Im Jahr 1998 war Lissabon Gastgeber der Weltausstellung Expo. Zu diesem Anlass wurde hier ein Ausstellungsgelände gebaut, das anschließend dank der interessanten Architektur seiner Pavillons zu einer Touristenattraktion wurde. Er befindet sich etwas außerhalb des Stadtzentrums, flussaufwärts am Tejo. Man kann dorthin mit einer Kabinenseilbahn gelangen, und es gibt dort – wie es sich für eine Hafenstadt gehört – das „Oceanário“, ein riesiges Aquarium, das in Lebensräume des Atlantiks, des Pazifiks, aber auch des Indischen Ozeans und des Südpolarmeeres unterteilt ist.

Was man allerdings unbedingt besuchen muss, ist Belém. Dieser Stadtteil in Richtung der Mündung des Tejo ist ein unverzichtbarer Bestandteil eines Besuchs der portugiesischen Hauptstadt. Er symbolisiert die glanzvollste Zeit der portugiesischen Geschichte, die Ära der Entdeckungsreisen, die diesem Land am Ende Europas, heute etwas abschätzig als „Balkon Europas“ bezeichnet, einen unglaublichen Reichtum brachten.

Alles begann mit den Aktivitäten von Prinz Heinrich dem Seefahrer (1394–1460), dem Sohn Joaos I., Gründers der Dynastie Avis. Der Prinz wurde 1418 zum Großmeister des Christusordens, nachdem er bereits 1415 an der Spitze der Ritter dieses Ordens die Stadt Ceuta für Portugal erobert hatte. Nachdem seine Versuche, den Spaniern die Kanarischen Inseln zu entreißen, gescheitert waren, konzentrierte er sich vollständig auf die Erforschung der afrikanischen Küste. Er finanzierte und unterstützte Entdeckungsreisen und ließ einen neuen Schiffstyp, die Karavelle, bauen, die sich für lange Reisen eignete. Im Jahr 1434 umsegelte Kapitän Gil Eanes das Kap Bojador, was eine revolutionäre Tat war. Bis dahin glaubte man, dass hinter diesem Kap die Welt endete, das Meer in unendliche Tiefen abfiel und den Neugierigen der direkte Weg in die Hölle erwartete. Danach verschwand diese Angst und die Portugiesen drangen immer weiter entlang der afrikanischen Küste nach Süden vor, bis schließlich 1498, 38 Jahre nach dem Tod von Heinrich dem Seefahrer, Vasco da Gama Afrika umsegelte und die Küste Indiens erreichte.

Heinrich der Seefahrer steht mit einem Modell einer Karavelle in der Hand an der Spitze der 33 Statuen, die das Denkmal der Entdecker in Belém schmücken.

Das Bauwerk im Stil des „sozialistischen Realismus“ erinnerte mich zu sehr an das Stalin-Denkmal auf der Letná in Prag, die legendäre „Fleischschlange“, als dass ich mich nicht für mögliche Zusammenhänge interessieren würde. Stalin- Denkmal begann man in Prag 1962 abzureißen, das Denkmal in Lissabon wurde 1960 von Leopoldo de Almeida errichtet. Also bleibt der Verdacht bestehen. Ob Almeida in Prag war und sich dort inspirieren ließ, konnte ich nicht herausfinden. Dennoch ist das Denkmal in Belém deutlich geschmackvoller. Es hat die Form eines Schiffsbugs, auf seiner Rückseite befindet sich ein Kreuz, das in ein Schwert übergeht, um zu verdeutlichen, mit welchen Mitteln die Portugiesen neue Gebiete kolonisierten und sie für den christlichen Glauben gewannen. Sympathisch ist, dass der betende König Manuel erst am Ende dieser Reihe von Entdeckern, Seefahrern und Missionaren dargestellt ist.

Nach Belém fährt man jedoch hauptsächlich wegen des Klosters des Heiligen Hieronymus. Dieses wurde ebenfalls von König Manuel, genannt „der Glückliche“, gegründet, und der Bau wurde unter seinem Nachfolger Joao III. abgeschlossen. Es ist ein gigantisches Bauwerk im einheitlichen Stil der manuelischen dekorativen Gotik.

Der Eintritt in das Kloster erfordert stundenlanges Warten. Wenn man bereits Tomar und andere Klöster in Estremadura besucht hat, lohnt sich das Warten nicht. Wer nur Lissabon besuchen möchte, muss sich allerdings in der Schlange anstellen. Schon das Portal der Kirche, das von der Statue Heinrichs des Seefahrers dominiert wird, ist ein Beispiel der dekorativen Architektur manuelischer Epoche. Im Inneren beeindruckt das hohe Gewölbe mit schlanken, palmenförmigen Säulen. In die Kirche gelangt man wesentlich einfacher als ins Kloster. Auch sie ist ein Beispiel der manuelischen Gotik, mit Ausnahme der Apsis, die im Stil des Manierismus gestaltet ist. Aber dazu später mehr. Am Eingang zur Kirche befinden sich zwei Sarkophage von Männern, die die Entdeckungsreisen symbolisieren. Auf der linken Seite steht der wunderschöne Marmorsarkophag von Vasco da Gama,

auf der rechten Seite der ebenso schöne Sarkophag von Luiz Vaz de Camões Er ist der portugiesische Nationaldichter und lebte von 1524 bis 1580. Im Jahr 1572 veröffentlichte er das Buch „Os Lusíadas“, das Nationalepos über die portugiesischen Heldentaten auf See. Er selbst führte ein sehr bewegtes Leben. Als Rebell wurde er vom königlichen Hof verbannt, als Soldat verlor er bei Kämpfen in Nordafrika ein Auge, und auf der Reise nach Indien war sein Schiff das einzige der gesamten Flotte, das den Sturm überstand, der die Portugiesen im Indischen Ozean überraschte. Sein Todestag, der 16. Juni, ist der größte portugiesische Nationalfeiertag und wird etwas suspekt als „Tag der portugiesischen Rasse“ gefeiert. Was wir davon halten sollen, sei dahingestellt, aber es scheint, dass es nicht so wichtig ist, etwas zu entdecken oder zu erobern, sondern am wichtigsten ist, darüber zu schreiben. Das ist Camões offensichtlich gelungen. Übrigens Amerika heißt auch nicht nach ihrem Entdecker Kolumbus, aber nach Amerigo Vespucci, der über das neue Kontinent spannend schreiben konnte.

Der Altarraum der Kirche ist deutlich jünger und wurde 1572 im manieristischen Stil von Königin Katharina von Habsburg, der Frau von Johann III., eingerichtet. Hier befinden sich die königlichen Gräber von Manuel I. und seiner Frau Maria von Aragon sowie von seinem Sohn Joao III. und dessen Frau Katharina. Die Grabmäler werden von Elefanten getragen. Obwohl weder Manuel noch Joao je einen Elefanten persönlich gesehen haben, wurden diese riesigen Tiere, über die Legenden erzählt wurden, zum Symbol königlicher Erhabenheit. Eine Kuriosität ist jedoch ein weiteres Grab, etwas abseits im Querschiff. Es ist das Grab von König Sebastian I.

Dieser junge König verfiel 1578 dem Gefühl von Wichtigkeit und Unbesiegbarkeit und brach zu einem Kreuzzug nach Afrika auf. Sein megalomanisches Ziel war es, die gesamte afrikanische Küste zu erobern, nach Ägypten zu gelangen und dann nach Palästina, die Türken von dort zu vertreiben und Jerusalem für das Christentum zu gewinnen. Zu seiner Entschuldigung sei gesagt, dass er neunzehn Jahre alt war und vermutlich an Phimose litt, was sein Desinteresse an Frauen und Heirat erklären würde. Zudem wurde er nach dem Tod seines Vaters geboren, also als Nachgeborener, und seine Mutter Johanna verließ ihn, als er drei Monate alt war, um in Spanien die Regentschaft für ihren Bruder, König Philipp II., zu übernehmen. Das Kind wuchs also ohne Eltern auf und wurde von seiner energischen und fanatisch katholischen Großmutter Katharina erzogen (diejenige, die das Grabmal im Heiligen Hieronymus errichtete und unter anderem im Jahr 1567 die Inquisition in Portugal einführte). Sebastian wurde von Jesuiten erzogen und wurde im Alter von drei Jahren König. Der junge Mann kannte keine Selbstkritik und hatte den Bedarf, seine bestimmten Mängel zu kompensieren, (er litt wahrscheinlich an Phimose, was sein fehlendes Interesse an Frauen erklären könnte), er wählte dafür aber einen ziemlich unglücklichen Weg. In der Schlacht von Ksar El Kebir in Marokko wurde seine Armee vollständig vernichtet (von 18.000 Soldaten überlebten angeblich nur sechzig) und Sebastian selbst kam ums Leben. Da seine Leiche jedoch nie gefunden wurde, lebten die Portugiesen, nachdem sie ihre Unabhängigkeit verloren und sich der spanischen habsburgischen Herrschaft unterwerfen mussten, in der Hoffnung, dass Sebastian lebte und sie von der fremden Herrschaft befreien würde.

Dem neuen König Philipp II. (als portugiesischer König Philipp I.) ging dieser Aberglaube schrecklich auf die Nerven. Also ließ er Sebastiens Leiche suchen. Er verkündete daraufhin, sie gefunden zu haben, und ließ sie feierlich in der Kirche des Heiligen Hieronymus bestatten – ordnungsgemäß in einem Sarkophag, der von zwei Elefanten getragen wurde, um die Zugehörigkeit der Leiche zum Hause Avis zu betonen, das mit ihm ausstarb. Welche Leiche man damals beschaffte und wer somit in diesem Grab liegt, weiß niemand, aber Sebastian ist es höchstwahrscheinlich nicht.

Im Kloster selbst gibt es einen wunderbaren Kreuzgang von João de Castilho (der seinen Stil, wie wir wissen, in Tomar trainierte). Das Refektorium ist mit Azulejos aus dem 18. Jahrhundert geschmückt. Und im neomanuellen Flügel von 1850 befindet sich das archäologische Museum. Natürlich darf das Marine-Museum „Museu de Marinha“ nicht fehlen. Vor dem Kloster liegt ein wunderschöner großer Park, der nicht umsonst den Namen „Praça do Império“ trägt. Das riesige moderne Gebäude, das den Park im Westen abschließt, im maurischen Stil erbaut und an eine große arabische Festung erinnernd, ist das „Centro Cultural de Belém“, eröffnet 1993. Im Osten befindet sich der tropische botanische Garten „Jardim Botânico Tropical“ und gleich daneben der „Palácio de Belém“. Hier rettete sich die Familie von König Jose I. Da der König nach dem Erdbeben panische Angst hatte, in gemauerten Gebäuden zu schlafen, ließ er auf dem Hof des Palastes und in seinen Gärten ein Zeltlager errichten, von wo aus er weitere zwanzig Jahre regierte. Der Palast selbst diente als Krankenhaus und ist heute der Sitz des portugiesischen Präsidenten.

Ein Stück weiter entlang der Küste in Richtung Westen erhebt sich der „Torre de Belém“.

Ursprünglich stand diese Festung mitten im Fluss, um potenzielle Angreifer abzuschrecken. Durch das Erdbeben hob sich das Land hier, und der Turm steht heute am Flussufer. Wieder einmal ein Symbol der manuelischen Gotik und das häufigste Bild auf Postkarten aus Lissabon. Es ist wahr, dass die Festung wirklich ein Juwel dieser dekorativen Architektur ist. Je schöner sie aber von außen ist, desto dunkler ist sie innen, da die Festung als Waffenlager und Gefängnis diente. Trotzdem wartet man stundenlang, um den Turm zu besichtigen.

Gleich daneben befindet sich ein Militärmuseum, das ebenfalls einen Besuch wert ist, sodass es eine echte Herausforderung ist, Belém an einem Tag zu bewältigen, was aufgrund der langen Warteschlangen möglicherweise gar nicht zu schaffen ist. Vor allem, wenn zum Pflichtprogramm eine Kostprobe der „Pastéis de Belém“ gehört. Diese süßen Törtchen sind eine Variante der „Pastéis de Nata“, die man überall in Portugal bekommt, aber die Törtchen im Belém sind so berühmt, dass man ihnen nicht widerstehen kann oder eher darf.

Lissabon liegt eigentlich nur am Nordufer des Flusses Tejo. Zum Südufer wurde über Jahrhunderte hinweg nur mit Fähre gefahren, bis Diktator Salazar die Brücke über den Fluss bauen ließ, die 1966 für den Verkehr freigegeben wurde. Daher hieß diese Brücke Salazar-Brücke, unmittelbar nach der Revolution wurde sie allerdings in „Brücke des 25. April“ umbenannt.

Sie blieb die einzige Brücke in der Stadt. Die zweite Brücke, genannt nach Vasco-da-Gama, 17 Kilometer lang und die Lagune des Flusses Tejo im Osten überspannend, dient eher nur zur Entlastung des Autobahnverkehrs. Die Verbindung zwischen Lissabon und den ständig wachsenden Wohnsiedlungen am Südufer wird weiterhin nur von einer einzigen Brücke gesichert, die auf Fotos leicht mit der „Golden Gate“ in San Francisco verwechselt werden kann. Das ist kein Zufall, da die Brücke die gleiche Firma gebaut hat. Da am Südufer mittlerweile fast eine Viertelmillion Menschen lebt – dort sind die Wohnungen und Mieten etwas günstiger als in der Stadt – bedeutet dies, dass fast alle jeden Morgen versuchen, zur Arbeit nach Lissabon zu gelangen, und nachmittags wieder nach Hause zurückzukehren. Infolgedessen verbringen sie angeblich täglich bis zu drei Stunden im Auto.

Doch auch neugierige Touristen können die Fahrt über diese Brücke nicht vermeiden. Am Südufer erhebt sich nämlich die Statue „Christus König“, ein weiteres Symbol Lissabons und ein Muss im touristischen Programm. Im Jahr 1934 besuchte der emeritierte Kardinal und Patriarch von Lissabon, Manuel G. Cerejeira, Rio de Janeiro und war von der Christusstatue begeistert. Nach seiner Rückkehr in die Heimat begann er, die Idee einer ähnlichen Statue in Lissabon zu propagieren. 1937 stimmte die Bischofskonferenz dem Bau positiv zu und 1940 wurde in Fátima beschlossen, dass der Bau den Dank symbolisieren würde, dass Portugal vom Zweiten Weltkrieg verschont geblieben war. Der Bau begann 1949 und wurde zehn Jahre später feierlich eingeweiht. An der feierlichen Eröffnung nahmen 300.000 Menschen teil, darunter alle bedeutenden Prälaten, und sogar der Erzbischof von Rio de Janeiro flog ein. Papst Johannes XXIII. nahm wenigstens aus der Ferne teil, indem er eine Grußbotschaft im Radio sprach. Die Statue wurde von Francisco Franco (Namensvetter des spanischen Diktators) konzipiert, und die Marienstatue in der Kapelle schuf der uns bereits gut bekannte Leopoldo de Almeida. 1984 wurde ein Plan für die Umgebung der Statue erstellt, und 2002 wurde die Statue nach Restaurierungsarbeiten wieder für die Öffentlichkeit geöffnet.

Der Ticketautomat, der nicht ganz einfach zu bedienen war und Zahlungen per Mobiltelefon verweigerte, hat uns emotional ziemlich aufgewühlt, aber schließlich sind wir auf die Statue hinaufgefahren. Von dort hat man einen wunderbaren Blick auf Lissabon, und es gibt hier Botschaften des Friedens in vielen Sprachen, sogar auf Polnisch.

Die Statue „Christus König“ steht mit dem Gesicht zur Stadt und schützt sie mit ausgebreiteten Armen und segnet sie.

Da alle Flugzeuge, die auf dem Flughafen Humberto Delgado in Lissabon landen wollen, von Westen, also vom Meer und über die Statue Christi, anfliegen, scheint es, als würde er auch sie segnen, denn der Flughafen liegt nur fünf Kilometer vom Stadtzentrum entfernt und somit noch im Stadtgebiet, was die Landung dort nicht gerade einfach macht.

Die Vorstellung, wie der Kopilot Christus unter sich beobachtet und der Pilot fragt: „Hat er uns schon gesegnet?“ „Noch nicht“, meldet der Kopilot. „Dann machen wir noch eine Runde über der Stadt. Wir müssen warten, bis er uns segnet.“

Komischerweise fand nur ich diese Vorstellung witzig, meiner Frau gefiel sie überhaupt nicht.

Dennoch hoffe ich, dass es mir gelingt, sie zu überzeugen, Lissabon noch einmal zu besuchen. Allerdings hat sich mein Plan, am Flughafen ein Auto zu mieten, sehr schnell zerschlagen. Während meine Bereitschaft, in Lissabon Auto zu fahren, innerhalb wenigen Tage von fünfzig Prozent auf eins sank, war die Bereitschaft meiner Frau, sich in ein Auto zu setzen, das ich in den Straßen von Lissabon steuern würde bereits am ersten Tag gleich null. Die Straßen sind hier praktisch ununterbrochen verstopft, Tag und Nacht, und man fährt nur langsam voran und es ist sehr eng. Aber Taxis sind sehr günstig und das U-Bahn-System ist gut. Also braucht man in Lissabon definitiv kein Auto.

Aber es gibt eine Sache, die mich etwas überrascht hat. Etwas ist an den Portugiesen auffällig. Kaum sieht man einen lachenden Portugiesen, sie haben immer ernste Gesichter. Ihnen fehlt die fröhliche Tatkraft der Italiener oder die freche Aktivität der Franzosen. Die Portugiesen selbst sagen, dass ihnen „Saudade“ eigen ist. Ein Wort, das schwer zu übersetzen ist, weil es im Deutschen kein identes Wort gibt. Am ehesten kommt dem das Wort Melancholie nahe, aber das ist auch nicht genau. Der Ausdruck „Saudade“ wird durch Fado verkörpert, diese sehnsuchtsvolle portugiesische Musik.

Das passt sehr gut zu Portugal. Es ist ein schönes Land.

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