Natürlich wäre es möglich, die Attraktivität der Vorträge zu erhöhen. Seien wir aber nicht naiv, gegen solchen Verführungen sind die Ärzte seit langer Zeit immun, besonders, wenn die Kongressstadt Rom heißt. Also müssen die Organisatoren zu anderen, viel raffinierteren Mitteln greifen. Die Italiener und besonders die Römer haben in solcher Raffinessen eine tausend Jahre alte Tradition. Erlauben Sie mir eine kurze Zusammenfassung aller dieser Methoden, wie ich sie selbst in Rom beim ESC Kongress erlebt habe.
- Das Kongresszentrum muss von der Stadt ausreichend weit entfernt sein. Was bei Fiera Nova di Roma definitiv der Fall ist – sie befindet sich gute 35 Kilometer vom Stadtzentrum Roms entfernt_nämlich in der Nähe des Flughafens Fiumicino da Vinci.
- Das Kongresszentrummuss muss so gebaut werden, dass ausreichend lange Transferentfernungen garantiert sind. Auch das ist erfüllt. Das Kongresszentrum ist so riesig, dass sie in einem Tag mehrere Kilometer zurücklegen müssen. Sehr wichtig ist es die interessanten Vorträge in den voneinander am weitesten entfernten Bereichen des Zentrums stattfinden zu lassen und nur sehr kurze Pausen zwischen den Vortragsblöcken zu gewähren – maximal 5 – 15 Minuten. Das zwingt die Kongressteilnehmer zu den sehr schnellen Ortswechseln, fast schon im Laufen. Mit ein bisschen Glück kriegen sie dann bereits am ersten Tag Blasen auf den Zehen (was auch mein Fall war) – was deren Bereitschaft sich historische Sehenswürdigkeiten in der Stadt anzusehen deutlich reduziert.
- Es muss um die 30.000 Teilnehmer eingeladen werden, damit alle öffentlichen Verkehrsmittel hoffnungslos überfüllt sind und den Leuten die Lust vergeht diese zu benutzen.
- Die Kongressteilnehmer müssen in einem Hotel in einer absolut abgelegenen Gegend ohne Anschluss auf öffentliche Verkehrsmittel untergebracht werden. (Das Hotel wurde wahrscheinlich von der TAXI-Mafia mitfinanziert, weil es keine andere Möglichkeit das Hotel zu verlassen außer mit einem Taxi gibt). Vom Hotel Marriot Park Roma betrug die offizielle Entfernung zur nächsten Haltestelle des Schnellzuges 2,6 km. So behauptete es zumindest die Hotelinformation inklusiv beigelegtes Plan. Ein naiver österreichischer Kollege glaubte den Italiener und versuchte die Haltestelle zum Fuß zu erreichen. Abends erzählte er mir mit einer zitternden Stimme, dass die im Plan aufgezeichneten Wege großteils nicht existieren und er für den Weg zum Zug eine ganze Stunde brauchte. Und das bei 35 Grad Hitze. Das war mit Sicherheit eine ziemlich gute sportliche Leistung, die er zum Glück nur mit Erschöpfung und Dehydrierung ohne Dauerfolgen bezahlte. Ich entschied mich es nicht nachzumachen, der Hausverstand hatte gesiegt. Es gab zwar auch einen Shuttelbus vom Stadtzentrum zum Hotel und dieser fährt abends jede 2 Stunden, solche Informationen wurden aber vor den Teilnehmern gut geheim gehalten. Ich erfuhr von diesem Shuttle im Flugzeug von Rom nach Wien, also ziemlich spät.
- Es gab natürlich auch einen Shuttlebus vom Hotel zum Kongresszentrum. Abfahrten in der Früh um 7:10 und um 7:55 Uhr hin und abends um 18:30 und 20:30 zurück. Dazwischen gab es nichts. Ist man also aus dem Bus ausgestiegen und hat man die einen Kilometer lange Strecke zum Kongresszentrum zurückgelegt, war man dort bis zum Abend endgültig Alle Shuttlebuse, gedacht für die 30.000 Teilnehmer in 43 Hotels starteten abends vom Parkplatz zu genau gleicher Zeit, was nicht nur zu Problemen beim Verlassen des Parkplatzes führte, dazu produzierten diese Buse auf der Autobahn einen unüberwindbaren Stau. Die 12 Kilometer lange Strecke vom Kongresszentrum zum Hotel hat unter diesen Umständen beinahe 40 Minuten in Anspruch genommen. Die Italiener haben wirklich bestimmte logistische Reserven. Sie produzieren das Chaos aber so zielorientiert, dass ich versucht bin dahinten ein System zu erkennen.
- Dass im Hotel das Frühstück bereits um 6 Uhr serviert wird, ist zwar im Hinblickauf die Abfahrzeiten der Buse nichts Überraschendes – in Italien ist das aber ein echter kultureller Schock, von dem Sie sich nicht so einfach erholen können. Das ist eine tatsächliche Germanisierung von Rom, welche diese Stadt wahrscheinlich das letzte mal im neunten Jahrhundert erlebte, als sie von den Truppen Kaiser Lothars besetzt wurde.
- Um nicht auf die sündhafte Idee zu kommen, das Kongresszentrum mit dem Zug zu verlassen, der zwischen dem Flughafen und der Stadt fährt, wird den Kongressteilnehmern von der Kongressdelegierten bei Ihrer Ankunft erklärt, dass die Fahrkarten, die Sie bei der Registrierung bekommen haben, nur zwischen dem Hotel und dem Flughafen gültig sind, man dürfe sie aber nicht in der Stadt benützen. Zum Glück kann ich italienisch so weit, dass ich die Information auf der Rückseite der Fahrkarte selbst lesen konnte um zu erfahren, dass sie selbstverständlich in der ganzen Stadt 100 Minuten lang gültig ist. Dieser Trick ist also nicht aufgegangen.
- Infolge der sehr erfinderisch aufgebauten Engpässe im Verkehr steht vor dem Kongresszentrum beim Taxistand eine ca. 100 Meter lange Schlange. Das soll Ihnen die Lust nehmen, zu versuchen das Kongresszentrum doch noch zu verlassen. Ob in der Schlange nur die Kongressteilnehmer oder auch bezahlte Komparsen standen, konnte ich nicht herausfinden.
- Die Kongressmitarbeiter bestehen aus einer Menge wunderschöner junger Frauen und gut aussehender junger Männer. (In Italien gibt es solche im Überschuss), damit die Kongressteilnehmer diesen Anblick vor Ort genießen können. Alle machen natürlich, wie in Italien üblich „la bella Figura.“ Dieser Trick ist auch nicht ganz aufgegangen, schöne Mädchen gibt es nämlich in der Stadt in ähnlich hohen Konzentrationen. Eine negative Folge des Einsatzes dieser Schönheiten war, dass der Fahrer unseres Buses nicht widerstehen konnte, mit so einer Mitarbeiterin zu flirten. Damit verzögerte sich die Abfahrt unseres Buses um ca. 15 Minuten. Im Prinzip nichts schlechtes, leider machen alle Fahrer das gleiche und deshalb verlassen die Buse den Parkplatz trotzdem alle gemeinsam – nur halt um 15 Minuten später. In Italien gibt es keine Eile.
- Sollten all diese Maßnahmenden noch versagen und sie befürchten, dass die Kongressteilnehmer doch flüchten könnten, stecken sie einen Bahnhof auf der Strecke zwischen dem Kongresszentrum und der Stadt in Brand. Damit wird endgültig jede Verbindung zu den Verführungen Roms abgeschnitten. Zu diesen extremen Maßnahmen wurde am Montag dem 29. August gegriffen.
Wenn das alles geschafft worden ist, muss man um die Teilnehmer der Veranstaltung keine Sorgen haben. Dann ist es auch kein Problem, dass die Hallen nur unzureichend schallgedämpft sind und sie zugleich den auch den Vortrag aus der Nachbarhalle hören und dass ab und zu jemand die Musik dermaßen aufdreht, dass der Vortragende schreien muss, damit ihn überhaupt jemand hört.
Aber, wie das beigelegte Photo nachweisen kann, nicht einmal alle diese raffinierten Maßnahmen können einen Menschen mit Vorliebe zu Geschichte und zu historischen Sehenswürdigkeiten abhalten. Einfach – wo der Wille dort der Weg…
Ich gebe zu, dass ich den Papstbesuch bei dem Kongress für einen weiteren ähnlichen Trick gehalten habe. Ich habe gedacht, dass das Kongresszentrum von bewaffneten Soldaten und Mitglieder der päpstliche Schweizergarde umkreist wird, damit jedem Teilnehmer die Lust vergeht sich an den Schwerbewaffneten vorbeizuschleichen, um den Kongressraum zu verlassen. Was die Teilnahme bei dem Kongress betrifft, wirkte der Papstbesuch eher negativ. Es herrschte die Befürchtung, dass man den Kongress nicht verlassen könnte und damit die Abflüge verpassen würde. Viele Kollegen, besonders die evangelischen, blieben lieber im Hotel. Es war aber gar nicht so dramatisch. Außer ein paar Mitglieder der Schweizergarde vor dem Papamobil mit segnendem Franciscus und Carabinieri, die auf die Autos mit Kennzeichen SCV aufgepasst haben, war nichts zu merken. Nur bei der Gepäckausgabe ist es zäh gegangen. Weil ich taktisch nicht bis zur Ansprache des Papstes geblieben bin, war ich der fünfte in der Schlange bei der Gepäckausgabe. Das Problem war nur, dass das Personal den Papst natürlich auch sehen wollte. Nur nach einer ziemlich langen Zeit kam eine der Schönheiten, von denen ich bereits geschrieben habe, außer sich, dass sie den Heiligen Vater gesehen hatte. Sie rief zweisprachig „I´m here!“ und „Sono qui,“ Das stimmte uns positiv ein. Wir freuten uns aber zu früh. Das Mädchen war nicht im Stande auch nur einen Koffer rauszuholen. Die ersten Leute in der Reihe haben die Nerven verloren und in den Raum mit den Koffern eingedrungen, um ihr eigenes Gepäck selbst zu holen. Das hat sie offensichtlich psychisch gebrochen, sie kam nie mehr raus. Zum Glück erschienen aber bald zwei mächtige Burschen, die ihr zu Hilfe kamen und die Sache in eigene Hände nahmen. Daher dauerte die Wartezeit auf das Gepäck nur knappe zwanzig Minuten. Wie ich schon gesagt habe, ich war immerhin der fünfte in der Schlange.
Rom ist einfach Rom, ob es dort einen Kongress gibt oder nicht.