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Pavia


Pavia ist eine unauffällige kleine italienische Stadt (mit ca. 70 000 Einwohner), die sich in der Nähe ihres riesigen Nachbars  – Mailand – duckt, sie verdient sich aber dank ihrer Geschichte und auch wegen ihrer Schönheit mehr Aufmerksamkeit.

Pavia existierte bereits in den römischen Zeiten unter dem Namen Ticinum, damals wurde über den Fluss Ticino die erste Steinbrücke gebaut. Ihr Ruhm begann mit dem Niedergang des Römischen Reiches, als sie zuerst eine der Hauptstädte des Ostrogotenreiches (neben Verona) wurde und danach die Hauptstadt der Langobarden, die sie im Jahr 572 nach dreijähriger Belagerung einnahmen.

Als ich den Fremdenführer Marco in der Kirche San Michele fragte, warum der Häuptling der Langobarden Alboin, der auch zum ersten König dieses Volkes werden sollte, für seine Hauptstadt gerade Pavia und nicht zum Beispiel das nahe Mediolanum ausgewählt hatte, antwortete dieser: „Das ist doch ganz klar.“ Als er dann meinen überraschten Blick bemerkte, ergänzte er seine Aussage versöhnlich: „Natürlich aus dem Blick eines Einwohners von Pavia.“ Marco war einfach „Il patriota locale.“

Seine Argumente hatten allerdings Kopf und Fuß. Erstens, die Langobarden selbst mussten um die Stadt drei Jahre lang kämpfen. Das musste sie logischerweise auf die Idee  bringen, dass diese Stadt gut zu verteidigen war. (Das bewies sich zwar als wahr, trotzdem aber kapitulierte die Stadt letztendlich nach neunmonatiger Belagerung durch Truppen von Karl dem Großen im Jahr 774). Zweitens hatte die Stadt genug Wasser, da der Fluss Ticino aus dem Laggo Maggiore entspringt und  nie austrocknet. Noch dazu hatte sie immer sauberes Wasser, weil der See wie ein riesiges Filter funktionierte und sogar in der Zeit von Schneetau oder Regenfälle ließ er kein Schlamm in den Fluss kommen. Und drittens liegt die Stadt nahe der Mündung von Ticino in den Fluss Po. Die Stadt war also für Schiffe aus Venedig gut erreichbar und diente als eine Umlagestelle für die Waren, in erster Linie für das naheliegende Mailand.

Auch die Religion könnte eine bestimmte Rolle gespielt haben. Langobarden waren, wie die Mehrheit der germanischen Stämme (mit Ausnahme Franken), Arianen und in einem großen Mailand, das unter dem Einfluss seines ehemaligen Bischofs und Heiligen Ambrosius stand, hätten sie wahrscheinlich größere Probleme beim Durchsetzen ihres Glaubens gehabt als im kleineren Pavia. Sie selbst waren absolut tolerant. In der Stadt gab es eine arianische und eine katholische Kirche, so wie auch in allen anderen Städten ihres Reiches. Den Glauben der eigenen Untertanen unterdrückten die Langobarden nicht. Der arianische Glaube war für sie aber immer wieder ein guter Vorwand, Rom als Zentrum des „falschen“ Glaubens zu überfallen und auszuplündern. Als Rom in der Mitte des siebenten Jahrhunderts ihren Angriff das erste Mal abwehren konnte, traten sie zum katholischen Glauben um. Ein weiteres Beharren auf der Lehre des Arianos verlor damit nämlich an Bedeutung.

Und der nächste und wichtigste Grund für die Wahl von  Pavia zur Hauptstadt des Reiches, war die Tatsache, dass Pavia bereits in den römischen Zeiten ein Zentrum der Bildung war. Hier wurden Beamte für die Reichsverwaltung ausgebildet und diese Funktion behielt die Stadt auch in den Zeiten der Herrschaft der Germanen.

Langobarden unterstützten die Bildung. Sie selbst bildeten in der Gesellschaft nur eine dünne Oberschicht, sie mussten sich also auf die Zusammenarbeit  mit der lokalen römischen Bevölkerung verlassen (nur die Adelsschicht rotteten sie erbarmungslos aus). Aus ihrer Sprache blieb im Italienischen nicht viel, vielleicht nur das Wort für Bier  – Birra –  das ist aber genug, den dieses Wort ist natürlich bei weitem nicht unbedeutsam. Die Administrative in ihrem Reich stützte sich auf Latein und in diese Sprache wurde auch in Pavia unterrichtet. Die Universität besteht hier bis heute. Bei 70.000 Einwohnern der Stadt, studieren hier 25.000 Studenten, was der Stadt ein erfrischendes Bild der Jugend verleiht. In der Nacht wird hier sehr intensiv gefeiert. Die Universität befindet sich in einem riesigen Gebäudekomplex mitten im historischen Stadtkern und bildet hier eigentlich ein eigenes Stadtviertel. Die berühmtesten Absolventen dieser Hochschule waren Alessandro Volta, der Erfinder der elektrischen Batterie (seine Statue steht im Atrium der Universität) und angeblich auch Christoph Columbus (seine Statue suchte ich aber vergeblich).

Marco behauptete, dass die Universität von Pavia die drittälteste Universität in Italien, hinter Bologna und Padua sei. Als ich ihn auf die Universität von Neapel aufmerksam gemacht habe, widersprach er heftig. Er war einfach „Il patriota locale“, angetan von Dingen in seiner Stadt. Das Argument, dass die Gründungsurkunde der Universität aus dem  Jahr 1361 stammte, lehnte er entschieden, als einen Trick des Mailänder Herrschers Gian Galeazzo Visconti, ab. Marcos Meinung nach wollte dieser für sich den Ruhm als Universitätsgründers beanspruchen, als er im Jahr 1360 Pavia eroberte und seinem Herrschaftsbereich angeschlossen hat. Eine Hochschule war hier allerdings schon lange vorher. Übrigens beim Eingang in die Universität wird als erster Gründer der Schule Kaiser Lothar bezeichnet, der in den Jahren 795 – 855 lebte. Wer will, kann dies glauben.

Aber zurück zu den Langobarden. Auf diese Epoche ist Pavia zu Recht stolz. In der Burg Castello Visconteo war im Jahr 2017 eine wunderbare Ausstellung, wo die Welt der Germanen beeindruckend, inklusiv der Bedeutung von Bildung in ihrem Leben, dargestellt wurde. Sie waren also keine Barbaren aus dem Norden (sie kamen aus der Region Panonie und verweilten einige Zeit auf dem Gebiet von Österreich und Mähren) und wenn, dann nur am Anfang ihres Wirkens in Italien. Um die Bedeutung der Bildung und der Schulen in der Stadt zu betonen, kaufte König Liutprand (er herrschte in den Jahren 712 – 744) von den Arabern Knochen des heiligen Augustinus, eines der wichtigsten Heiligen, die sich in Cagliari auf Sardinien befanden und übertrug sie nach Pavia, wo sie heute in der Kirche San Pietro Ciel d´Oro aufbewahrt werden. Natürlich ist die Kirche ein Teil des Klosters des Ordens der Augustiner. Der Heilige Augustin arbeitete das erste komplexe philosophisch-theologische System des christlichen Glaubens, das sich auf Novoplatonismus stützte, aus, und gilt als  „Lehrer der Kirche“. Augustin war vor seiner Konversion zum Christentum ein Universitätsprofessor in der Stadt Hippo, im heutigen Tunesien und verstarb in dieser Stadt im Jahr 430 während der Belagerung durch Vandalen. Damit ist seine symbolische Bedeutung für die Bildung unbestritten. Um dieses Symbol noch weiter zu stärken, ließ er aus Rom die Überreste von Böethius, des letzten großen römischen Philosophen, der in der Zeit der Herrschaft des Ostrogotenkönigs Theodorich des Großen hingerichtet worden war, her bringen. Diese sind in der Krypta der gleichen Kirche des heiligen Petrus (San Pietro Ciel d´Oro) aufbewahrt. Der König selbst ließ sich unter einem Pfeiler der Kirche bestatten, wahrscheinlich um in der Nähe der großen Lehrer und Philosophen bleiben zu dürfen.

Die Liebe zur Bildung unterlag aber der Gewalt. Im Jahr 774 nahm Karl der Große Pavia ein und ließ sich in der Kirche San Michele zum italienischen König krönen. Mit so genannter „eisernen Krone“ die natürlich nicht aus Eisen war. Langobarden hatten eine sehr flache Regierungsstruktur. Einzelne Herzöge (dux) waren mehr oder weniger selbständige Herrscher und den König wählten sie als eine eher symbolische Figur, deshalb hatten Langobarden auch keine Dynastien. Übrigens nach dem ersten König, sein Name war Alboin, probierten sie es zehn Jahre ganz ohne König, bis sie darauf kamen, dass er doch in bestimmten Aspekten von Nutzen sein könnte. Als es aber notwendig war, sich gegen die angreifenden Franken zu vereinen, meinten die Herzöge aus den südlichen Provinzen Spoleto und Benevento, dass sie dieser Krieg gar nicht angeht und kamen daher nicht zur Hilfe, was ein fataler Fehler war. Die Kirche San Michele spielt in Pavia eine zentrale Rolle. Sie ist wichtiger als Duomo, die in den Jahren 1488 – 1939 gebaut worden war. Die ursprüngliche Kirche San Michele, wo Karl der Große die Krone einnahm, gibt es nicht mehr. Im Jahr 924 eroberten Pavia die Ungarn (diesmal ging es ganz schön schnell, die Schutzmauer der Stadt, die so lange Alboin oder Karel dem Großen Wiederstand leisten konnten, versagten diesmal kläglich) und machten sie dem Boden gleich. Dabei vernichteten sie auch diese heilige Kirche. Volontär Marco versuchte mir einzureden, dass ein großes Erdbeben daran schuld war, historische Quellen sprechen aber eine andere Sprache. Auf der Stelle der alten Kirche wurde im elften Jahrhundert eine neue Kirche gebaut. Weil die Fassade aus Sandstein gebaut worden war, sieht man sofort wie alt die Kirche ist. Der Regen und Wind wischte die alten Reliefs ab. Im Inneren der Kirche sind fantastische Mosaike auf dem Boden der Apsis und auch die Stelle, wo die Könige auf ihre Krone warten musste. San Michele ist dem Erzengel Michael gewidmet, der in der Symbolik der Langobarden, aber auch der anderen germanischen Stämme, eine zentrale Rolle spielte. Es war eine Kultur der Krieger und Erzengel Michael war der Anführer der Armee des Himmels, der die aufständischen Engel besiegt und in die Hölle gestürzt hatte. Sein Kult geht durch ganz Europa, von St. Michele in Bretagne bis Monte San Angelo in Apulien (übrigens dieses Heiligtum, in einer Höhle im Gebirge Gargano war auch die Pilgerstätte der Langobarden und Grabstätte ihrer Könige). In der Apsis der Kirche San Michele in Pavia wurden Mosaiken aus dem elften Jahrhundert entdeckt, die Symbole von Zodiac sowie auch die einzelne Monate und mit ihnen verbundenen menschlichen Aktivitäten darstellen.

Pavia war die Hauptstadt des Italienischen Königsreiches, die mehr oder weniger nur noch rein formal weiter existierte, bis ins Jahr 1024. In diesem Jahr machten die Bürger von Pavia einen großen Fehler. Nach dem Tod Kaisers Heinrich II. (er wurde später heiliggesprochen, weil er mit seiner Frau Kunigunde  -ebenfalls eine heilige – angeblich keinen Geschlechtsverkehr pflegte. Ob die Ursache wirklich eine Enthaltsamkeit oder eher Homosexualität oder Impotenz – vielleicht nur infolge einer Phimose war, weiß nur der Gott allein, für eine Heiligsprechung hat das aber gereicht) , zerstörten die Bürger von Pavia die alte kaiserliche Falz, die in der Stadt noch König Theodorich der Große bauen ließ. Der neue Kaiser Konrad war nicht bereit diese Tat zu verzeihen und ließ sich zum italienischen König in Mailand krönen. Die Kommune von Pavia schaffte es noch, ähnlich wie die anderen italienischen Kommunen, ihre Adelige dazu zu zwingen, in die Stadt zu ziehen. Diese bauten in der Stadt dutzende Türme, die wie phallische Symbole ihre Häuser schmückten (diese sind sichtbar auf einem Fresko in der Kirche San Theodoro). Heute stehen die letzten drei hinter dem Gebäude der Universität, auf dem Platz von Leonardo da Vinci und manche davon neigen sich bereits bedrohlich zur Seite (bei weitem aber nicht so auffällig wie ihre Verwandten in Bologna). Wenn man eine wahre Vorstellung gewinnen möchte, wie so eine Stadt ausgesehen hat, dann muss man nach San Gimignano in die Toscana, dort steht noch eine ganze Menge.

In San Michele von Pavia ließ sich im Jahr 1154 noch Friedrich Barbarossa zum italienischem König krönen (weil er mit Mailand in einem kriegerischen Konflikt verwickelt war und seine ursprüngliche Pläne sich in Monza, in Sichtweite von Mailand krönen zu lassen, nicht verwirklicht werden konnten), aber der Niedergang der Bedeutung von Pavia konnte diese Tatsache nicht mehr aufhalten. Im Jahr 1360 marschierten in die Stadt die Truppen des Mailänder Diktators (und späteres Herzogs) Gian Galeazzo Visconti ein und die Selbständigkeit der Kommune von Pavia fand damit endgültig ihr Ende. Kaiser Karl IV. ließ sich am 6.1.1355 bereits im Dom von Mailand krönen. Eine andere Möglichkeit hatte er nicht, wenn er wollte, dass ihn der allmächtige Visconti weiter zu seiner Kaiserkrönung nach Rom reisen ließe. Sein Sohn Sigismund machte es ihm am 25.11.1431 nach. Ein Beweis, dass sich das Machtzentrum nun auch formal nach Mailand verlegt hatte.

In Pavia blieb trotzdem viel Sehenswertes. Piazza dela Vittoria mit dem Rathaus und der Kathedrale. Eine Überdachte Brücke über den Fluss Ticino (ponte coperto), die noch aus den römischen Zeiten stammt und bereits einige male zerstört und wiederaufgebaut wurde (das letzte Mal im Jahr 1951). Sie ist sehr schön. Auf der anderen Seite des Flusses gibt es eine zauberhafte Reihe an Häusern  „Borgo ticino“, ein Denkmal auf das Bombardement der Stadt im zweiten Weltkrieg und eine Statue einer Waschfrau, von der aus sich ein wunderschöner Blick auf Pavia über den Fluss Ticino bietet.

Am Rande der Stadt ließ Gian Galeazzo Visconti eine viereckige Festung, als ein Symbol seiner Macht, bauen. Heute befindet sich hier „Museo civico“, also das Stadtmuseum mit einer Pinakothek und einer wunderbarer Ausstellung zur Geschichte der Langobarden.

Noch einmal geriet Pavia ins Zentrum des internationalen Interesses und zwar im Jahr 1525. Ausgerechnet in dieser Stadt kam es zur entscheidenden Kräftemessung zweier der mächtigsten Männer der damaligen Welt. Nämlich jener von Kaisers Karl V. und des französischen Königs Franz I. Die kaiserlichen Truppen erreichten einen überrachenden Sieg, König Franz wurde gefangen genommen und das Gebiet der Lombardei überging für die nächsten zwei hundert Jahre unter spanische Herrschaft. Seit diesem Schicksalstag fehlt dem Castello Visconteo der Nordflügel, der von der französischen Artillerie während der Belagerung der Stadt (die der Schlacht vorausgegangen war), vernichtet und nicht wieder aufgebaut worden ist. Die Schlacht ist in einem Fresko in der Kirche San Theodoro dargestellt worden. Für mich ist dies eine ziemlich überraschende Tatsache, dass ein Bild von diesem furchtbaren Morden seinen Weg in eine christliche Kirche gefunden hat.

Acht Kilometer von Pavia entfernt in Mitte der Reisfelder befindet sich Certosa di Pavia, ein Kloster der Kartusianer. Es handelt sich um ein monumentales Gebäude, das Gian Galeazzo Visconti als Grabstätte für sich und seine Familie bauen ließ. Neben diesem Grab ist hier auch wunderschön die Gruft von Ludovico Sforza und seiner Frau Beatrice zu sehen, die im Alter von 22 Jahren gestorben ist, aber es trotzdem schaffte, dem Mailänder Herrscher zwei Söhne zu gebären. Die Mönche von Kartusianer sind auch noch heute hier. Sie wohnen jeder in einem der zweiundzwanzig kleinen Häuschen, die angeordnet in einem großem Kreis, um einen riesig großen Garte sind. Bei einem davon besteht die Möglichkeit es zu besuchen, um sich ein Bild über das Leben der Ordensbrüden machen zu können.

Pavia ist eine der wenigen italienischen Städte, die nicht an das Autobahnnetz angebunden sind. Die Studenten reisen offensichtlich lieber mit dem Zug ein. Auch diese Tatsache verleiht der Stadt eine ruhige ländliche Schönheit. Sollten Sie im Besitz eines großen Autos oder Karavan sein, könnten Sie auf dem Weg von Süden über Ticino Probleme bekommen. Hier ist nämlich die Straße nur für PKWs reserviert, mit einem größeren Wagen kommen sie zwischen den Barrieren einfach nicht durch. Große Wägen und Busse müssen durch die mittlere Spur fahren, wie sie zum Schlüssel kommen, damit Sie diese Spur öffnen können, weiß ich leider nicht.

Pavia ist sicher einen Besuches wert, besonders für Menschen, die Ruhe und Geschichte lieben. Der Aufenthalt hier ist ein echter Balsam für die Seele.

 

 

 

 

Brescia


Was wollt ihr dort tun? So haben mich meine italienischen Freunde gefragt, als ich ihnen mein Absicht diese norditalienische Stadt zu besuchen, mitgeteilt habe. Dort gibt es doch gar nichts! Eine Industriestadt, chaotisch wachsend am Fuß der Alpen, touristisch absolut uninteressant, so lautete  ihre Beurteilung. Ich ließ mich nicht verunsichern, mein Reiseführer versprach mir inmitten des Chaos von Brescia ein wunderschönes Stadtzentrum. Außerdem warnte er vor Unmengen an Schulausflügen. Wenn also so viele italienische Schüler die Stadt besuchen, muss dort etwas Interessantes sein, dachte ich mir. Ich hatte recht. Es gab dort tatsächlich Unmengen der Schulausflügen. Laute italienische Kinder mit noch lauteren italienischen Lehrern, die sich bemüht haben, dem unerzogenen Nachwuchs die glorreiche Geschichte ihres Landes beizubringen. Ich hatte für die Lehrer voller Verständnis. Wenn sie sich in ihren Klassen durchsetzen und etwas ihren Schützlingen mitteilen wollten, mussten sie eine Lautstärke von ungefähr 80 – 100 Dezibel entwickeln. Und sie wollten es. Wo sonst, wenn nicht in Brescia kann man so gut die historische Entwicklung Italiens – und nicht nur des nördlichen Italien – verfolgen.

Ich habe noch nie eine Stadt gesehen, die ihre Geschichte so schätzen und so stolz präsentieren würde. Brescia war in diesem Punkt absolut imposant. Das war der Grund, warum  herum die Schulausflüge überall liefen. Das war aber auch das einzige, was man als negativ bezeichnen konnte, ab und zu war es für ein alterndes Ehepaar (also für uns) ein wenig anstrengend. Sonst war ich aber glücklich, dass ich mich von dem Besuch dieser Stadt nicht abhalten ließ.

Brescia war einmal vor sehr langer Zeit eine gallische Ortschaft, bis sie von Römern eingenommen wurde. Bereits im ersten Jahrhundert vor Christus hatten die Bewohner des damaligen Brixia die bewährte italienische Taktik verwendet, die diese Nation noch immer nutzt und noch immer mit Erfolg. Es ist wirklich ein Phänomen. Egal auf welcher Seite Italien in den letzten zweihundert Jahren in einen Krieg eingetreten ist, es beendete den Krieg immer auf der Seite des Siegers. Und immer hat es etwas dazugewonnen, obwohl auf den Schlachtfeldern seine Soldaten von einer Niederlage in die nächste schlitterten. Brixia verwendete dieses Rezept bereits vor zweitausend Jahren. Im Krieg der Römer gegen ihre Verbündeten verwendete die Stadt eine abwartende Taktik, um sich dann den siegreichen Römern anzuschließen. Als Belohnung bekam die Stadt Rechte einer römischen Kolonie und die Stadt erlebte ihre erste Blüte. Später sorgte der Kaiser Vespasian für den Ausbau der Stadt, nach ihm blieb in der Stadt eine imposante Theaterruine.

Nach dem Zerfall des römischen Reiches wurde Brescia zu einem der langobardischen Herzogtümer und gerade der letzte langobardische König Desiderius war vor seiner Wahl zum König Herzog von Brescia. Er gründete in seiner Residenzstadt ein Kloster San  Salvatore, das heute gemeinsam mit dem benachbarten Klosterkomplex der Heiligen Julia eines der wunderbarsten Museen darstellt,  dass ich in letzter Zeit besuchen durfte.

Im zwölften Jahrhundert entstand in Brescia eine Kommune, die sich nicht dem Kaiser unterstellen wollte und deshalb als ein Mitglied der lombardischen Liga gegen Friedrich Barbarossa kämpfte. Gleichzeitig übte sich die Stadt im Hass gegen das nahe Bergamo. Im Kampf gegen Barbarossas Enkelsohn Friedrich II. erlitt Brescia gemeinsam mit Mailand eine vernichtende Niederlage bei Cortenuovo. Trotzdem weigerte sich die Stadt vor dem Kaiser bedingungslos zu kapitulieren, was zur Folge hatte, dass sich der Kaiser entschied, gleich im darauffolgenden Jahr die Stadt zu erobern und zu demütigen. Er wollte in Brescia ein Exempel statuieren. Brescia sollte die erste in der Reihe der niedergeschlagenen Kommunen sein. Der Brennerpass, den Brescia kontrollierte, war nämlich für den Kaiser von essentieller Bedeutung. Über den Pass konnten nach Italien deutsche Ritter strömen,  die sich im kaiserlichen Dienst auszeichnen  und Geld verdienen wollten und die von Italiener wie Teufel gefürchtet wurden. Die Bürger von Brescia fanden aber die richtige Verteidigungstaktik. Der Kaiser verpflichtete einen jungen genialen Ingenieur, der ihm ermöglichen sollte, die Stadtmauer zu überwinden. Als das die Bürger der Stadt erfuhren, besuchten sie diesen jungen Mann und boten ihm die Bürgerschaft der Stadt sowie auch die Ehe mit der Erbin eines der wichtigsten und reichsten Männer der Stadt an. Der junge Mann verstand richtig, wo seine Zukunft lag. Er nahm das Angebot an, heiratete und als der Kaiser vor der Stadt erschien, stand er bereits auf der Seite seiner Feinde und überraschte die kaiserliche Armee mit immer neuen überraschenden Verteidigungsideen. Der Kaiser konnte die Armee nur für sechs Wochen finanzieren – für mehr gab es kein Geld – er zog enttäuscht ab und die Sieger bauten zur Erinnerung des großen Triumphs das erste Rathaus aus Stein auf dem Hauptplatz – heute der Platz des Pauls VI.

Im Jahr 1311 waren die Brescianer weniger erfolgreich. Sie entschieden sich wieder einmal dem Kaiser nicht zu gehorchen. Diesmal war es der erste Luxemburger auf dem kaiserlichem Thron, Heinrich VII. Dieser ließ in der Anstrengung, die ungehorsame Stadt zu besiegen, nicht nach. Nicht einmal, als die Verteidiger der Stadt seinen Bruder Walram getötet hatten. Die Stadt musste letztendlich kapitulieren, die Stadtmauer wurden niedergerissen und die Anführer des Aufstandes hingerichtet.  Als aber der Sohn des Kaisers, der tschechische König  Johann der Blinde nach Italien einmarschierte, waren es gerade die Bürger der Stadt Brescia, die ihm als erste die Stadttore öffneten und ihn zum „Signore“ wählten, also zum Herrscher und Beschützer der Stadt. Johann blieb der Stadtherr sieben Jahre lang, dann aber, weil er immer leere Taschen hatte und Geld für seine Kriegführung brauchte, verkaufte er die Stadt an Visconti aus Mailand. Unter der Herrschaft von Mailand blieb Brescia bis zum großen Koalitionskrieg im Jahr 1428, danach kam es gemeinsam mit dem benachbarten Bergamo unter die Obhut von Venedig.

Brescia ist eine große Baustelle. Schon deshalb, dass hier eine U-Bahn gebaut wird (für eine Stadt mit 200 000 Einwohner ist es ein sehr mutiges Projekt, aber einige Stationen funktionieren bereits und nach dem Besuch von Brescia begann ich mich zu fragen, warum so etwas nicht in einer Viertelmillionenstadt Graz möglich wäre, wo die Verkehrssituation möglicherweise noch katastrophaler als in Brescia ist). Mein GPS führte mich ins Stadtzentrum, dann kannte es sich aber im Gewimmel der Einbahnstraßen und Baustellen nicht mehr aus und überließ mich meinem Schicksal. Ich verdammte es und fand letztendlich einen Parkplatz am Rande des Stadtparks – wo einmal die Stadtmauer mit dem Graben stand. Von dort war es ins Stadtzentrum  nicht weit.

Der Hauptplatz heißt „Platz Pauls VI.“. Er heißt nach dem Papst, der als Joannes Battista Montini in der Nähe von Brescia geboren und in dieser Stadt zum Priester geweiht wurde. Er wurde hier zum Bischof und Kardinal und von hier wurde er dann im Jahr 1963 zum Nachfolger Johannes XXIII. gewählt. In der Kathedrale in Brescia hat er ein fiktives Grabmal und eine Statue. Und das, obwohl Paul VI. ein bisschen unglücklich als sogenannter „Pill pope“ in die Geschichte eingehen sollte. Papst Paul VI. hatte nämlich einen Zwangsbedürfnis in seinen Enzykliken zu allen, aus seiner Sicht für die Kirche wichtigen Themen, Stellung zu nehmen. Er publizierte sie mehrmals im Jahr und es waren z.B. „Über der Weg der Kirche in der heutigen Welt“ oder „Über das Zölibat“ usw. In seiner Enzyklika „Humannae vitae“ im Jahr 1968 trat er entschieden gegen die kontrollierte Schwangerschaft und Verhütung an. Es war eine Reaktion auf die Einführung der neuerfundenen hormonellen Verhütung, unter anderem ein Beweis, wie weit vom wirklichen Leben die damalige Kirche entfernt war.  Der Spott, den er dadurch ernte, brach ihn und er publizierte weitere zehn Jahre bis zum Ende seines Lebens keine Enzyklika mehr. Die Kirche besteht auf dem Standpunkt von „Humannae vitae“ bis heute, obwohl sie in diesem Punkt beinahe niemand mehr ernst nimmt.

Paul war sicher ein konservativerer Papst als sein Vorgänger. Im Gegensatz zu ihm verweigerte er jede Verhandlung mit den kommunistischen Regimen und beharrte auf mehr Rechte für die Gläubigen in den Ländern des kommunistischen Blocks. Er war kein schlechter Papst, man kann den Stolz der Brescianer auf ihren Landsmann gut verstehen. Die Kathedrale hat aber außer seiner Statue und  der Hand des heiligen Benedikts, des Gründers des Ordens der Benediktiner und Patrons Europas, nicht viel zu bieten. Die Alte Kathedrale, die neben der neuen auf dem Hauptplatz steht und die durch ihre Mosaiken berühmt ist, ist am Montag und Dienstag geschlossen. Wir waren dort am Dienstag. Aber die alte Kirche ist auch beim Blick von außen faszinierend. Sie ist nämlich eine riesige Rotunde, architektonisch im Stil des frühen Mittelalters, in einer so riesigen Dimension habe ich eine Rotunde noch nirgends gesehen.

Auch das Rathaus ist ein imposantes Gebäude mit einem großen Innenhof, es demonstriert die Macht einer reichen Stadt. Spätere Herren der Stadt, die Venediger, mochten aber nicht von diesem Gebäude aus herrschen, sie fühlten sich hier im Angesicht des Stolzes ihrer Untertanen nicht wohl. Sie bauten also auf einem anderen Platz ein neues Gebäude im Stil der Renaissance, nach diesem Gebäude trägt dann der Platz den Namen „Piazza de Lodgia“. Es handelt sich um den schönsten Platz in der Stadt und um einen der schönsten in Norditalien überhaupt. Imposant ist auch die „Via dei Musei“. Diese Straße beginnt bei einer von außen unauffälligen aber im Inneren wunderschönen Kirche, „Santa Maria della Caritá“. Dieses Kirchlein hätten wir ohne weiteres übersehen, hätten uns nicht die Bürger von Brescia auf dieses Juwel aufmerksam gemacht. Ich habe wirklich noch nirgends erlebt, dass die Einheimischen Touristen so eindringlich auf die Denkmäler der Stadt aufmerksam gemacht hätten und darauf aufpassten, dass den Besuchern nichts entging. Die Kirche ist ein echtes barockes Juwel mit einer bemerkenswerten Lorettokapelle hinter dem Altar, sie war sicherlich eines Besuches wert. Bei ihr beginnt dann die „Via dei Musei“. Eine enge Straße, flankiert mit Eingängen in die Renaissancepaläste. Nein, nicht mit Häusern, sondern wirklich nur mit Palästen aus der Zeit der Hochrenaissance, einer neben dem anderen. Alle aus der Zeit der Prosperität und des Reichtums der Stadt im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert. Mit Innenhöfen und dort dann – Ausgrabungen aus den römischen Zeiten. Wie uns ein freiwilliger Aktivist mit einem unglaublich gebrochenen Englisch kombiniert mit dem einfachsten Italienisch erklärte – nur damit wir ihn verstehen konnten – in Brescia ist es egal, wo man mit einer Grabung beginnt, in fünf Meter Tiefe stößt man immer auf Denkmäler und Schätze aus lang vergangenen Zeiten.

Am Ende der Straße findet man das Stadtmuseum. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich ein so imposantes Museum der Stadtgeschichte irgendwo gesehen hätte. Es nimmt zwei Komplexe der alten Klöster ein,  eines davon, Kloster San Salvatore, stammt noch aus den Zeiten der Langobarden. Es wurde im achten Jahrhundert gegründet und die Kirche aus dieser Zeit blieb auch erhalten – es ist ein Juwel der frühromanischen Architektur mit hohen Bögen und Fresken (die sind natürlich jünger, im achten Jahrhundert kannte man die Kunst der Wandmalerei noch nicht). Bögen, die von Gotik noch keine Ahnung haben konnten, trotzdem spannen sie sich in mit Gotik vergleichbare Höhe. Das zweite Kloster der Heiligen Julia ist um einiges jünger. Aber wie ich schon sagte, egal wo man in Brescia mit den Ausgrabungen beginnt, überall trifft man auf Erinnerungen auf alte Zeiten. Also, als man unter dem Boden des Klosterns zu graben begann, traf man auf Häuser aus römischen Zeiten mit herrlichen Bodenmosaiken. Dieses „Haus des Dionysos“ nimmt jetzt einen Flügel des Museums ein und es ist dort streng verboten zu fotografieren. Die Kirche des Klosters der heiligen Julia ist ein wildes Gemisch aller möglichen Baustile, jede Zeit baute etwas dazu, das Ergebnis ist fast berührend. In Brescia wird man einfach durch die ganze Geschichte beginnend in der vorrömischen  bis zur modernen Zeit geführt. Das größte Juwel im Museum ist natürlich die Bronzestatue der beflügelten Siegesgöttin Viktoria, nach der sogar die Zentralstation der U-Bahn benannt worden ist. (Und auch der Platz mit einem unterirdischen Parkhaus, das ich bei meiner Anreise  in die Stadt vergeblich gesucht habe).

Nachher fanden wir eine herrliche Trattoria namens Mezzaria, wo wir sehr gut gegessen haben – der Magen war nach zwei Tagen des Fastens schon wieder bereit, Nahrung aufzunehmend und gab es mir durch einen Anfall des Heißhungers bekannt, der mich gerade Mitte in der Stadt erwischt hat. Nach dem Essen gingen wir in die Festung von Brescia. Es ist ein monumentales Gebäude auf einem der ersten Alpenhügel und es wurde im Jahr 1849 berühmt, als Brescia 10 Tage den österreichischen Truppen Widerstand leistete. In den Straßenkämpfen starb auch der österreichische General Nugent, bis mit den Aufständischen der in Tschechien zu Unrecht vergessene Landsmann Marschall Radetzky Ordnung gemacht hat. Für diesen Widerstand verdiente sich Brescia den Beinahmen „Die italienische Löwin“.

Das Gebäude der Festung ist riesig, es hat mehrere Stockwerke, eine ganze Reihe Verteidigungssysteme und Zugbrücken – nur das Museum fanden wir beim besten Willen nicht. Möglicherweise genau so vergeblich suchten es alle die Schulausflüge, von denen die Festung wieder einmal voll war. Nein, Brescia ist nichts für Menschen, die Ruhe und Stille suchen. Sonst war es aber eine sehr liebe Überraschung. So eine, dass wir ganz vergessen haben, das Hütchen für unsere Enkelin zu kaufen.

Wir erinnerten uns daran unterwegs nach Lovere. Natürlich brach im Auto Panik aus und es blieb mir nichts anderes übrig, als noch spät abends in ein Einkaufzentrum im Nachbartort zu fahren und dort einzuparken (was das Schwierigste war) und dann das Hütchen zu suchen. Ich habe versucht, meine Frau zu überzeugen, dass wir in einem Ort, der übersetzt „Fuchsküste“ heißt ( im Original „Costa volpino“) wahrscheinlich kein Hütchen für Kinder finden würden, da hier nur die Füchse „Gute Nacht“ sagen. Ohne Erfolg. Hoffnung stirbt halt zuletzt. Costa volpino bot aber mehr an, als ich erwarten konnte.  Wir suchten das ganze Einkaufzentrum durch, wir fanden ein Geschäft mit Kindersachen, mit sehr lieben Verkäuferinnen und großer Auswahl an Kinder- und Babysachen. Natürlich, das einzige, was sie nicht gehabt haben, war „Capellino“.

Dadurch mutierte unsere Reise nach Norditalien, egal wie erfolgreich sie aus der Sicht eines Historikers und Touristen war, zum absoluten Desaster. Die Hauptaufgabe wurde nicht erfüllt.

Ich werde den Leser nicht mehr auf die Folter spannen, das happy end darf ich ihm nicht verheimlichen. Capellino haben wir drei Wochen später in Paris im Kaufhaus Galerie Laffayette gekauft. Ich weiß nicht, wie weit meine Drohung, das Kaufhaus nicht zu verlassen, bevor das Hütchen nicht gekauft ist, dazu beigetragen hat, meine Frau erwies aber eine erstaunliche Trägheit. Sie beschäftigte zwei Verkäuferinnen mehr als halbe Stunde. Sie brachten uns einige Stücke aus dem Lager, da die richtige Größe nicht in den Regalen ausgestellt war. Dann aber kam der große Moment, wir hielten das Hütchen in der Hand und konnten es abholen.

Es kostete lediglich zehn Euro – so billig haben wir ein Gefühl eines absoluten Glücks seit langem nicht gekauft!

Bergamo


Wichtig ist, dass man den Namen richtig aussprechen kann. Meine Bergámo machte die Italiener offensichtlich nervös. Nachdem sie mich das fünfte Mal aufmerksam gemacht hatten, dass die Betonung auf der ersten Silbe liegt (also Bérgamo), begannen die sonst immer sehr toleranten und freundlich wirkenden  Gastgeber nervös und gereizt zu sein. Ich weiß nicht, ob ich mit der falschen Betonung vielleicht etwas Unanständiges gesagt hatte. Ich traute mich nicht zu fragen, ich passte aber danach sehr darauf, die erste Silbe zu betonen.

Alle unsere Bekannten lobten einstimmig meine Entscheidung, diese Stadt zu besuchen. Bergamo hat den Ruf einer schönen Stadt und bewirbt sich um den Titel der Kulturhauptstadt Europas für das Jahr 2019. Meine Erwartungen waren also dementsprechend hoch. Dann aber betrat die Szene ein Darmvirus.

Zuerst habe ich gedacht, das Mittagessen in Mailand würde von meinem Verdauungstrakt abgelehnt und damit Schuld an meinem Zustand sein. Bereits auf dem Weg aus Mailand musste ich ganz akut eine Toilette aufsuchen und das war natürlich Wasser auf die Mühle meiner Frau, die mir alle Meeresfrüchte (sie nennt sie Meeresungeheuer) aufgezählt hat, die ich als Vorspeise gegessen hatte. Ich liebe nämlich Meeresfrüchte, sie verträgt sie aber nicht. Als dann aber auch sie betroffen war und wir auch noch erfuhren, dass am gleichen Tag sogar unser Sohn an den gleichen Problemen litt, der Graz in Richtung Berlin am gleichen Tag verlassen hatte, an dem wir nach Italien aufgebrochen waren, musste auch sie zugeben, dass die Meeresungeheuer mit größter Wahrscheinlichkeit keine Schuld an unserem bedauernswerten  Zustand hatten. Schuld war ein böser Virus. Ein wirklich böser Virus.

Wir wohnten im Städtchen Lovere ( bitte auch Lóvere aussprechen) unter den Bergen über den See Lago d´Isolo. Auf der Landkarte kann man ihn zwischen Lago di Como und Lago di Garda finden. Er ist kleiner als diese zwei größeren und berühmteren Brüder, er ist aber nicht weniger schön. In der Mitte des Sees ragt ein Berg – also eine Insel – aus dem Wasser empor, natürlich mit einem Kloster auf der Bergspitze. Auch in Lovere gibt es eine riesige Kirche Santa Maria in Valvendra – für die Größe des Ortes absolut überdimensioniert. Bei ihr anzuhalten glich bei dem lokalen Straßenverkehr einem Selbstmordversuch, daher habe ich auf einen Besuch des lokalen Heiligtums verzichtet.

Wir wohnten oberhalb der Stadt und sollten eigentlich eine schöne Aussicht auf den See und ihn umgebene Berge haben. Hatten wir nicht. Ich verbrachte die ganze Nacht sitzend mit der Aussicht auf das Waschbecken. In der Früh war ich nicht wirklich ausgeschlafen und mein Verdauungstrakt, obwohl er absolut leer sein musste, weigerte sich immer noch hartnäckig, etwas einzunehmen. Aber nicht einmal dieser erbärmliche Gesundheitszustand konnte uns vor der geplanten Reise nach Bergamo abhalten, an deren Ende sollte, wie schon bereits so viel Mal – der Kauf des „capellino“, also des Hüttchens für unsere Enkelin Veronika, sein.

Nach Bergamo zu kommen und hier einen Parkplatz zu finden ist wirklich kein Problem. Die Altstadt sieht man nämlich bereits aus der Ferne. Die so genannte „Obere Stadt – Citta alta“ ragt auf einem hohen Hügel über die moderne Stadt „Citta bassa“ in der Ebene empor und ist mit einem gut erhaltenen, fünf Kilometer langen, Mauerring aus dem sechzehnten Jahrhundert umgeben.

Wir stellten das Auto ins unterirdische Parkhaus und brachen auf, sich vor der furchtbaren viralen Infektion zu retten, die uns bedrohte. Als erstes besuchten wir einen Supermarcato und kauften eine Flasche Grappa. Die Flasche machten wir gleich vor dem Geschäft auf (um zehn Uhr morgens!) und nahmen beide je einen ordentlichen Schluck aus ihr. Ich kam mir ein bisschen wie ein russischer „Muzik“ vor Gorbatschovs Reform vor, aber Schande hin oder her – es ging ums Leben. Grappa hat uns geholfen. Dank seiner Hilfe konnten wir durch die Stadt wandern ohne engmaschig intime Plätze aufsuchen zu müssen. Aufs Essen verschwendeten wir aber keinen einzigen Gedanken.  Das war möglicherweise schade. Wie ich bereits mehrmals erwähnte, ich liebe es, lokale Spezialitäten zu kosten und Bergamo ist durch eine solche berühmt.

Bergamo ist durch seine Küche in ganz Italien bekannt und nicht nur dort. Das Haupt- und meiner Meinung nach auch einzige lokale Gericht ist die Polenta. Der gut bekannte Brei aus Mais, hier aber salzig, süß, mit Zucker, mit Kakao und mit unterschiedlichsten Zutaten, einmal als ein Kuchen, dann wieder eine Torte, mit Fleisch, ohne Fleisch, gekocht und gebacken. Manche Geschäfte boten ausschließlich Gerichte aus Polenta an. Weil wir aber im Vorfeld gewarnt wurden, dass das Essen in Bergamo sehr üppig sei und unsere Mägen beinahe hysterisch bei der Vorstellung, dass sie auch mit dem leichtest verdaulichem Essen belastet werden könnten, waren, kosteten wir Polenta diesmal nicht. Vielleicht beim nächsten Besuch.  Bergamo zu besuchen, zahlt sich nämlich sicher aus.

Bergamo war immer eine reiche und stolze Stadt. Durch die Stadt führte nämlich eine Straße (durch unser Lovere) zu zwei strategisch wichtigen Pässen in den Alpen. Einer davon in Richtung Bolzano und dann weiter über den Brennerpass, der viele Jahrhunderte der Hauptweg aus Italien nach Deutschland war. Sollte aber ein Feind etwas gegen eine solche Reise oder einen Feldzug auf diesem Wege gehabt haben, gab es bei Bedarf eine Möglichkeit auszuweichen und über Splügenpass in die Schweiz und dann ins Rheintal und zum Bodensee zu gelangen. Dank dieser hervorragenden strategischen Lage kam es bald nach Ausrufung einer selbständigen „Signoria“ in der Hälfte des zwölften Jahrhundert zum Streit mit dem nahen Brescia. Brescia beanspruchte nämlich den Weg zum Brenner für sich. Aus diesem Grund finden wir in der folgenden Zeit Bergamo immer im Lager, das mit dem Lager rivalisierte, in dem Brescia Mitglied war. Im zwölften Jahrhundert kämpfte die Stadt als ein Mitglied der lombardischen Liga gegen Kaiser Friedrich Barbarossa und dieser Kampf endete – wie ich bereits im Artikel über Mailand erwähnt habe, mit einem Erfolg, nämlich dem Friedenvertrag von Konstanz im  Jahre 1183, in dem der Kaiser der Selbstverwaltung der italienischen Kommunen zustimmte. Im Jahre 1237 kämpften die Bürger von Bergamo auf der Seite des Kaisers Friedrich II. bei Cortenuovo, wahrscheinlich nur deshalb, weil Brescia auf der anderen Seite stand, nämlich in den Reihen der Lombardschen Liga unter Anführung von Mailand. Die Bergamesen konnten bei Cortenuovo den Sieg über den verhassten Nachbaren auskosten, die Freude war aber nicht von langer Dauer. Kaiser Friedrich II. verstarb im Jahr 1250, der Stamm der Staufen starb bald danach mit gewaltiger Hilfe des Papstes aus und im Jahr 1261 standen unter den Mauern von Bergamo vereinigte Armeen von Mailand und Brescia, die sich nach Rache sehnten.

Im Jahr 1264 musste Bergamo kapitulieren und einen Podesta aus Mailand akzeptieren. Sehr glücklich waren aber die Bergamesen unter dieser Herrschaft nicht. Die Rettung suchten sie bei der neuen kaiserlichen Dynastie der Luxemburger. Im Jahr 1310 halfen sie selbstverständlich Kaiser Heinrich VII. bei Eroberung von Brescia.  Als dann im Jahr 1331 der tschechische König Johann von Luxemburg (der Sohn Heinrichs) nach Italien einmarschierte, wählten sie ihn zu „Signore“ und erwarteten von ihm einen militärischen Schutz. Von dem lieben Johann konnte man alles Unheil der Welt erwarten, nur keinen wirksamen Schutz. Nach einigen Monaten gab er die Stadt auf, weil er sich gegen den Herrscher von Verona, Mastino II. de la Scala, nicht behaupten konnte. Danach kämpften um diese Region Mailand mit Venedig, bis nach dem Krieg der Großen Koalition im Jahr 1428 die Stadt auch mit dem benachbarten Brescia unter die Herrschaft von Venedig kam. Mit einer kurzen Pause in den Jahren 1509 – 1516, als sie von Franzosen eingenommen wurde, bleib die Stadt bis zum Jahr 1796 unter dem Schutz der Flügel des Löwen von Venedig. Den Marcuslöwen aus dem Wappen von Venedig trifft man hier sehr oft. Nicht nur auf dem barocken Eingangstor (geklebt absolut unpassend auf die mittelalterliche Stadtbefestigung, aber wie schon gesagt, Italiener reißen extrem ungern etwas nieder, was noch steht), aber auch auf dem Rathaus auf  der „Piazza Vecchia“ oder auf der Festung „La Rocca“.

Auf die „Citta alta“ kann man mit einer Seilbahn fahren und gleich nach dem Ausstieg öffnen sich vor dem  Besucher schmale Gassen steigend und fallend auf dem Hügel der Altstadt, mit Geschäften für Souvenirs und Polenta. So kamen wir auf die „Piazza Vecchia“. Der alte Platz hat es in sich. Er hat sogar zwei Kathedralen, ein Rathaus mit dem bereits erwähnten Marcuslöwen und eine Reihe weiterer schöner Gebäude.

Als wir den Platz betraten, sprach uns gleich ein Mädchen namens Samuela an. Eine junge sympathische Italienerin mit unglaublich langen Haaren (sogar gebunden zu einem Pferdeschwanz reichten sie ihr immer noch bis unten ihren – schönen  – Hintern). Sie sprach uns englisch an, war aber bereit, mit uns auch auf Italienisch oder Deutsch zu kommunizieren, nach Bedarf. Sie bot uns eine Stadtführung an – eine Stunde einer intensiven Führung durch die Stadt für 35 Euro. Ich wäre fast einverstanden gewesen, Samuela war mir nämlich sehr sympathisch, Studenten soll man finanziell unterstützen und schon allein für ihre Sprachkenntnisse verdiente sie sich eine Belohnung. Meine Frau war aber dagegen. Ich weiß nicht, ob ihr Samuela viel zu anziehend vorkam, um mit ihr eine ganze intensive Stunde verbringen zu dürfen, aber im Grunde hatte sie Recht. Unsere Magen- und Darmlage war nicht so weit stabil, um die Stunde mit Samuela wirklich in Ruhe genießen zu können.

Meine liebe Gattin wendete eine ganze Artillerie von Argumenten an, eines davon war, dass man für 35 Euro ein so schönes Hütchen für unsere Enkelin kaufen könnte, dass sie von allen beneidet würde. Außerdem zeigte sie Bereitschaft, sofort und auf der Stelle die Altstadt zu verlassen und in der Zeit meines Spazierganges mit Samuela durch die Stadt nach „Citta Bassa“ zu gehen und dort Shopping zu betreiben. Im Grunde genommen war das auch keine ganz schlechte Idee, aber in Betracht der Tatsache, dass sich die lebensrettende Flasche mit Grappa in ihrer Tasche befand, gab ich schnell auf. Die Stadtbesichtigung absolvierten wir allein und ohne diese hübsche Begleitung.

Ohne Führer konnten wir zumindest unser Tempo der Stadtbesichtigung selbst bestimmen und sich wirklich nur auf die Zeugen der alten berühmten Vergangenheit der Stadt konzentrieren. Das schönste, was zu sehen war, war die Basilika Santa Maria Maggiore, gebaut bereits in der Mitte des zwölften Jahrhunderts. Weil auf dem Hügel von Bergamo für eine übliche Kirchenfassade nicht genug Platz war, hat die Kirche zwei kleinere Fassaden, aber ganz ungewöhnliche, die Säulen werden von weißen Löwen im Süden und von roten Löwen im Norden getragen. Das Innere der Barockkirche ist vollständig mit Gobelins geschmückt. Ich gebe zu, dass ich noch nichts Ähnliches gesehen hatte, es war aber imponierend. Jeder Quadratzentimeter war mit kostbaren Teppichen mit biblischen Motiven überdeckt.

Die Kirche hatte einmal fünf Apsiden. Im Jahr 1470 entschied ein erfolgreicher Condotierre Bartolomeo Colleoni fünf Jahre vor seinem Tod, sich ein Grabmal bauen zu lassen und reservierte sich dafür den schönsten Platz in der Stadt. Bedauerlicherweise stand auf diesem Platz die Kathedrale. Weil aber Colleoni während seiner militärischen Karriere genug Geld gesammelt hatte, geschah ein Unglück. Die Kathedrale wurde von einem Feuer heimgesucht und eine der Apsiden wurde vollständig zerstört, glücklicherweise gerade die, in der Colleoni sein Grabmal haben wollte. Also hat er es dort. Im Krieg der siegreichen Partei beizutreten war offensichtlich immer ein ertragreiches Unternehmen.

Der Duomo von Bergamo imponiert zwar durch seine Größe, aber das schroffe klassizistische Gebäude kann der Basilika Santa Mari Maggiore nicht das Wasser reichen. Auf dem höchsten Punkt der Altstadt im Norden befindet sich ein Priesterseminar, das den Namen Johannes XXIII. trägt. Giuseppe Roncali war nämlich Rektor in diesem Seminar bevor er Patriarch von Venedig und in weiterer Folge im Jahr 1958 Papst wurde. Der so genannte „Il Papa buono“ also “der gute Papst“ war mit Bergamo eng verbunden. Er wurde in der Provinz von Bergamo in Sotto Il Monte geboren, in den Jahren 1904 – 1915 war der Sekretär des Bischofs von Bergamo, Radini-Tedeschi und unterrichtete im Priesterseminar kirchliche Geschichte. Erwähnungswert ist vieleicht auch die Tatsache, dass nach seinem Tod im Jahr 1963 zu seinem Nachfolger der Bischof aus der verfeindeten Nachbarstadt Brescia, Giovanni Battista Montini, gewählt wurde, bekannt unter seinem päpstlichen Namen Paul VI.

Den Abschluss unseres Ausfluges ließen wir in der Stadtfestung La Rocca (Also „der Felsen“)ausklingen. Die massive Festung aus dem fünfzehnten Jahrhundert auf eine Anhöhe im südlichen Teil der Altstadt mit wunderschönen Aussichten über die Altstadt wurde zu einem Park umgewandelt, in dem es eine Ausstellung des italienischen antifaschistischen Widerstandes gibt.  Also im Grunde die Geschichte des zweiten Weltkrieges aus italienischer Sicht  und zwar nach dem Jahr 1943, als die Italiener erfolglos  versucht hatten, Mussolini loszuwerden und die  klassische italienische kriegerische Taktik anzuwenden, – nämlich sich der siegenden Partei anzuschießen. Diese bewährte Taktik ging diesmal nicht vollständig auf, mit Deutschen es ist nicht ratsam sich zu verscherzen.  Sie schickten Oberst Skorzeny um Mussolini zu befreien und dann überrollten sie die italienischen Einheiten, die ihnen Widerstand leisten wollten, egal wo sie sich gerade befanden. Nur auf der Insel Kefalonia(die damals von Italien okkupiert war) wurde zehntausend italienische Soldaten als Verräter erschossen (darüber hat der Film „Corellis Mandoline“ mit Nicolas Cage und Penelope Cruz in den Hauptrollen erzählt). Als ich die im Park von Bergamo ausgestellten italienischen Waffen gesehen habe, verstand ich, dass die Italiener gegen deutsche Panzer keine Chance hatten. Übrigens, mit gleichen Panzer italienischer Herkunft wurde auch die Österreische Armee ausgerüstet.

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Ach so, wie ging die Sache mit „Capellino“ aus? In der Altstadt von Bergamo gibt es ausschließlich Geschäfte mit Souvenirs und Polenta. Wir haben zwar ein Geschäft mit Kleidung entdeckt, aufgrund der in Schaufenstern ausgestellten Ware trauten wir uns nicht einmal zu fragen, ob es dort „Capellino“ geben könnte. Die untere Stadt von Bergamo ist überhaupt nicht verlockend, um dort zu bummeln und nach einem Kleidungsgeschäft zu suchen. Also beschlossen wir einstimmig, dass der Kauf von „Capellino“ verschoben wird. Am nächsten Tag sollten wir doch nach Brescia fahren. Die Hoffnung blieb also am Leben.

 

 

 

 

Mailand


Mailand ist ein bisschen anderes Italien. Ein normaler Mailänder hängt in seinem täglichen Zeitplan hinter nach genau wie ein Römer oder Neapolitaner, in Unterschied zu den zwei genannten merkt man das aber an ihm. Er flucht im Stau, hupt, ärgert sich und seine Parole ist „veloce, veloce.“ Es hilft ihm zwar nicht, er ist überall zu spät ebenso wie seine südlichen Kollegen, er erlebt es aber ganz anders.

Natürlich sind auch die Mädchen von Mailand gleich wie alle Italierinnen verpflichtet „fare la bella figura“ also gut auszusehen, aber wenn eine römische „donna“ auf ihren high heals  nobel schreitet, die mailändische „bella“ in den gleichen Schuhen mit hohen Absätzen läuft.

Mailand ist mit 1,3 Millionen Einwohner kleiner als Wien und hat ein perfekt ausgebautes U-Bahnnetz. Trotzdem kämpft man sich vormittags besonders zwischen acht und neun nur sehr schwer durch die mit eilenden Italienern überfüllten und gestauten Straßen und in dieser Zeit mit Auto in die Stadt aufzubrechen ist für einen Unerfahrenen einem Selbstmordversuch gleichzusetzen. Eine absolut andere Situation ist dann aber am Samstag oder Sonntag. In dieser Zeit sind die Straßen beinahe leer. Die Mailänder weilen in ihren Wochenendedomizilen. Für die Ankunft in die Stadt empfehle ich also dringend Samstag oder Sonntag, bei uns hat sich das wirklich ausgezahlt.

Die U-Bahn ist, wie ich schon erwähnte, sehr gut ausgebaut, aber Achtung! Die Italiener sind wahre Meister in der Erzeugung von Chaos. Wenn die Ticketaen zusammenbrechen, treiben sie die Menschen in die U-Bahn durch eröffnete Korridore mit der Behauptung, dass man in diesem Fall kostenlos reisen dürfte. Einen Hacken gibt es aber schon, nämlich die U-Bahn kann man dann ohne gültiges Ticket nicht mehr verlassen und muss eine Karte für Austritt kaufen, die anstatt 1,50 volle 5 Euro kostet. Also nehmen Sie ihnen diesen Trick nicht ab (uns ist das passiert). Am besten ist gleich eine Eintage- oder Zweitagekarte zu kaufen (Drei- oder längere Karten gibt es nicht), so hat man zumindest für bestimmte Zeit ausgesorgt und ist nicht der Laune der Automaten ausgeliefert.

Bitte, nicht vergessen – die mailändische Straßenbahn. Sie ist ein echtes mailändisches Phänomen!  Manche Wägen sind ganz modern, andere könnten sich noch auf den Kaiser Franz Joseph erinnern. In Italien – und damit auch in Mailand – wird nichts weggeworfen, solange es nicht spontann zerfällt. Einfach köstlich!

Ein echter Mailänder ist auf seine Stadt gehörig stolz und hält sie für ein kulturelles Zentrum vom gesamten Italien (wenn nicht vom ganzen Universum). Er ist bereit nur mit Zähneknirschen Rom als Hauptstadt Italiens anzuerkennen, Turin hält er für ein überwuchertes Dorf mit einer Automobilfabrik und aus dem ganzen italienischen Süden würde er einen Naturpark einrichten. Dass die Könige von Savoyen einmal zu ihrem Königsreich auch Neapel und Sizilien angeschossen haben, ist in den Augen eines Mailänders ein unverzeihliches Verbrechen, besonders auch deshalb, weil diese Anstrengungen ihren Ursprung in Turin gefunden hatten. (Übrigens, der Ministerpräsident Cavour hatte überhaupt nicht im Sinne, diese Teile des Landes anzuschließen und als er Garibaldi mit seinen tausend roten Hemden nach Süden geschickt hatte, hatte er gehofft, dass ihn Sizilianer umbringen würden und er hätte dann von dem unbequemen Revoluzzer seine Ruhe). Es ist deshalb ein guter Brauch sich in Galleria Vittorio Emanuelle II. dreimal auf dem Stier im Wappen der Stadt Turin, der dort auf dem Boden dargestellt ist, mit der Ferse zu drehen – besonders dann, wenn man vor hat, noch einmal Mailand zu besuchen. Bei uns hat es funktioniert.

Es ist aber objektiv anzuerkennen, dass der mailänder Stolz berechtigt ist, ob es um die Geschichte oder um die Gegenwart geht. Das alte Mediolanum war sogar einmal die Hauptstadt des Römischen Reiches, in dem vierten Jahrhundert entwickelte sich dann unter der Führung von Bischof Ambrosius (337 – 393) zu einem der bedeutendsten Zentren des Christentums. Pikant ist, dass Ambosius aus heutigem Deutschland stammte (er wurde in Trier geboren), und als er zum Bischof von Mailand gewählt worden ist, war er nicht einmal getauft. Weil er ein gebildeter Beamte war, ist es ihm gelungen, die im Zerfall sich befindende Verwaltung der Stadt zu übernehmen und die politische Lage zu stabilisieren. Die Kirche San Ambrosio verdient wirklich seinen Namen. Erstens war es der heilige Ambrosius hochpersönlich, der den Anlass zur Bau dieser Kirche in den Jahren 379 – 386 gegeben hat und er ist hier auch begraben.

Nach dem Fall des Römischen Reiches fiel Mailand für eine bestimmte Zeit in Bedeutungslosigkeit. Es wurde von den Residenzstädten der Ostrogoten und Langobarden, also Ravenna, Verona oder Pavia überholt. Aber im elften Jahrhundert führte Mailand bereits die Liga der norditalienischen Kommunen, die nach einer Unabhängigkeit von der kaiserlichen Macht strebten.1027 ließ sich noch der Kaiser Konrad, verärgert über das naheliegende Pavia, in Mailand zum italienischen König krönen. Zu einem offenen Streit mit dem Kaiser, dem neugewähltem Friedrich Barbarossa, kam es im Jahr 1154. Mailand eroberte das nahe Como und Lodi und im Jahr 1152 entzog Mailand Lodi das Marktrecht. Patrizier dieser Stadt beschwerten sich beim Kaiser und dieser befiel den Mailändern, ihre Entscheidung rückgängig zu machen. Und die wagten es, das kaiserliche Dekret vor den Augen des kaiserlichen Gesandten auf den Boden zu werfen und sein Siegel mit Füßen zu zertreten. Eine größere Beleidigung des Kaisers gab es gar nicht und eine logische Folge dieses Vorfalles war ein Krieg. Mailand hat gegen das Versprechen einer Straflosigkeit kapituliert und Barbarossa ließ sich in nahem Pavia zum König krönen. Aber Mailand hörte nicht auf, den Kaiser zu ärgern. Im Jahre 1158 mussten seine Gesandten heimlich aus der Stadt flüchten, weil sie von den Bevölkerung mit Steinen beworfen worden waren, als sie die Wahl der Stadtkonsulen nach dem Willen des Kaisers zu beeinflussen versucht hatten. Barbarossa brach im Jahre 1160 wieder nach Italien auf und diesmal meinte er es wirklich ernst.  Die unbelehrbaren Störfriede wollte er nicht nur bestrafen, sondern vernichten. Nach Italien wurde er auch von tschechischen Hilfstruppen des Fürsts  Wladislaw begleitet, der für diese Hilfe zum König gehoben worden ist. Die Belagerung der Stadt hat über zwei Jahre gedauert. Die Tschechen haben sich vor der Mauern von Mailand einen Ruf der Kannibalen verdient – um die Verteidiger der Stadt zu erschrecken, machten sie aus dem Teig Figuren im Gestalt kleiner Kindern und die backten sie in den Lagerfeuern vor den Mauern der belagerten Stadt. Es ist den Tschechen sogar gelungen, einmal in die Stadt einzubrechen, weil sie aber keine Unterstützung bekommen haben, mussten sie wieder schnell flüchten, bevor vor ihnen das Tor geschossen werden konnte – der Freiherr von Pardubice schaffte es im letzten Moment, eine Hälfte seines Pferdes ist in der Stadt geblieben abgeschnitten durch  das Gitter. Die Hälfte, die er doch mitgenommen hatte, hat die Stadt Pardubice bis heute in ihrem Stadtwappen.

Die Stadt wurde letztendlich eingenommen, gedemütigt, ihre Mauer niedergerissen, die Bevölkerung vertrieben und Barbarossa glaubte, seine Sorgen seien weg und vorbei. Es war ein Irrtum. Mailand ist aus der Asche auferstanden und in seinem vierten italienischen Feldzug erlitt der Kaiser am 29.Mai 1176 in der Schlacht bei Legnano eine katastrophale Niederlage aus der er sich nie mehr erholen konnte. Letztendlich war er gezwungen, mit den rebellierenden Städten im Jahr 1183 einen Frieden in Konstanz zu schließen, bei dem er ihre Eigenständigkeit und sie wieder seine formale Oberhoheit gegenseitig anerkannt haben. Norditalien hat sich im 13. Jahrhundert in zwei Lager geteilt, die Guelfen, die sich auf die Macht des Papstes stützten und die Ghibellinen, die die kaiserliche Macht unterstützten. (Übrigens die Montek – Montegue in Verona waren Ghibellinen und die Capulets Guelfen und so ist das Drama um Romeo und Julia entstanden)Mailand blieb das führende Glied des Lagers der Guelfen, der Stützpunkt der Ghibellinen war das naheliegende Cremona. Weil heutzutage Mailand 1,3 Millionen und Cremona 70 000 Einwohner hat, ist ziemlich klar, wer in diesem Kampf gewonnen hat. Noch einmal musste Mailand um seine Existenz zittern. Im Kampf zwischen dem Enkel von Friedrich Barbarossa Friedrich II. und dem Papst stand Mailand traditionell auf der päpstlichen Seite, eigentlich gerade wegen dieser Stadt belegte der Papst Gregor VIII. den Kaiser mit seinem Kirchenbann. Im Jahre 1237 erlitt der Verbund der lombardischen Städte eine vernichtende Niederlage bei Cortenuovo, sogar der mailändische Flaggwagen „caroccio“ fiel in die Hände des Kaisers. Mailand war bereit zu kapitulieren, der Kaiser zeigte sich aber unerbittlich und wollte die Stadt noch gründlicher als sein Großvater vernichten. Die Mailänder meinten, dass es eigentlich schlimmer gar nicht mehr werden könnte,  verschanzten sie sich hinter den festen Mauern der Stadt und warteten ab, wie es weitergehen würde. Es ging gut für sie aus. Der Kaiser erlitt eine entscheidende Niederlage bei Parma im Jahre 1248 und zwei Jahre später verstarb er. Die Staufen, Erzfeinde der Päpste und Mailands starben im Jahre 1268 aus und einem Aufstieg der Stadt stand nichts mehr im Wege. Im Jahre 1295 übernahm die Macht in der Stadt Matteo I. Visconti. Als ihn die Bürger im Jahr 1302 aus der Stadt vertrieben hatten, wechselte er die Seiten, wurde zu einem entschlossenen Ghibellin und ließ sich vom Kaiser Heinrich VII. wieder einsetzen. Seit diesem Moment bestimmte die Familie Visconti das Geschehen in der Stadt und ihr Wappen mit der einen Heiden schluckende Schlange findet man in der Stadt beinahe überall.

Gian Galeazzo II. Visconti erreichte im Jahre 1395 einen Herzogtitel, der dann vom Kaiser Sigismund am Konzil von  Konstanz seinem Sohn Philipp Maria bestätigt wurde. Im Jahr 1386 gab er den Befehl zum Bau des Mailänder Domes, eines der größten Gotteshäuser im Europa.

Nach der Vorstellung des Herzogs sollten in der Kirche alle damaligen 30 000 Einwohner der Stadt Platz finden. Bis der Bau allerdings einige Jahrhunderte später vollendet worden ist, hatte die Stadt natürlich viel mehr Einwohner und somit scheiterte die Absicht des Herzogs. Der Dom ist aber bis heute eine imposante Dominante der Stadt mit einer wunderschönen gotischen Fassade und einem dunklen, fast die Angst einjagenden, Inneren. Die gigantischen, das Gewölbe des Domes tragende  Pfeiler sind nichts für Klaustrophobe.

Allerdings gerade auf dem Gipfel der Macht zogen sich über die Familie Visconti dunkle Wolken zusammen. Philipp Maria hatte keinen Sohn, nur eine Tochter Namens Bianca Maria. Um die Zukunft seines Herzogtums zu sichern, verheiratete er sie mit seinem fähigsten General Francesco Sforza und nicht einmal dessen uneheliche Herkunft schreckte ihn ab. Sforza kämpfte erfolgreich für Mailand gegen Venedig und für Venedig gegen Mailand. Er kämpfte im Sold des Papstes, um ihn dann aus Emilia Romagna zu vertreiben, er war kurz gesagt zu allem fähig und das war die beste Empfehlung.

Es war eine richtige Wahl. Nach dem Tod von Philipp Maria im Jahr 1447 musste sein Nachfolger zugleich an drei Fronten kämpfen. Direkt in Mailand versuchten die Widersacher der Viscontis eine „Ambrosianische Republik“ auszurufen, in den umliegenden und von Mailand unterdrückten Städten erwachten die Bestrebungen nach Selbständigkeit und die Schwäche von Mailand wollte natürlich auch der größte Gegner (im Grunde genommen der letzte, der in Italien noch übrig geblieben war)- Venedig, nutzen. Ein Zerfall des Imperiums von Mailand wäre der Serenissima sehr gelegen gekommen. Francesco Sforza zeigte sich als der richtige Mann an der richtigen Stelle. Die Demokraten in Mailand vernichtete er mit einem Schlag, sehr schnell unterdrückte er auch die Bestrebungen nach Selbständigkeit in den umliegenden Kommunen. Venedig erwies sich aber doch als eine härtere Nuss. Seine Bestrebung nach Vernichtung von Mailand hatte einen vierjährigen Krieg zufolge, der dann mit einem Frieden von Lodi vom 9.April 1454 endete. In diesem Frieden teilten sich Mailand und Venedig definitiv die Machtbereiche und es konnte endlich eine Ära des Friedens und der Prosperität beginnen. In Mailand konnte die Epoche der Sforzas beginnen, die berühmteste Epoche schlechthin. Francesco Sforza ließ am Rande der Stadt eine riesige Festung  Castello Sforzesco  bauen, diese war eher als Schutz vor eigenen Bürgern als vor einem fremden Feind gemeint.

Die Festung ist auch heutzutage eines Besuches wert, als ein Kleinod wird hier die Pieta von Michelangelo aufbewahrt, die der alte sterbende Künstler nicht mehr vollenden konnte. Michelangelo begann seine Karriere mit einer Pieta (die schuf er für die Kirche des heiligen Petrus im Rom) und mit der Pieta in Mailand hat er seine Karriere beendet. Der ältere Sohn von Francesco Sforza Galeazzo Maria wurde im Mailänder Dom ermordet, die Macht übernahm sein Bruder Ludovico, der für die dunkle Farbe seiner Haut „il Moro“ genannt wurde. Wer weiß, mit wem ihn seine Mutter Bianca Maria hatte. Ludovico ließ seinen Neffen Gian Galeazzo (den Sohn von Galeazzo Maria) einkerkern und im Jahr 1494 vergiften. Ab diesem Moment war seine Macht über die Stadt nicht mehr angreifbar. Seit dem Jahr 1482 wirkte in der Stadt Leonardo da Vinci. Er verbrachte viele Jahre in  Mailand unter dem Schutz von Ludovico Sforza, eigentlich den Großteil seines schöpferischen Lebens. Er hinterließ das Bild der Geliebten von Ludovico Cecilia Gallerani (berühmt unter dem Namen „Die Dame mit Hermelin“) und das von Mythen umgebenes „Das letzte Abendmahl“  in der Kirche Santa Maria delle Gracie.

Das Buch von Dan Brown „Sakrileg“ löste eine unglaubliche Hysterie aus. Heute kann man also das Fresko nur nach einer Reservierung besuchen. Wenn man Glück und Ausdauer hat, könnte man im Internet eine Karte für 12 Euro erbeuten. Sonst bleibt dem Menschen nichts anders übrig, als eine Karte um 68 Euro zu kaufen, die mit einer dreistündlichen Führung durch Mailand verbunden ist. Uns blieb also nichts anders übrig. Signorina Donatella, deren Englisch einem Maschinengewährfeuer gleich kam, und der andauernd starker Regen machten aus diesem Besuch ein unvergessliches aber erschöpfendes Erlebnis. Über Leonardo werden Sie in Mailand auf jedem Schritt und Tritt stolpern. Neben dem „Letzten Abendmahl“ in Santa Maria delle Gracie ist das seine Statue auf dem Piazza Scala oder ein Museum in Galleria Vittorio Emanuelle II, das seinen Forschungen und Projekten gewidmet ist. Obwohl gerade das größte Projekt, weswegen er nach Mailand überhaupt gekommen war, eine riesige Reiterstaue  von Francesco Sforza – gibt es nicht. Angeblich ließ Ludovico Sforza aus der für die Statue bereitgestellte Bronze Kanonen für den nahenden Krieg gegen die Französen gießen.

Der Reichtum von Mailand rief nämlich die Mächtigen der damaligen Welt auf den Plan. Den ersten Versuch des französischen Königs Karl VIII. gelang es noch abzuwehren. Sein Nachfolger Ludwig XII. nahm aber die Stadt ein und Ludovico starb in seiner Gefangenschaft. Söhne von Ludovico haben es noch mit wechselndem Erfolg versucht, den Herzogsthron zu erobern, zuletzt fiel aber Mailand dem Kaiser Karl V. zu und in weiterer Folge an Spanien. Die Familie Sforza starb aber nicht aus, ein Mitglied der Familie Francesca Riario-Sforza heiratete im April 2017 im Schloss Murau den Kronprinz Johann von Schwarzenberg, genannt Aki.

Im Jahre 1708 nahmen die Stadt in Rahmen des Spanischen Erbfolgekrieges österreichische Einheiten ein und in den Friedenverhandlungen im Jahr 1714 blieb die Lombardei bei Österreich. Aus dieser Zeit stammt das legendäre Opernahaus „La Scala“. Ein Gigant mit sechs Balkons wurde feierlich im Jahr 1778 eröffnet, übrigens durch eine Oper des im Film Amadeus von Milos Forman dehonestieren Antonio Scallieri „Europa riconosciuta“.  La Scala besitzt auch ein eigenes Museum, also wenn man keine Eintrittskarte für eine Oper bekommen konnte (mit ein bisschen Glück kann man im Internet eine Karte knapp über 100 Euro mit „eingeschränkter Sicht auf die Bühne“ kaufen), kann man zumindest das Museum besuchen. Der eigenartiger Name der Oper (bedeutet „die Stiege“) stammt aus der Tatsache, dass auf diesem Platz, wo dieses gigantischen Opernhaus entstehen sollte, einmal eine Kirche „Santa Maria alla Scalla“ stand.

Im Jahr 1860 wurde Mailand dem italienischen Königsreich angeschlossen. Grundsätzlich hätten die Mailänder gegen diese Tatsache keine Einsprüche gehabt, wenn diese Einigung nur nicht aus dem verhasstem Turin ausgegangen wäre.

Mailand ist eine Stadt der Kultur und der Mode. In Galleria Vittorio Emanuelle II.  befinden sich Modemarken Fratelli Prada, Versace und der berühmteste aller Mailänder ist natürlich „the new king of Milan“ Giorgio Armani.

Dieser hat in der Nähe des Genuatores sogar ein eigenes Museum.        Man kann natürlich für ein unchristliches Geld direkt im Stadtzentrum einkaufen (direkt neben der Kathedrale gibt es ein Kaufhaus „La Rinascente“ voll mit luxuriösen Marken und mit einer Aussichtsterrasse mit einem Cafe  im obersten Stock. Man kann zwar von der Terrasse nicht viel sehen, da sie aus Sicherheitsgründen mit hohen und dicken Glastafeln umgeben ist, man könnte hier aber essen (4 Raviolli für 16 Euro).  Es gibt aber  Gott sein dank Alternativen, wo man in Mailand schöne und elegante Ware für erschwingliche Preise kaufen könnte. Es ist in erster Linie Corso Buenos Aires zwischen der U-Bahn Stationen Porta Venezia und Lima, oder die Gegend zwischen Porta Genova und San Agostino. Für Jugend kann dann die Gegend um die U-Bahn Station Lambrate interessant sein, wo sich moderne Designers niedergelassen haben. Und sollte man Lust und gute Beine haben ( es ist von der U-Bahn doch ziemlich entfernt) und natürlich auch feste Nerven, könnte man es in Salvagente in Via Bronzetti 16 versuchen, wo sich ein Outlet der berühmten Marken befindet und wo man Prada oder Versace für die Hälfte des normalen Preises kaufen könnte – auch wenn es auch dann nicht gerade billig ist.

Bildung spielt in Mailand vielleicht nicht so eine zentrale Rolle wie zum Beispiel in Pavia, das Geld ist hier wichtiger. Trotzdem hat Mailand eine eigene große Universität, in einem bemerkenswerten Gebäude, gebaut in einer kuriosen Mischung unterschiedlichen Baustils – in Italien wird einfach nichts niedergerissen, es wäre doch schade.

Um so mehr litt Mailand im zweiten Weltkrieg dadurch, dass durch Fliegerbomben 45 % der Bausubstanz vernichtet worden ist. Anschriften „US“ (Uscita sicurenza) also ein Ausgang aus einem Schutzkeller findet man auf manchen Häuser noch heute. Die Leiche des von Partisanen hingerichteten Benito Mussolini wurde in Mailand auf der Piazza Loreto ausgestellt. Einen noch größeren Schaden, besonders dann die Vernichtung des Doms, konnte durch eine Verhandlung mit Alliierten Erzbischof von Mailand Alfredo Ildefonso Schuster verhindern, der im Jahr 1996 für selig gesprochen worden ist. Diese Seligsprechung war umstritten. Schuster stand nämlich dem faschistischem Regime sehr nahe und bis zum letzten Moment versuchte er das Leben von Mussolini zu retten – also ihn zu einer Kapitulation zu bewegen. Gerade durch das Versprechen, dass er Mussolini zur einer Kapitulation überreden würde, hat er einen direkter Angriff der Alliierten an Mailand, die Hauptstadt der sogenannten „Italienischen sozialer Republik“ wo Mussolini unter der deutschen Aufsicht seit 1943 „herrschte“, verhindert.

Mailand – das ist natürlich auch Fußball. Ohne ihn kann kein Italiener leben. „Calcio“ ist ein Kult und wenn die „Serie A“ gespielt wird, findet man in keiner Bar einen freien Platz, weil alles reserviert wird. (Sonst ist die Bierauswahl in Mailand überraschen groß, man findet hier auch z.B Pilsner Urquel in einer erstklassiger Qualität). Mailand hat sogar 2 Fußballvereine und damit auch zwei unversöhnliche Fangruppen. Aber sowie „AC“ wie auch „Inter“ litten die letzten Jahre gewaltig dadurch, dass im italienischen Fußball bereits seit Jahren der Gegner aus dem „überwucherten Dorf mit der Automobilindustrie“ Juventus Turin an der Spitze steht. Wie schön musste für sie sein, als AC Milan im  Jahre 2003 im Finale der Meisterleague Juventus besiegt hatte.

Mailand ist also ein bisschen anderes Italien und ist sicher eines Besuches wert. Mailänder lernt man schnell lieben, gerade für ihre Schwächen und Vorurteile. Mailand ist eine teure Stadt und das Leben hier ist für die Einheimischen anstrengend. Es ist aber eine erfolgreiche Stadt, ein Mensch, der hier überleben will, muss etwas können und wollen. Möglicherweise gerade das treibt  die lombardische Metropole weiter voran.

Beinahe hätte ich vergessen – „Capellino“!

Natürlich haben wir es nicht gekauft. Wo in Mailand, bitte? Bei Versace, bei Gucci, Armani oder Dolce e Gabbana? Hütchen für sechs Monate alte Babys waren dort nicht am Lager, oder haben wir es zumindest nicht gefunden. Ehrlich gesagt, wir haben es auch nicht besonders intensiv gesucht. Meine Frau zeigte sich aber nicht besonders enttäuscht. Unser Ausflug sollte uns am nächsten Tag nach Bergamo führen. Dort werden wir das „Capellino“ ganz sicher kaufen können. Und so verließen wir Mailand in einer guten und optimistischen Stimmung, fest entschlossen das Hütchen in Bergamo definitiv  zu kaufen. Aber darüber ein anderes Mal.

Die Reise nach Turin


Italienische Impressionen

Ich habe mich entschieden, auf meiner Webseite meine Reiseberichte aus Italien zu publizieren. Sie sind – wie es meinen Interessen entspricht, historisch orientiert, aber es ist ein Gemisch von der Geschichte der Städte, der Sehenswürdigkeiten, Reisetipps und unseren Erlebnissen. Einfach etwas für ein paar entspannten Minuten und vielleicht auch etwas zum Lachen oder zumindest zum Lächeln, ich hoffe, dass jeder in den Artikeln, die in zweiwöchentlichen publiziert werden sollten, etwas findet, was ihm gefallen wird.

Als erste:

Die Reise nach Turin

Als wir uns wieder einmal entschieden hatten, Italien zu besuchen, und zwar seinen nördlichen Teil, den ich bisher nicht kannte, begrüßte ich diesen Plan mit Begeisterung. Damals hatte ich allerdings keine Ahnung, dass das Hauptziel dieser Reise der Kauf eines Hütchens für unsere Enkelin Veronika – oder wie es die Italiener entzückend nennen – „capellino“ war. Ein einfacher Vorwand für diese Reise um „capellino“ war ein Seminar meiner Frau über Lungenkrebs. Ich dachte naiv, dass es der wirklich wahre Grund unserer Reise wäre. Die Wahrheit über „capellino“ erfuhr ich erst vor Ort, als es keinen Weg zurück mehr gab.

Wir reisten mit dem Auto. Ich konnte mich mittlerweile an die Fahrweise der italienischen Autofahrer gewöhnen und ihr Fahrstil wurde daher für mich mehr oder weniger ungefährlich (ehrlich gesagt, eher weniger als mehr). Grundsätzlich gelten hier die gleichen Regeln wie bei uns, nur die Umsetzung ist ein bisschen anders und lockerer. Ich mache keine Dummheiten mehr  wie bei meiner ersten Reise nach Italien im Jahre 1993, als ich – für die einheimischen Fahrer absolut unverständlich – bei Rot an der Ampel angehalten habe, obwohl kein Auto in Sicht war. Es schockiert mich nicht mehr, dass ein Italiener im Stande ist, den ganze Verkehr in einer Stadt lahmzulegen, nur weil er gerade einen guten Bekannten auf dem Gehsteig gesehen hat und mit ihm natürlich ein paar Worte wechseln musste. (Auch der Sinn des Begriffs „ein paar Worte“ hat in Italien eine deutlich andere Bedeutung als bei uns) Noch immer kann es mich aber ein bisschen nervös machen, wenn mich ein Auto von rechts über den Gehsteig überholt, weil nach der Meinung des Fahrers meine fünfzig Stundenkilometer verdammt wenig sind. Einen stillen Protest habe ich im  Tunnel geäußert, in dem die Höchstgeschwindigkeit 70km/Stunde war. Ich fuhr 90 (ich bin nicht lebensmüde um mich bei 70 km/St von hinten anfahren zu lassen) und wurde trotzdem über die Doppelsperrlinie von Italienern überholt und noch dazu in einer – meiner Meinung nach  – ziemlich unübersichtlichen Kurve. Aber das alles gehört zum lokalen Kolorit und es ist gut so.

Turin erreichten wir also problemlos und, nachdem ich meine Frau bei dem Hotel Boston abgesetzt hatte, fuhr ich ein Parkhaus zu suchen. Das war allerdings nicht ganz einfach. Die Beschriftung hat gefehlt und mein GPS hat mich vergeblich informiert, dass ich mein Ziel gerade erreicht hätte, ich sah es einfach nicht. Letztendlich habe ich auf der Straße eingeparkt und bin zu Fuß gegangen, um die Einfahrt in das Parkhaus zu suchen. Ich entdeckte sie, es war aber eine sehr anspruchsvolle Aufgabe, unterwegs im Auto einfach nicht zu schaffen. So gut war die Parkhauseinfahrt geheim gehalten.

Meine Erwartungen bezüglich der nördlichsten italienischen Metropole waren bescheiden. Turin hat den Ruf einer Industriestadt, ich erwartete also nicht allzuviele historische Denkmäler, also war ich ziemlich skeptisch. Umso angenehmer war die Überraschung, die mir diese Stadt am Fluss Po bereitete. Turin war einmal ein gallisches Ort, der im Jahre 218 vor Christus von Hannibal zerstört wurde, als er in Italien über den St-Bernhardpass eingefallen war und das Glück nicht glauben  konnte, dass er den Übergang überlebt hatte. Turin befindet sich nämlich direkt an einer Kreuzung der zwei wichtigsten Straßen nach Frankreich über Monte Geneva und über die beiden St.Bernard Pässe. Von hier aus konnte man sich  bereits bequem auf dem Fluss Po befördern lassen. Also, strategisch gesehen, hat die Stadt immer eine sehr vorteilhafte Lage gehabt.

Im Jahr 28 vor Christus entstand also gerade hier eine römische Kolonie, die später den Namen Augusta Taurinorum erhielt und es ist interessant, dass der Grundriss der römischen Stadt mit ihren senkrecht gekreuzten Straßen bis heute erhalten geblieben ist. Es blieben auch die Mauerreste aus dieser Zeit mit der erhaltenen Porta Palatina, sowie auch Reste eines römischen Theaters. An der ehemaligen Porta Pretoriana zeigten Italiener ihre übliche Kreativität. Dieses ehemalige römische Tor bauten sie zuerst zu einer mittelalterlichen Festung um – Castello. Später folgte ein Umbau im Stil der Renaissance und weil ihnen das Ergebnis noch immer nicht wirklich gefallen hat, ergänzten sie dieses Hybrid noch mit einer barocken Fassade. Das Ergebnis dieser chaotischen Kreativität ist einfach unglaublich, dieses Gebäude beherrscht den größten Platz von Turin – Piazza di Castello.

Die Menschen von Turin und eigentlich vom gesamten Piemont zeigten sich in der Vergangenheit als sehr erfinderisch. Die Entdeckungen, die in Zusammenhang mit Piemont gebracht werden könnten, begleiten uns in unserem Leben auf jedem Schritt und Tritt – zum  Beispiel entstand hier die Tafel – und später auch die Nussschokolade, der Kaffee Lavazza, Martini, Cinzano, Tic Tac und viele weitere Köstlichkeiten. Natürlich auch Nutella, die darf man nicht vergessen. Um die Stadt Alba gibt es aus diesem Grund riesige Nussplantagen. Piemont ist auch stolz auf seinen guten Wein. Das Flaggschiff ist natürlich der berühmte Barollo, ich persönlich präferiere Barberra, besonders Barberra d´ Alba. Er ist weniger intensiv aber sehr angenehm und auch erschwinglicher. Wir wollten einen Martini direkt auf dem Tatort im Cafe Torino auf Piazza San Carlo kosten, als wir aber erfuhren, dass ein Glas hier acht Euro kostete, genossen wir es in einer anderen Bar für 2 Euro.

Kreativ war auch der Koch im Restaurant Mago Rabin im Corso s´ Mauricio, wohin wir essen gegangen sind. Als er erschien, um uns zu begrüßen, war er gleich suspekt. Er sah wie ein Künstler aus, der seine Inspiration in unerlaubten Mitteln suchte. Am diesen Abend rauchte er wahrscheinlich um ein Joint mehr als üblich.               Wir hatten ein Menü mit vier Gängen bestellt, bekamen aber siebzehn Gänge!!!  Unserer Künstler vermittelte den Ausländern eine Übersicht über die ganze piemontische Küche. Eigentlich keine ganz schlechte Idee und jeder Gang war ein kulinarisches Erlebnis. Das Problem lag darin, dass sich manche Gänge miteinander nicht gut vertrugen und sich für eine kämpferische Konfrontation entschieden. Ohne Rücksicht, dass das Schlachtfeld mein Magen war. In jedem Fall musste ich den ganzen kommenden Tag nichts essen, eigentlich konnte ich überhaupt nicht – weil bereits bei einem  Blick auf das Essen ich mit Übelkeit zu kämpfen hatte.  Damit haben wir eigentlich viel Geld gespart. Piemont ist ein etwas anderes Italien. So anders, dass Napoleon, als er im Jahre 1796 ins Land einmarschierte, die Österreicher vertrieb und aus den italienischen Provinzen eine Cisalpinische Republik gründete, Piemont direkt an Frankreich anschoß. In seinen Augen war die einheimische Bevölkerung Franzosen, die Französisch nicht richtig gelernt hatten (was übrigens auch sein Problem war). Er lag nicht ganz falsch. Diese Tatsache hat besonders mein Magen zu spüren bekommen, weil die Mehrheit der konsumierten Gänge eher zu französischer als zu italienischer Küche gehörte. Torino, wie der italienische Name der Stadt ist, sagt man auf piemontesisch Türin. Herzöge von Savoy, von ihrem Ursprung her Franzosen aus der Region unterhalb des Mont Blanc, die in Piemont seit dem elften Jahrhundert geherrscht hatten und im dreizehnten Jahrhundert dann den örtlichen Bischof in der Verwaltung der Stadt ablösten, verlegten im Jahr 1563 ihre Hauptstadt aus dem französischen Chambéry nach Turin.

Napoleon ist hier noch immer sehr populär. Diese Tatsache habe ich nicht ganz verstanden, er war doch ein Aggressor, Diktator und weiters – ganz einfach, ich mag ihn nicht. Wie ich allerdings im „Museo di Risorgimento“ also im Museum der Vereinigung Italiens erfuhr, wird er für einen Menschen gehalten, der nach Italien die Meinungsfreiheit und die demokratischen Ideen brachte und damit den Prozess der Vereinigung Italiens startete, der seinen Höhepunkt im Jahr 1861 gerade in Turin fand.

Es regnete und regnete. In Turin ist das allerding keine wirkliche Tragödie. Erstens gibt es hier die U-Bahn, wo es ähnlich wie in Kopenhagen keinen Zugsführer gibt und so kann man ganz vorne sitzen und die Gleise zu beobachten. Aber beinahe die ganze Stadt ist mit Arkaden ausgestattet, also kann man im Trockenem bleiben, auch wenn viel Wasser vom Himmel fällt. Natürlich sind dort überall Butiquen und Markengeschäfte, was mich nicht wirklich interessiert hätte, bis ich mich meiner Frau angeschlossen habe und begann – was glauben Sie, aber natürlich –  das „capellino“ suchen. In diesem Moment habe ich endlich realisiert, dass dieser Ausflug problematisch werden könnte.

Ich beschäftigte mich mit den Sehenswürdigkeiten der Stadt. Der königliche Palast und Palazzo Madamme passten nicht mehr in meinen Zeitplan und die berühmte savoyische Rüstungskammer habe ich einfach nicht gefunden, sie ist wahrscheinlich nur für die Einheimische auffindbar und für sie bestimmt, oder man muss einen bezahlten Stadtführer dafür buchen. Das legendäre Leintuch von Turin befindet sich in Duomo di San Giovanni unmittelbar neben dem königlichen Palast.

(Die Ausstellung zu diesem Thema ist aber in einer prächtigen königlichen Barockkapelle San  Lorenzo untergebracht, ebenfalls beim königlichen Palast, aber an der Seite der Piazza di Castello). Ob in ihm wirklich Christus eingewickelt war, ist unter den Wissenschaftlern bis heute umstritten. Es ist sehr wahrscheinlich, dass dieses Leintuch aus der Beute der Kreuzritter des vierten Kreuzzugs stammt, als die Kreuzritter im Jahr 1204 Konstantinopel eroberten und die Blutspuren der Blutgruppe AB entsprechen genau den Verletzungen, die ein Mensch bei der Kreuzigung mit einer Dornkrone auf dem Kopf und einem tödlichen Stich in die Herzgegend erleiden musste. Die Carbonanalyse datiert allerdings das Alter des Leintuches in das dreizehnten Jahrhundert, also handelte sich möglicherweise doch um eine Fälschung. (Die Byzantiner waren in der Fälschung der heiligen Reliquien wahre Meister). Das Tuch befindet sich in der Kirche San Giovanni in einer Seitenkapelle. Es ist eigentlich sehr angenehm, sich hier niederzusetzen und zu erholen, während es draußen regnet und regnet. Der Text, der bei dem Tuch zu lesen ist, löst den Widerspruch auf die salomonische Art – nach dem Text ist das Tuch ein Symbol des Leidens Christi. Also warum nicht? Ich mochte dieses Ort.

Turin besitzt(das behaupten die Italiener selbst, es wäre diese Behauptung unbedingt zu überprüfen) das nach Kairo zweitgrößte ägyptologische Museum der Welt, „Museo egizio“. Warum eine so großartige Ausstellung gerade in Turin ihren Sitz gefunden hat, hat natürlich einen Grund. Ein bestimmter Piemonteser namens Bernardino Drovetti fühlte sich nach der Annexion von Piemont durch Napoleon als echter Franzose und folgte Bonaparte bei seinem Feldzug nach Ägypten. Als dies mit einer Katastrophe geendet hatte, dachte er, doch kein echter Franzose zu sein und blieb als Konsul in Ägypten. Er war für alle, für die Franzosen, für die siegreichen Engländer aber auch für die Ägypter akzeptabel. Gerade Napoleon weckte durch seinen Feldzug Interesse an der Kunst des alten Ägypten, bei seiner Reise wurde er von Wissenschaftlern und Künstlern begleitet, dank seines Feldzuges wurde die Tafel von Rosetta gefunden, die es Jean Francios Champolion ermöglichte, die ägyptischen Hieroglyphen zu entziffern. Drovetti blieb also in Ägypten und setzte fort, was sein General begonnen hatte – er sammelte Papyri, Statuen, Reliefs, die aus dem ägyptischen Sand auftauchten. Als er dann nach Hause kam, landete seine Sammlung im Louvre. Drovetti fühlte sich aber nicht mehr als echter Franzose und Piemont wurde nach dem Wiener Kongress zum unabhängigen Königsreich von Sardinien. Drovetti wollte nicht für einen französischen Patrioten gehalten werden, der seine Kostbarkeiten uneigennützig  verschenkt. Er hat sich entschieden, seine in Louvre platzierte Sammlung zu verkaufen und der König von Sardinien, Karl Felix, bot einfach mehr als der französische König. Danach konnte man den Transfer der Samsung aus Paris nach Turin im Jahr 1824 nicht mehr verhindern. Die Sammlung ist wirklich sehenswert. Es gibt Papyri in der Größe einer ganzen Mauer, vom Buch der Lebenden, also dem Buch der ägyptischen Medizin, bis zu einem erotischen Papyrus, der bereits vor vier tausend Jahren die Geheimnisse der Liebe erklärte. Es fehlt auch eine „beauty box“ nicht, eine Kosmetiktasche einer Ägypterin aus der Zeit des Neues Reiches. Also Damen (aber auch Herren), es ist viel zu bestaunen.

Das Symbol von Turin ist aber die Mole Antonelianna, ein Gebäude, dessen Turm auf der italienischen Zweizentmünze dargestellt ist. Ursprünglich handelte sich um eine Synagoge, aber noch vor ihrer Fertigstellung übersiedelte die Hauptstadt Italiens zuerst im Jahre 1866 nach Florenz und dann 1870 nach Rom. Deshalb fehlte für die Fertigstellung das Geld. Heute gibt es dort ein Museum der Kinematographie – italienische Filmateliers befinden sich in Turin!

Eine wirklich interessante Ausstellung zeigt die Geschichte der Kinematographie, von der Laterna magica über die ersten beweglichen Bilder und Kurzfilme aus dem Ende des neunzehnten Jahrhunderts bis zu modernen Werken. Es gibt sehr viele interessante Dinge, wie zum Beispiel das Korsett von Marilyn Monroe, das ahnen lässt, dass an dem Mädchen wirklich einiges zu betrachten war und John Kennedy genug zum Angreifen hatte.

Im Museum fährt ein im freiem Raum hängender Lift auf die Turmspitze, die Voraussetzung für ihre Nutzung ist allerdings Schwindelfreiheit. Bei schlechtem Wetter, als die Turmspitze in den Wolken ertrank, war die Sicht reich Null. Also verzichtete ich auf diese Attraktion. Italiener können aber ihre Museen wirklich bauen, darüber sollte ich mich einen Tag später überzeugen.

Im Jahr 1899 gründeten acht lokale Unternehmer, unter ihnen auch Giovanni Angelli, in einem Vorort von Turin namens Lingoto „Fabrica italiana l´automobile di Torino“. So entstand der berühmte FIAT, heutzutage einer der größten Autokonzerne der Welt. (Auf deutsch wird der Name als „Fehlerhaft in allen Teilen“ interpretiert, die Amerikaner nennen ihn wieder „Fix it alone, Toni“) Allerdings besteht Fiat in der Konkurrenz der Weltmarken bis heute ganz gut und das in der Zeit, in der alle anderen italienischen Marken (Lancia, auch aus Turin, Alfa Romeo, Lamborgini usw.) seit langer Zeit ausländischen Firmen gehören. In der gigantischen Produktionshalle in Lingotto ist heute eine Kongresshalle, in der das Seminar stattgefunden hat, das meine Frau besuchte, ein Geschäft der Nahrungsmittel „Slow food“ (das ist auch eine piemontesische Erfindung als Antwort der Gourmanen auf Fast food Ketten), ein Hotel, eine Galerie usw. usw. – Die Italiener reißen nämlich sehr ungern etwas, was bereits steht, nieder.

Unweit von der ehemaligen Halle gibt es dann das „Museo nacionale de automobili“, also das nationale Automobilmuseum. Ich bin zwar kein unkritischer Fan der Autoindustrie und das Auto ist für mich in erster Linie ein Mittel zum Transfer vom Punkt A zum Punkt B, aber dieses Museum  hat alle meine Erwartungen hoch übertroffen. Nicht nur, dass sich hier eine Ausstellung der Modelle aus dem Ende des neunzehnten Jahrhundert, aber auch das Auto Italia befindet, mit dem im Jahr 1912 eine Reise nach Shanghai unternommen wurde. Also in der Zeit, in der es dort noch keine Tankstellen gab, weil in vielen Ländern, die die Reisenden überqueren mussten, die Einheimischen von einem Auto noch nie gehört hatten.

Es wird auch die Entwicklung der Autos in den Zwanzigerjahren zu den ersten Luxusmodellen der Dreißigerjahre.  Gezeigte Filme erklären den Unterschied der Produktionphilosophie nach dem zweiten Weltkrieg in Amerika und in Europa und deren spätere Annäherung, stellen unterschiedlichste Kuriositäten dar, die sich letztendlich nicht durchgesetzt haben. Natürlich darf auch eine Ausstellung der Rennautos beginnend mit dem Jahr 1914 bis zu den heutigen Boliden der Formel eins nicht fehlen. Selbstverständlich findet man hier den legendären Fiat 500 und 600 und eine Menge Ferrari. Außerdem ist hier die Entwicklung der Motoren seit dem Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts dargestellt, (Inklusiv z.B. Modell Laurint und Klement aus dem Jahr 1909) und die Entwicklung der Reifen vom Holzrad bis zu den heutigen Reifen der Formel I. Ich hatte wirklich ein Problem, das Museum nach vierstündigem Besuch zu verlassen, jemand, der ein echter Autofan ist, sollte wahrscheinlich einen Schlafsack mitnehmen, um irgendwo geheim zu übernachten.

Also Museen können die Italiener wirklich errichten. Turin war ein Erlebnis, das ich sicher und mit gutem Gewissen empfehlen kann.

Ach so, wie ist es mit dem „capellino“, als dem Hauptgrund unseres Besuches, ausgegangen? Wir besuchten in Turin eine Menge Geschäfte und ein Kaufhaus. Der Verlauf war immer gleich. Zuerst eine riesige Begeisterung über das vielfältiges Angebot mit einer Behauptung, hier werden wir sicher etwas finden und kaufen. Taktisch war dieses Versprechen richtig, dank dessen habe ich nicht gleich die Flucht ergriffen. Dann aber hatte ein Hütchen keine Schnur unter dem Kinn, das nächste hatte zwar eine, die war aber zu lang. Das nächste hatte die richtige Schnur, war aber viel zu teuer und das mit den Figuren von Disney kauften wir natürlich auch nicht. Letztendlich beschloss meine Frau, dass man in Turin ein Hütchen nicht kaufen kůnne, weil das Weltzentrum der Mode doch Mailand sei. Dort wird es sicher eine viel bessere Auswahl geben. Und so reisten wir weiter nach Mailand. Aber darüber wieder andersmal.

 

 

Die Weihnachtskrippe – woher kommt sie


In der Adventzeit sehen wir sie überall – ob auf dem Weihnachtsmarkt, in den Kirchen oder zu Hause unter dem Christbaum – die Krippe ist ein nicht mehr wegzudenkender Teil von Weihnachten geworden, ohne Ochse und Esel können wir uns Weihnachten kaum vorstellen.

Woher stammt aber diese Überlieferung der Geburt Christi ? Woher kommen die Krippe und die zwei Haustiere, die das Christkind mit eigenem Atem wärmen sollten?

Die Vermutung liegt nahe, dass diese Szene in der Bibel näher beschrieben ist, denn woher sonst könnte sie kommen. Begeben wir uns also auf die Suche nach dieser Geschichte.

Die wichtigste Quelle für die Weihnachttradition sollten natürlich die Evangelien sein. Nur das, was dort geschrieben ist, ist von der Kirche als Wahrheit anerkannt. Allerdings erleben wir beim Studium der Evangelien eine kleine Enttäuschung.

Markus und Johannes beschäftigen sich mit der Geburt Christi gar nicht. Es geht ihnen um die Mission, die mit der Taufe von Johann dem Täufer beginnt, die Geburt des Erlösers ist für sie hingegen nicht interessant. Interessant ist, dass es sich mit größter Wahrscheinlichkeit um die historische gesehen ältesten Evangelien handelt. Das Evangelium nach Markus stammt wahrscheinlich wirklich aus dem ersten Jahrhundert und wird offensichtlich zu Recht dem Sekretär des heiligen Petrus zugeschrieben (deshalb wird es manchmal als Petrusevangelium bezeichnet).

Das Evangelium nach Johannes entstand rund um Jahrhundertwende des ersten und zweiten Jahrhunderts, es handelt sich aber um ein so genanntes nicht synoptisches Evangelium, dass den anderen in vielen Dingen widerspricht. Es ist  poetisch das beste der Evangelien und hat die Aufgabe die Gottheit von Christus zu beweisen, die Geschichte der Geburt des Erlösers wird aber ebenso nicht erwähnt.

Das Evangelium nach Matthäus wird traditionell für die älteste gehalten und deshalb im Neuen Testament auf der ersten Stelle gereiht – es wurde (irrtümlich) dem Apostel Matthäus zugeschrieben, da dieser der einzige Apostel war, der lesen und scheiben konnte. Diese Theorie wurde bereits verlässlich widerlegt, das Evangelium nach Matthäus übernimmt mehr als 600 Versen aus dem Markusevangelium, ist also wesentlich jünger. Hier werden das erste die Umständen der Geburt Christi erwähnt.

So heißt es:

„Und der Stern, den sie hatten aufgehen sehen, zog vor ihnen her bis zu dem Ort, wo das Kind war, dort blieb er stehen. Als sie den Stern sahen, wurden sie von sehr großer Freude erfüllt. Sie gingen in das Haus und sahen das Kind und Maria, seine Mutter, da fielen sie nieder und huldigten ihm. Dann holten sie ihre Schätze hervor und brachten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe als Gaben dar.“

Vor einer Krippe hören wir also nichts, lediglich von einem „Haus“.

Wir müssen also weiter nach Esel, Ochse, Krippe suchen. Der letzte Evangelist ist „Kollege“ Lukas (ich nenne ihn deshalb „Kollege“, weil er wie ich Arzt von Beruf aber auch Schriftsteller abenteuerlicher Romane war, also kann er mir hoffentlich die Bezeichnung verzeihen). Und jetzt kommen wir schon wirklich weiter – Lukas ist ein begnadeter Geschichtenerzähler. Er schreibt:

„Als sie dort waren, kam für Maria die Zeit ihrer Niederkunft, und sie gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen. Sie wickelte ihn in die Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil in der Herberge kein Platz für sie war.“

Und der Engel teilt auf der gleichen Stelle der Hirten: „Ihr werdet ein Kind finden, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt.“

Mit Lukas sind wir also doch ein bisschen weiter gekommen, die Krippe hätten wir schon, was hat  es aber mit dem Ochsen und Esel auf sich, die bei einer Weihnachtskrippe doch nicht fehlen dürfen.

Die Antwort findet sich in sogenannten Apokryphen – also Evangelien, die bei der Selektion der kirchlichen Texte ausgeschlossen wurden. Es gab sehr viele davon, sogar ein Evangelium nach Judas. Und in einem der bekanntesten so genanntem Pseudo-Matthäusevangelium finden wir, wonach wir suchen:

„Am dritten Tage nach der Geburt unseren Herrn Jesus Christus trat die seligste Maria aus der Höhle, ging in einen Stall hinein und legte ihren Knaben in eine Krippe, und Ochs und Esel beteten ihn an. Da erfüllte sich, was durch den Propheten Jesaja verkündet ist, der sagt: „Der Ochse kennt seinen Besitzer und der Esel die Krippe seines Herrn.“ So beteten sogar die Tiere, Ochs und Esel, ihn ständig an, während sie ihn zwischen sich hatten. Da erfüllte sich, was durch den Propheten Habakuk verkündet ist, der sagt: „Zwischen zwei Tieren wirst du erkannt.“

               Die Entstehung diesen Legenden fand im 8-9. Jahrhundert statt, obwohl diese so genannte „Kinderlegenden“ bereits viel früher erzählt worden sind. Die Kirche hat sie nie gern gesehen, Hieronymus hat diese ganze Literatur abgelehnt, die Päpste Damasus, Inozenz I oder Gelasius verurteilten sie sogar. Das Kirchenvolk hielt aber an diesen Erzählungen fest und so ist dieses Sammelwerk (geschrieben in Latein – alle Evangelien sind in griechischer Sprache) entstanden. Trotz Ablehnung der offiziellen kirchlichen Stellen haben diese Geschichten einen festen Platz in der weihnachtlichen Tradition gefunden und großen Einfluss auf Kunst und Kultur gehabt. Dank dieser Geschichte haben wir unsere schöne Krippe mit Ochs und Esel, die unsere Kinder so lieben.

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Zips – eine geschichtereiche slowakische Region


Wenn sie an einem Ort leben, nehmen Sie Ihre Umgebung irgendwie als selbstverständlich wahr, ohne sich mit Details zu beschäftigen. Wenn Sie die Zips als ein Tourist besuchen, zieht die Hohe Tatra Ihre volle Aufmerksamkeit auf sich. Vielleicht kann Sie das Gebiet „Slowakisches Paradies“ mit seinen schönen Wanderungen auch ansprechen, üblicher ist hier allerdings das wandern im Hochgebirge. Was fast Schade ist – die Zips hat nämlich eine sehr reiche und bewegte Geschichte, die in der Region viele Denkmäler hinterlassen hat. Was man also tun kann, wenn das Wetter schlecht ist und man in die Tatra nur mit Regenschutz aufbrechen kann?

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Ich versuche, euch durch die Zips und ihre Schönheiten zu begleiten.
Die Geschichte der Region unter der Hohen Tatra wurde entschieden von dem Mongoleneinfall im Jahr 1240 beeinflusst. Die Folge war nämlich beinahe eine Ausrottung der slawischen Bevölkerung, nur ein kleiner Teil konnte sich auf dem „Kamen zachrany“ also „Stein der Rettung“ im Slowakischem Paradies retten, wo die Mongolen mit ihren Pferden nicht hingekommen sind. Der ungarische König Bela IV. von den ungarischen Historiker „Der Erneuer“ genannt, hat sich entschlossen, das Problem nach dem Abzug des asiatischen Wandervolkes durch eine Einladung deutscher Siedler zu lösen. Er hatte in Niedersachsen Erfolg. Die Sachsen kamen und gründeten in der Region unter Tatra insgesamt 24 Städte. Hauptstadt dieser Zipser „Zupa“ wurde dank ihrer Lage die Stadt Levoca (Leutschau).
Im Jahr 1410 passierten Dinge, die für Zips von entscheidender Bedeutung waren, obwohl sie sich weit entfernt von der Region abgespielt haben. Im Norden brach ein Krieg zwischen Polen und dem Deutschen Ritterorden aus und im Süden verkaufte der König von Neapel Ladislav dalmatische Städte an Venedig. Ladislav war ein ungarischer Gegenkönig gegen Sigismund von Luxemburg und wenn er seine Ländereien, die ihm einmal Treue geschworen hatten, nicht mehr halten konnte, verkaufte er sie einfach. Und Venedig, strebend nach Vorherrschaft in Adria, hatte natürlich eminentes Interesse.
Der ungarische König Sigismund befand sich in einer unangenehmen Situation. Erstens hat er sich gerade (nicht rechtemäßig) gegen seinen Cousin Jodok (Jost) zum deutschen König wählen lassen und deshalb musste er den Deutschen Orden unterstützen, zweitens verlor er wirtschaftlich extrem wichtige Häfen an der Adria. Wohin also zuerst? Zu seinem Glück verloren die Deutschen Ritter ihren Krieg in der Schlacht bei Tannenberg bereits am 15. Juli 1410, also früher als Sigismund zu ihrer Unterstützung überhaupt irgendetwas unternehmen konnte. Die Folge der Kriegserklärung war nur die Verwüstung Nordslowakei durch das polnische Heer. Sigismund entschloss sich, mit seinem Schwager, dem polnischen König Wladislav Jagello Frieden zu schließen. (Einmal waren sie beide mit ungarischen Prinzessinnen verheiratet, Sigismund mit Maria, Wladislaw mit Hedwig.) Die Könige trafen sich in Stara Lubovna wo ein Waffenstillstand vereinbart wurde. Wladislaw bekam von dem Ritterorden in Rahmen der Kontributionen 100 000 Schock Groschen. Sigismund hat das Geld dringend gebraucht (das war bei ihm ein Dauerzustand, er war in den finanziellen Dingen seinem Großvater Johann von Luxemburg sehr ähnlich) Er bereitete sich nämlich für den Krieg gegen Venedig vor, um verlorene dalmatische Häfen zurückzuerobern. Der König Wladislaw versprach ihm 37 000 Schock Groschen (8 Tonnen Silbermünzen!), wollte aber für das Geld Haftungen. Weil sie gerade in Stara Lubovna saßen, vereinbarten sie, dass ihm Sigismund Städte und Dörfer in der Region Zips verpachten würde. Zum Schluss waren das 16 Städte und 16 Dörfer. (Im Detail waren es Lubica, Matejovce, Deutchendorf, Spiska Sobota–(Zipser Samstag), Straze, Velka, Ruskinovce, Spisska Bela, Spiska Nova Ves – Zipserneudorf, Spiske Podhradie, Spiske Vlachy, Tvarozna,Vrbov, Stara Lubovna, Hniezdne und Podolinec) Die Städte und Dörfer sollten an Ungarn nach Rückzahlung des Geldes zurückgegeben werden. Sigismund hat aber den Krieg gegen Venedig verloren (oder nicht gewonnen, wie ungarische und tschechische Historiker schreiben, jedenfalls war er nicht im Stande das Geld zurückzuzahlen.)

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So entstand eine kuriose Situation. Mitte im ungarischen Königsreich gab es eine dem polnischen König untergebene Enklave, mit deutschen Bevölkerung, umkreist mit slawischem Hinterland. In den übrigen Zipser Städten wie Levoca( Letschau) oder Kezmarok (Kesmarkt) blieb weiterhin ungarische Verwaltung und in der Zips siedelte sich auch eine große jüdische Gemeinschaft ein. Dieser Zustand dauerte bis 1772, wann Maria Theresia im Rahmen der ersten Teilung Polen, auf der sie ursprünglich keine Interesse hatte, die Städte, die jedem ungarischen König Dorn in Auge waren, in das ungarische Königsreich wieder eingegliedert hatte.

So entstand in dieser Region eine einzigartige Mischung der Völker, deren Spuren bis heute in der Region spürbar sind. In der Zeit des Slowakischen Staates (1939 – 1945) wurde zwar die jüdische Gemeinschaft ausgerottet und die Deutschen wurde im Jahre 1946 vertrieben (in ihre Häuser wurden dann Roma einquartiert) , die multikulturellen Wurzel sind aber immer noch spürbar da.
Beginnen wir unseren Ausflug in dem bekanntesten Stadt in der Zips– Levoca( Leutschau). Seit dem Jahr 1271 war sie die Hauptstadt der Zipser Region – obwohl sie um diese Stellung jahrhundertelang mit Kezmarok (Kesmarkt) ringen musste. Levoca ist wirklich eines Besuches wert. Prächtige Bauten in Still der Renaissanceschmücken den ganzen Hauptplatz – im 16. Jahrhundert erlebte die Stadt nämlich den größten wirtschaftlichen Aufschwung. Die Blütezeit wurde durch Bau der Eisenbahn beendet, die 11 Kilometer südlicher durch Zipserneudorf (Spiska Nova Ves) geführt wurde. Letschau hat sogar zwei Kirchen im Rang einer „Basilika Minor“. Für die, die nicht wissen, was dieser Titel bedeutet, erinnere ich, dass den Titel Basilika maior, also „ die Große“ nur die vier wichtigsten Pilgerkirchen in Rom und zwei in Assisi tragen dürfen. Gleich unter ihnen stehen dann Basilikas minor, also die Kirchen des zweithöchsten Ranges. Dass sich gleich zwei in einer Stadt befinden, ist eine Ausnahme und Ehre. In Levoca ist es erstens die Kirche auf dem Marienberg – einem Pilgerberg über Levoca, der eine wunderschöne Aussicht über die ganze Landschaft bietet.

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Man erreicht diese entweder zu Fuß auf dem Pilgerweg oder auch bequem mit dem Auto. Im Jahre 1949 wollten die regierenden Kommunisten die Pilgerfahrt auf den Marienberg verbieten und verhafteten den örtlichen Priester. Das hatte massive Proteste in der Bevölkerung zur Folge die als der Aufstand von Levoca in die Geschichtsbücher kam. Der Aufstand wurde niedergeschlagen und viele Menschen wurden zu bis zu 10 Jahren Gefängnis verurteilt. In dem Vorraum der Kirche auf dem Hauptplatz befindet sich eine Gedenktafel zur Erinnerung an diese Gegner des kommunistischen Regimes. Die Pilgerfahrten finden auch heute statt, im Jahr 1995 hielt Papst Johannes Paul II. hier eine Messe ab.
Die zweite Basilika Minor ist die Kirche in der Stadtmitte, berühmt durch Schnitzereien von Meister Paul von Leutschau, der hier in den Jahren 1508 – 1510 seinen legendären Altar hergestellt hat. Auch wenn er als ein Juwel der Spätgotik gilt, ich kann mich nicht davon abhalten ihn als Renaissancealtar zu bezeichnen. Die Darstellung des letzten Abendmals, wo sich die Apostel unter sich unterhalten und nur Petrus und Judas Jesus zuhören wobei einer der Apostel sogar schläft, ist ein lebendiges Bild, das mit dem religiösen Leben der Gotik nicht viel gemeinsam hat. Auch der Gesichtsausdruck des heiligen Jakob auf dem Altar hat nicht die Starre der Figuren auf den gotischen Altären. Nicht umsonst ist das Werk des Meisters Paul das Hauptziel der Touristen, die sich entscheiden Levoca zu besuchen.
Levoca kann sich aber auch mit weiteren historischen Persönlichkeiten oder Geschehnissen rühmen. Im Jahre 1844 kamen hierher Studenten aus Bratislava, die das evangelische Lyzeum in damaligem Preßburg aus Protest gegen Ausschluss des slowakischen Nationalhelden (und Gründer der modernen slowakischen Sprache) Ludovit Stur aus dem pädagogischem Corpus verlassen haben. Das ist der Beweis für ein sehr hohes Ausbildungsniveau in der damaligen Zeit in Levoca. (Übrigens in dem preßburger Lyzeum stimmten die deutschen Professoren gegen den Ausschluss von Stur, seine slowakischen Kollegen stimmten aber gemeinsam mit den Ungarn dafür). An dieses Ereigniserinnert eine Gedenktafel auf dem Haus des damaligen Lyzeums im rechten unteren Ecke des Hauptplatzes. Ein paar Schritte weiter befindet sich ein imposantes Gebäude des neuen Gymnasiums im Jugendstill.
Ein berühmter Mann, der in Levoca geboren wurde, wurde bereits beinahe vergessen. Johann Thurzo kam am 30. April 1437 in Levoca zur Welt (sechs Jahre nachdem die Stadt von Hussiten niedergebrannt worden ist) Er interessierte sich sehr intensiv für Bergbau, der sich in Ungarn aufgrund von Überflutungen der Bergwerke in einer schweren Krise befand. Er erfand eine Methode der Entwässerung der Stollen. Einer der reichsten Männer der damaligen Zeit- Jakob Fugger aus Augsburg – wurde auf sein Geschick aufmerksam. Er hatte die slowakischen Silbermienen bereits seit längerer Zeit im Auge (bis zur Entdeckung Amerikas war die Slowakei der Hauptproduzent europäischen Goldes). Weil infolge der ungarischen Gesätze kein Ausländer Bergwerke besitzen durfte, nutzte Fugger Thurzo als Strohmann. Im Jahre 1495 schlossen sie einen Vertrag, in dem Fugger in den ungarischen Bergbau investierte und dafür den Hauptteil des Gewinnes kassierte. Thurzos Anteil war aber auch nicht gerade klein. So wurde er einer der reichsten Menschen in Ungarn. Sein Sohn Johann wurde zum Erzbischof in Breslau, der zweite Sohn Georg, verheiratet mit Anna, der Nichte von Fugger, wurde Bürgermeister von Krakau und der dritte Sohn Stanislav wurde Bischof von Olomouc. Sein Urneffe Georg III. wurde am Anfang des 17.Jahrhunderts sogar zum Palatin, also dem Vertreter des Königs in Ungarn.
Wenn sie nach Levoca kommen, empfehle ich das wunderschöne Hotel Arkada in einem alten Bürgerpalast auf dem Hauptplatz zu besuchen. Gutes Essen gibt es im Restaurant „Zu den drei Aposteln“. Die habe ich als Petrus, Johannes und natürlich Jakob den Älteren, den Patron von Levoca, identifiziert. Durch Levoca führt demzufolge auch der Jakobsweg nach Santiago de Compostella.

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Nicht weit von Levoca in Richtung Osten steht die Zipser Burg, eine riesige Wehranlage, eines Besuches auf jeden Fall wert und unter ihr befindet sich Spiska Kapitula. Dieses Städtchen, immer noch in den mittelalterlichen Mauern eingeschlossen, ist der Sitz des Bischofs von Zips. Die Kirche des heiligen Martins ist eine gotische Kathedrale, gebaut auf den Fundamenten einer von Mongolen vernichteten romanischen Basilika. In ihr befindet sich die Grabstätte der Familie Zapolya, die jahrhundertelang die Geschichte von Ungarn mitgestaltet haben. Johann Zapolya soll seinen König Ludwig Jagello im Jahr 1526 bei Mohacz in Stich gelassen haben um selbst zum ungarischen König zu werden. Er wurde wirklich in Stuhlweißenburg am 11.11.1526 (also am Tag des heiligen Martins zu dem die Familie Zapolya ein sehr enges Verhältnis pflegte) gekrönt. Nach langen Kämpfen mit Ferdinand I. von Habsburg musste sich Zapolya letztendlich nach Siebenbürgen zurückziehen, hier war er ein Herzog unter türkischem Schutz. Er selbst ist in der Krypta in Spiska Kapitula nicht begraben. In der Kirche befindet sich Büste des umstrittenen Bischofs Jan Vojtassak. Er war der Bischof der Zipser Provinz in Jahren 1921 – 1950. In der selbständigen faschistischen Slowakei war er Mitglied des Staatsrates, also der oberen Kammer des slowakischen Parlaments. Im Jahr 1944 gelang zwei Häftlingen aus dem Vernichtungslager in Auschwitz die Flucht. Sie flohen nach Spiska Kapitula zum Bischof Vojtassak. Er gewährte ihnen den Schutz und reiste nach Bratislava um den Präsidenten Tiso (auch ein Priester) zu überzeigen, dass Judentransporte aus der Slowakei sofort eingestellt werden müssten. Er hatte mit dieser Intervention aber keinen Erfolg. Nach dem Krieg war er ein entschiedener Widersacher des neuen kommunistischen Regimes. Im Jahr 1950 wurde er verhaftet und in einem inszenierten Prozess mit drei slowakischen Bischöfen wegen Hochverrats zur lebenslangen Haft verurteilt. Er starb im Jahr 1963 im Alter von 84 Jahren. Johannes Paul II. wollte Jan Vojtassak selig sprechen lassen, dieser Prozess wurde aber im Jahre 2003 wegen Protesten aus jüdischer Gemeinde eingestellt.
Interessant obwohl ein bisschen skurril ist die heilige Reliquie, die in der Kirche aufbewahrt wird, nämlich ein Tropfen Blut von Johann Paul II. Ich nehme an, dass die Kirche zu diesem Blut in Rahmen des Besuches des Heiligen Vaters in der Slowakei im Jahre 1995 kam (welche gesundheitliche Untersuchung wurde bei ihm gemacht?) und dann gewartet, bis Johann Paul II. heilig gesprochen wir, was zu erwarten war.
Die zweite wichtige Stadt in Zips, die unter der ungarischen Verwaltung blieb, war Kezmarok (Kesmarkt). Bei der Anreise in die Stadt können Sie die riesige Kirche nicht übersehen. Es handelt sich um die „Neue evangelische Kirche“. Es ist möglich, sie gemeinsam mit berühmtem Lyzeum mit der größten historischen Bibliothek in Mitteleuropa mit 150 000 Bänden und der alten Artikulärkirche zu besuchen. Die Artikulärkirche wurde aus Holz ohne Verwendung auch nur eines einzigen Nagels gebaut (so hat es Artikel 25 in der Zeit der religiösen Unfreiheit befohlen, und daher kommt der Name der Kirche).

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Die Kirche wurde im Jahr 1687 gebaut und im Jahre 1717 umgebaut. In dieses unauffällige Gebäude passen 1500 Gläubige hinein. Gleich in der Nähe wurde Ende 19.Jahrhundert die neue evangelische Kirsche in eklektischem Still gebaut, also mit Artefakten aus Orient (jüdisch, moslemisch), das Gebäude in diesem Still musste streng symmetrisch gebaut werden, deshalb diese Kirche zum Beispiel zwei Kanzeln hat. Diese Symmetrie wurde aufgelöst, als hier am 30. Oktober 1906 ein berühmter Landsmann von Kezmarok begraben wurde. Imrich Thököly war der Anführer eines Aufstandes gegen die habsburgische Herrschaft, er starb im Jahr 1705 im türkischen Asyl in der Stadt Izmid. Im Jahr 1906 kaufte die ungarische Regierung von der Türkei die Leichname der ungarischen Nationalhelden Franz Rakoczy und Imrich Thököly und ließ sie nach Ungarn überführen. Rakoczy wurde am 29. Okober 1906 in der Kirche der Heiligen Elisabeth in Kassau (Kosice) begraben (er stammte aus der Ostslowakei) und Thököly einen Tag später in Kezmarok. Sein Grab wurde zu einem Pilgerort für die Ungarn, sein Sarkophag ist mit ungarischen Trikoloren, Kränzen und Fahnen bedeckt. Im Grab befinden sich ein Sarkophag mit seinen Überresten, aber auch der Grabstein aus Izmid und die Standarte seines Heeres.

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Das Lyzeum von Kezmarok wurde dadurch berühmt, dass hier der slowakische Nationaldichter Pavol Orsagh Hviezdoslav in den Jahren 1865 – 1879 studiert hat. Hier hat er seine dichterische Karriere begonnen. In der Quinta begann er auf Ungarisch zu dichten, wobei sein großes Vorbild der ungarische Nationaldichter Sandor Petöfi war. Danach wechselte er ins Deutsch, da diese Sprache im Lyzeum die Hauptunterrichtsprache war (deshalb wurde er damals „der junge Goethe“ genannt). Aber bereits im Jahr 1868, also noch während seines Studiums in Kezmarok publizierte er das erste Gedichtebuch auf Slowakisch.
Hviezdoslav begegnen Sie in Kezmarok überall – er verdiente sich nämlich sein Geld für das Studium durch Unterricht nicht übermäßig talentierter Kinder der örtlichen Unternehmerfamilien. Hviezdoslav ist ein Hotel auf dem Hauptplatz gewidmet, ein wirklich prächtiges Hotel mit sehr guten Küche und einer schönen und perfekt deutsch sprechenden Bedienung. Deutsch in nämlich in der Hotelschule in Kerzmarok die zweite Wahlsprache und sogar ein Maturagegenstand.
Ein bisschen außerhalb des Hauptplatzes steht die katholische Kirche – Basilika des heiligen Kreuzes, ebenso im Jahre 1998 von Papst Johannes Paul II. in den Rang der Basilika minor erhoben. Die ursprüngliche Kirche wurde durch Einfall der Hussiten und ein Erdbeben im Jahr 1433 vernichtet, deshalb hat man mit dem Bau einer neuen gotischen Kathedrale – der Bau dauerte bis zum Jahr 1498. Die Statue von Jesus auf dem Hauptaltar ist ein Werk von Meister Paul von Levoca. In der Kirche befinden sich mehrere prächtige gotische Flügelaltäre, die Kirche ist sicher besuchswert, allerdings nur bis 14 Uhr offen.
Die größte Stadt in der Region ist Poprad. Die Stadt wurde nach dem Fluss benannt, der durch die Ortschaft fließt. (Der einzige Fluß in der Slowakei, der nach Norden in den Ostsee fließt) Sie entstand durch Zusammenschluss von 5 ehemaliger Zipser Städte – Deutschendorf (heutiges Stadtzentrum) Velka, Spisska Sobota, Stráže und Matejovce. Deshalb sind auf den öffentlichen Bussen Wappen aller fünf Städte dargestellt, das Wappen der Stadt Poprad mit zwei Pfeilen vor der Silhouette der Hoher Tatra ist nämlich neu – nach langwierigen Streitereien wurde diese Fassung Ende neunziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts abgesegnet.
Der Hauptplatz von Poprad mit zwei Kirchen (katholisch und evangelisch) ist schön, noch schöner ist aber der Ortsteil Spiska Sobota mit typischer Zipser Architektur. Typisch für katholische Kirchen in der Region ist frei neben der Kirche stehender Glockenturm – so ist das in Kezmarok, Poprad, Spiska Sobota aber auch in anderen Städtchen und Dörfern. Der Wappen von Spisska Sobota ist heraldisch sehr wertvoll, es ist nämlich die einzige Darstellung des heiligen Georgs – des Patrons von Spisska Sobota – in der er ohne Pferd gegen den Drachen kämpft. Wenn Sie Spisska Sobota besuchen, empfehle ich das Restaurant Fortuna. Gehobene Küche, etwas teurer als in der Slowakei üblich aber noch immer erschwinglich und mit perfekter Bedienung.
Auf dem Hauptplatz von Popradsteht die kleine Brauerei „Tatras“. Sehr gute Bedienung, gutes Essen und jeder Raum mit anderem Dekor – im ersten Raum –Pivobanka – sind das Münzen und Banknoten aus der ungarischen Zeit bis zu Euro, der in der Slowakei 2009 eingeführt wurde. Auf den Wänden gibt es viele Zitate bezüglich Geld von berühmten Persönlichkeiten, eines von Oscar Wilde erlaube ich mir zu zitieren: „Die Jungen glauben, das Geld ist das wichtigste in der Welt. Wenn sie älter werden, wissen sie das.“ Im Raum „Likerka“ sind Plastiken mit allen berühmten Likören und Schnäpsen slowakischer Herkunft, ein anderer Raum ist mit Kopien von Gemälden berühmter Maler wie Rembrandt oder Van Gogh geschmückt. Einfach ein Erlebnis, inklusive schöner und lieber Mädchen als Bedienung.
Wenn Sie noch weiter nach Norden fahren möchten, ist hier Zamagurie mit dem Stift „Červený kláštor“ eine Reise wert. Auf dem Fluss Dunajec kann man eine Fahrt auf Flößen genießen. Liebhaber der Bergtouristik können hier die „Tri korony“ also Drei Kronen auf der polnischen Seite des Flusses besteigen. Interessant ist auch die Burg in Stara Lubovna, ehemaliges Verwaltungszentrum der „polnischen Zips“. Die Burg hat einen Bezug zu der spanischen Königsfamilie Bourbon. Die Herren der ungarischen adeligen Familie Zamoysky, der große Ländereien in dieser Region gehörten, haben sogar zweimal eine Prinzessin aus der spanischen Königsfamilie geheiratet. Die Gräfin Isabela Alfonsa (1904 – 1984) liebte dann Stara Lubovna über alles. Zu Erinnerung an sie gibt es unter der Burg ein Restaurant „Zur Gräfin Isabella“.
Nicht weit von hier ist die Bergruine Plavec, wo sich Peter Aksamit von Kosovo, der Hauptmann der slowakischen Hussiten (genannt Bratrici) niedergelassen hat, auch in dem nahem Ort Haligovce gab es einen Militärlager der Bratrici und es gibt hier eine Höhle Aksamitka als Erinnerung an das Wirken der Hussitennachfolger in dieser Region. Unmittelbar vor Stara Lubovna gibt es das Städtchen Hniezdne mit der größten Destillerie in der Slowakei mit einem poetischen auch wenn auch kitschigen Namen – Nestwille (Hniezdo bedeutet auf Slowakisch ein Nest). Eine Führung durch die Destillerie mit anschließender Verkostung ist wirklich ein Erlebnis. Mein Besuch hier war unvergesslich, zu unserer Gruppe ist nämlich auch ein Betriebsausflug aus dem Laufhaus in Stara Lubovna dazugestoßen.
Erholung einer anderen Art sucht, bietet ein 18-Loch Golfplatz in Velka Lomnica, in Poprad dann die Therme AquaCity. Die Preise von 34 Euro für den ganzen Tag und 29 Euro für 3 Stunden sind aber alles andere als ein Schnäppchen. Es ist günstiger die Therme in naheliegendem Vrbov zu besuchen, hier kostet die Ganztageskarte 12 und die 2,5 Stundenkarte 8 Euro.
Sollten Sie jetzt Lust auf einen Besuch dieser Region bekommen haben, dann genießen Sie den Aufenthalt. Zips ist wirklich nicht nur Hohe Tatra.

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Railjet – Der Zug nach Tschechien – wo kauft man die Karten


Aufgrund meiner eigenen Erfahrung möchte ich für alle, die mit Zug nach Tschechien fahren wollen, einen kleinen Tip geben.

Der Railjet zwischen Prag und Graz ist eine hervorragende Verbindung, fährt jede 2 Stunden und ist schnell.

Wenn man aber die Karte im Internet kaufen will, sollte die web Seite der ÖBB eher meiden. Sie ist sehr kompliziert gestaltet und nach meiner persönlichen Erfahrung auch unverlässlich. Ich wollte eine Karte für 18 September kaufen, es wurde mir aber eine für 19.September ausgestellt ohne  Möglichkeit einer Stornierung. (Dass ich mich verklickt hätte, finde ich sehr unwahrscheinlich – 18. ist nämlich ein Sonntag und 19. ein Montag und damit in dem Wochenplan sehr weit entfernt). Es wurde mir von dem kundenservice ÖBB geraten, den Warenkorb genau zu kontrollieren bevor man den Kauf bestätigt, um solche Zwischenfälle zu vermeiden.

Es gibt aber eine einfachere und günstigere Lösung. Die webseite www.ceskedrahy.cz ist nämlich viel einfacher und kundenfreundlicher. Eine deutsche Version steht zu Verfügung, es reicht auf den Button “Übersetzen” zu klicken.

Vorteile:

  1. Die Preise sind günstiger, die Zahlung mit einer Kreditkarte möglich, also kein Problem bei Zahlung, obwohl Tschechien nicht zu Euro-Raum gehört
  2. Platzkarte wird hier kostenlos angeboten und ist in dem Ticken inkludiert (bei ÖBB muss man sie extra gegen Gebühr bestellen und als zweiten Ticken ausdrucken)
  3. Die Seit ist viel übersichtlicher und einfach zu bedienen

Also, wenn Sie kein Computergenie sind der solche Herausforderungen liebt, und Sie sparen gern das Geld, kaufen Sie die Karten lieber auf www.ceskedrahy.cz.

Ich zumindest würde die Seite www-oebb.at nie mehr besuchen.

Wie man Kongressteilnehmer beim Kongress halten kann


Natürlich wäre es möglich, die Attraktivität der Vorträge zu erhöhen. Seien wir aber nicht naiv, gegen solchen Verführungen sind die Ärzte seit langer Zeit immun, besonders, wenn die Kongressstadt Rom heißt. Also müssen die Organisatoren zu anderen, viel raffinierteren Mitteln greifen. Die Italiener und besonders die Römer haben in solcher Raffinessen eine tausend Jahre alte Tradition. Erlauben Sie mir eine kurze Zusammenfassung aller dieser Methoden, wie ich sie selbst in Rom beim ESC Kongress erlebt habe.

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  • Das Kongresszentrum muss von der Stadt ausreichend weit entfernt sein. Was bei Fiera Nova di Roma definitiv der Fall ist – sie befindet sich gute 35 Kilometer vom Stadtzentrum Roms entfernt­­­­_nämlich in der Nähe des Flughafens Fiumicino da Vinci.
  • Das Kongresszentrummuss muss so gebaut werden, dass ausreichend lange Transferentfernungen garantiert sind. Auch das ist erfüllt. Das Kongresszentrum ist so riesig, dass sie in einem Tag mehrere Kilometer zurücklegen müssen. Sehr wichtig ist es die interessanten Vorträge in den voneinander am weitesten entfernten Bereichen des Zentrums stattfinden zu lassen und nur sehr kurze Pausen zwischen den Vortragsblöcken zu gewähren – maximal 5 – 15 Minuten. Das zwingt die Kongressteilnehmer zu den sehr schnellen Ortswechseln, fast schon im Laufen. Mit ein bisschen Glück kriegen sie dann bereits am ersten Tag Blasen auf den Zehen (was auch mein Fall war) – was deren Bereitschaft sich historische Sehenswürdigkeiten in der Stadt anzusehen deutlich reduziert.
  • Es muss um die 30.000 Teilnehmer eingeladen werden, damit alle öffentlichen Verkehrsmittel hoffnungslos überfüllt sind und den Leuten die Lust vergeht diese zu benutzen.
  • Die Kongressteilnehmer müssen in einem Hotel in einer absolut abgelegenen Gegend ohne Anschluss auf öffentliche Verkehrsmittel untergebracht werden. (Das Hotel wurde wahrscheinlich von der TAXI-Mafia mitfinanziert, weil es keine andere Möglichkeit das Hotel zu verlassen außer mit einem Taxi gibt). Vom Hotel Marriot Park Roma betrug die offizielle Entfernung zur nächsten Haltestelle des Schnellzuges 2,6 km. So behauptete es zumindest die Hotelinformation inklusiv beigelegtes Plan. Ein naiver österreichischer Kollege glaubte den Italiener und versuchte die Haltestelle zum Fuß zu erreichen. Abends erzählte er mir mit einer zitternden Stimme, dass die im Plan aufgezeichneten Wege großteils nicht existieren und er für den Weg zum Zug eine ganze Stunde brauchte. Und das bei 35 Grad Hitze. Das war mit Sicherheit eine ziemlich gute sportliche Leistung, die er zum Glück nur mit Erschöpfung und Dehydrierung ohne Dauerfolgen bezahlte. Ich entschied mich es nicht nachzumachen, der Hausverstand hatte gesiegt. Es gab zwar auch einen Shuttelbus vom Stadtzentrum zum Hotel und dieser fährt abends jede 2 Stunden, solche Informationen wurden aber vor den Teilnehmern gut geheim gehalten. Ich erfuhr von diesem Shuttle im Flugzeug von Rom nach Wien, also ziemlich spät.
  • Es gab natürlich auch einen Shuttlebus vom Hotel zum Kongresszentrum. Abfahrten in der Früh um 7:10 und um 7:55 Uhr hin und abends um 18:30 und 20:30 zurück. Dazwischen gab es nichts. Ist man also aus dem Bus ausgestiegen und hat man die einen Kilometer lange Strecke zum Kongresszentrum zurückgelegt, war man dort bis zum Abend endgültig  Alle Shuttlebuse, gedacht für die 30.000 Teilnehmer in 43 Hotels starteten abends vom Parkplatz zu genau gleicher Zeit, was nicht nur zu Problemen beim Verlassen des Parkplatzes führte, dazu produzierten diese Buse auf der Autobahn einen unüberwindbaren Stau. Die 12 Kilometer lange Strecke vom Kongresszentrum zum Hotel hat unter diesen Umständen beinahe 40 Minuten in Anspruch genommen. Die Italiener haben wirklich bestimmte logistische Reserven. Sie produzieren das Chaos aber so zielorientiert, dass ich versucht bin dahinten ein System zu erkennen.
  • Dass im Hotel das Frühstück bereits um 6 Uhr serviert wird, ist zwar im Hinblickauf die Abfahrzeiten der Buse nichts Überraschendes – in Italien ist das aber ein echter kultureller Schock, von dem Sie sich nicht so einfach erholen können. Das ist eine tatsächliche Germanisierung von Rom, welche diese Stadt wahrscheinlich das letzte mal im neunten Jahrhundert erlebte, als sie von den Truppen Kaiser Lothars besetzt wurde.
  • Um nicht auf die sündhafte Idee zu kommen, das Kongresszentrum mit dem Zug zu verlassen, der zwischen dem Flughafen und der Stadt fährt, wird den Kongressteilnehmern von der Kongressdelegierten bei Ihrer Ankunft erklärt, dass die Fahrkarten, die Sie bei der Registrierung bekommen haben, nur zwischen dem Hotel und dem Flughafen gültig sind, man dürfe sie aber nicht in der Stadt benützen. Zum Glück kann ich italienisch so weit, dass ich die Information auf der Rückseite der Fahrkarte selbst lesen konnte um zu erfahren, dass sie selbstverständlich in der ganzen Stadt 100 Minuten lang gültig ist. Dieser Trick ist also nicht aufgegangen.
  • Infolge der sehr erfinderisch aufgebauten Engpässe im Verkehr steht vor dem Kongresszentrum beim Taxistand eine ca. 100 Meter lange Schlange. Das soll Ihnen die Lust nehmen, zu versuchen das Kongresszentrum doch noch zu verlassen. Ob in der Schlange nur die Kongressteilnehmer oder auch bezahlte Komparsen standen, konnte ich nicht herausfinden.
  • Die Kongressmitarbeiter bestehen aus einer Menge wunderschöner junger Frauen und gut aussehender junger Männer. (In Italien gibt es solche im Überschuss), damit die Kongressteilnehmer diesen Anblick vor Ort genießen können. Alle machen natürlich, wie in Italien üblich „la bella Figura.“ Dieser Trick ist auch nicht ganz aufgegangen, schöne Mädchen gibt es nämlich in der Stadt in ähnlich hohen Konzentrationen. Eine negative Folge des Einsatzes dieser Schönheiten war, dass der Fahrer unseres Buses nicht widerstehen konnte, mit so einer Mitarbeiterin zu flirten. Damit verzögerte sich die Abfahrt unseres Buses um ca. 15 Minuten. Im Prinzip nichts schlechtes, leider machen alle Fahrer das gleiche und deshalb verlassen die Buse den Parkplatz trotzdem alle gemeinsam – nur halt um 15 Minuten später. In Italien gibt es keine Eile.
  • Sollten all diese Maßnahmenden noch versagen und sie befürchten, dass die Kongressteilnehmer doch flüchten könnten, stecken sie einen Bahnhof auf der Strecke zwischen dem Kongresszentrum und der Stadt in Brand. Damit wird endgültig jede Verbindung zu den Verführungen Roms abgeschnitten. Zu diesen extremen Maßnahmen wurde am Montag dem 29. August gegriffen.

Wenn das alles geschafft worden ist, muss man um die Teilnehmer der Veranstaltung keine Sorgen haben. Dann ist es auch kein Problem, dass die Hallen nur unzureichend schallgedämpft sind und sie zugleich den auch den Vortrag aus der Nachbarhalle hören und dass ab und zu jemand die Musik dermaßen aufdreht, dass der Vortragende schreien muss, damit ihn überhaupt jemand hört.

Aber, wie das beigelegte Photo nachweisen kann, nicht einmal alle diese raffinierten Maßnahmen können einen Menschen mit Vorliebe zu Geschichte und zu historischen Sehenswürdigkeiten abhalten. Einfach – wo der Wille dort der Weg…

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Ich gebe zu, dass ich den Papstbesuch bei dem Kongress für einen weiteren ähnlichen Trick gehalten habe. Ich habe gedacht, dass das Kongresszentrum von bewaffneten Soldaten und Mitglieder der päpstliche Schweizergarde umkreist wird, damit jedem Teilnehmer die Lust vergeht sich an den Schwerbewaffneten vorbeizuschleichen, um den Kongressraum zu verlassen. Was die Teilnahme bei dem Kongress betrifft, wirkte der Papstbesuch eher negativ. Es herrschte die Befürchtung, dass man den Kongress nicht verlassen könnte und damit die Abflüge verpassen würde. Viele Kollegen, besonders die evangelischen, blieben lieber im Hotel. Es war aber gar nicht so dramatisch. Außer ein paar Mitglieder der Schweizergarde vor dem Papamobil mit segnendem Franciscus und Carabinieri, die auf die Autos mit Kennzeichen SCV aufgepasst haben, war nichts zu merken. Nur bei der Gepäckausgabe ist es zäh gegangen.  Weil ich taktisch nicht bis zur Ansprache des Papstes geblieben bin, war ich der fünfte in der Schlange bei der Gepäckausgabe. Das Problem war nur, dass das Personal den Papst natürlich auch sehen wollte. Nur nach einer ziemlich langen Zeit kam eine der Schönheiten, von denen ich bereits geschrieben habe, außer sich, dass sie den Heiligen Vater gesehen hatte. Sie rief zweisprachig „I´m here!“ und „Sono qui,“ Das stimmte uns positiv ein. Wir freuten uns aber zu früh. Das Mädchen war nicht im Stande auch nur einen Koffer rauszuholen. Die ersten Leute in der Reihe haben die Nerven verloren und in den Raum mit den Koffern eingedrungen, um ihr eigenes Gepäck selbst zu holen. Das hat sie offensichtlich psychisch gebrochen, sie kam nie mehr raus. Zum  Glück erschienen aber bald zwei mächtige Burschen, die ihr zu Hilfe kamen und die Sache in eigene Hände nahmen. Daher dauerte die Wartezeit auf das Gepäck nur knappe zwanzig Minuten. Wie ich schon gesagt habe, ich war immerhin der fünfte in der Schlange.

Rom ist einfach Rom, ob es dort einen Kongress gibt oder nicht.

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Spätzeit


Es handlet sich um deutsche Version des Artikels “Pozdní doba”. Meiner Ansicht nach leben wir nicht mehr in der Neuzeit, die offiziell im Jahre 1492 begonnen hat, sondern in einer neuen Epoche. Ich glaube, dass nicht die Entdeckung Amerikas, sondern die Erfindung des Buchdrucks der Anfang der Neuzeit bestimmt hat. Ähnliche Änderung des Informationsaustausches wie damals die Erfindung Guttenbergs brachte die Einführung des Internets im Jahr 1989. In diesem Artikel werden Aspekte genannt, die den Einbruch einer neuen Zeit kennzeichnen – die kulturellen, wirtschaftlichen, soziologischen bis zu Aspekten einer neuen Kriegsführung. Alles Zeichen vom Ende des Humanismus und dem Übergang zu einer virtuellen Welt. Es brach also eine neue Epoche der Menschengeschichte an, welche die Menscheit vor ganz neue und bisher unbekannte Herausforderungen stellen wird. Niemand kann heute noch sagen, was diese neue Epoche mit sich bringt, die Menschheit hat aber bisher immer einen ausreichend starken Selbsterhaltungtrieb bewiesen, um diese neuen Herausforderungen erfolgreich zu meistern.

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