Wenn jemand versucht euch zu überzeugen, dass das Wort „Pistole“ vom dem Wort Pistoia stammt, weil hier angeblich die Schmiede im sechzehnten Jahrhundert das erste Mal diese kurze Schusswaffe erzeugten, die die Benutzung der Schusswaffen auch der Kavallerie möglich machte, glaubt ihm nicht. Ich habe mich bemüht über diese Hypothese zu recherchieren und ich stieß auf so viele widersprüchliche Behauptungen, dass ich diese Theorie endgültig verworfen habe. (Angeblich war das ein Name für einen Dolchtyp, der in Pistoia benutzt wurde und sogar der Name der Stadt sollte von „Pistole“ stammen.) Einfach alles an Haaren herbeigezogen, wir können uns damit zufriedengeben, dass das Wort „Pistole“ seinen Ursprung in der tschechischen Bezeichnung der Schusswaffen der Hussiten, die ihre Gewähre „Píšťala“ nannten, hat. Zumindest ich kann damit gut leben.

               Pistoia versuchte möglicherweise auf diese Art seinen Ruf zu verbessern, da diese Stadt, positioniert zwischen Florenz und Lucca, offensichtlich an einem Minderwertigkeitskomplex leidet, weil im Gegensatz zu seinen berühmteren Nachbarn kaum jemand etwas über sie weiß. Ich reiste nach Pistoia übrigens auch lediglich deshalb, um die Ordnung zu bewahren. Es fehlte mir in der Liste der von mir besuchten Städte und lag direkt auf dem Weg zwischen Florenz und Lucca, wo das Ziel meiner Reise war.

               Ganz umsonst war der Besuch der Stadt nicht und könnte sogar noch viel besser sein – wenn die Öffnungszeiten der Sehenswürdigkeiten in der Stadt christliche Dimensionen hätten. Das tat die Stadt aber nicht, fast alles war geschlossen, also der Haupteindruck, den man vom Besuch mitgenommen hat, ist das Gefühl eines riesigen Marktes.

Tatsächlich nicht nur auf der „Piazza del Duomo“ und auf der nahen „Piazza del Spirito“, sondern auch in allen Gässchen standen Stände mit Waren aller Art, mit Lebensmitteln (zum Beispiel mit ersten Steinpilzen, die ich heuer sah), mit Kleidung, Schuhen, einfach mit allem.) Durch den Wald der Stände war die Altstadt selbst kaum sichtbar.

               Die Stadtmauer, die die Altstadt noch immer umgibt, ließ der Großherzog von Toskana Cosimo I. bauen, weil Pistoia logischerweise ein Teil des Herzogtums Toskana war.

Seine Geschichte, obwohl nicht so ruhmreich wie die der Nachbarn, ist viel älter. Es handelte sich um einen Ort der Etrusker, später um eine römische Stadt. Im Jahr 1115, als die letzte toskanische Herzogin Mathilde starb, erklärte Pistoia gleich wie alle andere toskanische Kommunen ihre Unabhängigkeit und erließ eine eigene Verfassung. Aber so eine Selbständigkeit hat nicht nur positive Seiten. Pistoia geriet in Konflikte mit seinen Nachbaren Prato, Pisa, Florenz und Lucca und diese erwiesen sich stärker und mächtiger als Pistoia selbst. Natürlich auch in Pistoia wütete der Kampf zwischen Guelfen und Ghibellinen und als nach dem Tod Kaisers Friedrich II. die Guelfen Oberhand bekommen hatten, spalteten sie sich sofort in Weiße Guelfen, die eine Autonomie von der päpstlichen Macht verlangten und Schwarze Guelfen, die auf einem absoluten Gehorsam dem Papst gegenüber pochten. Der Papst Bonifatius VIII lud eine Armee unter der Führung des französischen Prinzen Charles von Valois nach Italien ein, die Ordnung schaffen sollte. Valois schaffte es in Florenz die Macht der Schwarzen Guelfen zu etablieren, was für Dante Alighieri eine lebenslange Verbannung zur Folge hatte.  Pistoia beherrschten im Gegensatz zu Florenz die Weißen Guelfen, was eine elfmonatige Belagerung von einer Armee unter der Führung von Moriella Malaspina, des Markgrafen von Lunigiano zur Folge hatte und mit einer Kapitulation der Stadt endete. Von diesem Krieg erholte sich die Stadt nie mehr vollkommen, sie wurde nur durch die historischen Ereignisse mehr oder weniger machtlos geschleppt, bis im Jahr 1401 endgültig die Vorherrschaft von Florenz akzeptierte und ihre selbständige Existenz damit beendete.

               Was berühmte Persönlichkeiten betrifft, die gab es in Pistoia auch nicht wirklich im Überschuss. Neben eines Freundes Dantes, Cino da Pistoia, war das vor allem Papst Klemens IX. Er war nur kurz in den Jahren 1667 – 1669 im Amt, er wurde aber dadurch auffällig, dass er ein anständiger Mensch war, was unter den Päpsten dieser Zeit ein absolutes Kuriosum war.

Stecher: Clouwet, Albertus Verleger: Rossi, Giovanni Giacomo de Zeichner: Gaulli, Giovanni Battista Maler: Gaulli, Giovanni Battista

Giulio Rospigliosi, wie er mit seinem bürgerlichen Namen hieß, stammte aus einer erhabenen Familie aus Pistoia, im Gegensatz zu seinen Vorgängern und Nachkommen ehrte er die Gesetze und missbrauchte sein Amt nicht zum Nepotismus, also zur Beschenkung seiner Verwandten. Das war eine unerhörte Sache und weckte großen Unmut, besonders bei seinen Familienangehörigen. Seine Parole lautete: „Barmherzig zu anderen, nicht zu sich selbst“. Wobei er seine Familie nicht zu „den anderen“ zählte. Er hat die Steuern reduziert und an seinem Tisch saßen täglich dreizehn Arme von der Straße und er servierte ihnen persönlich die Suppe. Er stattete oft einen Besuch dem Spital in Lateran ab und ging täglich zur Beichte. Die Römer, die gar nicht an solche Päpste gewöhnt waren, waren von seiner Persönlichkeit schockiert und sie verehrten ihn wie einen Heiligen. (Natürlich wurde er im Gegensatz zu vielen Abenteuern, Intriganten und gewaltsamen Päpsten nicht heiliggesprochen). Klemens hatte das Glück, dass gerade in seiner Zeit das Werk des genialen Berninis seinen Höhepunkt fand, und der Architekt den Säulengang auf dem Petersplatz oder die Brücke vor dem Engelsburg schuf.

               Ein anständiger Papst war in dieser Zeit eine schockierende Angelegenheit. Der Sonnenkönig Ludwig XIV. war so sehr schockiert, dass er selbst begann, sich (beinahe) anständig zu verhalten. Er stimmte sogar zu, dass der Papst Friedensverhandlungen zwischen Frankreich und Spanien im Krieg um die spanischen Niederlande veranlassen konnte. Die Beziehung der Kurie zum Sonnenkönig verbesserte sich so weit, dass Ludwig XIV sogar willig war, die Venezianer in ihrem Kampf mit den Türken um Kreta zu unterstützen. Die Franzosen taten es heimlich, weil die Türken ihre traditionellen Verbündete waren. Die Schiffe musste der Papst liefern, Franzosen schiffte ihre Soldaten ein, die Venezianer vortäuschen sollten. Sie durften keine französischen Zeichen an der Kleidung haben und Ludwig hoffte, dass ein Türke einen Franzosen von einem Italiener sowieso nicht unterscheiden konnte. Wenn diese Geschichte einigermaßen an eine nicht so lang in der Vergangenheit liegende Tat auf einer Halbinsel im Schwarzem Meer errinnert, ist das nur ein Beweis, dass sich die Geschichte häufig wiederholt. Im Jahr 1669 galt es aber nicht ganz. Nicht einmal die nicht gezeichnete Truppen halfen, Kreta fiel im Jahr 1669 in türkische Hände und der gute Papst Klemens IX. grämte sich über den Verlust eines weiteren christlichen Landes zu Tode. Überraschenderweise habe ich in Pistoia kein Denkmal dieses berühmtesten Bürgers der Stadt entdeckt – anständige Leute habe einfach Pech, sie werden von Menschen rasch vergessen. Übrigens dieser Papst ist unter seinem bürgerlichen Namen vielleicht sogar noch berühmter, und zwar als ein Librettist der römischen „Opera bufa“.

               Wenn man sich Pistoia auf der Autobahn nähert, sieht man schon von Ferne eine Kuppel, die auffällig an die Kuppel des Doms von Florenz erinnert. Es ist keine zufällige Ähnlichkeit, der Autor dieser Kuppel, der berühmte Architekt und Schriftsteller Giorgio Vasari ließ sich von dem Werk Bruneleschis in Florenz inspirieren. Die Kuppel in Pistoia ist zwar kleiner als die von Florenz, trotzdem handelt sich immer noch um drittgrößte Kuppel in Italien. Zu meiner Überraschung ist das aber nicht die Kuppel der örtlichen Kathedrale, die dem Heiligen aus Verona, Zeno, gewidmet ist (St Zeno ist neben der Heiligen Reparata in Toskana ein sehr populärer Heiliger), sondern der Kirche „Madonna dell´Umilta“ (Madonna der Demut), In dieser Kirche spielt das Fresco der Madonna auf dem Hauptaltar die tragende Rolle. Nach einer Legende begann die Madonna im Jahr 1490 an der Stirn zu schwitzen. Von ihrer Stirn tropften Schweißtropfen und fielen auf den Kopf des Christkindes in ihren Armen. Die Nachricht über das Wunder verbreitete sich schnell und nach Pistoia strömten Massen von Pilgern. Das Ereignis wurde von einer Menge weiterer Wunder begleitet, bis die Madonna am 17.Juli 1490 mit dem Schwitzen aufhörte. Zur Ehre dieses Wunders bekam das Fresco seit dem Jahr 1495 eine neue Kirche, die dann Vasari mit seiner Kuppel im Jahr 1561 vollendete.

               Pistoia liegt auf dem Jakobsweg nach Santiago de Compostela und die Jakobsmuschel können wir also auf vielen Plätzen der Stadt sehen. Am Tag unseres Besuches flatterte die Flagge mit goldener Jakobsmuschel auf dem blauen Feld auf dem Kampanile. Der Kampanile ist ein merkwürdiger Mix, der untere Teil ist ein Rest eines Festungsturmes, dann kommen drei Stockwerke im pisanischen romanischen Stil aus dem 13. Jahrhundert und die Spitze stammt aus dem Jahr 1576.

Das berühmteste Artefakt, das an den heiligen Jakob erinnert, ist der Sankt Jakobaltar, der sich in einer Seitenkapelle der Kathedrale befindet. Man kann ihn von dem Hauptschiff durch Gitter sehen, wenn man ihn aber aus der Nähe bewundern möchte, muss man eine Eintrittskarte kaufen, was nicht ganz so einfach ist. Auch wenn die angekündigten Öffnungszeiten der Kathedrale einen ununterbrochenen Betrieb bis 17:30 versprechen, ist es nicht wahr. Zwischen 12:30 und 14:30 ist die Kirche geschlossen – die Siesta muss auch von den Heiligen eingehalten werden. Der Altar wurde beinahe zweihundert Jahre gestaltet, mit den Arbeiten haben die Schmiede von Pistoia im Jahr 1287 begonnen und sie wurden von Bruneleschi im Jahr 1457 abgeschlossen. Kein Wunder, dass es so lange gedauert hat, auf dem Altar gibt es insgesamt 628 Figuren aus Silber, die Szenen aus dem Alten und dem Neuen Testament darstellen, sowie natürlich auch aus dem Leben des heiligen Jakobs. Die Kirche selbst ist ein Beispiel des romanischen pisanischen Stils, der in dem dreizehnten Jahrhundert in der gesamten Toskana sowie auch auf Sardinien sehr populär war – es geht um die typische Kombination von Streifen aus weißem und grünem Marmor.

Ähnlich ist es auch mit dem riesigen Baptisterium aus dem vierzehnten Jahrhundert, obwohl dieses in Folge seines späteren Entstehungsdatums romanische Elemente mit gotischen vermischt. Innenausstattung des Baptisteriums ist überraschend arm, es gibt hier keine Fresken oder anderen Schmuck, nur das Taufbecken in der Mitte, die Wände sind nur aus bloßen Backsteinen gebaut.

Der Platz vor der Kathedrale die „Piazza del Duomo“ ist mit einigen anderen Gebäuden umgeben, die daran erinnern, dass Pistoia in seiner früher Geschichte weder klein noch arm war. Es ist der Bischofpalast, in dem sich das Kapitelmuseum befindet und dann der „Palazzo del Podestá“. Der Hof des Palastes ist mit Wappen der Stadtvögte geschmückt, die hierher Florenz einsetzte. Das Stadtmuseum befindet sich im sehr schönen Gebäude „Palazzo Commune“, gebaut in den Jahren 1294 – 1385, also noch bevor die Kontrolle über die Stadt Florenz übernommen hat. Trotzdem befindet sich auf der Fassade ein Wappen mit den päpstlichen Schlüsseln, das an den Papst Leo X, erinnert. Leo X. hieß mit eigenem Namen Giovanni Medici, stammte aus Florenz und er war ein Sohn des berühmten Lorenzo Magnifico (des Prächtigen) – er war in den Jahren 1513 – 1521 Papst. Dieser Papst war ein Symbol der Versöhnung zwischen dem Kirchenstaat und der Familie Medici. Im Jahr 1478 versuchte Papst Sixtus IV. die Gebrüder Medici ermorden zu lassen und anschließend konfiszierte er den gesamten Besitz der Familie im Raum des Kirchenstaates. Diese Taten machten natürlich zwischen beiden Parteien keine gute Stimmung. Nachdem aber Lorenzo, der im Gegensatz zu seinem Bruder Gulio das Attentat überlebt hatte, mit Ferrante, dem König von Neapel und Verbündetem des Papstes Frieden geschlossen hat, blieb dem Papst nichts anderes übrig, als eine Versöhnung mit Medici zu suchen. Giovanni wurde mit sieben Jahren zum apostolischen Protonotar und mit dreizehn wurde er zum Kardinal ernannt. Zum Papst wurde er im Alter von 38 Jahren gewählt, wenn sich aber jemand von seiner Wahl ein langes Pontifikat versprach, wurde enttäuscht. Der Papst starb nach bloß acht Jahren seiner Herrschaft.

Eine weitere schöne Kirche im Stil der pisanischen Romanik ist die Kirche San Giovanni Fuorvicitas. (Kirchen in Pistoia ähneln eine der anderen ein bisschen wie ein Ei einem anderen) Der Name der Kirche sollte uns nicht verwirren, Fuorvicitas bedeutet vor der Stadt, das galt aber in der Zeit der langobardischen Verwaltung, als Pistoia noch viel, viel kleiner war als heute, heute steht die Kirche beinahe im Stadtzentrum. Bevor wir den Kaffee ausgetrunken hatten, wurde auch diese Kirche um 12:30 geschlossen, also konnte ich nur nachlesen, dass ich dort Werke von Giovanni Pisano oder Luca de la Robia bewundern hätte können.

Die größte Enttäuschung war dann für uns der Versuch des Besuches im „Ospedale del Cepo“.

Es ist nicht weit von der „Piazza del Duomo“ auf dem „Platz Johanns XXIII“ und es handelt sich um ein mittelalterliches Spital, das bereits im Jahr 1277 gegründet wurde. Eine bedeutende Rolle spielte es in der Zeit des „Schwarzen Todes“, der Pistoia im Jahr 1348 erreichte. Nachdem Pistoia von Florenz besetzt worden war, machten die neuen Stadtherren aus dem kirchlichen Spital ein Stadtkrankenhaus. Die Öffnungszeiten des Museums, wo die mittelalterliche Medizin präsentiert wird, sind ziemlich obskur. Im Winter ist es von zehn vormittags bis zwei nachmittags. Im Sommer ist es von drei bis sechs nachmittags. Es war Sommer und eine Uhr mittags. Das Gebäude ist allerdings auch von außen interessant. Im Jahr 1502 bekam es eine Loggia im Stil der Renaissance und im Jahr 1525 wurde es mit Majolikafries geschmückt mit herrlichen Bildern der sieben Barmherzigkeitstaten von Giovanni della Robia und seinen Schülern. Übrigens, in einem Teil des Gebäudes wird auch heutzutage Medizin betrieben. Wir traten nämlich in eine falsche Tür ein und plötzlich standen wir vor der Blutbank.

Wer noch immer von den Kirchen im pisanischen Stil nicht genug hat, kann noch die Kirche des heiligen Andreas aus dem zwölften Jahrhundert besuchen, das Hauptportal ist aus dem Jahr 1166 und die Kanzel schuf Giovanni Pisano, wobei sich hier der junge Meister noch für sein berühmtes Meisterwerk in der Kathedrale von Pisa übte.

Die Altstadt ist mit einem Mauerring umgeben. Der am besten erhaltene Teil der Stadtmauer ist „Fortezza Santa Barbara“ in südöstlicher Ecke der Stadt. Er ist ein Teil des Stadtparkes, wo sich der Besucher nach dem Besuch der Stadt erholen könnte.

Wir hatten keine Zeit dafür. Enttäuscht durch die Öffnungszeiten der Sehenswürdigkeiten von Pistoia setzten wir unsere Reise in Richtung Lucca fort.

Also zur Frage, ob sich ein Besuch von Pistoia lohnen würde. Grundsätzlich ja, aber im Winter vormittags, im Sommer nachmittags und KEINESFALLS mittags!

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