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Matera


 

„Piú bene Jeruzalem“, also „das bessere Jerusalem“. So heißt der Spitzname der Hauptstadt der italienischen Provinz Basilicata. Wahrscheinlich gerade deswegen wählten für die Filmarbeiten zur Hinrichtung Christi die Regisseure Pier Paolo Pasolini (Erstes Evangelium – Matthäus) und Mel Gibson  „Passion Christi“ gerade diese Stadt. Pasolini hat in Matera auch ein eigenes Museum, das die Arbeit zu seinem Film dokumentiert, Mel Gibson nicht. Allerdings wählten beide Regisseure die Stadt deshalb für ihre Filme, weil ihnen keine andere Stadt der Welt für die Dreharbeiten so eine imposante Kulisse anbieten konnte. Nicht einmal das heutige Jerusalem.

Matera ist die Hauptstadt der ärmsten italienischen Provinz Basilicata. Die Armut in der Region war für die europäischen Verhältnisse einfach unfassbar. Es ist merkwürdig, dass den Umbruch ein Buch brachte. Der Roman von Carlo Levi „Christus kam nur bis Eboli“, in dem er die menschenunwürdige Lebensbedingungen der Bewohner des Landes beschrieb, brachte Politiker endlich dazu, sich mit der katastrophalen Situation in dieser Region, in der die Kindersterblichkeit 50% erreichte, zu beschäftigen. Es ist für die Diktatoren nicht immer gut, unbequeme Freigeister in die Verbannung in die verfallenen Orte zu schicken. Sie langweilen sich dort, kommen auf revolutionäre Gedanken und dann werden sie kreativ und schreiben. Und es hat dann Folgen. Für die Menschen allerdings positive Folgen.

Die Stadt Matera befindet sich auf dem Bergplateau Murgia, das sich über den Großteil  Nordapuliens erstreckt und auch in die Basilicata reicht. Die Stadt ragt monumental auf dem Felsen über die Schlucht des Flusses Gravina di Matera empor und gerade diese Felsen, die aus Tuff und damit relativ weich sind, wurden zum Wohnraum für die ärmsten Bewohner der Stadt. Es entstanden so genannte Sassi, also künstliche Höhlen, so eine Art „Zemljanka“ im Felsen, wo die Menschen auch mit ihnen Haustieren (Pferden) lebten. Erst im Jahr 1952 wurden die Menschen als Folge des Buches von Carlo Levi aus diesen Notunterkünften in neue Wohnungen am Rande der Stadt übersiedelt (nicht immer freiwillig). Heute spiegelt sich die Armut dieser Region nur mehr in der traditionellen regionaler Küche wieder, die ziemlich spartanisch ist.

Es ist nicht ganz einfach, die Stadt Matera zu erreichen, die Stadt ist nicht an das italienische Autobahnnetz angebunden, obwohl zur Zeit eine vierspurige Schnellstraße (ohne Maut) aus Bari gebaut wird. Unser GPS hatte mit dem Weg nach Matera nicht gerade kleine Probleme, im Städtchen Noci schickte es uns mit meinem Peugeot 508 sogar auf eine steile Treppe. Wir folgten der Anweisung nicht und nach drei Runden in Noci (es war nicht der Mühe wert, das Städtchen gehört nicht zu den Juwelen der italienischen Architektur) fanden wir den Weg nach Matera selbständig ohne technische Unterstützung. Natürlich waren wir selbst schuld, weil wir den kürzesten Weg von Ostuni gesucht haben, der Weg aus Richtung Bari wäre viel besser gewesen und bald wird es noch besser werden. Also wird den neugierigen Touristen nichts im Wege stehen, um diese seltsame raue Schönheit namens Matera zu besuchen.

Auf dem Platz Vittorio Veneto tranken wir einen Espresso und dann ging es los in die Altstadt. Diesen Platz, also Piazza Vittorio Veneto bauten die reichen Bürger von Matera, um die allanwesende Armut aus ihrer Wahrnehmung zu verdrängen. Der Platz hat einen schönen Springbrunnen, ist von prächtigen Palästen umrahmt und es gibt hier auch eine Bank mit funktionierendem Bankomaten. Natürlich auch mit Bars und Restaurants mit hervorragendem Kaffee – aus dieser Sicht ist Matera absolut italienisch. Matera hat keine reiche Geschichte, es war hier nie besonderes viel zu stehlen, also blieb die Stadt von den großen Eroberern eher unberührt. Die Normannen nahmen sie bereits im Jahr 1046 ein und machten sie für eine kurze Zeit sogar zum  Königssitz, nach der Zeit der Staufen und Anjou herrschten in diesem von Gott verlassenen Land nur mehr lokale Herrscher. Der berühmteste und der grausamste von ihnen war der Graf Giancarlo Tramontano. Der glaubte, dass man auch aus armen Menschen bei ausreichender Härte und Rücksichtslosigkeit genug Geld für ein luxuriöses Leben ausquetschen könnte, zur Sicherheit begann er aber über dem Stadtzentrum und außerhalb der Stadtmauer eine Festung „Castello Tramontano“ zu bauen, um sich dort vor dem Hass seinen Untertannen schützen zu können. Es half ihm nicht. Als er am 29.Dezember 1514 die Kathedrale in der Stadt besuchte, wurde er nach der Messe auf offener Straße ermordet. Es folgte ein Volksaufstand der blutig niedergeschlagen worden ist, die Festung Tramontano blieb unvollendet. Fertig waren bei der Ermordung des Grafen lediglich drei Türme und so blieb es auch.

Bereits auf dem Weg von der Piazza Vittorio Veneto zum Domplatz öffnen sich wunderbare  Aussichten auf die Felsenstadt Sassi – das Viertel Sasso Barisano. Die Felsenhöhlen – also im Felsen ausgegrabene Wohnungen – bilden zwei Stadtviertel – Sasso Barisano und Sasso Caveoso. Das zweite ist für die Touristen mehr erschlossen und man kann hier für einen mäßigen Preis einzelne Sassi besuchen.  Es ist wirklich ein merkwürdiges Erlebnis, eine Höhle zu betreten, in der Leute noch im Jahr 1952 lebten. In zwei Räumen, in denen für Kinder zum Schlafen in dem Felsen merkwürdige Kojen ausgegraben worden sind, drängten sich mit Leuten auch Haustiere und sogar Pferde zusammen. Es gab zwar Gestank, aber auch die Wärme. Leider auch Krankheiten, die Kinder starben wie die Fliegen, fünfzigprozentige Kindersterblichkeit in der Mitte des zwanzigen Jahrhunderts ist für uns etwas absolut Unvorstellbares. Nur dann griff die Politik endlich ein und übersiedelte die Einwohner in neue Wohnungen. Die Umsiedlung lief nicht friedlich ab, die Menschen wollten auf ihre furchtbaren Wohnungen nicht verzichten, sie lebten hier doch bereits seit ganzen Generationen. Wer den Eindruck von Sassi mehr auskosten will, kann im  Hotel „Sassi Hotel Matera“ wohnen. Das Hotel bietet mehr als zwanzig einzelne Sassi, die für den Aufenthalt der Hotelgäste adaptiert worden sind. Sie sind im Viertel Sasso Barisano zerstreut, eine Rezeption habe ich nicht gefunden.

Der „Duomo“ ist großartig. Von außen ist es ein elegantes Beispiel des apulischen romanischen Stils aus dem bereits mehrmals erwähnten goldartigen Marmor, innen ist es aber Barock hoch zwei. Natürlich darf eine Madonna mit Kind nicht fehlen, sie stehen unter einem prächtigen purpurroten Baldachin mit goldenen Kronen auf den Häuptern, vorne vor dem Altar steht dann der Erzbischofstuhl geschmückt mit Blättern aus purem Gold. Also Gold, Purpur, Gold und wieder Gold, man kann nicht glauben, dass man sich in der ärmsten Region Italiens befindet. Den Menschen konnte man die Haut abziehen, aber die Mächtigen, besonders dann die katholische Kirche, mussten sich als mächtig und unantastbar präsentieren. Die Farben von Gold und Blut waren deutlich genug, um die Leute auch in der größten Armut in die Knie und zu einem Gebet zu zwingen.

In Matera gibt es eine Menge Kirchen. Die interessanteste ist San Pietro de Caveoso, gebaut auf einer Plattform direkt über der Schlucht des Flusses  Gravina di Matera. Sie steht auf einem flachen viereckigen Platz, innen ist das Hauptschiff von korinthischen Säulen getragen und seitlich gibt es insgesamt acht Kapellen.

Gleich über dem Platz mit der Kirche San  Pietro ragt ein monumentaler Felsen mit einem Kreuz auf der Spitze empor. Unter dem Kreuz wurde im Felsen die Kirche Madonna dell´ Idris ausgegraben. Solche Kirchen gibt es in Matera mehrere. Der weiche Felsen aus Tuff hat sich dazu angeboten und wenn die Leute bereits in Höhlen wohnten, gruben sie auch ihre Kirchen aus. Drinnen darf man weder fotografieren noch filmen, die Felsenwände sind mit Fresken geschmückt, die direkt auf dem Felsen gemalt wurden. Solche Kirchen und Klöster, die es, wie gesagt, mehrere gibt, kann man mit einer Eintrittskarte besuchen. Die erhaltenen Wandmalereien sind bemerkenswert durch ihre Einzigartigkeit.

Am anderen Ende der Stadt, direkt über die Schlucht, steht eine gut sichtbare Dominante des unteren Teiles der Stadt, das Kloster des heiligen Augustinus.

Wenn Sie an die Stelle kommen möchten, wo Mel Gibson die Kreuzigungsszene gefilmt hat und zugleich die schönste Sicht auf die Stadt haben möchten, dann müssen Sie in Richtung Laterza fahren und dem Richtungsweiser „chiese napiestri“ folgen. Von dort gibt es die schönste Sicht auf die Stadt und auf die Schlucht unter ihr.

Wenn aber jemand glauben würde, dass Matera nur ein Stück eines monumentalen Felsens ist, den die Leute dazu nutzten, um auf ihr Tempel aus Stein zu bauen, die durch ihre Lage noch imposanter wären und die Menschen durch ihre Pracht blenden würden, es ist nicht ganz so.

Meine Frau, die sonst immer nicht gerade kleine Probleme beim Einkaufen hat, weil sie sich von keiner Ware wirklich angesprochen fühlt, würde normalerweise alle Geschäfte in der Umgebung sehen wollen, bevor sie sich für einen Einkauf entscheidet. In  Matera kaufte sie Schuhe gleich beim ersten Versuch.

Salento


Salento ist der Absatz des italienischen Schuhs. Schon weil es so weit entfernt ist, wird es weniger besucht, was es gar nicht verdient. Im Unterschied zum Rest Italiens ist das ein flaches Stück des Landes, praktisch ohne Berge, umgeben von herrlichem Meer mit wunderbaren Stränden, mit eigenem Wein Salice Salento oder Salento Primitivo. Lassen Sie sich durch den Namen nicht beirren, der Wein ist nicht primitiv, sondern stark und schmeckt sehr gut. Salento, das sind auch vierspurige Straßen mit wenig Verkehr, umrahmt von blühenden Oleandern, die häufig auch die mittlere Barriere zwischen den Fahrtrichtungen bilden und dem Menschen das Gefühl geben, in einem wunderschönen vielfärbigen Tunnel zu fahren.

Also der Transfer durch die Halbinsel ist stressfrei (natürlich nur solange die Straße nicht umgebaut wird, was häufig passiert). Und Salento, das sind drei wunderschöne Städte, deren Architektur von dem weichen lokalen Marmor profitiert, aus dem herrliche Formen geschnitten werden können und der in der untergehenden Sonne die Farbe des Goldes einnimmt.

Die Städte, das ist das wunderschöne Otranto, das geheimnisvolle Gallipoli und das extravagante Lecce, das ein natürliches Zentrum der Region darstellt – nicht umsonst wurde die Region in der normannischen Zeiten Grafschaft Lecce genannt.

Jede Stadt hat ein eigenes „Castello“, also die Burg. Alle stammen ungefähr aus der gleichen Zeit der Staufen, konkret Friedrichs II., der versuchte, aus seinem Königsreich eine große Festung zu bauen und an die fünfzig Festungen an den Grenze seines Königsreiches errichten ließ. Die Burg in Lecce ließ dann später Kaiser Karl V. umbauen. Mit der Burg in Lecce ist eine pikante Geschichte verbunden, die der Regierungszeit der Staufen unmittelbar vorausging. Der Herzog von Apulien Roger III., der aus der Nebenlinie der normannischen Herrscherfamilie Hauteville stammte, verliebte sich gerade in Lecce in die Tochter des Grafen Accarda von Lecce, deren Name uns nicht erhalten geblieben ist (oder absichtlich entfernt wurde). Ich stieß auf zwei Versionen ihres Namens Bianca oder Beatrix (offensichtlich wurde „B“ bei der Auslöschung ihres Namens vergessen). Das Problem lag darin, dass die Dame die Äbtin eines Klosters war. Das hinderte Roger nicht, mit ihr einige Kinder zu zeugen, darunter auch zwei Söhne. Der ältere erblickte im Jahr 1138 das Licht der Welt und wurde  auf den Namen Tankred getauft. Natürlich war so eine Beziehung in dieser Zeit ein riesengroßer Skandal, der kleine Tankred wurde lieber für die Erziehung an den königlichen Hof nach Palermo geschickt. Er war angeblich von sehr kleiner Gestalt (Petr de Ebulo, der Historiker der staufischen Zeit, nennt ihn „Missgeburt“, aber wer Lobeshymne auf Kaiser Friedrich II gesungen hat, musste logischerweise seinen Opponenten und Vorgänger schmähen – Shakespeare tut doch in Richard III. nichts anderes). Als Tankred 11 Jahre alt war, starb sein Vater und Tankred, obwohl ein Bastard, wurde zum  Graf von Lecce. Nachdem er an einigen misslungenen Versuchen eines Staatstreiches teilgenommen und im Krieg gegen Byzantiner eine Niederlage erlitten hatte, starb im Jahr 1189 der letzte normannische König Wilhelm II. Laut seines Testamentes sollte das Königsreich auf seine Tante Konstanze übergehen, die mit Heinrich, dem Sohn des römischen Kaisers Friedrich Barbarossa, verheiratet war. Tankred bewies in diesem Moment seine Fähigkeiten und sein Charisma. Er schaffte es, die Barone für einen Widerstand gegen die deutschen Einwanderer zu begeistern, die Barone wählten ihn zum König und er wurde mit der Unterstützung des Papstes Klement III. (den plötzlich die Tatsache, dass Tankred ein Sohn einer Braut Christi war, gar nicht störte) in Palermo gekrönt.

Heinrich zog natürlich gleich im Jahr 1191 nach Italien, um seine Erbschaft mit Gewalt zu übernehmen. Letztendlich war seine Gattin und Erbin des Sizilianischen Königsreiches um 10 Jahre älter als er und er hatte sie nicht aus reiner Liebe geheiratet, sondern gerade ihrer Erbschaft wegen, die ihm jetzt strittig gemacht worden war. Tankred verschanzte sich in Neapel und die Belagerung der Stadt endete für die Deutschen in einer Katastrophe. Wie üblich brach im Lager eine Epidemie an Ruhr aus, Heinrich überlebte nur knapp, nach Deutschlad kam sogar eine Nachricht über seinen Tod. Tankred wurde letzter König der normannischen Dynastie, er wusste aber sehr wohl, dass Heinrich, der inzwischen nach dem Tod seines Vaters Kaiser geworden war, nicht aufgeben würde. Das hat sich bewahrheitet. Nachdem der österreichische Herzog Leopold den englischen König Richard Löwenherz gefangen genommen und ihn in Dürnstein in der Wachau eingesperrt hatte, übergab er den kostbaren Gefangenen dem Kaiser, weil er selbst nicht im Stande war, das Lösegeld vom Königsbruder Johann Ohneland zu erpressen. Heinrich schaffte es und mit dem auf dieser Art gewonnenen  Geld stellte er eine neue Armee auf und zog Richtung Süden. Wer weiß, welchen Ausgang die Situation genommen hätte, wäre Tankred nicht plötzlich gestorben. Er versuchte noch seinen Sohn Roger zum neuen König auszurufen, dieser starb aber im Jahr 1993 und bald danach auch Tankred selbst. Heinrich zog in „sein Königsreich“ widerstandlos ein und ließ sich im Jahr 1196 in Palermo zum sizilianischen König krönen. Den jüngeren Sohn Tankreds Wilhelm, der noch ein Kind war, ließ der neue Herrscher nach Burg Alt-Ems in Vorarlberg überführen, wo der Junge geblendet wurde und bald danach starb. Die Politik war also auch damals nicht zimperlich und schreckte nicht einmal vor Kindermord zurück. Es begann eine neue Etappe der italienischen, aber auch der europäischen Geschichte.

Den Besuch der Halbinsel können wir in Otranto beginnen, einer kleinen Ortschaft am Ufer der Adria. Das Städtchen ist wahrlich zauberhaft.  Schon deshalb, weil es von wunderschönen, sauberen Stränden umgeben ist, es ist möglich, sogar direkt in der Stadt im kristallklaren Wasser zu baden. Die mit mächtigen Mauern umkreiste Altstadt ist von der Neustadt durch einen Park getrennt, allerdings ist Otranto auch mit der Neustadt winzig klein – es hat ungefähr 5000 Einwohner. Die Altstadt kann man durch die gigantische Porta Alfonsina betreten, vor ihr gibt es ein Monument „Monumento agli eroi e martiri del 1480“ das an die schrecklichste Episode der Stadtgeschichte erinnert. Im Jahr 1480 wurde die Stadt von Türken eingenommen. Ein Jahr davor schloss nämlich Venedig einen Friedenvertrag mit den Osmanen in Kontantinopel, der den zweiten venezianisch-türkischen Krieg beendete. Somit eröffnete sich für die Türken der Weg über die Adria und sie nutzten ihn. Otranto wurde nicht einmal von seinen mächtigen Mauern gerettet, die Stadt fiel in osmanischen Hände und 800 Einwohner, die sich weigerten, zum Islam überzutreten, wurden inklusiv des Erzbischofs Stefano Pendinelli enthauptet. Die Knochen der Ermordeten finden Sie in der Kapelle der Märtyrer in der Kathedrale. Die Türken verließen die Stad ein Jahr später, es geschah kampflos, weil die Türken andere Sorgen hatten. In Istanbul starb der Sultan Mehmet der Eroberer, es folgte ein Bürgerkrieg zwischen seinen Nachfolgern und die Türken erschienen vor Otranto nie mehr.

Durch enge Gässchen kommt man zur Festung. In dem gesamten Salento wird ein sehr guter Trick angewandt. In allen Festungen, die sich in Otranto, Gallipoli und Lecce befinden, gibt es jedes Jahr Ausstellungen weltberühmter Künstlern, die in die „Castellos“ die Besucher locken sollten. Und sie sind wirklich eines Besuches wert. In Otranto sahen wir eine Ausstellung des Fotografen Steve Mc Curry, in Lecce gab es eine Ausstellung von Andy Warhol. Es ist möglich, ein ermäßigtes Ticket zu kaufen, wenn man mehrere Festungen an einem Tag besucht. Der junge Mann an der Kassa in der Festung in Lecce war zwar einigermaßen überrascht, er telefonierte lange und danach war er so verwirrt, dass er uns kostenlos in die Burg einließ. Vom Dach der Festung gibt es wunderschöne Aussichten, nicht nur auf die Stadt, sondern auch über das Meer nach Albanien. Der Besuch zahlt sich also aus. Eine Kuriosität in der Stadt ist die byzantinische Kirche San Pietro mit einer typischen byzantinischen Architektur und erhaltenen Fresken. Man sollte keinesfalls die Kathedrale von Otranto auslassen. Erstens wegen der skurrilen Kapelle voll mit den Knochen der Märtyrer, aber hauptsächlich wegen des Bodens in der oberen Kathedrale (eine romanische Kirche hat, wie es sich gehört, untere Krypta und obere Basilika) Der Boden der Basilika ist mit einem Mosaik des Baumes des Lebens geschmückt. Der Baum des Lebens stellt die Geschichte dar, mit den biblischen Personen, aber auch mit Gestalten aus der Antik wie Herkules oder die Göttin Diana, auch König Artus oder Alexander der Große fehlen hier nicht. Der Autor hatte also eine historische Übersicht und eine unglaubliche Fantasie. Diese bewies er mit Bildern einer Menge orientalischer Tiere. Der Baum wird von zwei Elefanten getragen – der Autor sah allerdings offensichtlich nie im Leben einen Elefanten. Es ist eine köstliche naive Kunst, das Herz freut sich. Direkt unter den Mauern der Stadt badeten Menschen in einem kristallklaren Wasser, das ihnen nur bis zu Knies reichte, die Stadt ist natürlich voll mit Restaurants und Konditoreien – Gelato darf in einer italienischen Stadt natürlich nicht fehlen, um so weniger ein Espresso um 1 Euro.

Der nächste Halt war Gallipoli.    Der Name stammt aus Griechischem und heißt „Schöne Stadt“. Es durfte den Namen behalten. Gallipoli war die letzte byzantinische Bastion in Italien, als  letzte Stadt leistete sie bis zum Jahr 1085 den  Normannen Widerstand. Natürlich war ihm dabei seine Lage auf einer Insel von Vorteil, bis zur Vernichtung der byzantinischen Flotte belagerten die Normannen die Stadt vergeblich. Nur in der Altstadt, die durch eine Brücke mit dem Festland verbunden ist, macht Gallipoli seinem Namen Ehre.

Die neue Stadt ist sehr hässlich. Das einzige, das dort zu sehen ist, ist eine alte griechische Fontaine gleich am Ufer, gegenüber der Altstadt. Sie sollte eine furchtbare Geschichte von Metamorphose und Inzest erzählen, die Statuen im Relief sind aber so verwittert, dass sie nichts mehr erzählen können. In der Neustadt kann man aber einparken und dort kann man Geld aus Bankomaten beheben. Wir taten es nicht und dann versuchten wir den ganzen Tag Geld in der Altstadt zu beheben. In der gibt es einen, also EINEN Bankomaten. Als wir ihn besuchten, teilte er uns mit, dass er in fünf Minuten in Betrieb gehen würde. Wir kamen in fünf Minuten, er teilte uns mit, dass er den Betrieb in fünf Minuten beginnen würde. Wir haben verstanden, dass er zur Zeit ein italienisches und kein deutsches Verhältnis hatte, wir ließen ihm Zeit und kamen in einer Stunde. Er sagte, dass er gerade bei „up to date“ war und eine neue Version von Windows einspielte. Wir zeigten Verständnis, dass er damit viel Arbeit habe könnte und kamen wieder in einer Stunde. Als er uns wieder mitteilte, dass er in fünf Minuten in Betrieb gehen würde, haben wir endlich verstanden, dass er sich die ganze Zeit über uns lustig gemacht hatte und wir verzichteten auf seine Dienste. Gleich hinter der Brücke, als wir die Altstadt resigniert verließen, zählte ich auf hundert Meter gleich fünf Bankomaten. Die Altstadt selbst ist ein Gewirr schmaler Gassen, in denen man sich keinesfalls auskennen könnte. Man irrt halt durch die Gassen und dann findet man etwas Schönes. Wie die Kathedrale Santa Agata, wo man gerade eine Braut erwartete – es war Samstag. Gleich in der Nähe ist dann eine schön bemalte Apotheke „Farmacia Provenzana“. Das Schönste ist natürlich ein Spaziergang auf den Stadtmauern, aber bitte aufpassen, wohin Sie treten. Bei mir endete die Geschichte beinahe tragisch, als ich auf menschliche Schei.. trat, die  unter einem Plastikteller versteckt war. Natürlich war ich von der Schönheit der Stadt begeistert – dass passiert mir häufig – und ich filmte und fotografierte ohne unter die Füße zu schauen. Nur mit größter Mühe verhinderte ich das Schlimmste, also einen Sturz ins Braune, meine Frau war außer sich vom Lachen genauso wie die herum bummelnden Italiener. Es blieb mir nichts anders übrig, als den Schuh zu waschen.  Dazu gibt es in Gallipoli eine hervorragende Gelegenheit. Der Stadtstrand ist nämlich direkt unter den Stadtmauern. Man muss nur von den Stadtmauern auf einer breiten Treppe hinuntergehen und ist dort. Niemanden interessierte, warum ich meinen Schuh im Meerwasser wusch, die Italiener badeten weiter ungestört in dem (vermeintlich) sauberen Wasser. In den Straßen von Gallipoli kann man überall Pfefferoni unter dem Namen „Viagra Salentino“ kaufen. Also, sollten Sie Lust und Bedarf haben…

Das Zentrum von Salento ist Lecce. Die Stadt ist mit über 90 000 Einwohnern die größte in der Region. Das Zentrum ist übersichtlich, es hat zwei wichtige Plätze Piazza Sant´Oronzo und Piazza del Duomo und diese sind mit dem Corso Vittorio Emanuelle, der für shoppingwillige Besucher sehr viele Gelegenheiten in den Luxusgeschäften bietet, verbunden. Nur ein paar Schritte von der „Piazza Sant´Oronzo“ entfernt gibt es eine Kirche, die man einfach sehen muss. An der Fassade der Kirche Santa Croce tobten sich die Steinmetze unter der Führung des Architekten Giuseppe Zimbalo wirklich aus. Es ist ein Barock hoch zwei. Mit verflochtenen Steinfiguren aus dem weichen Marmor von Salento, Schafe, Cherubinen, Ungeheuern, alles was man nur will oder eher nicht will. An die Kirche lehnt sich das heutige Rathaus, ein ehemaliges Kloster der Celestinen, an, auch ein Werk von Giuseppe Zimbalo. Heute würde man ihn des übermäßiges Konsums von Haschisch oder LSD verdächtigen, wie sich Zimbalo zu seinen Fantasien im siebzehnten Jahrhundert durchgearbeitet hatte, kann ich gar nicht ahnen.

Auf der Piazza Sant´Oronzo in der Nähe von Castello Svevo (hier war die Ausstellung von Andy Warhol, aber es gibt jedes Jahr eine interessante Ausstellung, deshalb sollte man die Burg unbedingt besuchen) wurde ein altes römisches Amphitheater entdeckt. Er ist aus dem zweiten Jahrhundert und wurde unter dem Niveau des Platzes so rekonstruiert, dass man hier auch heute spielen kann. Seine Kapazität beträgt 15 000 Sitze. Der Platz wird von der Statue des heiligen Oronzio dominiert. Er ist der Patron der Stadt, er wurde hier bei der ersten Christenverfolgung im Jahr 68 getötet. Die Statue ist ein Geschenk der Republik Venedig und steht auf einer Säule, die Venezianer in Brindisi entwendeten. Dort – am Ende der Via Appia – standen zwei Säulen. Heute steht dort nur mehr eine (und ein Rudiment), die zweite ist in Lecce und auf ihr steht der Ortspatron, der die Stadt laut einer Legende vor einer Pestepidemie retten sollte. Mit diesem venezianischen Geschenk hängt auch die nahe Loggia aus dem Jahr 1592 und die Kapelle des heiligen Markus zusammen.

Auf dem Corso Vittorio Emmanuelle erreicht man die „Piazza del Duomo“. Was hier überrascht, ist die Tatsache, dass der Dom gleich zwei Fassaden hat, eine in der Front und eine auf der Seite. Es war einfach viel zu viel Marmor in der Gegend und die Architekten – in diesem Fall wieder einmal Giuseppe Zimbalo – hatten viel zu viel Fantasie um nur mit einer Fassade auszukommen. Der Steinschmuck der Fassaden gab sogar dem örtlichen Stil einen Namen – Barock von Lecce – man kann es sonst nirgends sehen- es ist die Folge des verwendeten leicht bearbeitbaren Materials.

In der Kirche Santa Chiara auf dem Corso werden Sie staunen – nicht aber fotografieren, das ist dort verboten. Die Säulen in der Kirche drehen sich in Form von Spiralen und sind reichlich mit Plastiken geschmückt. Ich habe noch nie etwas Ähnliches gesehen und ich bin wahrscheinlich nicht allein. Es gibt Unmenge Kirchen in Lecce – einfach Barock und damit eine Machtdemonstration der Kirche. Die einzige mittelalterliche Kirche ist Santi Nicolo e Cataldo hinter der Porta di Napoli, gestiftet von dem bereits erwähnten Tankred, dem Grafen von Lecce und letzten normannischen König von Sizilien, der trotz seiner kleinen Gestalt tapfer für die Rechte seiner Familie kämpfte.

Wer Lust auf eine wirklich skurrile Geschichte hat, muss aber nach Galatina, knappe zwanzig Kilometer von Lecce entfernt, fahren und dort die Franziskanerkirche Santa Caterina d´Alessandria besuchen. Hier wird eine heilige Reliquie aufbewahrt – nämlich ein Finger der heiligen Katharina von Sinai. Der Herr von Galatina Raimondello Orsini erwarb diese Reliquie auf eine sehr ungewöhnliche Art. Er besuchte auf seiner Pilgerreise das Kloster der heiligen Katharina auf dem Berg Sinai und als er der Heiligen die Hand küsste, biss er ihr einen Finger ab. Er behielt den Finger im Mund und so schmuggelte er ihn aus dem Kloster. Er brachte ihn nach Galatina und zur Belohnung durfte er nach seinem Tod in der gleichen Kirche bestattet werden.

Mit dieser furchterregenden Geschichte könnten wir unseren Besuch in Salento beenden. Ach so, vielleicht nur noch – wo kann man nach dem anstrengenden Tag in Salento gut essen? In Lecce besuchten wir die „Trattoria Arcu de Pratu“ auf einer kleinen Piazza (eher Piazzeta) umgeben mit Loggien und mit einer Steinbogendurchfahrt, die der Trattoria ihren Namen gab. Der Kellner sprach sehr gut deutsch, Vorspeise (Meeresfrüchte), gegrilltes Gemüse sowie auch das Hauptgericht (Schweinefleisch auf Pistazien) schmeckten einfach  wunderbar.

Bari


Wollen Sie nach Bari fahren? Und Sie wollen es mit Ihrem eigenen Auto tun? Warum nicht, trotzdem versuche ich Sie mit zwei Geschichten zu warnen, die mir zu Ohren kamen und das nämlich unmittelbar durch meine guten Bekannten. Also nicht irgendwie aus dritter oder vierter Hand.

Unser Nachbar brach zu Überreise nach Apulien auf und weil er sich bereits müde fühlte, entschied er sich, in Bari eine Pause einzulegen. Er parkte sein Auto auf einer frequentierten Straße nahe der Polizeistation und glaubte, es wäre hier in Sicherheit. Weil er Angst hatte, dass er am Strand einschlafen und dabei bestohlen werden könnte, ließ er sein Geld sowie auch seine Dokumente im Auto. Als er nach einer Stunde zum Auto zurückkam, war ein Fenster zerbrochen und Dokumente sowie auch das gesamte Geld fehlten. Für den Anfang des Urlaubes sicherlich kein aufmunterndes Erlebnis.

Die andere Geschichte liegt schon länger zurück.

Mein Kollege absolvierte seine Ausbildung zum  Facharzt für Physiotherapie in München (damals gab es die Ausbildung zu diesem Fach in Österreich noch nicht) und sein Kollege, ein Deutscher, lud ihn zu einem gemeinsamen Ausflug nach Italien ein. Sie reisten also gemeinsam, der Deutsche liebte große Autos und fuhr in einem kleinen Mikrobuss mit 7 Sitzen auf Urlaub. Sie kamen nach Bari, parkten auf einem „überwachten“ Parkplatz und am nächsten Morgen war das Auto weg. Der aufgeregte Deutsche ging zu Polizeistation um den Diebstahl zu melden. Der Polizist zeigte zwar Mitleid, äußerte aber keine Hoffnung, ihm helfen zu können.

„Wissen Sie, es verging die ganze Nacht! Wer weiß, wo das Auto zum jetzigen Zeitpunkt bereits ist? Möglicherweise auf Sizilien oder auf einer Fähre nach Afrika. Natürlich nehmen wir mit Ihnen ein Protokoll auf, aber große Hoffnung, dass wir das Auto finden könnten, dürfen Sie sich nicht machen.“

„Mein Gott, wie komme ich nach Hause?“ begann der deutsche Arzt zu jammern. „Ich habe fünf Kinder mit, wie soll ich mit ihnen in einem Zug nach München fahren?“

Der Polizist wurde aufmerksam. „Che Cosa? Cinque Bambini?“ (Was? Fünf Kinder?) Er griff zum  Telefon. Es folgte ein längeres, sehr aufgeregtes Gespräch auf Italienisch. Eine Stunde später stand das Auto vor dem Hotel. Nur am Rande merke ich an, dass der deutsche Kollege kinderlos war.

Also, Bari ist nicht wirklich eine sichere Stadt. In der Kriminalität ist sie dauernd unter den fünf problematischsten Städten Italiens mit höchster Kriminalität. Deshalb haben wir die Stadt mit Zug dem besucht.  Nachdem wir am Bahnhof von Ostuni ein italienisches Frühstück (Cafe con Cornetto) eigenommen hatten, stiegen wir in den Morgenzug. Natürlich wussten wir nicht, dass man in Italien durch den Kauf eines Tickets noch lange nicht gewonnen hat, das Ticket ist nämlich nur nach einer Abwertung im Automaten auf dem Bahnsteig gültig. Der liebe Gott meinte es aber gut mit uns.. Auf der Reise nach Bari kontrollierte uns niemand und ich schaute mir unterwegs die Tickets genau an und es war für mich auffällig, dass sie drei Monate gültig waren. Etwas hat also nicht gestimmt und deshalb habe ich auf die anderen Reisenden aufgepasst. Ich bemerkte, dass sie die Fahrkarten auf dem Bahnsteig  in irgendwelche Geräte steckten.  Also machten wir das bei unserer Rückreise ihnen nach. Wir hatten Glück, diesmal ist nämlich der Schaffner gekommen. Unsere Kontrolle verlief stressfrei, einige Sitzplätze weiter hatte aber ein Passant Pech, letztendlich führten ihn Carabinieri in der nächsten Haltestelle aus dem Zug. Also aufpassen! Außerdem kommen Züge nach Bari selbstverständlich mit Verspätung und nicht unbedingt auf dem Bahnsteig, wie es im Fahrplan angegeben war. Also muss man ständig auf der Hut und up-to date sein. Wie es meine Frau ohnehin immer von mir verlangt – flexibel. Bari ist nämlich echtes Süditalien mit seinem typischen Chaos und Charme.

Die Bürger von Bari hatten nie Probleme damit, sich auf ungesetzliche Weise zu bereichern. So kamen sie übrigens zu ihrem größten Schatz, zu den Knochen des heiligen Nikolaus. Dieser Heilige lebte in den Jahren 270 – 326 in Anatolien. Auf seinen Todestag am 6.Dezember freuen sich bis heute alle Kinder.  An diesem Tag bekommen sie Geschenke, weil es der heilige Nikolaus auch lebenslag getan hat. Die Matrosen aus Bari stahlen seinen Leichnam im Jahr 1087 in der Stadt Myra, in der heutigen Türkei gelegen. Anatolien war seit dem Jahr 1071, als die Byzantiner eine vernichtende Niederlage in der Schlacht bei Manzikert von den Seldschuken erlitten hatten, unter türkischer Herrschaft. Die Türken riefen in Anatolien das Sultanat Rum aus. Außerdem verstanden sich die damaligen Herren von Bari, die Normannen, mit dem byzantinischem Kaiser Alexios überhaupt nicht. Der normannische Herzog Robert Guiscard führte mit Alexios in den Jahren 1081 – 1085 einen Krieg, der kein geringeres Ziel hatte, als den byzantinischen Kaiser vom Thron von Konstantinopel zu stürzen und diesen Thron selbst zu erobern. Nach dem Tod von Robert Guiscard endete zwar der Krieg, aber die Rettung der körperlichen Überreste eines Heiligen aus den Händen der Moslems aus dem byzantinischen Gebiet war natürlich trotzdem eine gottgefällige Tat.

So oder so, der heilige Nikolaus machte aus Bari eine Pilgerstätte, besonders für Russen, für die der Heilige der Nationalpatron ist. Auf dem Platz vor seiner Kirche gleich neben seiner Statue gibt es eine Gedenktafel aus Bronze, die daran erinnert, dass diese Stelle auch Vladimir der Große, mit dem bürgerlichen Namen Putin, besuchte. Der heilige Nikolaus wird in Bari am 8.Mai gefeiert (am Tag, an dem die Matrosen von  Bari mit den Knochen des Heiligen im Hafen von Bari anlegten). Wie der Zufall es so will, gerade am diesen Tag feiert Russland den Sieg über das nazistische Deutschland. Die Popularität des Heiligen hat durch diesen Zufall sicherlich nicht gelitten. Die Kathedrale des heiligen Nikolaus ist einfach gigantisch und bei dem Blick auf sie stockt der Atem.

Es ist das wundervollste Beispiel des normannischen Stils aus weißem Marmor, der Bau wurde im Jahr 1089 begonnen und erlebte gleich zwei Weihen, die erste im Jahr 1098, als die untere Krypta vom Papst Urban II. geweiht worden ist, die Kirche selbst musste sich bis zum  Jahr 1196 gedulden. Die Kirche gehört zwar dem Orden der Dominikaner, in der Krypta allerdings, wo die Knochen des Heiligen aufbewahrt sind, gibt es auch eine orthodoxe Kapelle, in der die Pilger aus Russland beten und beichten dürfen.

In der Nähe der Kirche gibt es auch ein Museum des heiligen Nikolaus, um diesen Heiligen dreht sich in Bari einfach alles, er ist es, der die Pilgerströme und damit auch das liebe Geld nach Bari zieht. In der Kathedrale befindet sich ein wunderschönes Ziborium aus dem 12.Jahrhundert und in der Apsis hinter dem Hauptaltar ein monumentales Grabmal der Herzogin Bona Sforza, der Gattin des polnischen Königs Sigismund I., der letzten mailändischen Herrscherin von Bari. Ihren Einfluss konnte ich sogar in dem entfernten Vilnjus in Litauen sehen, wo sie sich ein Schloss im Stil der italienischen Renaissance bauen ließ. Nach dem Tod ihres Mannes, des polnischen Königs, kehrte sie nach Bari zurück und wurde auf Befehl des spanischen Königs Filip (der auch der König von Neapel war und dem die mailändische Enklave mitte in seinem Königsreich wahnsinnig auf die Nerven ging) vergiftet – Bari wurde zum Teil des Königsreichs von Neapel

Das Problem war, dass die Bürger von Bari in der Zeit, als sie den Heiligen Nikolaus in Türkei stahlen, bereits einen Stadtheiligen hatten, und zwar den heiligen Sabinus. Bari hatte nämlich bereits eine bewegte Geschichte hinter sich. In den römischen Zeiten lebte Bari im Schatten seines mächtigen Nachbarn – Brindisium/Brindisi. Kaiser Traianus ließ endlich zumindest die „Via Traiana“ bauen, die Bari ans Netz der römischen Hauptstraßen anschloss – die Reste dieser Straße kann man im Untergeschoß der Stadtkathedrale sehen. Nach dem Fall des Römischen Reiches und einem kurzen ostgotischen Intermezzo wurde Bari  byzantinisch. Die Byzantiner konnten aber die Stadt nicht gegen die Araber  verteidigen und so wurde die Stadt mit der unmittelbaren Umgebung in den Jahren 847 – 871 bis zur Rückeroberung von den Byzantinern zu einem arabischen Emirat. Nach dem Jahr 876 erlebte die Stadt ihre berühmteste Epoche, sie wurde zur Hauptstadt des byzantinischen Verwalters (Katapans) für das gesamte Süditalien. Im Jahr 1071 nahm nach dreijähriger Belagerung der normannische Herzog Robert Guiscard die Stadt ein und in der Zeit der Kreuzzüge erlebte die Stadt ihre zweite wirtschaftliche Blüte. Im Jahr 1464 fiel die Stadt in die Hände der Sforzas aus Mailand, bis sie im Jahr 1558 dem Königsreich Neapel angeschlossen wurde und dort bis zu Vereinigung Italiens blieb.

Der heilige Sabinus war ein Bischof in Canusium (heute Canossa di Puglia bei Bari) in den Jahren 514 – 566. Er war nicht ganz bedeutungslos (er war ein Freund des heiligen Benedikt und als Vertreter des Papstes Agapitus reiste er sogar nach Konstantinopel), dem heiligen Nikolaus konnte er trotzdem nicht das Wasser reichen. Die Bürger von Bari lösten das Problem auf die salomonische Art, sie erklärten beide Heiligen für gleichwertig und seitdem haben sie zwei Stadtpatrone.

Die Stadtkathedrale ist also dem heiligen Sabinus geweiht. Im Gegenteil zum heiligen Nikolaus steht sie aber inmitten der dicht gebauten Häuser der Stadt mit nur einem kleinen Plätzchen vor dem Eingang – ein Photo von der Kathedrale zu machen ist beinahe unmöglich. Es ist ein chaotisches Gebäude mit Unmengen an Zubauten, ein Turm stürzte im Jahr 1613 ein und wurde nie wieder aufgebaut – warum auch, wenn die Bürger von Bari bereits den heiligen Nikolaus hatten? In der Kathedrale ist es möglich, ein Ticket für den Untergeschoß zu kaufen, hier gibt es Mosaike der byzantinischen Kirche, die hier bis zum Jahr 1156 stand, bis sie von den neuen Herrschern – Normannen – niedergerissen wurde. Noch tiefer unten kann man dann die Überreste der römischen Vergangenheit der Stadt sehen – die bereits erwähnte Straße Via Traiana. Interessant ist, dass die Säulen vor dem Eingang der Kirche nicht von Löwen – wie sonst so gut wie überall in Italien – sondern von Stieren getragen werden. Fragen Sie mich, bitte, nicht, warum. Sehr schön ist der Thron des Bischofs Elias aus weißem Marmor.

 

Nur ein paar Schritte von der Kathedrale entfernt gibt es eine Erinnerung an die glorreichen Zeiten, die Bari unter der Herrschaft Friedrichs II. von Hohenstaufen im dreizehnten Jahrhundert erlebt hat. Eine monumentale Festung „Castello Svevo“ erinnert schon mit ihrem Namen an die Herrschaft der schwäbischen Dynastie. Das heutige Aussehen ist aber etwas neuer – im sechzehnten Jahrhundert gaben die Könige von Neapel (genauer gesagt, die Königin Isabela von Aragon) der Festung das heutige repräsentative Aussehen. Im Castello gibt es eine schöne Ausstellung der architektonischen Relikten aus der Zeiten Friedrichs II – Statuen und Reliefs. Man kann sehen, wie sich gerade in dieser Zeit die Wahrnehmung der bildenden Kunst von mittelalterlichen religiösen Vorbildern zu der neuen, die sich auf antike Vorbilder stützte, änderte. In der Festung hatten gerade Studentinnen der Universität Aldo Moro in Bari ein Praktikum. Sie boten Touristen kostenlose Führung zu den ausgestellten Exponaten an. Ich nutzte die Gelegenheit und erklärte einer der jungen Damen, was dort eigentlich zu sehen war. Sie war begeistert und noch bevor wir den Raum verließen, rief sie alle ihre Freundinnen zusammen, um mit ihnen ihre neuen Kenntnisse zu teilen.

Aldo Moro war ein Landsmann aus Apulien, der auf der Universität in Bari Strafrecht unterrichtete und er war in den Jahren 1963 – 1968 und dann noch einmal 1974  -1976  Premierminister von Italien. Einen traurigen Ruhm brachte ihm seine Entführung durch die terroristische Organisation „Rote Brigaden“ im Jahr 1978, ein. Nach 55 Tagen der Entführung wurde er tot, ermordet durch acht Schüsse, im Kofferraum eines roten Renaults gefunden. Seine Mörder wurden ausgeforscht und 17 Mitglieder der Roten Brigaden wurden zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt. Nach Aldo Moro trägt die Universität in Bari ihren Namen. Unterwegs von Bahnhof zu Altstadt geht man an ihr vorbei. Einfach nur an der schönen Fontaine vorbei und dann immer nur geradeaus.

Die Neustadt ist nämlich ein Netz aus geraden Straßen mit einer Menge an Geschäften, absolut ideal für Shopping, wenn einem genug Zeit dafür bleiben würde – besonders die Straße Via Sparano de Bari. Von der Altstadt ist die Neustadt mit einer breiten Straße Corso Vittorio Emanuelle mit zahlreichen Palmen getrennt – und dann erwartet Sie schon die „Citta Vecchia“ mit ihren engen, kurvigen Gässchen und dem Geruch des nicht wirklich entsorgten Mühls. Wir sind doch in Süditalien. Hier ist der Platz „Piazza Mercantile“ mit dem Gebäude „Sedile dei Nobili“ sehenswert, in dem im Mittelalter der „Rat der Hochgeborenen“, also der damalige Stadtrat tagte und ebenso sehenswert ist eine Säule, die als ein Pranger diente.

An der Grenze zwischen alter und neuer Stadt gibt es ein Lokal „Vini e cuccina“. Ein echtes italienisches Restaurant mit lokalem Kolorit.  Der Besitzer kümmert sich um die Bestellung und in der Zwischenzeit liest er die Zeitung, seine Söhne schuften in der Küche und servieren. Weil ich es mag, lokale Spezialitäten auszuprobieren, bat ich den Boss um ein typisches Gericht von Bari. Er musterte mich mit forschendem Blick, nickte und sagte „Tipico Bari“. Dann bediente er die Gäste und erklärte jedem, was er zum Essen bekommen hatte. Als er den Teller zu mir brachte, sagte er mit einer wichtigen Stimme: „Tipico Bari“ und legte den Teller mit seiner Schöpfung auf den Tisch vor mir. Es war ein einfaches Essen, Muscheln mit Kartoffeln und Reis, es schmeckte aber wunderbar. Es ist mir noch immer nicht ganz klar, wie es die Italiener machen, dass sie auch aus einem einfachsten Gericht etwas Hervorragendes kreieren.

Bari ist durch die Produktion von Teigwaren bekannt. Bei einem Spaziergang durch die Stadt kann man auf mehreren Plätzen Frauen sehen, die eigenhändig frische Teigwaren unterschiedlichster Formen erzeugen, besonders die für die Region typische „Orechieti“. Wer Lust hat, kann gleich eine Portion kaufen.

Bari hat etwas an sich. Schmale Gassen (natürlich, wie schon gesagt, mit nicht gerade sorgfältig beseitigten Abfällen, aber das gehört auch zum südlichen Kolorit),kleine Kirchen, Souvenirgeschäfte und eine monumentale Stadtmauer um den Hafen, an denen wir eine unglaublich süße Melone lokaler Herkunft aßen. Nur auf die Geldbörse sollte der Tourist aufpassen. Und keinesfalls auf der offenen Straße parken. Unter diesen Umständen kann man den südlichen Charme der Stadt auskosten.

Brindisi


Dieses liebe Städtchen, am Ende der Welt, hat eine glanzvolle Geschichte hinter sich. Und keine andere Stadt in Italien ist Mussolini so verbunden wie Brindisi. Duce erhob wieder die bereits in Vergessenheit geratene Bedeutung und den Ruhm des alten römischen Brundisiums. Was natürlich auch einen Grund hatte. Unter Mussolini wandte sich die italienische Expansionspolitik nach Osten. Also wandte er seine Politik (vor Mussolini gab es eigentlich keine solche Politik), obwohl bereits ein italienisches Vizekönigreich in Afrika existierte, Richtung Libyen und später auch Habesch, so wie auch Äthiopien. Italien hatte zwischen den zwei Weltkriegen seine Interessen in Albanien, wo der albanische König Zog I. von der Gnade des italienischen Diktators abhängig war. Albanien war grundgenommen ein italienisches Protektorat, dieser Zustand beendete dann der Einmarsch italienischen Truppen in Albanien am 7. April 1939. Mussolini hatte damit nicht genug, er verwendete geschickt die erfolgreiche italienische Taktik sich auf die Seite des Siegers zu schlagen. Obwohl er bei seinem Einmarsch in Griechenland, im Frühjahr 1941, eine vernichtende Niederlage erlitt, schlug er sich auf Hitler´s Seite, dieser wurde unentbehrlich für ihn und eilte ihm zur Hilfe (der Balkanfeldzug kostete die Deutschen 3 Monate an Zeit die für den Barbarossa Plan fehlten, der nun anstatt im März erst im Juni beginnen konnte, was sich letztendlich als fatal erwies). Mussolini bekam,  nach dem deutschen Sieg über die Griechen und die mit ihnen verbundene Briten, die Insel nahe der griechischen Küste  (Korfu, Zakynthos, Itkaha und Kefalonia), außerdem gehörte Italien seit 1912 so genannter „Dodekanessos“ mit den Inseln Rhodos, Kos usw.  (insgesamt 12 Insel nahe der türkischen Küste).

Brindisi, als der dem Balkan nächste Hafen gewann unter diesen Umständen wieder an Bedeutung und wurde zum militärischen Hauptstützpunkt der italienischen Marine. Mussolini ließ die Stadt prächtig wiederaufbauen, beschenkte sie mit einem großen schönen Hafen, einem Denkmal der italienischen Matrosen und einer riesigen Fontäne zur Ehre von König Vittorio Emanuelle II. (die Fontäne war in der Zeit unseres Besuches wasserlos, dafür kann aber der Duce nichts, denn es war schließlich Sommer).

In den römischen Zeiten spielte Brindisi eine entscheidende Rolle, es war der wichtigste Hafen an der Ostküste Italiens. Von hier reiste man nach Griechenland und später dann auch nach Konstantinopel, in die zweite Hauptstadt des Römischen Reiches. In Brindisi hatte „Via Appia“ ihr Ende um sich am anderen Ufer der Adria in „Via Egnatia“ zu verwandeln, (hier gab es in Apollonia a Dyrrhachium gleich zwei Anlaufstellen) auf der man bis nach Konstantinopel fahren konnte. Das Ende der „Via Appia“ wird auch heute noch durch zwei Säulen in der Altstadt am Ufer der Bucht von Brindisi markiert. (Eigentlich nur von einem, der zweite wurde von Venezianern entwendet und an die Stadt Lecce verschenkt, dort steht er jetzt auf dem Platz des heiligen Orosio) Im Jahre 44 vor Christus erschien bei diesen Säulen ein unauffälliger neunzehnjähriger Mann. Er studierte gerade in Apollonia, im heutigen Albanien, Philosophie und Rhetorik um sich auf eine politische Karriere vorzubereiten, als er erfuhr, dass ihn sein Onkel zum Universalerben gemacht hatte und er dieses Erbe nach seinem Tod übernehmen sollte. Diese Situation ist gerade eingetreten, da der Onkel ermordet wurde. Weil der junge Student die Neider fürchtete und damit um sein Leben bangte, kaufte er ein normales Schiffticket wie ein normaler Reisender und ließ sich nach Brindisi bringen. Dort wurde er, unter den Säulen die hier bis heute als stumme Zeugen dieses Ereignisses stehen (eine davon bereits ordentlich von der Zeit gezeichnet), von Soldaten erkannt und zum Anführer ausgerufen. Danach folgten ihm die Soldaten von Brindisi nach Rom. Es begann eine der prachtvollsten Karrieren, eines der genialsten Herrscher der Menschengeschichte. Der Junge hieß Gaius Julis Octavianus und er sollte einmal zum ersten römischen Kaiser unter dem Namen Augustus werden. Die Schule in Apollonia hat ihm vielleicht auch dabei geholfen, aber in erster Linie war er ein außerordentliches politisches Naturtalent.

Nicht weit von hier, in einem Haus nahe der Säulen, verstarb einer Legende nach der römische Dichter Vergilius, der sich gerade auf dem Rückweg von Griechenland befand und einen anderen Weg als über Brindisi gab es damals kaum.

Das historische Stadtzentrum ist klein aber lieb und gepflegt. Die Kathedrale auf der Piazza del Duomo (Pontificia Basilica Cattedrale di Brindisi), nur ein paar Schritte von den historischen Säulen entfernt (in Brindisi ist aber alles nur ein paar Schritte voneinander entfernt), ist aus gelblichen Sandstein gebaut, der in der untergehenden Sonne wie Gold strahlt. Die Kathedrale ist zwar beinahe 1000 Jahre alt, aber nach einer Zerstörung durch ein Erdbeben vor 300 Jahren und durch die Luftangriffe der Alliierten im zweiten Weltkrieg hat sie sehr gelitten. (Das hing wieder mit Mussolini und dem Hafen zusammen) Im Inneren ist sie ziemlich schlicht und nicht sehr spektakulär. Nahe der Kathedrale ist das schönste Haus in Brindisi mit Loggia di Palazzo Balsa.

Man kann nicht an der Porta die Cavalieri Templari, mit ihren spitzigen Bögen, unbemerkt vorbeigehen, denn es ist das was aus der Kirche des Templerordens übrig blieb. Die Templer hatten logischerweise ihre Niederlassung in  Brindisi, von hier brachen die Kreuzzüge in das Heilige Land auf und hier wurden neue Ritter geworben. Ihr Palast war einmal das monumentalste Gebäude in der Stadt, bis mit ihrem Orden der französische König Filip IV. „der Schöne“, am schwarzen Freitag (13. Oktober 1307) kurzen Prozess machte.

Zum Essen gingen wir ins Restaurant „Il Giardino.“ Es ist eines der schönsten Restaurants die ich im italienischen Süden je besucht habe. Das Restaurant besaß einen  wundervoll rekonstruierten Innenhof im Still eines gotischen Palastes, der in einen Garten umgebaut wurde (daher der Name des Restaurants) unter den Blumen und Lampen, die von der Seniorin des Hauses angezündet wurden  (sicherlich „la mamma“ des jungen Mannes, der uns bediente) aßen wir. Das Essen war einfach herrlich und die Bedienung phänomenal. Die Mutter beobachtete alles aufmerksam bei der Zündung der Lampen und war mit ihrem Sohn offensichtlich zufrieden. Zu recht! Sollten Sie nach Brindisi kommen, vergessen Sie nicht „Il Giardino“ zu besuchen, sonst wäre ihr Besuch unvollkommen.

Der Spaziergang auf der Uferpromenade, mit ihren hohen Palmen, ist in der abendlichen Dämmerung wunderschön. Brindisi besitzt einen riesigen so genannten „Inneren Hafen“, nur in der Ferne sieht man die Einfahrt ins offene Meer. Auf der anderen Seite des inneren Hafens gibt es das „Denkmal der italienischen Matrosen“, das Duce im Jahr 1933 bauen ließ. Zu ihm fährt regelmäßig eine Fähre von der Promenade „Viale Regina Margharita“ und vom Denkmal aus gibt es die schönste Aussicht auf die Altstadt von Brindisi. Es ist kein Zufall, dass die Uferpromenade den Namen der Königin Margherita trägt. Die Königin Margherita (1851 – 1926) unterstützte Mussolini bei seiner Machtübernahme und Duce war ihr daher dankbar. Übrigens nach ihr ist auch die Pizza Margarita, eine traditionelle Pizza mit Tomaten, Mozzarella und Basilikum (also in den italienischen Nationalfarben weiß, rot und grün) benannt. Margherita war eine brennende italienische Nationalistin.

Das Denkmal der gefallenen italienischen Matrosen ließ Duce auf einem wirklich sehr schönen Platz bauen. Italiener haben zwar keine Kriegshelden, sie wissen sie aber leidenschaftlich (einfach italienisch) zu feiern.  Wer sich ein Bild davon machen will, dem empfehle ich das Buch „Wie ich den Krieg gewann“ von Patrick Ryan.

 

Triest


 

Österreicher werden immer bei Erwähnung dieser Stadt von einer bestimmten Melancholie erfasst. Sie haben zu diesem Hafen in der nördlichen Adria eine starke emotionale Beziehung, es ist irgendwie eine nostalgische Erinnerung an die Zeiten, als Österreich noch groß und mächtig war. Kein anderer Landverlust (nicht einmal Südtirol) tut ihnen so weh, wie der Verlust von Triest mit seiner Umgebung.

Triest gehört also zu einem Pflichtprogramm jedes österreichischen Bürgers, diese Stadt mit den Schlössern Miramare und Duino nicht zu besuchen, ist einfach ein unverzeihliches Defizit der Grundbildung und ein Handicap in jeder anständigen Gesellschaft. Dass ich mich dazu nur nach beinahe zwanzig Jahren Aufenthalte in Österreich durchgerungen habe, hatte seine Ursache in erster Linie darin, dass Kollege Köck aus Murau über Triest immer nur Oden gesungen hat, niemals aber Zeit hatte, mit mir hinzufahren, wenn ich die Zeit gehabt hätte.

Also entschieden wir uns mit meiner Frau nicht mehr auf ihn zu warten und ohne den Neurologen (und Psychiater in einer Person) allein nach Triest zu fahren. Durch Depressionen waren wir nämlich im regnerischen Österreich stärker als wo anders gefährdet und so fand ich die Idee meiner Frau, nach Süden der Sonne entgegen zu fahren, absolut richtig. Ich hatte zwar vor, noch viel südlicher nach Perugia oder in die Toskana zu fahren, sie hat mich allerdings direkt hinter der italienischen Grenze gestoppt. Sie hatte recht, die Sonne war dort und blieb hier auch während unseres ganzen Aufenthaltes.

Triest (italienisch Trieste, tschechisch Terst, slowenisch Trst – die Slowenen sind Weltmeister in Bildung der Wörter ohne Selbstlaute, der absolute Höhepunkt ist das slowenische Wort für Frühstück „zajtrk“ – versuchen sie es ohne Zungenverletzung auszusprechen! Hier können den Slowenen vielleicht nur die Tschechen mit dem Satz „Strč prst skrz krk“ – „Stecke deinen Finder in den Hals“ – das Wasser reichen) wurde von den Römern im Jahr 178 vor Christus unter dem Namen Tergeste gegründet. Aus der römischen Epoche blieben Reste des römischen Theaters, das Lapidarium in der Stadtfestung und der Arco Ricardo – Überreste eines der Stadttore – erhalten.

Die Stadt erreichte nie eine vergleichbare Bedeutung wie ihr mächtiger Nachbar Aquiliea und nach der Vernichtung dieser Stadt durch Attilas Hunnen übernahm die führende Rolle in der nördlichen Adria das neu gegründete  Venedig – Triest kam wieder zu kurz. Hintereinander herrschten hier die Goten, Byzantiner, Langobarden, im Jahr 1202 nahm dann Venedig die Stadt ein. Venedig, das zwei Jahre später unter der Führung seines genialen blinden Dogen Enrico Dandolo mit Hilfe eines Kreuzzuges sogar die Macht Konstantinopels gebrochen hat. Triest mit einem Großteil der Halbinsel Istrien wurde ein Teil der venezianischen Ferra Terma. Die Stadt wollte aber nicht für immer und ewig ein zweitrangiger Hafen in der Republik des Heiligen Marcus bleiben.

Die Sternstunde von Triest kam im Jahr 1382, als die Stadt die Herrschaft und den Schutz der Habsburger angenommen hat. Durch den Seitenwechsel zu den Habsburgern – obwohl damals die Stadträte noch nicht ahnen konnten, wie weit es diese Familie bringen würde – wurde die positive Entwicklung eingeläutet. Im Jahr 1382 spielten nämlich die Habsburger, geteilt in zwei Linien neben den allmächtigen Luxemburgern nur die zweite Geige und zusätzlich lag zwischen ihren Ländern und Triest die Grafschaft Gorizia/Görz. Trotzdem wurde die Stadt nach diesem Machtwechsel zu einer direkten Konkurrenz zu Venedig – und eine solche ist sie auch bis heute geblieben. Der große Vorteil des Hafens ist, dass er sehr tiefes Wasser hat – dank seiner steilen Küste – und deshalb hier auch Schiffe mit Tiefgang anlegen können. Und so, während Venedig von einer Weltmacht zu einer touristischen Attraktion mutierte, ist Triest auch heutzutage der Hauptterminal für Tanker mit Erdölladung für Italien, Österreich und Deutschland. Gigantische Kreuzfahrtschiffe können direkt an der Piazza l´Unita d´Italia anlegen, was ein wirklich imposantes Bild bietet.

Unter der Herrschaft der Habsburger entstand ein großes Imperium und Triest erkannte, dass es auf das richtige Pferd gesetzt hatte. Bis zum Jahr 1918 war es der Handel- und Hauptkriegshafen der Monarchie und Sitz der Admiralität. Im Jahr 1500 fiel auch die Grafschaft Gorizia an die Habsburger und damit gewann Triest auch das wirtschaftlich notwendige Hinterland. Dem Reichtum der Stadt stand nichts mehr im Weg.

Die Stadt selbst ist nicht zu groß, sie hat heute um 200 000 Einwohner – und im grund hat sie keine weiteren Wachstumsmöglichkeiten. Dank der steilen Küste sind die Gebäude der Stadt auf mehreren Hügeln zerstreut, der Besuch von Triest ist konditionell eine ziemlich anstrengende Angelegenheit und für einen Menschen knapp nach einer Knieoperation (also für mich) nicht gerade die beste Wahl für einen Urlaub.

Die Stadt wird vom Hügel Cole di San Giusto mit der Zitadelle dominiert, mit einer Festung aus den habsburgischen Zeiten und mit einer riesigen romanischen Kathedrale, die dem lokalen Heiligen, dem heiligen Justus, gewidmet ist. Dieser war Bischof in Aquileia in der Zeiten der Christenverfolgung durch Kaiser Diokletian.  Er wurde mit Gewichten aus Stein an den Füßen und Händen ins Meer geworfen, seine Leiche wurde aber an die Küste bei Triest gespült. Hier wurde er auch begraben und bis heute wird er als Patron der Stadt verehrt (sein Feiertag ist am 2.November). Seine Kathedrale ist eine monumentale fünfschiffige Basilika, die nicht nur durch ihre Größe und durch korinthische Säulen, die das Gewölbe tragen, beeindruckt. Ihre innere Ausstattung ist ziemlich inhomogen, sie reicht von einem modernen Mosaik in dem Hauptschiff über alte Mosaiken aus dem 12. bzw 13. Jahrhundert bis zu Fresken  aus dem dreizehntem Jahrhundert. Die Kathedrale wirkt eigenartig asymmetrisch, die Bögen des Kreuzschiffes sind links bedeutend kleiner als rechts, die Seitenschiffe haben unterschiedliche Größe. Dieses Rätsel wird gelöst, wenn man die Kathedrale von oben betrachtet, also von den Mauern der Zitadelle. Dann sieht man, dass die Kathedrale aus zwei nebeneinander stehenden Kirchen entstanden ist, die in das neue Gebäude einfach übernommen und eingemauert worden sind – es waren die Kirchen St. Giusto und St. Maria Maggiore. Dieses architektonische Verbrechen wurde irgendwann im vierzehnten Jahrhundert begangen. Also nach der wohlbekannten italienischen Methode, dass nichts abgerissen wird. Erstens – es ist schade, zweitens – es ist viel zu viel Arbeit und drittens – die bereits stehende Bausubstanz kann man immer noch verwenden. Man muss nur flexibel und kreativ sein – mit einem Wort, einfach ein Chaot. Diese Eigenschaft besitzen die Italiener in einer ausreichenden Masse.

Der Eingang in die Basilika ist übrigens aus römischen Grabsteinen gebaut – das war im Mittelalter immer ein sehr begehrtes Baumaterial und die Triestiner konnten offensichtlich der Versuchung auch nicht widerstehen.

Von Cole di San  Giusto kann man zum Hafen und zum Hauptplatz Piazza l´Unita d´Italia hinabsteigen. Laut Triestiner ist dieser Platz der größte Italiens, aber auf diese Ehre erhebt auch der Platz Pratto della Valle in Padua und einige weitere Anspruch – in Italien ist einfach nichts unumstritten. Viel schöner als der Hauptplatz mit dem Rathaus ist aber der Borgo Teresiano – derjenige Stadtteil, den nach einem einheitlichen Plan (in Italien etwas Unerhörtes!) im achtzehnten Jahrhundert Maria Theresia bauen ließ – nicht umsonst wird Triest manchmal „das kleine Wien“ genannt. Schnurgerade breite Straßen um den Canal Grande, voller Cafés, Bars und Restaurants erinnern wirklich an die Donaumetropole.

Eine Erinnerung an die Donaumonarchie ist auch die Firma Illy, eine der bekanntesten Produzenten von Kaffemaschinen, die noch immer ihren Hauptsitz in der „Zona industriale“ in Triest hat. Francesco (eigentlich Ferenz) Illy war ein Offizier der ungarischen Kavallerie gewesen, bevor er sich in Triest niederließ und das Prinzip der Hochdruckkaffemaschine erfand. Es geschah zwar im Jahr 1933, als Triest bereits zu Italien gehörte, aber die ungarischen Wurzeln der Firma sind wohl bekannt. Übrigens ist das nicht die einzige Erinnerung an die Donaumonarchie in dieser Region – in der Umgebung von Görz wird die Tokairebe angebaut, obwohl die Weinerzeugung anders als in Ungarn ist – einfach italienisch. Die Familie Illy ist eine der einflussreichsten Familien in der Region, der Enkelsohn des Gründers der Firma, Riccardo, wurde gleich zweimal (1993 und 1997) zum Bürgermeister von Triest gewählt und es wäre auch das dritte (oder sogar das vierte) Mal geschehen, wenn es in Italien nicht verboten wäre. Übrigens ist Riccardo Illy auch seit 1999 Träger des Großen goldenen Ehrenzeichens der Republik Österreich – ob seiner politischen Verdiensten oder des guten Kaffees wegen sei dem Leser freigestellt.

Triest erlebte den Höhepunkt seiner Blüte im neunzehnten Jahrhundert. Es war damals das Kulturzentrum, hier lebte und wirkte James Joyce (nach ihm heißt eine von vielen Treppen, die Hügel der Stadt verbinden und gleich nebenan gibt es die Scala Dublino, offensichtlich  aus dem gleichen Grund). Auch Sigmund Freud lebte hier und in dem nahen Schloss Duino in den Jahren 1912 – 1913 auch Rainer Maria Rilke. In Triest wurden zwei Oper von Verdi uraufgeführt (Der Korsar und Stifelio).

Als gerade in Triest am 30. Juni 1914 das Schiff mit den körperlichen Überresten des Erzherzogs Franz Ferdinand d´Este anlegte, war das ein Vorzeichen des Niederganges der Stadt. Nach dem ersten Weltkrieg wurde Triest mit seiner ganzen Umgebung an Italien angegliedert, nach dem zweiten Weltkrieg erhob aber Jugoslawien seine Ansprüche auf dieses gemischtnationale Gebiet. Im Jahr 1947 wurden letztendlich drei Zonen A, B und C gebildet, davon entfielen die Zonen B und C an Jugoslawien  und Tito teilte sie zwischen seinen zwei Kindern, Kroatien und Slowenien, auf. Istrien wurde Kroatien zugesprochen und die Küste zwischen Triest und Umag in der Länge von 27 km erhielt Slowenien. Dass Tito dabei vergaß, auch das Meer in der Bucht aufzuteilen, sorgt bis heute für Konflikte zwischen diesen beiden Ländern. Triest blieb bis 1954 eine freie Stadt unter internationaler Kontrolle und danach kehrte es nach Italien zurück. Mehrsprachig blieb es aber weiterhin, alle Aufschriften sind hier italienisch sowie auch slowenisch. Weil wir zu unfreiwilligen Zeugen der Diensteinteilung in unserem Hotel wurden, erfuhren wir auf diese Art, dass das Personal ausschließlich slowenisch war.  Um die Sauberkeit unserer Zimmer sorgten also Zlatica, Dragica, Milica usw. und sie machten das hervorragend. Vice versa ist an der slowenischen Küste alles italienisch beschrieben und die Kellner in Piran oder Portorož sprachen fließend italienisch. Die slowenischen Städte besitzen übrigens auf Italienisch wohlklingende Namen – Koper ist Capo di Istria und Portorož heißt sogar romantisch Portorosa.

Zu Triest gehört natürlich auch seine Umgebung. Triest zu besuchen und nicht zum Schloss Miramare einen Abstecher zu machen ist einfach undenkbar.

Es ist ein zauberhaftes Schlösschen, das sich der Konteradmiral und Kommandant der österreichischen Kriegsmarine Erzherzog Maximilian in den Jahren 1856 – 1860 bauen ließ. Wenn das Erdgeschoß eine luxuriöse bürgerliche Wohnung ist, so ist dann das Obergeschoß ein Beweis, wie der Ruhm einem den Verstand rauben kann. Das Obergeschoß ließ der Erzherzog nämlich nach seiner Krönung zum Kaiser von Mexiko ausstatten und hier gibt es Prunkräume mit Portraits aller damaligen Herrscher von Kaiser Napoleon III., der Maximilian zu diesem tödlichen Abenteuer in Mexiko angestiftet hat, bis zum brasilianischen Kaiser Pedro II. Im Obergeschoß gibt es auch die Wohnung von Prinz Amadeus, Herzog von Aosta,(Duke d´Aosta) der Vizekönig  im italienischen Ostafrika war und nach dem das beste Hotel in Triest direkt im Stadtzentrum benannt ist.

Nur ein bisschen weiter steht ein romantisches Schloss Duino (slowenisch Devin, also Mädchenburg), das dem Geschlecht Thurn und Taxis gehört.

Es ragt hoch über den See empor und bietet damit wunderschöne Aussichten über die ganze nordadriatische Küste. In Duino gibt es ein Museum, das die Tätigkeiten berühmter Persönlichkeiten im Schloss erläutert. Wie ich bereits erwähnte, waren hier Rainer Maria Rilke oder die griechische Prinzesin Maria Bonaparte (die Enkelin von Napoleons Bruder Lucien) tätig. Maria Bonaparte war zuerst eine Patientin, später dann eine Freundin von Sigmund Freud, der ihre Frigidität erfolglos behandelt hat. Sie kaufte den alten Herrn aus der nazistischen Gefangenschaft frei, damit er in Ruhe in London sterben konnte (Außer ihm wurde seine ganze Familie umgebracht, sogar seine neunzigjährige Schwester wurde in Auschwitz vergast)

Natürlich muss man auch Grotta Gigante besuchen, eine riesige Naturhöhle mit einer Höhe von über 100 Metern, die in der Guinness Buch der Rekorde als die größte Hölle aufscheint und die man mit einer Führung (Englisch oder Italienisch) besuchen kann.

Triest ist also für jemanden, der in Österreich lebt, ein kulturelles Pflichtprogramm, allerdings keinesfalls uninteressant. Möglicherweise fahre ich noch einmal hin, wenn in Österreich wieder einmal regnerisches Wetter meine Psyche beeinträchtigt. Während unseres Aufenthaltes sind trotz Dauerregen in Österreich hier nur ein paar Regentropfen vom Himmel gefallen und der Sonnenuntergang, von Cole di San  Giusto beobachtet, war einfach atemberaubend.

Modena


Natürlich kennen wir Aceto Balsamico de Modena und wenn man weiß, dass Luciano Pavarotti in Modena geboren worden ist, kann man sich vorstellen, dass das Essen in dieser Stadt eine ähnlich zentrale Rolle spielt wie in dem nahen Parma. Balsamico unterscheidet sich übrigens durch den Preis, der durch die Reifungszeit bestimmt wird. Die übliche ist ein Jahr alt, aber es gibt auch hundert Jahre altes Balsamico, ich konnte meinen Augen nicht trauen, wenn ich den Preis von 289,90 Euro für 68 Gramm dieses Wunders, also 1 Gramm für 4 Euro sah. Eine lokale Spezialität neben einer Menge Teiggerichte, die mit allen möglichen Zutaten gefüllt sind, sogar auch mit süßem Kürbis, ist Zampone, gefüllter Schweinefuß, der mit pikanten Bohnen und Kartoffelbrei serviert wird. Er ist mit Fett übergossen, schmeckt aber wunderbar, wenn es Pavarotti gern gegessen hätte, dann wundert mich weder sein Gewicht noch der Pankreaskrebs, an dem er starb.

Außen Zampone sind die lokale Spezialität Tortellini und Tortelloni (die sind größer) mit unterschiedlichsten Füllungen, frisch kann man sie am Markt Mercato Albinelli direkt im Stadtzentrum kaufen. Der Lokalwein Lambrusco ist nicht wirklich mein Lieblingswein, er muss (eigentlich für Rotwein ganz unüblich) gekühlt getrunken werden und ist prickelnd. Ein wenig also ein Proseccoeffekt, die etwas schlechtere Qualität wird durch bestimmte Tricks kompensiert. Also langer Rede kurzer Sinn – Lambrusco ist ein roter Prosecco. (Jetzt würde ein Italiener, besonders ein in Modena geborener, einen Krampfanfall kriegen, also, bitte,  diesen Artikel keinem solchen zeigen) Aber Lambrusco gehört zu Modena und Pavarotti war sicher auch nicht abgeneigt, ihn zu trinken. Und wie konnte er danach singen! Also, wenn man schon in Modena ist, gehört Lambrusco zum Pflichtprogramm.

Modena liegt an der Via Emilia, einer Straße, sie älter ist als 2000 Jahre – auch heute geht diese Straße direkt mitten durch das Stadtzentrum. Im Jahr 43 vor Christus, als die Stadt noch Mutina hieß, wurde sie zum Schauplatz einer der entscheidenden Schlachten des römischen Bürgerkrieges. Der Anführer der Demokraten und Attentäter, die Caesar umgebracht hatten, Marcus Iunius Brutus, hat sich hier gegen Marcus Antonius verschanzt und leistete vier Monate lang Widerstand, bis ihm eine Ersatzarmee unter Führung der beiden Konsuln, unterstützt durch eine Privatarmee des damals neunzehnjährigen Oktavianus, des späteren Kaisers Augustus, zur Hilfe kam. Marcus Antonius erlitt eine niederschmetternde Niederlage, Oktavianus schaffte es aber während der Schlacht, beide Konsuls zu beseitigen, die beide unter rätselhaften Umständen das Leben verloren haben (einen von ihnen, der verletzt war, soll Oktavianus eigenhändig umgebracht haben). Danach übernahm er das Kommando über die Armee und anschließend die Macht über Rom. Er einigte sich mit Marcus Antonius, gemeinsam haben die zwei eine Proskriptionsliste erstellt von Menschen, die am bestens getan hätten nicht zu existieren (unter ihnen war Oktavians Verbündete Marcus Iunius Brutus an erster Stelle, Marcus Antonius schrieb dann eigenhändig Cicero, den Tutor und Beschützer Oktavians in die Liste ein, der ihm mit seinen moralisierenden Reden wahnsinnig auf die Nerven gegangen war) und die Geschichte nahm ihren Lauf, an dessen Ende die Gründung des römischen Kaisertums stand.

Danach lebte aber Mutina, das inzwischen zu Modena wurde, ein ruhiges Leben. In der Zeit des Kampfes des Kaisers mit dem Papst stellte es sich lauwarm auf die kaiserliche Seite und nach Aussterben der Staufen im Jahr 1288 übernahm die Familie d´Este aus Ferrara die Macht über die Stadt. Die d´Estes  blieben hier mit einer kurzen Unterbrechung in den Jahren 1308 – 1336 bis zum Jahr 1796, als sie aus der Stadt von Napoleon vertrieben wurde. Sollte euch der Name der Familie bekannt vorkommen, dann natürlich deshalb, weil das letzte Mitglied dieser Familie, der reichste Mensch im ganzen damaligen Italien, seinen ganzen Besitz dem österreichischem Thronfolger Franz Ferdinand, der dann später im Jahr 1914 in Sarajevo erschossen wurde, vermacht hatte. Eine der Bedingungen für die Übernahme der Erbschaft und Nutzung des Namens d´Este war, dass Franz Ferdinand Italienisch beherrschen müsste. Das hat der sprachlich absolut unbegabte Herzog trotz mehrerer vergeblicher Versuche nicht geschafft, den Besitz der Familie hat er trotzdem behalten. Den Namen natürlich auch. Im Jahr 1598 wurde Modena zur Hauptstadt des Herzogtums (d´Este verloren in diesem Jahr Ferarra) und es begann die Blüte der Stadt, von der man die Spuren noch heute auf jedem Schritt sieht.

Der Dom aber, das zentrale Gebäude der Stadt, entstand bereits lange vor der Machtübernahme der Familie d´Este. Der Bau wurde im Jahr der Eroberung von Jerusalem während des ersten Kreuzzuges im Jahr 1099 begonnen und der lombardische Baumeister Lafranco schuf die schönste rein romanische Kirche in Italien, obwohl der Bau erst im Jahr 1322 beendet wurde. Die Dekoration der Fassade ist ein Werk von zwei berühmten Bildhauer der damaligen Zeit Willigelmus, von dem die Reliefs auf der Fassade stammen, die biblische Themen darstellen und Anselmo da Campione, der ein wunderschönes „Letztes Abendmahl“ auf der Brüstung der Apsis schuf. Der Patron der Kathedrale und der Stadt ist der heilige Geminiano, ein ehemaliger Bischof von Modena, der hier wahrscheinlich im Jahre 397 starb. Seine sterblichen Überreste sind eine heilige Reliquie.

Der Glockenturm und derzeit ein Aussichtsturm Girlandina sind ebenso wie der Dom mit prächtigen Marmorplatten verkleidet und wurde gemeinsam mit Dom in die Liste der Weltkulturerbe UNESCO  aufgenommen. Auf die Aussichtsterasse gelangt man nach 191 Stufen, es gibt aber einen Haken, eigentlich zwei. Erstens wird auf den Turm immer nur eine bestimmte Zahl Besucher gelassen, also man kann einige Zeit vor dem Turm warten müssen, zweitens sind die Fenster auf der Aussichtsterasse vergittert, die Photos kann man also nur durch kleine Löcher in vier der Fenster machen. Aber mit ein bisschen guten Willens – es geht.

Mit dem Bau von des Palazzo ducale, also der Residenz der Familie d´Este, wurde im Jahr 1634 begonnen, heutzutage ist hier eine Militärakademie angesiedelt und deshalb ist er nicht der Öffentlichkeit zugänglich.

Die Kultursammlungen der Familie d´Este sind riesig, wie alle andere italienische Herzogsfamilien (Gonzaga, Farnese) waren auch d´Este leidenschaftliche Sammler und die Ergebnisse ihrer Aktivitäten sind im riesigen Gebäude „Palazzo dei Musei“ untergebracht. Römische Ausgrabungen, die Bilder der italienischen Meister und eine riesige Bibliothek. Ein kombiniertes Eintrittsticket gilt für alle Museen außen der Bibliothek, also ein ähnliches System wie in Parma. Fragen Sie mich nicht, warum es so ist.

Aber Modena, das ist Ferrari. Und Ferrari ist in Italien ein absoluter Kult. Enzo Ferrari (1898 – 1988) war in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts ein erfolgreicher Autorennfahrer. Nachdem er seine Kariere beendet hatte, wurde zum Verkäufer der Firma Alfa Romeo und gleichzeitig gründete er eine Automobilgesellschaft Scuderia Ferrari, so etwas wie derzeitige Rennställe, wo er in Rennautos Motoren von Alfa Romeo montierte. Er feierte mit diesem Rennstall beträchtliche Erfolge, besonders solange für seinen Rennstall der „fliegende Mantuaner“ Tazio Nuvolari fuhr. Später zerstritten sich die beiden und Nuvolari wechselte zur Konkurrenz bei Maserati. Aber gerade die „Gebrüder Maserati,(es gab sechs Brüder Maserati und fünf davon haben die Autofirma gegründet),  die vor dem zweiten Weltkrieg die Produktion aus Bologna nach Modena verlegt hatten, entschieden sich im Jahr 1945 nach Bologna zurückzukehren (die Zentrale der Firma blieb aber in Modena). Enzo nutzte das technische und menschliche Potenzial, das Maserati in Maranello zurückgelassen hatte, und gründete eine eigene Autofabrik. Das erste Auto mit dem Emblem des springenden Pferdes verließ den Fließband 1947. (Also im Jahr 2017 feierte Ferrari 70 Jahre seiner Produktion). Im Jahr 1951 gewann Ferrari den ersten Großen Preis in Silverstone in Großbritannien und ein Jahr später feierte Alberto Ascari mit dem Ferarriwagen den ersten Weltmeistertitel und im folgenden Jahr konnte er den Titel sogar verteidigen. Seitdem gewann der Rennstall Scuderia Ferrari 15 Weltmeistertitel und 16 Konstruktärenweltmeistertitel. Nur Michael Schumacher gewann in den Jahren 2000 – 2004 in der Farben Ferrari fünf Meistertitel nacheinander. Ferrari ist in Italien gleicher Kult wie Fußball und ein Italiener, der kein Fan von Ferrari ist, ist kein Italiener. Er kann – absolut ausnahmeweise – sogar einen Deutschen wie Michael Schumacher oder Sebastian Vettel mögen. Die Italiener haben sogar Niki Lauda geliebt und das war schon eine ordentliche Leistung, Lauda war kein wirklicher Sympathieträger. Momentan sind allerdings die  Italiender durch die Dominanz der Marke Mercedes frustriert, heuer funkt aber schon die Hoffnung auf bessere Zeiten.  Enzo Ferrari starb im Jahr 1988 im Alter von 90 Jahren, im Jahr 2002 brachte die Firma ein Model Enzo auf den Markt, um ihrem Gründer die entsprechende Ehre zu erweisen.

Ferrari Museen sind in Modena und in Maranello, wo die Autos produziert werden. Maranello ist von Modena ca. 15 Kilometer entfernt. Es ist möglich, ein kombiniertes Ticket zu kaufen (für 26 Euro) und es gibt auch einen Transportdienst zwischen den zwei Standorten. Aber auch das Museum in Modena allein ist sehenswert. Es ist nicht besonders groß, aber das Erlebnis mit Multimediaprojektionen und Musik ist sehr intensiv. Der Autor des Museums in Modena war der tschechischer Architekt Jan Kaplicky. Was gut für Ferrari war, war nicht gut genug für Prag. Die Durchführung seines Projektes der Nationalbibliothek aus dem Jahr 2007 wollte der damalige tschechische Präsident Vaclav Klaus mit eigenem Körpereinsatz verhindern. Der Bürgermeister Behm unterstütze zwar anfangs das Projekt, letztendlich zog er sich aber unter dem Druck aus der eigenen Partei zurück und das Projekt wurde nie realisiert. Im Jahr 2008 lehnte Kaplicky, dessen Werke in der ganzen Welt stehen, nur nicht in seiner Heimat, eine Auszeichnung des tschechischen Kulturministeriums ab. Ein Jahr später starb er.

Also Modena. Eine Stadt mit einer sehr guten strategischen Lage fürs Kennenlernen der Provinz Emilia Romagna, es ist von hier nicht weit nach Bologna, Parma, Mantova, sogar Verona und Ferrara sind nicht wirklich unerreichbar weit entfernt.

Das einzige Problem, das man allerding grundsätzlich in jeder italienischen Stadt haben könnte  – am Wochenende ist es ohne Reservierung fast unmöglich, einen Platz in einem Restaurant zu finden, um Torteloni, Zampone oder Lambrusco zu kosten. Achtung! In der ganzen Altstadt gibt es keinen Supermarkt, lediglich einige Geschäfte mit Obst und Gemüse und vereinzelt Delikatessenladen. Wahrscheinlich ist das ein Ergebnis des Druckes der Lobby der Restaurants, Tratorien, Osterien und übrigen Esseneinrichtungen.

Von Durst stirbt man in Modena sicher nicht – Bars gibt es auf jedem Schritt und Tritt, der Hunger ist aber nicht ausgeschlossen. Wir hatten Glück, eroberten wir doch in der Trattoria Accademica die letzten zwei freien Plätze. Und wir konnten das legendäre Zampone genießen. Es ist aber sicher von Vorteil, einen Platz voraus zu reservieren.

Ein großer Vorteil von Modena ist das Parken. Direkt im Stadtzentrum, angelegt an die historische  Altstadt, gibt es ein riesiges unterirdisches Parkhaus „Parcheggio del Centro“ unter dem großem Park „Novi Sad“ mit akzeptablen Parkgebühren 90, Cent pro Stunde und 12 Euro für den ganzen Tag. Einen Parkplatz zu finden ist hier überhaupt kein Problem. Und zum Unterschied zum  Parkhaus Goito in Parma ist hier die Einfahrt breit und bequem.

Also, sollten Sie sich für einen Besuch der Provinz Emilia Romagna entschieden haben, ist Modena ein optimaler Ausgangspunkt.

Parma


Natürlich, wenn man Parma sagt, stellt man sich sofort Prosciutto und Parmesan vor. Auf dieser Tatsache hat sich nicht einmal durch die Affäre der Firma Parmalat, deren Konkurs der größte finanzielle Skandal des modernen Italien war, etwas geändert. Parma schmückt sich mit der höchsten Lebensqualität in Italien und hat hier auch die Europäische Agentur für Sicherheit der Lebensmittel ihren Sitz.  Wo sonst?

Parma, das ist natürlich auch die Musik und Guiseppe Verdi, geboren in La Roncole in der parmesanischen Provinz, auf den die Parmesaner sehr stolz sind – Verdi wird von den Italiener für den größten Komponist aller Zeiten gehalten, größer als Mozart oder Beethoven, Dvořák oder Smetana muss man nicht einmal erwähnen. In Parma findet jedes Jahr im September ein Verdi Festival statt. Teatro Regio ist ein geeigneter Ort für die Aufführung von den Verdis Opern, dieses Theater im neoklasistischen Stil wurde im Jahr 1829 gebaut und mit einem Werk von Vincenzo Bellini eröffnet – Verdi war damals gerade 16 Jahre alt. Und dann gab es auch noch den genialen Geigenspieler Niccolo Paganini. Dieser wirkte in Parma vier Jahre lang (1835 – 1839) als Direktor des Hoforchesters, bis er aus gesundheitlichen Gründen nach Nizza abreiste, wo er dann starb. Vergessen darf man auch den berühmten Dirigenten Toscanini nicht, der in Parma sogar in seinem Geburtshaus ein Museum hat.

Gutes Essen und schöne Musik, das ist eine herrliche Kombination.

Einmal ist aber Parma nur ganz knapp seiner Zerstörung entkommen. Im Jahr 1248 erreichte der Konflikt zwischen Kaiser Friedrich II. und Papst Innozenz IV. seinen Höhepunkt. Der Papst flüchtete aus Italien, wo er sich nicht mehr sicher gefühlt hatte, nach Lyon nahe der damaligen französischen Grenze. Der französische König Ludwig IX., der später heilig gesprochen wurde, ließ ihn nämlich nicht sein Land betreten. Der König wollte keinen Streit mit dem Kaiser, besonders da er sich zu dieser Zeit selbst auf einem Kreuzzug in Ägypten befand.  Der Kaiser fühlte sich nach dem Sieg in der Schlacht bei Cortenuovo über die Mailänder stark genug, um den Papst endlich nach Italien zu holen und ihn zu Gehorsam zu zwingen. Der Weg war vorbereitet, in Turin schloss sich dem Kaiser der Herzog von Savoyen an, (die Tochter des Herzogs war mit dem unehelichen Sohn des Kaisers Manfred verheiratet) der bereits die Pässe über die Alpen für den  Feldzug gesichert hatte. Dem Papst ging es an den Kragen. Aber gerade im Moment, in dem die kaiserlichen Truppen Turin in Richtung Norden verlassen hatten, gelang es der Partei der Guelfen in Parma mit Hilfe der päpstlichen Söldnern die Macht an sich zu reisen und vom Kaiser abzufallen. Der Kaiser ließ sich durch Emotionen hinreißen – er brach den Feldzug nach Lyon ab, zog mit dem ganzen Heer nach Parma und begann die Belagerung der Stadt. Er war außer sich vor Wut und wollte die Stadt definitiv von der Erdoberfläche verschwinden lassen. Weil Parma an keinem großen Fluss liegt (durch die Stadt fließ das Flüsschen Parma) war diese strategische Absicht auch realisierbar und der Kaiser ließ bereits in der Nähe der Stadt eine neue Stadt bauen – vorerst aus Holz – eine Stadt mit dem Namen Viktoria, die ein Denkmal an seinen Sieg über die Aufständische sein und die zerstörte Parma ersetzen sollte. Als die Bürgen von Parma, die bereits am Verhungern waren, zum Kaiser kamen und die Unterwerfung und Buße versprachen, verweigerte der Kaiser ihre Kapitulation. Er erklärte den Boten, dass er die ganze Bevölkerung an Hunger sterben lassen oder alle niedermetzeln würde, allerdings sei  er nicht bereit mit ihnen zu verhandeln. Das war der größte Fehler, den der sonst sehr fähiger Herrscher begangen hat. Die Emotionen sind keine guten Ratgeber und die Verzweiflung gibt den Menschen Kraft. Die Parmesaner entschieden sich alles auf eine Karte zu setzen, weil sie ohnehin keine andere Alternative hatten. Sie nutzten den Moment, als der Kaiser mit seiner Garde auf einer Jagd war und machten einen Ausfall. Dabei ist es ihnen gelungen, die Stadt Viktoria zu vernichten und die kaiserlichen Truppen zu zerschlagen. Im Kampf starben Minister und Generäle des Kaisers wie z.B. sein Kanzler Thaddeus de Soussa. Es war die größte militärische Niederlage des Kaisers und er erholte sich nie mehr davon. Als die Bolognesen danach seinen unehelichen Sohn und den besten seiner Heerführer Enzio gefangen genommen haben, war die Tragödie der kaiserlichen Macht in Italien besiegelt. Der Kaiser starb im Jahr 1250, sein Sohn Konrad vier Jahre später. Sein unehelicher Sohn Manfred, der sich mit dem Titel des sizilianischen Königs zufrieden gab, wurde von den französischen Rittern in der Schlacht von Benevento im Jahr 1266 getötet und zwei Jahre später ließ Karl von Anjou den letzten Staufer, den Sohn des Kaisers Konrad und Enkelsohn des Friedrich II. Konradin in Neapel hinrichten. Die kaiserliche Macht in Italien wurde definitiv zu Vergangenheit, ein schwacher Versuch des Heinrichs VII. um ihre Wiederherstellung in Jahren 1311 – 1313 endete mit dem Tod des Kaisers vor Siena.

Also das Schicksal entschied sich wirklich in dem  denkwürdigen Jahr 1248 vor Parma und hier wurde die Zukunft Italiens entschieden, nämlich die Zukunft der von der kaiserlichen Macht unabhängigen Kommunen. Im anschließenden Kampf der Kommunen spielte Parma keine wesentliche Rolle, bereits im vierzehnten Jahrhundert fiel es unter die Herrschaft der Familie Visconti und danach der Sforza aus Mailand. Als aber Mailand von den französischen Truppen des Königs Ludwig XII. eingenommen und der Herrscher von Mailand Ludovico Sforza vertrieben worden war, verband sich Papst Julius II mit Kaiser Maximilian und mit Venedig zur sg. Heiliger Liga. Zur entscheidenden Schlacht kam es im Jahr 1511 bei Ravenna. Die Heilige Liga wurde zwar besiegt, aber der französische Kommandant Gaston de Foix fand in der Schlacht den Tod (in Mailand, im Castello Sforzesco, kann man sein prächtiges Grabmal bewundern). Ohne ihn konnte sich Ludwig XII. in Mailand nicht halten und die Heilige Liga teilte sich die Beute, wobei auch der Verbündete des französischen Königs, der Herzog von Ferrara, ordentlich zur Kassa gebeten worden ist. Julius II. sicherte im Jahr 1512 für den Päpstlichen Staat den Gewinn von Parma, Piacenza und Modena. Das nutzte einer seiner Nachfolger, Papst Paul III. (mit eigenem Namen Alessandro Farnese). Er bildete aus Parma und Piacenza ein unabhängiges Herzogtum und übergab es seinem unehelichem Sohn Pier Luigi. Die Familie Farnese konnte sich nach Anfangsproblemen (Pier Luigi wurde bereits nach einem knappen Jahr Herrschaft ermordet und sein Sohn Ottavio musste lange Jahre um seine Erbschaft mit seinem Schwiegervater Karl V. streiten) behaupten und für Parma, ihre Residenzstadt, begann die Zeit der größten Blüte.

Parma, das sind Fresken – die Stadt würde sich den Namen „citta frescata“ verdienen und wenn wir schon von Fresken sprechen müssen wir gleich an zwei Namen erinnern – Antonio Allegri, genannt Correggio, und Girolamo Franzesco Maria Mazzola, genannt Parmigianino. Der erste war der Meister des Lichtes, der zweite ist viel dunkler, ihre Werke sind in Parma überall, weil nach dem Herrschaftsantritt der Familie Farnese wurde wie um die Wette gebaut und gemalt. Offensichtlich hatte die Familie mehr als genug Geld aus der päpstlichen Schatzkammer und übrigens auch direkte Kontakte mit der kaiserlichen Familie. Ottavio, der Sohn von Pier Luigi war mit der Tochter Karls V. Margarete verheiratet (über sie habe ich bereits im Artikel über Piacenza geschrieben, wo sie begraben ist) und war damit auch der Verwalter der niederländischen Provinzen. Sicher ist er dadurch nicht arm geworden, obwohl ihn seine Frau angeblich nicht ausstehen konnte.

Der Dom von Parma ist ein monumentales Gebäude im romanischen Stil mit gotischen Elementen. Er stammt aus dem zwölften Jahrhundert und aus der gleichen Zeit (aus dem Jahr 1178) ist auch das Relief der Kreuzabnahme von Benedetto Antelani, der auch das nahe Baptisterium gebaut hat. Das ganze Innere der Kirche ist mit Fresken geschmückt, mit Ausnahme der Seitenkapellen gibt es hier nicht einmal einen Quadratzentimeter Fläche, der nicht bemalt worden wäre. Die Kuppel durfte natürlich keiner anderer als der bereits erwähnte Correggio bemalen.

Gleich neben dem Dom steht ein gigantisches Baptisterium, verkleidet mit rosarotem Marmor. Der Eintritt in dieses christliches Gebäude kostet unchristliche acht Euro, die innere Ausstattung ließ aber den Atem stocken. Auch hier gibt es Fresken, Fresken und noch einmal Fresken. Auf dem hohen Gewölbe der Kuppel sind in drei Reihen zuerst oben die Apostel und Evangelisten mit den Köpfen ihrer Symboltieren, dann in der mittlerer Reihe Figuren aus dem Alten Testament und noch einmal Evangelisten, diesmal mit ihren eigenen Köpfen, und in der unteren Reihe Szenen aus dem Leben des Heiligen Johannes des Täufers. Aber auch die Wände sind mit Fresken bedeckt und in den Gallerien sind Statuen mit Bilder aus dem Leben der Menschen in einzelnen Monaten – sehr ähnlich, wenn nicht ident, mit den Mosaiken auf dem Boden in San Michele in Pavia mit den Symbolen des Zodiakus.

Um einen Platz und ein paar Schritte weiter gibt es dann die Kirche des Heiligen Johannes Evangelist. Diese Kirche wurde im Jahr 1510 im Stil der Renaissance gebaut – die Kirchen in diesem Stil sind in der Welt eher Ausnahmeerscheinungen, aber in der Poebene sind sie keine Seltenheit. Zum Beispiel in Mantua gibt es eine noch größere Kirche San Andre. Die Fresken an der Decke sind natürlich wieder von Correggio, an der Dekoration der Kirsche nahm natürlich auch Parmigianino teil.

In keinem Fall darf man sich den Palazzo della Pilotta entgehen lassen, den sich die Familie Farnese als ihren Residenzpalast bauen ließ, der aber nie vollendet worden ist. Sonst würde er wahrscheinlich mit seiner Größe sogar die ungeheuerlich große Residenz in Piacenza übertreffen. Besonders das Teatro Farnese muss man gesehen haben. Es ist ein faszinierendes Beispiel eines überdachten Holztheaters im Stil der Renaissance, es gibt keine zweite solche in der gesamten Welt. Man staunt hier ähnlich wie z.B. im Bernsteinzimmer in Carsko Selo oder in Palermo in der Capella palatina. Italiener lieben alle ihre „piú“, in diesem Fall bin ich aber einverstanden.

Außerdem ist im Palazzo della Pilota, wie in jeder italienischen Stadt, eine riesige Pinakothek. Ich bin kein großer Fan von Leonardo da Vinci, weil mir seine Bilder viel zu kalt und in sich verschossen vorkommen. Aber die Zeichnung einer jungen Frau in der Pinakothek von Parma ist einfach wunderbar. In meinen Augen stellt sie Mona Lisa ebenso in den Schatten wie auch die Dame mit dem Hermelin, also die zwei berühmtesten Damenportraits Leonardos. In die Zeichnung in der Pinakothek in Parma kann man sich verlieben.

Es gibt hier auch ein Bild von meinem Lieblingsmaler Sandro Botticelli und natürlich auch Werke von dem Genie aus Parma, Correggio. Im ehemaligen Benediktinerkloster, genannt San Paolo ist dann „Camera Correggio“, bedeckt mit Fresken dieses Meisters.

Wenn man die Sammlungen des Palazzo della Pilote betritt, wird man von Herzogin Maria Luisa begrüßt und das gleich zweimal – einmal als ein riesiges Portrait, das zweite Mal als eine Statue. Die Parmesaner lieben ihre Duchessa. Ihren Namen trägt einerseits ein Dessert, anderseits auch eine Roulade mit Schinken und Parmesan. Der zweiten Gattin des Napoleons I. Bonaparte wurde durch Wiener Kongress das Herzogtum Parma und Piacenza für die Zeit ihres Lebens zugeteilt. Sie musste dafür ihren Sohn, den sie mit Napoleon hatte, in Wien in Obhut ihres Vaters, des Kaisers Franz, zurücklassen, damit den Franzosen nicht einfallen würde, den Burschen nach Paris zu entführen und dort ihn zum Kaiser auszurufen. Spanische Bourbonen, die über Parma nach dem Aussterben der Farneses geherrscht hatten, mussten warten. (Als sie dann im Jahr 1847 nach dem Tod von Maria Luise den Thron bestiegen, wurden sie ein Jahr später durch die Revolution vertrieben.) Maria Luise machte ihre Sache offensichtlich nicht schlecht, sie hatte umfangsreiche kulturelle Interessen, sie sammelte Bilder, initiierte den Bau des Theaters in Parma, in die Politik mischte sie sich nicht ein. Das war gut, weil auf so etwas die Italiener echt allergisch sind. Sie gewann auf diese Weise schnell die Liebe ihrer Untertanen.

Natürlich auch durch die Geschichte ihrer Liebe. Wenn es um Liebe geht, kriegen die Italiener gleich weiche Knies. Maria Luise verliebte sich nämlich in den General Adam Albert von Neipergg, was in Wien bei ihrem Vater auf ein großes Unverständnis stieß. Erstens war sie noch mit Napoleon verheiratet und der Kaiser war nicht bereit, die Scheidung zu billigen. Zweitens war eine Beziehung eines Mitglieds der kaiserlichen Familie (einer Tochter des Kaisers!!!) mit einem einfachen Grafen morganatisch und Kaiser Franz hatte zu solchen Beziehungen immer ein sehr reserviertes Verhältnis (Sein Bruder Erzherzog Johann musste auf sein Einverständnis zu seiner Heirat mit seiner geliebte Anna Plochl ganze zehn Jahre warten). Aber Maria Luise, die in der Zwischenzeit ihrem geliebten Grafen einige Kinder gebar, vertrotzte sich, was sie wollte. Im Jahr 1821, nach dem Tod Napoleons erhielt sie die erhoffte Bewilligung zur Heirat. Heute sind beide Liebenden und spätere Eheleute nebeneinander in der Kirche Santa Maria della Steccata begraben. Diese wunderschöne Kirche ist ausgestattet mit Fresken des Meisters Parmigianino, seine Statue steht auf dem Platz vor der Kirche.

Parma gehört sicherlich zu den schönsten Städten in Norditalien, allein die Geschäfte mit Schaufenster voll mit Prosciutto sind sehenswert. Der Schinken von Parma wird aus dafür speziell gezüchteten Schweinen produziert, die ein genau definiertes Gewicht erreichen müssen. Und der Schinken wird natürlich nach einem genau definierten Erzeugungsprozess produziert, was dem Produkt seine legendäre Qualität verleiht.

Allerdings, sollten Sie sich entscheiden das norditalienische Mekka der Gastronomie zu besuchen, passen Sie, bitte, bei der Suche nach einem Parkhaus auf. Zwischen dem Parkhaus Toschi (das gleich bei dem Palazzo della Pilota ist), und Goito auf der Uferpromenade gibt es eine Verkehrszone nur für Autos mit spezieller Genehmigung. Die Durchfahrt wird mit Kameras beobachtet. Weil ich meinem GPS geglaubt hatte, fuhr ich ahnungslos durch diese Zone und jetzt warte ich auf den Strafzettel. Das Parkhaus Goito ist dann nicht wirklich etwas, was man unbedingt erleben müsste. Bei der Einfahrt ins Parkhaus habe ich mich noch gefreut, dass sie zumindest einmal genug breit ist und deshalb hat mich nicht gestört, dass die oberen zwei Etagen für Dauerparken reserviert waren und Besucher wie ich mussten zumindest in die dritte Etage tiefer fahren. Ich freute mich aber nur bis zum Moment, als ich bei der Ausfahrt erfuhr, dass dieser Weg als ZWEISPURIG gemeint worden ist, dass es hier also Gegenverkehr gab. Was für ein Auto angenehm war, war für zwei ein wahrer Horror. Ich bin zwar aus Italien bereits einiges gewohnt, aber diesmal habe ich den Glauben aufgegeben, dass wir dieses Parkhaus ohne wesentlichen Schaden am Auto verlassen würden Und weil wir mit dem Auto meiner Frau unterwegs waren, hätte eine mögliche Kollision auch unheilbare Wunden in unserer ehelichen Beziehung hinterlassen können. Zeitweise ging es um Zentimeter, sogar vielleicht Millimeter – und wir hatten ein verhältnismäßig kleines Auto. Ich habe es versucht – zum Erstaunen der Italiener – sich in Nischen und Ausfahrten zu verstecken, letztendlich haben wir gesund und im ursprünglichen Zustand des Autos das Parkhaus verlassen, was einem Wunder glich. Wie das Parkhaus mein Peugeot 508 verlassen hätte, traue ich mir gar nicht vorzustellen. Also, wenn Sie können, bleiben Sie lieber in Parcheggio Toschi, auch wenn vor ihm häufig ein Stau ist.

Ein bisschen Spannung gehört aber zu einem Ausflug nach Italien. Italiener produzieren Chaos absichtlich, sie sind stolz darauf, dass sie es beherrschen können. Also keine Angst und los um Proscuitto und Parmesan zu genießen, es zahlt sich aus.

 

Alles hat einmal ein Ende und so auch das Warten auf den Strafzettel aus Italien. Dieser ist am 27.2.2018,  also  mehr als 5 Monate nach meiner Durchfahrt durch Parma angekommen. Die Fahrt durch die beschränkte Verkehrszone kostet also 79,19 Euro. Also lieber diesen  Stück meiden und in Parcheggio Toschi einparken.

Piacenza


Diese Stadt war eigentlich gar nicht im Plan unseres Ausfluges. Sie war aber auf unserem Weg und wir hatten einen halben freien Tag, da entschieden wir uns auch diese Stadt zu besuchen und dort einen Kaffee zu trinken. Dann war das auf einmal ein ganzer Tag, weil diese hunderttausend Bewohner zählende Stadt am Fluss Po einem Tourist genug zu bieten hat.

Die Geschichte der Stadt Piacenza ist im Vergleich mit den anderen Städten in der Umgebung nicht gerade blendend. Im Kampf der oberitalienischen Kommunen spielte Piacenza keine wesentliche Rolle. Im Jahr 1447 hat die Stadt einen fatalen Fehler gemacht, als sie sich nach dem Tod des letzten Visconti, Filippo Maria, an Venedig anschließen wollte. Der Schwiegersohn des Viscontis Francesco Sforza wollte keinesfalls auf sein Erbe verzichten. Er belagerte die Stadt, nahm sie ein und gestattete seinen Soldaten die Stadt vier Tage lang zu plündern. Die Stadt stand danach geraume Zeit leer und musste mit Gewalt wieder bevölkert werden.

Als in die Lombardei die Franzosen unter dem König Ludwig XII. einmarschiert waren, bildete sich gegen sie so genannte „Heilige Liga“ unter der Führung des Papstes Julius II. (della Rovere)und diese hat es geschafft, die Franzosen wieder zu verdrängen. Bei der Teilung der Beute wurde Piacenza im Jahre 1521 ein Teil des Kirchenstaates. Im Jahr 1545 nutzte diese Tatsache Papst Paul III, geboren als Alessandro Farnese, um seine eigene Familie zu versorgen. Er bildete ein neues Herzogtum Parma und Piacenza und beschenkte damit seinen eigenen Sohn (offiziell war es natürlich ein Neffe, weil Päpste keine eigenen Kinder haben durften, deshalb heißt diese Art der Beschenkung Nepotismus – aus dem lateinischem „nepos“ also der Neffe) Pier Luigi II. Farnese. Dieser Herr war aber den Bürgern von Piacenza vor allem durch sein wüstes Sexualleben viel zu lästig, sie haben ihn also bald nach der Machtübernahme ermordet und mit dem Papst vereinbart, dass sie seinen Sohn Ottavio als ihren neuen Herrn akzeptierten würden. Das war aber auch nicht ganz einfach. Obwohl Ottavio seit 1538 mit Margarethe, der unehelichen Tochter des Kaisers Karl V. verheiratet war (übrigens Margarethe war das einzige uneheliche Kind, das Karl V. als sein eigenes anerkannt hatte) war der Kaiser nicht geneigt, dem Schwiegersohn zu helfen. Piacenza war von kaiserlichen Truppen unter der Führung Ferrante I. Gonzaga von Mantua besetzt und der Kaiser zögerte, seinem General einen Befehl zu erteilen, die Stadt zu räumen und sie dem kaiserlichen Schwiegersohn zu übergeben – vielleicht auch deshalb, weil in dem Ehepaar Farnese eine bestimmte Kälte herrschte. Als sie geheiratet hatten, war der Bräutigam gerade vierzehn und die Braut sechzehn Jahre alt gewesen, sie war bereits eine Witwe. Ihren jungen Mann hat sie einfach lebenslang ignoriert. Ottavio hat es aber letztendlich geschafft, sein Herzogtum zu beherrschen und es begann die berühmteste Epoche der Stadt, die Epoche der Familie Farnese, über die man in Piacenza sowie auch in Parma auf jedem Schritt stolpert.

Piacenza war zwar nie eine Residenzstadt, zu der wurde Parma, trotzdem baute hier die Familie Farnese einen ungeheuerlich riesigen Palast. Palazzo Farnese besitzt ein großes Museum, neben der üblichen Pinakothek hat er aber zwei sehr interessante Objekte. Eines davon ist die weltweit größte Kutschensammlung. (Übrigens eine unauffällige, aber wunderschöne Konkurrenz, gibt es in Mähren im Städtchen Čechy po Kosířem, die Anzahl der ausgestellten Kutschen kann vielleicht mit Piacenza zahlenmäßig knapp nicht mithalten, die Qualität der Exponate ist aber noch schöner). Die Sammlung in den Räumen des Palastes von Piacenza ist aber imposant und wenn  Sie sich entscheiden, Piacenza zu besuchen, sollten sie diese Ausstellung keinesfalls auslassen. Das zweite berühmte Objekt im Palazzo Farnese ist die berühmte etruskische Leber. Es ist ein Modell der Schafleber mit Aufschriften in etruskischer Sprache, offensichtlich diente dieses Modell als Lehrmittel für angehende Haruspices (also etruskische Priester und Seher), damit sie aus der Leber der geopferten Tiere die Zukunft voraussagen konnten.

Das Zentrum der Stadt ist nicht die Piazza del Duomo, wo sich eine romanische Kirche befindet. Ähnlich wie in anderen italienischen Städten hat man auch hier im romanischen Stil zu bauen begonnen, wurde aber nicht schnell genug mit dem Bau fertig und deshalb hat das Gebäude auch zahlreiche gotische Elemente. In der Krypta sind die Überreste der heiligen Justina aus Antiochia, die im Jahre 1099 nach Piacenza überführt worden ist – offensichtlich in Rahmen des ersten Kreuzzuges – also noch vor dem Baubeginn der Kirche. Unter dem Dom ist ein kleines Museum mit einem sehr engagierten Angestellten (er hat uns direkt in der Krypta abgefangen). Hier befindet sich ein Original??? einer Urkunde Karl des Großen, die Piacenza Marktrechte zugesprochen hat. Die Urkunde trägt eine eigenhändische Unterschrift des Kaisers (mehr als unterschreiben konnte der Kaiser nicht, er blieb bis zu Ende seines Lebens Analphabet)

Margarete von Österreich (den Titel d´Austria erhielten allen uneheliche Kinder der Habsburger Monarchen, sonst ist sie auch als Margarete von Parma bekannt) die Gattin von Ottavio Farnese, war auf Wusch ihres Bruders, des spanischen Königs Phillip II., zweimal die Verwalterin der niederländischen Provinzen. Das erste Mal in den Jahren 1559 – 1567, als die Niederlande in Rahmen der Verhandlungen der Spanier mit Ferdinand I. über die Kaiserkrone für die österreichische Linie der Habsburger vom Römischen Reich abgetrennt und Spanien zugesprochen worden waren. Es war eine Gegenleistung dafür, dass Philipp die Ansprüche des Sohnes Ferdinands I. Maximilian anerkannt, und für sich und seine Nachfahrer auf die kaiserliche Krone  verzichtet hatte. Margarete war so nach ihrer Großtante Margarete, der Tochter Kaiser Maximilians I. und Tante Marie von Ungarn, der Witwe nach König Ludwig und Schwester des Kaisers Karl V., die dritte weibliche Verwalterin der Niederlande. Offensichtlich konnten die Holländer mit den Frauen besser als mit den  Männern auskommen. Allerdings mit ihrem fanatischen Bruder Philipp, der die ganze Welt zum katholischen Glauben wieder bekehren wollte, tat sich Margarete sichtbar schwerer als ihre Tante und Großtante mit dem toleranten und melancholischen Kaiser Karl V. Nach der ersten Abdankung im Jahr 1567 versuchte sie es noch einmal im Jahr 1578 und sie konnte wirklich einige Erfolge verbuchen, als sie einen Frieden mit der „Union von Arras“, also der Allianz der Städte auf dem Gebiet des heutigen Belgiens, schließen konnte. Mit den nördlichen Provinzen ist ihr das allerdings nicht gelungen, diese blieben in einem bewaffneten  Widerstand. Im Jahr 1582, mit 60 Jahren, also nach Erreichen eines Pensionsalter, hängte sie die Schlüssel der Niederlanden definitiv an den Nagel, kehrte nach Piacenza zurück und verstarb hier im Jahre 1586. Begraben ist sie unter einem prachtvollen Grabmal in der Kirche San Sisto unweit von Palazzo Farnese.

Norditalienische Städte haben eine Besonderheit. Der „Duomo“ ist zwar die größte, aber nicht die bedeutendste Kirche in der Stadt. Diese Position hat immer eine andere Kirche. In Pavia ist es San Michele, in Mantua San Andre, in Parma die Kirche des Johann Evangelisten und in Piacenza ist das San Sisto. Nicht nur deshalb, weil hier Margarete von Österreich die letzte Ruhe gefunden hatte, aber für diese Kirche hatte Raffael Santi seine berühmte Sixtinische Madonna gemalt. Die kaufte dann im Jahr 1754 der sächsische Kurfürst August III. von der Stadt Piacenza, also befindet sie sich derzeit im Zwinger in Dresden. In San Sisto in Piacenza gibt es an der ursprünglichen Stelle auf dem Hauptaltar eine Kopie. Gegen diese Vorstellung leistete aber der sonst sehr liebe Beschließer der Kirche, der uns willig sogar nach der Sperrstunde rein gelassen hatte,  einen verbitterten Widerstand. Meine Behauptung, dass ich die echte Madonna in Dresden gesehen hatte, kam ihm wie eine Blasphemie vor. Zum  Glück hat er es nicht versucht mich mit Anwendung von Gewalt über seine „Wahrheit“ zu überzeugen. Ein Trinkgeld hat er von mir aber stolz nicht genommen.

Das Zentrum der Stadt ist nicht die „Piazza Citadella“ mit dem Dom, aber die „Piazza dei Cavalli“, die mit dem erstgenannten Platz durch die Einkaufstrasse Via Cavour verbunden ist. Piazza dei Cavalli wurde nach zwei Reiterstatuen der Mitglieder der Familie Farnese genannt. Diese stehen vor dem Rathaus – Palazzo del Comune, auch „Il gotico“ nach seinem Baustil aus roten Backsteinen genannt.

Seltsam ist, dass sich auf diesem zentralen Platz eine riesige Kirche des heiligen Franziskus befindet. Die Franziskaner wurden als ein Bettelorder immer am Rande der Stadt nahe der Stadtmauer lokalisiert – schon deshalb, damit sie nicht den Dominikanern eine Konkurrenz wären. Die Dominikaner besaßen meistens ihr Kloster am Rande oder am liebsten sogar außerhalb der Stadtmauern, immer aber auf der anderen Seite der Stadt, als die Franziskaner ihren Sitz hatten. In Piacenza wurde diese Regel offensichtlich gebrochen, warum, weiß ich nicht.

Piacenza, ein bisschen eine Aschenputtel unter den norditalienischen Städten ist also nicht notwendig zu meiden. Es hat genug Schönes anzubieten.

Cremona


Cremona ist einfach entzückend. Diese Stadt, am Ufer des Flusses Po, spielte eine bedeutsame  politische Rolle im dreizehnten Jahrhundert. Sie war der Hauptstützpunkt der kaiserlichen Macht in der Poebene  und der Hauptgegner des nahen Mailands im Kampf um die Oberhoheit in der Region.

Aus den heutigen Stadtgrößen (Cremona 70.000 und Mailand 1,3 Millionen Einwohner) ist man gleich im Klaren, wie dieser Kampf ausgegangen ist. Die Stadt war streng ghibellinisch, möglicherweise stehen deshalb auf dem Hauptplatz die kirchlichen (Dom mit Campanile) und die weltlichen (Palazzo comunale und Loggia dei Militi, wo die Stadtgarde angesiedelt war) Gebäude getrennt, auf gegenüber liegenden Straßenseiten.

Kaiser Friedrich II. war sich der Bedeutung der Stadt bewusst und unterstützte sie mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln. Gerade aus diesem  Grund stammen alle wichtigen Gebäude der Stadt aus der Zeit seiner Herrschaft. Nach der Ausrottung der Staufen, im Jahr 1268, hat auch in dieser Stadt die päpstliche Partei (der Guelfen) die Oberhand gewonnen doch das erwies sich als fatal. Nachdem die Viscontis in Mailand die Seiten wechselten und zu treuen Anhängern der kaiserlichen Macht wurden, blieb Cremona, in der Zeit des italienischen Feldzuges von Kaisers Heinrichs VII., auf der päpstlichen Seite und wurde dafür gehörig bestraft. Im Jahr 1322 wurde sie von den mailändischen Truppen eingenommen und verlor für immer ihre Selbständigkeit und Bedeutung.

Noch einmal, zumindest für einen einzigen Tag, stand Cremona im Mittelpunkt  des politischen Lebens, als hier im Jahr 1441 die Hochzeit der Erbin des Herzogtums von Mailand Bianca Maria Visconti mit dem einundvierzigjährigem General Francesco Sforza stattgefunden hat. Der Bräutigam bekam die Stadt Cremona als Mitgift seiner Braut. Bei dieser Hochzeit sollte das erste Mal als Nachtisch „Torrone“ serviert worden sein. Es wird auch heute noch als eine cremonische Spezialität in den Souvenirgeschäften verkauft. Es schmeckt und schaut aus wie der gut bekannte türkische Honig.

Der Dom ist ein imposantes Gebäude mit kleinen Türmen, die an Minarette erinnern. Mit diesem baulichen Artefakt ist man in mehreren Städten am Po konfrontiert. Warum es so ist, habe ich nicht erfahren. In der Kathedrale wird eine umstrittene Reliquie aufbewahrt, nämlich der Dorn aus der Dornkrone Christi. Er wurde der Stadt von Papst Gregor XIV. geschenkt. Es war ein Geschenk an jene Stadt, in der er geboren wurde. Dies war wahrscheinlich das einzige, was er in seinem Pontifikat (das lediglich zehn Monate dauerte), geschaffen hat. In der Krypta liegen Überreste des lokalen Patrons des „Heiligen Omodon“, mit einer Maske auf dem Gesicht. Es handelt sich um einen cremonischen Kaufmann, der sehr wahrscheinlich einen Handel mit Stoffen betrieben hatte (er ist der Schutzpatron der Schneider) und der bereits zwei Jahre nach seinem Tod, im Jahr 1099, von Papst Innozenz III. heiliggesprochen wurde. Den Grund für diese Eile konnte ich nicht entdecken! Wahrscheinlich hat er auf ein großes Besitz verzichtet, hoffen wir, dass er dies für die Armen und nicht für die katholische Kirche getan hatte. Die superschnelle Heiligsprechung spricht aber eher für die zweite Variante.

Im Dom befindet sich ein riesiges Kreuz aus Silber, es ist dies ein Werk mailändischer Goldschmiede, das zu meinem Erstaunen auf einen Sieg der Cremonesen über Mailand erinnert. Weil das Kreuz aber bereits im fünfzehnten Jahrhundert geschaffen worden ist, als Cremona bereits eine Weile mailändisch war, wollten anscheinend die herrschenden Herzöge, ihren Untertanen ein bisschen Selbstachtung geben.

Viel erstaunlicher als der Dom selbst ist aber das Baptisterium, das gleich nebenan steht. Seine einfache romanische Konstruktion, aus dem Jahr 1167, mit einer unglaublich hohen Kuppel ist faszinierend. Die drei Euro Eintrittsgeld zahlen sich wirklich aus. Offensichtlich ging der Stadt während dieses Baus das Geld aus, da mit den Marmorplatten das Baptisterium nur zur Hälfte bedeckt wurde. Trotzdem ist es wunderschön. Das Taufbecken selbst, mit der Statue des Christus  Erlösers, ist aber deutlich jünger. Es stammt aus dem sechzehnten Jahrhundert. Hier ist auch die Statue von Erzengel Gabriel (die ursprünglich auf dem Kuppelgipfel stand) und ein Bild von Johann Paul II. (gemeinsam mit dem cremonischen Bischof  Monsignore Anrico Assi) der selbstverständlich auch einmal hier war. Das überrascht uns aber nicht, denn er war einfach überall.

Wer in einer sehr guten körperlichen Verfassung ist, kann auf die Campanile hinauflaufen. Sie ist mit 112 Meter angeblich die höchste in Italien. Um auf die Aussichtsterrasse zu gelangen muss man 502, immer enger werdende Stufen, einer Wendeltreppe bewältigen. Ungefähr nach einem Drittel der Turmhöhe, gibt es einen Raum in dem man sich mit der Geschichte und Funktion der astronomischen Uhr bekannt machen kann. Sie ist auf dem „Torazzo“ platziert. Die Italiener sind Meister der Übertreibung und  lieben daher das Wort „am meisten/am größten“  (also „piú“), deshalb ist auch der Glockenturm die höchste aus Ziegel gebaute Campanile in Italien und die Uhr, mit 54 Quadratmeter Fläche, natürlich die größte der Welt. Ihre Funktion, deren Beschreibung man in einem Kurzfilm (italienisch mit englischen Untertitel) kennenlernen kann ist faszinierend. Sie ist ununterbrochen, seit Ende des fünfzehnten Jahrhundert im Betrieb, als sie in die Campanile eingebaut worden ist. Von der Kirchturmspitze aus kann man ganze Cremona sehen. Nein, ich übertreibe nicht, man kann sogar die Industriezone fern vom historischen Zentrum, mit dem Fluss Po im Hintergrund, sehen. Cremona ist nämlich wirklich so klein, dafür aber umso lieber.

Cremona nennt man auch die Stadt der Violinen. Einer der bekanntesten Hersteller ist Antonio Stradivari.

Dieser Geigenmacher ist in der gesamten Stadt allanwesend. Ich habe gleich drei seine Statuen in Cremona entdeckt. Eine auf dem nach ihm benannten Platz, die zweite vor dem Haus in dem heutigen Corso Garribaldi lebte und arbeitete und die dritte natürlich vor dem „Museo de Violine“, das Museum der Geigenmacherei. Ich bin zwar nicht durch die gesamte Stadt gegangen, daher könnte ich vielleicht eine versteckte irgendwo übersehen haben. Stradivari wurde 93 Jahre alt, im Museum sind sowohl Geigen ausgestellt die er mit 26, aber auch mit 90 Jahren gefertigt hat. Man findet hier auch den berühmten kleinen „il cremonese“, aus dem Jahr 1715, damals war Stradivari 71 Jahre alt.

Er musste unglaublich gute Augen und sichere Hände in den späten Jahren seines Lebens gehabt haben, die Geigenproduktion ist nämlich eine Millimeterarbeit und ein einziger falscher Schnitt ruiniert das gesamte Produkt. Natürlich sind in der „Sala dei Violini“ auch Geigen anderer Meister ausgestellt. Manche davon sogar älter als die von Stradivari (zB.:  „l´Hammerle“, aus dem Jahr 1658, von Nicolo Amati). Die Geigenproduktion wir dem Besucher in sechs Kurzfilmen vorgestellt. Die Filme beginnen beim Baum, aus dem das Holz gewonnen wird und enden beim Spiel auf dem fertigen Instrument. Auf einer Weltkarte ist es möglich die Entwicklung der Geigenmacherei zu verfolgen. Es beginnt im sechzehnten Jahrhundert, als die Violine entstanden ist und geht bis zum  Jahr 1937. Natürlich wird man hier überall mit Musik begleitet, man kann sich aber auch nur in die Säle setzen und einfach nur zuhören und relaxen. „Museo dei violini“ ist ein echtes Erlebnis.

Cremona war einer der fünf ersten Zentren der Geigenproduktion. Als erste begann damit die Familie Amati, danach haben sich die Familien Stradivari und Guarneri angeschlossen. Nach dem Höhepunkt der Geigenproduktion im siebzehnten Jahrhundert kam ein Niedergang. Am Beginn des zwanzigsten Jahrhundert wurde aber die „Scuola di Liuteria“ (die Schule der Geigenmacherei) gegründet, was Cremona wieder zur italienischen Hauptstadt der Geigenproduktion machte. In Cremona gibt es übrigens auch heute noch eine Reihe an Meistern, deren Werkstätte man besuchen und dem Meister bei seiner Arbeit zuschauen kann. Seit 2009 gibt es den Verein „Friends of Stradivari“, wenn Sie eine Originalgeige von diesem Meister in ihrem Besitz haben oder in Ihrem Museum aufbewahren, können Sie diesem Verein beitreten. Seit 1976 findet in dreijährigen Intervallen ein internationaler Wettbewerb der Geigenmacher statt, der von der „Fondatione Stradivari“ organisiert wird. In der Sammlung „Collezione Permanente“ kann man die siegreichen Geigen dieses Wettbewerbes bewundern.

„Museo civile“ war für uns eher ein „Schlag ins Wasser“. Wer Bilder aus der Barockzeit liebt, wird hier richtig sein. Keinesfalls sollten dieses Museum aber Gitarrenliebhaber auslassen. Es gibt hier eine Gitarrenausstellung, mit Gitarren, Mandolinen und vielen weiteren Saiteninstrumenten (keine Geigen, die sind in einem eigenen, oben beschriebenen Museum untergebracht). Es ist hier die Entwicklung dieser Musikinstrumente beschrieben, das ist aber nur etwas für Spezialisten oder Liebhaber dieser Instrumente.

Interessant konzipiert ist „Museo archeologico“, das in einer alten, halbzerfallenen Kirche (San Lorenzo) untergebracht wurde. Wie ich bereits mehrmals erwähnte, die Italiener reißen nichts ab, es ist ihnen zu viel Arbeit und es entsteht ihnen zu viel Schade. In einer Kirchenruine installierten sie daher lieber ein Museum der Archäologie, wie oben erwähnt.

Cremona ist ein schönes und liebes Städtchen, stolz auf seine Geschichte und Gegenwart, aber ganz unauffällig. Den Aufenthalt hier kann man wirklich auskosten und genießen.

Pavia


Pavia ist eine unauffällige kleine italienische Stadt (mit ca. 70 000 Einwohner), die sich in der Nähe ihres riesigen Nachbars  – Mailand – duckt, sie verdient sich aber dank ihrer Geschichte und auch wegen ihrer Schönheit mehr Aufmerksamkeit.

Pavia existierte bereits in den römischen Zeiten unter dem Namen Ticinum, damals wurde über den Fluss Ticino die erste Steinbrücke gebaut. Ihr Ruhm begann mit dem Niedergang des Römischen Reiches, als sie zuerst eine der Hauptstädte des Ostrogotenreiches (neben Verona) wurde und danach die Hauptstadt der Langobarden, die sie im Jahr 572 nach dreijähriger Belagerung einnahmen.

Als ich den Fremdenführer Marco in der Kirche San Michele fragte, warum der Häuptling der Langobarden Alboin, der auch zum ersten König dieses Volkes werden sollte, für seine Hauptstadt gerade Pavia und nicht zum Beispiel das nahe Mediolanum ausgewählt hatte, antwortete dieser: „Das ist doch ganz klar.“ Als er dann meinen überraschten Blick bemerkte, ergänzte er seine Aussage versöhnlich: „Natürlich aus dem Blick eines Einwohners von Pavia.“ Marco war einfach „Il patriota locale.“

Seine Argumente hatten allerdings Kopf und Fuß. Erstens, die Langobarden selbst mussten um die Stadt drei Jahre lang kämpfen. Das musste sie logischerweise auf die Idee  bringen, dass diese Stadt gut zu verteidigen war. (Das bewies sich zwar als wahr, trotzdem aber kapitulierte die Stadt letztendlich nach neunmonatiger Belagerung durch Truppen von Karl dem Großen im Jahr 774). Zweitens hatte die Stadt genug Wasser, da der Fluss Ticino aus dem Laggo Maggiore entspringt und  nie austrocknet. Noch dazu hatte sie immer sauberes Wasser, weil der See wie ein riesiges Filter funktionierte und sogar in der Zeit von Schneetau oder Regenfälle ließ er kein Schlamm in den Fluss kommen. Und drittens liegt die Stadt nahe der Mündung von Ticino in den Fluss Po. Die Stadt war also für Schiffe aus Venedig gut erreichbar und diente als eine Umlagestelle für die Waren, in erster Linie für das naheliegende Mailand.

Auch die Religion könnte eine bestimmte Rolle gespielt haben. Langobarden waren, wie die Mehrheit der germanischen Stämme (mit Ausnahme Franken), Arianen und in einem großen Mailand, das unter dem Einfluss seines ehemaligen Bischofs und Heiligen Ambrosius stand, hätten sie wahrscheinlich größere Probleme beim Durchsetzen ihres Glaubens gehabt als im kleineren Pavia. Sie selbst waren absolut tolerant. In der Stadt gab es eine arianische und eine katholische Kirche, so wie auch in allen anderen Städten ihres Reiches. Den Glauben der eigenen Untertanen unterdrückten die Langobarden nicht. Der arianische Glaube war für sie aber immer wieder ein guter Vorwand, Rom als Zentrum des „falschen“ Glaubens zu überfallen und auszuplündern. Als Rom in der Mitte des siebenten Jahrhunderts ihren Angriff das erste Mal abwehren konnte, traten sie zum katholischen Glauben um. Ein weiteres Beharren auf der Lehre des Arianos verlor damit nämlich an Bedeutung.

Und der nächste und wichtigste Grund für die Wahl von  Pavia zur Hauptstadt des Reiches, war die Tatsache, dass Pavia bereits in den römischen Zeiten ein Zentrum der Bildung war. Hier wurden Beamte für die Reichsverwaltung ausgebildet und diese Funktion behielt die Stadt auch in den Zeiten der Herrschaft der Germanen.

Langobarden unterstützten die Bildung. Sie selbst bildeten in der Gesellschaft nur eine dünne Oberschicht, sie mussten sich also auf die Zusammenarbeit  mit der lokalen römischen Bevölkerung verlassen (nur die Adelsschicht rotteten sie erbarmungslos aus). Aus ihrer Sprache blieb im Italienischen nicht viel, vielleicht nur das Wort für Bier  – Birra –  das ist aber genug, den dieses Wort ist natürlich bei weitem nicht unbedeutsam. Die Administrative in ihrem Reich stützte sich auf Latein und in diese Sprache wurde auch in Pavia unterrichtet. Die Universität besteht hier bis heute. Bei 70.000 Einwohnern der Stadt, studieren hier 25.000 Studenten, was der Stadt ein erfrischendes Bild der Jugend verleiht. In der Nacht wird hier sehr intensiv gefeiert. Die Universität befindet sich in einem riesigen Gebäudekomplex mitten im historischen Stadtkern und bildet hier eigentlich ein eigenes Stadtviertel. Die berühmtesten Absolventen dieser Hochschule waren Alessandro Volta, der Erfinder der elektrischen Batterie (seine Statue steht im Atrium der Universität) und angeblich auch Christoph Columbus (seine Statue suchte ich aber vergeblich).

Marco behauptete, dass die Universität von Pavia die drittälteste Universität in Italien, hinter Bologna und Padua sei. Als ich ihn auf die Universität von Neapel aufmerksam gemacht habe, widersprach er heftig. Er war einfach „Il patriota locale“, angetan von Dingen in seiner Stadt. Das Argument, dass die Gründungsurkunde der Universität aus dem  Jahr 1361 stammte, lehnte er entschieden, als einen Trick des Mailänder Herrschers Gian Galeazzo Visconti, ab. Marcos Meinung nach wollte dieser für sich den Ruhm als Universitätsgründers beanspruchen, als er im Jahr 1360 Pavia eroberte und seinem Herrschaftsbereich angeschlossen hat. Eine Hochschule war hier allerdings schon lange vorher. Übrigens beim Eingang in die Universität wird als erster Gründer der Schule Kaiser Lothar bezeichnet, der in den Jahren 795 – 855 lebte. Wer will, kann dies glauben.

Aber zurück zu den Langobarden. Auf diese Epoche ist Pavia zu Recht stolz. In der Burg Castello Visconteo war im Jahr 2017 eine wunderbare Ausstellung, wo die Welt der Germanen beeindruckend, inklusiv der Bedeutung von Bildung in ihrem Leben, dargestellt wurde. Sie waren also keine Barbaren aus dem Norden (sie kamen aus der Region Panonie und verweilten einige Zeit auf dem Gebiet von Österreich und Mähren) und wenn, dann nur am Anfang ihres Wirkens in Italien. Um die Bedeutung der Bildung und der Schulen in der Stadt zu betonen, kaufte König Liutprand (er herrschte in den Jahren 712 – 744) von den Arabern Knochen des heiligen Augustinus, eines der wichtigsten Heiligen, die sich in Cagliari auf Sardinien befanden und übertrug sie nach Pavia, wo sie heute in der Kirche San Pietro Ciel d´Oro aufbewahrt werden. Natürlich ist die Kirche ein Teil des Klosters des Ordens der Augustiner. Der Heilige Augustin arbeitete das erste komplexe philosophisch-theologische System des christlichen Glaubens, das sich auf Novoplatonismus stützte, aus, und gilt als  „Lehrer der Kirche“. Augustin war vor seiner Konversion zum Christentum ein Universitätsprofessor in der Stadt Hippo, im heutigen Tunesien und verstarb in dieser Stadt im Jahr 430 während der Belagerung durch Vandalen. Damit ist seine symbolische Bedeutung für die Bildung unbestritten. Um dieses Symbol noch weiter zu stärken, ließ er aus Rom die Überreste von Böethius, des letzten großen römischen Philosophen, der in der Zeit der Herrschaft des Ostrogotenkönigs Theodorich des Großen hingerichtet worden war, her bringen. Diese sind in der Krypta der gleichen Kirche des heiligen Petrus (San Pietro Ciel d´Oro) aufbewahrt. Der König selbst ließ sich unter einem Pfeiler der Kirche bestatten, wahrscheinlich um in der Nähe der großen Lehrer und Philosophen bleiben zu dürfen.

Die Liebe zur Bildung unterlag aber der Gewalt. Im Jahr 774 nahm Karl der Große Pavia ein und ließ sich in der Kirche San Michele zum italienischen König krönen. Mit so genannter „eisernen Krone“ die natürlich nicht aus Eisen war. Langobarden hatten eine sehr flache Regierungsstruktur. Einzelne Herzöge (dux) waren mehr oder weniger selbständige Herrscher und den König wählten sie als eine eher symbolische Figur, deshalb hatten Langobarden auch keine Dynastien. Übrigens nach dem ersten König, sein Name war Alboin, probierten sie es zehn Jahre ganz ohne König, bis sie darauf kamen, dass er doch in bestimmten Aspekten von Nutzen sein könnte. Als es aber notwendig war, sich gegen die angreifenden Franken zu vereinen, meinten die Herzöge aus den südlichen Provinzen Spoleto und Benevento, dass sie dieser Krieg gar nicht angeht und kamen daher nicht zur Hilfe, was ein fataler Fehler war. Die Kirche San Michele spielt in Pavia eine zentrale Rolle. Sie ist wichtiger als Duomo, die in den Jahren 1488 – 1939 gebaut worden war. Die ursprüngliche Kirche San Michele, wo Karl der Große die Krone einnahm, gibt es nicht mehr. Im Jahr 924 eroberten Pavia die Ungarn (diesmal ging es ganz schön schnell, die Schutzmauer der Stadt, die so lange Alboin oder Karel dem Großen Wiederstand leisten konnten, versagten diesmal kläglich) und machten sie dem Boden gleich. Dabei vernichteten sie auch diese heilige Kirche. Volontär Marco versuchte mir einzureden, dass ein großes Erdbeben daran schuld war, historische Quellen sprechen aber eine andere Sprache. Auf der Stelle der alten Kirche wurde im elften Jahrhundert eine neue Kirche gebaut. Weil die Fassade aus Sandstein gebaut worden war, sieht man sofort wie alt die Kirche ist. Der Regen und Wind wischte die alten Reliefs ab. Im Inneren der Kirche sind fantastische Mosaike auf dem Boden der Apsis und auch die Stelle, wo die Könige auf ihre Krone warten musste. San Michele ist dem Erzengel Michael gewidmet, der in der Symbolik der Langobarden, aber auch der anderen germanischen Stämme, eine zentrale Rolle spielte. Es war eine Kultur der Krieger und Erzengel Michael war der Anführer der Armee des Himmels, der die aufständischen Engel besiegt und in die Hölle gestürzt hatte. Sein Kult geht durch ganz Europa, von St. Michele in Bretagne bis Monte San Angelo in Apulien (übrigens dieses Heiligtum, in einer Höhle im Gebirge Gargano war auch die Pilgerstätte der Langobarden und Grabstätte ihrer Könige). In der Apsis der Kirche San Michele in Pavia wurden Mosaiken aus dem elften Jahrhundert entdeckt, die Symbole von Zodiac sowie auch die einzelne Monate und mit ihnen verbundenen menschlichen Aktivitäten darstellen.

Pavia war die Hauptstadt des Italienischen Königsreiches, die mehr oder weniger nur noch rein formal weiter existierte, bis ins Jahr 1024. In diesem Jahr machten die Bürger von Pavia einen großen Fehler. Nach dem Tod Kaisers Heinrich II. (er wurde später heiliggesprochen, weil er mit seiner Frau Kunigunde  -ebenfalls eine heilige – angeblich keinen Geschlechtsverkehr pflegte. Ob die Ursache wirklich eine Enthaltsamkeit oder eher Homosexualität oder Impotenz – vielleicht nur infolge einer Phimose war, weiß nur der Gott allein, für eine Heiligsprechung hat das aber gereicht) , zerstörten die Bürger von Pavia die alte kaiserliche Falz, die in der Stadt noch König Theodorich der Große bauen ließ. Der neue Kaiser Konrad war nicht bereit diese Tat zu verzeihen und ließ sich zum italienischen König in Mailand krönen. Die Kommune von Pavia schaffte es noch, ähnlich wie die anderen italienischen Kommunen, ihre Adelige dazu zu zwingen, in die Stadt zu ziehen. Diese bauten in der Stadt dutzende Türme, die wie phallische Symbole ihre Häuser schmückten (diese sind sichtbar auf einem Fresko in der Kirche San Theodoro). Heute stehen die letzten drei hinter dem Gebäude der Universität, auf dem Platz von Leonardo da Vinci und manche davon neigen sich bereits bedrohlich zur Seite (bei weitem aber nicht so auffällig wie ihre Verwandten in Bologna). Wenn man eine wahre Vorstellung gewinnen möchte, wie so eine Stadt ausgesehen hat, dann muss man nach San Gimignano in die Toscana, dort steht noch eine ganze Menge.

In San Michele von Pavia ließ sich im Jahr 1154 noch Friedrich Barbarossa zum italienischem König krönen (weil er mit Mailand in einem kriegerischen Konflikt verwickelt war und seine ursprüngliche Pläne sich in Monza, in Sichtweite von Mailand krönen zu lassen, nicht verwirklicht werden konnten), aber der Niedergang der Bedeutung von Pavia konnte diese Tatsache nicht mehr aufhalten. Im Jahr 1360 marschierten in die Stadt die Truppen des Mailänder Diktators (und späteres Herzogs) Gian Galeazzo Visconti ein und die Selbständigkeit der Kommune von Pavia fand damit endgültig ihr Ende. Kaiser Karl IV. ließ sich am 6.1.1355 bereits im Dom von Mailand krönen. Eine andere Möglichkeit hatte er nicht, wenn er wollte, dass ihn der allmächtige Visconti weiter zu seiner Kaiserkrönung nach Rom reisen ließe. Sein Sohn Sigismund machte es ihm am 25.11.1431 nach. Ein Beweis, dass sich das Machtzentrum nun auch formal nach Mailand verlegt hatte.

In Pavia blieb trotzdem viel Sehenswertes. Piazza dela Vittoria mit dem Rathaus und der Kathedrale. Eine Überdachte Brücke über den Fluss Ticino (ponte coperto), die noch aus den römischen Zeiten stammt und bereits einige male zerstört und wiederaufgebaut wurde (das letzte Mal im Jahr 1951). Sie ist sehr schön. Auf der anderen Seite des Flusses gibt es eine zauberhafte Reihe an Häusern  „Borgo ticino“, ein Denkmal auf das Bombardement der Stadt im zweiten Weltkrieg und eine Statue einer Waschfrau, von der aus sich ein wunderschöner Blick auf Pavia über den Fluss Ticino bietet.

Am Rande der Stadt ließ Gian Galeazzo Visconti eine viereckige Festung, als ein Symbol seiner Macht, bauen. Heute befindet sich hier „Museo civico“, also das Stadtmuseum mit einer Pinakothek und einer wunderbarer Ausstellung zur Geschichte der Langobarden.

Noch einmal geriet Pavia ins Zentrum des internationalen Interesses und zwar im Jahr 1525. Ausgerechnet in dieser Stadt kam es zur entscheidenden Kräftemessung zweier der mächtigsten Männer der damaligen Welt. Nämlich jener von Kaisers Karl V. und des französischen Königs Franz I. Die kaiserlichen Truppen erreichten einen überrachenden Sieg, König Franz wurde gefangen genommen und das Gebiet der Lombardei überging für die nächsten zwei hundert Jahre unter spanische Herrschaft. Seit diesem Schicksalstag fehlt dem Castello Visconteo der Nordflügel, der von der französischen Artillerie während der Belagerung der Stadt (die der Schlacht vorausgegangen war), vernichtet und nicht wieder aufgebaut worden ist. Die Schlacht ist in einem Fresko in der Kirche San Theodoro dargestellt worden. Für mich ist dies eine ziemlich überraschende Tatsache, dass ein Bild von diesem furchtbaren Morden seinen Weg in eine christliche Kirche gefunden hat.

Acht Kilometer von Pavia entfernt in Mitte der Reisfelder befindet sich Certosa di Pavia, ein Kloster der Kartusianer. Es handelt sich um ein monumentales Gebäude, das Gian Galeazzo Visconti als Grabstätte für sich und seine Familie bauen ließ. Neben diesem Grab ist hier auch wunderschön die Gruft von Ludovico Sforza und seiner Frau Beatrice zu sehen, die im Alter von 22 Jahren gestorben ist, aber es trotzdem schaffte, dem Mailänder Herrscher zwei Söhne zu gebären. Die Mönche von Kartusianer sind auch noch heute hier. Sie wohnen jeder in einem der zweiundzwanzig kleinen Häuschen, die angeordnet in einem großem Kreis, um einen riesig großen Garte sind. Bei einem davon besteht die Möglichkeit es zu besuchen, um sich ein Bild über das Leben der Ordensbrüden machen zu können.

Pavia ist eine der wenigen italienischen Städte, die nicht an das Autobahnnetz angebunden sind. Die Studenten reisen offensichtlich lieber mit dem Zug ein. Auch diese Tatsache verleiht der Stadt eine ruhige ländliche Schönheit. Sollten Sie im Besitz eines großen Autos oder Karavan sein, könnten Sie auf dem Weg von Süden über Ticino Probleme bekommen. Hier ist nämlich die Straße nur für PKWs reserviert, mit einem größeren Wagen kommen sie zwischen den Barrieren einfach nicht durch. Große Wägen und Busse müssen durch die mittlere Spur fahren, wie sie zum Schlüssel kommen, damit Sie diese Spur öffnen können, weiß ich leider nicht.

Pavia ist sicher einen Besuches wert, besonders für Menschen, die Ruhe und Geschichte lieben. Der Aufenthalt hier ist ein echter Balsam für die Seele.