Valencia erhielt 2022 den Titel „Europäische Stadt des Designs“ und 2024 „Hauptstadt des Grünen Europas“. Beide Auszeichnungen wohl zu Recht. Valencia ist nämlich wirklich schön. Wenn ich den Eindruck, den die hohen Fassaden und dekorativen Balkone der Gebäude in der Altstadt auf mich machten, benennen müsste, wäre es „luftig“. Und diesen Eindruck kann nicht einmal ein superhässliches Gebäude auf dem Hauptplatz „Plaza d’Ajuntament“ aus Glas und Beton zerstören – es ist nämlich allein und im Alleingang schafft es einfach nicht. Der Rest übertrifft sich an Pracht, sei es die gotischen Gebäude, das klassizistische Stadttheater gegenüber der Kirche des heiligen Martin oder das Jugendstilgebäude der „Banca de Valencia“.

Banca de Valencia

In den letzten Jahrzehnten wirkte der in Valencia geborene Architekt Santiago Calatrava in der Stadt. Seine Gebäude haben ein visionäres Design und die Einheimischen verzeihen ihm daher gern, dass sie meist unpraktisch, schwer zu pflegen und teuer im Bau sind. Doch seine „Ponte de Exposició“ und vor allem die ganze „Ciutat de les Arts i les Ciències“ sind Symbole der Stadt geworden und sind untrennbar mit ihrem heutigen Aussehen verbunden.

Und dann gibt es da auch eine enorme Menge an Grünflächen. Nicht nur den wunderschönen „Jardin Real“, sondern vor allem den Túria-Park, der sich als breite grüne Ader neun Kilometer lang durch die Stadt zieht. Hier floss einst der Fluss Túria, an dem das ehemalige römische Valencia gegründet wurde. Doch der Fluss verursachte oft Überschwemmungen und übertrieb es im Jahr 1957 wirklich. Katastrophale Überschwemmungen töteten in der Stadt über hundert Menschen. Die Stadtverwaltung beschloss, dem Treiben des Flusses ein Ende zu setzen – und leitete ihn in einen Kanal südlich der Stadt um. Die Frage war, was nun mit dem trockengelegten Flussbett geschehen sollte. Zum Glück wurde der ursprüngliche Plan, hier eine Autobahn vom Flughafen in die Stadt zu führen, verworfen und die Valencianer schufen einen wunderschönen Park, in dem dann die Gebäude des Stadtteils „Ciutat de les Arts i les Ciències“ entstanden, die mit ihrer Architektur der Stadt ihren Charakter verleihen. Aber dazu später mehr.

Der Park Túria

Valencia ist mit seinen 800.000 Einwohnern die drittgrößte Stadt Spaniens, leidet aber nicht unter Komplexen wie das zweitgrößte Barcelona – das ist das Schicksal der Dritten, die nicht um den ersten Platz kämpfen, aber dennoch mit ihrer Leistung zufrieden sein können. Valencia ist als ehemaliges Königreich eine autonome spanische Region. Allerdings ein etwas besonderes Königreich. Der letzte unabhängige Herrscher Valencias war der Muslim Banu Mardanish Zayyan. Nach der Eroberung der Stadt durch den katalanischen König Jaume I. am 9. Oktober 1237 wurde Valencia zwar ein christliches Königreich, was auch die Königskrone im Stadtwappen bezeugt, aber es hatte nie einen eigenen König, sondern war immer in einer Personalunion mit Aragon und wurde daher von aragonischen Königen aus Barcelona regiert. Auch ihre Sprache ist – informell gesehen – ein katalanischer Dialekt, und die Tatsache, dass das Valencianische 1982 als eigenständige Sprache anerkannt wurde, verfolgte wohl nur ein Ziel – die Katalanen zu ärgern. Die Bewohner Valencias nehmen diese Tatsache recht gelassen. Sie unterhalten sich zwar in ihrem lokalen Dialekt, haben aber kein Problem, jederzeit ins Kastilische zu wechseln. Übrigens sind auch die Straßennamen etwas verwirrend, eine Straße, die als Carrer beginnt, was die katalanische – pardon, valencianische – Bezeichnung für Straße ist, setzt sich nach ein paar Schritten als Calle fort, was die Bezeichnung für Straße im Kastilischen, also im Hochspanischen ist. In Barcelona würde so etwas als Hochverrat angesehen, in Valencia ist es Teil des entspannten Lebensstils vor Ort.

Valencia fehlt auch jede Festung oder ein Königspalast. An der Stelle, wo früher der Palast stand, befindet sich heute der schöne Park „Jardín Real“, und an die ehemalige Burg erinnern nur einige dezent freigelegte Grundsteine eines der Burgtore.

Reste des Könogspallast

Valencia wurde im Jahr 138 vor Christus von Konsul Junius Brutus als Kolonie für pensionierte Legionäre am Fluss Túria gegründet und war überhaupt nicht als Hafen gedacht. Bis ins neunzehnte Jahrhundert trennten mehrere Kilometer Felder die Stadt vom Meer. Heute fahren nicht nur die U-Bahn – Linien 4, 6 und 8 – sondern auch die Busse Nummer 19 (direkt aus dem Zentrum), 94 und viele andere zum achtzig Meter breiten und zehn Kilometer langen Sandstrand. Die genannten Busse fahren alle nach „Malva Rosa“, einem Stadtteil direkt an der Küste, der einst für den Anbau von Rosen zur Öl- und Parfümherstellung bekannt war. Diese Rosen gaben dem Viertel seinen Namen – heute lebt es von seinen Stränden und deren Besuchern.

Strand in Malva Rosa

Valencia wurde letztendlich wohl oder übel zum größten Hafen Spaniens – vielleicht eher widerwillig, denn gegen seinen Ausbau gibt es massive Proteste, die jedoch wahrscheinlich nichts gegen die weitere Erweiterung des Hafens, die der Stadt Wohlstand sichert, ausrichten werden. Der Grund ist einfach: Valencia ist der wichtigste Hafen für Madrid. Die Entfernung zur Hauptstadt beträgt 350 Kilometer, während es von dem unzuverlässigen Barcelona ganze 650 Kilometer sind. Zudem ist Valencia loyal und hat keine separatistischen Tendenzen. Hier werden jährlich über 5 Millionen Container umgeschlagen, was den Hafen nach Rotterdam, Antwerpen und Hamburg zum viertgrößten in Europa macht.

Der Hafen sichert der Stadt den Wohlstand. Valencia war immer wohlhabend. Zuerst war es der Reisanbau und die Seidenproduktion, dann waren es die Orangen. Die meisten Orangen, die in österreichischen Supermärkten angeboten werden, stammen aus der Region Valencia. Und Reis wird in der Umgebung des Sees L’Albufera angebaut, wo dank ausreichend Wasser die Bewässerung der Reisfelder leicht fällt – aus dem Flugzeug ist das ein imposanter Anblick.

Diese Tatsachen spiegeln sich auch in der lokalen Küche wider. Valencia ist die Geburtsstadt des spanischen Nationalgerichts – der Paella. Natürlich wegen des Reises! Das Original „Paella de Valencia“ enthält Stücke von Huhn, Kaninchen, grüne Bohnen und Schnecken – sogar mit ihren Häuschen. Ich hatte Glück, in dem Restaurant, in dem ich Paella bestellte, waren Schnecken in der Paella, wie sich das gehört.

Paella Valenciana

Es gibt viele Varianten der Paella, man kann praktisch alles hineinlegen, ähnlich wie bei der Pizza in Italien. Besonders ist nur „Arroz negro“ – bei der der Reis durch die Tinte, die Tintenfische absondern, schwarz gefärbt ist. Natürlich findet man auch Stücke von Tintenfischen im Reis. Achtung! Unter den Einheimischen wird Paella nicht abends gegessen – es ist eindeutig ein Mittagsgericht, denn abends liegt Reis angeblich schwer im Magen. Kein Wunder, wenn die Einheimischen erst gegen neun Uhr abends zum Abendessen gehen. Die meisten Restaurants sind nachmittags geschlossen und öffnen frühestens um acht – das gilt allerdings nicht für die Gaststätten an den Stränden – diese haben die Küche den ganzen Tag geöffnet. Wenn man jedoch in einem Restaurant in der Stadt zu Abend essen will, soll man keine Paella bestellen, sonst wird man sofort als Tourist entlarvt, der die lokalen Gewohnheiten nicht kennt. Das ist ähnlich, wie in Italien nach dem Mittagessen einen Cappuccino zu bestellen. Die Frage ist, wie die Spanier so lange aushalten, bis sie zu Abend essen. Das liegt daran, dass das Mittagessen erst zwischen zwei und fünf Uhr nachmittags serviert wird, also während der Siesta, und das ist wieder möglich, weil im Tagesplan sogar zwei Frühstücke eingeplant sind. Das erste Frühstück nach dem Aufwachen ist wie überall im Mittelmeerraum sehr sparsam. Es besteht nur aus Kaffee mit einem Stück Gebäck. Gegen elf Uhr gibt es aber das sogenannte zweite Frühstück, das schon reichhaltiger ist. Dazu kann man sogar schon Bier oder Wein trinken, wenn es das heiße Wetter erlaubt.

Was das Trinken betrifft, sollte ein Tourist zwei lokale Spezialitäten nicht verpassen. Eine davon ist „Agua de Valencia“, also valencianisches Wasser – es ist Orangensaft – ohne den es nicht geht – gemischt mit Sekt und einem Schuss Wodka. Und dann gibt es noch die „Horchata“. Diese Mandelmilch wird in vielen Bars serviert, die originale „Horchatería“ mit zweihundertjähriger Tradition und Dekoration aus Keramikfliesen befindet sich in der Nähe der Kirche Santa Catalina.

Horchateria

Horchata wird gekühlt serviert, und dazu sollte man „Fartón“ bestellen, ein süßes Gebäckstängelchen, das man in die Mandelmilch tunken kann. Ich muss zugeben, dass mir das sehr geschmeckt hat und auch die Kellnerinnen in dieser Horchatería waren nett und hübsch.

Aber wir kamen nicht nur wegen des Essens und Trinkens, sondern auch, um Valencia als solche kennenzulernen, mit all ihren historischen und architektonischen Schätzen. Überraschend stammen die vielen riesigen Gebäude aus verschiedenen Epochen, die Stadt konnte offensichtlich ständig bauen, ohne übermäßige Rücksicht auf die Kosten zu nehmen. Aus der muslimischen Vergangenheit ist nichts erhalten geblieben – obwohl die Muslime hier von 713 bis 1237 herrschten, mit einer kurzen Unterbrechung in den Jahren 1095–1102, als die Stadt von einer Räuberbande unter der Führung von Rodrigo Díaz de Vivar, besser bekannt als El Cid, erobert wurde. Seine Reiterstatue steht auf dem Platz „Placa de España“. Wenn ich El Cid wäre, würde ich protestieren, denn es handelt sich um einen Platz außerhalb der Altstadt, und seine Statue wirkt dort zwischen Plattenbauten etwas verloren.

El Cid

El Cid war eine imposante Figur. Zuerst diente er im Heer von König Sancho II. von Kastilien. Nach dessen Tod verlor er jedoch seine herausragende Stellung als Bannerträger und trat in die Dienste der Muslime. In einer Schlacht nahm er auf demütigende Weise seinen Nachfolger im Amt des Bannerträgers, den Grafen von Nájera (der ebenfalls für Geld in einer anderen arabischen Armee kämpfte), gefangen, was ihn bei König Alfons VI. in Ungnade fallen ließ und er wurde in die Verbannung geschickt. Er sammelte um sich eine Gruppe Abenteurer, die bereit waren, sich nur von Kriegsbeute ihren Lebensunterhalt zu verdienen, und weil er erfolgreich war, wuchs diese Gruppe ständig. Schließlich gelang es ihm 1095, die Stadt Valencia zu erobern. Um Ruhe zu haben, erklärte er, dass er dies im Namen des Christentums tat – es war gerade die Zeit des ersten Kreuzzugs ins Heilige Land, und Papst Urban II. rief zum Kampf gegen die Ungläubigen und zur Befreiung Jerusalems auf. In dieser aufgewühlten Atmosphäre konnte selbst ein räuberischer Feldzug als gottgefällige Tat interpretiert werden.

Nach El Cids Tod konnte seine Witwe Jimena Diaz die Stadt jedoch nur drei Jahre lang halten. Unter dem Druck muslimischer Armeen räumten El Cids Leute die Stadt 1102, nachdem sie sie zuvor in Brand gesetzt hatten. Valencia hat also keine besonders guten Erinnerungen an El Cid und seine Bande, aber ein christlicher Eroberer ist eben ein christlicher Eroberer, und so gehört es sich, ihm eine Statue zu errichten – auch wenn sie zwischen Plattenbauten steht.

Die Stadt kam endgültig 1237 in die Hände der Christen, als sie von dem katalanischen König Jaume I., genannt der Eroberer, eigenommen wurde. Damals verließen etwa 50.000 Muslime die Stadt, trotzdem stellten sie mit 120.000 die Mehrheit der Bevůlkerung, neben ihnen lebten dort 65.000 Christen und 2000 Juden. Anfangs konnten sie friedlich zusammenleben, bis sich die dominikanischen und jesuitischen Prediger einmischten. Auch Jaume I. hat seine Reiterstatue auf dem Platz „Placa d’Alfons el Magnànim“ am Rande der Altstadt.

Jaume I.

Damals, im Jahr 1237, erhielt die Stadt auch ihr Wappen. Die goldenen und roten senkrechten Streifen wurden mit einer Königskrone verziert und das Stadtwappen erhielt als Helmzier eine Fledermaus. Es gibt zwei Hypothesen, wie dieses ungewöhnliche Tier dorthin gelangte. Eine besagt, dass eines Nachts, als die Muslime aus dem belagerten Balansiya (Valencia) einen Ausfall gegen die Armee von König Jaume, die die Stadt belagerte, unternahmen, eine Fledermaus in das Zelt des Königs flog und beim Versuch, das Zelt zu verlassen, so viel Lärm machte, dass der König und seine Soldaten aufwachten und das muslimische Heer rechtzeitig bemerkten, den Angriff abwehrten und die Muslime in die Stadt zurücktrieben. Die zweite und wahrscheinlichere Erklärung ist, dass es sich um eine Verwechslung handelt. Jaume I. trug auf seinem Helm einen Drachen, und eine gewisse Ähnlichkeit mit einer Fledermaus lässt sich nicht leugnen.

Der Wappen der Stadt Valencia

Die Dynastie der katalanischen Könige herrschte in Valencia bis zum Jahr 1410, als sie von der aragonesischen Dynastie abgelöst wurde. Genau in dieser Zeit begann die goldene Ära der Stadt. Davon zeugen Gebäude aus dieser Spätgotikzeit, wie das Gebäude der Polizeigeneralität, die Seidenbörse, die Kathedrale Seu, die Kirche Santa Catalina sowie einige andere, und auch der Borja-Palast, der mit der berühmtesten Familie Valencias verbunden ist. Die Borjas, die ihren Namen nach dem Umzug nach Rom in Borgia änderten, stellten sogar zwei Päpste: Kalixt III. und seinen Neffen, den berühmten und skandalumwitterten Alexander VI. Dieser war von 1492 bis 1503 Papst und obwohl er in Italien viel Unheil angerichtet hat (vor allem sein Sohn Cesare), vergaß er seine Heimat Valencia nicht. Er leitete finanzielle Mittel hierher um und ließ einen luxuriösen Palast für seine Familie errichten, der während des Bürgerkriegs 1936–1937 die republikanische Regierung beherbergte, die vor Franco aus Madrid fliehen musste. Außerdem gründete er 1499 in Valencia die Universität.

Alte Universität

Die alte Universität befindet sich im Stadtzentrum auf der „Placa de Patriarca“ und an ihrer Fassade sind neben den damaligen katholischen Herrschern Isabella von Kastilien und Ferdinand von Aragon auch Statuen von Alexander VI. zu sehen. Selbst ein solch fragwürdiger Charakter wie Alexander handelte also nicht nur böse. Der Innenhof der Universität ist klassisch im Renaissance-Stil gebaut und wird von Lunetten der Professoren aus den Jahren 1499 und 1502 geschmückt, die zur Gründung der neuen Hochschule beitrugen. In der Mitte des Hofes steht eine Statue des Humanisten Johann Ludovicus Vives.

Johann Ludovicus Vives

Dieser Herr hatte allerdings mit Valencia nur insofern zu tun, dass er hier geboren wurde, und zwar ungefähr zur Zeit der Universitätsgründung, also 1492. Als Sohn getaufter Juden hatte er es nicht leicht. Die sogenannten Morisken wurden auch nach ihrer Konvertierung zum katholischen Glauben verfolgt. Vives’ Vater wurde lebendig verbrannt, die Gebeine seiner Mutter wurden vom katholischen Friedhof ausgegraben und ebenso dem Feuer übergeben. Johann Ludovicus verließ daher früh seine Heimatstadt, studierte in Brügge und arbeitete dann als Berater am Hof von König Heinrich VIII. von England. Er war der Lehrer von dessen Tochter Maria. Obwohl Vives neben Erasmus von Rotterdam zu den größten Denkern und Pädagogen seiner Zeit gehörte, hinterließ seine Erziehung bei seiner Schülerin keine tiefen Spuren. Maria wurde später als Königin „Bloody Mary“ bekannt als sie versuchte, England mit Gewalt zu rekatholisieren. Vives fiel bei Heinrich in Ungnade, als er ihm riet, sich nicht von seiner ersten Frau, Katharina von Aragon, scheiden zu lassen. Er starb 1540 in den Niederlanden. Somit kann die Statue als eine Art Entschuldigung für einen großen Denker verstanden werden, der in Valencia weder studierte noch lehrte. Vives gehört zu den Wegbereitern einer neuen Pädagogik, die auf Experiment und System setzt, und ist damit ein Vorläufer von Johann Amos Comenius. Ob Comenius seine Schriften kannte, konnte ich nicht herausfinden, es ist aber sehr wahrscheinlich, zumindest während Comenius’ Exil in Amsterdam.

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