Dieses kleine italienische Nest (o.k., immerhin hat Treviso über 80 000 Einwohner, duckt sich aber neben seine große Schwester Venedig und wirkt dadurch kleiner als es ist) entdeckte ich eher durch Zufall und zwar unterwegs zur Proseccostraße. Treviso ist nämlich der größte Produzent dieses berühmten Weines, obwohl ein echtes Zentrum von Prosecco ist natürlich Valdobiadenne in den Voralpen und die Proseccostrasse führt uns zwischen dieses Städtchen und einen anderen romantischen Ort namens Conegliano. Dort gibt es überall auf steilen Hängen Weingüter mit Weinreben, deren Saft wahrscheinlich nicht wirklich trinkbar wäre, hätten Italiener nicht wieder einmal eine kreative Idee gehabt und hätten sie aus ihm nicht einen Sprudelwein gemacht. Natürlich ließen sie sich gleich die Marke patentieren, Prosecco darf also nur in dieser Region angebaut werden. Es entstand ein leichter erfrischender Wein, geeignet als Aperitif bei jeder Gelegenheit oder als ein Wilkommensgetränk und das Business wurde geboren.
Treviso rühmt sich der Massenproduktion dieses Getränkes allerdings nicht, es versucht sich als „Citta d´aqua“ zu positionieren, also eine „Wasserstadt“ und bemüht sich um einen Vergleich mit dem nahen Venedig. Die Kanäle, die durch die Stadt fließen und nebenbei auch um die Stadtbefestigung aus dem Beginn des sechzehntes Jahrhunderts einen Wassergraben bilden, entstanden aus dem Fluss Sile, der durch die Stadt fließt. Genauer gesagt, aus seinem Zufluss Botteniga, der im Norden in die Stadt mündet und hier bei der „Ponte Fra Giocondo“ sich in drei Hauptströme teilt, aus denen dann die Menschen in Treviso ihre Kanäle schufen. Die Wasserströmung von der Brücke des Vaters Giocondo zu beobachten ist ein schönes Erlebnis. Der schönste Eingang in die Stadt ist über die Brücke „San Martino“ im Süden. Die Kanäle sind zahlreich und schön, besonders um den Fischmarkt, der auf einer Insel in dem reißenden Fluss steht, und sie geben der Stadt ein spezifisches Flair. Obwohl, um ehrlich zu sein – Venedig ist es nicht.
Weil mir Treviso bei meinem ersten Besuch gefiel, wählte ich es als den Stützpunkt für unseren Ausflug in die venezianische Region, besonders dann für den Besuch von Venedig selbst. Ich hatte keine Lust, mit Auto oder mit einem überteuerten Schiff nach Venedig zu fahren. Von Treviso geht es einfach mit dem Zug, die Reise dauert ungefähr zwanzig Minuten und die Züge fahren jede Stunde. Treviso war ein treuer Vasall von Venedig – infolge der geringen Entfernung von dem mächtigen Nachbar durfte es sich wahrscheinlich nichts anderes als Treue leisten, es wurde ein Teil der Serenissima bereits im Jahr 1344. Diese Verbindung brachte allerdings der Stadt den Wohlstand, übrigens floss aus den Brüsten der „Busigen Fontäne – Fontana delle Tette“ auf der „Piazza dei Signori“ drei Tage lang im Jahr bei der Gelegenheit der Ernennung eines neuen Gouverneurs Rot- und Weißwein. Ich konnte nicht erfahren, ob sich dabei um Prosecco oder um einen importierten Wein handelte.
Aus Treviso stammte die Familie Da Romano. Das berühmteste Mitglied der Familie, Ezzelino da Romano war der Schwiegersohn Kaiser Friedrichs II. und in seinem Namen verwaltete er ganz Norditalien. Treviso war also ghibellinisch, es war allerdings nicht bereit, sich mit der brutalen Herrschaft der Familie da Romano dauerhaft abzufinden. Solange hier der unglaublich grausame Ezzelino das Sagen hatte, trauten sich die Menschen nicht, etwas einzuwenden. Gleich nach seinem Tod im Jahr 1259 machten sie aber einen Aufstand, verbanden sich mit jedem, der dazu bereit war, also mit Venedig, Vicenza, Mantua, Verona und sogar der Papst Alexander IV. eilte zur Hilfe, und mit geeinigten Kräften ist es gelungen, Ezzelinos Sohn Alberico zu besiegen und gefangen zu nehmen. Die Rache für die Schreckherrschaft seines Vaters war furchtbar. Alberico wurde am den Hauptplatz von Treviso lebend verbrannt – die Ghibellinen durften letztendlich für Häretiker gehalten werden.
Der Dom in Treviso „Duomo Cattedrale San Pietro“ ist ein gigantischer und unglaublich chaotischer Bau, eine Mischung aller Baustile, die man sich nur vorstellen kann, von der Gotik bis zur klassistischen Fassade mit riesigen bunt bemalten ionischen Säulen.
Im Inneren gibt es nicht zu viel zu sehen, immerhin wurde die Kirche im Jahr 1944 beinahe zerstört. Aus der ursprünglichen Innenausschmückung blieb nur sehr wenig erhalten, zum Beispiel die romanische Krypta, die Fresken von Il Porderone oder ein Bild von Tizian. Auf dem Platz vor der Kirche „Piazza del Duomo“ sind die blühenden Fikusbäume das Schönste, was man dort sehen kann.
Das wahre Zentrum der Stadt ist nämlich ein ziemlich kleiner Platz, die „Piazza die Signori“ und der ist der schönste in der Stadt. Der Platz wird von dem „Palazzo die Trecento“ also „Palast der dreißiger“ beherrscht, so viele gab es gewählter Vertreter der Stadt. Hier gibt es Restaurants, teilweise im Gebäude, teilweise unter den Zelten vor dem Gebäude, an der Wand der Präfektur gibt es natürlich den unverzichtbaren Löwen des Heiligen Markus.
Alle Gebäude sind im Stil der venezianischen Gotik und aus roten Backsteinen und mit einem Bogengang gebaut. Gleich nebenan auf einem kleinen Platz gibt es die Zentrale der weltberühmten Marke Benetton. Hier haben im Jahr 1965 vier Geschwister der Familie Benetton Luciano, Gilberto, Giuliana und Carlo ein Familienunternehmen gegründet, das bis heute ein großer Spieler in der Modenwelt blieb.
Ein paar Schritte weiter gibt es eine Loggia im Stil der Renaissance die „Loggia dei Cavalieri“ und nur ein paar Schritte weiter kommt man zum berühmten Fischmarkt. Aus dem Wasser taucht hier eine kleine Meerjungfrau auf, die ihre Brüste keusch mit ihren Händen bedeckt. Sie ist zwar nicht so berühmt wie ihre Schwester in Kopenhagen, sie gefällt mir aber besser. Es ist ein wahrhaft hübsches Mädchen, so ein einfach italienisches.
In der Umgebung vom Fischmarkt gibt es natürlich Fischrestaurants und hier in einem von ihnen abends zu essen ist in Treviso einfach Pflichtprogramm. Wir taten es und bereuten diese Entscheidung nicht. Man kann hier Fische wirklich sehr gut zubereiten.
Abends entlang der Kanäle mit zahlreichen Wassermühleräder zu bummeln – einer davon in der „Vicolo Molitetto“ dreht sich noch immer – ist eine romantische Angelegenheit, es gibt hier, wie übrigens in jeder italienischen Stadt, genug Bars um einen Stopp zu machen und ein Glas Prosecco oder einen Espresso zu trinken. Die Stadt ist auch überraschend genug grün, besonders um den Fluss Sile. Im Restaurant „Toni del Spin“ spricht der Chef nicht nur Englisch aber sogar auch Deutsch und er kocht auch „Baccala alla Vicentina“. Darüber habe ich bereits geschrieben, diese sehr aromatische Mahlzeit kostet man bestens nur einmal und dann direkt in Vicenza. In Treviso sich auszukennen, ist allerdings nicht ganz einfach und einen Stadtplan zu kaufen ist nicht leicht. In den Geschäften im Zentrum hatten die Italiener keinen zu verkaufen und sie betrachteten uns dank dieses, aus ihrer Sicht seltsamen Wunsches, einen Stadtplan zu besitzen, als verdächtige Individuen. Wir konnten den Plan letztendlich in einem Kiosk nahe des Bahnhofs kaufen. Zum Bahnhof geht man – sollten Sie den Stadtplan nicht auftreiben – auf dem „Corso di Popolo“ und über die Brücke „Ponte San Marino“ auf die „Via Roma“. Und Sie sind am Ziel und dürfen nach Venedig fahren. Bitte, vergessen Sie nicht das Ticket auf dem Gehsteig zu entwerten sonst sind Sie auch mit gekauftem Ticket schwarz unterwegs und riskieren nicht gerade kleine Probleme.
Die Probleme hatten wir mit dem Parken, allerdings nur dank unserer Unwissenheit. Am nördlichen Rande der Stadt hinter der Stadtmauer gibt es genug Parkplätze, man kommt hierher auf der „Via Fratelli Cairoli“ und auf dem riesigen Platz bei der „Porta Manzoni“ gibt es genug Platz. Aber Achtung! Erstens – Samstag ist ein Arbeitstag, also auch am Samstag wird fürs Parken bis zu den Abendstunden gezahlt und am Dienstag ist hier ein Markt und geparkte Autos werden kostenpflichtig abgeschleppt. Wir hatten Glück. Als ich am Montagabend für die letzte Abendstunde zahlen wollte (in der Nacht und am Sonntag parkt man kostenlos), teilte mir der Automat mit, dass ich bis Dienstag 15:45 Uhr bezahlt habe. Das machte mich stutzig. In weiterer Folge habe ich erfahren, dass am Dienstag bis 15:00 ist das Parken hier strengst verboten. Zum Glück gibt es einen anderen öffentlichen Parkplatz nur einige hundert Meter weiter westlich im „Giardini publici“, dort kann man problemlos parken.
Eine echte Dominante der Stadt ist die Dominikanerkirche San Nicolo, gebaut logisch am Rande des historischen Stadtzentrums nahe der Stadtmauer und der Kanäle.
Es ist ein gotischer Bau, er wurde mehr als hundert Jahre lang gebaut, der Baubeginn war im Jahr 1282. An die monumentale Kirche lehnt sich ein Kloster mit einem imposanten Saal die „Sala dei Capitolo dei Domenicani“ an. In diesem Saal gibt es Bilder von vierzig dominikanischen Mönchen von Tomasso di Modena, einer von ihnen hält in der Hand eine Brille – es soll die älteste Darstellung eines Leseglases sein, die älteren Mönchen ermöglichte, weiterhin lesen und schreiben zu können, was ihre Hauptaufgabe war.
Die Kirche des heiligen Franciscus ist logischerweise am anderen Stadtende, nahe dem Fischmarkt, hier wurden ein Sohn Dante Allighieris und eine Tochter Franzesco Petrarcas begraben. Mit der Größe der Kirche der Dominikaner kann sich aber diese Kirche nicht messen.
Etwas seitlich im östlichen Stadtteil an einem Kanal steht das „Museo di Santa Catarina dei Servi“, im ehemaligen Kloster der heiligen Katharina. Hier gibt es die schönsten Fresken in Treviso direkt in der Kirche oder in der „Kapelle der unschuldigen Kindern“ und ein Zyklus des Martyriums der heiligen Ursula. Den Grundstein für die Sammlungen des „Museo civico“, die sich in der nordwestlichen Ecke der Altstadt befindet, ist die Schenkung von Luigi Bailo, eines Mönches, der sich im neunzehnten Jahrhundert entschloss, alles, was er fand und was irgendeine Beziehung zu seiner Stadt hatte, zu sammeln. Die Leute haben ihn damals für einen Narren gehalten, heute hätten sie ohne ihn viel weniger zu bieten. Archäologische Artefakte aus der römischen sowie auch aus der langobardischen Zeit, Statuen im romanischen Stil, sowie auch eigenartige Grabsteine der Patrizier der Stadt aus Terrakotta. In der Pinakothek gibt es Bilder von Tizian oder Tintoretto.
Von Treviso kann man nach Asolo fahren, wo sich eine der schönsten Villen, villa Barbaro – natürlich von Andrea Palladio, befindet und nach Bassano di Grappa. Dieses Städtchen an dem Fluss Brenda ist zauberhaft. Übrigens, gerade die Brenda mündet in Venedig ins Meer, auf den Inseln in ihrer Lagune – tiefer Fluss, also „Rio alto“ gab den Namen dem Stadtzentrum von Venedig sowie auch der berühmten Brücke Rialto. Das Wahrzeichen der Stadt ist die Holzbrücke über den Fluss, die „Ponte degli Alpini“ – natürlich ursprünglich ein Bau von Andrea Palladio (Bassano wurde ein Teil der Venezianischen Republik im Jahr 1404, diese Tatsache bezeugt der Markuslöwe auf dem Hauptplatz). Im ersten Weltkrieg wurde aber die Brücke zerstört und nach dem Krieg dann wiederaufgebaut von den italienischen Gebirgsjägern, deren Namen sie jetzt trägt.
Von der Brücke gibt es wunderschöne Aussichten entweder stromaufwärts auf den reißenden breiten Fluss mit Alpen im Hintergrund und mit einer Festung auf dem höchsten Punkt der Stadt oder stromabwärts auf wirbelndes Wasser auf einem breiten Wehr einige hundert Meter stromabwärts in Richtung Venedig. Die Festung auf dem höchsten Punkt der Stadt ist eine echte Dominante, die Hauptattraktion der Stadt ist aber Grappa. Ein Weinbrand, der seinen Namen nach dem Berg bekommen hat, der über die Stadt emporragte. Der Berg war der Platz schwerer Kämpfe im ersten Weltkrieg. Nachdem österreichische Generäle beschlossen hatten, dass der Fluss Piave unüberwindbar sei, versuchten sie lange Monate diesen Berg einzunehmen und dadurch die Kontrolle über das ganze Tal zu gewinnen. Als ihre Offensiven versagten, gingen Italiener bei Vittorio Venetto in die Gegenoffensive, die eine endgültige Niederlage der österreichischen Armee und das Ende der Monarchie bedeutete. In der Stadt gibt es ein Museum Ernest Hemingways, der – damals neunzehnjährig – als freiwilliger Sanitäter in der italienischen Armee diente und nach dem Durchbruch der Deutschen bei Caporetto (heute Kobrid in Slowenien) die italienische Armee verlassen hat. Er schrieb darüber seinen ersten Roman „A Farewell to Arms“ (auf Deutsch ein bisschen merkwürdig als „In einem andern Land“ übersetzt), was ihm einen Welterfolg und den Durchbruch als Schriftsteller brachte.
Auf dem Gipfel des „Monte Grappa“ gibt es ein Museum des ersten Weltkrieges mit Schützengräber und Artefakten des kriegerischen Wütens. Man fährt auf einer Bergstraße mit vielen Kehren hin, da ich aber kein italienisches Wörterbuch mit hatte und nicht wusste, dass das Wort „Cima“ auf Italienisch „Gipfel“ bedeutet und der Weg zu „Cima“ nicht ganz logisch bergabwärts führte, fuhren wir in eine falsche Richtung und das Museum fanden wir nicht. Dafür wurden wir mit wunderschönen Aussichten auf die Alpen belohnt.
In Bassano muss man natürlich eine Brennerei von Grappa besuchen. Das taten wir auch, wir stolperten über die Destillerie der Firma Poli (neben der Firma Nardini eine der zwei größten in der Stadt) und weil der Eintritt kostenlos war, gingen wir schauen, wie die Italiener ihren Schnaps brennen.
Aus historischer Sicht weckte mein Interesse gleich im ersten Raum ein Destillationsgerät, das angeblich der berühmte Pietro Andrea Mattioli erfunden hatte. Er war Autor des ersten herausgegebenen Herbariums und der Leibarzt des Königs Ferdinands I. und seines Sohnes Ferdinands von Tirol. Mattioli war, wie alle Wissenschaftler seiner Zeit, auch Alchemist und offensichtlich hat er also etwas Brauchbares und Nützliches erfunden. Herr Mattioli dachte bei dieser Erfindung sicher in erster Linie an das Wohl seiner Patienten. Wir besichtigten die Brennerei, sahen einen Film, der uns die Prinzipien des Erzeugungsvorganges näher brachte. Und dann in einem Raum rochen wir alle Düfte, die Grappa der Firma Poli haben kann. Wahrscheinlich deshalb, um dann beim Kauf von Grappa in einem Souvenirgeschäft, durch das man die Brennerei verlassen durfte, leichter eine Wahl zu treffen. Natürlich konnten wir nicht widerstehen und kauften zwei Flaschen dieses Zaubertrankes. Es erwartete uns eine lange Reise in den italienischen Süden und ein paar Flaschen von gutem Schnaps zu haben, konnte praktisch sein. War es auch.
Treviso ist also ein guter und gemütlicher Ausgangspunkt für viele interessante Ausflüge in die ganze „Terra Ferma“, der ehemaligen Venezianischen Republik. Vielleicht komme ich noch einmal hin. Den Stadtplan habe ich doch.