Es ist nicht gerade eine alltägliche Idee, aber in diesem Fall lohnte sie sich. Die Bewohner von Vicenza, einer kleinen Stadt (eigentlich doch nicht einer so kleinen, immerhin hat Vicenza 114 000 Einwohner) zwischen Venedig und Verona entschlossen sich, aus ihrer Stadt ein „Open air Museum“ eines einzigen Architekten zu machen – Andrea Palladio – und die Idee ging auf. Wieder einmal stellten Italiener ihre Kreativität unter Beweis, es zahlt sich aus, Vicenza zu besuchen, weil man dort Dinge sehen kann, die es sonst nirgends gibt. Und man kann hier auch eine Speise kosten, die sonst nirgends angeboten wird – aber darüber später.
Andrea Palladio hat sich sein Denkmal sicherlich verdient. Nicht nur seine Statue auf dem Hauptplatz von Vicenza, sondern die ganze Stadt ist sein Denkmal. Es gibt nämlich in der Geschichte nur wenige Architekten, die die Bauweise so stark und nachhaltig wie er geprägt haben. Obwohl er bereits in den Jahren 1508 – 1580 lebte, ist er eigentlich der Gründer des Baustils des Klassizismus, der die Bauweise in Europa im neuzehnten Jahrhundert beherrschte. Ich gebe zu, dass ich bis zu meinem Besuch in Vicenza von diesem Mann nur sehr wenig wusste. Und als Zeichen der Reue erlaube ich mir meinen Lesern diese Persönlichkeit näher zu bringen.
Andrea Palladio wurde im Jahr 1508 in Padua geboren, seine Karriere als Architekt startete er im Jahr 1540 in Vicenza, in dieser Stadt starb er im Jahr 1580. Sein Leben ist also gerade mit Vicenza verbunden und die Stadt weiß diese Ehre gehörig zu schätzen. Palladio war der erste Mensch, der sich entschied NUR Architekt zu sein – bis dahin waren Architekten auch Maler, Bildhauer – siehe z.B. Michelangelo Buonarotti, der für Palladio ein Vorbild war. Palladio entschied sich aber, eine eigene Richtung bei seiner Schöpfung einzuschlagen. Als sich die ganze Welt in Richtung Barock bewegte, also zu einem Stil, der die Macht der katholischen Kirche symbolisieren sollte, blieb Palladio den antiken Vorbildern treu. Sein Ruhm stützt sich nicht nur auf die Unmenge an Villen, die er in der Umgebung von Venedig für venezianische Patrizier baute – die berühmtesten von ihnen sind Villa Foscari, Villa Godi, Villa Sarazen usw.usw, aber auch auf ein Buch über die Architektur, das er schrieb. Es heißt „Quatro libri dell´architektura“ und er beschrieb in ihm ganz einfach die Prinzipien des Baus von Häusern, Palästen und Villen. Weil dieses Buch im Jahr 1715 Giacomo Leoni ins Englische übersetzt hat, wurde es buchstäblich zum Handbuch für alle Architekten, besonders in Nordeuropa. Der Stil des Klassizismus hat seinen Ursprung im Werk von Andrea Palladio, sein eigener Stil verdiente sich sogar einen eigenen Namen „Palladianismus.“
Im Jahr 1549 gewann Palladio seinen größten Auftrag, der ihn für die Ewigkeit berühmt machen sollte – den Bau eines neuen Rathauses in Vicenza „Palazzo della Ragione“. Kaum jemand aber weiß, dass gerade das der offiziellen Namen des Gebäudes ist, das sogar in das Weltkulturerbe der UNESCO aufgenommen wurde. Alle kennen es unter dem Namen „Basilica Palladiana“ und sie füllt beinahe den ganzen Hauptplatz von Vicenza aus.
Palladio konnte sich gegen solche Giganten wie Giulio Romano, der Mantua gebaut hatte, durchsetzen und ab diesem Zeitpunkt ist seine Karriere steil bergauf gegangen. Auch diejenigen, die nie in Vicenza waren, kennen seine Bauten. Wenn man in Venedig vom Platz des heiligen Marcus oder aus dem Campanile schaut, liegt genau vor den Augen die Kirche „San Giorgo Maggiore“ und eine andere gigantische Kirche „Il Retendora“ baute Palladio auf der venezianischen Insel Giudecca.
Seit dem Jahr 1404 war Vicenza ein Teil der Serenissima, also der Republik von Venedig, vorher hat es aber bewegte Zeiten durchgemacht. In der Zeit der Herrschaft der Staufen stand es auf der Seite der Guelfen, also der kaiserfeindlicher Allianz, bis die Stadt von Ezzelino Romano, dem Schwiegersohn Kaiser Friedrichs II. erobert wurde. Ezzellino vertrieb die Guelfen aus der Stadt und machte sie zu ihr einem Stützpunkt seiner Macht. Als er im Jahr 1259 starb, gewann Vicenza wieder seine Unabhängigkeit, bewies sich aber im Kampf der italienischen Kommunen als ein schwacher Spieler. Zuerst suchte die Stadt Schutz in den Armen der Stadt Padua, dieser Schutz wurde aber bald zu einer Vorherrschaft. Im Jahr 1311 suchte also Vicenza Hilfe bei der Familie Della Scala aus Verona, im Jahr 1392 wurde es aber von Gian Galleazzo Visconti aus Mailand erobert. Im Jahr 1404 nahmen die Stadt die Venezianer ein und im Frieden von Lodi im Jahr 1454 wurden die Interessensphären in Norditalien definitiv festgeschrieben. Vicenza blieb venezianisch bis zum Untergang der Republik im Jahr 1797. An diese Tatsache erinnern zwei Säulen auf der „Piazza dei Signori“. Auf einer steht der Erlöser, auf der zweiten der Marcuslöwe, das Symbol der Republik von Venedig.
Andrea Palladio war ein Bürger dieser Republik und sein Glück war, dass gerade in seiner Zeit sich alle Patrizier schöne Villen in der neu eroberten Terra Ferma, also am Land außerhalb der Hauptstadt, bauen ließen und Palladio war der richtige Mann an der richtigen Stelle und zur richtigen Zeit.
Kehren wir aber zurück nach Vicenza, nehmen wir einen Espresso mit einem Cornetto auf dem Hauptplatz neben der „Basilica Palladiana“ unter der Statue des berühmten Architekten und los, es geht auf den Weg zu einer architektonischen Bildung.
Die Dominante des Hauptplatzes ist also die gigantische „Basilica Palladiana“ aus Marmor. Das Gebäude ist von einem zweistöckigen Portikus umrahmt. Auf dem Platz gibt es noch ein Gebäude von Palladio, nämlich den „Palazzo del Capitano“, den Palladio im Jahr 1571 zu bauen begann, und der als Hauptsitz des venezianischen Gouverneurs diente.
Der „Duomo“ von Vicenza steht ein bisschen seitlich. Er ist zwar groß, betreten konnten wir ihn aber wegen Reparaturen an der Elektrizität und der Beleuchtung nicht – das Ende der Bauarbeiten wurde im Text am Haupttor nicht angeführt, es wurde nur diskret angedeutet, dass es noch einige Zeit dauern könnte. Vom Dom kommt man zur „Piazza del castello“ mit einem dominanten Turm der Festung der Familie Della Scala. Durch die „Porta Castello“ gelangt man von der Altstadt in die Neustadt. Direkt vor den Stadtmauern gibt es den „Giardino salvi“ mit einem schönen Blick auf die Stadtmauer und die ehemalige Festung. Interessant ist es aber auf der anderen Seite der Porta. Man muss sich umdrehen und das „Corso Andrea Palladio“ betreten. Dieser läuft genau durch die Mitte der Stadt (es gibt hier auch Gebäude, die Andrea Palladio nicht gebaut hat, der Charakter der Straße ist aber sehr homogen und sie ist von monumentalen Palästen umrahmt. Achtung, eine der schönsten Gebäuden der „Palazzo da Schio“, nach seinem goldenen Schmuck auf der Fassade auch „Cá d´Oro“ genannt, ist kein Werk von Palladio, sondern ein typisches Beispiel der venezianischen Gotik. Er wurde hundert Jahre vor Palladio gebaut und es wäre wirklich schade gewesen, ihn niederzureißen nur um ein weiteres Grundstück für Palladios Arbeit zu schaffen. Am Ende des Corso gibt es eine Pinacoteca civica, natürlich wieder in einem Palast, den Andrea Palladio gebaut hat – „Pallazzo Chiericati“. Interessant ist, dass Palladio Spuren seiner Tätigkeit auch noch nach seinem Tod in der Stadt hinterlassen hat. Auf der Piazza Castello steht der „Palazzo Porto-Breganze“, den im Jahr 1600 der Architekt Vincenzo Scamozzi baute, allerdings nach den Plänen, die für dieses Gebäude der große Andrea gemacht hatte.
Sein letztes großes Werk gibt es am Ende des Corso. Im Jahr 1579, also ein Jahr vor seinem Tod, bekam Andrea Palladio den Auftrag, das erste überdachte Theater in Europa zu bauen. Das Ergebnis ist monumental, auch wenn Palladio die feierliche Eröffnung seines Werkes mit dem Theaterstück von Sophokles „Ödipus“ im Jahr 1583 nicht mehr erlebte. Der Besuch des „Teatro“ ist Pflicht, wer das „Teatro Olimpico“ nicht besucht hat, war nicht in Vicenza.
Wenn man den Fluss Retrone überquert, kommt man in ein zauberhaftes Stadtviertel, das von mittelalterlichen Schutzmauern und einem Tor begrenzt wird. Hier nutzten die Bauleute die Bausubstanz eines alten römischen Theaters, um hier Häuser zu bauen. Ein ganzes Viertel ist eigentlich in ein ehemaliges römisches Theater eingebaut, daher wirkt auch die Krümmung der Straßen ungewöhnlich und ein bisschen komisch. Aber die Italiener – wie ich bereits tausendmal erwähnt habe– sind kreativ, und – Hauptsache – es wird nichts niedergerissen, was bereits steht.
Am Ende meiner Erzählung also noch ein kurzer Ausflug in die lokale Kulinarik, der zahlt sich nämlich wirklich aus. Vicenza bietet nämlich etwas tatsächlich Außergewöhnliches.
Die lokale Spezialität, die man unbedingt ausprobieren sollte – wenn man dazu den Mut hat – ist Kabeljau auf die vicenzine Art – „Baccala alla vicentina“. Wenn jemand denken würde, dass ein Fisch frisch sein muss, um genießbar zu sein, wird er in Vicenza eines Besseren belehrt. „Baccala alla vicentina“ DARF nicht frisch sein. Der getrocknete Fisch wird in Öl mit Knoblauch, Zwiebel, Parmesan, Mehl und Milch zubereitet, wobei ein Brei entsteht, der auf milder Flamme vier Stunden gedünstet wird bis die Flüssigkeit vom Fisch aufgenommen ist. Das Gericht ist sehr aromatisch, es schmeckt meiner Meinung nach hervorragend, allerdings bin ich – nach der Meinung meiner Frau – als ein unkritischer Fan der italienischen Küche nicht objektiv. Es ist mir nicht gelungen, meine Frau zu überzeugen, von dieser Spezialität nur ein bisschen zu kosten und als uns dann der Kellner abends in Treviso anbot, eine gerade frisch zubereitete fantastische „Baccala alla vicentina“ zu servieren, flippte sie beinahe aus. Ich gebe zu, ich habe es das zweite Mal an einem Tag auch nicht bestellt. Meine Frau meinte, dass man manche Sachen einmal im Leben ausprobieren sollte, mit Betonnung auf EINMAL. Es blieb mir nichts anderes übrig als zuzustimmen.
Achtung, Besuchen Sie Vicenza auf keinen Fall am Montag. An diesem Tag ist so gut wie alles geschlossen inklusiv Teatro Olimpico. Dann müsste man die Stadt – wie wir – noch einmal besuchen. Aber – warum eigentlich nicht?
Der italienische Teil meiner tschechisch-italienischen Wurzeln hat hier seinen Ausgang genommen! Was für eine Stadt! Die kulinarischen Genüsse blieben mir jedoch bisher versagt.
Man muss nur die Mut zusammenbringen, dann kann man sogar die “Bacalla alla Vicentina” essen. Übrigens, Jana hat das nicht geschafft, obwohl angeblich Fisch liebt.
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