Also, wie ich meinen ersten Teil des Artikels über Lucca beendet habe, nicht nur von den Kirchen lebt ein Mensch. In Lucca gab es genug reiche Menschen, die wussten gut zu leben. Für die Öffentlichkeit ist der „Palazzo Mansi“ zugänglich mit innerer Ausstattung im Stil des Rokokos, wo sich die „Pinacoteca Nazionale“ befindet und der „Palazzo Pfanner“ mit einem wunderschönen Garten, der mit zahlreichen Marmorstatuen geschmückt ist.
Felix Pfanner stammte aus dem österreichischen Vorarlberg, seine Familie kam aber aus Bayern und betrieb Bierbrauerei. Im Jahr 1844 wurde der junge Pfanner nach Lucca von Herzog Leopold II. eingeladen. Der Herzog hatte Lust auf gutes Bier, das die Italiener damals noch nicht zu brauen vermochten. Der junge Felix begann mit der Produktion im Keller eines prächtigen Palastes am Rande der Stadt, den sich im siebzehnten Jahrhundert ein Seidenhändler bauen ließ (Lucca war traditionell bekannt durch Erzeugung von Brokaten und später von Stoffen aus Seide). Der Erfolg war groß, die Italiener fanden Vorliebe für das neue Getränk. Pfanner wurde reich und er kaufte später den Palast inklusiv des Gartens (den Garten kann man von der Stadtmauer gut sehen, also nur für seinen Besuch muss man die Eintrittskarte nicht unbedingt kaufen). Die Brauerei Pfanner war im Betrieb bis zum Jahr 1923. Felix selbst starb im Jahr 1892 und beide seine Söhne verließen die familiäre Tradition und wurden Ärzte. Ein wurde zum Psychiater und der zweite zum Chirurgen, aus diesem Grund gibt es heute im Palast eine Ausstellung der historischen medizinischen Instrumente, bei deren Besichtigung einem die Kälte über den Rücken läuft.
Im Palast Pfanner spielte sich eine schöne obwohl ein bisschen traurige Geschichte ab (noch bevor Felix Pfanner nach Lucca kam). Im Jahr 1692 wohnte hier bei seinem Besuch der Stadt Lucca der dänische Kronprinz Frederik und er verliebte sich in eine einheimische Adelige namens Maria Maddalena Trenta. Im Schlafzimmer, das man besuchen kann, erlebten die zwei Verliebten eine wilde Romanze, leider ohne Happy End. Frederiks Vater Christian V. starb und Frederik wurde nach Hause berufen, um die Regierungsgeschäfte zu übernehmen. Er wurde zum König Frederik IV. von Dänemark und Norwegen. Eine Ehe mit einer Italienerin, obwohl vom Adel, war in der neuen Situation undenkbar. Frederik heiratete Luise von Mecklenburg und Maria Maddalena Trenta trat in ein Kloster ein und wurde None. Die schöne romantische Geschichte hat nur einen Schönheitsfehler. Der dänische König Christian V. starb nämlich im Jahr 1699. Vielleicht flüchtete also der dänische Prinz vor der leidenschaftlichen Maria Maddalena aus anderen Gründen – aber WENN INTERESSIERT ES SCHON?
Besuchswert ist sicherlich auch der Botanische Garten, der sich in einer Ecke der Altstadt befindet.
Hier gibt es ein Lehrpfad und man kann hier die Zeder von Libanon oder amerikanische Sequoien bewundern, die höchsten Bäume der Welt. Die Sequoie in Lucca ist lediglich zweihundert Jahre alt, also sie ist noch ein Baby. Trotzdem ist es der höchste Baum im Botanischen Garten. Über den See in der Ecke des Gartens erzählt man eine Legende über die schöne Lucida Mansi. Lucida war sehr hübsch, sie stammte aus einer adeligen Familie Samiati. Sie heiratete Vincenzo Diversi, sie wurde aber bald Witwe und heiratete das zweite Mal – den alten und reichen Casparo de Nicolao Mansi. Ihr Leben floss in Partyrausch mit vielen Liebhabern darin, bis sie einmal im Spiegel, in den sie täglich schaute, in ihrem Gesicht eine erste Falte sah, das Zeichen des Altwerdens. Verzweifelt bat sie den Teufel um Hilfe, damit sie weiterhin jung und schön bleiben konnte. Er versprach ihr weitere dreißig Jahre Jugend, wollte dafür aber, wie es schon sein Brauch war, ihre Seele. Als die dreißig Jahre vorbei waren, versuchte Lucida vor dem Teufel zu flüchten, aber nach einem Lauf auf der Stadtmauer holte er sie ein und riss sie in den See im Botanischen Garten. Jedes Jahr am 31.Oktober taucht aus dem Wasser eine brennende Kutsche und man hört furchtbare Schreie Lucidas, bis die Kutsche wieder in Flammen im See untertaucht. Die Legende ist schön, die wirkliche Lucida starb aber nachweislich im Jahr 1649 im Alter von 43 Jahren und wurde im Kapuzinerkloster in der Nähe des Botanischen Gartens, das es heutzutage nicht mehr gibt, begraben. Also stellt sich die Frage – wer taucht eigentlich zu Haloweenzeit aus dem See auf.
Was wäre allerdings Lucca ohne Giacomo Puccini? Einer der bekanntesten Komponisten wurde hier geboren und blieb mit seiner Geburtsstadt lebenslang verbunden. Sein Geburtshaus ist nur ein paar Schritte von der „Piazza San Michele“ entfernt. Puccini wuchs mit seinen Geschwistern in einer bescheidenen Wohnung in der zweiten Etage des Hauses auf, später kaufte er das ganze Haus. Heute gibt es in seiner damaligen Wohnung ein Museum, das ihm und seiner Schöpfung gewidmet ist. Es gibt hier sein Klavier, sein Diplom aus dem Musiklyceum in Mailand, wo er seine Ausbildung abschloss. Es gibt hier Teile seiner Korrespondenz und seine Bilder und Büsten aus der Zeit als er bereits berühmt war, also nachdem ihm mit der Oper Manon Lescaut der Durchbruch gelungen war – er war damals 35 Jahre alt. Bereits sieben Jahre früher fand er seine Lebenspartnerin. Elvira Bonturi war in dieser Zeit verheiratet, als sie eine leidenschaftliche Affäre mit Puccini hatte und diese blieb nicht ohne Folgen – ein Sohn Antonio kam zur Welt. Elvira verließ wegen des damals noch unbekannten Komponisten ihren Mann, mit der Hochzeit musste sie aber bis zum Jahr 1904 warten, bis ihr erster Mann starb. Elvira hätte die Hochzeit mit Puccini beinahe nicht erlebt. Ein Jahr früher hatte nämlich der leidenschaftliche Autofahrer Puccini einen schweren Unfall, den er nur nach einer mehrmonatlichen Behandlung überstanden hat.
Es gibt aber nicht nur Puccini. Im Städtchen Collodi, ungefähr siebzehn Kilometer von Lucca in Richtung Pistoia entfernt (Also hinter Montecarlo) begegnet man eine Märchenfigur, die wir alle kennen. Pinocchio, das Männchen aus Holz, dem die Nase wuchs, wenn er log. In Collodi gibt es der „Parco Pinocchio“ als eine Attraktion, wenn man in diese Gegend mit Kindern reist. Es war mir nicht ganz klar, warum sich dieser Park gerade in Collodi befindet. Der Autor von Pinocchio Carlo Lorenzini wurde in Florenz geboren, in Florenz starb er und in dieser Stadt brachte er auch seine legendäre Figur im Jahr 1878 zur Welt. (In Florenz gibt es angeblich auch ein Pinocchio Park, nur bei der Menge anderer Attraktionen in der toskanischen Hauptstadt geht er irgendwie verloren). In Collodi gibt es nichts anderes – die Einheimischen wussten das Pseudonym des Autors, der unter dem Namen Carlo Collodi schrieb, weil in diesem Dorf seine Mutter geboren wurde, zu nutzen. Es handelt sich also im Prinzip um ein Fake, aber die Italiener sind in der Sache PR sehr geschickt. Und wenn es regnet und man weiß nicht, wohin mit den Kindern zu fahren…
Lucca ist also schön und lieb. Und alt. Nicht nur das römische Forum, auf dem San Michele steht, erinnert an seine uralte Wurzel. Einer der berühmtesten Plätze ist das römische Amphitheater, den die kreativen Italiener mit Häusern bebauten Sie nutzten die Bausubstanz des alten römischen Amphitheaters – jetzt bildet es einen Platz mit Form einer Ellipse.
Damals – also in den römischen Zeiten, schrieb man den Namen der Stadt nur mit einem „c“, also Luca. Bereits im Jahr 177 vor Christi Geburt war Luca eine römische Kolonie, aber nur der Schutz der Kaiser Ludwig IV. und Karl IV.. brachte es unter die bedeutesten Städte der Toskana.
Wie alle anderen Kommunen erklärte Lucca nach dem Tod der letzten Markgräfin von Toskana Mathilde im Jahr 1165 ihre Unabhängigkeit. Und wie alle anderen Kommunen wurde sie sofort in die Kämpfe um die Macht und das Geld in der Region verwickelt. Im Jahr 1314 wurde Lucca für eine kurze Zeit von dem mächtigen Nachbarn Pisa beherrscht, dann aber übernahm die Macht in der Stadt Castruccio Castracani. Zuerst half er zwar den Pisanern seine Stadt einzunehmen, er verfolgte aber dabei seine eigenen Ziele. Zwei Jahre später stellte er sich dem pisanischen Stadtverwalter und wurde von ihm sogar eingesperrt. Die Bevölkerung von Lucca holte ihn aber aus dem Gefängnis und er wurde zum Herrscher der Stadt. Als ein überzeugter Ghibellin, also ein Anhänger der kaiserlichen Macht, entschied er sich richtig für die Unterstützung des Kaisers Ludwig IV. von Bayern bei seinem Feldzug nach Italien. Dank dieses Verbündeten beherrschte er nicht nur Pistoia und für eine kurze Zeit sogar Pisa, am wichtigsten war die Einnahme von Carrara, wo bis heute der schönste Marmor abgebaut wird. Man sieht es in Lucca auf jedem Schritt. Seine unzähligen Kirchen sind mit Marmorfassaden geschmückt und im Inneren mit Säulen. Mit Marmor sparte man hier wirklich nicht – letztendlich hatte man es nur für den Preis der Arbeit ohne Zuschlag erwerben können. Das Ergebnis war, dass zum Beispiel die Kirche San Michele mit ihrer Fassade wie eine etwas übertrieben geschmückte Sahnetorte ausschaut.
Bei dem Blick auf jede weitere mit weißem Marmor (aber auch gelblichem oder grauem, wer sollte schon so viele Fassaden aufrechthalten?) strahlende Fassade zahlreicher Kirchen in der Stadt kann ein informierter Mensch nicht widerstehen, sich an den berühmten Condotiere Castracani zu erinnern, dass er davon vielleicht in seinem Grab Schluckauf bekommen müsste.
Castracani starb im Jahr 1328 unmittelbar nachdem er die Florentiner bei Pistoia in die Flucht geschlagen hatte und Lucca musste um seine Stellung fürchten, besonders aber um seine Marmormienen. Die Stadt wählte eine Lösung, die sich nicht gerade als die glücklichste erwies. Lucca bat um Schutz den tschechischen König Johann von Luxemburg, der gerade dabei war, im Norditalien ein kleines Imperium zu errichten und aus Lucca machte er sogar die Hauptstadt seiner städtischen Konföderation. Damit war zumindest ein Problem von Lucca erledigt, nämlich die Überschüsse des Stadtbudgets. Die waren definitiv dahin. Seinen Sinn konnte allerdings dieser königliche Schutz schon erfüllen. Es ist doch klar, dass eine reiche und wehrlose Stadt mögliche Angreifer viel mehr als eine zwar ausgeplünderte, aber bis auf die Zähne bewaffnete, lockt. Johann von Luxemburg litt bekanntlich an permanenten finanziellen Problemen, er verkaufte seine italienischen Städte und behielt lediglich Lucca. Lucca blieb luxemburgisch bis zum Jahr 1369. Damals erkaufte sich die Stadt von dem Johanns Sohn Kaisers Karl IV. für 100 000 Gulden die Freiheit und wurde zu einer freien Republik. Der wissenschaftliebende Kaiser Karl (in Zusammenarbeit mit Papst Urban V.) schenkte der Stadt wie eine Kirsche auf der Torte auch das Recht eine Universität zu gründen. Lucca verstand dieses Privilegium nicht ganz, weil die Universität wurde – für eine sehr kurze Zeit – lediglich im Jahr 1790 gegründet. Karl schrieb sich in die Geschichte der Region um Lucca auch anders ein – und zwar durch Gründung der Burg Montecarlo ungefähr 13 Kilometer östlich von Lucca. Heute ist die Burg nur eine Ruine, aber unter ihr wuchs eine Stadt, die zum Zentrum des Weinanbaus in der nordwestlichen Toskana wurde. Den Wein habe ich ausprobiert und er ist durchaus trinkbar.
Lucca blieb eine freie Republik bis zum Jahr 1797, es wurde also nicht ein Teil des toskanischen Großherzogtums der Familie Medici und anschließend der Habsburger. Dadurch konnte es leider nicht von der Reformen Franz Stephans und seines Sohnes Leopold profitieren.
Im Jahr 1804 krönte sich Napoleon Bonaparte zum Kaiser. Mitglieder seiner Familie bekamen Prinzentitel mit Ausnahme seiner Schwestern Karoline und Elisa, verheiratet Bacciochi. Beide Damen machten dem frischgebackenen Kaiser so eine Szene, dass er schnell verstand, dass er einen falschen Weg gewählt hatte und er entschied sich mit ihnen zu versöhnen. Karoline wurde an der Seite ihres Mannes des Generals Murat die Königin von Neapel und Elisa zur Herzogin von Lucca. Elisa nahm die Sache in die Hand und sorgte dafür, dass die ein bisschen zurückgebliebene Stadt neue Impulse für ihre Entwicklung bekam. Neben der Züchtung von Seidenraupen und damit verbundener Seidenproduktion, reformierte sie das Schulwesen, gründete den bis heute existierenden Botanischen Garten und holte nach Lucca den jungen, noch unbekannten, aber sehr talentierten Nicolo Paganini. Nach dem Fall Napoleons übernahmen die Macht über Toskana und Lucca Bourbonen, die neue Herzogin Marie Luisa setzte aber die Arbeit ihrer Vorgängerin nahtlos fort. Lucca verdankt also seine Entwicklung in eine moderne Stadt diesen zwei Damen.
Lucca ist ein liebes Städtchen zwischen Bergen, die es von drei Seiten umgeben. Die Stadtmauer tut es dann von allen vieren. Die Stadtmauer wurde im sechzehnten Jahrhundert gebaut, als der alte mittelalterliche Mauerring (von dem zwei Tore übrigblieben) nicht mehr den Anforderungen entsprach, die die Einführung der Artillerie verlangte. Und weil die Stadt niemandem mehr einer Belagerung wert war, erlitt die neue Mauer keinen Schaden. Nicht einmal dann, als die Stadt für offen erklärt wurde. Auf dem Glacis, also in der Entfernung eines Kanonenschusses, durfte nicht gebaut werden. Nach Öffnung der Städte wurden gerade diese Grundstücke zu den wertvollsten für den Bau neuer Stadtviertel. Nicht so in Lucca. Die Mauer blieb unversehrt (wenn wir nicht ein neues Tor Porta Elisa zählen, die Napoleons Schwester in die Mauer schlagen ließ) und wurde zum Park umgewandelt.
Ein Spaziergang auf der Mauer um die ganze Stadt herum ist ein schönes Erlebnis, auf der bis zwanzig Meter dicken Mauer wurden Bäume eingepflanzt, die Schatten spenden und es gibt hier sogar Restaurants – wir sind in Italien, natürlich. Das Glacis ist ein Teil dieses Parks, ohne Bäume mit einem breiten Ring von Rasen Man kann also in Lucca wirklich sehen, wie so eine Befestigung in der Zeit des Barocks ausgesehen und wie sie gedient hat.
Also Lucca, das sind, wie ich bereits erwähnte, vor allem Kirchen. Angeblich gibt es einhundert von ihnen hier. Ich zählte sie nicht, diese Zahl hat aber auch ihre Vorteile. Zahlreiche der Kirchen sind geschlossen oder zu Museum oder Bibliothek umgebaut, vor jeder Kirche muss aber logisch zumindest ein kleines Plätzchen (oder ein großer Platz) sein und auf jedem Platz in Italien dann eine Trattoria, Osteria oder zumindest eine Bar. Also keine Angst, vor Hunger oder Durst stirbt man in Lucca sicher nicht.
Die größte Kirche in der Stadt ist natürlich die Kathedrale, die dem heiligen Martin gewidmet ist.
Es ist ein atemberaubendes – natürlich mit Marmor bekleidetes – Gebäude mit einem hohen Campanile, den man besteigen kann. Wirklich schöne Aussichten gibt es aber von dem Campanile nicht, weil die Fenster mit einem dicken Gitter verschlossen sind – die Stadt kann man von hier nicht fotografieren, zu diesem Zweck besitzt Lucca andere Türme. (Es ist der Uhrturm und der Turm Guinigi – aber darüber später) In der Kathedrale ist die größte Attraktion das Kreuz „Volto Santo“, seine Fertigstellung wird dem heiligen Nikodemus zugeschrieben.
Das Kreuz stammt zwar nachweislich aus dem elften Jahrhundert, diese Tatsache stellt aber seiner Verehrung kein Hindernis dar. Am 13. September wird das Kreuz durch die Stadt in einer feierlichen Prozession getragen, gekleidet in einem Gewand aus silbernem vergoldetem Schmuck und mit Diamanten, diese Artefakte kann man in dem Kathedralmuseum sehen (es gibt eine gemeinsame Eintrittskarte für die Kathedrale, das Museum und den Campanile). Aus den Bildern, die auf den Wänden der Kirche hängen (die Kirchen von Lucca sind von außen fantastisch, in ihrem Inneren aber relativ bescheiden geschmückt, auf den kahlen Wänden gibt es nur Bilder aus der Zeit der Renaissance oder dem Barock) ist das wertvollste „Das letzte Abendmal“ von Tintoretto. In dem linken Schiff gibt es ein Grabmal von Ilaria del Caretto. Diese junge Dame war die Gattin Paolo Guinigis, sie starb im Jahr 1406 im Alter von 24 Jahren bei einer Geburt. Der trauende Gatte ließ für sie von dem größten damaligen Meister Jacoppo dela Quercia ein Grabmal aus Marmor herstellen (anders geht es in Lucca nicht) und setzte seine Platzierung auf die Stelle, die aller meisten Prestige versprach – also in der Kathedrale – durch.
Paolo Giunigi war nämlich kein armer Schlucker. Im Jahr 1400 gelang es ihm, die Macht in der Stadt an sich zu reißen und für weitere dreißig Jahre die republikanische Verfassung außer Kraft zu setzen. An die Familie Guinigi erinnert einerseits ihr Palast, in dem es heutzutage die örtliche Pinakothek gibt (Museo Nazionale di Villa Guinigi), und andererseits der Aussichtsturm „Torre Guinigi“ (der sich nicht im Palast befindet, sondern in Casa Guinigi im Stadtzentrum). Für sechs Euro darf man auf 240 Stufen auf seine obere Plattform steigen, wo überraschenderweise große Bäume wachsen, die während des Fotografierens der Stadt aus der Vogelperspektive Schatten spenden.
Guinigi verteidigte die Stadt im Jahr 1429 gegen anrückende Florentiner, während sein Sohn Ladislaus eine Hilfe des Entsatzheeres unter der Anführung des zukünftigen Herrschers von Mailand, damals aber noch Condottiere, Francesco Sforza holte, die die Stadt rettete. Allerdings ist das die Undankbarkeit, die die Welt beherrscht. Es folgte ein Volksaufstand, Guinigi wurde verhaftet und zum Tode verurteilt. Die Bürger trauten sich nicht ihn hinzurichten, er starb zwei Jahre später in einem Gefängnis in Pavia.
Das Zentrum des bunten Treibens des Lebens in der Stadt ist die „Piazza Napoleone“ mit dem Herzogspalast. Obwohl Lucca eine Republik war, hat es irgendwie vorbeugend im sechzehnten Jahrhundert einen Palast für einen Herrscher gebaut. Das kam gut an, als die Herrschaft in der Stadt Elisa Bonaparte und nach ihr Maria Luise von Bourbon übernahmen. Heute gibt es hier den „Palazzo della Provincia“, also eine Verwaltungszentrum.
Nur ein paar Schritte entfernt gibt es die wahrscheinlich schönste Kirche in Lucca „San Michele in Foro“. Der Kult des Erzengels Michael haben germanische Stämme betrieben, vor allem die Langobarden. Lucca liegt tatsächlich auf der Geraden zwischen dem Kloster Saint Michelle in der Bretagne und der Grabstätte der langobardischen Könige in Monte San Angelo in Apulien. San Michele spielte also in Lucca, ähnlich wie in Pavia, die wichtigste Rolle und übertraf damit die Bedeutung der Kathedrale. Die Kirche wurde auf dem ehemaligen römischen Forum zwischen den Jahren 1070 und 1383 gebaut (davon trägt sie ihren Namen) und man sparte mit Marmor wieder einmal nicht. Im Inneren kann man die Kanzel von Andrea della Robia bewundern (der sich an der Dekoration der ursprünglichen Fassade des Doms in Florenz beteiligte) oder ein Bild von Filippino Lippi links von der Apsis.
Wenn jemand noch Lust hat, kann man weitere Kirchen Besuchen. Zum Beispiel San Frediano (mit einem atemberaubenden byzantinischen Mosaik an der Fassade der Kirche, einem großen romanischen Baptisterium und einem Triptychon aus Marmor „Madona mit Kind und Heiligen“ von Jacoppo della Quercia. Die erste Kirche auf dieser Stelle ließ der heilige Fredianus bauen, ein Mönch aus Irland, der in Lucca zum Bischof wurde (er starb im Jahr 580). In Lucca gibt es einen ziemlich morbiden Brauch, dass in fast jeder Kirche unter dem Altar eine Leiche eines Heiligen oder Seligen als heilige Reliquie ausgestellt wird. San Frediano hat mit der Leiche seines Bischofs nicht genug, deshalb gibt es hier auch noch die Reliquie der heiligen Zita. Zita war eine einfache Magd, die in den Jahren 1212 – 1272 in Lucca lebte. Sie machte sich durch ihre Pflege der Kranken und Schwachen berühmt, nicht umsonst trägt ein Altersheim in der Nähe von San Frediano ihren Namen.
Eine weitere besuchswerte Kirche ist „San Francisco“ am Rande der Stadt oder „Santa Maria Forisportam“ (der Name deutet an, dass die Kirche außerhalb der mittelalterlichen Mauer lag, was das naheliegende Tor des heiligen Gervasius mit zwei erhaltenen Türmen der damaligen Stadtbefestigung und ein Kanal, der heute durch die Stadt fließt, aber damals ein Teil der Befestigung war, beweisen.
Nicht nur von der Kirchen lebt ein Mensch. Lucca hat viel mehr zu bieten. Aber darüber in zwei Wochen.
Dieses Stück Landes, (also eigentlich fünf Stücke) hatte ich in meinem Reiseplan bereits seit einigen Jahren. Zuerst blockierten einen Ausflug in diese Richtung unsere Reisen in andere Teile Italiens und dann das Coronavirus. Heuer aber, als ich meine Reise in die nördliche Toskana geplant habe, war klar, dass mir diese Küstenstädtchen nicht entgehen durften. Es war nur ein Problem zu lösen, nämlich, wie komme ich hin?
Ziemlich logisch dachte ich, dass bei der Touristenmenge, die sich dort auf einem minimalen Raum, den die felsige Küste bieten kann, herumtreiben würde, könnte es ein Problem mit Parken geben. Deshalb bereitete ich mich für die Reise penibel vor. Ich erfuhr, wie die Züge aus Lucca, wo wir wohnten, nach La Spezia, das als der Ausgangspunkt zu dem südlichsten Teil der ligurischen Küste gilt, fahren. Dann gab es nur zu entscheiden, ob wir die Städtchen mit einem Schiff oder mit dem Zug besuchen. In Folge der Kinetose meiner Frau hat der Zug eindeutig gewonnen. Durch die Städte führt nämlich die Eisenbahnhauptverbindung zwischen Livorno und Genua (natürlich durch ein Tunnelsystem.)
Am Tag „T“ wachten wir in ein regnerisches Wetter auf. Meine Frau erklärte mir demzufolge, dass sie durch ganz Lucca zum Bahnhof im Regen „ganz sicher nicht gehen würde“ und ich sollte das Auto vom Parkplatz holen und starten. Was ich auch tat. Ihre Argumente, dass um halb acht in der Früh die Italiener noch schlafen, klangen ziemlich logisch. Und das waren sie auch.
Unter dem Bahnhof in La Spezia gab es freie Parkplätze ohne Ende. Wir konnten also das Auto abstellen und sich kümmern, wie weiter. Die Italiener sowie auch die Touristen schliefen noch. Nachmittags, als wir das Auto abholen wollten, war die Parkgarage schon bis zum letzten Platz voll. Also, bei einem Besuch von Cinque Terre zahlt es sich aus, nicht zu lange zu schlafen. Dann geht´s.
Um Cinque Terre zu besuchen, muss man zuerst „Cinque Terre point“ finden. Das ist nicht ganz einfach. Besonders deshalb, weil ich nicht wusste, dass ich so etwas suchen sollte. An der Fahrkartenkassa wurde ich aber belehrt und zum „Cinque Terre point“ geschickt. Dort wollte mich der Schlag treffen, weil dieser geschlossen war. Zum Glück gaben wir nicht auf und fanden den nächsten „Point“, der im Betrieb war. In diesem Büro war es notwendig eine „Cinque Terre Card“ zu kaufen, die einen Menschen zum Nutzen der Züge zwischen allen fünf Orten (man kann sogar bis nach den sechsten namens Levante fahren, das zu diesem Gebiet nicht mehr gehört) und zum Benutzen der Wanderwege im Naturpark zwischen den Orten und wahrscheinlich auch zum Atmen der örtlichen Luft berechtigt. Eigentlich kauft man für 16 Euro das Recht einen Tag zwischen den Städtchen Monterosso al Mare und Riomaggiore leben zu dürfen. Diese Karte muss man nicht einmal, wie es sonst in Italien die Pflicht ist, auf dem Bahnsteig entwerten, es ist nur notwendig, den Namen des Besitzers auf die Karte zu schreiben. Also so einfach, dass ich echt überrascht war. Aber es besuchen dieses Land letztendlich auch Amerikaner. Zu meiner Überraschung kontrollierte im Zug unsere Karten niemand, dafür gab es aber auf dem Wanderweg zwischen den Orten Vernazza und Corniglia sogar gleich zwei „check points“, wo wir kompromisslos auf den Besitz der Karte überprüft wurden.
Die Züge fahren alle zwanzig Minuten (vormittags, am Nachmittag kann sich das Intervall bis zu einer Stunde verlängern). Wir stiegen ein und brachen mit anderen Touristen (es gab dank der Coronapandemie schockierend wenige) in Richtung Norden auf. Ich entschloss mich unsere Erforschung von Cinque Terre in dem am entferntesten Ort zu beginnen und dann sich Schritt für Schritt dem Ausgangspunkt zu nähern. Die Idee war sicherlich nicht schlecht, aber zu wenig originell. Fast alle Anwesenden wählten nämlich diese Variante.
Monterosso al Mare hat einen ziemlich großen Strand. Man kann hier baden, wenn es Badewetter gibt.
Dies gab es nicht. Zu meinem Erstaunen gab es hier auch einen ziemlich großen Parkplatz. Wir suchten vergeblich das Stadtzentrum, wo man angeblich „Loggia del Podestá“, die Pfarrkirche des Heiligen Johann des Taufers und das Kloster des Heiligen Franziskus sehen könnte. Alle Abzweigungen von der Küstenpromenade führten uns immer wieder zwischen Hotels und Apartments und wenn ich nach dem Weg ins Zentrum eine Frau fragte, die wie eine Einheimische ausgesehen hat, starrte sie mich an und verschwand wortlos. Ich dachte, dass mein gebrochenes Italienisch daran schuld war, meine wiederholten Fragen in Englisch brachten aber auch keinen Erfolg. Wir tranken also auf einer Terrasse über dem Meer einen Espresso, warteten, bis die Wolken verschwanden, die Sonne begann zu strahlen und danach verließen wir leicht frustriert Monterosso al Mare in Richtung Süden. Der weitere Verlauf des Ausfluges sollte uns aber ausreichend entschädigen.
Das nächste Städtchen ist Vernazza und es ist möglicherweise das schönste von allen. Vernazza hat nämlich einen Hafen, liegt direkt am Meer und brüstet sich mit einer Festung über dem Meer mit einer Aussichtsterrasse, der Kirche der Heiligen Maria von Antiochia aus dem Jahr 1318 und mit Unmengen an Geschäften mit Essen und Getränken, Ristoranten, Osterien und Trattorien, also ein italienischer Traum hautnah. Weil es sich so gehört, entschieden wir uns die Entfernung zwischen den Städtchen Vernazza und Corniglia zu Fuß zu überwinden. Ich gebe zu, dass ich mir unter der Bezeichnung „der untere Weg“, die wir wählten, einen angenehmen Pfad an der Küste vorgestellt hatte. Dass der Weg zuerst über das Städtchen stieg, habe ich anfangs positiv angenommen als ein Angebot, uns die schönsten Blicke auf Vernazza anzubieten und die haben wir wirklich genießen[AP1] können.
Dann aber stieg der Weg weiter und er wollte damit nicht aufhören, was mich immer mehr unruhig und später auch zornig machte. In einer Entfernung von je ca. hundert Metern gab es hier Tafeln, die die Nummer von Rettungsdienst (und Feuerwehr) bekannt gaben. Wenn ich sie am Anfang ignorierte und später sie für unnötig hielt, mit zunehmenden Höhemetern wurde diese Information immer wertvoller. Letztendlich habe ich eine davon fotografiert, um die Information für jeden Fall zur Hand zu haben.
Es gab nämlich letztendlich 208 Höhemeter und dass ist bei Temperaturen über 30 Grad Celsius nicht gerade wenig. Die anfängliche Begeisterung meiner Gattin wurde durch eine Ernüchterung abgelöst, dann durch Enttäuschung, Proteste und zuletzt endete es mit einem erschöpften Stöhnen und ich machte mir wirklich Sorgen. Auf dem höchsten Punkt befindet sich eine Bar mit einer Aussichtsterrasse, aber vor allem mit Obstsäften, die dort für die Besucher frisch gepresst werden. Ich empfehle eine Kombination von Orangen und Zitronen, es ist erfrischend, nicht zu süß und im Zustand, in dem man die Bar erreicht, lebensrettend. Die Zitronen wachsen übrigens dort auf den Felsen überall, das Klima ist für sie sehr günstig und die Einheimischen machen aus Zitronen einen alkoholischen Liquor Limoncino. (Bitte nicht mit Limoncello aus Kampanien verwechseln, obwohl ich gar nicht weiß, warum nicht. Meiner Meinung nach schmecken beide sehr ähnlich, wenn nicht gleich, ich bin aber natürlich auf diesem Gebiet kein Spezialist.)
Im „Cinque Terre Point“ in La Spezia wollte uns die dort arbeitende Dame einreden, dass es sich bei dem Weg zwischen Vernazza und Corniglia um einen Spaziergang mit einer Dauer von dreißig Minuten handelt. Es war ein unverschämtes PR und Fake news. Wir brauchten für den Weg beinahe zwei Stunden und anschließend wollten uns die Italiener auf dem Bahnhof in Corniglia einreden, dass die gesamte Strecke nur 3,4 Kilometer lang sei. Na sicher! Weiter hat uns niemand darauf aufmerksam gemacht, dass es nicht egal ist, von welcher Seite man den Weg geht. Corniglia liegt nämlich hundert Meter über dem Meeresspiegel und Vernazza direkt am Meer. Diese hundert Höhemeter, die man in Corniglia bequem in einem Shuttlebus zurücklegen kann (natürlich nur wenn man ein stolzer Besitzer der „Cinque Terre Card“ ist, aber ohne die hätte man ohnehin kein Anspruch aufs Leben) sind unbezahlbar. Es war zu spät über unsere Entscheidung zu weinen, wir fuhren mit dem Bus hinunter zum Bahnhof. Im Dorf geht man an der Kirche San Pietro aus dem Jahr 1334 vorbei, es zahlt sich aus, hineinzuschauen.
Auf dem Bahnhof in Corneglia machte meine Frau eine Meuterei. Sie lehnte den nächsten Stopp in Manarola strikt ab und das mit dem Argument, dass „Quatro Terre“ auch genug sind. Manarola ist das kleinste der Städtchen, es liegt direkt an einer Flussmündung und es gab nicht zu viel Platz dort Häuser zu bauen. Also es gab auch keinen Platz für uns und wir konnten nicht die örtliche Kirche „Nativitá di Margina Vergine“ besuchen.
Durch Schwänzen von Manarola ist uns natürlich auch die Möglichkeit entgangen, die „Via dell´Amore“ zu begehen. Das ist ein Weg am Meer zwischen Manarola und Riomaggiore, wo sich angeblich die Verliebten aus diesen zwei Orten heimlich treffen konnten. Aber nicht einmal die Möglichkeit, auf dem Liebespfad die Landschaft zu erkunden, konnte meine Frau zum Einlenken bringen. Recht hat sie gehabt – schon wieder einmal. Nachträglich habe ich erfahren, dass der Weg wegen eines Erdrutsches gesperrt wäre und nur die ersten zwei hundert Meter von Manarola zugänglich sind.
Wir fuhren also direkt zu dem größten der Städte Riomaggiore mit dem Zug. Zuerst habe ich versucht, meine Müdigkeit aus der „beinahe Bergtour“ mit dem Wein Cinque Terre zu verbannen. Der süße Wein aus Cinque Terre Sciacchetra wurde bereits von Dante Alighieri für seine bernsteinähnliche Farbe, süßen Geschmack und den feinen Geruch gepriesen. Ich bekomme allerdings nach einem süßen Wein Sodbrennen. Aus diesem Grund habe ich den Wein „Vino Bianco Cinque Terre“ gewählt der seit dem Jahr 1973 die Bezeichnung DOC (Denominazione de Origine Controllata) trägt. Dieser Wein wird aus drei Weinsorten gemischt: Bosco, Vermentino und Albarola und schmeckt hervorragend. Besonders, wenn man zuvor eine Wanderung gemacht hat, angeblich nur dreiundhalb Kilometer lang, was allerdings niemand glauben kann.
Riomaggiore ist das größte der fünf Städtchen und wirkt ein bisschen impressionistisch, es wundert mich nicht, dass der impressionistische Maler Telemaco Signorini dem Zauber der Stadt unterlag. Ich glaube, Egon Schiele hätte sich dort auch gefreut.
Es ist notwendig bergauf zur Kirche des Heiligen Johannes des Täufers aus den Jahren 1340 – 1343 zu steigen. In der Kirche gibt es eine reich verzierte Kanzel, die allerdings um zwei hundert Jahre jünger ist. Wir setzten unseren Aufstieg bis zu einer Festung aus der Zeit der genuesischen Herrschaft fort, die sich auf dem höchsten Punkt der Stadt befindet. Von hier gibt es wunderschöne Aussichten und Bänke im Schatten großer Bäume, wo man sich erholen kann. Hier trafen wir einen örtlichen Senior, der mit seinem Rollator gerade die Festung erreicht hat. Er registrierte meinen Blick der Bewunderung und begann mit uns zu plaudern. Er hat sehr gut mit nur einem minimalen fremden Akzent deutsch gesprochen, er gab zu, dass er das ganze Leben lang Sprachen gelernt hatte, und zwar Französisch, Spanisch, Englisch und zuletzt auch Deutsch. Der Grund seiner Begeisterung für die Sprachen konnten wir dann im Laufe des Gespräches entdecken. Es handelte sich offensichtlich um einen einheimischen Casanova, der das ganze Leben Jagd auf Touristinnen machte. Und er hatte auch Erfolge. Wir ließen ihn uns über seine Erfolge erzählen, so haben wir auch das Geheimnis seines hervorragenden Deutsch verstanden – es war eine Dame aus Salzburg. Er selbst war ein Beamter in Riomaggiore und sein Hobby war, den Besucherinnen seine Stadt von der schönsten und angenehmsten Seite zu zeigen. Leider hat unser Casanova sicher bereits bessere Zeiten erlebt, jetzt war er schon im Ruhestand und nicht nur, was seine Arbeit im Gemeindeamt betraf. Man konnte es sehen und leider auch riechen. Er bestand auf einem Foto mit meiner Frau. Wir haben ihm es gegönnt, er schrieb sich sorgfältig ihren Namen auf. Er hat sicher zu Hause eine Fotosammlung als Erinnerung an die besseren Zeiten, die vergangen sind.
Der letzte Ort in der Region, der besuchswert ist, ist Portovenere. Es ist von La Spezia zwar nur dreizehn Kilometer entfernt, man muss aber für die kurvige Straße an der Küste mindestens eine halbe Stunde einplanen.
Portovenere war einmal der letzte Posten der Genuesischen Republik, der die Meeresenge zu La Spezia kontrollierte (La Spezia entstand als eine moderne industrielle Stadt und es gibt hier nichts Interessantes zu sehen. Seit 1997 ist Portovenere in der Liste der „Weltkulturerbe“ der UNESCO aufgenommen. Es strahlt mit farbig bemalten Häusern, atemberaubend ist die Kirche San Pietro auf dem äußersten Felsenausläufer. Oberhalb der Stadt ragt eine große Festung empor, die einmal das Interesse der Genuesen in dieser Region bewachte. Wer Lust hat, kann zu ihr bergauf laufen, ich muss in meinem Alter nicht unbedingt alles haben.
Wenn jemand versucht euch zu überzeugen, dass das Wort „Pistole“ vom dem Wort Pistoia stammt, weil hier angeblich die Schmiede im sechzehnten Jahrhundert das erste Mal diese kurze Schusswaffe erzeugten, die die Benutzung der Schusswaffen auch der Kavallerie möglich machte, glaubt ihm nicht. Ich habe mich bemüht über diese Hypothese zu recherchieren und ich stieß auf so viele widersprüchliche Behauptungen, dass ich diese Theorie endgültig verworfen habe. (Angeblich war das ein Name für einen Dolchtyp, der in Pistoia benutzt wurde und sogar der Name der Stadt sollte von „Pistole“ stammen.) Einfach alles an Haaren herbeigezogen, wir können uns damit zufriedengeben, dass das Wort „Pistole“ seinen Ursprung in der tschechischen Bezeichnung der Schusswaffen der Hussiten, die ihre Gewähre „Píšťala“ nannten, hat. Zumindest ich kann damit gut leben.
Pistoia versuchte möglicherweise auf diese Art seinen Ruf zu verbessern, da diese Stadt, positioniert zwischen Florenz und Lucca, offensichtlich an einem Minderwertigkeitskomplex leidet, weil im Gegensatz zu seinen berühmteren Nachbarn kaum jemand etwas über sie weiß. Ich reiste nach Pistoia übrigens auch lediglich deshalb, um die Ordnung zu bewahren. Es fehlte mir in der Liste der von mir besuchten Städte und lag direkt auf dem Weg zwischen Florenz und Lucca, wo das Ziel meiner Reise war.
Ganz umsonst war der Besuch der Stadt nicht und könnte sogar noch viel besser sein – wenn die Öffnungszeiten der Sehenswürdigkeiten in der Stadt christliche Dimensionen hätten. Das tat die Stadt aber nicht, fast alles war geschlossen, also der Haupteindruck, den man vom Besuch mitgenommen hat, ist das Gefühl eines riesigen Marktes.
Tatsächlich nicht nur auf der „Piazza del Duomo“ und auf der nahen „Piazza del Spirito“, sondern auch in allen Gässchen standen Stände mit Waren aller Art, mit Lebensmitteln (zum Beispiel mit ersten Steinpilzen, die ich heuer sah), mit Kleidung, Schuhen, einfach mit allem.) Durch den Wald der Stände war die Altstadt selbst kaum sichtbar.
Die Stadtmauer, die die Altstadt noch immer umgibt, ließ der Großherzog von Toskana Cosimo I. bauen, weil Pistoia logischerweise ein Teil des Herzogtums Toskana war.
Seine Geschichte, obwohl nicht so ruhmreich wie die der Nachbarn, ist viel älter. Es handelte sich um einen Ort der Etrusker, später um eine römische Stadt. Im Jahr 1115, als die letzte toskanische Herzogin Mathilde starb, erklärte Pistoia gleich wie alle andere toskanische Kommunen ihre Unabhängigkeit und erließ eine eigene Verfassung. Aber so eine Selbständigkeit hat nicht nur positive Seiten. Pistoia geriet in Konflikte mit seinen Nachbaren Prato, Pisa, Florenz und Lucca und diese erwiesen sich stärker und mächtiger als Pistoia selbst. Natürlich auch in Pistoia wütete der Kampf zwischen Guelfen und Ghibellinen und als nach dem Tod Kaisers Friedrich II. die Guelfen Oberhand bekommen hatten, spalteten sie sich sofort in Weiße Guelfen, die eine Autonomie von der päpstlichen Macht verlangten und Schwarze Guelfen, die auf einem absoluten Gehorsam dem Papst gegenüber pochten. Der Papst Bonifatius VIII lud eine Armee unter der Führung des französischen Prinzen Charles von Valois nach Italien ein, die Ordnung schaffen sollte. Valois schaffte es in Florenz die Macht der Schwarzen Guelfen zu etablieren, was für Dante Alighieri eine lebenslange Verbannung zur Folge hatte. Pistoia beherrschten im Gegensatz zu Florenz die Weißen Guelfen, was eine elfmonatige Belagerung von einer Armee unter der Führung von Moriella Malaspina, des Markgrafen von Lunigiano zur Folge hatte und mit einer Kapitulation der Stadt endete. Von diesem Krieg erholte sich die Stadt nie mehr vollkommen, sie wurde nur durch die historischen Ereignisse mehr oder weniger machtlos geschleppt, bis im Jahr 1401 endgültig die Vorherrschaft von Florenz akzeptierte und ihre selbständige Existenz damit beendete.
Was berühmte Persönlichkeiten betrifft, die gab es in Pistoia auch nicht wirklich im Überschuss. Neben eines Freundes Dantes, Cino da Pistoia, war das vor allem Papst Klemens IX. Er war nur kurz in den Jahren 1667 – 1669 im Amt, er wurde aber dadurch auffällig, dass er ein anständiger Mensch war, was unter den Päpsten dieser Zeit ein absolutes Kuriosum war.
Giulio Rospigliosi, wie er mit seinem bürgerlichen Namen hieß, stammte aus einer erhabenen Familie aus Pistoia, im Gegensatz zu seinen Vorgängern und Nachkommen ehrte er die Gesetze und missbrauchte sein Amt nicht zum Nepotismus, also zur Beschenkung seiner Verwandten. Das war eine unerhörte Sache und weckte großen Unmut, besonders bei seinen Familienangehörigen. Seine Parole lautete: „Barmherzig zu anderen, nicht zu sich selbst“. Wobei er seine Familie nicht zu „den anderen“ zählte. Er hat die Steuern reduziert und an seinem Tisch saßen täglich dreizehn Arme von der Straße und er servierte ihnen persönlich die Suppe. Er stattete oft einen Besuch dem Spital in Lateran ab und ging täglich zur Beichte. Die Römer, die gar nicht an solche Päpste gewöhnt waren, waren von seiner Persönlichkeit schockiert und sie verehrten ihn wie einen Heiligen. (Natürlich wurde er im Gegensatz zu vielen Abenteuern, Intriganten und gewaltsamen Päpsten nicht heiliggesprochen). Klemens hatte das Glück, dass gerade in seiner Zeit das Werk des genialen Berninis seinen Höhepunkt fand, und der Architekt den Säulengang auf dem Petersplatz oder die Brücke vor dem Engelsburg schuf.
Ein anständiger Papst war in dieser Zeit eine schockierende Angelegenheit. Der Sonnenkönig Ludwig XIV. war so sehr schockiert, dass er selbst begann, sich (beinahe) anständig zu verhalten. Er stimmte sogar zu, dass der Papst Friedensverhandlungen zwischen Frankreich und Spanien im Krieg um die spanischen Niederlande veranlassen konnte. Die Beziehung der Kurie zum Sonnenkönig verbesserte sich so weit, dass Ludwig XIV sogar willig war, die Venezianer in ihrem Kampf mit den Türken um Kreta zu unterstützen. Die Franzosen taten es heimlich, weil die Türken ihre traditionellen Verbündete waren. Die Schiffe musste der Papst liefern, Franzosen schiffte ihre Soldaten ein, die Venezianer vortäuschen sollten. Sie durften keine französischen Zeichen an der Kleidung haben und Ludwig hoffte, dass ein Türke einen Franzosen von einem Italiener sowieso nicht unterscheiden konnte. Wenn diese Geschichte einigermaßen an eine nicht so lang in der Vergangenheit liegende Tat auf einer Halbinsel im Schwarzem Meer errinnert, ist das nur ein Beweis, dass sich die Geschichte häufig wiederholt. Im Jahr 1669 galt es aber nicht ganz. Nicht einmal die nicht gezeichnete Truppen halfen, Kreta fiel im Jahr 1669 in türkische Hände und der gute Papst Klemens IX. grämte sich über den Verlust eines weiteren christlichen Landes zu Tode. Überraschenderweise habe ich in Pistoia kein Denkmal dieses berühmtesten Bürgers der Stadt entdeckt – anständige Leute habe einfach Pech, sie werden von Menschen rasch vergessen. Übrigens dieser Papst ist unter seinem bürgerlichen Namen vielleicht sogar noch berühmter, und zwar als ein Librettist der römischen „Opera bufa“.
Wenn man sich Pistoia auf der Autobahn nähert, sieht man schon von Ferne eine Kuppel, die auffällig an die Kuppel des Doms von Florenz erinnert. Es ist keine zufällige Ähnlichkeit, der Autor dieser Kuppel, der berühmte Architekt und Schriftsteller Giorgio Vasari ließ sich von dem Werk Bruneleschis in Florenz inspirieren. Die Kuppel in Pistoia ist zwar kleiner als die von Florenz, trotzdem handelt sich immer noch um drittgrößte Kuppel in Italien. Zu meiner Überraschung ist das aber nicht die Kuppel der örtlichen Kathedrale, die dem Heiligen aus Verona, Zeno, gewidmet ist (St Zeno ist neben der Heiligen Reparata in Toskana ein sehr populärer Heiliger), sondern der Kirche „Madonna dell´Umilta“ (Madonna der Demut), In dieser Kirche spielt das Fresco der Madonna auf dem Hauptaltar die tragende Rolle. Nach einer Legende begann die Madonna im Jahr 1490 an der Stirn zu schwitzen. Von ihrer Stirn tropften Schweißtropfen und fielen auf den Kopf des Christkindes in ihren Armen. Die Nachricht über das Wunder verbreitete sich schnell und nach Pistoia strömten Massen von Pilgern. Das Ereignis wurde von einer Menge weiterer Wunder begleitet, bis die Madonna am 17.Juli 1490 mit dem Schwitzen aufhörte. Zur Ehre dieses Wunders bekam das Fresco seit dem Jahr 1495 eine neue Kirche, die dann Vasari mit seiner Kuppel im Jahr 1561 vollendete.
Pistoia liegt auf dem Jakobsweg nach Santiago de Compostela und die Jakobsmuschel können wir also auf vielen Plätzen der Stadt sehen. Am Tag unseres Besuches flatterte die Flagge mit goldener Jakobsmuschel auf dem blauen Feld auf dem Kampanile. Der Kampanile ist ein merkwürdiger Mix, der untere Teil ist ein Rest eines Festungsturmes, dann kommen drei Stockwerke im pisanischen romanischen Stil aus dem 13. Jahrhundert und die Spitze stammt aus dem Jahr 1576.
Das berühmteste Artefakt, das an den heiligen Jakob erinnert, ist der Sankt Jakobaltar, der sich in einer Seitenkapelle der Kathedrale befindet. Man kann ihn von dem Hauptschiff durch Gitter sehen, wenn man ihn aber aus der Nähe bewundern möchte, muss man eine Eintrittskarte kaufen, was nicht ganz so einfach ist. Auch wenn die angekündigten Öffnungszeiten der Kathedrale einen ununterbrochenen Betrieb bis 17:30 versprechen, ist es nicht wahr. Zwischen 12:30 und 14:30 ist die Kirche geschlossen – die Siesta muss auch von den Heiligen eingehalten werden. Der Altar wurde beinahe zweihundert Jahre gestaltet, mit den Arbeiten haben die Schmiede von Pistoia im Jahr 1287 begonnen und sie wurden von Bruneleschi im Jahr 1457 abgeschlossen. Kein Wunder, dass es so lange gedauert hat, auf dem Altar gibt es insgesamt 628 Figuren aus Silber, die Szenen aus dem Alten und dem Neuen Testament darstellen, sowie natürlich auch aus dem Leben des heiligen Jakobs. Die Kirche selbst ist ein Beispiel des romanischen pisanischen Stils, der in dem dreizehnten Jahrhundert in der gesamten Toskana sowie auch auf Sardinien sehr populär war – es geht um die typische Kombination von Streifen aus weißem und grünem Marmor.
Ähnlich ist es auch mit dem riesigen Baptisterium aus dem vierzehnten Jahrhundert, obwohl dieses in Folge seines späteren Entstehungsdatums romanische Elemente mit gotischen vermischt. Innenausstattung des Baptisteriums ist überraschend arm, es gibt hier keine Fresken oder anderen Schmuck, nur das Taufbecken in der Mitte, die Wände sind nur aus bloßen Backsteinen gebaut.
Der Platz vor der Kathedrale die „Piazza del Duomo“ ist mit einigen anderen Gebäuden umgeben, die daran erinnern, dass Pistoia in seiner früher Geschichte weder klein noch arm war. Es ist der Bischofpalast, in dem sich das Kapitelmuseum befindet und dann der „Palazzo del Podestá“. Der Hof des Palastes ist mit Wappen der Stadtvögte geschmückt, die hierher Florenz einsetzte. Das Stadtmuseum befindet sich im sehr schönen Gebäude „Palazzo Commune“, gebaut in den Jahren 1294 – 1385, also noch bevor die Kontrolle über die Stadt Florenz übernommen hat. Trotzdem befindet sich auf der Fassade ein Wappen mit den päpstlichen Schlüsseln, das an den Papst Leo X, erinnert. Leo X. hieß mit eigenem Namen Giovanni Medici, stammte aus Florenz und er war ein Sohn des berühmten Lorenzo Magnifico (des Prächtigen) – er war in den Jahren 1513 – 1521 Papst. Dieser Papst war ein Symbol der Versöhnung zwischen dem Kirchenstaat und der Familie Medici. Im Jahr 1478 versuchte Papst Sixtus IV. die Gebrüder Medici ermorden zu lassen und anschließend konfiszierte er den gesamten Besitz der Familie im Raum des Kirchenstaates. Diese Taten machten natürlich zwischen beiden Parteien keine gute Stimmung. Nachdem aber Lorenzo, der im Gegensatz zu seinem Bruder Gulio das Attentat überlebt hatte, mit Ferrante, dem König von Neapel und Verbündetem des Papstes Frieden geschlossen hat, blieb dem Papst nichts anderes übrig, als eine Versöhnung mit Medici zu suchen. Giovanni wurde mit sieben Jahren zum apostolischen Protonotar und mit dreizehn wurde er zum Kardinal ernannt. Zum Papst wurde er im Alter von 38 Jahren gewählt, wenn sich aber jemand von seiner Wahl ein langes Pontifikat versprach, wurde enttäuscht. Der Papst starb nach bloß acht Jahren seiner Herrschaft.
Eine weitere schöne Kirche im Stil der pisanischen Romanik ist die Kirche San Giovanni Fuorvicitas. (Kirchen in Pistoia ähneln eine der anderen ein bisschen wie ein Ei einem anderen) Der Name der Kirche sollte uns nicht verwirren, Fuorvicitas bedeutet vor der Stadt, das galt aber in der Zeit der langobardischen Verwaltung, als Pistoia noch viel, viel kleiner war als heute, heute steht die Kirche beinahe im Stadtzentrum. Bevor wir den Kaffee ausgetrunken hatten, wurde auch diese Kirche um 12:30 geschlossen, also konnte ich nur nachlesen, dass ich dort Werke von Giovanni Pisano oder Luca de la Robia bewundern hätte können.
Die größte Enttäuschung war dann für uns der Versuch des Besuches im „Ospedale del Cepo“.
Es ist nicht weit von der „Piazza del Duomo“ auf dem „Platz Johanns XXIII“ und es handelt sich um ein mittelalterliches Spital, das bereits im Jahr 1277 gegründet wurde. Eine bedeutende Rolle spielte es in der Zeit des „Schwarzen Todes“, der Pistoia im Jahr 1348 erreichte. Nachdem Pistoia von Florenz besetzt worden war, machten die neuen Stadtherren aus dem kirchlichen Spital ein Stadtkrankenhaus. Die Öffnungszeiten des Museums, wo die mittelalterliche Medizin präsentiert wird, sind ziemlich obskur. Im Winter ist es von zehn vormittags bis zwei nachmittags. Im Sommer ist es von drei bis sechs nachmittags. Es war Sommer und eine Uhr mittags. Das Gebäude ist allerdings auch von außen interessant. Im Jahr 1502 bekam es eine Loggia im Stil der Renaissance und im Jahr 1525 wurde es mit Majolikafries geschmückt mit herrlichen Bildern der sieben Barmherzigkeitstaten von Giovanni della Robia und seinen Schülern. Übrigens, in einem Teil des Gebäudes wird auch heutzutage Medizin betrieben. Wir traten nämlich in eine falsche Tür ein und plötzlich standen wir vor der Blutbank.
Wer noch immer von den Kirchen im pisanischen Stil nicht genug hat, kann noch die Kirche des heiligen Andreas aus dem zwölften Jahrhundert besuchen, das Hauptportal ist aus dem Jahr 1166 und die Kanzel schuf Giovanni Pisano, wobei sich hier der junge Meister noch für sein berühmtes Meisterwerk in der Kathedrale von Pisa übte.
Die Altstadt ist mit einem Mauerring umgeben. Der am besten erhaltene Teil der Stadtmauer ist „Fortezza Santa Barbara“ in südöstlicher Ecke der Stadt. Er ist ein Teil des Stadtparkes, wo sich der Besucher nach dem Besuch der Stadt erholen könnte.
Wir hatten keine Zeit dafür. Enttäuscht durch die Öffnungszeiten der Sehenswürdigkeiten von Pistoia setzten wir unsere Reise in Richtung Lucca fort.
Also zur Frage, ob sich ein Besuch von Pistoia lohnen würde. Grundsätzlich ja, aber im Winter vormittags, im Sommer nachmittags und KEINESFALLS mittags!
Ferrara – nach fünfjähriger Pause wieder einmal eine Italienreise
„Tempi passati“ sagen die Italiener, wenn sie sich an die alten guten Zeiten erinnern. Die Zeiten ändern sich aber und sie taten es auch in der Vergangenheit. Im Jahr 1152 brach der Fluss Po Schutzdämmer bei dem Städtchen Ficarolo und die Folge war eine katastrophale Flut, nach der der Fluss seine Flussrichtung änderte. Wenn also vorher Ferrara direkt an dem Fluss Po lag, der es sogar von Süden umfloss, danach verlagerte sich der Fluss weit nach Norden. Trotzdem erlebte die Stadt wunderbare Zeiten, die mit der Tätigkeit der Familie d´Este verbunden waren. Diese Familie beherrschte die Stadt im Namen des Papstes in den Kämpfen gegen Kaiser Friedrich II. im Jahr 1242 und blieb hier bis 1597. Die reichen d´Este, anfangs Markgrafen, seit 1452 dann Herzöge, bauten Ferrara zu ihrer Residenz aus und sparten dabei nicht. Sie bauten eine riesige uneinnehmbare Wasserburg (die sie allerdings eher gegen eigene Untertanen als gegen Feinde von außen schützen sollte), sie lockten in die Stadt viel Prominenz, die hier weitere schöne Paläste baute und Herzog Alfonso II. schaffte es sogar, die Kaisertochter Barbara zur Frau zu nehmen. Na gut, Kaiser Ferdinand I. hatte zwölf Töchter und es war also nicht einfach, alle in hochgeborene und reiche Familien, die nicht auf einer großen Mitgift pochten, einzuheiraten, trotzdem war diese Heirat eine Bestätigung, wie groß die Bedeutung des Herzogs von Ferrara war. Der Herzog schätzte diese Verbindung auch sehr und in seinem Diamantenpalast ließ er für Barbara einen großen Saal „Sala grande d´Onorio“ einrichten. Aber nicht einmal das half. Alfonso starb kinderlos und seine verlockende Residenz konfiszierten die unersättlichen Päpste. Und mit dem Einzug der päpstlichen Verwalter begann der unaufhaltsame Niedergang der Stadt.
Heute ist Ferrara eine verschlafene – mit seinen 133 000 Einwohner für italienische Verhältnisse eher kleine Stadt in dem Podelta. Verschlafen ist sie besonders am Sonntag und wenn das Thermometer 35 Grad im Schatten zeigt. Ich gebe zu, dass solche Temperaturen für die Erkundung der Stadt nicht die beste Voraussetzung waren. Es hilft auch die Volksweisheit nicht: “Wenn ihr so viel über die 35 Grad im Schatten jammert, dann, verdammt, geht in den Schatten nicht“. In der Sonne ist das nämlich keine Spur besser. Trotzdem kann man in Ferrara viel sehen (seit dem Jahr 1995 gehört die Altstadt zum Weltkulturerbe UNESCO, die Erinnerungen an die ruhmreiche Vergangenheit wurden zwar durch ein Erdbeben am 30.Mai 2012 beschädigt, die Spuren der Verwüstung sind aber heutzutage nicht mehr sichtbar, wenn wir die verhüllte Fassade der Kathedrale nicht einrechnen. (Die Kathedrale selbst ist für Besucher nicht zugänglich, ob diese Tatsache mit dem Erdbeben vor neun Jahren zusammenhängt, habe ich nicht erfahren).
Gleichfalls ist auch die Statue des berühmtesten Bürgers von Ferrara verhüllt – im Jahr 1452 wurde in Ferrara der Prediger Girolamo Savonarola geboren, der neben Wyclif und Hus zu den bedeutendsten Kirchenreformern vor Luther gehörte. Es war ihm gelungen, Florenz zu beherrschen und die Medici aus der Stadt zu vertreiben, bevor er selbst auf dem Schafott im Jahr 1498 endete. (zuerst wurde er gehängt und dann verbrannt) Langsam muss ich mich daran gewöhnen, dass die Italiener vor mir ihre Kulturdenkmäler verhüllen, in Bologna konnte ich den berühmten Neptun auch nicht sehen.
Die Geschichte der Stadt ist untrennbar mit der Familie d´Este verbunden. Der erste der berühmten Familienmitgliedern war Azzolino II. In der Zeit der Kämpfe zwischen Kaiser Friedrich II. und den Päpsten stellte er sich auf die päpstliche Seite und es zahlte sich aus. Im Jahr 1242 wurde er vom Papst Gregor IX. zum Podesta der Stadt ernannt und im Jahr 1259 gelang es ihm ein Husarenstück, als er das Haupt der Ghibellinen in Norditalien, Ezzelino di Romano, gefangen nehmen konnte. Die Päpste haben realisiert, dass sie sich auf diese Familie verlassen konnten und so wurde Azzelinos Enkel Obizzo II. zum Generalkapitän und Beschützer des Kirchenstaates ernannt. (Ferrara gehörte de jure zur Pippins Schenkung und damit zum Kirchenstaat). D´Este ließen sich definitiv in Ferrara nieder und wurden zu seinen Herrschern. Formal waren sie zwar Lehensmänner des Papstes, das hinderte sie aber nicht daran, ihre eigene Machtbasis auszubauen. Von der Tatsache, dass sie sich unter ihren Untertanen nicht ganz sicher gefühlt haben, zeugt das gigantische „Castello Estense“ in einer Ecke der Altstadt.
Die riesige Wasserburg begann Niccolo II. im Jahr 1385 zu bauen, weil aber seine Nachfolger noch während der Bauarbeiten entschieden, anstatt einer gotischen Festung einen Renaissanceschloss haben zu wollen, zogen sich die Arbeiten über beinahe zweihundert Jahre. Man kann allerdings nicht sagen, dass die d´Este sich um ihre Stadt nicht gekümmert hätten, die Universität gründete bereits Alberto, der Sohn Niccolos im Jahr 1391. Die Öffnungszeiten des Castellos sind merkwürdig, am Samstag und am Sonntag ist es geschlossen. Niemand konnte mir diese Tatsache erklären, die Dame an der Kasse im Palast Schiafonia, die ich gefragt habe, schämte sich ein bisschen, sie gab zu, dass es so „einfach ist“. Wir waren in Italien und dort müssen die Dinge nicht unbedingt einen nachvollziehbaren Grund haben. Also mussten wir mit dem Besuch bis Montag warten. Man kann dort ziemlich viel sehen, besonders dann die Säle mit Fresken an den Decken, die man in raffiniert positionierten Spiegeln sehen kann, ohne sich den Nacken zu versteifen, die größten Säle sind „Sala dei Giganti“ und „Salone dei Giochi“ Man kann auf das Löwentor steigen, wo einmal Ugo d´Este inhaftiert war, – darüber aber später. Man kann auch die Kapelle der Renée der France besuchen, einer Tochter des französischen Königs Ludwig XII., die Herzog Ercole II. d´Este geheiratet hat. Die Herrscher von Ferrara verkehrten wirklich in der höchsten Gesellschaft. Renée verursachte ihrem Mann durch ihre Zuneigung zu Protestantismus nicht gerade kleine Probleme (Ferrara war verdammt nah am Papst und seinem Machtinteresse), also musste sie Ercole letztendlich unter Hausarrest stellen, um den wütenden Papst zu beruhigen. Im Hof des Castellos gab es heuer eine Statuenausstellung „Le Done, i Cavallieri, gli Armi e gli Amori“, also „Die Damen, die Ritter, die Waffen und die Liebschaften“. Sie war interessant, manche der Gepanzerten gehen in der Sache der Liebe hart an die Sache, andere wirken, als ob sie aus den heutigen Zeiten stammen würden.
Castello Estense ist durch einen langen Gang in der ersten Etage mit dem Palazzo Communale verbunden, von dem aus d´Este geherrscht hatten, bevor sind ihre Burg fertiggebaut haben. Über den Eingang ins Gebäude, das heute als Rathaus dient, gibt es zwei Statuen bedeutender d´Este aus Bronze, die hier Ercole I., der größte Erbauer der Stadt, aufstellen ließ.
Auf einem Pferd ist hier der Vater Ercoles Niccolo III. d´Este dargestellt.
Er war eine der skurrilsten und tüchtigsten Personen in der Familie. Niccolo war ein sehr aktiver Mann. Er zeugte insgesamt 24 Kinder, einige eheliche und viel mehr uneheliche, er machte allerdings zwischen ihnen keinen Unterschied. Sie lebten alle unter einem Dach wie eine Familie, inklusiv seiner Gattinnen und Geliebten, die Burg war groß genug für alle. Seine [AP1] erste Frau Gigliola da Carara war unfruchtbar, weshalb die Position der wahren Herrscherin im Palast Stella di Tolomei eingenommen hat, die fruchtbar[AP2] bis geht nicht mehr war. Das Problem entstand, als Niccolo nach dem Tod von Gigliola im Jahr 1418 eine neue junge Frau Parisina aus der Familie Malatesta aus Rimini heiratete. Die vierzehnjährige Braut war durch die Verhältnisse in der großen Familie, wo manche der Kinder in ihrem Alter waren, total überfordert. Besonders als Stella di Tolomei 1419 am „gebrochenen Herzen“ starb. Parisina sollte die Hausherrin spielen und sich um eine Menge Stiefkinder kümmern. Der Markgraf war um zwanzig Jahre älter als sie, das Mädchen hat eine verwandte Seele gesucht und leider auch gefunden – in der Person von Niccolos Sohn Ugo. Junge Leute, die beinahe gleich alt waren, verliebten sich einander und die Liebe blieb nicht nur platonisch, sondern wurde auch vollzogen. Das geschah im Jahr 1425, als Parisina einundzwanzig und Ugo zwanzig Jahre alt waren. Als es dem Markgrafen gemeldet wurde, wollte es das nicht glauben – er war also nicht wie Othello, der schon bei Verdacht tötete. Seine Diener ermöglichten ihm aber, seinen Sohn mit seiner Frau in flagranti zu erwischen, er wurde Augenzeuge ihrer Liebe. Der wütende Niccolo ließ beide im „Castello Estense“ inhaftieren – jeden in einem anderen Turm (der Turm, wo Parisina eingesperrt wurde, heißt bis heute Torre Malatestiana) und dann in einem unterirdischen Gefängnis (man kann es besuchen) beide enthaupten. Es dauerte weitere sechs Jahre, bis Niccolo seine Trauer überwunden hat und das dritte Mal heiratete. Zu seiner dritten Frau wurde Ricarda di Saluzzo, die ihm den Sohn Ercole gebar, der auf entscheidende Weise das Aussehen der Stadt verändern sollte. Nach dem Niccolos Tod wechselten sich auf dem Thron von Ferrara seine drei Söhne ab und sie herrschten insgesamt 64 Jahre lang – es war möglich, da zwischen ihnen 24 Jahre Altersunterschied war.
Niccolo war aber nicht nur in Ehe- und anderen Betten aktiv. Er schaffte es, sehr geschickt zwischen den konkurrierenden Mächten Papsttums und Kaisertums zu taktieren. Kaiser Sigismund erweiterte sein Machtgebiet und schlug seine Söhne zu Rittern, danach aber unterstützte Niccolo auf eine entscheidende Art den Papst. Im Jahr 1417 wurde auf dem Konzil in Konstanz Papst Martin V. gewählt, damit wurde das Dreipapsttum beendet. Der neue Papst musste sich verpflichten, alle zehn Jahre ein neues Konzil einzuberufen, das über religiöse Fragen entscheiden sollte. Das bedeutete deutliche Abschwächung der Macht des Papstes und deshalb hatte es Martin mit der Einberufung des Konzils nicht eilig. Er tat es nur knapp vor seinem Tod im Jahr 1431 und das Konzil begann in Basel zu tagen. Martins Nachfolger Eugen IV. hatte tausend gute Gründe, um diesem Konzil fernzubleiben. Den Vorwand zum Torpedieren der Tagung der Kirchenväter gab ihm die Bereitschaft des byzantinischen Kaisers Johann über die Einigung der katholischen und orthodoxen Kirche zu verhandeln. (Kaiser Johann stand das Wasser bis zum Hals, da vor den Mauern Konstantinopels bereits Türken standen). Niccolo d´Este bot dem Papst seine Stadt als Tagungsort des Alternativkonzils an, da dem Kaiser Johann nicht in Träumen eingefallen wäre, sich nach dem weit entfernten Basel zu plagen – nach Ferrara konnte er sich auf einem Schiff bringen lassen. Für den Papst war der Ort auch sehr passend. Offiziell empfing er Kaiser Johann in seinem Machtgebiet (aber doch nicht so richtig, was wieder dem Kaiser gefiel, da ein Hauch Neutralität gewahrt werden konnte). Die Kosten für den Aufenthalt des aufwändigen kaiserlichen Gastes trugen die Herren von Ferrara, namentlich Niccolo III. Das Konzil begann in Ferrara im Jahr 1437, im Januar 1439 wurde es dann nach Florenz verlegt. Cosimo der Ältere Medici bestach die Kirchenväter und die unter dem Vorwand, dass in Ferrara ein Pestausbruch drohen sollte, verlegten das Konzil nach Florenz. Niccolo war wahrscheinlich deswegen nicht besonders traurig, Kaiser Johann benahm sich wie eine echte „Diva“ – das Dach seines Hauses musste im Sommer mit Wasser begossen werden, damit er sich abkühlen konnte und das Konzil hatte sein Zweck bereits erfüllt – Ferrara und mit ihm Niccolo traten in die Geschichte und wurden sichtbar. Im Jahr 1452 schlug dann die Stunde der Familie d´Este. Seit 1450 war Borso d´Este an der Macht, der Sohn von Stella Tolomei, nicht weniger tüchtig als sein Vater. Auch seine Statue schmückt den Eingang von Palazzo Communale, Borso sitzt aber nicht im Sattel eines Pferdes, sondern auf einem Thron – im Gegensatz zu seinem Vater war er ein Fürst.
Im Jahr 1452 zog der Kaiser Friedrich III. durch Ferrara zu seiner Kaiserkrönung nach Rom. Der Kaiser sollte bei dieser Gelegenheit auch heiraten, und zwar eine der reichsten Bräute der damaligen Welt, die portugiesische Infantin Eleonore. Der Kaiser war sehr geizig und hatte tief in die Tasche gegriffen, also fürchtete er eine Schande. (Es kam letztendlich tatsächlich zu einer Schande, aber nicht Geldes wegen, sondern in Folge seiner fehlenden Bereitschaft, die Ehe vollzuziehen. Der damals schon über dreißig Jahre alte Herrscher war immer noch Jungfrau). Borso war bereit zu helfen. Er stattete den Kaiser mit einem Geldbetrag aus, der die Geldsorgen des Kaisers hinfällig machte, dieser beförderte ihn im Gegenzug zum Herzog, also in den Rang des Souveräns (dorthin gehören die Könige und Fürsten, ein Herzog ist einem Fürsten gleichgestellt).
Es folgte mehr als hundert Jahre des Ruhmes von Ferrara, bis der letzte d´Este Alfonso II. starb – seine Ehe mit der Kaisertochter Barbara blieb kinderlos. Nach dem Tod Alfonsos erkannte der Papst sein Testament, in dem er sein Land seinem Neffen Cesare vererbte, nicht an und annektierte Ferrara für den Kirchenstaat. Dann wechselten sich Kardinäle als Verwalter ab, die nur an ihre eigene Bereicherung dachten und der Ruhm der Stadt ging rasch zu Ende.
Besuchswert sind drei Paläste der Familie d´Este. Neben dem monumentalen „Castello Estense“ sind das noch der Palast Schifanoia und der Diamantenpalast (Palazzo dei Diamanti). Schifanoia bedeutet Langweile und zur Wehr gegen sie bauten d´Este am Rande der Stadt einen Palast mit einer damals bunt bemalten Fassade, die heutzutage langweilig weiß ist. Im Gebäude ist das „Museo civico“ und die Wände des größten Sales sind mit schönen Fresken bemalt.
Auf dem Weg zum Palast zahlt sich ein kurzer Stopp in der monumentalen Kirche Santa Maria in Vado aus. Nicht weit von hier gibt es einen weiteren großartigen Palast, den sich in Ferrara der Herzog von Mailand Ludovico il Moro bauen ließ. Er hatte offensichtlich sehr gute Beziehungen zu den d´Este, letztendlich war er der Onkel von der ersten Frau Herzogs Alfonso I. Anna. Nach dem Tod seiner ersten Frau heiratete Alfonso die legendäre Lucrezia Borgia, Tochter des Skandalpapstes Alexander VI. Ihr wird Inzest, Giftmordanschläge und unmoralisches Leben nachgesagt. In Wirklichkeit gebar die unglückselige Lucrezia Alfonso einige Kinder und starb mit 39 Jahre im Kindbett. Heute gibt es im Palast Ludovicos il Moro das Archäologische Museum. Der „Palazzo dei Diamanti“ (seinen Namen bekam der Palast wegen seiner Fassade aus Marmor, der in die Form der Diamanten geschnitten wurde – Marmor ist in Ferrara rar, die absolute Mehrheit der Gebäude hat Fassaden aus Backsteinen) befindet sich am anderen Ende der Stadt.
Das hat einen Grund. Im Jahr 1492 entschied sich Ercole I. Ferrara zu vergrößern. Die Stadt verdoppelte sich, das neue Stadtviertel (eigentlich Hälfte) wurde nach den Plänen des Architekten Biaggio Rosseti gebaut. In Gegensatz zum alten Ferrara mit engen krümmen Gässchen wurden lange schnurgerade Boulevards angelegt, um die dann Paläste im Stil der Renaissance gebaut, sowie auch große Parkanlagen angelegt wurden (in den neuen Mauerring wurde auch der riesige Friedhof „Cimitero della Certosa“, eingeführt). In diesem Viertel kaufte sich auch der Hofdichter Ercoles Ludovico Ariosto ein Haus. Sein Haus kann man besuchen (zur Mittagszeit ist es geschlossen) in dem neuen Viertel findet man auch einen Ariostoplatz mit seiner Statue auf einer hohen antiken Säule, der Platz wurde nach dem Vorbild eines römischen Amphitheaters angelegt.
Später wirkte in Ferrara auch der berühmte Dichter Torquato Tasso (geboren in Sorent in Kampanien). Sein bewegtes Leben, gezeichnet durch seine seelische Krankheit, inspirierte auch Johann Wolfgang Goethe zu einem seiner Werke.
Der Diamantenpalast war also die repräsentative Residenz der Familie d´Este. Heute gibt es hier die Pinakothek, die Säle veränderten sich aber nicht und so kann man den „Sala grande d´Onorio“ besuchen, den Kardinal Luigi d´Este bei der Gelegenheit der Ankunft seiner neuen Schwägerin Barbara von Habsburg umgestalten ließ. Hier, in dem rieseigen Sal, der zwei Stockwerke einnimmt, wurden Banketts und Festmahle organisiert, aber auch das konnte nichts an der Tatsache ändern, dass die Ehe von Alfonso und Barbara mit keinen Kindern beschenkt wurde. Also waren die Umbauten des Diamantenpalastes das letzte Echo des Ruhmes der Familie d´Este in Ferrara (weiter war die Familie nur in Modena tätig, das Papst dem Cesare bereit war zu überlassen.
Wer viel Zeit hätte, könnte einen Spaziergang auf den für die Touristen zugänglichen Stadtmauern machen, bei den Temperaturen oberhalb von 35 Grads Celsius ist das aber keine gute Idee. Weil die Altstadt dank Ercole I. wirklich groß ist, wird empfohlen, sie mit einem Fahrrad zu erkunden. Fahrräder werden in allen Hotels in der Stadt zur Vermietung angeboten und in der Stadt gibt es markierte Fahrradwege. Bei relativ schwachem Autoverkehr in der Stadt ist das eine verlockende Möglichkeit – natürlich bei akzeptablen Temperaturen.
Wem das noch immer zu wenig wäre, für den gibt es nicht weit von Ferrara die Abtei Santa Maria Pomposa.
Es handelt sich um eines der ältesten Benediktinerkloster, gegründet bereits im siebenten Jahrhundert. Hier haben die Mönche die Tonleiter erfunden und begannen die Musik mit Noten zu schreiben. (Offiziell wird diese Tat Guido von Arezzo zugeschrieben). Hier verbrachte auch der bereits totkranke Dante Alighieri seine letzte Nacht bei Rückkehr von Venedig nach Ravenna im September 1321. Es führt ein Weg durch die Poebene zwischen Feldern mit Mais, Getreide und Sonnenblumen hin, aus Fruchtbarkeit des Bodens Podeltas schöpften die d´Estes ihr Reichtum. Das war noch in der Zeit, als für Reichtum die Erträge der Felder und nicht die Industrieproduktion oder die Börsengeschäfte ausschlaggebend waren. Heute kann Ferrara von seiner ehemaligen Prosperität nur träumen.
Die Stadt an der Oder nördlich der tschechischen Nordgrenze hat alle diese Namen, was dadurch verursacht ist, dass sie mehrmals ihre Herrscher wechselte. Sie wurde um das Jahr 900 vom tschechischen Fürst Vratislav auf einer Insel des Flusses Oder gegründet, schon im zehnten Jahrhundert ging sie aber in die Herrschaft der polnischen Fürsten aus der Piast Familie über, bis sie vom Herzog Heinrich V. dem tschechischen König Johann von Luxembourg vermacht wurde. Seit dem Jahr 1335 war die Stadt mit dem umliegenden Herzogtum ein Teil des tschechischen Königreiches, davon zeugt der tschechische zweischwanzige Löwe, den man nicht nur im Stadtwappen von Wroclaw findet, aber zum Beispiel auch an der Fassade der Franziskanerkirche der Heiligen Dorothea, Wenzel und Stanislav auf dem Freiheitsplatz (Plac Wolnosči).
Im Jahr 1526 übernahmen die Habsburger die Herrschaft über die Stadt und im Jahr 1741 marschierte die preußische Armee Friedrichs II. ein. Die Stadt blieb preußisch bzw. deutsch bis zum Jahr 1945, als sie der Polnischen Republik übergeben wurde. Also verdient diese Stadt ihren deutschen Namen ebenso wie ihren tschechischen oder den polnischen, den sie heute trägt.
Ich habe gehört, dass Wroclaw eine sehr schöne Stadt wäre, also entschied ich mich, sie zu besuchen. Ich habe aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht geahnt, wie WUNDERSCHÖN die Stadt ist. Historisch, sowie auch modern, gepflegt und sauber. Einfach zum Verlieben. Wer dort noch nicht war, sollte es unbedingt nachholen.
Auf dem Platz, an dem die Stadt entstanden ist, also auf der Insel im Fluss Oder, befindet sich heutzutage das religiöse Zentrum der Stadt. Der Name Wroclaw ist im polnischen männlich, auf Deutsch Breslau natürlich Neutrum, tschechisch Vratislav aber weiblich. Ich glaube, ohne meine tschechische Herkunft hervorheben zu wollen, dass der tschechische Name zu der Stadt am besten passt, ihre Schönheit ist nämlich wirklich vom weiblichen Typ. Übrigens, der lateinische Name der Stadt behält die tschechische Form Vratislavia. Wroclaw wurde im Jahr 1000 zum Bistum – es war die Arbeit des polnischen Königs Boleslaw Chrobry (der Tapfere), der sich dadurch seine Statue im Park auf der Stelle der ehemaligen Stadtbefestigung verdiente. Heute liegt das Zentrum nicht mehr auf einer Insel, weil der nördliche Arm der Oder zugeschüttet wurde. Die Gebäude, die sich hier befinden, sind einfach atemberaubend. Schon die spätromanische Kirche „St. Maria auf dem Sande“ ist imposant, aber sie ist nur ein Vorspiel vor der „Kirche des Heiligen Kreuzes“, die der Fürst Heinrich IV. bauen ließ. Er trug den Beinahmen „der Gerechte“. Jeder Herrscher, auch der gerechteste, hat aber ein paar Sünden, die er durch Kirchenbauten gut machen möchte. Der Herzog wurde vergiftet, angeblich von seinem Leibarzt. Weil er aber von seiner Schuld nicht überzeugt war, ließ er den Arzt außer Landes bringen, damit dem Medikus nach seinem eigenen Tod nichts passieren würde. Also doch ein gerechter Herrscher bis zum letzten Atemzug. Das Bauwerk der Kirche ist so imposant, dass man es eigentlich gar nicht fotografieren kann. Es wettfeiert um den Titel der schönsten Kirche der Stadt mit der Erzbischofskathedrale „St Johann der Täufer“, in der unmittelbaren Nachbarschaft. Übrigens, alle Gebäude auf der ehemaligen Insel sind sehr schön, wie das ehemalige Waisenhaus oder die theologische Fakultät, die Verwaltungsgebäude des Erzbistums oder der zwar bescheiden aussehende aber trotzdem sehr elegante Bischofpalast.
Es gibt natürlich eine Menge Kirchen in Wroclaw, wie übrigens auch in ganz Polen (Obwohl die höchste Konzentration der Kirchen auf einem Quadratkilometer gibt es in Vilnius im benachbarten Litauen). Alle wurden nach der deutschen Art aus Backsteinen gebaut – der Stein war hier einfach Mangelware. Ihre Türme sind in eine unglaubliche Höhe gezogen und die Gebäude schauen unglaublich imposant aus. Ob es sich um die Kirche des Fronleichnams unweit vom Denkmal Boleslaws Chrobry oder um die bereits erwähnte Franziskanerkirche der Heiligen Dorothea, Stanislaus und Wenzel handelt oder um die Dominikanerkirche mit der Kapelle des seligen Cieslaw, eines Dominikanermönches, der hier in der Zeit des Mongoleneinfalls im Jahr 1241 lebte. Nachdem die mongolische Streitkraft die Armee der schlesischen Herzöge, die vom Herzog Heinrich II. angeführt wurde, in der Schlacht bei Liegnitz vernichtet hatte, plünderten die Eindringlinge das ganze Land furchtbar aus. Cieslaw überlebte das Toben der Plünderer, er starb im Jahr 1242. Viel interessanter als sein Leben ist aber das Schicksal seiner Kapelle, wo seine irdischen Überreste begraben sind. Am Ende des zweiten Weltkrieges litt Breslau furchtbar. Hitler erklärte die Stadt zur Festung und ließ die Mehrheit der 630 000 Einwohner evakuieren. Am 15.Februar 1945 wurde die Stadt von der Roten Armee eingekesselt. Die Kämpfe in der Stadt, wo um jedes Haus gekämpft wurde, dauerten bis 6.Mai. Sie kosteten 6000 deutschen und 7000 russischen Soldaten das Leben. Es wurden 75% aller Gebäude vernichtet und die Zerstörung schonte auch die Kirchen nicht. Von der Dominikanerkirche blieb so gut wie nichts übrig – außer der Kapelle des seligen Cieslaw, die das Toben des Krieges ohne den geringsten Schaden überstanden hat. Ich verstehe nicht, wieso Johann Paul II. es nicht geschafft hat, diesen seinen Landsmann heilig zu sprechen. Es war doch sein größtes Hobby und er sprach 483 Menschen heilig (mehr als alle Päpste vor ihm zusammen).
Nahe dem Stadtzentrum ragt die Kirche der heiligen Agnes in den Himmel empor. Sie wird hier richtig Agnes von Ungarn genannt, weil sie als ungarische Prinzessin in Bratislava – im damaligen Preßburg (oder ungarisch Pozsony) – das Licht der Welt erblickte. In Deutschland wird sie als Agnes von Thüringen verehrt – dorthin wurde sie verheiratet. Diese Kirche wurde von Johann Paul II. zu Basilika Minor erhoben. Es zahlt sich aus, den Aussichtsturm zu besteigen, obwohl man dafür mehr als 300 Stufen in einem engen Turm mit Gegenverkehr überwinden muss. Der Blick vom Turm ist aber fantastisch. Direkt gegenüber steht eine ziemlich düstere „Kirche der Maria Magdalena“. Auffällig ist, dass nur einer ihrer zwei Türme ein Dach hat. Bei der Gelegenheit des 90. Geburtstages Kaisers Wilhelm I. im Jahr 1887 wurde von diesem Dach ein Feuerwerk abgefeuert und das Dach verbrannte. Weil die Einwohner von Wroclaw, das damals noch Breslau hieß, dieses Ereignis als Strafe Gottes verstanden, reparierten sie das Dach nicht und dieses fehlt der Kirche bis heute.
Das Stadtzentrum bildet der „Rynek“ – also der Hauptlatz. Er ist ein bisschen untypisch in seiner Mitte verbaut. Hier steht das Rathaus, eines der schönsten Gebäude in Mitteleuropa.
Wroclaw war eine ungemein reiche Stadt. Es war nämlich ein Mitglied der Hansa, der Handelsgesellschaft der nordeuropäischen Städte und durch diese Städte liefen alle Warenströme nach Mitteleuropa – der Fluss Oder eignete sich dafür hervorragend. Die Oder war der Segen für die Stadt, obwohl sie ab und zu auch gefährlich werden und große Schäden einrichten konnte, wie das letzte Mal im Jahr 1997. Sie war aber die Ader für die gewinnbringenden Geschäfte. Die größeren Schiffe konnte gerade noch nach Wroclaw fahren, dort musste dann die Ware umgeladen werden. Als Karl IV. Prag zur Hauptstadt des Heiligen römischen Reiches machte, profitierte gerade Wroclaw von den neuen Warenströmen am meistens. Übrigens im Jahr 1346, als Karl an die Macht kam und Prag gerade 8000 Menschenseelen zählte, lebten in den Mauern von Wroclaw bereits 35 000 Einwohner und diese Stad war also damals die größte im Tschechischen Königreich. Den damaligen Reichtum sieht man heute noch. Ob an dem prächtigen Rathaus oder an den Häusern auf dem „Rynek“ oder in den umliegenden Straßen. Wie zum Beispiel das „Haus zu sieben Kurfürsten“ oder das „Haus unter den Gryfen“, aber nicht nur diese, sind wirklich sehenswert. Der Reichtum weckt aber Unruhe, besonders dann, wenn der Wohlstand nicht gerecht verteilt wird. Bei einem Aufstand der Handwerker gegen das Patriziat im Jahr 1418 kam es zu dem ersten europäischen Fenstersturz. Prag, das dadurch später sogar zweimal in die Weltgeschichte einging, kann sich die Idee, sich auf diese Weise der unpopulären Politiker zu entledigen, nicht patentieren lassen. In Wroclaw wurden damals sechs Stadträte aus den Fenstern des Rathauses rausgeworfen, der siebente, der im Turm seine Rettung suchte, wurde ebenso hinuntergeworfen – mit einem noch verlässlicheren Ergebnis. Der Aufstand der Zünfte wurde von Kaiser Sigismund im Jahr 1420 niedergeschlagen, der in Wroclaw den Kreuzzug gegen Prag vorbereitete (der dann mit einer beschämenden Niederlage auf dem Berg Vitkov bei Prag zu Ende ging). Sigismund ließ damals exemplarisch 27 Anführer des Aufstandes hinrichten und die Patrizier kehrten zurück an die Macht.
Von der Bedeutung von Wroclaw zeugt auch die Tatsache, dass gerade in dieser Stadt, in der ehemaligen Kapelle des Rathauses, die schlesischen Stände im Jahr 1741 ihrem neuen Herrn, dem preußischen Könige Friedrich II. huldigten. Das Museum der Stadtgeschichte gibt es aber nicht im Rathaus, sondern im königlichen Palast Kazimirs des Großen. Leider begrüßte mich hier eine Tafel mit Anschrift: „Expozycia niedzynna, przeprasamy“. (Wir entschuldigen uns, die Ausstellung ist außer Betrieb). Das Museum war wegen Rekonstruktionsarbeiten geschlossen. Ich hatte nicht vor zu verzeihen, wie mich die Tafel bat, aber was sollte ich schon tun? Es ging mir sonst in dieser Stadt doch so gut!
Ein Erlebnis, das sich ein Besucher in Wroclaw nicht entgehen lassen darf, ist ein Besuch der Universität. Ihre erste Gründung im Jahr 1505 von König Vladislav Jagiello misslang noch. Die zweite Gründung von Kaiser Leopold I. hatte aber schon Erfolg. Deshalb heißt die Universität zur Ehre des Kaisers „Universitas leopoldiana vratislaviensis“. Das Universitätsgebäude wurde in nur zwei Jahren fertig gebaut, die Universität dann dem Jesuitenorden zur Verwaltung übergeben. Atemberaubend ist die Aula der Universität, geschmückt mit Fresken und Statuen des Kaisers und seiner zwei Söhne, der späteren Kaiser Josef I. und Karl VI. Viel zurück in seiner Schönheit bleibt auch das Oratorium Marianum nicht. Es ist ein prächtiges Zimmer ebenso bedeckt mit Fresken, die gleich wie die der Aula sowie auch in der Jesuitenkirche „Zum heiligen Jesusnamen“ der Maler Christoph Handgke aus Olmütz schuf. Auch die Statuen in allen Universitätsgebäuden haben einen mährischen Ursprung, sie wurden von Franz Josef Mangold aus Brünn geschaffen. Das Oratorium, sowie auch die ganze Universität wurde in den Kämpfen des zweiten Weltkrieges vernichtet. Seine Restaurierung wurde von der Bundesrepublik Deutschland finanziert. Es war eine schöne Geste für die Versöhnung, die aber nicht ganz die erhofften Früchte brachte, sonst wäre in Polen nicht Jaroslaw Kaczynski an der Macht. (In Wroclaw übrigens hat seine Partei „Recht und Gerechtigkeit“ nicht gewonnen, die Bevölkerung von Wroclaw war immer sehr sensibel gegen jede Totalität, Wroclaw war auch eines der Widerstandzentren gegen das kommunistische Regime – auch die Bewegung Solidarność (Solidarität) war hier seit dem Jahr 1981 aktiv).
In den Nischen der Aula sind Philosophen und Gelehrte wie Sokrates oder auch der Rektor der Pariser Universität Sorbonne Gerson abgebildet. Auch Johann Capistranus hat hier sein Portrait, das ich weniger gutheißen kann. Dieser Mensch wurde von der katholischen Kirche im Jahr 1690 heiliggesprochen (er ist ein Patron der Staatsanwälte und Feldkuraten). Er kam nach Wroclaw im Jahr 1453. Er wurde in die Stadt von König Ladislaus Postumus entsandt, um einen Fall der Hostienschändung zu untersuchen. Capistranus war so etwas wie ein Familienkaplan und Beichtvater der Königsfamilie, unter anderem vermählte er auch Anna, die Schwester des Ladislaus mit dem polnischen König Kazimir IV. Durch Folter erzwang er von örtlichen Juden ein Geständnis und in weiterer Folge wurden 41 Juden auf dem Scheiterhaufen verbrannt und weitere mehr als 400 aus der Stadt vertrieben. Ihr Besitz wurde eingezogen, was wahrscheinlich der ursprüngliche Grund der Mission von Capistran war. Es war die Gier, die die Menschen zu Tode hetzte. Im Jahr 1455 hat Ladislaus für die Stadt das „Privilegium de non tolerantis iudaeis“ erlassen, das den Juden den Verbleib im Stadtgebiet von Wroclaw untersagte. Mit einigen katholischen Heiligen wie Capistranus habe ich ein echtes Problem. Er hat sich seine Heiligsprechung verdient, als er an dem Kriegszug von Janos Hunyady und dem Sieg über die Türken bei Belgrad im Jahr 1456 teilgenommen hat. Er hat sich dabei gleich wie auch der Heerführer Hunyady mit Pest angesteckt und starb.
Die Universität in Wroclaw produzierte acht Nobelpreisträger, was eine wirklich bewundernswerte Zahl ist. Unter ihnen war zum Beispiel der Schriftsteller Theodor Mommsen, der Atomphysiker Max Born, der Chemiker Eduard Buchner oder der Vater der deutschen Epidemiologie Paul Ehrlich. Leider war die Mehrheit von ihnen Juden und als im Jahr 1933 in Schlesien wie in ganz Deutschland Nazi die Macht übernahmen, hat das hohe Level der Universität ein jähes Ende genommen. Heute hat sie eine passable Qualität und fünf Fakultäten, medizinische, juristische, philosophische und zwei theologischen, eine katholische und eine evangelische. Weitere Nobelpreisträger zeugt sie aber nicht mehr.
Ich wurde ein wenig von einem Burschen mit einem Degen in der Hand im Universitätsmuseum überrascht. Burschenschaften, die als Studentenvereine im neunzehnten Jahrhundert entstanden sind, sind heutzutage die Hauptträger der pangermanischen und rechtsradikalen Ideen. Das Fechten ohne Gesichtsschutz ist hier eine Pflicht und deshalb rühmt sich ein echter Bursche mit zumindest einer Hiebwundenarbe im Gesicht. In Wroclaw schockierte mich diese Tatsache nur kurz. In der Zeit, als diese Studentenvereine entstanden sind, gab es hier Preußen. Auch deshalb gibt es auf dem Brunnen vor der Universität eine Statue eines Burschen, der sich auf einem Degen stützt.
Nicht weit von der Universität gibt es ein prachtvolles Gebäude des Ossolineums, des Museums des Grafen Ossolinski, das auch einen Teil des Manuskriptes des Romans „Pan Tadeas“ (Herr Thadeus) von Adam Mickiewicz (den zweiten Teil gibt es in Warschau) besitzt. Dieses Buch hat für die polnische Kultur als ein Symbol der nationalen Identität eine zentrale Bedeutung und dementsprechend groß ist die Verehrung des Werkes.
Eine Kuriosität von Wroclaw, die sehenswert ist, ist das „Panorama von Raclawice“, das im „Park J-Slowacki“ unter der ehemaligen Stadtfestung, von der nur die Grundmauern erhalten blieben, steht. Dieses monumentale Werk ehrt ein Sieg der polnischen Rebellen unter der Anführung von Tadeus Kosciusko über die russische Übermacht bei dem Städtchen Raclawice am 4. April 1794. Dieses 14 Meter lange und 5 Meter hohe Bild stellt den Kampf dar– wahrscheinlich malten die Autoren Jan Styka und Wojciech Kossak jeden einzelnen Soldaten, weil in dem Scharmützel um die 2000 polnische Soldaten gegen ungefähr eine gleiche Zahl Russen kämpften. Die Schlacht hatte keine strategische Bedeutung, weil die Polen nicht im Stande waren, die geschlagenen Russen zu verfolgen, geschweige sie aus Kleinpolen zu verdrängen. Für den polnischen Nationalstolz hat aber dieses Ereignis eine riesige Symbolkraft.
Das Schicksal dieses Panoramabildes dokumentiert wieder einmal die bewegte Geschichte Polens. Ursprünglich wurde es in Lwow (Lemberg) gemalt und ausgestellt. Lemberg gehörte bis zum Jahr 1939 zu Polen. Dann aber wurde der Ostteil Polens von der Roten Armee besetzt (Infolge des Vertrages zwischen Molotov und Ribbentrop, der den Deutschen den Westteil und den Russen den Ostteil Polens zusprach) und Russen zogen sich aus dem besetzten Land – wie es schon immer ihr Brauch war – nie mehr zurück. Auf der anderen Seite war Wroclaw, das vor dem Krieg 630 000 Einwohner hatte, nach dem Krieg praktisch entvölkert. Im Jahr 1946 lebten hier lediglich 170 000 Menschen und das waren überwiegend neue Einsiedler aus Lwow, die Stalin nicht mehr dort haben wollte. Sie mussten also nach Schlesien übersiedeln, das ein Teil von Polen wurde und sie durften ihr Raclawice-Monument mitnehmen. In der Sowjetunion wäre eine Verehrung des Sieges der polnischen Waffen über die russischen störend gewesen. Zumindest ließ es Stalin nicht vernichten, sondern im Jahr 1946 nach Wroclaw übertragen. Seit dem Jahr 1985 hat das Monument eine eigene Rotunde, die man besuchen kann. Auf den Eintritt muss man allerdings bis zu zwei Stunden warten, weil der Besuch des Monuments ein Pflichtprogramm aller polnischen Schulausflügen ist, die Wroclaw besuchen möchten.
An dem Oderufer kann man die Markthalle besuchen. Sie ist riesig und es wird hier einfach alles angeboten. Am schönsten waren aber die Blumengeschäfte. Es gab hier eine unglaubliche Menge an Begräbniskränzen, alle sehr schön mit Schnittblumen, Orchideen, Rosen usw. In Wroclaw muss es einfach ein Vergnügen sein zu sterben. Der Kai und die Parkanlagen sind alle schön gepflegt und sauber, die Stadt ist dazu auch voll von schönen Mädchen. Eigentlich habe ich so viele hübsche junge Frauen noch nie gesehen, vielleicht mit Ausnahme Kopenhagen, aber im Gegensatz zu gleich schönen, lächelnden und gepflegten Däninnen sprechen die Polinnen nicht mit dem furchtbaren dänischen Dialekt, sondern mit einer lustigen, flotten polnischen Sprache (die ich dazu auch noch verstehen kann). Wenn ich aber in diesem Punkt meine männlichen Leser zum Besuch dieser Stadt motivieren konnte – die, wie bekannt, meistens nur wenige sind – kann ich auch meine weibliche Leserschaft beruhigen – an Wroclaw werden auch sie Gefallen finden. Nicht einmal moderne Kunst kommt zu kurz, es gibt in der Stadt eine Menge interessanter Freilichtskulpturen. Am Oderufer gibt es moderne Skulpturen und direkt vor unserem Hotel stiegen aus dem Boden Figuren der nach dem zweiten Weltkrieg vertriebenen Menschen. Wroclaw ist bereit, sogar mit seiner Vergangenheit abzurechnen.
Wroclaw war im Jahr 2016 eine der zwei Kulturhauptstädte Europas (neben dem baskischen San Sebastian) und verdiente sich sicherlich diese Ehre. Hier trifft sich die alte Geschichte mit der neuen, die moderne Kultur mit der klassischen und sollte jemand die polnische Küche meiden wollen (die nicht gerade den besten Ruf genießt), gibt es eine verlockende Alternative im tschechischen Originalrestaurant in Swidnicka ulica 8a (ich hoffe nur, dass dieses Lokal die Coronakrise überlebt hat). Es wird hier das tschechische Prazdroj (Pilsner Urquel, bekanntlich das gesündeste Bier der Welt und dazu auch sehr wohl trinkbar) serviert und das Essen ist hervorragend – die Portionen waren so riesig, dass sie für zwei Personen ausreichten. Ich habe nicht widerstehen können und beide Entenkeulen aufgegessen. So konnte ich mir am nächsten Tag das Frühstück im Hotel ersparen.
Aber am besten sind die Zwerge. Sie sind allanwesend. Sie kriechen überall hin und vermehren sich offensichtlich sehr schnell. Ihre kleinen Statuen aus Metall sind auf den Gehsteigen vor allen wichtigen Gebäuden, mit Laptop oder als Feuerwehrmänner oder vor der Universität als ein Herr Professor mit Brille. Sie verleihen der sowieso freundlichen Stadt den echten goldenen Punkt. Sie sind eine Erinnerung an die Studentenbewegung „Die Orangenalternative“ aus dem Ende der Achtziger, als diese an der örtlichen Universität entstanden ist. Der erste Zwerg entstand auf einer Metallkugel in der Swidnickastraße, nur ein paar Schritte von dem gezapften Pilsner Bier entfernt. Einen solchen Zwerg kann man bei „Towarystwo milostnikow wroclawie“ vor der Kirche der heiligen Elisabeth kaufen. Einen schöneren und lieberen findet man sonst nirgends.
Also, wer in Wroclaw noch nicht war, sollte dieses kulturelles Defizit wettmachen.
Über die Altstadt ragt die Zitadelle empor. Diese Festung ließ nach dem Westfälischen Frieden im Jahr 1648 Erzbischof Johann Philipp von Schönborn bauen. (Sollte der Namen jemanden an den amtierenden Erzbischof von Wien, Kardinal Christoph Schönborn erinnern, handelt sich hier um keine zufällige Ähnlichkeit, der Kardinal stammt aus dieser berühmten Kurfürstenfamilie). Nachdem die Festung dem Ansturm der französischen Truppen im Pfälzischen Erbfolgekrieg nicht statthalten konnte, gab ihr das heutige Aussehen Lothar Franz von Schönborn, der hier bis zum Jahr 1729 herrschte.
Im Jahr 1792 nach der Eroberung durch Franzosen wurde aus dem Tor der Festung das Wappen der Erzbischöfe ausgekratzt, heutzutage gibt es in der Festung neben dem bereits erwähnten Drususstein ein Städtisches historisches Museum mit lieben freiwilligen Führern – der Eintrittspreis ist auch freiwillig.
Mit Mainz ist eine der größten Erfindungen der Menschheit verbunden, eine Erfindung, die das Mittelalter beendete und die Neuzeit einläutete – der Buchdruck. Johann Guttenberg (mit eigenem Namen Gensfleisch) war ein mainzer Patrizier. Um die Ehre, der Geburtsort der modernen Zeit zu sein, kämpft Mainz mit Straßburg. In den Jahren 1434 – 1444 oder möglicherweise sogar bis zum Jahr 1448 lebte nämlich Guttenberg in Straßburg und führte dort seine Versuche durch, bei denen er nach einer Legierung für die Erzeugung seiner beweglichen Lettern suchte, die dem Druck der Druckmaschine standhalten könnten. Aus diesem Grund findet man ein Guttenberg-Denkmal auch in Straßburg. Die Stadt behauptet, dass Guttenberg seine Erfindung bereits dort vollendet hatte und nur dann nach Mainz zurückkehrte. Die Tatsache ist, dass er nach seiner Rückkehr nach Mainz von mainzer Bürger Johann Fust einen Kredit in der Höhe 800 Gulden nahm und sich entschied, sein Werk zu realisieren. Es sollte sich um den Druck von 500 Stück Bibel handeln – das Alte- sowie auch das Neue Testament. Das Buch wurde auf der Frankfurter Messe im Jahr 1455 vorgestellt – und veränderte für immer den Lauf der Geschichte. Interessant ist, dass in Frankfurt gerade zu dieser Zeit Aeneas Silvius Piccolomini weilte, der Sekretär des Kaisers Friedrich III. und späterer Papst Pius II. Er erkannte sofort die Bedeutung der neuen Erfindung und versuchte ein kirchliches Monopol für den Buchdruck zu erlangen. Es gelang ihm nicht, gerade der Buchdruck verlieh der Reform von Luther Flügel und schwächte auf entscheidende Weise die Macht der Päpste. Aus ökonomischer Sicht war die Ausgabe der Bibel für Guttenberg eine Katastrophe. Er schätzte falsch die Produktionskosten ab, er ließ über die Alpen das beste Papier aus Italien holen (weil damals in Deutschland noch kein Papier produziert wurde) und die Auflage war bereits vor ihrer Erscheinung ausverkauft, daher war es nicht mehr möglich, den Preis zu erhöhen, um die Betriebskosten abzudecken. Guttenberg war nicht im Stande, Fust seine Investition zurückzuzahlen, beide Herren landeten vor Gericht und Fust gründete einen eigenen Buchdruckbetrieb. Guttenberg spezialisierte sich danach auf Druck von Flugblättern und Ablassbestätigungen, dadurch wurde er letztendlich doch vermögend.
An sein Wirken in der Stadt erinnert das Guttenberg-Museum in einem architektonisch ein bisschen inkompakten Stadtzentrum. Neben schönen historischen Gebäuden und supermodernen gläsernen Einkaufzentren gibt es hier auch formlose moderne Bauten mit Geschäften (am furchtbarsten ist das Kaufhaus Douglas vor dem Stadttheater, das ein echtes Architekturverbrechen ist). Mainz konnte nicht die katastrophalen Schäden, die es im zweiten Weltkrieg erlitten hatte, vollständig beseitigen. Im Museum im Untergeschoß gibt es eine Replik der historischen Druckerei von Guttenberg, hier gibt es auch Vorführungen des Druckes in der ursprünglichen Weise, auf den Geschoßen gibt es dann Darstellung der Buchdruckgeschichte von den Handschriften bis zum Buchdruck und das inklusiv China und Japan, wo die Entwicklung einen eigenen Weg nahm. Die wertvollsten Exponate sind drei Drucke der Guttenberg Bibel aus dem Jahr 1455. Wenn das erste Exemplar dieser Bibel im Jahr 1926 50 000 Reichsmark kostete, wurde die Zweibandbibel im Jahr 1979 in New York für 6 Millionen Mark ersteigert. Der Bürgermeister von Mainz schaute damals nicht auf die Kosten, er wollte um jeden Preis die Bibel in seiner Stadt haben. Die Folge ist ein furchtbares Gedränge um den Tresor, wo die Bibel ausgestellt wird, das Museum war (natürlich noch vor der Corona Krise) immer sehr übervölkert (Ich war dort im Jahr 2018 das vierte Mal und es war dort immer mehr Menschen, besonders Asiaten). Aber ein Besuch zahlt sich trotzdem aus. In dem Souvenirshop kann man Faksimile einzelner Seiten der Guttenberg Bibel kaufen, der Preis schwankt zwischen 35 und 20 000 Euro. Ich habe zwar nicht widerstehen können, habe mich allerdings für die billigere Variante entschieden.
Das Grab von Guttenberg findet man in Mainz nicht. Er wurde im Franziskanerkloster bestattet, das aber dem französischen Beschuss im Jahr 1793 zum Opfer fiel. Unter den Ruinen des Gebäudes verschwand auch das Grab eines der größten Entdecker der Menschengeschichte. Nach Guttenberg trägt auch die örtliche Universität ihren Namen, die im Jahr 1977 fünfhundert Jahre ihres Bestehens feierte, obwohl sie zwischen den Jahren 1802 und 1946 außer Betrieb war (sie wurde aber nicht offiziell aufgelöst).
Um nicht zu vergessen, wo kann man in Mainz gut essen? Gut und in einem interessanten Ambiente! Dann kann ich das „Heilig-Geist-Spital“ nahe dem Rheinufer empfehlen. Das Ufer wird mit drei furchtbaren Gebäuden geschmückt, mit dem Rathaus, mit der Rheingoldhalle als ein großes Konferenzzentrum und zum dritten steht hier das Hotel Hilton. Alle drei verderben unverbesserlich das Stadtbild, wenn man sie vom Fluss her betrachtet. Das Restaurant „Heilig Geist Spital“ ist dagegen hübsch. Ein ehemaliges mittelalterliches Spital für die Kranken und Armen gebaut im gotischen Stil, wurde in ein elegantes Restaurant mit einer sehr guten italienischen Küche umgebaut. Die Seele eines Historikers und die eines Gourmands jubeln bei dem Besuch gemeinsam.
In Mainz gibt es natürlich noch viele weiteren Sehenswürdigkeiten. Es gibt hier die St. Stephan Kirche mit Fenstern, die Marc Chagall entworfen hat. Der Künstler war bei diesem Auftrag im Jahr 1982 bereits 95 Jahre alt, aber das Ergebnis ist berauschend. Die blaue Farbe des Lichtes füllt die ganze Kirche, sogar die Orgel scheint blau zu sein, obwohl es natürlich nicht ist. Die Kirche ist übrigens die älteste in der Stadt, sie wurde bereits im Jahr 990 im Auftrag von Bischof Willigis gebaut.
Es gibt mehr als genug Kirchen in Mainz, nicht umsonst war die Stadt die Residenz des Erzbischofs und Kurfürsten. Die Kirche des Johanns des Täufers direkt neben der Kathedrale gehört jetzt den Protestanten, die Kirche des heiligen Quintinius, die monumentale rein barocke Kirche des Heiligen Petrus, die einen mit feinen Farben der Innenausstattung beeindruckt, oder die Kirche des Klosters der Karmeliten, direkt gegenüber des Hotel Hilton, die im Krieg vollständig vernichtet, aber später im gotischen Stil erneuert wurde. Weniger Glück hatte die Kirche des heiligen Christophorus, nicht weit von den Karmeliten. Nach den Grauen des Krieges blieb von ihr eine Ruine, es wurde lediglich die Kapelle des Heiligen Johannes wieder aufgebaut, der Rest blieb als ein Mahnmal des Schreckens, das der Krieg mit sich brachte und aus dem Hauptschiff der Kirche wurde ein Museum, die den Opfern des Nationalsozialismus gewidmet ist.
Als eine Erinnerung an die ruhmreichen römischen Zeiten von Mogontiacum gibt es in der Stadt römische Steine als Reste eines damaligen Aquädukts. Das „Römisch germanisches Zentralmuseum“ im ehemaligen Kurfürstenpalast neben dem heutigen Landtag ist ein zentrales deutsches archäologisches Institut für die Erforschung der römischen historischen Epoche. Man kann es nicht besuchen, die Ausstellung, die man besuchen kann, wurde in das bereits erwähntes Museum der römischen Schifffahrt übersiedelt. Das Naturhistorische Museum ist besonders durch sein imposantes Gebäude interessant, in dem es sich befindet – es ist ein ehemaliges Kloster der Klarissinnen, das bei der Säkularisation im Jahr 1791 aufgehoben wurde. Von außen ist es ein prächtiges Gebäude einer gotischen Kirche, typisch für damalige Bettlerorden.
Von der Stadtbefestigung blieben einige Tore erhalten, Eisenturm nahe dem Rheinufer und Holzturm im südlichen Stadtteil.
Mainz ist hübsch trotz Narben, die auf seinem Körper das Wüten des Krieges hinterlassen hat. Es hat an seiner Bedeutung nichts verloren, dafür hilft die zentrale Lage am Rhein. In der Zeit nach Wiener Kongress gab es hier eine Zentrale des österreichischen Geheimdienstes, die hier Fürst Metternich gründete. Heute gewinnt die Öffentlichkeit. Im Stadtteil Lerchenberg befindet sich die Zentrale von ZDF (Zweites deutsche Fernseher) Im Jahr 1964 erwarb hier die Stadt Mainz ein Grundstück von der Größe eine Million Quadratmeter und gründete hier die Sendezentrum von ZDF.
Aber auch die Umgebung von Mainz ist sehenswert. Wer Zeit hat, kann auch das erzbischöfliche Schlösschen in Eltville am Rheinufer besuchen. Dieses begann Balduin von Luxemburg zu bauen, als er der Administrator des Erzbistums war, und hier schloss am 26. Mai 1349 Karl IV. Frieden mit seinem letzten Widersacher bei seiner Königswahl, dem todkranken (wahrscheinlich vergifteten) Günther von Schwarzburg. Wenn man am Flussufer sitzt und beobachtet, wie ein Frachtschiff nach dem anderen vorbeifährt, versteht man, welche Bedeutung der Rhein für die deutsche Wirtschaft hatte (und noch immer hat).
Nahe von Mainz befindet sich auch das Stift Eberbach, wo der Film „Der Name der Rose“ mit Sean Connery in der Rolle von William von Baskerwille gedreht wurde. Wenn man das Schlafzimmer der Mönche besucht, das im Film als Skriptorium diente, hat man das Gefühl, als ob die Tür in jedem Moment aufgehen und der große Sir Sean eintreten sollte.
Ungefähr fünfzig Kilometer flussabwärts zwischen endlosen Weinbergen gibt es dann ein Städtchen Bingen, wo die heilige Hildegard tätig war, ein Stück weiter gibt es dann den Felsen, wo die legendäre Lorelei sang und auf dem anderen Ufer dann die Stadt Rüdesheim, der Ort, wo der deutsche Cognac Asbach produziert wird mit einem Viertel der Weinkeller und Bordelle. Übrigens in Rüdesheim aß ich die wahrscheinlich beste Ente mit Orangensauce in meinem Leben.
Im Gebiet des Erzbischofs von Mainz konnte die Reformation, besonders die calvinische, nichts Böses anstellen. Meine Leser haben sicher bereits erkannt, dass Mainz meine Lieblingsstadt in Deutschland ist – und bleibt.
Wenn ich in dem Artikel über Wiesbaden über eine junge Stadt schrieb, deren Bedeutung höchstens zweihundert Jahre zurückliegt, befindet sich auf dem gegenüberliegenden Rheinufer eine weitere deutsche Landeshauptstadt (Die Hauptstädte der Bundesländer Hessen und Rheinland-Pfalz trennt wirklich nur der Fluss und damit ca. 10 Kilometer), und die Geschichte dieser Stadt beginnt noch vor Christi Geburt.
Am 14. September des Jahres 9 vor Christi Geburt stürzte hier der adoptierte Sohn des Kaisers Augustus (der Sohn seiner Gattin Livia) Drusus vom Pferd und starb an den Folgen dieses Sturzes. An sein ruhmloses Ende erinnert der so genannte Drususstein, der in der Zitadelle der Stadt steht – derzeit überdeckt von einem grünen Netz, wahrscheinlich um seinen weiteren Zerfall durch Witterung zu verhindern. Drusus wurde in Rom verbrannt und begraben, in Mainz handelt es sich also um ein Scheingrab, ein so genanntes Kenotaph.
Mogontiacum, wie Mainz damals hieß, entwickelte sich in weiterer Folge zu einem wichtigen römischen Stützpunkt an der östlichen Grenze des Reiches und diese Tatsache hatte mehrere Gründe. Hier mündet nämlich der Fluss Main in den Rhein als eine Pforte in das damals barbarische Germanien und deshalb war Mainz ein wichtiger römischer Flusshafen. Zweitens ist die Region sehr günstig für Weinanbau – der berühmte Rheinwein stammt großteils aus der Umgebung von Mainz, es gibt hier riesige Weinproduzenten wie Kupfenberg (er hat in Mainz auch sein repräsentatives Restaurant „Kupfenberg Terrassen“ auf der Terrasse über die Altstadt) oder Henkel – der größte Sektproduzent. Auf dem gegenüber liegendem Rheinufer gab es dann warme Quellen, nach denen die Römer süchtig waren. Gerade deshalb bauten sie gerade in Mogontiacum die einzige Brücke über den Rhein, die auf dem östlichen Ufer durch eine Festung geschützt war – noch heute heißt dieses Stadtviertel Kastel – aus dem lateinischen Wort „castrum“.
An die römische Vergangenheit der Stadt erinnert neben dem bereits erwähnten Drususstein auch das römische Theater unter der Zitadelle,
das ausgegraben worden ist, als die Mainzer den Südbahnhof ausbauen wollten, und vor allem ein hervorragendes Museum der römischen Schifffahrt. Ehrlich gesagt, habe ich gar nicht so viel erwartet, als ich das Museum besuchen wollte. Aber die Mainzer schafften es aus dem Fund einiger Reste der römischen Flussschiffe ein absolutes Maximum zu holen, vielleicht noch ein bisschen mehr. Das Museum stellt nicht nur diese Schiffreste aus Holz aus, es gibt hier Modelle der römischen Schiffe in der natürlichen Größe, detailliert beschriebene Vorgänge beim Schiffbau seit dem alten Ägypten bis heute, detaillierte Informationen über die römische Flotte mit Beschreibung der einzelnen Funktionen in der Flotte sogar auch mit entsprechendem Lohn. Es gibt wirklich mehr als genug zum Schauen und wenn sich jemand für römische Geschichte interessiert, ist er hier absolut richtig – ein besseres Museum habe ich bisher nicht besucht.
Allerdings überwunden die Germanen im fünften Jahrhundert den Rhein und von Mogontiacum blieben nur rauchende Ruinen. Die Stadt musste wieder von Null beginnen und ihr Wideraufbau gelang. Ein großer Verdienst an der Auferstehung der Stadt hatte ein Bistum, das in achtem Jahrhundert zum Erzbistum erhoben wurde und für die Stadtentwicklung im Mittelalter und der frühen Neuzeit eine essentielle Rolle spielen sollte.
Zum ersten Mainzer Erzbischof wurde der heilige Bonifatius ernannt. Seine Statue kann man vor der Mainzer Kathedrale sehen.
Dieser Heilige hieß ursprünglich Winfried und er war ein Engländer. Den Namen Bonifatius (also „ein gutes Gesicht“) gab ihm der Papst, als er ihn zu einer Mission nach Mainz entsandte, um dort Ordnung in das damals noch chaotische germanische Christentum zu bringen. Bonifatius gab sein Bestes und war auch erfolgreich. Er errang eine wichtige Stellung am fränkischen königlichen Hof und setzte auf die richtige Karte, als er die Majordomus aus der Familie der Karolinger gegen die machtlosen Könige aus der Familie der Merowinger unterstützte. Nach einer Legende, die allerdings angezweifelt wird, war es Bonifatius, der im Jahr 751 den ersten König der neuen Dynastie Pippin „den Kurzen“ krönte. Weil ihm das Amt des mainzer Erzbischofs offensichtlich zu langweilig war, entschied er sich für den Märtyrertod und in seinen alten Jahren – er war schon achtzig – unternahm er eine Reise nach Norden, um die Friesen zu taufen. Die hatten aber nicht die geringste Lust sich taufen zu lassen und erschlugen den alten Missionar bei Dokkum. Der Leichnam von Bonifatius wurde nicht in Mainz begraben, sondern in Fulda, in einem Kloster, das er zu gründen half.
Die Machtbereiche der einzelnen Erzbistümer im Reich teilte Karl der Große ein und er war zu Mainz sehr freigiebig. Möglicherweise spielte dabei noch die Dankbarkeit Karls Vaters Pippin eine Rolle. Dieses Erzbistum wurde zu dem größten nördlich der Alpen, in seinen Machtbereich gehörte die ganze Mitte Deutschlands und bis 1346 sogar auch Tschechien mit Bistümern in Prag und Olmütz.
Die Dominante der Stadt ist die romanische Kathedrale, eine der vier berühmtesten in Deutschland (neben Speyr, Worms und Trier). Es ist ein Bau aus dem elften Jahrhundert und mit Ausnahme einiger späteren gotischen Zubauten ist es ein monumentaler homogener Bau im hochromanischen Stil.
Mit dem Bau hat Kaiser Heinrich IV. begonnen, der sich gerade im Kampf mit dem Papst um die Investitur befand und mit diesem Bau dem Papst den Wind aus den Segeln nehmen wollte. Das Ergebnis ist imposant. Die Kathedrale macht besonders in den Frühmorgenstunden einen düsteren Eindruck, in ihren drei Schiffen mit riesigen Säulen fühlt man sich verloren, aber im Moment, wenn durch die Fenster die ersten Sonnenstrahlen in das Kircheninnere dringen, bekommt der Raum ein unglaubliches Flair. Die Kirche hat zwei Apsiden, sie ist in Gegensatz zu anderen Kirchen nach Westen orientiert und der Westchor gehörte dem Erzbischof. Im Ostchor saß der König, nur eine Spur niedriger als der Domherr auf der anderen Seite der Kirche. Die Krypta befindet sich aber unter dem Ostchor. Interessant sind die Grabsteine der mainzer Erzbischöfe. Die Nummer 1 und 2 gehören den so genannten Kaisermachern. Einer davon war Peter von Aspelt, ein Kanzler des tschechischen Königs Wenzel II. Dieser Bürger der Stadt Basel machte eine unglaubliche Karriere – er wurde durch die Intervention Wenzels zum Erzbischof von Mainz. Er hatte ein Verdienst an der Wahl Heinrichs VII. von Luxemburg zum Kaiser und nach seinem Tod hatte er den entscheidenden Einfluss auf die Wahl seines Nachfolgers Ludwig IV. von Bayern. Ein nicht-adeliger wurde so zum mächtigsten Mann in Deutschland. Auf seinem Grabstein ducken sich unter dem rechten Arm des riesigen Erzbischofs diese zwei Kaiser, während unter seinem linken Ellbogen steht der tschechische König Johann von Luxemburg, dem er zur tschechischen Königskrone verhalf. Alle drei natürlich deutlich kleiner als der große Erzbischof.
Aspelt gegenüber gibt es den Grabstein von Siegfried III. von Eppstein. Dieser ließ gegen den damaligen Kaiser Friedrich II. gleich zwei Gegenkönige wählen, zuerst Landgraf von Thüringen Heinrich Raspe, den er sogar im mainzer Dom selbst krönte und als dieser viel zu früh starb, ließ er Wilhelm von Holland zu seinem Nachfolger wählen. Beide ducken sich auf dem Grabstein unter seine Arme und sind laut ihrem Gesichtsausdruck ihrem Wohltäter entsprechend dankbar. In den Fenstern der Kathedrale gibt es Porträts der Erzbischöfe aus Glas, diese Reihe endet mit Aspelt. Seit seinem Nachfolger Mathias von Buchegg werden die Porträts durch Wappen der neuen Herrn von Mainz ersetzt. Es wurde nämlich eine Regel erlassen, dass zum Erzbischof von Mainz nur ein Adeliger, der mindestens in sechs Generationen seine adelige Herkunft nachweisen konnte, werden durfte. Somit wurde mit dem Treiben gemeiner Bürger von Typ Aspelt, die sich einbildeten, die höchste Politik machen zu dürfen, Schluss gemacht.
Die Erzbischöfe von Mainz gehörten zu den sieben Reichskurfürsten, also zu Herren mit dem Wahlrecht bei der Wahl der römischen Könige. Wenn der tschechische König als der erste die Stimme abgeben durfte und damit die Richtung andeuten konnte, hatte der Erzbischof von Mainz das Recht, als der letzte die Stimme abzugeben, was ihm bei Stimmengleichheit eine besondere Bedeutung verlieh. Die Stadt mit der Umgebung beherrschten die Erzbischöfe bis zum Jahr 1792 als französische Truppen in die Stadt einmarschierten und mit dem kirchlichen Fürstentum ein schnelles Ende machten. Nicht immer war die Fürstenkrone des Erzbischofs ein Segen. Der Thron in Mainz war viel zu verlockend und so kämpften nicht nur einmal zwei Kandidaten um dieses Privileg. Im Jahr 1462 wurde die Stadt von den Truppen des päpstlichen Kandidaten Adolf II. von Nassau eingenommen und ausgeplündert und verlor alle ihre Rechte. Damals musste auch der berühmteste Bürger von Mainz Johann Guttenberg die Stadt verlassen (später durfte er aber zurückkehren).
Übrigens auch die Luthers Reformation hat indirekt mit Mainz zu tun. Albrecht von Brandenburg war im Jahr 1514 der Erzbischof von Magdeburg und der Administrator in Halberstadt. Das war ihm aber nicht genug. Er sehnte sich nach dem Titel eines Kurfürsten, war aber nicht bereit, auf die Einkünfte aus Magdeburg zu verzichten. Zwei verschiedene Erzbistümer zu verwalten (und besonders zwei Einkünfte zu konsumieren) widersprach den damaligen kirchlichen Gesetzen. Papst Leo X. (Giovanni Medici aus einer Kaufmannfamilie) war bereit, eine Ausnahme zu machen – wenn er dafür genug Geld bekommen würde, das der Fertigstellung des Petersdomes in Vatikan zugutekommen könnte. Albrecht ließ also in ganz Deutschland Ablässe verkaufen, er beauftragte mit dem Verkauf den größten Bankier der Zeit, Jakob Fugger, der dafür einen beträchtlichen Teil des Geldes selbst behalten durfte. Diese Unverschämtheit hat Martin Luther zu seinem Auftreten in Wittenberg am 31. Oktober 1517 veranlasst. Albrecht wurde trotzdem zum Kurfürsten von Mainz und blieb in dieser Funktion bis zum Jahr 1545, er wurde sogar zum Kardinal und Erzkanzler des Römischen Reiches. An seine Person erinnert der Rohrbrunnen auf dem Markt vor der Kathedrale und ein Grabstein drinnen, in den der Autor unter dem Porträt des Erzbischofs ein bisschen böswillig einen Teufel gemeißelt hat.
Ich sage voraus, dass ich immer ein Befürworter der Maßnahmen zum Eindämmen der Pandemie war, solange diese logisch, begründbar und verständlich waren. Ich bin ein Befürworter der Impfung, weil dies meiner Meinung nach der einzige Weg ist, wie man die Pandemie überwinden kann. Natürlich konnte man manche Sachen rationaler machen und zum Beispiel anstatt des wochenlangen Leugnens der Thrombosen, die mit der Impfung mit dem Vakzin Astra Zeneca verbunden waren, einfach zugeben, dass es diese Thrombosen gab und dass sie beinahe ausschließlich Frauen vor der Menopause betrafen und dass diese Gruppe aus der Impfung mit diesem Vakzin ausgenommen werden sollte.
Ich bin auch ein Befürworter des Tragens der FFP2 Masken in geschlossenen Räumen und ich bin überzeugt, hätte man in Sommer genug von diesen Masken gekauft oder produziert und gleich in Oktober das Tragen von ihnen befohlen, solange die Akzeptanz bei der Bevölkerung noch ausreichend hoch war, hätte man sich einen großen Teil des Lockdowns und viele Tote ersparen können.
Niemals habe ich ganz verstanden, warum kleine Geschäfte geschlossen werden mussten (und die großen offenbleiben durften), solange Menschen dort die FFP2 Masken getragen hätten und auch nicht das Verbot der Unterkunft in den Appartements um die Schipisten, die im Betrieb bleiben durften. Möglicherweise spielte hier die Angst, dass die Menschen in den Appartements sich gegenseitig besuchen und zusammen trinken würden, eine Rolle. Warum man im Freien kein Doppel beim Tennis spielen darf, verstehe ich auch nicht. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Beinahesenior beim Single verletzen könnte, ist tausendmal höher als sich dabei mit Covid anzustecken. Aber o.k. Verboten ist verboten, dann spielen wir halt nicht.
Trotz dieser Einwände war ich für das Einhalten der Regel. Bis ich mich entschieden habe, meine Mutter in Tschechien zu besuchen. Es war nämlich nach einem halben Jahr bei ihrem Alter von 84 Jahren schon dringend notwendig. Dafür musste ich aber die österreichisch-tschechische Grenze überqueren. Weil ich ein disziplinierter Bürger bin, entschied ich mich, es nach den gegebenen Regeln zu tun. Und das zeigte mir die Absurdität des gesamten Systems.
Ich muss zuerst klarmachen, dass ich seit Februar geimpft bin – dieses Privileg habe ich mir durch die Arbeit auf der Intensivstation bei den Covidpatienten verdient. Ich habe eine Bestätigung über die Anwesenheit der Antikörper gegen Coronavirus in meinem Blut, also über eine ausreichende Immunisierung und wie wir wissen, reduziert die Impfung auch die Wahrscheinlichkeit, sich mit dem Virus anzustecken und das Virus weiter zu verbreiten um sagenhafte 96%. Diese Tatsache wird aber nirgends berücksichtigt, sie spielt bei den Vorschriften, die die Bewegungsfreiheit einschränken, keine Rolle.
Der Übertritt der Grenze ist nur mit einem negativen Antigentest aus den letzten 24 Stunden möglich. Das ist kein so großes Problem, weil ich im Krankenhaus arbeite, wo ich ohnehin zu wöchentlicher Testung verpflichtet bin. Es ist mir gelungen auch bei einer wahnsinnigen Arbeitsbelastung im letzten Moment noch unseren Laborassistenten Laszlo zu erwischen, der diese Tests am Freitag machte, noch bevor er den Testraum verließ. Er war sehr lieb, machte bei mir den Test und ich durfte nicht vergessen vor dem Verlassen meines Arbeitsplatzes die Bestätigung auszudrucken.
Bereits am Donnerstag füllte ich in der Webseite der tschechischen Botschaft in Österreich ein Onlineformular über meine Absicht, die Tschechische Republik zu besuchen, aus. Es war ziemlich lustig. Als ich den Ort Starojicka Lhota angegeben habe, den ich besuchen wollte, bekam ich eine Antwort, dass dieser Ort unbekannt wäre. Ich gab also die benachbarte Marktgemeinde Stary Jicin an. Wieder mit einem negativen Ergebnis. Ich gab die Bezirkshauptstadt Novy Jicin an. Der Computer kannte nicht einmal diese Stadt, er verlangte von mit um so energischer das wahre Ziel meiner Reise anzugeben. Aus Verzweiflung gab ich die Kreishauptstadt Ostrava an. Siehe, der Computer kannte das. Die nächste Frage war, ob ich mit einem Kind jünger als 18 Jahre reisen würde. Ich klickte „nein“ an und sandte das Formular ab. Die Stelle wurde bedrohlich rot und verlange „mindestens ein Kind unter 18 Jahre anzugeben.“ Ich wurde unsicher. Ich kontrollierte, ob ich nicht zufällig bei der Frage, ob ich mit Kindern reise, das „ja“ aktivierte. Nein, aktiviert war der Punkt „nein“. Ich sandte das Formular erneut ab und der Computer schrieb mir das gleiche. Ohne mindestens ein Kind unter 18 Jahre keine Einreise nach Tschechien! Ich begann nachzudenken, wo ich mir so ein Kind ausborgen könnte und ob es mit mir fahren möchte.
Die rettende Idee war, die Seite zu verlassen und dann wieder zu öffnen. Jetzt verlangte das Formular kein Kind mehr. In diesem Moment fiel mir ein, die deutsche Tastatur auf meinem Computer gegen die tschechische auszutauschen. Damit hatte ich die „Striche und Hackerl“ zur Verfügung. Ich gab „Starý Jičín“ an – und es hat funktioniert! Wie das ein Österreicher machen soll, der diese Tastatur auf seinem Computer logischerweise nicht hat, weiß ich nicht. Die Österreicher und Deutschen müssen also nur nach Praha, Brno, oder Ostrava fahren, also in die Ortschaften, die in ihren Namen keine Striche und Hackerl haben.
Ich durfte also die Reise antreten. An der Grenze kontrollierte mich niemand, kein Zollbeamte war in Sicht, weder an der österreichischen noch an der tschechischen Seite. Obwohl auf meinem Beifahrersitz ein ausgefülltes und ausgedrucktes Formular, mein Impfpass, sowie auch die Bestätigung über den negativen Antigentest lag.
Nur an der ersten Tankstelle verstand ich, dass ich noch nicht gewonnen habe. Mein Wunsch, eine Autobahnvignette zu kaufen, wurde abgeschlagen. Es wäre nur online möglich. Ich muss betonen, dass ich ein Analogtyp bin und das Internet auf dem Handy hasse – schon deshalb, weil dort alles sehr klein ist und ich dort kaum etwas lesen kann. Die Dame an der Tankstelle war aber sehr lieb und teilte mir mit, dass man die Vignetten an den Tankstellen der Firma Eurooil kaufen könnte, allerdings befand sich im Umkreis von 100 Kilometer keine solche Tankstelle. Dann verriet sie mit aber, dass es an der Grenze einen Automaten gab. Ich müsste nur zurück zur Grenze fahren, an den LKW-Abstellplatz abbiegen und dort gäbe es den Automaten, wo man die Autobahnvignette kaufen konnte. Sie gab mir sogar eine Zeichnung, wie ich den Automaten finden konnte, weil „er ist versteckt, damit ihn die Menschen nicht finden“ (Ende des Zitates). Dank dieser Zeichnung fand ich den Automaten wirklich. Von beiden Seiten mit Schranken unzugänglich gemacht, damit man mit dem Auto nicht hinkommen konnte. Der Einkauf der Vignette war selbsterklärend und einfach – sogar für eine analoge Person wie mich – und die Vignete ist für Dauer eines Jahres gültig, also nicht nur für das Kalenderjahr. Das war die erste positive Überraschung. Wie aber diese Situation ein gebürtiger Österreicher oder Deutscher meistern kann, der der tschechischen Sprache nicht mächtig ist, blieb für mich ein Rätsel.
Ich kam zu meiner Mutter und trat die verpflichtende fünftägige Quarantäne an. Dem negativen Test, Impfung und Antikörpernachweis zum Trotz. Freilich gab es eine Möglichkeit sich aus der Quarantäne durch einen negativen PCR-Test freitesten zu lassen. Beim besten Willen konnte ich aber in dem ganzen Nordmährischen- sowie auch Olmützerkreis, also im Umkreis ca. 150 Kilometern, keine einzige Teststelle finden, wo man sich zwischen Freitag und Montag 16 Uhr testen lassen konnte. Also habe ich auf der Webseite einen Termin in Nový Jičín für Montag, 16 Uhr reserviert. Bis zu diesem Zeitpunkt durfte ich das Haus meiner Mutter nicht verlassen und keine Besuche empfangen. Bezahlen musste man direkt bei der Bestellung online, ob man dann auch zu dem Termin kommt, war meine Sache. Die Kosten 1350 Kronen – ungefähr 54 Euro.
Am Montag ließ ich mich testen und nach dem negativen Ergebnis erhielt ich die Bewegungsfreiheit. Theoretisch, nicht praktisch. Das Ergebnis erhält man nämlich binnen 48 Stunden. Also konnte ich eigentlich zu keinem, weder früheren noch späteren, Termin als am Montag zum Test gehen, weil sonst bis Mittwoch, als ich zurückfahren musste, das Ergebnis nicht fertig wäre. Es ist sicher gut, dass das Testergebnis 72 Stunden gültig ist, damit kann man zumindest 24 Stunden Freiheit genießen. Genießt man aber nicht, weil Mittwoch der letzte mögliche Tag war, zurückzufahren, damit man die fünftägige Pflichtquarantäne in Österreich antreten konnte. Der Grund?
Trotz der Impfung, der nachgewiesenen Antikörper und des aktuellen negativen PCR-Tests musste man für weitere fünf Tage in der Quarantäne zu Hause sitzen, um sich dann am Sonntag wieder testen zu lassen, um in die Arbeit gehen zu dürfen. Sonst wäre der Arbeitsgeber nicht verpflichtet, das Gehalt zu zahlen, wenn ich die ganzen vorgeschriebenen zehn Tage zu Hause bleiben würde. Abgesehen davon, wer an meiner statt inklusiv der Nachtdienste arbeiten würde. Natürlich musste ich vor der Abfahrt in Richtung Österreich wieder ein Onlineformular ausfüllen, damit die österreichischen Behörden wussten, dass sich so eine brandgefährliche Person in Richtung österreichische Grenze in Bewegung setzt.
An der Grenze kontrollierten mich österreichische Zollbeamten. Sie waren sehr freundlich, zuvorkommend, aber genau. Sie verlangten den Reisepass, das Zertifikat über den PCR Test und die Registrierung. Dabei haben sie entdeckt, dass ich ein falsches Formular ausgefüllt habe. Wo das richtige im Internet zu finden ist, habe ich keine Ahnung. Sie waren allerdings bereit sogar das richtige Formular mit den Daten, die ich in das falsche Formular geschrieben habe, selbst auszufüllen. Es hat gereicht, es zu unterschreiben und dann die Heimreise anzutreten – in die fünftägige Quarantäne. Also grobgerechnet: wenn man nur einen einzigen Tag in Tschechien verbringen möchte, muss man mindestens 10 Tage Urlaub nehmen.
Solche Maßnahmen, die auch eine geimpfte Person einhalten muss, haben mit einem Hausverstand nichts zu tun. Es ist einfach nur ein Machtspiel und ein Mobbing des Bürgers. Sogar die Verfassungsjuristen machen sich Gedanken, ob es vertretbar ist, die Freiheit eines Menschen, der nachweislich nicht mehr ansteckend sein kann, so massiv einzuschränken. Nur unsere Regierungen nicht! Von der tschechischen und österreichischen Seite gleichermaßen. Ist das nur ein Zufall, dass diese Regierung immer wieder Probleme mit der Verfassung und dem Verfassungsgericht hat? Die Symmetrie der Maßnahmen zeugt allerdings davon, dass diese unsinnigen Maßnahmen nach einer Einigung beider Seiten (der tschechischen und der österreichischen) beschlossen wurden. Wenn man schon die Reisen zwischen den EU-Staaten nicht verbieten konnte, machte man sie zumindest unmöglich. Es ist klar, dass jeder, der diese alle Regel einhalten würde (mein Beispiel) sich logischerweise wie ein Trottel fühlen müsste. Es wundert mich nicht, dass die absolute Mehrheit der Menschen solche Vorschriften ignoriert. Fatal ist aber eine andere Sache. Wenn man schon bestimmte Regel, die man wirklich nicht einhalten kann, ignoriert, hält man sich auch an die anderen Regeln nicht. Weil sie von den gleichen Personen, also von unseren Politikern bestimmt wurden. Von denen, die um unsere Stimmen kämpfen werden. Ich sage gleich, meine haben sie schon verloren.
Ich mag niemanden, der einen Dummkopf aus mir machen will. Weil ich mich in meiner Würde beleidigt fühle.
Ich bin sehr gespannt, wie es die Regierung mit dem Frohleichnam regeln würde, wo sich schon halb Österreich Unterkünfte in Norditalien gebucht hatte. Wenn sich nichts ändern würde, dann verbringen sie alle bei der Rückkehr mindestens 24 Stunden an der Grenze bei den Kontrollen und danach 5 Tage in der Quarantäne. Abgesehen davon, ob es genug PCR Tests in Grado geben würde. Ich wünsche einen schönen und entspannten Aufenthalt. Zumindest werden sie aber wissen, wem sie dafür zu danken haben.
NACHTRAG. Gestern habe ich erfahren, dass eine Lockerung der Maßnahmen kommen sollte. Infolge der Äußerungen der Verfassungsjuristen oder wegen Frohleichnam? Für mich aber definitiv zu spät.
Die Hauptachse der Stadt liegt außerhalb des historischen Zentrums und es ist die breite und repräsentative Wilhelmstraße, die den Namen des ersten deutschen Kaisers trägt.
Sie führt vom Hauptbahnhof zum Kurhaus und läuft eigentlich auf dem ehemaligen, jetzt zugeschütteten Graben. Vor dem Kurhaus, einem großen Gebäude im neoklassizistischen Stil, mit einem großen Saal und dem Restaurant „Käfer“ gibt es das moderne Zentrum der Stadt mit so genannten „Bowling green“, wie die große Grasfläche vor dem Kurhauseingang von englischen Gästen genannt wurde – mit zwei Fontänen und einer Kolonnade, hinter der sich das Wiesbadener Theater befindet und dann ein großer englischer Park „Warmer Damm“. Zur Gründung dieses Parks, ohne den das heutige Wiesbaden unvorstellbar wäre, diente die Fläche vor den Stadtmauern, die in der Zeit der befestigten Städte nicht bebaut werden durfte, damit sich hier im Fall einer Belagerung der Feind nicht verstecken konnte. In den Jahren 1859 – 1860 wurde dieser 7 Hektar großer Park von Karl Friedrich Thelemann angelegt. Der zweite Teil des Parks, vielleicht sogar der schönere Teil, ist hinter dem Kurhaus versteckt und man kann hierher von der Terrasse kommen, die von dem Hintereingang des Gebäudes zugänglich ist.
Warme Quellen sprudeln aus dem Boden in dem oberen Stadtteil zum Fuß des Gebirges Taunus. Direkt kann man sie auf dem „Kochbrunnenplatz“ sehen, wo es eine Fontäne mit dem natürlichen Thermenwasser und mit natürlichen Sedimenten gibt.
Um diesen Platz stehen die prominentesten Hotels von Wiesbaden, außer anderen auch der „Nassauer Hof“, das „Hotel Palast“ oder das „Radison Blue Schwarzer Bock“ – natürlich jedes mit einer eigenen Hoteltherme von dem natürlichen Warmwasser aus der Tiefe der Erde gespeist. Wiesbaden lockte gerade dadurch seine Gäste an, logischerweise war hier auch Goethe, der wahrscheinlich alle Kurorte Europas in seinem Leben besucht hat, natürlich verliebte er sich auch hier, weil er sich praktisch überall verliebt hat. In Wiesbaden war er mehrmals in den Jahren 1814 und 1815 und Marianne Jung, die er hier kennenlernte, widmete er sein Gedicht „Ginkgo biloba“.
Das Literaturhaus Wiesbadens hat seinen Sitz in der Villa Clementine auf der Wilhelmstrasse, auf der gleichen Straße befindet sich auch das Stadtmuseum, das ich zu meiner Schande noch nie besucht habe, obwohl es sich direkt „vis á vis“ gegenüber der Kongresshalle befindet. Es ist wieder einmal ein monumentales Gebäude in klassizistischen Stil. Es ist deshalb so groß, da es ursprünglich als Palast für den Kronprinzen Wilhelm gebaut wurde. Als der Vater von Wilhelm im Jahr 1816 überraschend starb und der Kronprinz zum neuen Herzog wurde, übersiedelte er in das Stadtschloss und das Gebäude war plötzlich frei. Die Gründung des Museums hat angeblich aus der Initiative des bereits erwähnten und wieder einmal anwesenden Johann Wolfgang Goethes stattgefunden. Wiesbaden ehrte ihn dafür mit einer Statue, die direkt vor dem Museumeingang steht (eigentlich sitzt).
Auf dem Kochbrunnenplatz beginnt die Einkaufsmeile von Wiesbaden – die Tausnustraße. Sie verbindet das historische Fünfeck des Stadtzentrums mit dem Tal unter dem Neroberg, einem Aussichtsberg über Wiesbaden. Der Besuch des Nerotals zahlt sich schon deshalb aus, weil hier die Villen der reichsten Bürger von Wiesbaden stehen. Auf den Neroberg führt eine Seilbahn, die aber nicht das ganze Jahr in Betrieb ist. Sie wurde im Jahr 1888 bei der Gelegenheit der Thronbesteigung des neuen Kaisers Friedrich III. auf den deutschen Kaiserthron eröffnet.
Zu Friedrich hatte Wiesbaden eine enge Beziehung. Dieser Kaiser, ein Intellektueller und ein guter Freund des österreichischen Kronprinzen Rudolfs, war eine Hoffnung des damaligen Europas. Er bemühte sich um eine Versöhnung zwischen den Nationen, er stand politisch der Sozialdemokratie nah, da er glaubte, dass die Vermögensverteilung zur Erhöhung der Kaufkraft der Bevölkerung und dadurch zu weiterem Wohlstandwachstum und zu ökonomischem Aufschwung führen würde – was sich in Zukunft bewahrheiten sollte. Die deutsche Industrie hätte sich mehr auf Eigenverbrauch orientieren sollen, um nicht mehr so stark vom Export abhängig zu sein, den das immer mehr zurückbleibende Großbritannien blockieren wollte. Das führte zur Spannung, die sich letztendlich im Gräuel des Ersten Weltkrieges entladen sollte. Friedrich verbrachte in Wiesbaden sehr viel Zeit und deshalb hat er vor dem Hotel „Nassauer Hof“ gegenüber dem Kurhaus seine Statue. Seine Aufenthalte in der Kurstadt hatten allerdings einen traurigen Grund. Friedrich war schwer krank. Als ein leidenschaftlicher Pfeifenraucher erkrankte er an Kehlkopfkrebs und starb nach lediglich 99 Tagen Regierung im Alter von 57 Jahren – deshalb wird das Jahr 1888 in Deutschland als „Dreikaiserjahr“ genannt. Sein Sohn Wilhelm II. erbte weder sein Intellekt, noch seine Ideale und Europa nahm den Weg in die größte Tragödie seiner Geschichte.
Nach Kaiser Friedrich heißt auch die öffentliche Stadttherme „Kaiser Friedrich Therme“, die sich in der nordwestlichen Ecke des historischen Stadtzentrums befindet. Die Öffnungszeiten für die Öffentlichkeit sind von zehn vormittags bis zehn abends, am Freitag und am Sonntag sogar bis Mitternacht. Die Eintrittskarte kostet im Sommer 5 und im Winter 6,50 Euro (Stand 2019) – für eine Stunde. Der Luxus – die Therme sind im Inneren im orientalen Stil gebaut – kostet halt was.
Vom Neroberg, den man entweder zu Fuß besteigen oder sich mit der Seilbahn befördern lassen kann, hat man eine wunderschöne Aussicht auf die Stadt, die einem wortwörtlich zu Füssen liegt. Eine Kuriosität, die eines Besuches wert ist, ist die orthodoxe Kirche. Nein, die Herzöge von Hessen traten nicht zur Orthodoxie über. Einer von ihnen, Adolf, besuchte aber im Jahr 1843 Russland und verliebte sich dort in Prinzessin Jelizaveta Michailovna, eine Nichte der Zaren Alexander I. und Nikolai I. Sie erwiderte seine Liebe, im Jahr 1844 gab es eine Hochzeit und die russische Prinzessin übersiedelte nach Wiesbaden, wo sie ein Jahr später bei der Geburt ihres ersten Kindes starb – sie war 19 Jahre alt. Der verzweifelte Herzog ließ auf dem Neroberg eine Kirche bauen, in dem sie mit ihrem Kind begraben ist.
Wiesbaden ist deutsche Hauptkurstadt, also irgendwie immer noch die zweite Hauptstadt Deutschlands. Bis heute habe ich nicht verstanden, warum Bonn und nicht Wiesbaden die Hauptstadt der ehemaligen Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 1945 – 1990 war. Vielleicht waren die Hessener nicht bereit, auf ihre Landeshauptstadt zugunsten der gesamten Republik zu verzichten. In jedem Fall ist Wiesbaden die Hauptstadt der deutschen Internisten und ich hoffe es noch einmal aus diesem Grund zu besuchen zu können. Gleich, wenn das Coronavirus Geschichte wird.