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Treviso

               Dieses kleine italienische Nest (o.k., immerhin hat Treviso über 80 000 Einwohner, duckt sich aber neben seine große Schwester Venedig und wirkt dadurch kleiner als es ist) entdeckte ich eher durch Zufall und zwar unterwegs zur Proseccostraße. Treviso ist nämlich der größte Produzent dieses berühmten Weines, obwohl ein echtes Zentrum von Prosecco ist natürlich Valdobiadenne in den Voralpen und die Proseccostrasse führt uns zwischen dieses Städtchen und einen anderen romantischen Ort namens Conegliano. Dort gibt es überall auf steilen Hängen Weingüter mit Weinreben, deren Saft wahrscheinlich nicht wirklich trinkbar wäre, hätten Italiener nicht wieder einmal eine kreative Idee gehabt und hätten sie aus ihm nicht einen Sprudelwein gemacht. Natürlich ließen sie sich gleich die Marke patentieren, Prosecco darf also nur in dieser Region angebaut werden. Es entstand ein leichter erfrischender Wein, geeignet als Aperitif bei jeder Gelegenheit oder als ein Wilkommensgetränk und das Business wurde geboren.

               Treviso rühmt sich der Massenproduktion dieses Getränkes allerdings nicht, es versucht sich als „Citta d´aqua“ zu positionieren, also eine „Wasserstadt“ und bemüht sich um einen Vergleich mit dem nahen Venedig. Die Kanäle, die durch die Stadt fließen und nebenbei auch um die Stadtbefestigung aus dem Beginn des sechzehntes Jahrhunderts einen Wassergraben bilden, entstanden aus dem Fluss Sile, der durch die Stadt fließt. Genauer gesagt, aus seinem Zufluss Botteniga, der im Norden in die Stadt mündet und hier bei der „Ponte Fra Giocondo“ sich in drei Hauptströme teilt, aus denen dann die Menschen in Treviso ihre Kanäle schufen. Die Wasserströmung von der Brücke des Vaters Giocondo zu beobachten ist ein schönes Erlebnis. Der schönste Eingang in die Stadt ist über die Brücke „San Martino“ im Süden. Die Kanäle sind zahlreich und schön, besonders um den Fischmarkt, der auf einer Insel in dem reißenden Fluss steht, und sie geben der Stadt ein spezifisches Flair. Obwohl, um ehrlich zu sein – Venedig ist es nicht.

               Weil mir Treviso bei meinem ersten Besuch gefiel, wählte ich es als den Stützpunkt für unseren Ausflug in die venezianische Region, besonders dann für den Besuch von Venedig selbst. Ich hatte keine Lust, mit Auto oder mit einem überteuerten Schiff nach Venedig zu fahren. Von Treviso geht es einfach mit dem Zug, die Reise dauert ungefähr zwanzig Minuten und die Züge fahren jede Stunde. Treviso war ein treuer Vasall von Venedig – infolge der geringen Entfernung von dem mächtigen Nachbar durfte es sich wahrscheinlich nichts anderes als Treue leisten, es wurde ein Teil der Serenissima bereits im Jahr 1344. Diese Verbindung brachte allerdings der Stadt den Wohlstand, übrigens floss aus den Brüsten der „Busigen Fontäne – Fontana delle Tette“ auf der „Piazza dei Signori“ drei Tage lang im Jahr bei der Gelegenheit der Ernennung eines neuen Gouverneurs Rot- und  Weißwein. Ich konnte nicht erfahren, ob sich dabei um Prosecco oder um einen importierten Wein handelte.

               Aus Treviso stammte die Familie Da Romano. Das berühmteste Mitglied der Familie, Ezzelino da Romano war der Schwiegersohn Kaiser Friedrichs II. und in seinem Namen verwaltete er ganz Norditalien. Treviso war also ghibellinisch, es war allerdings nicht bereit, sich mit der brutalen Herrschaft der Familie da Romano dauerhaft abzufinden. Solange hier der unglaublich grausame Ezzelino das Sagen hatte, trauten sich die Menschen nicht, etwas einzuwenden. Gleich nach seinem Tod im Jahr 1259 machten sie aber einen Aufstand, verbanden sich mit jedem, der dazu bereit war, also mit Venedig, Vicenza, Mantua, Verona und sogar der Papst Alexander IV. eilte zur Hilfe, und mit geeinigten Kräften ist es gelungen, Ezzelinos Sohn Alberico zu besiegen und gefangen zu nehmen. Die Rache für die Schreckherrschaft seines Vaters war furchtbar. Alberico wurde am den Hauptplatz von Treviso lebend verbrannt –  die Ghibellinen durften letztendlich für Häretiker gehalten werden.

               Der Dom in Treviso „Duomo Cattedrale San Pietro“ ist ein gigantischer und unglaublich chaotischer Bau, eine Mischung aller Baustile, die man sich nur vorstellen kann, von der Gotik bis zur klassistischen Fassade mit riesigen bunt bemalten ionischen Säulen.

Im Inneren gibt es nicht zu viel zu sehen, immerhin wurde die Kirche im Jahr 1944 beinahe zerstört. Aus der ursprünglichen Innenausschmückung blieb nur sehr wenig erhalten, zum Beispiel die romanische Krypta, die Fresken von Il Porderone oder ein Bild von Tizian. Auf dem Platz vor der Kirche „Piazza del Duomo“ sind die blühenden Fikusbäume das Schönste, was man dort sehen kann.

               Das wahre Zentrum der Stadt ist nämlich ein ziemlich kleiner Platz, die „Piazza die Signori“ und der ist der schönste in der Stadt. Der Platz wird von dem „Palazzo die Trecento“ also „Palast der dreißiger“ beherrscht, so viele gab es gewählter Vertreter der Stadt. Hier gibt es Restaurants, teilweise im Gebäude, teilweise unter den Zelten vor dem Gebäude, an der Wand der Präfektur gibt es natürlich den unverzichtbaren Löwen des Heiligen Markus.

Alle Gebäude sind im Stil der venezianischen Gotik und aus roten Backsteinen und mit einem Bogengang gebaut. Gleich nebenan auf einem kleinen Platz gibt es die Zentrale der weltberühmten Marke Benetton. Hier haben im Jahr 1965 vier Geschwister der Familie Benetton Luciano, Gilberto, Giuliana und Carlo ein Familienunternehmen gegründet, das bis heute ein großer Spieler in der Modenwelt blieb.

Ein paar Schritte weiter gibt es eine Loggia im Stil der Renaissance die „Loggia dei Cavalieri“ und nur ein paar Schritte weiter kommt man zum berühmten Fischmarkt. Aus dem Wasser taucht hier eine kleine Meerjungfrau auf, die ihre Brüste keusch mit ihren Händen bedeckt. Sie ist zwar nicht so berühmt wie ihre Schwester in Kopenhagen, sie gefällt mir aber besser. Es ist ein wahrhaft hübsches Mädchen, so ein einfach italienisches.

In der Umgebung vom Fischmarkt gibt es natürlich Fischrestaurants und hier in einem von ihnen abends zu essen ist in Treviso einfach Pflichtprogramm. Wir taten es und bereuten diese Entscheidung nicht. Man kann hier Fische wirklich sehr gut zubereiten.

               Abends entlang der Kanäle mit zahlreichen Wassermühleräder zu bummeln – einer davon in der „Vicolo Molitetto“ dreht sich noch immer – ist eine romantische Angelegenheit, es gibt hier, wie übrigens in jeder italienischen Stadt, genug Bars um einen Stopp zu machen und ein Glas Prosecco oder einen Espresso zu trinken. Die Stadt ist auch überraschend genug grün, besonders um den Fluss Sile. Im Restaurant „Toni del Spin“ spricht der Chef nicht nur Englisch aber sogar auch Deutsch und er kocht auch „Baccala alla Vicentina“. Darüber habe ich bereits geschrieben, diese sehr aromatische Mahlzeit kostet man bestens nur einmal und dann direkt in Vicenza. In Treviso sich auszukennen, ist allerdings nicht ganz einfach und einen Stadtplan zu kaufen ist nicht leicht. In den Geschäften im Zentrum hatten die Italiener keinen zu verkaufen und sie betrachteten uns dank dieses, aus ihrer Sicht seltsamen Wunsches, einen Stadtplan zu besitzen, als verdächtige Individuen. Wir konnten den Plan letztendlich in einem Kiosk nahe des Bahnhofs kaufen. Zum Bahnhof geht man – sollten Sie den Stadtplan nicht auftreiben – auf dem „Corso di Popolo“ und über die Brücke „Ponte San Marino“ auf die „Via Roma“. Und Sie sind am Ziel und dürfen nach Venedig fahren. Bitte, vergessen Sie nicht das Ticket auf dem Gehsteig zu entwerten sonst sind Sie auch mit gekauftem Ticket schwarz unterwegs und riskieren nicht gerade kleine Probleme.

               Die Probleme hatten wir mit dem Parken, allerdings nur dank unserer Unwissenheit. Am nördlichen Rande der Stadt hinter der Stadtmauer gibt es genug Parkplätze, man kommt hierher auf der „Via Fratelli Cairoli“ und auf dem riesigen Platz bei der „Porta Manzoni“ gibt es genug Platz. Aber Achtung! Erstens – Samstag ist ein Arbeitstag, also auch am Samstag wird fürs Parken bis zu den Abendstunden gezahlt  und am Dienstag ist hier ein Markt und geparkte Autos werden kostenpflichtig  abgeschleppt. Wir hatten Glück. Als ich am Montagabend für die letzte Abendstunde zahlen wollte (in der Nacht und am Sonntag parkt man kostenlos), teilte mir der Automat mit, dass ich bis Dienstag 15:45 Uhr bezahlt habe. Das machte mich stutzig. In weiterer Folge habe ich erfahren, dass am Dienstag bis 15:00 ist das Parken hier strengst verboten. Zum  Glück gibt es einen anderen öffentlichen Parkplatz nur einige hundert Meter weiter westlich im „Giardini publici“, dort kann man problemlos parken.                              

Eine echte Dominante der Stadt ist die Dominikanerkirche San Nicolo, gebaut logisch am Rande des historischen Stadtzentrums nahe der Stadtmauer und der Kanäle.

Es ist ein gotischer Bau, er wurde mehr als hundert Jahre lang gebaut, der Baubeginn war im Jahr 1282. An die monumentale Kirche lehnt sich ein Kloster mit einem imposanten Saal die „Sala dei Capitolo dei Domenicani“ an. In diesem Saal gibt es Bilder von vierzig dominikanischen Mönchen von Tomasso di Modena, einer von ihnen hält in der Hand eine Brille – es soll die älteste Darstellung eines Leseglases sein, die älteren Mönchen ermöglichte, weiterhin lesen und schreiben zu können, was ihre Hauptaufgabe war.

               Die Kirche des heiligen Franciscus ist logischerweise am anderen Stadtende, nahe dem Fischmarkt, hier wurden ein Sohn Dante Allighieris und eine Tochter Franzesco Petrarcas begraben. Mit der Größe der Kirche der Dominikaner kann sich aber diese Kirche nicht messen.  

               Etwas seitlich im östlichen Stadtteil an einem Kanal steht das „Museo di Santa Catarina dei Servi“, im ehemaligen Kloster der heiligen Katharina. Hier gibt es die schönsten Fresken in Treviso direkt in der Kirche oder in der „Kapelle der unschuldigen Kindern“ und ein Zyklus des Martyriums der heiligen Ursula. Den Grundstein für die Sammlungen des „Museo civico“, die sich in der nordwestlichen Ecke der Altstadt befindet, ist die Schenkung von Luigi Bailo, eines Mönches, der sich im neunzehnten Jahrhundert entschloss, alles, was er fand und was irgendeine Beziehung zu seiner Stadt hatte, zu sammeln. Die Leute haben ihn damals für einen Narren gehalten, heute hätten sie ohne ihn viel weniger zu bieten. Archäologische Artefakte aus der römischen sowie auch aus der langobardischen Zeit, Statuen im romanischen Stil, sowie auch eigenartige Grabsteine der Patrizier der Stadt aus Terrakotta. In der Pinakothek gibt es Bilder von Tizian oder Tintoretto.

               Von Treviso kann man nach Asolo fahren, wo sich eine der schönsten Villen, villa Barbaro – natürlich von Andrea Palladio, befindet und nach Bassano di Grappa. Dieses Städtchen an dem Fluss Brenda ist zauberhaft. Übrigens, gerade die Brenda mündet in Venedig ins Meer, auf den Inseln in ihrer Lagune – tiefer Fluss, also „Rio alto“ gab den Namen dem Stadtzentrum von Venedig sowie auch der berühmten Brücke Rialto. Das Wahrzeichen der Stadt ist die Holzbrücke über den Fluss, die „Ponte degli Alpini“ – natürlich ursprünglich ein Bau von Andrea Palladio (Bassano wurde ein Teil der Venezianischen Republik im Jahr 1404, diese Tatsache bezeugt der Markuslöwe auf dem Hauptplatz). Im ersten Weltkrieg wurde aber die Brücke zerstört und nach dem Krieg dann wiederaufgebaut von den italienischen Gebirgsjägern, deren Namen sie jetzt trägt.

Von der Brücke gibt es wunderschöne Aussichten entweder stromaufwärts auf den reißenden breiten Fluss mit Alpen im Hintergrund und mit einer Festung auf dem höchsten Punkt der  Stadt oder stromabwärts auf wirbelndes Wasser auf einem breiten Wehr einige hundert Meter stromabwärts in Richtung Venedig. Die Festung auf dem höchsten Punkt der Stadt ist eine echte Dominante, die Hauptattraktion der Stadt ist aber Grappa. Ein Weinbrand, der seinen Namen nach dem Berg bekommen hat, der über die Stadt emporragte. Der Berg war der Platz schwerer Kämpfe im ersten Weltkrieg. Nachdem österreichische Generäle  beschlossen hatten, dass der Fluss Piave unüberwindbar sei, versuchten sie lange Monate diesen Berg einzunehmen und dadurch die Kontrolle über das ganze Tal zu gewinnen. Als ihre Offensiven versagten, gingen Italiener bei Vittorio Venetto in die Gegenoffensive, die eine endgültige Niederlage der österreichischen Armee und das Ende der Monarchie bedeutete. In der Stadt gibt es ein Museum Ernest Hemingways, der – damals neunzehnjährig – als freiwilliger Sanitäter in der italienischen Armee diente und nach dem Durchbruch der Deutschen bei Caporetto (heute Kobrid in Slowenien) die italienische Armee verlassen hat. Er schrieb darüber seinen ersten Roman „A Farewell to Arms“ (auf Deutsch ein bisschen merkwürdig als „In einem andern Land“ übersetzt), was ihm einen Welterfolg und den Durchbruch als Schriftsteller brachte.

               Auf dem Gipfel des „Monte Grappa“ gibt es ein Museum des ersten Weltkrieges mit Schützengräber und Artefakten des kriegerischen Wütens. Man fährt auf einer Bergstraße mit vielen  Kehren hin, da ich aber kein italienisches Wörterbuch mit hatte und nicht wusste, dass das Wort „Cima“ auf Italienisch „Gipfel“ bedeutet und der Weg zu „Cima“ nicht ganz logisch bergabwärts führte, fuhren wir in eine falsche Richtung und das Museum fanden wir nicht. Dafür wurden wir mit wunderschönen Aussichten auf die Alpen belohnt.            

               In Bassano muss man natürlich eine Brennerei von Grappa besuchen. Das taten wir auch, wir stolperten über die Destillerie der Firma Poli (neben der Firma Nardini eine der zwei größten in der Stadt) und weil der Eintritt kostenlos war, gingen wir schauen, wie die Italiener ihren Schnaps brennen.

Aus historischer Sicht weckte mein Interesse gleich im ersten Raum ein Destillationsgerät, das angeblich der berühmte Pietro Andrea Mattioli erfunden hatte. Er war Autor des ersten herausgegebenen Herbariums und der Leibarzt des Königs Ferdinands I. und seines Sohnes Ferdinands von Tirol. Mattioli war, wie alle Wissenschaftler seiner Zeit, auch Alchemist und offensichtlich hat er also etwas Brauchbares und Nützliches erfunden. Herr Mattioli dachte bei dieser Erfindung sicher in erster Linie an das Wohl seiner Patienten. Wir besichtigten die Brennerei, sahen einen Film, der uns die Prinzipien des Erzeugungsvorganges näher brachte. Und dann in einem Raum rochen wir alle Düfte, die Grappa der Firma Poli haben kann. Wahrscheinlich deshalb, um dann beim Kauf von Grappa in einem Souvenirgeschäft, durch das man die Brennerei verlassen durfte, leichter eine Wahl zu treffen. Natürlich konnten wir nicht widerstehen und kauften zwei Flaschen dieses Zaubertrankes. Es erwartete uns eine lange Reise in den italienischen Süden und ein paar Flaschen von gutem Schnaps zu haben, konnte praktisch sein. War es auch.

               Treviso ist also ein guter und gemütlicher Ausgangspunkt für viele interessante Ausflüge in die ganze „Terra Ferma“, der ehemaligen Venezianischen Republik. Vielleicht komme ich noch einmal hin. Den Stadtplan habe ich doch.

Udine

               Diese Stadt löst in mir zwei Assoziationen aus. Erstens, es ist die Stadt, an der man auf der Autobahn vorbeirast, um schnell zum Meer zu kommen, man will sich hier nicht aufhalten lassen. Zweitens ist das der Schinken, der allerdings nicht unmittelbar mit Udine verbunden zu tun hat, sondern mit einem Städtchen San Daniele, das 25 Kilometer von Udine entfernt ist und am Fluss Tagliamento liegt. Dort wird jedes Jahr ein großes Schinkenfest organisiert, zu dem Menschen aus aller Welt kommen. Natürlich deshalb, weil der Prosciutto aus San Daniele wieder einmal „piú“ also der beste auf der Welt ist (bitte, sagen Sie so etwas vor niemanden, der aus Parma stammt).

               Wenn Sie also ein großer Prosciutto-Fan sind, mutig genug, und Sie wollen für die Weltmeisterschaft im Autoparken trainieren, fahren Sie unbedingt hin. Neben dem Schinken  gibt es in San Daniele noch Räucherforellen, die Kathedrale, die der Stadt den Spitznamen „ friualinische Sienna“ gebracht hat und eine Bibliothek mit vielen alten Manuskripten. Es wäre vielleicht sogar besser, in einer weniger überlaufenen Zeit hinzufahren, im Ort gibt es 27 prosciuttofici, die man besuchen kann, um zu erfahren, wie dieses Wunder von Schweinschinken produziert wird.

               Aber zurück nach Udine. Das hat viel mehr zu bieten, übrigens hat die Stadt nie ganz verdaut, dass sie nicht mehr die Hauptstadt der Provinz Friaul-Venetien ist – der Sitz der regionalen Regierung wurde nach Triest verlegt, was die Bewohner von Udine bis heute als eine große Ungerechtigkeit empfinden. Die Provinz, die auch eine eigene Sprache hat – es wird hier furlanisch gesprochen – ist seit 1963 eine der vier autonomen  Regionen Italiens mit eigener Regierung, einem Parlament und einem Budget (neben Sizilien, Sardinien und Südtirol). Deshalb findet man überall mindestens zweisprachige Aufschriften in Italienisch und Furlanisch, aber häufiger drei- oder sogar viersprachige, da hier auch eine deutsche und eine slovenische Minderheit leben.     

               Im Augenblick, in dem man den Hauptplatz „Piazza della Liberta“ von Udine betritt, hat man das Gefühl, dass man diese Gebäude schon irgendwo gesehen hat.

Und man hat recht. Der Uhrturm ist eine genaue verkleinerte Kopie des gleichen Turmes auf dem Markusplatz in Venedig, gleich wie dort mit zwei Mauren, die die dort aufgestellte Glocke läuten. Udine gehörte seit dem Jahr 1420 zur  Republik Venedig und man merkt es auf jedem Schritt und Tritt. Auch das alte Rathaus, „Loggia del Lionello“, ist ein prächtiges Beispiel der venezianischen Gotik und  aus diesem Teil des Rathauses kommen Hochzeitspaare heraus.

Nicht aus dem neuen Ausgang des Rathauses auf der anderen (hinteren) Seite des gigantischen Komplexes. Im zwanzigsten Jahrhundert war den Udinesern das Rathaus zu klein und so ließen sie ein neues dazu bauen. Vollendet wurde es im Jahr 1932 im Stil, der an sozialistischen Realismus erinnert – es ist verblüffend, wie sich die faschistische und kommunistische Architektur ähneln – ein totalitäres System ist einfach ein totalitäres System egal ob es von links oder von rechts des politischen Spektrum kommt) Zum Glück ist der Neubau des neuen Rathauses nicht gut sichtbar und verdirbt den Eindruck nicht. Vom Hauptplatz aus kann man ihn, Gott sei Dank, überhaupt nicht sehen.              

               Am Hauptplatz gibt es eine Menge Sehenswürdigkeiten. Direkt am Weg zum Schloss steht die Friedenstatue, die den Frieden von Campoformio symbolisiert. Diesen Frieden schloss Napoleon mit dem geschlagenen Österreich in Campo Formio (manchmal wird auch der Name Campoformio oder Campoformido) verwendet nahe Udine am 17. Oktober 1797. Durch diesen Vertrag hörte die Serenissima, also die Republik von Venedig, auf zu existieren und wurde zur Provinz Österreichs. Es sollte ein Ersatz für die verlorene Lombardei sein, aus der der französische General Bonaparte einen Satelitenstaat von Frankreich, so genannte Cisalpinische Republik, bildete. Der Ort, wo Napoleon sein Hauptlager aufschlug, war die „Villa Manin“, der Wohnsitz des letzten Dogen von Venedig, und man findet sie 9 Kilometer südwestlich von Udine. Sie ist besuchswert, schon ihres großen wunderschönen Parks wegen.                   

Dem Rathaus gegenüber steht ein Portikus im Stil der Renaissance „Porticato di San  Giovanni“ aus dem sechzehnten Jahrhundert, bereichert mit dem bereits erwähnten Uhrturm mit zwei Mauren, die Gott sei Dank die „politic corectniss“ noch nicht befahl zu beseitigen, weil sie als ein Beweis für die Versklavung der Afrikaner durch Venezianer gedeutet werden könnten. Die Schwarzen konnten in venezianischen Diensten allerdings auch große Karriere machen, erinnern wir uns an Othello, der unter der venezianischen Flagge Cypern gegen die türkische Invasion verteidigt und aus Eifersucht seine geliebte wunderschöne Gattin Desdemona in der Stadt Famagusta erwürgt hat. An die venezianische Epoche von Udine erinnern auch die Säulen auf dem Hauptplatz, die den Markuslöwen und die Statue der Justitia, sowie auch die Statuen von Herkules und Caco aus dem 18. Jahrhundert tragen.

Natürlich, wenn man in einer Stadt ist, die zu Republik von Venedig gehörte, muss man die Spuren von Andrea Palladio suchen, weil, wie ich schon erwähnte, in der venezianischen „Ferra Terma“ gibt es kaum eine größere Stadt, in der dieser großen Architekt in seiner Bautätigkeit keine Spuren hinterlassen hätte. Auf dem Hauptplatz von Udine baute Palladio das Tor auf dem Weg zum  Schloss,  so genanntes „Arco Bollani“ aus dem Jahr 1556, in der Stadt entdeckt man aber auch den „Palazzo Antonini“, gebaut zu gleicher Zeit, in dem heutzutage Italienische Nationalbank untergebracht ist.

               Der Dom ist vom Hauptplatz in Sichtweite. Ein monumentaler sechseckiger Turm und hinter ihm eine gigantische Kathedrale mit einer wunderschönen gotischen Fassade. Zumindest diese ließen die Udineser ohne irgendwelche gewaltigen Veränderungen, das Innere der Kirche  entging solchen „Verbesserungen“ nicht mehr. Im Turm ist ein Museum des heiligen Blasius untergebracht (San Biaggo). Leider hat dieses Museum so ungewöhnliche Öffnungszeiten, dass es mir noch nicht gelungen ist, es zu besuchen um zu erfahren, welche Beziehung dieser Heilige, der im dritten Jahrhundert in Syrien lebte und durch einen Märtyrertod starb, zu Udine hat.

               Udine hat übrigens einen eigenen Heiligen. Luiggi Scrosoppi (er lebte in den Jahren 1804 – 1884) wurde im Jahr 2001 heilig gesprochen – vom wenn sonst als von Johann Paulus II. Im Jahr 2010 wurde er im österreichischen Pörtschach vom Bischof von Gurk Alois Schwarz (inzwischen wurde dieser umstrittenen Bischof dank zahlreicher Skandale nach St.Pölten versetzt. Das Wüten seiner Freundin, die er zur Vorgesetzten einer katholischen Stiftung, die er selbst gegründet hat, gemacht hatte, ist nämlich unerträglich geworden) zum Patron der Fußballer und Fußballerinen ernannt. Nicht, das der heilige Luigi irgendwann in seinem Leben den Fußball berührt hätte (er kümmerte sich eher um arme Mädchen), aber die Fußballer hatten angeblich bis zu diesem Zeitpunkt noch keinen Patron und so haben sie jetzt dank der Initiative des österreichischen Bischofs einen zugeteilt bekommen. Der arme Luigi kann wirklich nichts dafür. Sein Bildnis hängt natürlich in der Kathedrale gleich neben der Statue des Papstes Pius IX. Dieser Papst erhob Udine zum Erzbischofstum, das direkt nur dem Papst unterstellt war und die dankbare Stadt ließ ihm dafür eine Statue im Dom errichten.

               Über die Stadt ragt ein großes Schloss im Stil der Hochrenaissance empor.

Es wurde von den Patriarchen von Aquileia errichtet, die Udine zu ihrem Sitz auswählten, als ihnen das kleine Aquilea nicht mehr gefallen hat. Der Bau wurde von einem Schüler Rafaels Giovanni da Udine im Jahr 1517 begonnen (dieser Meister schmückte mit seinen Fresken auch den Ehrensaal, in dem sich früher das Parlament der Region Friuli traf), beendet wurde er von Francesco Floriani. Bis zum Jahr 1797 war das Schloss der Sitz des venezianischen Statthalters, heute ist hier das „Museo civil“ untergebracht. Umgeben von riesigen Bäumen in einem schönen Park und mit einem hervorragenden Blick auf die Stadt ist es sicher besuchswert. Die Kirche „Chiesa di Santa Maria al Castello“ mit ihren schönen Fresken wird gerade renoviert, der goldene Erzengel Gabriel auf der Spitze des Kirchenturmes ist  eine schöne Dominanz des gesamten Schlossareals. Im Museum gibt es eine Ausstellung über die Vereinigung Italiens und natürlich auch die Pinakothek mit Bildern von Tiepolo oder Caravaggio, sowie auch ein Museum friulanischer Fotographie. Es ist mir gelungen, den Alarm auszulösen, als ich das Schloss durch den Notausgang in Richtung Schlosspark verlassen wollte, der sich inklusiv des Schlossrestaurants auf einer Terrasse hinter dem Schloss befindet. Also probieren Sie das lieber nicht. Obwohl sich die Italiener als sehr tolerant zeigten und ich das Schloss ohne Geldstrafe durch den Hauptausgang verlassen durfte

               An der Rückseite des Schlosses gibt es die grüne Seite von Udine. Ausgedehnte Parkanlagen „Giardino Grande“ „Loris Fortuna“ und „Ricasoli“, wo das Parken problemlos möglich ist und gerade der Parkplatz am „Giardino Grande“ ist ein günstiger Ausgangspunkt zum Kennenlernen der Stadt. Wenn man von hier auf der Treppe zum Schloss heraufsteigt, sieht man eine Erinnerungstafel an den Gründer der Esperantosprache Ludwik Zamenhof, den so genannten „Doctor Esperanto“. Der wirkte zwar nicht persönlich in Udine, dafür war aber sein großer Bewunderer und Nachfolger Achille Tellini (1866 – 1938) ein gebürtiger Udineser, der in der Stadt geboren wurde und hier auch starb.                   

         Etwas seitlich liegt das „Museo diocesano e galleria del Tiepolo“ im ehemaligen Erzbischofspalast. Das Museum erinnert ans Wirken eines anderen berühmten Mannes aus Udine. Giovanni Battista Tiepolo (1696 – 1770) gehörte zu den größten Meistern des späten Barocks und seines Überganges zum Rokoko. In seinen jungen Jahren schaffte er als venezianischer Bürger in Venedig und Udine, später verbreitete sich sein Ruhm in die ganze damalige Welt – eines seiner berühmtesten Werken ist das Fresko „Die Hochzeit von Friedrich Barbarossa mit Beatrix von  Burgund“ in Würzburg. Im „Museo diocesano“ kann man seine frühen Werke bewundern – es zahlt sich aus hinzugehen.       

               Wenn man in der Stadt genug gelaufen ist, zahlte sich aus, auf dem Platz „Piazza Giacomo Matteoti“ mit der Kirche des Jakob des Älteren auszuruhen.

Der ehemalige Platz „Piazza San Giacomo“ erhielt seinen derzeitigen Namen nach Giacomo Matteoti, einem Politiker der italienischen Linken, der im Jahr 1924 von Mussolinis Faschisten ermordet wurde. (Was beinahe zu Mussolinis Sturz geführt hätte, letztendlich aber seine Diktatur festigte). Ein viereckiger Platz war einmal der Hauptmarkt der Stadt und damit auch der zentrale Platz. Er verleiht durch die Reihen dichtgebauter Häuser ein Gefühl der Geschlossenheit. Mit seinen Arkaden und einer Menge Cafés und Bars liegt er ein bisschen seitlich der Hauptstraße, er öffnet sich vor Ihnen wie eine angenehme Überraschung und verlockt Menschen, hier länger zu verweilen.

Natürlich, noch die Frage, was kann man in Udine typisches essen (außer Schinken natürlich. Die Überraschung war groß, wenn ich hier, in Italien eine echte Sliwowitz entdeckte. Das ist offensichtlich die Folge des Friedens in Campo-Formio. Etwas gutes haben die Italiener von Österreich (eigentlich von dem böhmischen Teil der Monarchie) doch übernommen.

               Udine ist also besuchswert. Wenn Sie das nächste Mal vorbeifahren und ein Gefühl hätten, eine Pause machen zu müssen um auszuruhen, machen Sie einen Stop gerade hier. Sie werden es nicht bereuen.            

Cividale die Friuli

               Im Jahre 568 erschien im Osten Italiens ein neuer, im Lande noch unbekannter germanischer Stamm, die Langobarden. Die Barbaren  aus dem Norden (sie lebten bis zu diesem Zeitpunkt im Bereich des heutigen Österreichs, Ungarns, Tschechiens und der Slowakei) überwanden ohne Widerstand die Festungskette „Claustra Alpium Juliarum“ im Birnbaumwald, die eine Verteidigung Italiens bilden sollte, diese aber nicht bildete, weil es niemanden gab, der die Befestigung  verteidigen würde. Italien befand sich nach einem vernichtenden zwanzigjährigen Krieg zwischen Ostgoten und Byzantinern im Zustand eines absoluten Kollapses. Der Krieg gewannen zwar im Jahr 555 die Byzantiner, es war aber ein wirklicher Pyrrhussieg, den sie mit absoluter Erschöpfung bezahlten. Jetzt hatten sie keine Kraft mehr, sich gegen die neuen Eindringlingen zu wehren.

               Die erste Stadt, die den Langobarden im Wege stand, war Civitas d´Austria (also in Übersetzung „Die Oststadt“) ehemaliges Forum Julii (Juliusmarkt). Diesen Namen trug die Stadt nach ihrem Gründer Gaius Julius Caesar. Der Name Forum Julii hört man auch heute noch in dem Namen der Provinz Friul, er ist also nicht vergessen. Langobarden nahmen die Stadt widerstandlos ein und errichteten hier ihr erstes Herzogtum in dem neuen Land. Langobarden bemühten sich nie einen zentralisierten Staat zu bilden, jeder Häuptling herrschte mehr oder weniger unabhängig von der zentralen Macht und ihr König hatte ähnliche Befugnisse wie der heutige österreichische oder deutsche Präsident, also in erster Linie repräsentative Aufgaben.

               Langobarden zogen dann weiter nach Westen, bildeten weitere Herzogtümer in Verona, Brescia, Pavia und weiter südlich dann in Spoleto und Benevent. Civitas d´Austria war aber die erste. Weil Italiener diesen lateinischen Namen nie richtig auszusprechen vermochten, verstümmelten sie ihn einfach auf Cividale, und dieser Name blieb der Stadt bis heute.

               Cividale ist ein kleines Nest mit 11 000 Seelen, es ist aber eines Besuches wert. Es liegt am Fuß der Julischen Alpen, durchquert von dem reißenden Bergfluss Natisone, der der Stadt ein spezifisches Flair verleiht.

Man verlässt die Autobahn bei Udine und nach sechzehn Kilometern ist man am Ziel. Aufpassen, der große kostenlose Parkplatz beim alten Bahnhof ist am Samstag (ähnlich wie in vielen anderen italienischen Städten) wegen eines Marktes gesperrt. Und ein riesiger freier Platz gleich gegenüber steht nur für autorisierte Fahrzeuge zu Verfügung, es handelt sich also um ein Privatgrundstück, wo auf Sie eine Strafe wartet. Aber auch am Samstag ist es kein Problem, einen Parkplatz nahe dem  Stadtzentrum zu finden, das Städtchen ist klein und lieb – einfach gastfreundlich.              

               Auf dem Platz vor dem Rathaus steht eine Statue des Stadtgründers Gaius Julius Caesar.

Das Rathaus ist ziemlich klein. Es ist ein aus Backsteinen erbautes Gebäude und auf seiner Fassade sind noch Reste des venezianischen Löwen sichtbar, den die Bewohner der Stadt im Jahr 1797, als die Venezianische Republik nach Besetzung durch Napoleon und aufgrund des Friedens von Campo Formio zu existieren aufgehört hatte, aus lauter Freude auskratzten. Unter die venezianische Herrschaft gelang Cividale im Jahr 1421.     

               An die Zugehörigkeit zu Venedig erinnert die Tätigkeit des Architekten Andrea Palladio. Seine Werke findet man in jeder Stadt der Serenissima und wenn man kein Gebäude von Palladio in einer solchen Stadt gefunden hat, dann hat man halt nicht sorgfältig gesucht. Auf der „Piazza del Duomo“ gibt es den nach seinem Projekt gebauten Palast „Palazzo pretorio“ oder auch „Palazzo dei Provveditori Veneti“ genannt, in dem sich heutzutage das „Museo archeologico nationale“ mit einer Ausstellung zur römischen und langobardischen Vergangenheit der Stadt befindet. Schade, dass die ursprüngliche Fassade von Palladio im neunzehnten Jahrhundert klassizistisch umgebaut wurde, das originale Gebäude gefiel mir mehr – das Modell des Palastes aus dem sechzehnten Jahrhundert befindet sich im Museum. Auf seine langobardische Vergangenheit ist die Stadt gehörig stolz, das ganze Obergeschoß zeigt Ausgrabungen aus der Zeit der langobardischen Herrschaft, die im Jahre 774 durch den Einfall der Franken zu Ende ging. Cividale verlor seine Unabhängigkeit und wurde zum Teil des neuen fränkischen Herzogtums Verona. Aus Cividale stammte aber der Historiker Paulus Diaconus, der die Geschichte seines Volkes schrieb. Er lebte in den Jahren 725 – 797 und erlebte also den Untergang des Reiches seines Volkes. Er entschied sich die Geschichte der Langobarden zu schreiben, damit das Volk nicht vergessen wird. Das ist ihm gelungen. Cividale kommt in seinem Buch „Historia Langobardorum“ natürlich nicht kurz. Und es ist ihm dafür auch dankbar. Es gibt hier einen schönen Platz „Piazza Pauli Diaconi“ , es gibt hier sein Haus und ein Konvikt, also eine Schule, die seinen Namen trägt. Sie befindet sich am linken Ufer des Flusses inmitten eines großen Parks.

               Neben Paulus Diaconus rühmt sich Cividale noch einer berühmten Persönlichkeit, der Schauspielerin Adelaide Ristori. Diese Dame, die in den Jahren 1818 – 1906 lebte, machte ihren Geburtsort nicht nur in Italien berühmt. Ihre Karriere begann in Parma, sie spielte aber auch in Paris oder in Konstantinopel. An sie erinnert ein großes Denkmal vor dem Theater – mit ihrer Statue und Symbolen der berühmtesten ihren Rollen, der Medea.

Übrigens muss ich in meinem Artikel über Cividale etwas verraten, was ich in der Zeit, als ich meinen Artikel über Vicenza schrieb, noch nicht gewusst habe. In Cividale verbrachte nämlich Luigi da Porto einen großen Teil seines Lebens. Er war ein gebürtiger Vicenzaner (dort hat er auch eine Erinnerungstafel, über die ich aber während meines Besuches in seiner Stadt nicht gestolpert bin). Sagt euch dieser Name nichts? Das ist keine Schande, ich wusste über diesen Herrn auch nichts, bis ich ihm in Cividale begegnet bin. Dieser Herr lebte in den Jahren 1485 – 1529 und war ein Hauptmann der venezianischen Kavallerie (stationiert in der Grenzstadt Cividale). Er ist unter anderem auch Autor einer Novelle „Neu geschriebene Geschichte zweier erhabener Geliebten.“ Noch immer nichts?

Also gut, die Geschichte des Luigi da Porto spielt sich in Verona in der Zeit der Herrschaft der Familie Della Scala und die Hauptpersonen heißen Romeus und Giulietta. Außerdem findet man hier Figuren, die mit Mercurio, Tybalt, Laurenzio oder Paris ident sind. Also, sind wir jetzt schon zu Hause? Die Novelle wurde ein Jahr nach dem Tod des Autors veröffentlicht, also im Jahr 1530. In den Jahren 1594 – 1596 schrieb ein gewisser William Shakespeare die Geschichte ab und wurde dadurch berühmt. Shakespeare schrieb aber nicht direkt von Luigi da Porto ab, so gut Italienisch konnte er offensichtlich nicht. Er folgte bereits einem anderen Plagiator Arthur Brookes, der im Jahr 1562  „The Tragicall Historye of Romeus und Juliet.“ veröffentlichte. Shakespeare reichte es also, von ihm abzuschreiben. Allerdings nur aus seiner Feder bekam die Geschichte die unwiderständliche Poesie,  derentwegen wir noch immer das Theater besuchen und Millionen Touristen nach Verona strömen. Also Plagiator oder nicht, berühmt ist Shakespeare, obwohl die Geschichte Luigi da Porto frei erfunden hatte. Möglicherweise erfand er die Geschichte nicht frei, sondern beschrieb seine eigene Liebesgeschichte, die allerdings nicht so tragisch endete – der Bote kam in seinem Leben offensichtlich noch rechtzeitig, um den Selbstmord der Liebenden zu verhindern. Wäre er nicht rechtzeitig gekommen, wäre die Welt um einen Grundstein ihrer Kultur ärmer.

Aber zurück zu der langobardischen Geschichte der Stadt, auf die Cividale so stolz ist. Paulus Diaconus beschreibt die Tragödie, die die Stadt im Jahr 610 heimgesucht hat. Damals fielen in Italien Avaren ein und der Herzog von Cividale Gisulf II. verlor in der Schlacht gegen sie das Leben. Seine Witwe Romilda zog sich mit ihren Kindern hinter die festen Mauer von Cividale zurück, sie war aber  von der Schönheit des Häuptling des Avaren angeblich so hingerissen, dass sie selbst die Tore der Stadt geöffnet hat, beeindruck von dem Versprechen, dass sie der Häuptling heiraten würde. Avaren plünderten die Stadt, töteten die Männer, Frauen und Kinder schleppten sie in die Sklaverei ab. Die wollüstige Romilda verschwand spurlos. Ihre Söhne Raduald und Grimoald retteten sich durch Flucht aus der Stadt (möglicherweise erkannten sie rechtzeitig die Absichten ihrer Mutter) und flohen nach Süden nach Benevent, wo sie beide einer nach dem anderen zu Herzögen wurden und Grimoald wurde letztendlich sogar der König der Langobarden in Pavia.

               Aus dieser Tragödie erholte sich die Stadt natürlich schon seit langer Zeit, das Museum zeigt die Lebensart der Langobarden, ihre Begräbnisbräuche, es ist sicher besuchswert. Man kann eine gemeinsame Karte für drei Museen kaufen. Neben dem „Museo archeologico“ kommt noch das „Museo cristiano“ mit einem hinreisenden Altar aus Stein des Königs Rachtis und mit dem Baptisterium aus Marmor des Patriarchen Kalixt dazu. Der Altar ist mit typischen Reliefs des frühen Mittelalters geschmückt, mit ziemlich naiv wirkenden Gesichtern der Figuren.  Es ist auffällig, dass die Mundwinkel in allen Gesichtern nach unten zeigen, also keine einzige lacht oder lächelt. Das Lachen war im Mittelalter verpönt, wer darüber mehr wissen möchte, dem kann ich den genialen Roman von Umberto Eco „Der Name der Rose“ empfehlen.

Im Museum gibt es auch den Thron der Patriarchen, auf dem 26 Patriarchen von Aquileia gekrönt wurden. Das dritte Museum auf dem gemeinsamen Ticket ist das Kloster „Santa Maria in Valle“ mit einer Kapelle aus langobardischer Zeit „Tempietto langobardo“. Es wäre das reinste Beispiel langobardischer Architektur, wenn man das Kloster des Heiligen Salvators in Brescia ausklammern würde. Der Marmorsaal wird bis heute genutzt, die Fresken der Mauern sind natürlich jünger, derzeit wird die Innenausstattung aus Holz renoviert. Faszinierend ist das Marmorrelief über dem Eingang mit dem Motiv der Trauben und Weinblätter – es ist eine wahre Filigranarbeit – und das aus Marmor!

Das Kloster hat einen unglaublich unregelmäßigen Kreuzgang. Bisher war in jedem Kloster, das ich besucht hatte, der Kreuzgang viereckig. Nicht so ist es in Cividale. Möglicherweise deshalb, weil der Kloster auf einem steilen felsigen Ufer des Flusses steht und deshalb ist der Kreuzgang von einer undefinierten Form – einfach vieleckig – die Italiener waren immer sehr kreativ – und das sind sie immer noch. Wenn man die felsige künstliche Höhle am Flussufer besuchen möchte – Hypogeo Keltiko – wahrscheinlich aus keltischer Zeiten, also noch bevor hierher der große Gaius Julius mit seinen Legionen kam, muss man den Schlüssel im Kloster ausborgen. Hypogeo ist nur ein paar Schritte vom Kloster entfernt.

               Der Dom von Cividale ist ein monumentales Gebäude in einem ziemlich inhomogenen Stil. Die ursprüngliche romanische Kathedrale wurde am Anfang des sechzehnten Jahrhunderts von Pietro Lombardo und Bartolomeo delle Cisterne im Stil der Renaissance umgebaut. An die Fassade wurde dann ein Barockvorbau angehängt und letztendlich wurde das Gebäude mit Mauern im klassizistischen Stil umzingelt. Also ein bisschen Chaos, aber das sind wir in Italien natürlich gewohnt. Die Kathedrale ist monumental, wie alle italienischen „Duomos“ und im  Jahr 1909 wurde sie vom Papst Pius X. zu „Basilica minor“ erhoben. Faszinierend ist ein riesiges gotisches Kreuz, das eine bewegte Geschichte hinter sich hat, und sehenswert ist eine barocke Statue Jungfrau Maria mit Jesuskind (offiziell heißt der Dom „Il Duomo di Santa Maria Assunta).

               In der Stadt gibt es eine Menge mittelalterlicher Häuser, meistens sehr schön rekonstruiert mit typischen vorgeschobenen Portalen, man stolpert über Geschichte auf jedem Schritt und Tritt und das gefällt einem Historiker wie mir natürlich sehr.   

               Das Symbol der Stadt ist „Ponte diavolo“, also „Die Teufelsbrücke.“

Es gibt zu ihr natürlich die übliche Legende – weil die Bürger der Stadt nicht im Stande waren, den Fluss mit einer Brücke zu überqueren, holten sie sich die Hilfe des Teufels. Der war einverstanden, als Lohn verlangte er aber die Seele des ersten Menschen, der die neue Brücke betreten würde. Er glaubte, dass es eine bedeutsame Persönlichkeit sein würde, die die neue Brücke einweihen würde. Die schlauen Bürger von Cividale trieben aber einen Hund auf die neue Brücke. Natürlich bietet sich eine gerechtfertigte Frage an – hat ein Hund eine Seele? Schwer zu sagen, wen der Teufel letztendlich als Lohn für seine Arbeit geholt hat, er hat aber, wie wir wissen, eine bestimmte Schwäche dafür, die Falschen zu nehmen und die, die sich den Aufenthalt in der Hölle längst verdient hätten, lässt er auf der Welt unverhältnismäßig lange herumlaufen und ihr Unwesen treiben.

               Die Brücke ist monumental, es ist ein dankbares Motiv für Fotos, mit ein bisschen Glück kann man alle vier Glockentürme der Kirchen, der Stadt, die absolut ident sind, auf ein Foto bringen,.

Es ist der Dom, die Kirche Santa Maria in Valle, die Kirche des heiligen Petrus und Blasius ( mit wunderschönen Fresken an der Fassade) und die Kirche des heiligen Franziskus, die nicht mehr der Kirche, sondern als Saal für Ausstellungen und kulturelle Veranstaltungen dient. Das Gebäude des Franziskanerklosters ist imposant, am bestens sieht man das, wenn man auf den Stiegen neben der Brücke zu einer kleinen Plattform am Ufer des Flusses absteigt – der Abstieg zahlt sich aus.

               Die Brücke wurde im ersten Weltkrieg vernichtet. Nach dem Durchbruch der deutschen Divisionen, die den Österreichern zur Hilfe gekommen waren, bei Caporetto (heutiges Kobrid in Slovenien) steuerten die Deutschen ihren Vormarsch direkt auf Cividale zu. Als die deutschen Soldaten ins Stadtzentrum eindrangen, sprengten die sich zurückziehenden Italiener die Brücke, um sich von den siegenden Feinden abzusetzen. Es gelang ihnen trotzdem nicht, der italienische Rückzug kam nur am Fluss Piave viel weiter westlich zum Stillstand. Die Brücke wurde im Jahr 1918 neu gebaut, dieses Datum steht auch in ihrer Konstruktion geschrieben, sie wurde aber treu nach dem ursprünglichen Bau nachgebaut

               An den ersten Weltkrieg, der die Stadt nicht gerade schonend behandelte, erinnert ein kleines, aber liebes Museum „Museo della grande guerra“ im Gebäude des ehemaligen Bahnhofs. Dieses Gebäude diente in der Zeit der italienischen Offensiven am Fluss Isonzo ( in den Jahren 1915 – 1917 unternahmen hier Italiener elf Offensiven – so genannte Isonsoschlachten) als der Ausgangspunkt für die Versorgung der italienischen Armee – von hier fuhr der Zug mit Munition, Vorräten und Soldaten bis ins Städtchen Sužid hinter der Front. Heute wird hier in einigen Sälen der Krieg aus italienischem Blickwinkel in Fotografien und Karten dokumentiert. Es gibt hier einen Schützengraben mit originellen Holzbalken aus den Kriegsschauplätzen, wo man die klaustrophobische Authentizität des Schutzgrabenkrieges erleben kann.

Der Eintritt ist kostenlos, es gibt lediglich freiwillige Spender,, der dortige Angestellte war so begeistert von der Tatsache, dass Gäste kamen, dass er uns nicht in Ruhe ließ. Mit einem unglaublichen Enthusiasmus erzählte er uns  alles, was sich in den Jahren 1915 – 1917 abspielte, weil er aber italienisch sprach, verstand ich nur einen kleinen Bruchteil davon, was er uns mitteilen wollte.

               Ach so, natürlich – in Italien darf nicht ein Tipp für ein gutes Essen fehlen. In Cividale gibt es eine lokale Spezialität „Gnocchi di susine“. Wenn man sie bestellt, wird man überrascht. Es handelt sich um typische tschechische Zwetschenknödel aus Kartoffelteig mit Zimt und gerösteten Semmelbröseln. Wie die nur herkamen? Möglicherweise doch eine Erinnerung an das alte gute Österreich-Ungarn!    

          

Vicenza

               Es ist nicht gerade eine alltägliche Idee, aber in diesem Fall lohnte sie sich. Die Bewohner von Vicenza, einer kleinen Stadt (eigentlich doch nicht einer so kleinen, immerhin hat Vicenza 114 000 Einwohner)  zwischen Venedig und Verona entschlossen sich, aus ihrer Stadt ein „Open air Museum“ eines einzigen Architekten zu machen – Andrea Palladio – und die Idee ging auf. Wieder einmal stellten Italiener ihre Kreativität unter Beweis, es zahlt sich aus, Vicenza zu besuchen, weil man dort Dinge sehen kann, die es sonst nirgends gibt. Und man kann hier auch eine Speise kosten, die sonst nirgends angeboten wird – aber darüber später.

               Andrea Palladio hat sich sein Denkmal sicherlich verdient. Nicht nur seine Statue auf dem Hauptplatz von Vicenza, sondern die ganze Stadt ist sein Denkmal. Es gibt nämlich in der Geschichte nur wenige Architekten, die die Bauweise so stark und nachhaltig wie er geprägt haben. Obwohl er bereits in den Jahren 1508 – 1580 lebte, ist er eigentlich der Gründer des Baustils des Klassizismus, der die Bauweise in Europa im neuzehnten Jahrhundert beherrschte. Ich gebe zu, dass ich bis zu meinem Besuch in Vicenza von diesem Mann nur sehr wenig wusste. Und als Zeichen der Reue erlaube ich mir meinen Lesern diese Persönlichkeit näher zu bringen.      

               Andrea Palladio wurde im Jahr 1508 in Padua geboren, seine Karriere als Architekt startete er im Jahr 1540 in Vicenza, in dieser Stadt starb er im Jahr 1580. Sein Leben ist also gerade mit Vicenza verbunden und die Stadt weiß diese Ehre gehörig zu schätzen. Palladio war der erste Mensch, der sich entschied NUR Architekt zu sein – bis dahin waren Architekten auch Maler, Bildhauer – siehe z.B. Michelangelo Buonarotti, der für Palladio ein Vorbild war. Palladio entschied sich aber, eine eigene Richtung bei seiner Schöpfung einzuschlagen. Als sich die ganze Welt in Richtung Barock bewegte, also zu einem Stil, der die Macht der katholischen Kirche symbolisieren sollte, blieb Palladio den antiken Vorbildern treu. Sein Ruhm stützt sich nicht nur auf die Unmenge an Villen, die er in der Umgebung von Venedig für venezianische Patrizier baute –  die berühmtesten von ihnen sind Villa Foscari, Villa Godi, Villa Sarazen usw.usw, aber auch auf ein Buch über die Architektur, das er schrieb. Es heißt „Quatro libri dell´architektura“ und er beschrieb in ihm ganz einfach die Prinzipien des Baus von Häusern,  Palästen und Villen. Weil dieses Buch im Jahr 1715 Giacomo Leoni ins Englische übersetzt hat, wurde es buchstäblich zum Handbuch für alle Architekten, besonders in Nordeuropa. Der Stil des Klassizismus hat seinen Ursprung im Werk von Andrea Palladio, sein eigener Stil verdiente sich sogar einen eigenen Namen „Palladianismus.“

               Im Jahr 1549 gewann Palladio seinen größten Auftrag, der ihn für die Ewigkeit berühmt machen sollte – den Bau eines neuen Rathauses in Vicenza „Palazzo della Ragione“. Kaum jemand aber weiß, dass gerade das der offiziellen Namen des Gebäudes ist, das sogar in das Weltkulturerbe der UNESCO aufgenommen wurde. Alle kennen es unter dem Namen „Basilica Palladiana“ und sie füllt beinahe den ganzen Hauptplatz von Vicenza aus.

Palladio konnte sich gegen solche Giganten wie Giulio Romano, der Mantua gebaut hatte, durchsetzen und ab diesem Zeitpunkt ist seine Karriere steil bergauf gegangen. Auch diejenigen, die nie in Vicenza waren, kennen seine Bauten. Wenn man in Venedig vom Platz des heiligen Marcus oder aus dem Campanile schaut, liegt genau vor den Augen die Kirche „San Giorgo Maggiore“ und eine andere gigantische Kirche „Il Retendora“ baute Palladio auf der venezianischen Insel Giudecca.                         

               Seit dem Jahr 1404 war Vicenza ein Teil der Serenissima, also der Republik von Venedig, vorher hat es aber bewegte Zeiten durchgemacht. In der Zeit der Herrschaft der Staufen stand es auf der Seite der Guelfen, also der kaiserfeindlicher Allianz, bis die Stadt von Ezzelino Romano, dem Schwiegersohn Kaiser Friedrichs II. erobert wurde. Ezzellino vertrieb die Guelfen aus der Stadt und machte sie zu ihr einem Stützpunkt seiner Macht. Als er im Jahr 1259 starb, gewann Vicenza wieder seine Unabhängigkeit, bewies sich aber im Kampf der italienischen Kommunen als ein schwacher Spieler. Zuerst suchte die Stadt Schutz in den Armen der Stadt Padua, dieser Schutz wurde aber bald zu einer Vorherrschaft. Im Jahr 1311 suchte also Vicenza Hilfe bei der Familie Della Scala aus Verona, im Jahr 1392 wurde es aber von Gian Galleazzo Visconti aus Mailand erobert. Im Jahr 1404 nahmen die Stadt die Venezianer ein und im Frieden von Lodi im Jahr 1454 wurden die Interessensphären in Norditalien definitiv festgeschrieben. Vicenza blieb venezianisch bis zum Untergang der Republik im Jahr 1797. An diese Tatsache erinnern zwei Säulen auf der „Piazza dei Signori“. Auf einer steht der Erlöser, auf der zweiten der Marcuslöwe, das Symbol der Republik von Venedig.

Andrea Palladio war ein Bürger dieser Republik und sein Glück war, dass gerade in seiner Zeit sich alle Patrizier schöne Villen in der neu eroberten Terra Ferma, also am Land außerhalb der Hauptstadt, bauen ließen und Palladio war der richtige Mann an der richtigen Stelle und zur richtigen Zeit.           

               Kehren wir aber zurück nach Vicenza, nehmen wir einen Espresso mit einem Cornetto auf dem Hauptplatz neben der „Basilica Palladiana“ unter der Statue des berühmten Architekten und los, es geht auf den Weg zu einer architektonischen Bildung.     

               Die Dominante des Hauptplatzes ist also die gigantische „Basilica Palladiana“ aus Marmor. Das Gebäude ist von einem zweistöckigen Portikus umrahmt. Auf dem Platz gibt es noch ein Gebäude von Palladio, nämlich den „Palazzo del Capitano“, den Palladio im Jahr 1571 zu bauen begann, und der als Hauptsitz des venezianischen Gouverneurs diente.

               Der „Duomo“ von Vicenza steht ein bisschen seitlich. Er ist zwar groß, betreten konnten wir ihn aber wegen Reparaturen an der Elektrizität und der Beleuchtung nicht – das Ende der Bauarbeiten wurde im Text am Haupttor nicht angeführt, es wurde nur diskret angedeutet, dass es  noch einige Zeit dauern könnte. Vom Dom kommt man zur „Piazza del castello“ mit einem dominanten Turm der Festung der Familie Della Scala. Durch die „Porta Castello“ gelangt man von der Altstadt in die Neustadt. Direkt vor den Stadtmauern gibt es den „Giardino salvi“ mit einem schönen Blick auf die Stadtmauer und die ehemalige Festung. Interessant ist es aber auf der anderen Seite der Porta. Man muss sich umdrehen und das „Corso Andrea Palladio“ betreten. Dieser läuft genau durch die Mitte der Stadt (es gibt hier auch Gebäude, die Andrea Palladio nicht gebaut hat, der Charakter der Straße ist aber sehr homogen und sie ist von monumentalen Palästen umrahmt. Achtung, eine der schönsten Gebäuden der „Palazzo da Schio“, nach seinem goldenen Schmuck auf der Fassade auch  „Cá d´Oro“ genannt, ist kein Werk von Palladio, sondern ein typisches Beispiel der venezianischen Gotik. Er wurde hundert Jahre vor Palladio gebaut und es wäre wirklich schade gewesen, ihn niederzureißen nur um ein weiteres Grundstück für Palladios  Arbeit zu schaffen. Am Ende des Corso gibt es eine Pinacoteca civica, natürlich wieder in einem Palast, den Andrea Palladio gebaut hat – „Pallazzo Chiericati“. Interessant ist, dass Palladio Spuren seiner Tätigkeit auch noch nach seinem Tod in der Stadt hinterlassen hat. Auf der Piazza Castello steht der „Palazzo Porto-Breganze“, den im Jahr 1600 der Architekt Vincenzo Scamozzi baute, allerdings nach den Plänen, die für dieses Gebäude der große Andrea gemacht hatte. 

               Sein letztes großes Werk gibt es am Ende des Corso. Im Jahr 1579, also ein Jahr vor seinem Tod, bekam Andrea Palladio den Auftrag, das erste überdachte Theater in Europa zu bauen. Das Ergebnis ist monumental, auch wenn Palladio die feierliche Eröffnung seines Werkes mit dem Theaterstück von Sophokles „Ödipus“ im Jahr 1583 nicht mehr erlebte. Der Besuch des „Teatro“ ist Pflicht, wer das „Teatro Olimpico“ nicht besucht hat, war nicht in Vicenza.            

               Wenn man den Fluss Retrone überquert, kommt man in ein zauberhaftes Stadtviertel, das von mittelalterlichen Schutzmauern und einem Tor begrenzt wird. Hier nutzten die Bauleute die Bausubstanz eines alten römischen Theaters, um hier Häuser zu bauen. Ein ganzes Viertel ist eigentlich in ein ehemaliges römisches Theater eingebaut, daher wirkt auch die Krümmung der Straßen ungewöhnlich und ein bisschen komisch. Aber die Italiener – wie ich bereits tausendmal erwähnt habe– sind kreativ, und – Hauptsache – es wird nichts niedergerissen, was bereits steht.

               Am Ende meiner Erzählung also noch ein kurzer Ausflug in die lokale Kulinarik, der zahlt sich nämlich wirklich aus. Vicenza bietet nämlich etwas tatsächlich Außergewöhnliches.           

               Die lokale Spezialität, die man unbedingt ausprobieren sollte – wenn man dazu den Mut hat – ist Kabeljau auf die vicenzine Art – „Baccala alla vicentina“. Wenn jemand denken würde, dass ein Fisch frisch sein muss, um genießbar zu sein, wird er in Vicenza eines Besseren belehrt. „Baccala alla vicentina“ DARF nicht frisch sein. Der getrocknete Fisch wird in Öl mit Knoblauch, Zwiebel, Parmesan, Mehl und Milch zubereitet, wobei ein Brei entsteht, der auf milder Flamme vier Stunden gedünstet wird bis die Flüssigkeit vom Fisch aufgenommen ist. Das Gericht ist sehr aromatisch, es schmeckt meiner Meinung nach hervorragend, allerdings bin ich – nach der Meinung meiner Frau – als ein unkritischer Fan der italienischen Küche nicht objektiv. Es ist mir nicht gelungen, meine Frau zu überzeugen, von dieser Spezialität nur ein bisschen zu kosten und als uns dann der Kellner abends in Treviso anbot, eine gerade frisch zubereitete fantastische „Baccala alla vicentina“ zu servieren, flippte sie beinahe aus. Ich gebe zu, ich habe es das zweite Mal an einem Tag auch nicht bestellt. Meine Frau meinte, dass man manche Sachen einmal im Leben ausprobieren sollte, mit Betonnung auf EINMAL. Es blieb mir nichts anderes übrig als zuzustimmen. 

               Achtung, Besuchen Sie Vicenza auf keinen Fall am Montag. An diesem Tag ist so gut wie alles geschlossen inklusiv Teatro Olimpico. Dann müsste man die Stadt – wie wir – noch einmal besuchen. Aber – warum eigentlich nicht?

Verona

Im Frühjahr 1304 spielte sich im Palast der Familie della Scala in Verona eine wichtige Szene ab. Ein sehr wichtiger Moment für die Kulturgeschichte der Welt. Signore (also der Herrscher) der Stadt empfing mit einem großen Pomp Dante Alighieri, zu dieser Zeit einen Vertriebenen aus seiner Heimatstadt Florenz, wo er zum Verlust seines Besitzes und später zur Todesstrafe durch Verbrennung verurteilt worden ist. Sein Verbrechen war, dass er auf der kaiserlichen Seite stand, als mit der Hilfe des französischen Prinzen Karl von Valois Schwarze Guelfen die Macht in der Stadt ergriffen hatten. Der Kampf zwischen der kaiserlichen und der päpstlichen Macht, der in der ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts zwischen Papst Gregor IX und Kaiser Friedrich II. entflammte, setzte sich auch nach dem Tod beider Protagonisten fort und sollte nicht so bald enden. Bei der Familie della Scala konnte sich Dante auf das gewährte Asyl verlassen, letztendlich ist der erste Vertreter dieser Familie auf dem Thron Veronas Mastino I. nur dank des Schwiegersohnes Friedrichs, Ezzelino da Romano, Herrscher geworden. Dante fand in Verona Ruhe und Basis für die Arbeit an der Göttlichen Komödie, eines der Standardwerke der Weltliteratur. Seinen Gönner Bartolomeo della Scala hat er nicht vergessen, er verewigte ihn im 17.Gesang des Buches – nirgendswo anders als im Paradies. Dante verstand es dankbar zu sein.

            Dieses Ereignis gelangte inzwischen in Vergessenheit und Dante allein würde keine Touristen nach Verona locken – obwohl auf der „Piazza degli Signori“ seine riesige Staue steht. Das älteste Kaffeehaus in der Stadt auf dem gleichen Platz heißt – wie sonst – Dante. Verona verdankt aber den Ruhm und die Touristenströme einem anderen Dichter, sogar so einem, der die Stadt nie besucht hat. Allerdings platzierte William Shakespeare das Geschehen seines berühmtesten Werkes in das Verona des vierzehnten Jahrhunderts. Die Geschichte der ewigen Liebe zwischen Romeo und Julia auf dem Hintergrund des tödlichen Kampfes der Familien Capulet und Montegue verhalf der Stadt zu ihrer großen Berühmtheit. Im Jahre 1913 hatten dann die Veronesen noch eine geniale Idee. Es galt dem hundertsten Geburtstag Verdis, den er ja nicht erlebt hat, zu feiern. So entschieden sie sich in ihrer römischen Arena, in der sich einmal die Gladiatoren gegenseitig umgebracht hatten, Opernfeste zu feiern. (Und das, obwohl Verdi in Verona weder geboren worden war noch dort gelebt hatte oder gestorben war – nicht einmal eine seiner Opern hatte hier ihre Uraufführung). Aber irgendwie sollte der römische Koloss, in der Mitte der Stadt genutzt werden, ihn niederzureißen wäre viel zu viel anstrengend. Man muss einfach eine Idee haben! Und die Veronesen hatten sie. Es entstand eine Tradition, die bereits 105 Jahre anhält und ein Besuch der Arena von Verona gehört zum Pflichtprogramm eines kulturell interessierten Europäers.

Wir holten unser kulturelles Defizit im Jahre 2015 nach und besuchten diese Stadt. Keinesfalls haben wir diese Entscheidung bereut. Die Stadt in der Schleife des Flusses Adige ist nämlich wunderschön. Es ist eine leichte Schönheit, die schnell zu Herz geht und dort bleibt. Möglicherweise ist der rosarote Marmor schuld, der fast alle Pforten der Stadtpaläste schmückt – und natürlich auch alle Tore der Kirchen. All diese Schönheit ist Zeuge des damaligen riesigen Reichtums und der Bedeutung der Stadt. Verona wurde bedeutsam, als die Römer ihre Expansion über die Alpen ausdehnten. Seine Lage, die auf der italienischen Seite den Weg aus Deutschland nach Italien über den Brennerpass sperren konnte, half Verona dazu, in der Zeit von Kaiser Augustus und seiner Nachfolger zu einer wichtigen Stadt zu werden.  Aus den römischen Zeiten blieb lediglich die bereits erwähnte Arena erhalten, die drittgrößte im Römischen Reich nach Rom und Capua, in der auch heute noch 22 000 Besucher Platz finden (und das obwohl das dritte Geschoss nach einem Erdbeben im elften Jahrhundert abstürzte), bescheidene Reste eines römischen Theaters, in dem immer noch gespielt wird (was sonst, wenn nicht das Drama William Shakespeares Romeo und Julia? In Verona wird fast überall Theater gespielt, zum Beispiel auch im Haus der Capulets) und die Porta dei Borsari, das ehemalige Stadttor der römischen Stadt. Großteil der römischen Stadt fiel dem Wüten der Hunen Attilas im  Jahr 452 zum  Opfer, zum Glück wurde Verona später eine Residenzstadt des Königs der Ostgoten Theodorich des Großen und später ein langobardisches Herzogtum und die Stadt wurde neu ausgebaut. Theodorich residierte auf einem Hügel auf dem anderen Ufer des Flusses, mit der Stadt unter den Füssen, offensichtlich wollte er eine Übersicht behalten, was seine Untertanen treiben. Heute steht auf der Stelle seiner damaligen Residenz Castel San Pietro und unterhalb ist das bereits erwähnte römische Theater mit Museo archeologico. Die Altstadt ist mit diesem Viertel mit einer schönen Brücke Ponte Pietra verbunden.

Im Jahr 1164 wurde der so genannte Veronesischer Stadtbund gegründet, der sich entschied, dem römischen Kaiser Widerstand zu leisten und der innerhalb drei Jahren zum bekannten Lombardischen Bund anwuchs, in dem aber Mailand die Führung von Verona übernahm. In der Schlacht bei Legnano wurde Kaiser Friedrich Barbarossa besiegt und im Jahr 1183 schloss er mit dem Lombardischen Bund in Konstanz Frieden. In Verona wurde m Jahr 1184 vom Papst Lucius III. ein Konzil einberufen. Der Papst war gerade von den Bürgern der Stadt aus Rom vertrieben worden und hoffte, dass ihm der Kaiser zu Rückkehr helfen könnte. Sie kamen zu keiner Abmachung, der Kaiser half dem Papst nicht. Dafür wurde hier der dritte Kreuzzug ausgerufen, im Laufe dessen Barbarossa im Jahr 1189 starb. Papst Lucius starb im Jahr 1185 in Verona im Exil und er ist hier auch begraben.

Es gibt eine ganze Reihe Kirchen in Verona und es zahlt sich aus, sie zu besuchen. Neben dem monumentalen „Duomo“ gibt es noch die Kirche der Heiligen Anastasia – ein Höhepunkt der italienischen Gotik. Es gibt ein bemerkenswerte Kirche des heiligen Fermus, des lokalen Heiligen, der am Ufer des Flusses Adige gemeinsam mit seinem Freund Rusticus in der Zeit der Christenverfolgung unter Kaiser Diocletianus (es war die historisch belegte letzte aber sehr intensive und massive Christenverfolgung) im Jahr 304 hingerichtet wurde. San Fermo sind im Grunde zwei Kirchen. Auf den Fundamenten einer frühchristlichen Kirche aus dem fünften Jahrhundert, die Benediktiner hatten abreißen lassen, entstand im Jahr 1065 eine romanische Basilika, die heute im Untergrund ist, weil die Franziskaner, die später kamen, über diese Kirche eine monumentale gotische Kathedrale bauten. Wie ich schon mehrmals gesagt habe, in Italien wird nichts niedergerissen, weil es schade darum ist – es wird nur umgebaut. Dem Stadtheiligen Zeno ist dann eine der schönsten Kirchen in Norditalien gewidmet. Der heilige Zeno, vom Ursprung her aus Nordafrika, war ein Bischof in Verona in den Jahren 362 – 371, er wurde als Prediger und Schriftsteller berühmt und führte in der zerstrittenen Stadt wieder Ordnung ein. Sein Kult verbreitete sich bis nach Süddeutschland – Verona war nämlich im Frühmittelalter ein Teil des Herzogtum von Bayern, beziehungsweise der Kärntnerischen Mark. Diese Kirche, wieder einmal zweistöckig, ist sicher eines Besuches wert wie übrigens alle Kirchen in Verona.

Alle sind in der Innenausstattung mit schönen und überwiegend gut erhaltenen Fresken geschmückt, von frühromanisch bis zu Renaissance- oder Barockbauten. Aber auch die Kirche der heiligen Eufemia, eine gigantische einschiffige barocke Basilika, die versteckt in einem romanischen Bauwerk ist, oder die kleineren Kirchen des heiligen Lorenzo oder Peter des Märtyrers oder des heiligen Guilio sind eines Besuches wert. Die Portale der Kirchen sind aus Marmor, weiß, rosarot und ab und zu hellblau, alles helle Farben, die die Seele erfreuen. Alles, was Verona zu bieten hat, schafft man trotzdem nicht – meine Frau hat am frühen Abend bereits deutliche Zeichen von Erschöpfung gezeigt. Übrigens die Chefin und Gattin des Koches im Restaurant „Ristorante san Eufemia“ neben der gleichnamigen Kirche ist eine Deutsche aus Bayern – man kann also die lokalen Spezialitäten mit Erklärung auf Deutsch genießen.

Unglaublich großartig sind die Grabmäler der Herrscher der Familie della Scala, die sich bei einer kleinen Kirche befinden – es ist die Familienkapelle Santa Maria Antica im Stadtzentrum. Der Gründer des Ruhmes der Familie della Scala, Cangrande I. (er war auf diesen Spitznamen, der „Großer Hund“ bedeutet, so stolz, dass er seinen richtigen Namen Francesco vergessen ließ), ist in noch einem bescheidenem Sarkophag am Kirchenportal begraben. Seine Nachfolger, die sich so lange fleißig gegenseitig gemordet hatten, bis sie die Macht in der Stadt verloren, übertrafen sich allerdings gegenseitig in Pracht ihrer Gräber. Das schönste von allen hat dann Cansignorio (er starb 1375), der dadurch berühmt geworden ist, dass er sogar zwei seine Brüder ermordete. Den zweiten hat er selbst aber nur um zwei Tage überlebt. Sein hohes elegantes Grabmal im Stil der Hochgotik mit vielen Statuen ließ den Atem stocken und kam als ein Beispiel der italienischen Hochgotik sogar in die Kunstgeschichte von Pijoan.

Eine Erinnerung an die Familie della Scala ist Castelvecchio. Die Burg wurde von Cangrande II. im Jahr 1355 gebaut, als sich die Familie im Stadtzentrum vor immer mehr rebellierenden Bürger nicht mehr sicher fühlte. Die Festung steht am Ufer des Flusses Adige, die schöne Brücke Ponte Scagliero gehört eigentlich zur Burg. Sie sollte als ein Fluchtweg für den schlimmsten Fall dienen.  Und der kam. (Cangrande II. wurde übrigens im Jahre 1359 – wie ich schon erwähnte – vom eigenen Bruder Cansignorio erschlagen). Als der letzte Herrscher Antonio della Scala nach der familiären Tradition seinen Bruder Bartolomeo im Jahr 1381 ermorden ließ, hatten die Veronesen die Schnauze endgültig voll. Als dann der Herrscher von Mailand Gian Galleazo Visconti Verona den Krieg erklärte, ließen die Bürgen von Verona ihren Herrscher im  Stich. Dieser hat sich durch Flucht über die bereits genannte Brücke  Ponte Scagliero gerettet.

Verona und mit der Stadt auch die Hauptverbindung zwischen Italien und Deutschland fiel im Jahr 1387 in die Hände der Papstpartei. Eigentlich hätte diese Tatsache den damaligen römischen König Wenzel ärgern müssen, ich wette aber, dass ihm das absolut gleichgültig war. Er hatte nicht vor, nach Rom zur Kaiserkrönung zu reisen und hatte jetzt zusätzlich eine gute Ausrede. Den Brennerpass brauchte er also nicht. Sein Bruder Sigismund erkaufte sich den Zugang nach Rom durch Erteilung des Herzoghutes an den mailänder Herrscher.

Castelvecchio sollte man besuchen, hier gibt es ein Museum der gotischen und der Renaissancekunst. Das wertvollste Exponat ist die berühmte Reiterstatue von Cangrande I. – eine der ersten Renaissancestatuen Italiens und damit auch der Welt.

            Ein Pflichtprogramm ist natürlich der Besuch des Hauses der Julia und wenn man Ausdauer hat, dann auch ihres Grabes, das doch außerhalb der damaligen Stadtmauer liegt, was ein paar Minuten Spazierganges bedeutet. „Casa di Giulette“ ist ein mittelalterlicher Palast nahe der Piazza delle Erbe, dem Hauptplatz der Stadt, über den der Marcuslöwe der Stadt Venedig wacht. Gleich neben der Piazza delle Erbe befindet sich die Piazza deli Signori mit Dantedenkmal und Paläste Palazzo die Tribunali (der ursprüngliche Sitz der Familie della Scala) und Palazzo del Comune mit einem Aussichtsturm Torre dei Lamberti.

Das Haus der Julia ist ein Palast mit Innenhof und einem Balkon, auf dem sich die berühmte Szene der Liebeserklärung abgespielt haben soll. Können Sie sich noch aus der Schule auf den Text erinnern?

            „Aber Stille! Was für ein Licht bricht aus jenem Fenster hervor? Es ist der Osten und Julia ist die Sonne.

            Geh auf, schöne Sonne und lösche diese neidische Luna aus, die schon ganz bleich und krank von Verdruss ist, dass du, ihr Mädchen, schöner bist als sie.

            Wer könnte schon einer solchen Liebeserklärung widerstehen, liebe Damen! Ein vierzehnjähriges Mädchen, das gerade im Clinch mit ihrer schweren Pubertät lag, schon überhaupt nicht. Ein Schönheitsfehler ist nur, dass dieser Balkon im neunzehnten Jahrhundert nachgebaut wurde, um der Nachfrage der Touristen nachzugeben, die begonnen, nach Verona zu strömen. 

Wie ich schon schrieb, die Veronesen hatten nie Mangel an guten Ideen. Das Haus der Montagues in der Via Arche Scaligneri interessiert keinen, dort spielte sich nichts Interessantes ab, außer dass Romeo dort geboren wurde. Sein Platz ist aber nicht zufällig gewählt. Die Montegues standen immer der herrschenden Familie della Scala sehr nah, die Capulets waren im Gegenteil mit größter Wahrscheinlichkeit Guelfen. Die Kämpfe um die Zukunft der Welt, die Kämpfe zwischen Mittelalter, verteidigt verbissen durch die Guelfen, und der neuerstandenen Renaissance, die durch die Ghibellinen repräsentiert wurde, zogen sich durch damalige Städte und verlangten nach Opfern – in diesem Fall ein verrückt verliebtes blutjunges Pärchen. In der erhaltenen Krypta (Tomba di Giulietta) spielte sich dann die Finalszene des Theaterstückes ab, die die beiden Liebenden dank eines Missverständnisses nicht überlebt haben.

            Wenn wir schon in Verona waren, besuchten wir natürlich die Oper von Charles Gounod „Roméo et Juliette“, wir wollten einfach Stil besitzen. Im Grunde war es uns egal, dass Französisch gesungen wurde. Die monumentale Ausstattung mit dutzenden Statisten sowie auch die perfekte Akustik der römischen Arena waren es wert. Die Oper dauerte bis halb eins in der Nacht, trotzdem waren nach der Vorstellung alle Restaurants in der Nähe der Arena offen – wie ich schon mehrmals erwähnt habe – Veronesen verstehen es, aus der Geschichte ihrer Stadt Kapital zu schlagen und aus den Touristen den einen oder anderen Groschen auszuquetschen.

            Es ist ein schöner Ausflug und nicht nur für ein Wochenende. Auch die Umgebung der Stadt kann einiges bieten. Der See Lago di Garda mit dem zauberhaften Sirmione, das Schlachtfeld Solferino südlich des Sees und westlich von Verona wo im Jahre 1859 entschieden wurde, dass italienische Provinzen nicht mehr ein Teil Österreichs blieben. Hier entstand auch das Gedanke des Roten Kreuzes, weil ein bestimmter Schweizer, Henri Dunant, das Leiden der verwundeten Soldaten nicht aushalten konnte, die nach damaligem Gebrauch nach der Schlacht ihrem Schicksal überlassen wurden. Besuchswert ist auch das Weinstädtchen Soave, umgeben von einem vollständigen Mauerring mit 24 erhaltenen Türmen – für diejenigen,  die gern Rad fahren, gibt es übrigens in der Nähe des Gardasees „La Strada del Vino Soave“ – ein echtes Paradies. Übrigens in Verona wird Weißwein Soave und Rotwein Valpolicella getrunken. Beide stammen aus der gleichen Gegend.

            Mit dem Parken in  Verona ist es ziemlich gut, direkt im Stadtzentrum gibt es einen großen Parkplatz in einer alten österreichischen Kaserne Borgo Trento. Eine Spur Österreich ist also in der Stadt geblieben und ist sogar nützlich.

            Also, sollten Sie dort noch nicht gewesen sein – denken Sie nach. Sie werden sich in die Stadt verlieben.

            Es zahlt sich aus, eine Verona Card für 2 Tage (22 Euro) zu kaufen – die Card für einen Tag kostet 18 Euro und man kann sie kaum nutzen. Inklusiv sind alle Eintritte in die Kirchen und Museen, in die Arena und ins Castelvecchio und eine Ermäßigung auf weitere Attraktionen inklusiv des Touristenzuges. Und eine freie Fahrt mit allen Verkehrsmitteln in der Stadt, also in erster Linie mit Bussen. Falls sie natürlich nach Fahrplan kommen. Es ist nicht immer so. Verona ist doch Italien und dort werden solche Sachen wie Fahrpläne nicht so ernst genommen. Also entspannen und die Schönheit der Stadt genießen!

Vesuv

               Das erste Mal habe ich den Berg von oben gesehen. Also aus dem Flugzeug, als wir von Sizilien nach Hause flogen und der Kapitän den Kurs direkt über die Bucht von Salerno nahm.  Ich sah einen grünen Berg mit einem Krater auf seinem Gipfel inmitten der Stadtbebauung und ich konnte nur nach einer bestimmten Zeit realisieren, dass es sich um den berühmten Vesuv handelte, um den gefährlichsten Vulkan Europas. Aus dem Ring der weißen Häuser ragte nur der Berggipfel mit dem Krater empor und ich stellte mir das erste Mal die Frage, wie man all diese Leute evakuieren könnte, sollte Vesuv wieder einmal Ärger machen.

               Dieselbe Frage stellte ich mir wieder, als wir mit unserem Auto versuchten, durch das Gewirr der engen Gässchen zum Fuß des Berges durchzukommen um den Berggipfel zu erreichen. Die Antwort war einfach – man kann es nicht. Die Evakuierung der 600 000 Menschen, die an den Hängen des Vesuvs in einer absolut verbotenen Bauzone leben, ist einfach nicht möglich.  Natürlich gilt ein strenges Verbot, hier Häuser zu bauen, aber die Camorra verkauft trotzdem  die Grundstücke in dieser Gegend und die Leute kaufen und bauen. Italiener, und besonders die Kampanier, leben nur für die Gegenwart und die Zukunft – genau wie auch die Vergangenheit –  interessiert sie echt wenig. Also wenn Vesuv einmal ausbrechen würde, wäre es eine große Katastrophe, die das Gewissen der Menschheit erschüttern würde und die italienische Regierung würde trotz ihrer nationalistischen Ideologie um internationale Hilfe ansuchen.

               Der Tuff, also das Lavagestein, ist sehr fruchtbar, es ist eine voll mit Nahrungsstoffen erfüllte Erde und Vesuv gleich wie Ätna auf Sizilien garantieren den Landwirten, die den Mut besitzen, auf den Hängen der Vulkane zu wirtschaften, gute Erträge. Solange der Berg nicht böse wird und sie nicht abschüttelt. Von den Hängen des Vesuvs stammt der beste Wein Kampanies „Greco di Tuffo“, als Souvenir wird hier ein Couvee aus den lokalen Sorten „Lacrinae Christi“ also „Christustränen“ verkauft.

               Ungefähr 100 Höhemeter unter dem Gipfel gibt es einen – ein bisschen improvisierten – Parkplatz, von dem man in einer Touristenschlange den Gipfel besteigen kann. Von dort kann man in den Krater schauen, der zurzeit 600 Meter Durchmesser hat und der Verschluss, der ihn derzeit dicht macht, besitzt angeblich eine Tiefe von 2 Kilometern.

Einmal wird er wie der Champanierkorken  nach oben schießen, wir wissen nur nicht wann. Dann werden wahrscheinlich auch die Caffetteria und das Souvenirgeschäft, die beide auf dem Kraterrand stehen, in die Luft gejagt. Auf dem Parkplatz gab es einen zauberhaften  Parkplatzangestellten, der nach der Parkgebühr in allen Weltsprachen verlangen konnte. Wir haben es überprüft, er konnte auch „dvě padesát“, also 2,50 Euro tschechisch ohne Akzent aussprechen.

               Wenn man auf den Serpentinen zum Parkplatz unter dem Gipfel Vesuvs fährt, realisiert man, welche Katastrophe es im Jahr 79.n.Ch sein musste. Der alte Krater hat einen Durchmesser von 6 Kilometern (die so genannte Caldera), ist natürlich bereits bewaldet und reicht nur bis zur Mitte des Berges. Wenn  man nicht wüsste, dass es gerade hier zu einem Zusammenbruch des alten Vesuvs kam, würde man das gar nicht merken. Wie hoch nämlich der alte Vesuv, in der Antike „Monte Somma“ genannt, war, weiß eigentlich keiner, nach dem furchtbaren Ausbruch im Jahr 79 n.Ch. jagte sich der Berg selbst in die Luft. Das, wohin heute die Touristen pilgern, wuchs aus diesem Krater bei weiteren dreizehn Explosionen in den Jahrhunderten, die seit dem schrecklichen Ausbruch in der Zeit der Herrschaft des Kaisers Titus, vergangen sind, die letzte bedeckte Neapel im Jahr 1944 mit einer halben Meter dicker Aschenschicht. Keiner dieser Ausbrüche ist aber mit dem Wüten des Berges im Jahr 79 vergleichbar. Die Intensität der Vulkanausbrüche ist direkt von der Zeit abhängig, in der sie ruhig waren. Und das war beim Vesuv sehr lange. Griechische Siedler, die die Stadt Cumae gegründet haben, die erste Kolonie des „Großen Griechenlands“ in Kampanien, ahnten gar nicht, dass es sich um einen Vulkan handelte. Nicht einmal, als sie schon ihre Stadt fertiggebaut hatten und ihre Kolonisation mit Gründung von Paesta oder Neapel fortsetzten, wusste jemand über diese latente Gefahr Bescheid. Deshalb bauten die Römer gerade hier am Fuße des Berges ihres Las Vegas – Pompei. Eine Stadt, die in die Menschengeschichte als ein tragisches Symbol einer der größten Naturkatastrophen aller Zeiten eingehen sollte.

               Wie ich bereits geschrieben habe, die Römer machten aus Kampanien nach ihrer Eroberung ihres Urlaubgebiet. Wie heutzutage Deutsche zum Überwintern nach Mallorca und Schweden nach Gran Canaria fahren um die ungünstige Jahreszeit in der Wärme und Ruhe zu überstehen, zog es damals die Römer nach dem sonnigen Kampanien mit schönem Meer, gutem Wein und Essen. Es war leicht erreichbar, eigentlich römisches Umland. Damit sich hier die Urlauber nicht langweilten, wurden hier für Kulturliebhaber Theater und Odeone, und für die Bürger, die eine rauere Unterhaltung liebten, Amphitheater gebaut. Es gab hier Gladiatorenschulen und es wurden hierher wilde Tiere aus der ganzen Welt verfrachtet, um unter dem Beifall des blutrüstigen Publikums in den Amphitheatern in Capua oder Pompei sterben zu dürfen.          

               Pompei war eine alte Stadt mit einer um die siebenhundert Jahre alten Geschichte, in der Zeit der Kriege der Römer gegen ihren Verbündeten stand sie aber auf der falschen Seite. Diktator Sulla musste die Stadt belagern und nach ihrer Einnahme  siedelte er hier 2000 seiner Veteranen an. Seit dieser Zeit war Pompei eine römische Kolonie, in der es regelmäßig zu Streitereien zwischen den römischen Ansiedlern und der oberen Schicht der Ureinwohner kam. Nur Kaiser Augustus schaffte es, hier Frieden und die damit verbundene Prosperität zu stiften, deshalb wurde er hier auch mit einem Tempel und eigenem Kult verehrt. Zum Beschützer der Stadt bestimmte Augustus seinen ursprünglich geplanten Nachfolger Marcellus, dieser starb aber jung. Offensichtlich schrieb Augustus der Stadt eine große Bedeutung zu. Die Stadt lag damals direkt am Meer an dem Fluss Sarno, dessen Mündung von Lagunen geschützt war und damit einen hervorragenden Hafen für die Ware sowie auch für römische „Urlauber“ bot.               

               Die Prosperität der Stadt wurde das erste Mal durch Unruhen erschüttert, als sich die Einheimischen mit den Nachbaren aus Nuceria eine Prügelei lieferten, danach verbot Kaiser Nero in Pompei für zehn Jahre weitere Spiele. Dann kam eine Warnung in der Form eines Erdbebens im Jahr 62.n.Ch. bei dem ein Großteil der Stadt vernichtet wurde. Wahrscheinlich wurden bei diesem Erdbeben die unterirdischen Kräfte des Berges befreit, die im Jahre 79 – wahrscheinlich am 24.Oktober, das genaue Datum ist nicht sicher – für einen bis dahin noch nie gesehenen Ausbruch den Weg frei machten.

                Pompei war zu diesem Zeitpunkt eine große Baustelle, wo von Erdbeben beschädigte Häuser repariert oder neugebaut wurden, es lebten hier um die 10 000 Einwohner. Ein Teil davon hat die Stadt verlassen – der Berg bebte bereits einige Tage vor dem Ausbruch und die Vorsichtigeren entschieden sich, dies aus der Ferne zu beobachten. Trotzdem blieben hier noch viel zu viele Menschen, die dann unter einer 25 Meter hohen Schicht von Vulkanasche den Tod fanden.  Unter den prominentesten Opfern war Plinius der Ältere, der römische Verwalter der Provinz Missenum, der aus einem übertriebenen wissenschaftlichen Eifer mit seiner Flotte zur Küste segelte und in einer Schwefelwolke erstickte. Sein Neffe Plinius der Jüngere beschrieb  den Ausbruch  in einigen Briefen, die er an den Historiker Tacitus schrieb und deshalb haben wir heute ziemlich detaillierte Informationen, was damals geschah.

               Pompei hat im Vergleich mit Herculaneum, das auch bei diesem Vulkanausbruch vernichtet wurde, einen Vorteil. Während über die Ruinen von Herculaneum eine neue Stadt wuchs und somit nur ein Teil der antiken Stadt freigelegt werden konnte, weideten über Pompei 1700 Jahre lang nur Ziegen. Deshalb konnte man die ganze damalige Stadt freilegen und sie dient den Historikern und Archäologen als die Hauptquelle zur Erforschung des alltäglichen Lebens im alten Rom.

               Unseren Besuch fingen wir bei einem – nicht gerade schonend – rekonstruierten Amphitheater an.

Es handelte sich hier um das erste gemauerte Amphitheater. Bis zu dieser Zeit wurden Amphitheater aus Holz gebaut und das Kolosseum in Rom ist jünger. Danach führte uns der Weg  an einer Reihe römischer Häuser vorbei zum Gymnasium mit einem großen Schwimmbecken. Die Mehrheit der Häuser war mit Ketten verschlossen, manche davon bauten Italiener gerade mit Hilfe eines Betonmischers fertig, um ursprüngliche Häuser aus dem ersten Jahrhundert nach Christus zu vollenden. Anders gesagt: also wenn die Bauten fertig werden, werden sie aus dem ersten Jahrhundert nach Christi stammen. Aber auch die wenigen zugänglichen waren besuchswert. Mit einem Atrium mit dem zentralen Wasserbecken, in dem kostbares Regenwasser gesammelt wurde, Schlafzimmern mit Fresken und Peristylen der Gärten. Interessant für mich war, dass Römer bereits damals die Kunst der Stukatur beherrscht haben. Marmorsäulen wurden nur in Tempeln und öffentlichen Gebäuden verwendet, für Privathäuser waren sie zu teuer. In den privaten Domizilen wurden also die Säulen im Peristyl aus Ziegel gebaut und dann wurde durch Anstrich der Eindruck geweckt, dass sie aus Stein seien. Die Böden waren natürlich aus Mosaiken, Römer hatten keine anderen, das berühmteste Mosaik aus Pompei schaffte den Einzug in die „Geschichte der Kultur“ von Pijoan und stellt die Schlacht zwischen Alexander dem Großen und dem persischen König Dareios III. bei Issos dar. Genauer gesagt die entscheidende Szene der Schlacht, als Alexander durch einen direkten Angriff auf den König diesen zur Flucht und die persische Armee zu ihrer Auflösung zwang.

Vor den Häusern sind auf den vorgeschobenen Mauern Behälter für Nahrungsmittel. Nicht aber für den Hausbesitzer, sondern für seine Klienten, die hier vorbeikommen und ein Frühstück oder Abendessen abholen durften. Dafür mussten sie dann die politischen Ambitionen ihres Patrons bei der nächsten Wahl unterstützen.

               Das Schönte in Pompei ist ein riesiges Forum, das so situiert ist, dass direkt oberhalb der furchterregende Vesuv emporragt. Als ob er auf seine Macht über die Stadt, die er einmal vernichtet hatte,  noch immer nicht verzichtet hätte. Es ist einfach DER BERG.

Viele öffentliche Gebäude umrahmen den großen antiken Hauptplatz, eines der reichsten Häuser gehörte dem Besitzer der öffentlichen Toiletten. Die Toiletten waren ein großes Geschäft. Nicht nur, dass die Bürger für ihre Benutzung irgendwelchen Obolus zahlen mussten. Der abgefangene Harn war damals nämlich das einzig bekannte Mittel zur Bearbeitung der Wolle, also für die Beseitigung vom Fett aus der Naturwolle. Der Harn wurde also teuer verkauft. Dazu kam, dass dieses Geschäft bis zur Zeit Kaisers Vespasianus nicht versteuert war, also ähnliche Privilegien wie heute die Börsengeschäfte hatte. Vespasianus versteuerte die öffentlichen Toiletten und damit verbundenen Geschäfte zu großem Missfallen seines Sohnes Titus mit einer lakonischen Bemerkung „Das Geld stinkt nicht.“ Obwohl Titus strikt gegen diese Steuer war, machte er sie nach seinem eigenen Thronantritt nicht rückgängig. Das Geld hat wirklich nicht gestunken und die einmal schon eingeführten Steuern haben bis heute die Eigenschaft, langfristig gültig zu bleiben und sogar von ihren größten Gegner nach ihrer Machtergreifung gern akzeptiert zu werden. In der Zeit, als Pompei von der Katastrophe heimgesucht wurde, musste also der Besitzer dieses prächtigen Palastes am Rande des Forums die Steuer bereits zahlen, sicher hatte er aber noch keine Zeit, sich an diese neue Tatsache  zu gewöhnen, geschweige sich damit anzufreunden.

               Die längste Schlange in Pompei steht – ähnlich wie vor 1700 Jahren – vor dem Bordell. So viele Kunden, wie sich heute vor diesem Gebäude drängen, hätten die zwölf Mädchen, die dort arbeiteten, niemals befriedigen können. Lunapar wurde als eines der ersten Gebäuden in Pompei freigelegt, sogar mit den erotischen Malereien an Wänden.

Es hatte zwei Ausgänge, sicher eine praktische Maßnahme, sollte der Kunde von seiner eifersüchtigen Frau gesucht werden. Die Räume der Prostituierten waren allerdings klein mit Betten aus Stein, ein echter Luxus herrschte hier also nicht unbedingt. Was man von den Bildern auf den Wänden ablesen kann, ist die Tatsache, dass Römer Sex von hinten praktizierten. Die Missionärstellung musste noch auf den Sieg des Christentums warten, das in der Zeit des Vesuvausbruchs noch in den Windeln lag. In Pompei herrschte der Kult des Kaisers Augustus, der Priester seines Tempels weigerte sich den Tempel zu verlassen und starb hier unter der Vulkanasche in seinen Trümmern.          

               Die Thermen sind natürlich auch der Öffentlichkeit zugänglich. Öffentliches Bad gehörte unausweichlich zu jeder römischen Stadt, da Römer zu Hause keine Badezimmer hatten. Männer und Frauen badeten streng getrennt, zum männlichen Teil gehörten auch ein Turnplatz und natürlich auch ein Saal, wo man Geschäfte machen und über die Politik reden durfte. Interessant war die Tatsache, dass die Haken in den Umkleideräumen  – ähnlich wie in den heutigen Kindergärten – mit Zeichnungen und nicht mit Nummern gekennzeichnet waren. Die Römer waren offensichtlich nicht stark in Mathematik, möglicherwiese auch im Lesen. Also offensichtlich keine Intelligenzbestien. Sie waren in erster Linie Krieger und bei einem Krieger wirkt die Bildung eher nachteilig.            

               In der Nähe des Forums sind auch Tempel und öffentliche Gebäuden wie die Basilika, die zu gerichtlichen Verfahren und zu Menschenversammlungen diente. Pompei ist ein Touristenmagnet, möglicherweise sogar ein viel zu großer. Wir waren hier außerhalb der touristischen Hauptsaison, standen früh auf und trotzdem durften wir den Zauber der menschenleeren Plätze nur ungefähr eine halbe Stunde genießen. Dann kamen die Busse und spuckten Hunderte Touristen aus. Das Forum wurde wie in den römischen Zeiten zur Zeit des Wahlkampfes mit Menschen überfüllt.

               Herculaneum wurde unter einem Schlamm- und Lavastrom begraben und dadurch sogar besser konserviert als Pompei, hier wurde sogar auch die ursprüngliche hölzerne Bausubstanz erhalten.

Das Pech ist, dass ein Großteil der antiken Stadt unter den modernen Siedlungen steht, sogar auch das Amphitheater. Herculaneum wurde auch deshalb nicht so „berühmt“ wie Pompei, weil die Mehrzahl der Bewohner es rechtzeitig verlassen konnte. Nur ungefähr 500 Menschen, die sich für die Flucht in den Hafen entschieden und dort vergeblich auf Schiffe warteten, die sie evakuieren sollten, sind umgekommen. Der Vorteil von Herculaneum liegt darin, dass hier nicht so große Menschenmengen liefen und man die Stadt in einer viel größeren Ruhe genießen durfte. Und zum Sehen ist hier auch einiges. Wir wurden von einem australischen neunzigjährigen Touristen fasziniert, der sich einen privaten Guide gemietet hat und sich alle Ruinen der Stadt zeigen und erklären ließ.

               Der schönste Palast aus den römischen Zeiten ist angeblich die „Villa oplontis“. Kein Wunder, es handelte sich um die Sommerresidenz der Popeia Sabina, der Gattin des Kaisers Nero. Sie war durch ihre Vorliebe für Luxus und Pracht bekannt. Die Villa befindet sich in der Stadt Torre Anunziata und weil es sich in dieser Stadt um das Hauptquartier der kampanischen Camorra befindet, ließen wir den Besuch aus. Nicht, dass wir Angst vor Camorra hätten, aber was wäre gewesen, wenn ich im Gewirr der italienischen Gässchen mit einem Ferrari eines Camorrabossen kollidiert wäre. Lieber nicht nachdenken! Für Mutigere als mich kann aber der Palast der römischen Kaiserin ein Anziehungspunkt sein.

               Wie das ganze Kampanien, das ich mit diesem Artikel verlassen würde.

Mikulov – Nikolsburg

               Diese Stadt ist ein echtes Juwel und ich glaube, dass sie eine der schönsten in Mähren ist, wenn nicht die überhaupt schönste. Wahrscheinlich auch eine der meistbesuchten, zumindest war sie mit Touristen überfüllt, die alle mögliche Sprachen gesprochen haben, neben Slowakisch und Polnisch, habe ich Englisch und auch ein bisschen Deutsch gehört, ich fürchte also, das die Schönheit von Mikulov (der deutsche Name dieser Stadt heißt Nikolsburg) bereits allgemein bekannt wurde. Eine Unmenge Hotels und Pensionen, die die Stadt im Überschuss besitzt, sind in der Sommersaison voll ausgelastet. Zahlreiche Restaurants und Vinotheken sind auch voll.

               Schade um die Raserei, aber die Stadt verdient das Interesse der Besucher.

               Mikulov ist seit dem frühen Mittelalter bekannt, der erste bekannte Besitzer war der Graf Wilhelm von Dürnholz. Er erhielt die Stadt im Jahr 1185 für seine Verdienste in der Schlacht bei Lodenice, wo sich das letzte Mal in der Geschichte in einem furchtbaren Gemetzel  mit 4000 Toten Tschechen von Böhmen den Landsleuten von Mähren gegenüber standen. Wo zwei gestritten haben, hat der dritte zu lachen gehabt, Mikulov erhielt ein Österreicher. Und so ging es auch weiter. Im Jahr 1249 schenkte der damalige tschechische Thronfolger Premysl Ottakar die Stadt Heinrich von Liechtenstein. Woher die Liechtensteiner stammen, ist für mich bereits seit Jahren ein Rätsel. Eine Familie dieses Namens hatte ihre Stammburg in Frauenburg nahe Unzmarkt in der Obersteiermark. Sie waren eine sehr bedeutende Familie, das Oberhaupt des Stammes, der bekannte Minnesänger  Ulrich von Liechtenstein, war im Jahr 1260 Sprecher des steierischen Adels – damals huldigten die steierischen Adeligen Premysl Ottakar als ihrem König, Herzog und Herrscher. Das Schenkungsjahr 1249 ist aber aus dieser Sicht suspekt. Es hat zwar eine bestimmte Logik, weil in diesem Jahr Premysl Ottakar die Erbin der österreichischen Ländern, Margarete von Babemberg, heiratete. Der Bräutigam war 19 Jahre alt, die Brau war über fünfzig, aber es ging um Besitz, nicht um die Liebe. Premysl ließ sich später von seiner Frau scheiden, als er richtig erkannte, dass er mit ihr keinen Thronfolger zeugen konnte.  Die Abstammung von Heinrich von Liechtenstein wird in der Umgebung von Mödling in Niederösterreich vermutet, vielleicht gab es also doch zwei Familien mit dem gleichen Namen, obwohl mir dieser Gedanke gar nicht gefällt. Die Liechtensteiner kamen also in Rahmen dieser Vermählung im Jahr 1249 zu ihrem Glück, neben Mikulov erhielten sie damals auch Feldberg (Valtice), das damals in Niederösterreich lag (an die Tschechoslowakei wurde Feldberg nur in Rahmen der Verträgen von Trianon im Jahr 1920 angeschlossen).

               Ehrlich gesagt, kümmerten sich die Liechtensteiner um Mikulov nicht gerade gut, das Zentrum ihres Interesses war in Feldberg. Mikulov hatte das ganze Mittelalter nur Palisaden aus Holz und die Stadt selbst war sehr klein – sie hat dem heutigen Stadtzentrum entsprochen. Als sie im 16. Jahrhundert endlich eine Steinmauer bekam, umgab diese eigentlich nur das Schloss, den Haupt- und den Kirchenplatz. Die Stadt hatte zwei Tore, das Obere Tor im oberen Teil des heutigen Kirchenplatzes, wohin man heute von der Straße Brnenska, Palavska und Ceska  kommen könnte und das Untere Tor am unteren Ende des heutigen Hauptplatzes.                     

               Die Liechtensteiner gingen mit ihrem Besitz und Finanzen nicht wirklich behutsam um und  häuften große Schulden an. Im Jahr 1560 verkauften sie Mikulov dem ungarischen Adelingen Laszlo Kerecsenyi und die glückliche Stunde für die Stadt schlug im Jahr 1572, als Adam von Dietrichstein die Stadt vom Kaiser Maximilian II. erhielt. Mit dieser Familie sollte die Geschichte der Stadt bis zum Jahr 1945 verbunden sein.     

               Die Dietrichsteiner waren eine alte Adelsfamilie, die ihre Beziehung zum kaiserlichen Hof sehr sorgsam zu pflegen wusste. Adams Vater Sigismund gelang ein Meisterstück. Der alternde Kaiser Maximilian I. betraute ihn mit diplomatischen Verhandlungen bezüglich der Verbindung der Habsburger mit Jagellonen, die damals tschechische und ungarische Könige waren. Sigismund gelang es, eine seltsame Hochzeit zu organisieren. Der Erbe des tschechischen und ungarischen Königsreiches Ludwig heiratete die habsburgische Prinzessin Maria. Ein größeres Problem war, wer die tschechische Prinzessin Anna heiraten sollte. Der alte Kaiser (alt für damalige Zeit, er hatte 56 Jahre auf dem Buckel) lehnte die Hand der dreizehnjährigen Braut mit den Worten „wenn man einen alten Mann loswerden will, gibt ihm eine junge Frau) ab. Sigismund vereinbarte dann die Vermählung mit einem der Enkelsöhne des Kaisers, allerdings war bei der Hochzeit noch nicht klar, mit welchem – sollte es Karl oder Ferdinand sein? Der Bräutigam wurde also vor dem Altar vom Kaiser persönlich vertreten und in der Hochzeiturkunde wurde eine leere Stelle belassen, wo der Name des Gatten später eingeschrieben wurde. Es war letztendlich Ferdinand und die Ehe war sehr glücklich. Es entsprossen ihr fünfzehn Kinder. Sigismund von Dietrichstein nutzte die Versammlung der gekrönten Köpfe, um all diese Honoration zu seiner eigenen Hochzeit mit Barbara von Rottal einzuladen. Diese berühmte Szene wurde in einem Bild verewigt, das man heutzutage in der Galerie in Mikulov sehen kann. Der Kaiser hat es natürlich nicht versäumt, den treuen Diener zu belohnen und machte ihn zum steierischen Hauptmann, dieses Amt besaß dann Sigismund bis zum Jahr 1533.

               Sigismunds Sohn Adam war gleich wie der Vater ein Diplomat, er verbrachte der Großteil seiner diplomatischen Tätigkeit als kaiserlicher Hofmeister in Madrid. Die Gattin des Kaisers Maximilian II. Marie traute nämlich ihrem Mann, der ungesunde Sympathie für den Protestantismus zeigte, nicht und sie erzwang, dass die zwei ältesten Söhne Rudolf und Ernst zur Erziehung nach Spanien geschickt worden sind und gerade Adam von Dietrichstein vor Ort auf sie aufpassen sollte. Gerade für diese Verdienste erhielt Adam im Jahr 1572, als er noch in Madrid weilte, Mikulov. Der Aufenthalt in Spanien sollte noch weitreichende Nachwirkungen zeigen. Dort wurden Adam nämlich sechs Kinder geboren und eines davon war Franz von Dietrichstein. Mit seiner Person ist Mikulov eng verbunden. Er bestimmte den heutigen Charakter der Stadt.

               Franz, geboren im Jahr 1570, war als der dritte Sohn von Adam für die kirchliche Laufbahn prädestiniert. Er studierte zuerst bei Jesuiten in Prag und danach in Rom. Ein kleiner, ansehnlicher und ungemein intelligenter Mann weckte Interesse bei Kardinal Aldobrandini, dem späteren Papst Klement VIII. Der größte Eindruck machte auf den jungen Mann der fanatische Filippo Neri, er lernte in Rom auch den Gründer des Ordens der Piaristen Joseph Calasanz kennen. Im Jahr 1599 wurde er im Alter von nur 29 Jahren zum Erzbischof von Olmütz ernannt, im gleichen Jahr wurde ihm eine Auszeichnung zugeteilt, als er nach Graz eingeladen wurde, um hier den Herzog Ferdinand (den späteren Kaiser Ferdinand II.) mit seiner Braut Anna von Bayern zu trauen. Ferdinands Mutter Maria traute nämlich keinem steierischen Priester und glaubte, sie wären alle mit dem Gift des Protestantismus angesteckt. Ein Erzbischof, geboren in Madrid und erzogen in Rom, war der einzige, zu dem sie genug Vertrauen hatte.   

               Unter der Herrschaft des mächtigen und reichen Herrn schlug für Mikulov seine Sternstunde. Dietrichstein lud in die Stadt italienische Architekten, die nicht nur das Schloss bauten, sondern die ganze Stadt wurde als eine ästhetische Ergänzung des Sitzes des Kardinals gebaut. Auch heute noch bildet sie also eine homogene Einheit, es gibt hier ein Phänomen der Durchsicht in die Landschaft und der gebogenen Straßen, die den Horizont verkürzen, ein typisches Phänomen des italienischen Manierismus, genannt „scorcio“, das sonst nirgends in Mähren oder Böhmen zu finden ist. Der Kardinal ließ auch das Kloster der Kapuziner mit der Kirche des heiligen Laurentius bauen, vor der Stadt dann das Kloster der Piaristen um die Kirche des heiligen Johannes der Täufers, eine Pilgerkapelle nach dem Muster der „Santa casa“ im italienischen Loreto. Das Schloss wurde mit Theater, Ballsaal und einem Garten auf einer Terrasse ergänzt. Der Garten wurde dann mit italienischen Bäumen und Büschen und Fontänen ergänzt, an die dann Lustgarten und Lustschlösschen angeschlossen wurden. Usw. usw.

               Zu diesem Wohlstand führte aber kein direkter Weg. In der Zeit des Aufstandes der tschechischen Stände war der Kardinal logischerweise auf der kaiserlichen Seite, er wurde aus dem Land verwiesen und seine Besitzungen wurden konfisziert. Im Jahr 1619 wurde Mikulov sogar von den Aufständischen unter der Führung von Ladislav Velen von Zierotin erobert. Nach der Schlacht auf dem Weißen Berg wendete sich aber der Blatt zugunsten des Kardinals.            

               Nicht umsonst schmückt die Büste des Kardinals nicht nur den Schlosshof, aber auch den Balkon in der Kirche des heiligen Wenzels. An der Mauer des Schlosses hängt eine große Gedenktafel. Persönlich ist mir der Kardinal nicht wirklich sympathisch. Er machte als ein treuer Diener des Kaisers eine riesige Karriere, er wurde sogar zum „Protector Germaniae“ – das war das höchste kirchliche Amt nördlich der Alpen – allerdings musste als einziger in der Geschichte von diesem Amt im Jahr 1636 zurücktreten und diese Demütigung hat er nicht überlebt. Im Jahr 1619 war er bereit, während des politischen Umsturzes in Brünn vor den Aufständischen auf dem Boden zu kriechen und ihnen Beine zu umarmen, weil sie ihm drohten, ihn schön „auf die tschechische Art“ aus dem Fenster zu schmeißen. Er versprach, dass er auf alle seine Ämter verzichten, das Land verlassen und selbst zu einem Pilger würde. Natürlich hat er keins seiner Versprechen eingelöst, nach dem Weißen Berg kehrte er zurück und setzte eine brutale Rekatholisierung  „seines Mährens“ fort. Obwohl er versuchte, das Land vor den größten Repressionen zu schützen, es lag ihm an der Prosperität des Landes, das er verwalten sollte. Für Mikulov war aber dieser Herr ein wahrer Segen.

               Dem Kardinal verdanken wir also das monumentale Schloss, gebaut im Stil des Manierismus, seit dieser Zeit aber mehrmals umgebaut, besonders nach einem Brand im Jahr 1719 und auch im Jahr 1945 brannte es bis auf die Grundmauern nieder. Ob es von den sich rückziehenden Deutschen oder von den siegenden Russen angezündet wurde, wird man wahrscheinlich niemals erfahren. Die Renovierungsarbeiten dauerten sehr lang, und weil ein Großteil des Inventar zugrunde gegangen war, orientiert sich die Ausstellung im Schloss in erster Linie an der Gallerie der Familie Dietrichstein, die durch eine Ausstellung über die Entwicklung des Lebensstils von der Gotik bis zum Biedermaier ergänzt wurde. Trotzdem zahlt sich der Besuch aus. Imposant ist die Bibliothek, die besonders Bücher aus dem Bestand des Gymnasiums der Piaristen besitzt. Auch diese Schule wurde vom Kardinal Franz gegründet. Er kannte persönlich den Gründer des Ordens Joseph Calasanz. Die Idee des Ordens musste ihm gefallen haben. Der Orden bot armen Burschen die Bildung, die sie sich sonst nicht leisten konnten. Sie bekamen sie – mit der entsprechenden ideologischen Ergänzung – also einer Hirnwäsche mit katholischem Glauben in der rigorosen Form. Trotzdem produzierte die Schule in Mikulov eine Reihe hervorragender Absolventen, der bekannteste von ihnen war wahrscheinlich der weltberühmte Anatom Johann Evangelist Purkyne. Seine Gedenktafel ist an der Mauer des ehemaligen Klosters in der Kirche des heiligen Johannes des Täufers zu lesen.

               Im Schloss kann man auch das Zimmer besuchen, in dem Napoleon nach der siegreichen Schlacht bei Austerlitz wohnte. Er wollte mit seinen geschlagenen Gegner den Frieden gerade in Mikulov schließen, aber eine Epidemie, die in seiner Armee plötzlich ausgebrochen ist, zwang ihn, die Stadt zu verlassen und der Frieden wurde dann im nahegelegenen Preßburg (Bratislava) unterschrieben. Mikulov behagte fremden Armeen nie wirklich. Im Jahr 1866 starben hier 200 Soldaten der siegreichen preußischen Armee an Cholera. Sie haben in Mikulov einen eigenen Friedhof – es handelte sich doch letztendlich um Protestanten.

               Der Kardinal gründete auch in der Kirche der Heiligen Anna am unteren Ende des Kirchenplatzes die Gruft der Familie Dietrichstein. Ursprünglich ließ er diese Kirche als eine Pilgerstätte bauen, wo die Pilger die schwarze loretanische Madonna verehrten. Die Kirche brannte aber im Jahr 1784 bis auf die Grundmauer ab, und dient seitdem nur als die Grabstätte der Familie. Die Führungen durch die Gruft dauern 40 Minuten, ohne Führung gibt es keine Besuchsmöglichkeit. Die Statue der Madonna wurde nach dem Brand in die Kirche des heiligen Wenzel gebracht, die jetzt, inklusiv ihres Turmes im Stil der Renaissance, rekonstruiert wurde. Der Blick auf die Kirche von der Pavlovskastraße mit dem Schloss im Hintergrund ist atemberaubend.

Die Gruft erhielt die Erbin der Familie Mercedes Dietrichstein vom Gericht als Besitz zugesprochen, die Gerichtprozesse über den Besitz der Familie sind damit aber noch lange nicht zu Ende.      

               Zu Ende sind auch die Spuren des Kardinals Franz noch nicht. Auf dem ehemaligen Tanzberg ließ er die Kapelle des heiligen Sebastians nach dem Vorbild der Kirche des heiligen Petrus im Vatikan sowie auch die Kapelle des Heiligen Grabes nach dem Vorbild aus Jerusalem errichten. Zu den Kapellen führt ein Kreuzweg mit 17 Stationen.  Man muss, zuerst durch Wald und dann auf einem Pfad im Kalkstein zweihundert Höhenmeter überwinden, um einen wunderschönen Blick über die Stadt zu genießen. Besonders bei Sonnenuntergang ist es ein unvergessliches Erlebnis. Den Tanzberg ließ der Kardinal natürlich umbenennen, jetzt heißt er der Heilige Berg. Von seinem Gipfel kann man Valtice und Breclav bis zu den Niederen Karpaten und weit bis nach Österreich sehen.

               Was nicht einmal der Kardinal beeinflussen konnte, war die Anwesenheit einer starken jüdischen Gemeinde in der Stadt. Seit dem Jahr 1420, als Juden drastisch vom Herzog Albrecht aus Wien vertrieben wurden (es wurden dabei um die 400 Menschen verbrannt), ließen sie sich in Mikulov nieder und bildeten hier die bedeutendste jüdische Gemeinde in Mähren. Hier hatte auch der Landesrabbi seinen Sitz, seit dem sechzehnten Jahrhundert tagte hier das jüdische Parlament. In den Jahren 1553 – 1573 hatte der berühmte Rabbi Löw das Amt des Landesrabbis inne. Derjenige, der später den Golem in Prag baute und nach dem sogar eine Straße in der Altstadt von Jerusalem benannt wurde. Seine mährische Karriere ist weniger bekannt, es erinnert an sie eine Ausstelllung in der Synagoge und eine Gedenktafel an der Zeremoniehalle des jüdischen Friedhofes.

Dieser ist riesig, er nimmt eine zwei Hektar große Fläche ein und es gibt hier Hunderte Grabsteine, besonders die der bedeutenden Rabbiner, der Mitglieder der Unternehmerfamilie Teltscher oder der Eltern von Sir Frank Lampl, des Generaldirektors der britischen Firma Bovis, einer der größten Bauunternehmens auf der Welt.  Nach einer Volkszählung lebten im Jahr 1836 3520 Juden in Mikulov, was 42% der Stadtbevölkerung war.  Ein Anfang vom Ende war der Bau der Eisenbahn, die von Brünn über Breclav nach Wien führte, die aber Mikulov abseits liegen ließ. Und dann kamen die Nazis. Mit ihnen hat sich der letzte Dietrichstein namens Alexander kompromittiert. Er war zwar kein Mitglied der NSDAP, dafür aber der Sudetendeutschenpartei und fühlte sich immer als Deutscher. Er floh gleich noch im Jahre 1945 nach Argentinien, angeblich aus der Liebe zu seiner Auserwählten, die dort lebte, seine Flucht weckte aber natürlich den Verdacht, dass er etwas zu befürchten hatte. Der Besitz der Familie Dietrichstein wurde aufgrund der Benesdekrete konfisziert und die Erbin der Familie, Mercedes Dietrichstein, wie ich schon geschrieben habe, kämpft jetzt um den Besitz mit der Tschechischen Republik vor Gericht. An die Juden erinnert neben dem Friedhof und der  Synagoge eine Menge wertvoller historischen Andenken. Es gibt hier eine Ausstellung „Rabbi Löw und das jüdische Bildwesen in Mähren“ und das jüdische Bad – Mikva.

               Einen schönen Blick gibt es von „Kozi Hradek“. Der Trum gehörte einmal zur Stadtbefestigung, seit dem sechzehnten Jahrhundert auch mit einer Kanonenbatterie, aber aufpassen! Geöffnet für die Besucher ist der Turm nur, wenn dort eine Fahne weht. Also bevor Sie zum steilen Berg aufbrechen, schauen Sie gut hin!                        

In der Nähe der Stadt liegt das Gebirge Palava, eine Tropfsteinhöhle „Na Turoldu“, Archeopark in Pavlov mit einem Museum der Mammutenjäger, im nahen Dorf Kletnice dann Cafe Farad, wo jedes Zimmer eine andere Farbe und einen anderen Duft von Lavendel bis zu Marillen hat, man kann wählen, worauf gerade Lust hat.

Übrigens in Mikulov und seiner Umgebung wurden sogar zwei österreichische Präsidenten geboren. Direkt in der Stadt im Jahr 1890 Adolf Schärf und bereits im Jahr 1870 in nahem Untertamowitz (Dolni Vestonice) Karl Renner.

               Mikulov hat viel zu bieten. Aus dem modernen Angebot gibt es hier die herrliche Galerie „Zavodny“ oder die Statue des „Hängenden“ auf dem Hauptplatz von David Černý, eine Reihe guter Restaurante und Pensionen. Ich kann das Hotel Tempel in der Husstrasse nennen, wo österreichische Gäste, die ich hingeführt habe, nicht genug von den Köstlichkeiten bekommen konnten und der Hasenrücken, den ich dort gegessen habe, war absolut fantastisch. Sollten Sie Lust auf koscheres Essen haben, finden Sie in der Husstrasse ein jüdisches Restaurant Tanzberg. Aber es gibt hier das Restaurant Aquarium in der Pavlovskastrasse, eine Menge Vinotheken und wenn Sie wirklich einen märchenhaften Platz kennenlernen möchten, dann fahren Sie nach Valtice und dann weiter in Richtung Katzelsdorf. Einen halben Kilometer vor der österreichischen Grenze steht auf einem kleinen Hügel das Weingut Obelisk. Ein modernes Gebäude mit faszinierendem Blick auf Valtice und Mikulov am Horizont, wo die Sonne untergeht. Besseres Ambiente für Promotionen, Hochzeiten oder andere Veranstaltungen gibt es gar nicht. Inklusiv eines hilfsbereiten und zuvorkommendes Personals.

Ungefähr zehn Kilometer von Mikulov nach Norden am Ufer des Stausees gibt es die Therme in Musov. Das nur für den Fall, dass das Wetter nicht mitspielen sollte.             

   Haben Sie Lust auf einen Besuch im Mikulov bekommen? Weit ist es nicht, nur 1 Kilometer hinter der österreichischen Grenze, zehn Kilometer von Poysdorf entfernt. In diesem Fall aber beeilen Sie sich mit der Reservierung, die Stadt ist in der Hochsaison hoffnungslos ausgebucht.     

Stille Nacht – ein 200 Jahre altes Kultlied

Weyhnachts-Lied.
Stille Nacht! Heil’ge Nacht!
Alles schläft. Einsam wacht,
Nur das traute heilige Paar,
Holder Knab’ im lockigten Haar;
Schlafe in himlischer Ruh!
Schlafe in himmlischer Ruh!
Stille Nacht, heilige Nacht!
Alles schläft, einsam wacht
Nur das traute, hochheilige Paar.
Holder Knabe im lockigen Haar,
Schlaf in himmlischer Ruh,
Schlaf in himmlischer Ruh.
Stille Nacht! Heil’ge Nacht!
Gottes Sohn! O! wie lacht
Lieb’ aus Deinem göttlichen Mund,
Da uns schlägt die rettende Stund;
Jesus! in Deiner Geburth!
Jesus in Deiner Geburth!
Stille Nacht, heilige Nacht!
Gottes Sohn, o wie lacht
Lieb aus deinem göttlichen Mund,
Da uns schlägt die rettende Stund,
Christ, in deiner Geburt,
Christ, in deiner Geburt.
Stille Nacht! Heil’ge Nacht!
Die der Welt Heil gebracht,
Aus des Himmels goldenen Höh’n,
Uns der Gnade Fülle läßt seh’n
Jesum in Menschengestalt!
Jesum in Menschen-Gestalt!
Stille Nacht! Heil’ge Nacht!
Wo sich heut alle Macht
Väterlicher Liebe ergoß,
Und als Bruder Huldvoll umschloß
Jesus die Völker der Welt!
Jesus die Völker der Welt!

 

Wir alle kennen den Text, egal ob wir regelmäßig die Kirche besuchen, oder nur selten her kommen, oder sie vielleicht sogar vermeiden. Eines der berühmtesten Lieder der Menschengeschichte hat gestern ein 200-jähriges Jubiläum seines Entstehens gefeiert.

Dass dieses wunderschöne Lied aus Salzburg stammt, hat eine gewisse Logik. Salzburg war bis 1803 ein unabhängiges kirchliches Territorium, der Erzbischof war gleichzeitig ein Reichsfürst, der seit dem westfälischen Frieden nur dem Kaiser direkt unterstellt war. Die Erzbischöfe von Salzburg waren schon immer Herrschaften, die die Schönheit liebten. Sie haben viele schöne Schlösser um die Stadt gebaut. Alleine  ihretwegen  lohnt sich ein Besuch in Salzburg. Die Musik war vor allem in der Zeit des Barocks ein untrennbarer  Teil des repräsentativen Lebensstils. Der letzte Reichsfürst, der Erzbischof von Salzburg mit dem herrlichen Namen Jerome Franz Joseph de Paul, Graf Colloredo von Waldsee und Mels, stellt den Höhepunkt dieser Entwicklung dar. Er war ein äußerst gebildeter Mann und war für seine Zeit, und besonders für sein Amt, sehr weltoffen. Er sprach fließend deutsch, französisch, italienisch und sogar tschechisch! Er gehörte dem Orden der Illuminaten an (ich erinnere an Dan Browns Roman, der die Illuminati fast zu Terroristen machte. Aber die Illuminati versuchten nur, die Kirche durch Bildung zu reformieren) und er war ein großer Liebhaber der Musik. Er war selbst ein begeisterter  Geiger und erkannte unmittelbar nach seiner Amtsübernahme 1772 das Genie des damals jungen Wolfgang Amadeus Mozart und beauftragte ihn mit der Leitung seines Orchesters, der junge Mozart wurde also sein Konzertmeister. Mozart wurde im Jahr 1756 geboren und starb 1791, er war also kein österreichischer Bürger. Salzburg wurde erst im Jahr 1815 Teil von Österreich, der aufgeklärte Bischof hat seinen genialen Komponisten an Kaiser Joseph I. also nur geborgt.

Mit dem Ende des achtzehnten Jahrhunderts und dem Ausbruch der napoleonischen Kriege kam jedoch für das Salzburger Land eine schwere Zeit. Dreimal hintereinander, in den Jahren 1800, 1805 und 1809, wurde Salzburg von französischen Truppen überrannt und geplündert. 1803 gründete Napoleon aus dem Erzbistum Salzburg ein säkularisiertes Herzogtum, der Musikliebhaber Colloredo musste sein Amt des  Reichsfürsten aufgeben und starb 1812 in Wien. 1805 wurden Salzburg und die Abtei Berchtesgaden an Österreich angeschlossen. 1810 wieder, nach der österreichischen Niederlage bei Wagram, an das Napoleon treue Bayern zurück übergeben. Auf dem Wiener Kongress nach der Niederlage Napoleons wurden die Karten neu gemischt. Salzburg wurde zum Opfer der großen Politik und wurde zwischen Österreich und Bayern aufgeteilt. Die endgültigen Grenzen wurden durch den Vertrag von München vom 14. April 1816 festgelegt. Die Gemeinde Laufen, die eine wichtige Rolle in unserer Erzählung spielen wird, wurde in zwei Teile getrennt: das linke Salzbachufer mit allen wichtigen Kirchen fiel an Bayern. Der rechte Teil, genannt Oberndorf, wurde Österreich zugesprochen und damit auch die einzige übriggebliebene Kirche  – St.Nikola. Und genau hier erklangen am 24. Dezember 1818 die Töne dieses berühmten Liedes.

Die Lebensschicksale der beiden Autoren dieses Liedes sind ebenfalls sehr bewegt. Durch ihre künstlerischen Eigenschaften, die mit einem bestimmten Lebenschaos verbunden waren, wurden sie vorbestimmt, sich in die Kunstgeschichte der Welt gemeinsam einzuschreiben, wenn auch nur mit einem einzigen Lied.

Der Textautor Josef Mohr, geboren 1792, war ein katholischer Priester. Er erhielt im Jahr 1815 seine Priesterweihe in Salzburg und wurde dann zu seinem ersten Arbeitsplatz gesandt, nach Mariapfarr im Lungau. Lungau war ein bergiges und sehr armes Gebiet des Landes, das vom Bergbau lebte und gerade in diesem Jahr von Bayern nach Österreich zurück übergeben wurde. Gerade hier, in Mariapfarr, schrieb Josef Mohr sein Lied. Vergebens suchte er hier aber nach einem Komponisten, der eine Melodie für seinen Text kreieren würde. Aus diesem Grund ist in Mariapfarr eines der zahlreichen Museen von “Stille Nacht”.

Den Komponisten fand Mohr, nachdem er nach Oberndorf übersiedelt war, in der Person von Franz Xaver Gruber. Dieser junge Mann schlug sich mehr schlecht als recht durch das Leben. Er war nämlich ein Hilfslehrer. Und wie Kaiser Franz Joseph in seinem Gesetz schrieb: “Ein verantwortungsvoller und anspruchsvoller Beruf eines Lehrers wird nur im Himmel belohnt.” Der liebe Hilfslehrer Gruber war arm wie eine Kirchenmaus. Im Jahr 1807 bekam er eine Lehrstelle in  Arnsdorf und um zumindest die Wohnung des Messners der Kirche Maria in Möstl benutzen zu dürfen und ein Dach über den Kopf zu haben, heiratete er eine bereits zweifache Witwe, Elizabeth Fischinger, mit der er zwei Kinder hatte. In den Jahren 1816 – 1829 arbeitete er aus finanziellen Gründen auch als Orgelspieler in St. Nikola im nahen Oberndorf, wo ihn der örtliche Pfarrer Mohr ansprach. Gruber brauchte angeblich für das Schreiben der Melodie nur einen Nachmittag. Und so konnte das Lied bereits am 24.Dezember 1818 nach der Weihnachtsmette in der St.Nikola-Kirche, zum ersten Mal gespielt werden.

Es wurde nicht während der Mette gesungen, sondern nach der Christmette, diese Tradition wird bis heute eingehalten. Außerdem wurde es nicht für Orgel, sondern für die Gitarre komponiert, was für die damalige Zeit sehr ungewöhnlich war. Die Gitarre wurde als Musikinstrument der Landwirte betrachtet und gehörte nicht in die Kirche. Aber auch diese Tatsache hatte einen Grund. Die Orgel in der St.Nikola-Kirche funktionierte einfach nicht. Das Gerücht, dass eine hungrige Kirchenmaus daran schuld sei (die Aussage “Arme wie eine Kirchenmaus” ist bekannt und der Vergleich mit Gruber wäre sehr passend)  stimmt allerdings nicht. Erst 1819 wurde Meister Carl Mauracher von Zillertal gerufen, der sich für den Bau einer neuen Orgel entschied. Diese wurde im Jahr 1825 fertiggestellt. Franz Gruber konnte sie also noch spielen, er war Orgelspieler  in Oberndorf bis 1829. Interessanterweise spielte in dieser denkwürdigen Nacht, am 24. Dezember 1818, Mohr die Gitarre und nicht Gruber, beide sangen aber. Das Lied wurde für zwei Solo-Tenöre und einen Chor komponiert.

Die beiden Herren schienen sich also sehr gut zu ergänzen, sie mussten seelenverwandt sein und das Ergebnis war die erstaunliche Melodie, die gemeinsam mit dem rührenden Text unsere Weihnachtsfeiertage seit zweihundert Jahren verschönert.

Vielleicht erklärt diese Seelenverwandtschaft auch weitere Schicksale beider Autoren. Mohr hat sich in Oberndorf nicht lange Zeit aufgehalten. Sein Vorgesetzter der Presbyter Georg Heinrich Joseph Nöstler beklagte sich über ihn, dass er faul sei, keinen Bezug zu den Messen und zu bei den Krankenbesuchen hätte und dass er mit weiblichem Geschlecht scherzte!!! Außerdem soll er nichtreligiöse Lieder gesungen haben. Mohr war einfach viel mehr ein junger Mann als ein Priester. Das Schicksal führte ihn durch viele andere Standorte, er war Priester in Kuchl, Golling, Vigaun, Authering, Eugendorf, Hof und Hintersee. Hier hatte er sogar ein großes Problem. Arme Menschen in diesem abgelegenen Dorf mit 267 Seelen haben gewildert, was verboten war. Mohr kaufte das Fleisch von den Wilderern ab, und dafür sollte er das Geld aus den Mettenspenden genutzt haben. Als er angezeigt wurde, musste er das Dorf verlassen und war ab 1837 Vikar in Wagrain. Hier fand er endlich seine Ruhe, und übte sein Amt verantwortungsvoll aus, obwohl er sich mit den örtlichen Bauern gegenseitlich nicht wirklich mochte und er mehrmals um eine Versetzung angesucht hat. Im Jahr 1838 gründete er in Wagrain sogar eine Schule, die bis heute seinen Namen trägt.

1848 starb er und wurde in Wagrain begraben. Er liegt immer noch hier, aber nicht sein ganzer Leichnam. Es fehlt nämlich der Schädel. Mohr war das ganze Leben ein wenig eigenartig und ließ sich niemals porträtieren. Als der Priester und Bildhauer Joseph Mühlbacher im Jahr 1912 feststellte, dass es kein einziges Porträt des berühmten Lyrikers gab, exhumierte er den Kopf und versuchte, sein Antlitz anhand des Schädels zu rekonstruieren! Der Kopf wurde danach nicht in das Grab in Wagrain zurückgegeben, sondern in Oberndorf in die Wand der neu erbauten “Stille-Nacht-Kapelle”, die 1936 geweiht wurde, eingemauert. Die ursprüngliche Kirche St. Nikola wurde nämlich nach einem schweren Schaden durch ein Hochwasser abgerissen.

Franz Josef Gruber lebte in Arnsdorf, nach dem Tod seiner ersten Frau Elisabeth heiratete er im Jahr 1826 seine ehemalige Schülerin Maria Breitfuß, mit der er zehn Kinder hatte. 1833 fand er in der Stadt Hallein eine Anstellung als Chordirigent der Stadtpfarrkirche. Nachdem er 1842 zum dritten Mal, Catherine Rieser heiratete, lebte er hier bis 1863 als relativ wohlhabender und angesehener Bürger. Das Grab findet man neben der Pfarrkirche. Es ist leicht zu finden, da es hier das einzige Grab nach Aufhebung des Friedhofes geblieben ist.

Für uns war es ein Glück, das Franz Gruber so lange lebte (damals waren 76 Jahre ein gesegnetes Alter). Beide Autoren des Liedes gerieten nämlich in Vergessenheit und niemand wusste, wie das berühmte Lied entstand. 1854 stellte die königliche Hofkapelle aus Berlin eine Frage an die Erzabtei St. Peter in Salzburg, ob der Autor des Liedes Michael Haydn sei (der Bruder des berühmten Joseph Haydn). Dieser Komponist lebte nämlich zwischen 1737 und 1806 auch in Salzburg. Die Frage wurde an Haydns Sohn Felix übermittelt, einen Musiker im Dienste der Erzabtei. Er sandte den Brief weiter an Franz Gruber nach Hallein. Dieser schrieb dann “Die vollständige und wahre Geschichte über die Entstehung des Liedes Stille Nacht ” nieder.

Dank dieses Textes wissen wir, wo und wie das Lied entstanden ist. Mittlerweile gibt es Museen in Mariapfarr, Hallein, Oberndorf und Wagrein und die Gräber beider Autoren wurden zu echten Pilgerstätten. Es entstand der Spielfilm “Das ewige Lied” mit Tobias Moretti in der Hauptrolle. Er spielte die Rolle von Joseph Mohr. Franz Gruber wurde vom deutschen Schauspieler Heino von Stetten dargestellt.

Österreich hat dieses Ereignis nicht vergessen und begeht dieses Fest unter anderem  auch mit einer 20-Euro-Gedenkmünze.

Das Lied lebt durch sein eigenes Leben weiter.

Neapel


 

Wahrscheinlich kennt jeder Mensch den Spruch „Neapel sehen und sterben“. Weil er uns auch bekannt war und wir hatten noch nicht vor zu sterben, bevor wir die Stadt unter Vesuv gesehen haben, entschlossen wir uns, mit dem Zug nach Neapel zu fahren. Wir ließen unseren Lancia vor dem Hotel eingeparkt und verlangten nach dem Zugfahrplan zwischen Salerno und Neapel. Dabei realisierte ich das erste Mal, dass es nicht so einfach sein würde. Die Züge fahren zwischen diesen zwei Städten jede Stunde, das Ticket kostet ein wenig über 4 Euro, also auf den ersten Blick schaut alles unkompliziert aus. Auf den zweiten Blick merkt man aber, dass es bei der Mehrzahl der Züge einen Preiszuschlag gibt – zwischen 5 und 19 Euro. In einen solchen Zug wollten wir keinesfalls einsteigen, da ich mir vorstellen konnte, dass für den Kauf eines solchen  Zuschlages im Zug einen weiteren Zuschlag oder eventuell eine saftige Strafe zu bezahlen wäre, weil man unberechtigt in einen solchen Zug eingestiegen war. Und wie soll ich das dem Schaffner mit meinem gebrochenen Italienisch erklären?

Probleme sind aber dazu da, um gelöst zu werden. Ich schrieb alle Züge, die ohne Zuschlag geführt worden sind, nieder, kaufte ein Rückfahrtticket und wir brachen auf.

Neapel ist unglaublich. Es ist ein Nest, in dem ungefähr 2,5 Millionen Menschen leben, eine absolute Mehrheit davon ist sehr arm. Nach einer Statistik aus dem Jahr 2009 gab es in Kampanien ein durchschnittliches Einkommen 10 000 Euro pro Familie und Jahr. Wie viel Einwohner Neapel wirklich hat, weiß keiner. Bei der letzten Volkszählung gaben alle Kommissare auf und legten in der Verzweiflung ihre Mandate nieder. Man konnte für sie keinen Ersatz finden und die Volkszählung in Neapel blieb also unvollendet. Kein Wunder. Die Neapolitaner wollten nicht gezählt werden und ließen sich nicht dazu zwingen.

Die sizilianische Mafia ist nämlich in Vergleich zu neapolitanischen Camorra eine harmlose Erscheinung. Camorra hat die Macht in der gesamten Region fest in der Hand, schon deshalb, da sie neben dem italienischen Staat der einzige Arbeitsgeber ist. Bei einer Jugendarbeitslosigkeit über 50% gibt es für jemanden, der keinen Job als Polizist, Beamter, Lehrer oder Arzt ergattern konnte, die einzige Möglichkeit, zu einem Paten zu gehen und dort gegen einen Treuschwur einen Job zu bekommen. 70% der Firmen, Betriebe und Geschäfte zahlen Schutzgeld (pfui, natürlich kein Schutzgeld, dass ist heutzutage nicht mehr „in“, man zahlt eine Versicherung, natürlich bei der richtigen Gesellschaft. Sie ist zwar sehr teuer, aber bringt die Sicherheit, dass Ihr Geschäft nicht ausgebrannt wird.)

Ein Tourist erkennt natürlich nichts davon, zumindest haben wir nichts erkannt. Während des ganzen Aufenthaltes fühlten wir uns nicht bedroht und niemand hat es versucht, uns zu bestehlen. Wir betraten die Stadt an der „Statione centrale“ auf der „Piazza Garibaldi“. Garibaldi gibt es in jeder italienischen Stadt, es ist einfach ein Pflichtprogramm nach ihm etwas zu benennen und ihm eine Statue zu errichten. In Neapel hat es aber eine eigene Poesie. Garibaldi brachte der Stadt nämlich ihren Untergang. Als nämlich der sardinische Ministerpräsident Cavour nicht mehr wusste, was er mit dem unsteuerbaren Giuseppe tun sollte, schickte er ihn mit seinen 1000 „Rothemden“ nach Süden, um für den König das Königreich der beiden Sizilien zu erobern. Er hoffte, dass der liebe Giuseppe dort von den Bourbonen erschossen wird und er – also Cavour – selbst endlich Ruhe haben würde. Eine fatale  Fehleinschätzung. Garibaldi schaffte es, die Armee der Bourbonen auf Sizilien zu besiegen und der italienische Süden wurde wirklich dem Königreich einverleibt. Das war der Anfang vom Ende der einmal prächtigen, mächtigen und glorreichen Stadt Neapel. Aus der Hauptstadt wurde eine Provinzstadt, der Adel zog aus und verließ seine prächtigen Paläste auf der „Via tribunali“, die begannen zu verfallen und die erwarteten Investitionen der norditalienischen Unternehmern ließen auf sich warten. Neapel wurde arm und die Macht hat die Camorra übernommen. Trotzdem wird auch hier Garibaldi gefeiert. Fragen Sie mich nicht warum, es ist in Italien – wie bereits gesagt – einfach ein Pflichtprogramm.

Den ersten Kaffee, einen exzellenten Espresso um 90 Cent tranken wir bei der „Porta Capuana“. Das war einmal das wichtigste Stadttor, weil von hier der Weg nach Capua und von dort dann nach Norden in Richtung Rom führte. Gleich hinter dem Tor gibt es den ehemaligen königlichen Palast der Normannen und Staufen – „Castello Capuano“. Hier hatten Kaiser Heinrich VI.  oder Friedrich II. ihren Sitz, wenn sie sich in der Stadt aufhielten – beide taten das nicht besonders gerne. Neapel war im Jahr 1191 der wahre Stolperstein für Heinrich VI. auf seinem Weg zur Beherrschung des süditalienischen normannischen Königreiches, auf das er als der Gatte der Königserbin Konstanze Anspruch erhob. Er konnte die Stadt nicht einnehmen. Er starb beinahe an Durchfall, an dem er während der Belagerung erkrankt war, der tschechische Fürst Konrad Otto, der ihn mit tschechischen Soldaten begleitet hat, hatte weniger Glück und starb wirklich. Heute gibt es in diesem Palast das höchste neapolitanische Gericht, also dieses Gebäude wird auch heutzutage ausreichend genutzt. Die Richter werden in Kampanien von Arbeitslosigkeit sicher nicht bedroht.

Dann  betraten wir die Altstadt auf der „Via tribunali“ und meine Frau erlitt einen Kulturschock, von dem sie sich nicht mehr erholen sollte. Diese Straße war einmal tatsächlich eine Luxusstraße, die zwischen Palästen der Hofleute, Adeligen und Bankier verlief, die in der Nähe des Königshofes beiwohnten. Aber, wie ich bereits erwähnte, sie verließen Neapel und aus ihren Palästen wurden Ruinen, die später zu Wohnhäusern umgebaut wurden. Allerdings sind die Wohnungen im Stadtzentrum nicht gerade verlockend, ich kann mir nicht vorstellen, dass es dort eine Toilette für jede Wohnung gäbe. Also wohnen hier nicht gerade die Reichen und sie sind es, die auch enge Gässchen um die „Via tribunali“ bewohnen, die noch enger und schmutziger sind als die „Via tribunali“ selbst. Einen anderen Weg zum Dom, zur Kirche St Lorenzo Maggiore und zum Kloster der heiligen Klara gibt es aber nicht. Und die muss man einfach besucht haben.

Der „Duomo“ von Neapel ist atemberaubend. Von außen ein monumentales Gebäude im gotischen Stil – gebaut von den französischen Anjous, die die Staufen auf dem neapolitanischen Thron im Jahr 1266 abgelöst hatten. Im Inneren ist es eine unglaubliche Stilmischung, gleich chaotisch wie Neapel selbst. Karl von Anjou ließ nämlich zwei Kirchen, die an dieser Stelle standen, nicht abreißen, sondern er inkorporierte sie in den neuen Bau. Damit hat er offensichtlich dem italienischen Unmut etwas niederzureißen Tribut gezollt. Das Hauptschiff ist also zwar gotisch, aber mit einer flachen romanischen Decke. Die Nebenkirche im frühromanischen Stil  bewahrt eine Taufkapelle aus dem vierten Jahrhundert mit typischen römischen Mosaiken. Die Kapelle des heiligen Gennaro auf der anderen Seite ist wieder einmal das prächtigste Barock – sie muss so prächtig sein, weil hier nämlich die wertvollste neapolitanische Reliquie aufbewahrt wird – das Blut des heiligen Gennaro.  Als dieser Heilige geköpft worden ist, hat eine Frau sein Blut in einer Flasche aufgefangen. Dieses Blut wird einmal pro Jahr immer wieder flüssig, was der Anlass zu einer großen begeisterten Feier in der ganzen Stadt ist. Und Neapolitaner lieben Feste!

In der Kirche St. Lorenzo Maggiore, diesmal rein gotisch, erlebten wir ein Begräbnis auf neapolitanische Art. Die Trauergäste jammerten zwar so intensiv, dass wir sie auch sechs Meter unter der Erde hören konnten – wo die Ausgrabungen aus den griechischen Zeiten der Neá pólis sind.  Als wir aber wieder in die Sonne traten, wurde bereits Gitarre gespielt und es war wieder fröhlich und lustig. Die Toten müssen schnell vergessen werden, man lebt für die Gegenwart. Es wird intensiv aber nur sehr kurz getrauert.

Neapel ist sehr schön, genauer gesagt, hat seine schönen Facetten. Besonders von Vomero aus gesehen, einem Hügel hoch über die Altstadt, wohin man mit der „funiculare“, also einer Seilbahn, fahren kann. Diese gehört zum System der Stadtverkehrslinien und ein Ticket für Metro oder Straßenbahn ist hier ebenso gültig. Von der Nähe, bei den Bergen der Abfälle auf den Straßen, ist der Eindruck der Schönheit  nicht mehr so berühmt.

Als hier im siebenten Jahrhundert v.Ch die ersten Siedler aus der griechischen Stadt Cumae ankamen, gab es hier noch keine Abfälle. Sie ließen sich auf der Insel vor der Küste nieder, wo heute die Festung Castello dell´ Ovo steht und entschieden sich, in dieser günstigen Lage eine neue Stadt zu gründen. Weil es hier bereits eine Stadt namens „Pathenope“ gab, gaben sie der neuen Siedlung einen ein bisschen fantasielosen Namen Neustadt, also „Neá pólis“, und so blieb es bis heute. Ich weiß nicht, wie den Siedlern der Berg über die Stadt gefallen hat. Sie nannten ihn „Monte Somma“ und dieser Berg überraschte alle, als er im Jahr 79 n.Ch plötzlich explodierte. Er zeigte damit den nichtsahnenden Bewohnern, dass es sich um einen aktiven Vulkan handelte, der achthundert Jahre geschlafen hatte, und nach diesem großartigen Feuerwerk brach er in sich zusammen. Der heutige Vesuv wuchs in seine derzeitige Form bei weiteren 13 Explosionen, die letzte fand im Jahr 1944 statt. Von Vomero ist der Blick auf den Vesuv in Hintergrund der Stadt mit vielen Häuschen, die auf seinen Hängen (natürlich unerlaubt) stehen, echt imposant.

Unter Vomero fanden wir eine Einkaufsgallerie Umberto I., die es vergeblich versucht, der Gallerie Vittorio Emanuelle in Mailand das Wasser zu reichen. Es fehlen hier doch die Marken wie Prada oder Versace etc.

Was aber Neapel wirklich im Überfluss hat, sind königliche Paläste. Jede der herrschenden Dynastien baute einen eigenen Palast und einer ist monumentaler als der andere. Neben dem bereits erwähnten „Castello Capuano“ ist das vor allem das „Castello Nuovo“ nahe dem Hafen, das Karl von Anjou zu einer uneinnehmbaren Festung ausbauen ließ. Er hatte seine schlechten Erfahrungen aus Sizilien. Dort haben die Sizilianer am 30.März 1282 in wenigen Stunden einige Tausende Franzosen ermordet (sizilianische Vesper) und der König rettete sich selbst nur knapp im Palast in Cefalú, von wo es ihm gelungen ist, auf das italienische Festland zu flüchten. Seitdem traute er seinen Untertannen nicht mehr und wusste, dass er sich vor ihnen am besten hinter mächtigen unüberwindbaren Mauern schützen konnte und das am besten in der Nähe vom Hafen, wo immer ein schnelles Schiff bereitgestellt werden sollte. „Castello Nuovo“ ist ein gigantischer Bau, der jeden von einem Versuch ihn anzugreifen, abbringen musste. Immerhin wurde aber in diesen Mauern im Jahr 1451 der zukünftige Kaiser Maximilian I. gezeugt. Sein Vater Friedrich III., im zarten Alter von 36 Jahren immer noch jungfräulich, weigerte sich nämlich hartnäckig mit seiner Frau, der wunderschönen fünfzehnjährigen portugiesischen Prinzessin Eleonore, zu schlafen. Deshalb wurde er von ihrer Verwandtschaft von Rom nach Neapel verschleppt, um hier die Ehe vollzuziehen.  Als es die erste Nacht nicht geklappt hat und der Kaiser behauptete, das Bett wäre verhext, musste ein Priester mit Weihwasser her. In der nächsten Nacht wurde die Ehe doch vollzogen und der Thronfolger gezeugt.  Vielleicht war aber nur die düstere Atmosphäre im dunklen Palst an der Enttäuschung der schönen Eleonore schuld.

Die Bourbonen, die nach dem Krieg um die spanische Erbschaft nach Neapel kamen, wollten in diesem düsteren Palast nicht einmal wohnen. Deshalb bauten sie den „Palazzo Reale“ und weil ihnen auch dieser monumentale Palast nicht genug war, bauten sie in den Bergen hinter Capua in Caserta noch ihres eigenes Versailles. (Nicht umsonst war der erste bourbonische König Karl der Enkelsohn des Sonnenkönigs Ludwig XIV.) Für die Innenausstattung der Paläste blieb dann aber nicht  mehr so viel Geld und Zeit.

Nein, in einem Tag in Neapel kann man nicht viel erledigen. Die Festungen,  Paläste und Museen sowie auch das unterirdische Neapel (Napoli sottaranea) mit 80 Kilometer langen Gängen, Höhlen und Brunnen, die bis 5000 Jahre alt sind und eine echte „Stadt unter der Stadt“ bilden, das  alles verlangt nach einem viel längeren Aufenthalt. Ich konnte also nicht einmal den „Palazzo del´ Ovo“ besuchen. In Mauern dieses Palastes versteckte einmal Vergilius ein Ei in einer Flasche und Metallschale. Das Ei wurde nie gefunden und wird auch nicht gesucht, weil einer Legende nach die Stadt Neapel so lange bestehen würde, so lange das Ei in der Mauer bleibt. Hier wurde der letzte Staufer Konradin bis zu seiner Hinrichtung festgehalten. Auch für das „Museo Archeologico Nationale“ mit Ausgrabungen aus Pompei und Herculaneum blieb keine Zeit übrig. Ich konnte auch das „Museo nationale di San Martino“, das Aquarium, die Kirche Santa Anna dei Lombardi oder die Kirche „San Giovanni a Carbonara“, wo ein monumentales Grabmal des neapolitanisches Königs Ladislaus steht, eines hartnäckigen Gegners des Kaisers Sigismund von Luxemburg und der Päpste, nicht besuchen. Ich besuchte nicht einmal die „Piazza Mercato“, wo Karl von Anjou im Jahr 1268 trotz vieler internationaler Proteste  Konradin hinrichten ließ.

Das alles hätte ich natürlich gerne gesehen, aber es war notwendig, zum Zug zu eilen. Der unsere hatte nämlich 18:18 Abfahrt,  er hatte die Nummer 3387 und seine Endstation war Battaglie. Das alles habe ich notiert, um sicher nach Hause (also nach Salerno) zu kommen. Als wir den Bahnhof betraten, wurde der Zug noch nicht einmal ausgeschrieben. Es war zehn vor sechs, als ich meine Frau, die sich noch immer unter einem kulturellen Schock litt und am Ende ihrer Kräfte war, zu keinem weiteren Spaziergang durch die Stadt überreden konnte. Ein bisschen überraschend (weil es 17:50 war) war ein Zug nach Salerno mit Abfahrt 17:20 angekündigt. Das kann natürlich passieren, besonders in Italien, Verspätungen gehören zum Leben. Sicher war nur, dass es sich sicher nicht um unseren Zug handelte, da auf ihn ein Zuschlag von 16 Euro ausgeschrieben war – zumindest so stand es im Fahrplan.

Um sechs Uhr wurde plötzlich unser Zug nach Battaglia ausgeschrieben – auf dem gleichen Bahnsteig wie der Zug nach Salerno, der schon seit geräumiger Zeit weg sein sollte. Er war es nicht. Im Gegenteil, als wir zum Bahnsteig kamen, fuhr er gerade ein.

Viele Menschen begannen einzusteigen, eine vergleichbare Menge stand aber mit uns weiter auf dem Bahnsteig und wartete auf den richtigen Zug. Um 18:10 wurde ich langsam nervös. Der falsche Zug stand weiter auf dem Bahnsteig, die Menschen stiegen ein und er fuhr nicht weg, um den Platz für den richtigen Zug zu machen. Ich kontrollierte die Anzeigetafel, sie kündigte unbeirrt an, dass es sich um einen Zug Nummer 3382 nach Salerno mit Abfahrt 17:20 handelte. Es war viertel nach sechs, die Nervosität wuchs nicht nur bei uns, aber auch bei den anderen Menschen. Sie diskutierten, wiesen auf den Zug und auf die Anzeigetafel, zuckten die Schulter und ihr italienisches Temperament war immer mehr zu hören. Und dann plötzlich, es konnte 18:17 sein, sagte der Lautsprecher etwas in so einem schnellen Italienisch, dass ich nicht die geringste Chance hatte, etwas davon zu verstehen. Aber die ganze Menschenmenge, die uns umgab, stürzte sich plötzlich auf den Zug, der vor uns stand. Die Massenpanik riss uns mit. Ich spekulierte nicht mehr darüber, ob der Zug der richtige war. Wichtig war nur, dass er offensichtlich in die richtige Richtung fahren würde. Es ist nur um nacktes Überleben gegangen. Wir warfen uns in den überfüllten Waggon und der Zug kam in Bewegung. Auch in der Anzeigetafel im Zug stand, dass es sich um den Zug 3382 nach Salerno mit Abfahrt 17:20 handelte. Als der Zug einige Hundert Meter gefahren war, kamen die Zahlen und Buchstaben plötzlich in Bewegung und auf der Anzeigetafel erschien der Zug 2287 nach Battaglia. Wir waren also im richtigen Zug und mein Puls und meine Atemfrequenz normalisierten sich langsam wieder.

Natürlich bin ich glücklich, dass wir Neapel besucht, meine Frau dann noch glücklicher, dass wir die Stadt verlassen haben. Ich habe also ein Problem. Es gibt dort doch noch das „Museo archeologico“, das „Museo nationale di San Martino“, es gibt dort den „Palazzo reale“, das „Castello Nuovo“ und viele weitere Gebäuden und Plätze, die ich so gerne noch besuchen würde. Aber wie bringe ich meine bessere Hälfte dazu, mit mir hinzufahren? Sie ist der Meinung, sie hätte Neapel gesehen und wäre nicht gestorben und es sei gut so. Warum sollte sie das noch einmal riskieren?

Wie einmal Curzio Malaparte in seinem Roman „Haut“ schrieb: „Neapel ist keine Stadt, Neapel ist die Welt.“

Benevent


Benevent war das südlichste Herzogtum der Langobarden und ist auf seine langobardische Geschichte gehörig stolz. Langobarden erschienen, angeführt von ihrem Häuptling Zotto, im Jahr 571 n.Ch. vor der Stadt. Sie eroberten Benevent und bildeten gemeinsam mit dem Herzogtum Spoleto die so gennannte Langobardia Minor, die von den nördlichen Herzogtümern durch das byzantinische Exarchat von Ravenna, das später zum Kirchenstaat geworden ist, getrennt war. Man trifft in Benevent auf Schritt und Tritt Erinnerungen an diese berühmte Zeit. Hier, weit im Süden, suchten die Söhne der verräterischen Herzogin von Cividalle, Romilda, Romuald und Grimoald Asyl. Der zweite von ihnen hat von hier aus seinen Marsch zur Gewinnung der langobardischen Königskrone begonnen. Allerdings führte die Entfernung von dem Machtzentrum in Pavia die lokalen Fürste zur Annahme, dass sie der militärische Konflikt zwischen ihrem König Desiderius und dem fränkischen König Karl dem Großen nichts angehe und sie überließen im Jahr 772 den eigenen König einfach seinem Schicksal. Was sich rächen sollte. Im Jahr 840 wurde Benevent von Arabern erobert, danach zerfiel das Herzogtum in drei Teile (Benevent, Capua und Salerno), die dann eins nach dem anderen von Normannen eingenommen wurden. Die Landkarte, die die größte Ausdehnung des Herzogtums Benevent (aber auch das Gebiet, das im Altertum der Stamm Samniten beherrscht hatte) darstellt, gibt es auf der Hauptstraße Via Garibaldi mitten in der Stadt. Die Bewohner der Stadt sind also auf ihre Geschichte sehr stolz.

Diese Stadt, tief in Binnenland zwischen den Hügeln gelegen, war nämlich bereits in der vorrömischen Zeit bedeutsam. Sie war die Hauptstadt des Stammes der Samniten und fiel als eine der letzten in Italien an Rom – nach der Niederlage des griechischen Königs Pyrrhus, der von einer Karriere wie der Alexander der Große träumte. Im Jahr 275 v.Ch – fand vor den Toren von Benevent die entscheidende Schlacht, in der römische Legionen unter der Führung des Konsuls Curius Dentatus Pyrrhus besiegt haben, statt.

Bei Benevent wurde noch einmal über das Schicksal von Süditalien entschieden und zwar im Jahr 1266, als sich hier zwei mächtige Armeen gegenüber standen. Auf einer Seite waren das Truppen des sizilianischen Königs Manfred, des unehelichen Sohnes des Kaisers Friedrich II., den er mit der schönen Bianca Lancia hatte. Der Kaiser heiratete seine Geliebte an ihrem Sterbebett (sie wird also offiziell als seine dritte Frau geführt), der Papst hat diese Ehe aber niemals anerkannt und Manfred blieb also für ihn und für den Rest der Welt ein Bastard. Seine Ansprüche auf die sizilianische Königskrone lehnte der Papst in seinem Hass auf die ganze staufische Familie entschieden ab. Der Papst suchte geduldig jemanden, der bereit wäre, den letzten Vertreter dieser verdammten Familie zu verjagen oder zu töten. Und er wurde fündig.

Gegen Manfred standen Truppen des französischen Herzogs Karl von Anjou, der hier im päpstlichen Sold war und als Belohnung die Königskrone erhalten sollte, die noch auf dem Haupt von Manfred saß. Es war 26.Februar 1266, es war kalt und die Arme von Anjou war hungrig und erfroren. Die Kräfte Manfreds waren viel größer, besonders was die Fußsoldaten und sarazenische Bogenschützer betraf. Dazu verfügte Manfred über eine Truppe deutscher Söldnern, die als unbesiegbar galten und von denen Italiener panische Angst hatten. Wohl bemerkt – die Italiener, nicht aber die Franzosen. Im Grunde genommen wäre ausreichend gewesen, sich in den befestigten Städten zu verschanzen und die Armee von Karl von Anjou hätte sich wahrscheinlich selbst aufgelöst. Manfred wollte aber die Plünderung seines Landes vermeiden und dazu verließ er sich auf die zahlenmäßige Überlegenheit seiner Armee. Er stellte sich also den Eindringlingen auf der Brücke über den Fluss Calore vor den Toren von Benevent – und als Heerführer versagte er kläglich. Manfred war ein sehr schöner Mann, ähnlich seiner wunderschönen Mutter Bianca. Er war ein Maecenas der Kunst, er kümmerte sich um den Wirtschaftaufschwung seines Landes, er gründete Städte (eine von ihnen trägt bis heute seinen Namen Manfredonia), in der Kriegsführung kannte er sich aber nicht aus. Also, wenn ich mich schon einmal am Ufer eines Flusses hinter einer Brücke verschanze, hat es keinen Sinn, diese Brücke zu überqueren und den ohnehin verzweifelten Gegner anzugreifen. Dazu noch umgeben von italienischen Baronen, die immer zu einem Verrat bereit waren. Was auch geschehen ist. Im Moment, als die Schacht zugunsten der Franzosen entschieden war, rief sein Berater und Minister, der dem König immer mangelnde Interesse für seine Armee vorgeworfen hatte,  Manfred folgende Worte zu: „Wo sind jetzt deine Sänger und Geiger? Jetzt sollten sie spielen und singen und damit den Feind verjagen!“

Es gelang nicht. Manfred starb in der Schlacht. An der Stelle, wo er seinen Tod fand, steht heute am Ufer des Flusses Calore sein Denkmal „Monumento a Manfredi“. Süditalien ging in die Macht der französischen Familie Anjou über, was man an der ungewöhnlich hohen Zahl gotischer Bauten in dieser Region erkennt – in Monte San Angelo, in Lucera oder in Neapel. Die Italiener selbst haben Gotik als einen fremden französischen Stil großteils ignoriert (Ausnahme Mailand).

Der König von Neapel, Ferdinand, schenkte Benevent Papst Alexander VI. Borgia, der hier ein Herzogtum für seinen Sohn Juan neu gründete. Juan wurde bald danach ermordet, Benevent blieb aber ein Teil des Kirchenstaates.

Benevent ist ein schönes Städtchen mitten von Bergen. Einen Parkplatz hier zu finden war nicht einfach, besonders deshalb, weil es Samstag war und der Platz des Kardinals Pacco, wo sich der Hauptparkplatz der Stadt befindet, als Markt diente, wie es schon in vielen italienischen Städten der Fall ist. Wir fanden letztendlich einen kostenlosen Parkplatz ungefähr 700 Meter vom Stadtzentrum mit seinem gut erhaltenen Mauerring entfernt und ein kleiner Spaziergang schadete nicht. Zu meiner Verwunderung war von den Straßen im Zentrum nur die Hauptstraße Via Garibaldi mit Namen gekennzeichnet, alle anderen Plätzchen und Gässchen hier waren namenslos. Weil aber das Zentrum nicht gerade groß ist, war das für die Orientierung kein echtes Problem, Übrigens weiter im Getümmel der kleinen mittelalterlichen Gässchen fanden wir schon die Namen der langobardischen Herzöge Arechi I. Arechi II. oder des bereits erwähnten Romuald aus Cividale.

Durch Benevent verläuft die Via Appia (über die Brücke Ponte Leproso, die noch viel ursprüngliche römische Bausubstanz hat) und deshalb war diese Stadt auch in den römischen Zeiten bedeutsam. An die erinnert der monumentale Siegesbogen Kaisers Trajan aus dem Jahr 114 n.Ch. am Rande eines schönen Parks. Die kreativen Bürger von Benevent bauten den Bogen in die Stadtbefestigung ein und er diente als Tor „Porta aurea“, also das „Goldene Tor“.

In Benevent befindet sich als eine weitere Erinnerung an die Zeiten des römischen Imperiums ein großes römisches Theater für 20 000 Zuschauer. Es befindet sich mitten in der Stadt, was es ein bisschen schwieriger es zu finden macht. Es wirkt aber trotzdem monumental, obwohl er von Wohnhäusern umgeben ist. Die Sitzreihen sind modern mit neuen Ziegeln umgebaut, damit das Theater auch heute benutzt werden könnte, viel Authentizität kann man aber unter diesen Umständen nicht erwarten.

Eine Erinnerung an die Zeiten der Langobarden ist die Kirche Santa Sofia, neben Brescia die größte frühmittelalterliche Rotunde mit einem Kreisgrundriss und im Inneren mit zwei Säulenreihen. Sie ist in das Weltkulturerbe UNESCO aufgenommen und sie verdient das auch. Der Grundriss mit den Säulen, die die Gewölbe tragen, ließ annehmen, dass es sich hier ursprünglich um einen antiken Tempel handelte – möglicherweise war er der Göttin Juno geweiht. An die Kirche lehnt sich das Benediktinerkloster an. In dem gibt es die größte Attraktion von Benevent, das samnitische Museum „Museo del Sannio“ mit den Exponaten aus der Zeiten der Samniten, Römern und aus dem Mittelalter, als hier Langobarden und Normannen herrschten. Das Kloster selbst mit einem riesigen zweistöckigen Kreuzgang, getragen von eigenartigen Säulen (manche sogar in Knotenform) ist sicher besuchswert. Die Ausstellung ergänzt es dann sehr passend – obwohl hier natürlich ausschließlich italienisch gesprochen wird.

Der Dom von Benevent war etwas enttäuschend. Unter dem Bombenhagel des zweiten Weltkrieges wurde er vollständig vernichtet und in den Fünfzigerjahren neu aufgebaut. Erhalten sind nur die Flügel der Fassade geblieben, das Innere der Kirche ist modern. Auch die Bausubstanz, von außen betrachtet, ist sichtlich neu. Der Krieg hat hier unheilbare Spuren hinterlassen.

Benevent hat noch eine Sehenswürdigkeit. Die Stadt (oder ihre Umgebung) diente als einen Treffpunkt der italienischen Hexen (wie zum Beispiel die Stolzalpe in der Steiermark). Sie ist stolz auf diesen fraglichen Ruhm, wir aßen im Restaurant „Locande dele Streghe“ und ich kapierte endlich, woher das schöne slowakische Wort „Striga“ für eine Hexe stammt.

Ob ich dieses Restaurant mit langobardischen Spezialitäten empfehlen kann, bin ich mir nicht ganz sicher. Das Essen war sehr gut, das Kaninchen einfach köstlich und die Bedienung, an der auch der sieben- oder achtjährige Sohn der Besitzer teilnahm, lieb und schnell. Das Kaninchen auf langobardische Art hat allerdings die erlaubte Höchstgeschwindigkeit in meinen Gedärmen mehrfach überschritten und war bald wieder draußen. Gott weiß warum, vielleicht war das wirklich eine Hexerei. Der Vorteil war, dass man das Essen ohne Angst, zuzunehmen, genießen konnte. Nur, bitte, sollte man das Restaurant nicht zu früh verlassen. Schön warten, bis man von dem Kaninchen wieder verlassen wird.

Trotzdem nahmen wir aus Benevent schöne Erinnerungen mit.