Wollen Sie nach Bari fahren? Und Sie wollen es mit Ihrem eigenen Auto tun? Warum nicht, trotzdem versuche ich Sie mit zwei Geschichten zu warnen, die mir zu Ohren kamen und das nämlich unmittelbar durch meine guten Bekannten. Also nicht irgendwie aus dritter oder vierter Hand.

Unser Nachbar brach zu Überreise nach Apulien auf und weil er sich bereits müde fühlte, entschied er sich, in Bari eine Pause einzulegen. Er parkte sein Auto auf einer frequentierten Straße nahe der Polizeistation und glaubte, es wäre hier in Sicherheit. Weil er Angst hatte, dass er am Strand einschlafen und dabei bestohlen werden könnte, ließ er sein Geld sowie auch seine Dokumente im Auto. Als er nach einer Stunde zum Auto zurückkam, war ein Fenster zerbrochen und Dokumente sowie auch das gesamte Geld fehlten. Für den Anfang des Urlaubes sicherlich kein aufmunterndes Erlebnis.

Die andere Geschichte liegt schon länger zurück.

Mein Kollege absolvierte seine Ausbildung zum  Facharzt für Physiotherapie in München (damals gab es die Ausbildung zu diesem Fach in Österreich noch nicht) und sein Kollege, ein Deutscher, lud ihn zu einem gemeinsamen Ausflug nach Italien ein. Sie reisten also gemeinsam, der Deutsche liebte große Autos und fuhr in einem kleinen Mikrobuss mit 7 Sitzen auf Urlaub. Sie kamen nach Bari, parkten auf einem „überwachten“ Parkplatz und am nächsten Morgen war das Auto weg. Der aufgeregte Deutsche ging zu Polizeistation um den Diebstahl zu melden. Der Polizist zeigte zwar Mitleid, äußerte aber keine Hoffnung, ihm helfen zu können.

„Wissen Sie, es verging die ganze Nacht! Wer weiß, wo das Auto zum jetzigen Zeitpunkt bereits ist? Möglicherweise auf Sizilien oder auf einer Fähre nach Afrika. Natürlich nehmen wir mit Ihnen ein Protokoll auf, aber große Hoffnung, dass wir das Auto finden könnten, dürfen Sie sich nicht machen.“

„Mein Gott, wie komme ich nach Hause?“ begann der deutsche Arzt zu jammern. „Ich habe fünf Kinder mit, wie soll ich mit ihnen in einem Zug nach München fahren?“

Der Polizist wurde aufmerksam. „Che Cosa? Cinque Bambini?“ (Was? Fünf Kinder?) Er griff zum  Telefon. Es folgte ein längeres, sehr aufgeregtes Gespräch auf Italienisch. Eine Stunde später stand das Auto vor dem Hotel. Nur am Rande merke ich an, dass der deutsche Kollege kinderlos war.

Also, Bari ist nicht wirklich eine sichere Stadt. In der Kriminalität ist sie dauernd unter den fünf problematischsten Städten Italiens mit höchster Kriminalität. Deshalb haben wir die Stadt mit Zug dem besucht.  Nachdem wir am Bahnhof von Ostuni ein italienisches Frühstück (Cafe con Cornetto) eigenommen hatten, stiegen wir in den Morgenzug. Natürlich wussten wir nicht, dass man in Italien durch den Kauf eines Tickets noch lange nicht gewonnen hat, das Ticket ist nämlich nur nach einer Abwertung im Automaten auf dem Bahnsteig gültig. Der liebe Gott meinte es aber gut mit uns.. Auf der Reise nach Bari kontrollierte uns niemand und ich schaute mir unterwegs die Tickets genau an und es war für mich auffällig, dass sie drei Monate gültig waren. Etwas hat also nicht gestimmt und deshalb habe ich auf die anderen Reisenden aufgepasst. Ich bemerkte, dass sie die Fahrkarten auf dem Bahnsteig  in irgendwelche Geräte steckten.  Also machten wir das bei unserer Rückreise ihnen nach. Wir hatten Glück, diesmal ist nämlich der Schaffner gekommen. Unsere Kontrolle verlief stressfrei, einige Sitzplätze weiter hatte aber ein Passant Pech, letztendlich führten ihn Carabinieri in der nächsten Haltestelle aus dem Zug. Also aufpassen! Außerdem kommen Züge nach Bari selbstverständlich mit Verspätung und nicht unbedingt auf dem Bahnsteig, wie es im Fahrplan angegeben war. Also muss man ständig auf der Hut und up-to date sein. Wie es meine Frau ohnehin immer von mir verlangt – flexibel. Bari ist nämlich echtes Süditalien mit seinem typischen Chaos und Charme.

Die Bürger von Bari hatten nie Probleme damit, sich auf ungesetzliche Weise zu bereichern. So kamen sie übrigens zu ihrem größten Schatz, zu den Knochen des heiligen Nikolaus. Dieser Heilige lebte in den Jahren 270 – 326 in Anatolien. Auf seinen Todestag am 6.Dezember freuen sich bis heute alle Kinder.  An diesem Tag bekommen sie Geschenke, weil es der heilige Nikolaus auch lebenslag getan hat. Die Matrosen aus Bari stahlen seinen Leichnam im Jahr 1087 in der Stadt Myra, in der heutigen Türkei gelegen. Anatolien war seit dem Jahr 1071, als die Byzantiner eine vernichtende Niederlage in der Schlacht bei Manzikert von den Seldschuken erlitten hatten, unter türkischer Herrschaft. Die Türken riefen in Anatolien das Sultanat Rum aus. Außerdem verstanden sich die damaligen Herren von Bari, die Normannen, mit dem byzantinischem Kaiser Alexios überhaupt nicht. Der normannische Herzog Robert Guiscard führte mit Alexios in den Jahren 1081 – 1085 einen Krieg, der kein geringeres Ziel hatte, als den byzantinischen Kaiser vom Thron von Konstantinopel zu stürzen und diesen Thron selbst zu erobern. Nach dem Tod von Robert Guiscard endete zwar der Krieg, aber die Rettung der körperlichen Überreste eines Heiligen aus den Händen der Moslems aus dem byzantinischen Gebiet war natürlich trotzdem eine gottgefällige Tat.

So oder so, der heilige Nikolaus machte aus Bari eine Pilgerstätte, besonders für Russen, für die der Heilige der Nationalpatron ist. Auf dem Platz vor seiner Kirche gleich neben seiner Statue gibt es eine Gedenktafel aus Bronze, die daran erinnert, dass diese Stelle auch Vladimir der Große, mit dem bürgerlichen Namen Putin, besuchte. Der heilige Nikolaus wird in Bari am 8.Mai gefeiert (am Tag, an dem die Matrosen von  Bari mit den Knochen des Heiligen im Hafen von Bari anlegten). Wie der Zufall es so will, gerade am diesen Tag feiert Russland den Sieg über das nazistische Deutschland. Die Popularität des Heiligen hat durch diesen Zufall sicherlich nicht gelitten. Die Kathedrale des heiligen Nikolaus ist einfach gigantisch und bei dem Blick auf sie stockt der Atem.

Es ist das wundervollste Beispiel des normannischen Stils aus weißem Marmor, der Bau wurde im Jahr 1089 begonnen und erlebte gleich zwei Weihen, die erste im Jahr 1098, als die untere Krypta vom Papst Urban II. geweiht worden ist, die Kirche selbst musste sich bis zum  Jahr 1196 gedulden. Die Kirche gehört zwar dem Orden der Dominikaner, in der Krypta allerdings, wo die Knochen des Heiligen aufbewahrt sind, gibt es auch eine orthodoxe Kapelle, in der die Pilger aus Russland beten und beichten dürfen.

In der Nähe der Kirche gibt es auch ein Museum des heiligen Nikolaus, um diesen Heiligen dreht sich in Bari einfach alles, er ist es, der die Pilgerströme und damit auch das liebe Geld nach Bari zieht. In der Kathedrale befindet sich ein wunderschönes Ziborium aus dem 12.Jahrhundert und in der Apsis hinter dem Hauptaltar ein monumentales Grabmal der Herzogin Bona Sforza, der Gattin des polnischen Königs Sigismund I., der letzten mailändischen Herrscherin von Bari. Ihren Einfluss konnte ich sogar in dem entfernten Vilnjus in Litauen sehen, wo sie sich ein Schloss im Stil der italienischen Renaissance bauen ließ. Nach dem Tod ihres Mannes, des polnischen Königs, kehrte sie nach Bari zurück und wurde auf Befehl des spanischen Königs Filip (der auch der König von Neapel war und dem die mailändische Enklave mitte in seinem Königsreich wahnsinnig auf die Nerven ging) vergiftet – Bari wurde zum Teil des Königsreichs von Neapel

Das Problem war, dass die Bürger von Bari in der Zeit, als sie den Heiligen Nikolaus in Türkei stahlen, bereits einen Stadtheiligen hatten, und zwar den heiligen Sabinus. Bari hatte nämlich bereits eine bewegte Geschichte hinter sich. In den römischen Zeiten lebte Bari im Schatten seines mächtigen Nachbarn – Brindisium/Brindisi. Kaiser Traianus ließ endlich zumindest die „Via Traiana“ bauen, die Bari ans Netz der römischen Hauptstraßen anschloss – die Reste dieser Straße kann man im Untergeschoß der Stadtkathedrale sehen. Nach dem Fall des Römischen Reiches und einem kurzen ostgotischen Intermezzo wurde Bari  byzantinisch. Die Byzantiner konnten aber die Stadt nicht gegen die Araber  verteidigen und so wurde die Stadt mit der unmittelbaren Umgebung in den Jahren 847 – 871 bis zur Rückeroberung von den Byzantinern zu einem arabischen Emirat. Nach dem Jahr 876 erlebte die Stadt ihre berühmteste Epoche, sie wurde zur Hauptstadt des byzantinischen Verwalters (Katapans) für das gesamte Süditalien. Im Jahr 1071 nahm nach dreijähriger Belagerung der normannische Herzog Robert Guiscard die Stadt ein und in der Zeit der Kreuzzüge erlebte die Stadt ihre zweite wirtschaftliche Blüte. Im Jahr 1464 fiel die Stadt in die Hände der Sforzas aus Mailand, bis sie im Jahr 1558 dem Königsreich Neapel angeschlossen wurde und dort bis zu Vereinigung Italiens blieb.

Der heilige Sabinus war ein Bischof in Canusium (heute Canossa di Puglia bei Bari) in den Jahren 514 – 566. Er war nicht ganz bedeutungslos (er war ein Freund des heiligen Benedikt und als Vertreter des Papstes Agapitus reiste er sogar nach Konstantinopel), dem heiligen Nikolaus konnte er trotzdem nicht das Wasser reichen. Die Bürger von Bari lösten das Problem auf die salomonische Art, sie erklärten beide Heiligen für gleichwertig und seitdem haben sie zwei Stadtpatrone.

Die Stadtkathedrale ist also dem heiligen Sabinus geweiht. Im Gegenteil zum heiligen Nikolaus steht sie aber inmitten der dicht gebauten Häuser der Stadt mit nur einem kleinen Plätzchen vor dem Eingang – ein Photo von der Kathedrale zu machen ist beinahe unmöglich. Es ist ein chaotisches Gebäude mit Unmengen an Zubauten, ein Turm stürzte im Jahr 1613 ein und wurde nie wieder aufgebaut – warum auch, wenn die Bürger von Bari bereits den heiligen Nikolaus hatten? In der Kathedrale ist es möglich, ein Ticket für den Untergeschoß zu kaufen, hier gibt es Mosaike der byzantinischen Kirche, die hier bis zum Jahr 1156 stand, bis sie von den neuen Herrschern – Normannen – niedergerissen wurde. Noch tiefer unten kann man dann die Überreste der römischen Vergangenheit der Stadt sehen – die bereits erwähnte Straße Via Traiana. Interessant ist, dass die Säulen vor dem Eingang der Kirche nicht von Löwen – wie sonst so gut wie überall in Italien – sondern von Stieren getragen werden. Fragen Sie mich, bitte, nicht, warum. Sehr schön ist der Thron des Bischofs Elias aus weißem Marmor.

 

Nur ein paar Schritte von der Kathedrale entfernt gibt es eine Erinnerung an die glorreichen Zeiten, die Bari unter der Herrschaft Friedrichs II. von Hohenstaufen im dreizehnten Jahrhundert erlebt hat. Eine monumentale Festung „Castello Svevo“ erinnert schon mit ihrem Namen an die Herrschaft der schwäbischen Dynastie. Das heutige Aussehen ist aber etwas neuer – im sechzehnten Jahrhundert gaben die Könige von Neapel (genauer gesagt, die Königin Isabela von Aragon) der Festung das heutige repräsentative Aussehen. Im Castello gibt es eine schöne Ausstellung der architektonischen Relikten aus der Zeiten Friedrichs II – Statuen und Reliefs. Man kann sehen, wie sich gerade in dieser Zeit die Wahrnehmung der bildenden Kunst von mittelalterlichen religiösen Vorbildern zu der neuen, die sich auf antike Vorbilder stützte, änderte. In der Festung hatten gerade Studentinnen der Universität Aldo Moro in Bari ein Praktikum. Sie boten Touristen kostenlose Führung zu den ausgestellten Exponaten an. Ich nutzte die Gelegenheit und erklärte einer der jungen Damen, was dort eigentlich zu sehen war. Sie war begeistert und noch bevor wir den Raum verließen, rief sie alle ihre Freundinnen zusammen, um mit ihnen ihre neuen Kenntnisse zu teilen.

Aldo Moro war ein Landsmann aus Apulien, der auf der Universität in Bari Strafrecht unterrichtete und er war in den Jahren 1963 – 1968 und dann noch einmal 1974  -1976  Premierminister von Italien. Einen traurigen Ruhm brachte ihm seine Entführung durch die terroristische Organisation „Rote Brigaden“ im Jahr 1978, ein. Nach 55 Tagen der Entführung wurde er tot, ermordet durch acht Schüsse, im Kofferraum eines roten Renaults gefunden. Seine Mörder wurden ausgeforscht und 17 Mitglieder der Roten Brigaden wurden zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt. Nach Aldo Moro trägt die Universität in Bari ihren Namen. Unterwegs von Bahnhof zu Altstadt geht man an ihr vorbei. Einfach nur an der schönen Fontaine vorbei und dann immer nur geradeaus.

Die Neustadt ist nämlich ein Netz aus geraden Straßen mit einer Menge an Geschäften, absolut ideal für Shopping, wenn einem genug Zeit dafür bleiben würde – besonders die Straße Via Sparano de Bari. Von der Altstadt ist die Neustadt mit einer breiten Straße Corso Vittorio Emanuelle mit zahlreichen Palmen getrennt – und dann erwartet Sie schon die „Citta Vecchia“ mit ihren engen, kurvigen Gässchen und dem Geruch des nicht wirklich entsorgten Mühls. Wir sind doch in Süditalien. Hier ist der Platz „Piazza Mercantile“ mit dem Gebäude „Sedile dei Nobili“ sehenswert, in dem im Mittelalter der „Rat der Hochgeborenen“, also der damalige Stadtrat tagte und ebenso sehenswert ist eine Säule, die als ein Pranger diente.

An der Grenze zwischen alter und neuer Stadt gibt es ein Lokal „Vini e cuccina“. Ein echtes italienisches Restaurant mit lokalem Kolorit.  Der Besitzer kümmert sich um die Bestellung und in der Zwischenzeit liest er die Zeitung, seine Söhne schuften in der Küche und servieren. Weil ich es mag, lokale Spezialitäten auszuprobieren, bat ich den Boss um ein typisches Gericht von Bari. Er musterte mich mit forschendem Blick, nickte und sagte „Tipico Bari“. Dann bediente er die Gäste und erklärte jedem, was er zum Essen bekommen hatte. Als er den Teller zu mir brachte, sagte er mit einer wichtigen Stimme: „Tipico Bari“ und legte den Teller mit seiner Schöpfung auf den Tisch vor mir. Es war ein einfaches Essen, Muscheln mit Kartoffeln und Reis, es schmeckte aber wunderbar. Es ist mir noch immer nicht ganz klar, wie es die Italiener machen, dass sie auch aus einem einfachsten Gericht etwas Hervorragendes kreieren.

Bari ist durch die Produktion von Teigwaren bekannt. Bei einem Spaziergang durch die Stadt kann man auf mehreren Plätzen Frauen sehen, die eigenhändig frische Teigwaren unterschiedlichster Formen erzeugen, besonders die für die Region typische „Orechieti“. Wer Lust hat, kann gleich eine Portion kaufen.

Bari hat etwas an sich. Schmale Gassen (natürlich, wie schon gesagt, mit nicht gerade sorgfältig beseitigten Abfällen, aber das gehört auch zum südlichen Kolorit),kleine Kirchen, Souvenirgeschäfte und eine monumentale Stadtmauer um den Hafen, an denen wir eine unglaublich süße Melone lokaler Herkunft aßen. Nur auf die Geldbörse sollte der Tourist aufpassen. Und keinesfalls auf der offenen Straße parken. Unter diesen Umständen kann man den südlichen Charme der Stadt auskosten.

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