Diese Stadt war eigentlich gar nicht im Plan unseres Ausfluges. Sie war aber auf unserem Weg und wir hatten einen halben freien Tag, da entschieden wir uns auch diese Stadt zu besuchen und dort einen Kaffee zu trinken. Dann war das auf einmal ein ganzer Tag, weil diese hunderttausend Bewohner zählende Stadt am Fluss Po einem Tourist genug zu bieten hat.
Die Geschichte der Stadt Piacenza ist im Vergleich mit den anderen Städten in der Umgebung nicht gerade blendend. Im Kampf der oberitalienischen Kommunen spielte Piacenza keine wesentliche Rolle. Im Jahr 1447 hat die Stadt einen fatalen Fehler gemacht, als sie sich nach dem Tod des letzten Visconti, Filippo Maria, an Venedig anschließen wollte. Der Schwiegersohn des Viscontis Francesco Sforza wollte keinesfalls auf sein Erbe verzichten. Er belagerte die Stadt, nahm sie ein und gestattete seinen Soldaten die Stadt vier Tage lang zu plündern. Die Stadt stand danach geraume Zeit leer und musste mit Gewalt wieder bevölkert werden.
Als in die Lombardei die Franzosen unter dem König Ludwig XII. einmarschiert waren, bildete sich gegen sie so genannte „Heilige Liga“ unter der Führung des Papstes Julius II. (della Rovere)und diese hat es geschafft, die Franzosen wieder zu verdrängen. Bei der Teilung der Beute wurde Piacenza im Jahre 1521 ein Teil des Kirchenstaates. Im Jahr 1545 nutzte diese Tatsache Papst Paul III, geboren als Alessandro Farnese, um seine eigene Familie zu versorgen. Er bildete ein neues Herzogtum Parma und Piacenza und beschenkte damit seinen eigenen Sohn (offiziell war es natürlich ein Neffe, weil Päpste keine eigenen Kinder haben durften, deshalb heißt diese Art der Beschenkung Nepotismus – aus dem lateinischem „nepos“ also der Neffe) Pier Luigi II. Farnese. Dieser Herr war aber den Bürgern von Piacenza vor allem durch sein wüstes Sexualleben viel zu lästig, sie haben ihn also bald nach der Machtübernahme ermordet und mit dem Papst vereinbart, dass sie seinen Sohn Ottavio als ihren neuen Herrn akzeptierten würden. Das war aber auch nicht ganz einfach. Obwohl Ottavio seit 1538 mit Margarethe, der unehelichen Tochter des Kaisers Karl V. verheiratet war (übrigens Margarethe war das einzige uneheliche Kind, das Karl V. als sein eigenes anerkannt hatte) war der Kaiser nicht geneigt, dem Schwiegersohn zu helfen. Piacenza war von kaiserlichen Truppen unter der Führung Ferrante I. Gonzaga von Mantua besetzt und der Kaiser zögerte, seinem General einen Befehl zu erteilen, die Stadt zu räumen und sie dem kaiserlichen Schwiegersohn zu übergeben – vielleicht auch deshalb, weil in dem Ehepaar Farnese eine bestimmte Kälte herrschte. Als sie geheiratet hatten, war der Bräutigam gerade vierzehn und die Braut sechzehn Jahre alt gewesen, sie war bereits eine Witwe. Ihren jungen Mann hat sie einfach lebenslang ignoriert. Ottavio hat es aber letztendlich geschafft, sein Herzogtum zu beherrschen und es begann die berühmteste Epoche der Stadt, die Epoche der Familie Farnese, über die man in Piacenza sowie auch in Parma auf jedem Schritt stolpert.
Piacenza war zwar nie eine Residenzstadt, zu der wurde Parma, trotzdem baute hier die Familie Farnese einen ungeheuerlich riesigen Palast. Palazzo Farnese besitzt ein großes Museum, neben der üblichen Pinakothek hat er aber zwei sehr interessante Objekte. Eines davon ist die weltweit größte Kutschensammlung. (Übrigens eine unauffällige, aber wunderschöne Konkurrenz, gibt es in Mähren im Städtchen Čechy po Kosířem, die Anzahl der ausgestellten Kutschen kann vielleicht mit Piacenza zahlenmäßig knapp nicht mithalten, die Qualität der Exponate ist aber noch schöner). Die Sammlung in den Räumen des Palastes von Piacenza ist aber imposant und wenn Sie sich entscheiden, Piacenza zu besuchen, sollten sie diese Ausstellung keinesfalls auslassen. Das zweite berühmte Objekt im Palazzo Farnese ist die berühmte etruskische Leber. Es ist ein Modell der Schafleber mit Aufschriften in etruskischer Sprache, offensichtlich diente dieses Modell als Lehrmittel für angehende Haruspices (also etruskische Priester und Seher), damit sie aus der Leber der geopferten Tiere die Zukunft voraussagen konnten.
Das Zentrum der Stadt ist nicht die Piazza del Duomo, wo sich eine romanische Kirche befindet. Ähnlich wie in anderen italienischen Städten hat man auch hier im romanischen Stil zu bauen begonnen, wurde aber nicht schnell genug mit dem Bau fertig und deshalb hat das Gebäude auch zahlreiche gotische Elemente. In der Krypta sind die Überreste der heiligen Justina aus Antiochia, die im Jahre 1099 nach Piacenza überführt worden ist – offensichtlich in Rahmen des ersten Kreuzzuges – also noch vor dem Baubeginn der Kirche. Unter dem Dom ist ein kleines Museum mit einem sehr engagierten Angestellten (er hat uns direkt in der Krypta abgefangen). Hier befindet sich ein Original??? einer Urkunde Karl des Großen, die Piacenza Marktrechte zugesprochen hat. Die Urkunde trägt eine eigenhändische Unterschrift des Kaisers (mehr als unterschreiben konnte der Kaiser nicht, er blieb bis zu Ende seines Lebens Analphabet)
Margarete von Österreich (den Titel d´Austria erhielten allen uneheliche Kinder der Habsburger Monarchen, sonst ist sie auch als Margarete von Parma bekannt) die Gattin von Ottavio Farnese, war auf Wusch ihres Bruders, des spanischen Königs Phillip II., zweimal die Verwalterin der niederländischen Provinzen. Das erste Mal in den Jahren 1559 – 1567, als die Niederlande in Rahmen der Verhandlungen der Spanier mit Ferdinand I. über die Kaiserkrone für die österreichische Linie der Habsburger vom Römischen Reich abgetrennt und Spanien zugesprochen worden waren. Es war eine Gegenleistung dafür, dass Philipp die Ansprüche des Sohnes Ferdinands I. Maximilian anerkannt, und für sich und seine Nachfahrer auf die kaiserliche Krone verzichtet hatte. Margarete war so nach ihrer Großtante Margarete, der Tochter Kaiser Maximilians I. und Tante Marie von Ungarn, der Witwe nach König Ludwig und Schwester des Kaisers Karl V., die dritte weibliche Verwalterin der Niederlande. Offensichtlich konnten die Holländer mit den Frauen besser als mit den Männern auskommen. Allerdings mit ihrem fanatischen Bruder Philipp, der die ganze Welt zum katholischen Glauben wieder bekehren wollte, tat sich Margarete sichtbar schwerer als ihre Tante und Großtante mit dem toleranten und melancholischen Kaiser Karl V. Nach der ersten Abdankung im Jahr 1567 versuchte sie es noch einmal im Jahr 1578 und sie konnte wirklich einige Erfolge verbuchen, als sie einen Frieden mit der „Union von Arras“, also der Allianz der Städte auf dem Gebiet des heutigen Belgiens, schließen konnte. Mit den nördlichen Provinzen ist ihr das allerdings nicht gelungen, diese blieben in einem bewaffneten Widerstand. Im Jahr 1582, mit 60 Jahren, also nach Erreichen eines Pensionsalter, hängte sie die Schlüssel der Niederlanden definitiv an den Nagel, kehrte nach Piacenza zurück und verstarb hier im Jahre 1586. Begraben ist sie unter einem prachtvollen Grabmal in der Kirche San Sisto unweit von Palazzo Farnese.
Norditalienische Städte haben eine Besonderheit. Der „Duomo“ ist zwar die größte, aber nicht die bedeutendste Kirche in der Stadt. Diese Position hat immer eine andere Kirche. In Pavia ist es San Michele, in Mantua San Andre, in Parma die Kirche des Johann Evangelisten und in Piacenza ist das San Sisto. Nicht nur deshalb, weil hier Margarete von Österreich die letzte Ruhe gefunden hatte, aber für diese Kirche hatte Raffael Santi seine berühmte Sixtinische Madonna gemalt. Die kaufte dann im Jahr 1754 der sächsische Kurfürst August III. von der Stadt Piacenza, also befindet sie sich derzeit im Zwinger in Dresden. In San Sisto in Piacenza gibt es an der ursprünglichen Stelle auf dem Hauptaltar eine Kopie. Gegen diese Vorstellung leistete aber der sonst sehr liebe Beschließer der Kirche, der uns willig sogar nach der Sperrstunde rein gelassen hatte, einen verbitterten Widerstand. Meine Behauptung, dass ich die echte Madonna in Dresden gesehen hatte, kam ihm wie eine Blasphemie vor. Zum Glück hat er es nicht versucht mich mit Anwendung von Gewalt über seine „Wahrheit“ zu überzeugen. Ein Trinkgeld hat er von mir aber stolz nicht genommen.
Das Zentrum der Stadt ist nicht die „Piazza Citadella“ mit dem Dom, aber die „Piazza dei Cavalli“, die mit dem erstgenannten Platz durch die Einkaufstrasse Via Cavour verbunden ist. Piazza dei Cavalli wurde nach zwei Reiterstatuen der Mitglieder der Familie Farnese genannt. Diese stehen vor dem Rathaus – Palazzo del Comune, auch „Il gotico“ nach seinem Baustil aus roten Backsteinen genannt.
Seltsam ist, dass sich auf diesem zentralen Platz eine riesige Kirche des heiligen Franziskus befindet. Die Franziskaner wurden als ein Bettelorder immer am Rande der Stadt nahe der Stadtmauer lokalisiert – schon deshalb, damit sie nicht den Dominikanern eine Konkurrenz wären. Die Dominikaner besaßen meistens ihr Kloster am Rande oder am liebsten sogar außerhalb der Stadtmauern, immer aber auf der anderen Seite der Stadt, als die Franziskaner ihren Sitz hatten. In Piacenza wurde diese Regel offensichtlich gebrochen, warum, weiß ich nicht.
Piacenza, ein bisschen eine Aschenputtel unter den norditalienischen Städten ist also nicht notwendig zu meiden. Es hat genug Schönes anzubieten.