Dieses Stück Landes, (also eigentlich fünf Stücke) hatte ich in meinem Reiseplan bereits seit einigen Jahren. Zuerst blockierten einen Ausflug in diese Richtung unsere Reisen in andere Teile Italiens und dann das Coronavirus. Heuer aber, als ich meine Reise in die nördliche Toskana geplant habe, war klar, dass mir diese Küstenstädtchen nicht entgehen durften. Es war nur ein Problem zu lösen, nämlich, wie komme ich hin?

               Ziemlich logisch dachte ich, dass bei der Touristenmenge, die sich dort auf einem minimalen Raum, den die felsige Küste bieten kann, herumtreiben würde, könnte es ein Problem mit Parken geben. Deshalb bereitete ich mich für die Reise penibel vor. Ich erfuhr, wie die Züge aus Lucca, wo wir wohnten, nach La Spezia, das als der Ausgangspunkt zu dem südlichsten Teil der ligurischen Küste gilt, fahren. Dann gab es nur zu entscheiden, ob wir die Städtchen mit einem Schiff oder mit dem Zug besuchen. In Folge der Kinetose meiner Frau hat der Zug eindeutig gewonnen. Durch die Städte führt nämlich die Eisenbahnhauptverbindung zwischen Livorno und Genua (natürlich durch ein Tunnelsystem.)

               Am Tag „T“ wachten wir in ein regnerisches Wetter auf. Meine Frau erklärte mir demzufolge, dass sie durch ganz Lucca zum Bahnhof im Regen „ganz sicher nicht gehen würde“ und ich sollte das Auto vom Parkplatz holen und starten. Was ich auch tat. Ihre Argumente, dass um halb acht in der Früh die Italiener noch schlafen, klangen ziemlich logisch. Und das waren sie auch.

               Unter dem Bahnhof in La Spezia gab es freie Parkplätze ohne Ende. Wir konnten also das Auto abstellen und sich kümmern, wie weiter. Die Italiener sowie auch die Touristen schliefen noch. Nachmittags, als wir das Auto abholen wollten, war die Parkgarage schon bis zum letzten Platz voll. Also, bei einem Besuch von Cinque Terre zahlt es sich aus, nicht zu lange zu schlafen. Dann geht´s.

               Um Cinque Terre zu besuchen, muss man zuerst „Cinque Terre point“ finden. Das ist nicht ganz einfach. Besonders deshalb, weil ich nicht wusste, dass ich so etwas suchen sollte. An der Fahrkartenkassa wurde ich aber belehrt und zum „Cinque Terre point“ geschickt. Dort wollte mich der Schlag treffen, weil dieser geschlossen war. Zum Glück gaben wir nicht auf und fanden den nächsten „Point“, der im Betrieb war. In diesem Büro war es notwendig eine „Cinque Terre Card“ zu kaufen, die einen Menschen zum Nutzen der Züge zwischen allen fünf Orten (man kann sogar bis nach den sechsten namens Levante fahren, das zu diesem Gebiet nicht mehr gehört) und zum Benutzen der Wanderwege im Naturpark zwischen den Orten und wahrscheinlich auch zum Atmen der örtlichen Luft berechtigt. Eigentlich kauft man für 16 Euro das Recht einen Tag zwischen den Städtchen Monterosso al Mare und Riomaggiore leben zu dürfen. Diese Karte muss man nicht einmal, wie es sonst in Italien die Pflicht ist, auf dem Bahnsteig entwerten, es ist nur notwendig, den Namen des Besitzers auf die Karte zu schreiben. Also so einfach, dass ich echt überrascht war. Aber es besuchen dieses Land letztendlich auch Amerikaner. Zu meiner Überraschung kontrollierte im Zug unsere Karten niemand, dafür gab es aber auf dem Wanderweg zwischen den Orten Vernazza und Corniglia sogar gleich zwei „check points“, wo wir kompromisslos auf den Besitz der Karte überprüft wurden.

               Die Züge fahren alle zwanzig Minuten (vormittags, am Nachmittag kann sich das Intervall bis zu einer Stunde verlängern). Wir stiegen ein und brachen mit anderen Touristen (es gab dank der Coronapandemie schockierend wenige) in Richtung Norden auf. Ich entschloss mich unsere Erforschung von Cinque Terre in dem am entferntesten Ort zu beginnen und dann sich Schritt für Schritt dem Ausgangspunkt zu nähern. Die Idee war sicherlich nicht schlecht, aber zu wenig originell. Fast alle Anwesenden wählten nämlich diese Variante.

               Monterosso al Mare hat einen ziemlich großen Strand. Man kann hier baden, wenn es Badewetter gibt.

Dies gab es nicht. Zu meinem Erstaunen gab es hier auch einen ziemlich großen Parkplatz. Wir suchten vergeblich das Stadtzentrum, wo man angeblich „Loggia del Podestá“, die Pfarrkirche des Heiligen Johann des Taufers und das Kloster des Heiligen Franziskus sehen könnte. Alle Abzweigungen von der Küstenpromenade führten uns immer wieder zwischen Hotels und Apartments und wenn ich nach dem Weg ins Zentrum eine Frau fragte, die wie eine Einheimische ausgesehen hat, starrte sie mich an und verschwand wortlos. Ich dachte, dass mein gebrochenes Italienisch daran schuld war, meine wiederholten Fragen in Englisch brachten aber auch keinen Erfolg. Wir tranken also auf einer Terrasse über dem Meer einen Espresso, warteten, bis die Wolken verschwanden, die Sonne begann zu strahlen und danach verließen wir leicht frustriert Monterosso al Mare in Richtung Süden. Der weitere Verlauf des Ausfluges sollte uns aber ausreichend entschädigen.

Monterosso al Mare

               Das nächste Städtchen ist Vernazza und es ist möglicherweise das schönste von allen. Vernazza hat nämlich einen Hafen, liegt direkt am Meer und brüstet sich mit einer Festung über dem Meer mit einer Aussichtsterrasse, der Kirche der Heiligen Maria von Antiochia aus dem Jahr 1318 und mit Unmengen an Geschäften mit Essen und Getränken, Ristoranten, Osterien und Trattorien, also ein italienischer Traum hautnah. Weil es sich so gehört, entschieden wir uns die Entfernung zwischen den Städtchen Vernazza und Corniglia zu Fuß zu überwinden. Ich gebe zu, dass ich mir unter der Bezeichnung „der untere Weg“, die wir wählten, einen angenehmen Pfad an der Küste vorgestellt hatte.  Dass der Weg zuerst über das Städtchen stieg, habe ich anfangs positiv angenommen als ein Angebot, uns die schönsten Blicke auf Vernazza anzubieten und die haben wir wirklich genießen[AP1]  können.

Vernazza

Dann aber stieg der Weg weiter und er wollte damit nicht aufhören, was mich immer mehr unruhig und später auch zornig machte. In einer Entfernung von je ca. hundert Metern gab es hier Tafeln, die die Nummer von Rettungsdienst (und Feuerwehr) bekannt gaben. Wenn ich sie am Anfang ignorierte und später sie für unnötig hielt, mit zunehmenden Höhemetern wurde diese Information immer wertvoller. Letztendlich habe ich eine davon fotografiert, um die Information für jeden Fall zur Hand zu haben.

Es gab nämlich letztendlich 208 Höhemeter und dass ist bei Temperaturen über 30 Grad Celsius nicht gerade wenig. Die anfängliche Begeisterung meiner Gattin wurde durch eine Ernüchterung abgelöst, dann durch Enttäuschung, Proteste und zuletzt endete es mit einem erschöpften Stöhnen und ich machte mir wirklich Sorgen. Auf dem höchsten Punkt befindet sich eine Bar mit einer Aussichtsterrasse, aber vor allem mit Obstsäften, die dort für die Besucher frisch gepresst werden. Ich empfehle eine Kombination von Orangen und Zitronen, es ist erfrischend, nicht zu süß und im Zustand, in dem man die Bar erreicht, lebensrettend. Die Zitronen wachsen übrigens dort auf den Felsen überall, das Klima ist für sie sehr günstig und die Einheimischen machen aus Zitronen einen alkoholischen Liquor Limoncino. (Bitte nicht mit Limoncello aus Kampanien verwechseln, obwohl ich gar nicht weiß, warum nicht. Meiner Meinung nach schmecken beide sehr ähnlich, wenn nicht gleich, ich bin aber natürlich auf diesem Gebiet kein Spezialist.)

               Im „Cinque Terre Point“ in La Spezia wollte uns die dort arbeitende Dame einreden, dass es sich bei dem Weg zwischen Vernazza und Corniglia um einen Spaziergang mit einer Dauer von dreißig Minuten handelt. Es war ein unverschämtes PR und Fake news. Wir brauchten für den Weg beinahe zwei Stunden und anschließend wollten uns die Italiener auf dem Bahnhof in Corniglia einreden, dass die gesamte Strecke nur 3,4 Kilometer lang sei. Na sicher! Weiter hat uns niemand darauf aufmerksam gemacht, dass es nicht egal ist, von welcher Seite man den Weg geht. Corniglia liegt nämlich hundert Meter über dem Meeresspiegel und Vernazza direkt am Meer. Diese hundert Höhemeter, die man in Corniglia bequem in einem Shuttlebus zurücklegen kann (natürlich nur wenn man ein stolzer Besitzer der „Cinque Terre Card“ ist, aber ohne die hätte man ohnehin kein Anspruch aufs Leben) sind unbezahlbar. Es war zu spät über unsere Entscheidung zu weinen, wir fuhren mit dem Bus hinunter zum Bahnhof. Im Dorf geht man an der Kirche San Pietro aus dem Jahr 1334 vorbei, es zahlt sich aus, hineinzuschauen.

Corneglia

               Auf dem Bahnhof in Corneglia machte meine Frau eine Meuterei. Sie lehnte den nächsten Stopp in Manarola strikt ab und das mit dem Argument, dass „Quatro Terre“ auch genug sind. Manarola ist das kleinste der Städtchen, es liegt direkt an einer Flussmündung und es gab nicht zu viel Platz dort Häuser zu bauen. Also es gab auch keinen Platz für uns und wir konnten nicht die örtliche Kirche „Nativitá di Margina Vergine“ besuchen.

Manarola

               Durch Schwänzen von Manarola ist uns natürlich auch die Möglichkeit entgangen, die „Via dell´Amore“ zu begehen. Das ist ein Weg am Meer zwischen Manarola und Riomaggiore, wo sich angeblich die Verliebten aus diesen zwei Orten heimlich treffen konnten. Aber nicht einmal die Möglichkeit, auf dem Liebespfad die Landschaft zu erkunden, konnte meine Frau zum Einlenken bringen. Recht hat sie gehabt – schon wieder einmal. Nachträglich habe ich erfahren, dass der Weg wegen eines Erdrutsches gesperrt wäre und nur die ersten zwei hundert Meter von Manarola zugänglich sind.

Via dell´Amore

               Wir fuhren also direkt zu dem größten der Städte Riomaggiore mit dem Zug. Zuerst habe ich versucht, meine Müdigkeit aus der „beinahe Bergtour“ mit dem Wein Cinque Terre zu verbannen. Der süße Wein aus Cinque Terre Sciacchetra wurde bereits von Dante Alighieri für seine bernsteinähnliche Farbe, süßen Geschmack und den feinen Geruch gepriesen. Ich bekomme allerdings nach einem süßen Wein Sodbrennen. Aus diesem Grund habe ich den Wein „Vino Bianco Cinque Terre“ gewählt der seit dem Jahr 1973 die Bezeichnung DOC (Denominazione de Origine Controllata) trägt. Dieser Wein wird aus drei Weinsorten gemischt: Bosco, Vermentino und Albarola und schmeckt hervorragend. Besonders, wenn man zuvor eine Wanderung gemacht hat, angeblich nur dreiundhalb Kilometer lang, was allerdings niemand glauben kann.

               Riomaggiore ist das größte der fünf Städtchen und wirkt ein bisschen impressionistisch, es wundert mich nicht, dass der impressionistische Maler Telemaco Signorini dem Zauber der Stadt unterlag. Ich glaube, Egon Schiele hätte sich dort auch gefreut.

Riomaggiore

Es ist notwendig bergauf zur Kirche des Heiligen Johannes des Täufers aus den Jahren 1340 – 1343 zu steigen. In der Kirche gibt es eine reich verzierte Kanzel, die allerdings um zwei hundert Jahre jünger ist. Wir setzten unseren Aufstieg bis zu einer Festung aus der Zeit der genuesischen Herrschaft fort, die sich auf dem höchsten Punkt der Stadt befindet. Von hier gibt es wunderschöne Aussichten und Bänke im Schatten großer Bäume, wo man sich erholen kann. Hier trafen wir einen örtlichen Senior, der mit seinem Rollator gerade die Festung erreicht hat. Er registrierte meinen Blick der Bewunderung und begann mit uns zu plaudern. Er hat sehr gut mit nur einem minimalen fremden Akzent deutsch gesprochen, er gab zu, dass er das ganze Leben lang Sprachen gelernt hatte, und zwar Französisch, Spanisch, Englisch und zuletzt auch Deutsch. Der Grund seiner Begeisterung für die Sprachen konnten wir dann im Laufe des Gespräches entdecken. Es handelte sich offensichtlich um einen einheimischen Casanova, der das ganze Leben Jagd auf Touristinnen machte. Und er hatte auch Erfolge. Wir ließen ihn uns über seine Erfolge erzählen, so haben wir auch das Geheimnis seines hervorragenden Deutsch verstanden – es war eine Dame aus Salzburg. Er selbst war ein Beamter in Riomaggiore und sein Hobby war, den Besucherinnen seine Stadt von der schönsten und angenehmsten Seite zu zeigen. Leider hat unser Casanova sicher bereits bessere Zeiten erlebt, jetzt war er schon im Ruhestand und nicht nur, was seine Arbeit im Gemeindeamt betraf. Man konnte es sehen und leider auch riechen. Er bestand auf einem Foto mit meiner Frau. Wir haben ihm es gegönnt, er schrieb sich sorgfältig ihren Namen auf. Er hat sicher zu Hause eine Fotosammlung als Erinnerung an die besseren Zeiten, die vergangen sind.

               Der letzte Ort in der Region, der besuchswert ist, ist Portovenere. Es ist von La Spezia zwar nur dreizehn Kilometer entfernt, man muss aber für die kurvige Straße an der Küste mindestens eine halbe Stunde einplanen.

Portovenere

Portovenere war einmal der letzte Posten der Genuesischen Republik, der die Meeresenge zu La Spezia kontrollierte (La Spezia entstand als eine moderne industrielle Stadt und es gibt hier nichts Interessantes zu sehen. Seit 1997 ist Portovenere in der Liste der „Weltkulturerbe“ der UNESCO aufgenommen. Es strahlt mit farbig bemalten Häusern, atemberaubend ist die Kirche San Pietro auf dem äußersten Felsenausläufer. Oberhalb der Stadt ragt eine große Festung empor, die einmal das Interesse der Genuesen in dieser Region bewachte. Wer Lust hat, kann zu ihr bergauf laufen, ich muss in meinem Alter nicht unbedingt alles haben.


 [AP1]

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