten haben zu erklären, dass ihr Ticket noch gültig ist. Es gibt eine kombinierte Eintrittskarte für die Wasserburg der Scaliger und die Villa des Catull, sie kostet 14 Euro – die Einzeltickets zusammen kosten ebenfalls genau 14 Euro. In der kombinierten Karte ist auch der Besuch der römischen Ausgrabungen in Desenzano enthalten – also der ist dann praktisch kostenlos.
Und natürlich – wenn Sie mit Kindern am See ankommen, gibt es Gardaland, einen der größten Vergnügungsparks Europas. Meine Enkelinnen lieben es. Meine Frau nicht. Ich bin mit ihr nicht ins Gardaland gegangen, weil sie sich auf einem Karussell gerne – eigentlich nicht gerne – übergibt. Reisekrankheit ist furchtbar.
Eine Überraschung waren die absolut erschwinglichen Preise in den Restaurants. Obwohl ich gerade in Sirmione gegen eine italienische Essgewohnheit verstoßen habe. Ich bestellte „Penne con salmone“ (Penne mit Lachs) und war überrascht, dass ich keinen Parmesan zu den Teigwaren bekam. Also bat ich den Kellner um „Parmigiano“ und bekam anstelle des Käses einen vernichtenden Blick und ein klares Nein. Ich verstand, dass etwas nicht stimmte, und so bildete ich mich weiter. In Italien wird NIE Parmesan zu Fischgerichten serviert. Und diese Lachsstücke in den Nudeln waren eindeutig ein Fisch! Ich bin schlauer geworden, aber der Kellner könnte an die germanischen Barbaren aus dem Norden gewöhnt und daher toleranter sein. Aber wenn es um Essen geht, kennen die Italiener keine Gnade. Abgesehen von diesem Zwischenfall war das Essen großartig und sehr preiswert. Offensichtlich gibt es viel Wettbewerb, der die Preise nach unten drückt. Und die ziehen natürlich die Touristen nachträglich an. Im Restaurant Al Pino haben wir zwei für 47,50 Euro hervorragend gegessen. Sowohl die Forelle als auch der Goldbrasse waren ausgezeichnet. Und in Malcesine im Stadtzentrum gibt es sogar gezapftes Pilsner Urquell. Und das bis spät in die Nacht.
Vielleicht ist doch nicht alles Goethes Schuld.
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