„Piú bene Jeruzalem“, also „das bessere Jerusalem“. So heißt der Spitzname der Hauptstadt der italienischen Provinz Basilicata. Wahrscheinlich gerade deswegen wählten für die Filmarbeiten zur Hinrichtung Christi die Regisseure Pier Paolo Pasolini (Erstes Evangelium – Matthäus) und Mel Gibson „Passion Christi“ gerade diese Stadt. Pasolini hat in Matera auch ein eigenes Museum, das die Arbeit zu seinem Film dokumentiert, Mel Gibson nicht. Allerdings wählten beide Regisseure die Stadt deshalb für ihre Filme, weil ihnen keine andere Stadt der Welt für die Dreharbeiten so eine imposante Kulisse anbieten konnte. Nicht einmal das heutige Jerusalem.
Matera ist die Hauptstadt der ärmsten italienischen Provinz Basilicata. Die Armut in der Region war für die europäischen Verhältnisse einfach unfassbar. Es ist merkwürdig, dass den Umbruch ein Buch brachte. Der Roman von Carlo Levi „Christus kam nur bis Eboli“, in dem er die menschenunwürdige Lebensbedingungen der Bewohner des Landes beschrieb, brachte Politiker endlich dazu, sich mit der katastrophalen Situation in dieser Region, in der die Kindersterblichkeit 50% erreichte, zu beschäftigen. Es ist für die Diktatoren nicht immer gut, unbequeme Freigeister in die Verbannung in die verfallenen Orte zu schicken. Sie langweilen sich dort, kommen auf revolutionäre Gedanken und dann werden sie kreativ und schreiben. Und es hat dann Folgen. Für die Menschen allerdings positive Folgen.
Die Stadt Matera befindet sich auf dem Bergplateau Murgia, das sich über den Großteil Nordapuliens erstreckt und auch in die Basilicata reicht. Die Stadt ragt monumental auf dem Felsen über die Schlucht des Flusses Gravina di Matera empor und gerade diese Felsen, die aus Tuff und damit relativ weich sind, wurden zum Wohnraum für die ärmsten Bewohner der Stadt. Es entstanden so genannte Sassi, also künstliche Höhlen, so eine Art „Zemljanka“ im Felsen, wo die Menschen auch mit ihnen Haustieren (Pferden) lebten. Erst im Jahr 1952 wurden die Menschen als Folge des Buches von Carlo Levi aus diesen Notunterkünften in neue Wohnungen am Rande der Stadt übersiedelt (nicht immer freiwillig). Heute spiegelt sich die Armut dieser Region nur mehr in der traditionellen regionaler Küche wieder, die ziemlich spartanisch ist.
Es ist nicht ganz einfach, die Stadt Matera zu erreichen, die Stadt ist nicht an das italienische Autobahnnetz angebunden, obwohl zur Zeit eine vierspurige Schnellstraße (ohne Maut) aus Bari gebaut wird. Unser GPS hatte mit dem Weg nach Matera nicht gerade kleine Probleme, im Städtchen Noci schickte es uns mit meinem Peugeot 508 sogar auf eine steile Treppe. Wir folgten der Anweisung nicht und nach drei Runden in Noci (es war nicht der Mühe wert, das Städtchen gehört nicht zu den Juwelen der italienischen Architektur) fanden wir den Weg nach Matera selbständig ohne technische Unterstützung. Natürlich waren wir selbst schuld, weil wir den kürzesten Weg von Ostuni gesucht haben, der Weg aus Richtung Bari wäre viel besser gewesen und bald wird es noch besser werden. Also wird den neugierigen Touristen nichts im Wege stehen, um diese seltsame raue Schönheit namens Matera zu besuchen.
Auf dem Platz Vittorio Veneto tranken wir einen Espresso und dann ging es los in die Altstadt. Diesen Platz, also Piazza Vittorio Veneto bauten die reichen Bürger von Matera, um die allanwesende Armut aus ihrer Wahrnehmung zu verdrängen. Der Platz hat einen schönen Springbrunnen, ist von prächtigen Palästen umrahmt und es gibt hier auch eine Bank mit funktionierendem Bankomaten. Natürlich auch mit Bars und Restaurants mit hervorragendem Kaffee – aus dieser Sicht ist Matera absolut italienisch. Matera hat keine reiche Geschichte, es war hier nie besonderes viel zu stehlen, also blieb die Stadt von den großen Eroberern eher unberührt. Die Normannen nahmen sie bereits im Jahr 1046 ein und machten sie für eine kurze Zeit sogar zum Königssitz, nach der Zeit der Staufen und Anjou herrschten in diesem von Gott verlassenen Land nur mehr lokale Herrscher. Der berühmteste und der grausamste von ihnen war der Graf Giancarlo Tramontano. Der glaubte, dass man auch aus armen Menschen bei ausreichender Härte und Rücksichtslosigkeit genug Geld für ein luxuriöses Leben ausquetschen könnte, zur Sicherheit begann er aber über dem Stadtzentrum und außerhalb der Stadtmauer eine Festung „Castello Tramontano“ zu bauen, um sich dort vor dem Hass seinen Untertannen schützen zu können. Es half ihm nicht. Als er am 29.Dezember 1514 die Kathedrale in der Stadt besuchte, wurde er nach der Messe auf offener Straße ermordet. Es folgte ein Volksaufstand der blutig niedergeschlagen worden ist, die Festung Tramontano blieb unvollendet. Fertig waren bei der Ermordung des Grafen lediglich drei Türme und so blieb es auch.
Bereits auf dem Weg von der Piazza Vittorio Veneto zum Domplatz öffnen sich wunderbare Aussichten auf die Felsenstadt Sassi – das Viertel Sasso Barisano. Die Felsenhöhlen – also im Felsen ausgegrabene Wohnungen – bilden zwei Stadtviertel – Sasso Barisano und Sasso Caveoso. Das zweite ist für die Touristen mehr erschlossen und man kann hier für einen mäßigen Preis einzelne Sassi besuchen. Es ist wirklich ein merkwürdiges Erlebnis, eine Höhle zu betreten, in der Leute noch im Jahr 1952 lebten. In zwei Räumen, in denen für Kinder zum Schlafen in dem Felsen merkwürdige Kojen ausgegraben worden sind, drängten sich mit Leuten auch Haustiere und sogar Pferde zusammen. Es gab zwar Gestank, aber auch die Wärme. Leider auch Krankheiten, die Kinder starben wie die Fliegen, fünfzigprozentige Kindersterblichkeit in der Mitte des zwanzigen Jahrhunderts ist für uns etwas absolut Unvorstellbares. Nur dann griff die Politik endlich ein und übersiedelte die Einwohner in neue Wohnungen. Die Umsiedlung lief nicht friedlich ab, die Menschen wollten auf ihre furchtbaren Wohnungen nicht verzichten, sie lebten hier doch bereits seit ganzen Generationen. Wer den Eindruck von Sassi mehr auskosten will, kann im Hotel „Sassi Hotel Matera“ wohnen. Das Hotel bietet mehr als zwanzig einzelne Sassi, die für den Aufenthalt der Hotelgäste adaptiert worden sind. Sie sind im Viertel Sasso Barisano zerstreut, eine Rezeption habe ich nicht gefunden.
Der „Duomo“ ist großartig. Von außen ist es ein elegantes Beispiel des apulischen romanischen Stils aus dem bereits mehrmals erwähnten goldartigen Marmor, innen ist es aber Barock hoch zwei. Natürlich darf eine Madonna mit Kind nicht fehlen, sie stehen unter einem prächtigen purpurroten Baldachin mit goldenen Kronen auf den Häuptern, vorne vor dem Altar steht dann der Erzbischofstuhl geschmückt mit Blättern aus purem Gold. Also Gold, Purpur, Gold und wieder Gold, man kann nicht glauben, dass man sich in der ärmsten Region Italiens befindet. Den Menschen konnte man die Haut abziehen, aber die Mächtigen, besonders dann die katholische Kirche, mussten sich als mächtig und unantastbar präsentieren. Die Farben von Gold und Blut waren deutlich genug, um die Leute auch in der größten Armut in die Knie und zu einem Gebet zu zwingen.
In Matera gibt es eine Menge Kirchen. Die interessanteste ist San Pietro de Caveoso, gebaut auf einer Plattform direkt über der Schlucht des Flusses Gravina di Matera. Sie steht auf einem flachen viereckigen Platz, innen ist das Hauptschiff von korinthischen Säulen getragen und seitlich gibt es insgesamt acht Kapellen.
Gleich über dem Platz mit der Kirche San Pietro ragt ein monumentaler Felsen mit einem Kreuz auf der Spitze empor. Unter dem Kreuz wurde im Felsen die Kirche Madonna dell´ Idris ausgegraben. Solche Kirchen gibt es in Matera mehrere. Der weiche Felsen aus Tuff hat sich dazu angeboten und wenn die Leute bereits in Höhlen wohnten, gruben sie auch ihre Kirchen aus. Drinnen darf man weder fotografieren noch filmen, die Felsenwände sind mit Fresken geschmückt, die direkt auf dem Felsen gemalt wurden. Solche Kirchen und Klöster, die es, wie gesagt, mehrere gibt, kann man mit einer Eintrittskarte besuchen. Die erhaltenen Wandmalereien sind bemerkenswert durch ihre Einzigartigkeit.
Am anderen Ende der Stadt, direkt über die Schlucht, steht eine gut sichtbare Dominante des unteren Teiles der Stadt, das Kloster des heiligen Augustinus.
Wenn Sie an die Stelle kommen möchten, wo Mel Gibson die Kreuzigungsszene gefilmt hat und zugleich die schönste Sicht auf die Stadt haben möchten, dann müssen Sie in Richtung Laterza fahren und dem Richtungsweiser „chiese napiestri“ folgen. Von dort gibt es die schönste Sicht auf die Stadt und auf die Schlucht unter ihr.
Wenn aber jemand glauben würde, dass Matera nur ein Stück eines monumentalen Felsens ist, den die Leute dazu nutzten, um auf ihr Tempel aus Stein zu bauen, die durch ihre Lage noch imposanter wären und die Menschen durch ihre Pracht blenden würden, es ist nicht ganz so.
Meine Frau, die sonst immer nicht gerade kleine Probleme beim Einkaufen hat, weil sie sich von keiner Ware wirklich angesprochen fühlt, würde normalerweise alle Geschäfte in der Umgebung sehen wollen, bevor sie sich für einen Einkauf entscheidet. In Matera kaufte sie Schuhe gleich beim ersten Versuch.