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Vesuv

               Das erste Mal habe ich den Berg von oben gesehen. Also aus dem Flugzeug, als wir von Sizilien nach Hause flogen und der Kapitän den Kurs direkt über die Bucht von Salerno nahm.  Ich sah einen grünen Berg mit einem Krater auf seinem Gipfel inmitten der Stadtbebauung und ich konnte nur nach einer bestimmten Zeit realisieren, dass es sich um den berühmten Vesuv handelte, um den gefährlichsten Vulkan Europas. Aus dem Ring der weißen Häuser ragte nur der Berggipfel mit dem Krater empor und ich stellte mir das erste Mal die Frage, wie man all diese Leute evakuieren könnte, sollte Vesuv wieder einmal Ärger machen.

               Dieselbe Frage stellte ich mir wieder, als wir mit unserem Auto versuchten, durch das Gewirr der engen Gässchen zum Fuß des Berges durchzukommen um den Berggipfel zu erreichen. Die Antwort war einfach – man kann es nicht. Die Evakuierung der 600 000 Menschen, die an den Hängen des Vesuvs in einer absolut verbotenen Bauzone leben, ist einfach nicht möglich.  Natürlich gilt ein strenges Verbot, hier Häuser zu bauen, aber die Camorra verkauft trotzdem  die Grundstücke in dieser Gegend und die Leute kaufen und bauen. Italiener, und besonders die Kampanier, leben nur für die Gegenwart und die Zukunft – genau wie auch die Vergangenheit –  interessiert sie echt wenig. Also wenn Vesuv einmal ausbrechen würde, wäre es eine große Katastrophe, die das Gewissen der Menschheit erschüttern würde und die italienische Regierung würde trotz ihrer nationalistischen Ideologie um internationale Hilfe ansuchen.

               Der Tuff, also das Lavagestein, ist sehr fruchtbar, es ist eine voll mit Nahrungsstoffen erfüllte Erde und Vesuv gleich wie Ätna auf Sizilien garantieren den Landwirten, die den Mut besitzen, auf den Hängen der Vulkane zu wirtschaften, gute Erträge. Solange der Berg nicht böse wird und sie nicht abschüttelt. Von den Hängen des Vesuvs stammt der beste Wein Kampanies „Greco di Tuffo“, als Souvenir wird hier ein Couvee aus den lokalen Sorten „Lacrinae Christi“ also „Christustränen“ verkauft.

               Ungefähr 100 Höhemeter unter dem Gipfel gibt es einen – ein bisschen improvisierten – Parkplatz, von dem man in einer Touristenschlange den Gipfel besteigen kann. Von dort kann man in den Krater schauen, der zurzeit 600 Meter Durchmesser hat und der Verschluss, der ihn derzeit dicht macht, besitzt angeblich eine Tiefe von 2 Kilometern.

Einmal wird er wie der Champanierkorken  nach oben schießen, wir wissen nur nicht wann. Dann werden wahrscheinlich auch die Caffetteria und das Souvenirgeschäft, die beide auf dem Kraterrand stehen, in die Luft gejagt. Auf dem Parkplatz gab es einen zauberhaften  Parkplatzangestellten, der nach der Parkgebühr in allen Weltsprachen verlangen konnte. Wir haben es überprüft, er konnte auch „dvě padesát“, also 2,50 Euro tschechisch ohne Akzent aussprechen.

               Wenn man auf den Serpentinen zum Parkplatz unter dem Gipfel Vesuvs fährt, realisiert man, welche Katastrophe es im Jahr 79.n.Ch sein musste. Der alte Krater hat einen Durchmesser von 6 Kilometern (die so genannte Caldera), ist natürlich bereits bewaldet und reicht nur bis zur Mitte des Berges. Wenn  man nicht wüsste, dass es gerade hier zu einem Zusammenbruch des alten Vesuvs kam, würde man das gar nicht merken. Wie hoch nämlich der alte Vesuv, in der Antike „Monte Somma“ genannt, war, weiß eigentlich keiner, nach dem furchtbaren Ausbruch im Jahr 79 n.Ch. jagte sich der Berg selbst in die Luft. Das, wohin heute die Touristen pilgern, wuchs aus diesem Krater bei weiteren dreizehn Explosionen in den Jahrhunderten, die seit dem schrecklichen Ausbruch in der Zeit der Herrschaft des Kaisers Titus, vergangen sind, die letzte bedeckte Neapel im Jahr 1944 mit einer halben Meter dicker Aschenschicht. Keiner dieser Ausbrüche ist aber mit dem Wüten des Berges im Jahr 79 vergleichbar. Die Intensität der Vulkanausbrüche ist direkt von der Zeit abhängig, in der sie ruhig waren. Und das war beim Vesuv sehr lange. Griechische Siedler, die die Stadt Cumae gegründet haben, die erste Kolonie des „Großen Griechenlands“ in Kampanien, ahnten gar nicht, dass es sich um einen Vulkan handelte. Nicht einmal, als sie schon ihre Stadt fertiggebaut hatten und ihre Kolonisation mit Gründung von Paesta oder Neapel fortsetzten, wusste jemand über diese latente Gefahr Bescheid. Deshalb bauten die Römer gerade hier am Fuße des Berges ihres Las Vegas – Pompei. Eine Stadt, die in die Menschengeschichte als ein tragisches Symbol einer der größten Naturkatastrophen aller Zeiten eingehen sollte.

               Wie ich bereits geschrieben habe, die Römer machten aus Kampanien nach ihrer Eroberung ihres Urlaubgebiet. Wie heutzutage Deutsche zum Überwintern nach Mallorca und Schweden nach Gran Canaria fahren um die ungünstige Jahreszeit in der Wärme und Ruhe zu überstehen, zog es damals die Römer nach dem sonnigen Kampanien mit schönem Meer, gutem Wein und Essen. Es war leicht erreichbar, eigentlich römisches Umland. Damit sich hier die Urlauber nicht langweilten, wurden hier für Kulturliebhaber Theater und Odeone, und für die Bürger, die eine rauere Unterhaltung liebten, Amphitheater gebaut. Es gab hier Gladiatorenschulen und es wurden hierher wilde Tiere aus der ganzen Welt verfrachtet, um unter dem Beifall des blutrüstigen Publikums in den Amphitheatern in Capua oder Pompei sterben zu dürfen.          

               Pompei war eine alte Stadt mit einer um die siebenhundert Jahre alten Geschichte, in der Zeit der Kriege der Römer gegen ihren Verbündeten stand sie aber auf der falschen Seite. Diktator Sulla musste die Stadt belagern und nach ihrer Einnahme  siedelte er hier 2000 seiner Veteranen an. Seit dieser Zeit war Pompei eine römische Kolonie, in der es regelmäßig zu Streitereien zwischen den römischen Ansiedlern und der oberen Schicht der Ureinwohner kam. Nur Kaiser Augustus schaffte es, hier Frieden und die damit verbundene Prosperität zu stiften, deshalb wurde er hier auch mit einem Tempel und eigenem Kult verehrt. Zum Beschützer der Stadt bestimmte Augustus seinen ursprünglich geplanten Nachfolger Marcellus, dieser starb aber jung. Offensichtlich schrieb Augustus der Stadt eine große Bedeutung zu. Die Stadt lag damals direkt am Meer an dem Fluss Sarno, dessen Mündung von Lagunen geschützt war und damit einen hervorragenden Hafen für die Ware sowie auch für römische „Urlauber“ bot.               

               Die Prosperität der Stadt wurde das erste Mal durch Unruhen erschüttert, als sich die Einheimischen mit den Nachbaren aus Nuceria eine Prügelei lieferten, danach verbot Kaiser Nero in Pompei für zehn Jahre weitere Spiele. Dann kam eine Warnung in der Form eines Erdbebens im Jahr 62.n.Ch. bei dem ein Großteil der Stadt vernichtet wurde. Wahrscheinlich wurden bei diesem Erdbeben die unterirdischen Kräfte des Berges befreit, die im Jahre 79 – wahrscheinlich am 24.Oktober, das genaue Datum ist nicht sicher – für einen bis dahin noch nie gesehenen Ausbruch den Weg frei machten.

                Pompei war zu diesem Zeitpunkt eine große Baustelle, wo von Erdbeben beschädigte Häuser repariert oder neugebaut wurden, es lebten hier um die 10 000 Einwohner. Ein Teil davon hat die Stadt verlassen – der Berg bebte bereits einige Tage vor dem Ausbruch und die Vorsichtigeren entschieden sich, dies aus der Ferne zu beobachten. Trotzdem blieben hier noch viel zu viele Menschen, die dann unter einer 25 Meter hohen Schicht von Vulkanasche den Tod fanden.  Unter den prominentesten Opfern war Plinius der Ältere, der römische Verwalter der Provinz Missenum, der aus einem übertriebenen wissenschaftlichen Eifer mit seiner Flotte zur Küste segelte und in einer Schwefelwolke erstickte. Sein Neffe Plinius der Jüngere beschrieb  den Ausbruch  in einigen Briefen, die er an den Historiker Tacitus schrieb und deshalb haben wir heute ziemlich detaillierte Informationen, was damals geschah.

               Pompei hat im Vergleich mit Herculaneum, das auch bei diesem Vulkanausbruch vernichtet wurde, einen Vorteil. Während über die Ruinen von Herculaneum eine neue Stadt wuchs und somit nur ein Teil der antiken Stadt freigelegt werden konnte, weideten über Pompei 1700 Jahre lang nur Ziegen. Deshalb konnte man die ganze damalige Stadt freilegen und sie dient den Historikern und Archäologen als die Hauptquelle zur Erforschung des alltäglichen Lebens im alten Rom.

               Unseren Besuch fingen wir bei einem – nicht gerade schonend – rekonstruierten Amphitheater an.

Es handelte sich hier um das erste gemauerte Amphitheater. Bis zu dieser Zeit wurden Amphitheater aus Holz gebaut und das Kolosseum in Rom ist jünger. Danach führte uns der Weg  an einer Reihe römischer Häuser vorbei zum Gymnasium mit einem großen Schwimmbecken. Die Mehrheit der Häuser war mit Ketten verschlossen, manche davon bauten Italiener gerade mit Hilfe eines Betonmischers fertig, um ursprüngliche Häuser aus dem ersten Jahrhundert nach Christus zu vollenden. Anders gesagt: also wenn die Bauten fertig werden, werden sie aus dem ersten Jahrhundert nach Christi stammen. Aber auch die wenigen zugänglichen waren besuchswert. Mit einem Atrium mit dem zentralen Wasserbecken, in dem kostbares Regenwasser gesammelt wurde, Schlafzimmern mit Fresken und Peristylen der Gärten. Interessant für mich war, dass Römer bereits damals die Kunst der Stukatur beherrscht haben. Marmorsäulen wurden nur in Tempeln und öffentlichen Gebäuden verwendet, für Privathäuser waren sie zu teuer. In den privaten Domizilen wurden also die Säulen im Peristyl aus Ziegel gebaut und dann wurde durch Anstrich der Eindruck geweckt, dass sie aus Stein seien. Die Böden waren natürlich aus Mosaiken, Römer hatten keine anderen, das berühmteste Mosaik aus Pompei schaffte den Einzug in die „Geschichte der Kultur“ von Pijoan und stellt die Schlacht zwischen Alexander dem Großen und dem persischen König Dareios III. bei Issos dar. Genauer gesagt die entscheidende Szene der Schlacht, als Alexander durch einen direkten Angriff auf den König diesen zur Flucht und die persische Armee zu ihrer Auflösung zwang.

Vor den Häusern sind auf den vorgeschobenen Mauern Behälter für Nahrungsmittel. Nicht aber für den Hausbesitzer, sondern für seine Klienten, die hier vorbeikommen und ein Frühstück oder Abendessen abholen durften. Dafür mussten sie dann die politischen Ambitionen ihres Patrons bei der nächsten Wahl unterstützen.

               Das Schönte in Pompei ist ein riesiges Forum, das so situiert ist, dass direkt oberhalb der furchterregende Vesuv emporragt. Als ob er auf seine Macht über die Stadt, die er einmal vernichtet hatte,  noch immer nicht verzichtet hätte. Es ist einfach DER BERG.

Viele öffentliche Gebäude umrahmen den großen antiken Hauptplatz, eines der reichsten Häuser gehörte dem Besitzer der öffentlichen Toiletten. Die Toiletten waren ein großes Geschäft. Nicht nur, dass die Bürger für ihre Benutzung irgendwelchen Obolus zahlen mussten. Der abgefangene Harn war damals nämlich das einzig bekannte Mittel zur Bearbeitung der Wolle, also für die Beseitigung vom Fett aus der Naturwolle. Der Harn wurde also teuer verkauft. Dazu kam, dass dieses Geschäft bis zur Zeit Kaisers Vespasianus nicht versteuert war, also ähnliche Privilegien wie heute die Börsengeschäfte hatte. Vespasianus versteuerte die öffentlichen Toiletten und damit verbundenen Geschäfte zu großem Missfallen seines Sohnes Titus mit einer lakonischen Bemerkung „Das Geld stinkt nicht.“ Obwohl Titus strikt gegen diese Steuer war, machte er sie nach seinem eigenen Thronantritt nicht rückgängig. Das Geld hat wirklich nicht gestunken und die einmal schon eingeführten Steuern haben bis heute die Eigenschaft, langfristig gültig zu bleiben und sogar von ihren größten Gegner nach ihrer Machtergreifung gern akzeptiert zu werden. In der Zeit, als Pompei von der Katastrophe heimgesucht wurde, musste also der Besitzer dieses prächtigen Palastes am Rande des Forums die Steuer bereits zahlen, sicher hatte er aber noch keine Zeit, sich an diese neue Tatsache  zu gewöhnen, geschweige sich damit anzufreunden.

               Die längste Schlange in Pompei steht – ähnlich wie vor 1700 Jahren – vor dem Bordell. So viele Kunden, wie sich heute vor diesem Gebäude drängen, hätten die zwölf Mädchen, die dort arbeiteten, niemals befriedigen können. Lunapar wurde als eines der ersten Gebäuden in Pompei freigelegt, sogar mit den erotischen Malereien an Wänden.

Es hatte zwei Ausgänge, sicher eine praktische Maßnahme, sollte der Kunde von seiner eifersüchtigen Frau gesucht werden. Die Räume der Prostituierten waren allerdings klein mit Betten aus Stein, ein echter Luxus herrschte hier also nicht unbedingt. Was man von den Bildern auf den Wänden ablesen kann, ist die Tatsache, dass Römer Sex von hinten praktizierten. Die Missionärstellung musste noch auf den Sieg des Christentums warten, das in der Zeit des Vesuvausbruchs noch in den Windeln lag. In Pompei herrschte der Kult des Kaisers Augustus, der Priester seines Tempels weigerte sich den Tempel zu verlassen und starb hier unter der Vulkanasche in seinen Trümmern.          

               Die Thermen sind natürlich auch der Öffentlichkeit zugänglich. Öffentliches Bad gehörte unausweichlich zu jeder römischen Stadt, da Römer zu Hause keine Badezimmer hatten. Männer und Frauen badeten streng getrennt, zum männlichen Teil gehörten auch ein Turnplatz und natürlich auch ein Saal, wo man Geschäfte machen und über die Politik reden durfte. Interessant war die Tatsache, dass die Haken in den Umkleideräumen  – ähnlich wie in den heutigen Kindergärten – mit Zeichnungen und nicht mit Nummern gekennzeichnet waren. Die Römer waren offensichtlich nicht stark in Mathematik, möglicherwiese auch im Lesen. Also offensichtlich keine Intelligenzbestien. Sie waren in erster Linie Krieger und bei einem Krieger wirkt die Bildung eher nachteilig.            

               In der Nähe des Forums sind auch Tempel und öffentliche Gebäuden wie die Basilika, die zu gerichtlichen Verfahren und zu Menschenversammlungen diente. Pompei ist ein Touristenmagnet, möglicherweise sogar ein viel zu großer. Wir waren hier außerhalb der touristischen Hauptsaison, standen früh auf und trotzdem durften wir den Zauber der menschenleeren Plätze nur ungefähr eine halbe Stunde genießen. Dann kamen die Busse und spuckten Hunderte Touristen aus. Das Forum wurde wie in den römischen Zeiten zur Zeit des Wahlkampfes mit Menschen überfüllt.

               Herculaneum wurde unter einem Schlamm- und Lavastrom begraben und dadurch sogar besser konserviert als Pompei, hier wurde sogar auch die ursprüngliche hölzerne Bausubstanz erhalten.

Das Pech ist, dass ein Großteil der antiken Stadt unter den modernen Siedlungen steht, sogar auch das Amphitheater. Herculaneum wurde auch deshalb nicht so „berühmt“ wie Pompei, weil die Mehrzahl der Bewohner es rechtzeitig verlassen konnte. Nur ungefähr 500 Menschen, die sich für die Flucht in den Hafen entschieden und dort vergeblich auf Schiffe warteten, die sie evakuieren sollten, sind umgekommen. Der Vorteil von Herculaneum liegt darin, dass hier nicht so große Menschenmengen liefen und man die Stadt in einer viel größeren Ruhe genießen durfte. Und zum Sehen ist hier auch einiges. Wir wurden von einem australischen neunzigjährigen Touristen fasziniert, der sich einen privaten Guide gemietet hat und sich alle Ruinen der Stadt zeigen und erklären ließ.

               Der schönste Palast aus den römischen Zeiten ist angeblich die „Villa oplontis“. Kein Wunder, es handelte sich um die Sommerresidenz der Popeia Sabina, der Gattin des Kaisers Nero. Sie war durch ihre Vorliebe für Luxus und Pracht bekannt. Die Villa befindet sich in der Stadt Torre Anunziata und weil es sich in dieser Stadt um das Hauptquartier der kampanischen Camorra befindet, ließen wir den Besuch aus. Nicht, dass wir Angst vor Camorra hätten, aber was wäre gewesen, wenn ich im Gewirr der italienischen Gässchen mit einem Ferrari eines Camorrabossen kollidiert wäre. Lieber nicht nachdenken! Für Mutigere als mich kann aber der Palast der römischen Kaiserin ein Anziehungspunkt sein.

               Wie das ganze Kampanien, das ich mit diesem Artikel verlassen würde.

Mikulov – Nikolsburg

               Diese Stadt ist ein echtes Juwel und ich glaube, dass sie eine der schönsten in Mähren ist, wenn nicht die überhaupt schönste. Wahrscheinlich auch eine der meistbesuchten, zumindest war sie mit Touristen überfüllt, die alle mögliche Sprachen gesprochen haben, neben Slowakisch und Polnisch, habe ich Englisch und auch ein bisschen Deutsch gehört, ich fürchte also, das die Schönheit von Mikulov (der deutsche Name dieser Stadt heißt Nikolsburg) bereits allgemein bekannt wurde. Eine Unmenge Hotels und Pensionen, die die Stadt im Überschuss besitzt, sind in der Sommersaison voll ausgelastet. Zahlreiche Restaurants und Vinotheken sind auch voll.

               Schade um die Raserei, aber die Stadt verdient das Interesse der Besucher.

               Mikulov ist seit dem frühen Mittelalter bekannt, der erste bekannte Besitzer war der Graf Wilhelm von Dürnholz. Er erhielt die Stadt im Jahr 1185 für seine Verdienste in der Schlacht bei Lodenice, wo sich das letzte Mal in der Geschichte in einem furchtbaren Gemetzel  mit 4000 Toten Tschechen von Böhmen den Landsleuten von Mähren gegenüber standen. Wo zwei gestritten haben, hat der dritte zu lachen gehabt, Mikulov erhielt ein Österreicher. Und so ging es auch weiter. Im Jahr 1249 schenkte der damalige tschechische Thronfolger Premysl Ottakar die Stadt Heinrich von Liechtenstein. Woher die Liechtensteiner stammen, ist für mich bereits seit Jahren ein Rätsel. Eine Familie dieses Namens hatte ihre Stammburg in Frauenburg nahe Unzmarkt in der Obersteiermark. Sie waren eine sehr bedeutende Familie, das Oberhaupt des Stammes, der bekannte Minnesänger  Ulrich von Liechtenstein, war im Jahr 1260 Sprecher des steierischen Adels – damals huldigten die steierischen Adeligen Premysl Ottakar als ihrem König, Herzog und Herrscher. Das Schenkungsjahr 1249 ist aber aus dieser Sicht suspekt. Es hat zwar eine bestimmte Logik, weil in diesem Jahr Premysl Ottakar die Erbin der österreichischen Ländern, Margarete von Babemberg, heiratete. Der Bräutigam war 19 Jahre alt, die Brau war über fünfzig, aber es ging um Besitz, nicht um die Liebe. Premysl ließ sich später von seiner Frau scheiden, als er richtig erkannte, dass er mit ihr keinen Thronfolger zeugen konnte.  Die Abstammung von Heinrich von Liechtenstein wird in der Umgebung von Mödling in Niederösterreich vermutet, vielleicht gab es also doch zwei Familien mit dem gleichen Namen, obwohl mir dieser Gedanke gar nicht gefällt. Die Liechtensteiner kamen also in Rahmen dieser Vermählung im Jahr 1249 zu ihrem Glück, neben Mikulov erhielten sie damals auch Feldberg (Valtice), das damals in Niederösterreich lag (an die Tschechoslowakei wurde Feldberg nur in Rahmen der Verträgen von Trianon im Jahr 1920 angeschlossen).

               Ehrlich gesagt, kümmerten sich die Liechtensteiner um Mikulov nicht gerade gut, das Zentrum ihres Interesses war in Feldberg. Mikulov hatte das ganze Mittelalter nur Palisaden aus Holz und die Stadt selbst war sehr klein – sie hat dem heutigen Stadtzentrum entsprochen. Als sie im 16. Jahrhundert endlich eine Steinmauer bekam, umgab diese eigentlich nur das Schloss, den Haupt- und den Kirchenplatz. Die Stadt hatte zwei Tore, das Obere Tor im oberen Teil des heutigen Kirchenplatzes, wohin man heute von der Straße Brnenska, Palavska und Ceska  kommen könnte und das Untere Tor am unteren Ende des heutigen Hauptplatzes.                     

               Die Liechtensteiner gingen mit ihrem Besitz und Finanzen nicht wirklich behutsam um und  häuften große Schulden an. Im Jahr 1560 verkauften sie Mikulov dem ungarischen Adelingen Laszlo Kerecsenyi und die glückliche Stunde für die Stadt schlug im Jahr 1572, als Adam von Dietrichstein die Stadt vom Kaiser Maximilian II. erhielt. Mit dieser Familie sollte die Geschichte der Stadt bis zum Jahr 1945 verbunden sein.     

               Die Dietrichsteiner waren eine alte Adelsfamilie, die ihre Beziehung zum kaiserlichen Hof sehr sorgsam zu pflegen wusste. Adams Vater Sigismund gelang ein Meisterstück. Der alternde Kaiser Maximilian I. betraute ihn mit diplomatischen Verhandlungen bezüglich der Verbindung der Habsburger mit Jagellonen, die damals tschechische und ungarische Könige waren. Sigismund gelang es, eine seltsame Hochzeit zu organisieren. Der Erbe des tschechischen und ungarischen Königsreiches Ludwig heiratete die habsburgische Prinzessin Maria. Ein größeres Problem war, wer die tschechische Prinzessin Anna heiraten sollte. Der alte Kaiser (alt für damalige Zeit, er hatte 56 Jahre auf dem Buckel) lehnte die Hand der dreizehnjährigen Braut mit den Worten „wenn man einen alten Mann loswerden will, gibt ihm eine junge Frau) ab. Sigismund vereinbarte dann die Vermählung mit einem der Enkelsöhne des Kaisers, allerdings war bei der Hochzeit noch nicht klar, mit welchem – sollte es Karl oder Ferdinand sein? Der Bräutigam wurde also vor dem Altar vom Kaiser persönlich vertreten und in der Hochzeiturkunde wurde eine leere Stelle belassen, wo der Name des Gatten später eingeschrieben wurde. Es war letztendlich Ferdinand und die Ehe war sehr glücklich. Es entsprossen ihr fünfzehn Kinder. Sigismund von Dietrichstein nutzte die Versammlung der gekrönten Köpfe, um all diese Honoration zu seiner eigenen Hochzeit mit Barbara von Rottal einzuladen. Diese berühmte Szene wurde in einem Bild verewigt, das man heutzutage in der Galerie in Mikulov sehen kann. Der Kaiser hat es natürlich nicht versäumt, den treuen Diener zu belohnen und machte ihn zum steierischen Hauptmann, dieses Amt besaß dann Sigismund bis zum Jahr 1533.

               Sigismunds Sohn Adam war gleich wie der Vater ein Diplomat, er verbrachte der Großteil seiner diplomatischen Tätigkeit als kaiserlicher Hofmeister in Madrid. Die Gattin des Kaisers Maximilian II. Marie traute nämlich ihrem Mann, der ungesunde Sympathie für den Protestantismus zeigte, nicht und sie erzwang, dass die zwei ältesten Söhne Rudolf und Ernst zur Erziehung nach Spanien geschickt worden sind und gerade Adam von Dietrichstein vor Ort auf sie aufpassen sollte. Gerade für diese Verdienste erhielt Adam im Jahr 1572, als er noch in Madrid weilte, Mikulov. Der Aufenthalt in Spanien sollte noch weitreichende Nachwirkungen zeigen. Dort wurden Adam nämlich sechs Kinder geboren und eines davon war Franz von Dietrichstein. Mit seiner Person ist Mikulov eng verbunden. Er bestimmte den heutigen Charakter der Stadt.

               Franz, geboren im Jahr 1570, war als der dritte Sohn von Adam für die kirchliche Laufbahn prädestiniert. Er studierte zuerst bei Jesuiten in Prag und danach in Rom. Ein kleiner, ansehnlicher und ungemein intelligenter Mann weckte Interesse bei Kardinal Aldobrandini, dem späteren Papst Klement VIII. Der größte Eindruck machte auf den jungen Mann der fanatische Filippo Neri, er lernte in Rom auch den Gründer des Ordens der Piaristen Joseph Calasanz kennen. Im Jahr 1599 wurde er im Alter von nur 29 Jahren zum Erzbischof von Olmütz ernannt, im gleichen Jahr wurde ihm eine Auszeichnung zugeteilt, als er nach Graz eingeladen wurde, um hier den Herzog Ferdinand (den späteren Kaiser Ferdinand II.) mit seiner Braut Anna von Bayern zu trauen. Ferdinands Mutter Maria traute nämlich keinem steierischen Priester und glaubte, sie wären alle mit dem Gift des Protestantismus angesteckt. Ein Erzbischof, geboren in Madrid und erzogen in Rom, war der einzige, zu dem sie genug Vertrauen hatte.   

               Unter der Herrschaft des mächtigen und reichen Herrn schlug für Mikulov seine Sternstunde. Dietrichstein lud in die Stadt italienische Architekten, die nicht nur das Schloss bauten, sondern die ganze Stadt wurde als eine ästhetische Ergänzung des Sitzes des Kardinals gebaut. Auch heute noch bildet sie also eine homogene Einheit, es gibt hier ein Phänomen der Durchsicht in die Landschaft und der gebogenen Straßen, die den Horizont verkürzen, ein typisches Phänomen des italienischen Manierismus, genannt „scorcio“, das sonst nirgends in Mähren oder Böhmen zu finden ist. Der Kardinal ließ auch das Kloster der Kapuziner mit der Kirche des heiligen Laurentius bauen, vor der Stadt dann das Kloster der Piaristen um die Kirche des heiligen Johannes der Täufers, eine Pilgerkapelle nach dem Muster der „Santa casa“ im italienischen Loreto. Das Schloss wurde mit Theater, Ballsaal und einem Garten auf einer Terrasse ergänzt. Der Garten wurde dann mit italienischen Bäumen und Büschen und Fontänen ergänzt, an die dann Lustgarten und Lustschlösschen angeschlossen wurden. Usw. usw.

               Zu diesem Wohlstand führte aber kein direkter Weg. In der Zeit des Aufstandes der tschechischen Stände war der Kardinal logischerweise auf der kaiserlichen Seite, er wurde aus dem Land verwiesen und seine Besitzungen wurden konfisziert. Im Jahr 1619 wurde Mikulov sogar von den Aufständischen unter der Führung von Ladislav Velen von Zierotin erobert. Nach der Schlacht auf dem Weißen Berg wendete sich aber der Blatt zugunsten des Kardinals.            

               Nicht umsonst schmückt die Büste des Kardinals nicht nur den Schlosshof, aber auch den Balkon in der Kirche des heiligen Wenzels. An der Mauer des Schlosses hängt eine große Gedenktafel. Persönlich ist mir der Kardinal nicht wirklich sympathisch. Er machte als ein treuer Diener des Kaisers eine riesige Karriere, er wurde sogar zum „Protector Germaniae“ – das war das höchste kirchliche Amt nördlich der Alpen – allerdings musste als einziger in der Geschichte von diesem Amt im Jahr 1636 zurücktreten und diese Demütigung hat er nicht überlebt. Im Jahr 1619 war er bereit, während des politischen Umsturzes in Brünn vor den Aufständischen auf dem Boden zu kriechen und ihnen Beine zu umarmen, weil sie ihm drohten, ihn schön „auf die tschechische Art“ aus dem Fenster zu schmeißen. Er versprach, dass er auf alle seine Ämter verzichten, das Land verlassen und selbst zu einem Pilger würde. Natürlich hat er keins seiner Versprechen eingelöst, nach dem Weißen Berg kehrte er zurück und setzte eine brutale Rekatholisierung  „seines Mährens“ fort. Obwohl er versuchte, das Land vor den größten Repressionen zu schützen, es lag ihm an der Prosperität des Landes, das er verwalten sollte. Für Mikulov war aber dieser Herr ein wahrer Segen.

               Dem Kardinal verdanken wir also das monumentale Schloss, gebaut im Stil des Manierismus, seit dieser Zeit aber mehrmals umgebaut, besonders nach einem Brand im Jahr 1719 und auch im Jahr 1945 brannte es bis auf die Grundmauern nieder. Ob es von den sich rückziehenden Deutschen oder von den siegenden Russen angezündet wurde, wird man wahrscheinlich niemals erfahren. Die Renovierungsarbeiten dauerten sehr lang, und weil ein Großteil des Inventar zugrunde gegangen war, orientiert sich die Ausstellung im Schloss in erster Linie an der Gallerie der Familie Dietrichstein, die durch eine Ausstellung über die Entwicklung des Lebensstils von der Gotik bis zum Biedermaier ergänzt wurde. Trotzdem zahlt sich der Besuch aus. Imposant ist die Bibliothek, die besonders Bücher aus dem Bestand des Gymnasiums der Piaristen besitzt. Auch diese Schule wurde vom Kardinal Franz gegründet. Er kannte persönlich den Gründer des Ordens Joseph Calasanz. Die Idee des Ordens musste ihm gefallen haben. Der Orden bot armen Burschen die Bildung, die sie sich sonst nicht leisten konnten. Sie bekamen sie – mit der entsprechenden ideologischen Ergänzung – also einer Hirnwäsche mit katholischem Glauben in der rigorosen Form. Trotzdem produzierte die Schule in Mikulov eine Reihe hervorragender Absolventen, der bekannteste von ihnen war wahrscheinlich der weltberühmte Anatom Johann Evangelist Purkyne. Seine Gedenktafel ist an der Mauer des ehemaligen Klosters in der Kirche des heiligen Johannes des Täufers zu lesen.

               Im Schloss kann man auch das Zimmer besuchen, in dem Napoleon nach der siegreichen Schlacht bei Austerlitz wohnte. Er wollte mit seinen geschlagenen Gegner den Frieden gerade in Mikulov schließen, aber eine Epidemie, die in seiner Armee plötzlich ausgebrochen ist, zwang ihn, die Stadt zu verlassen und der Frieden wurde dann im nahegelegenen Preßburg (Bratislava) unterschrieben. Mikulov behagte fremden Armeen nie wirklich. Im Jahr 1866 starben hier 200 Soldaten der siegreichen preußischen Armee an Cholera. Sie haben in Mikulov einen eigenen Friedhof – es handelte sich doch letztendlich um Protestanten.

               Der Kardinal gründete auch in der Kirche der Heiligen Anna am unteren Ende des Kirchenplatzes die Gruft der Familie Dietrichstein. Ursprünglich ließ er diese Kirche als eine Pilgerstätte bauen, wo die Pilger die schwarze loretanische Madonna verehrten. Die Kirche brannte aber im Jahr 1784 bis auf die Grundmauer ab, und dient seitdem nur als die Grabstätte der Familie. Die Führungen durch die Gruft dauern 40 Minuten, ohne Führung gibt es keine Besuchsmöglichkeit. Die Statue der Madonna wurde nach dem Brand in die Kirche des heiligen Wenzel gebracht, die jetzt, inklusiv ihres Turmes im Stil der Renaissance, rekonstruiert wurde. Der Blick auf die Kirche von der Pavlovskastraße mit dem Schloss im Hintergrund ist atemberaubend.

Die Gruft erhielt die Erbin der Familie Mercedes Dietrichstein vom Gericht als Besitz zugesprochen, die Gerichtprozesse über den Besitz der Familie sind damit aber noch lange nicht zu Ende.      

               Zu Ende sind auch die Spuren des Kardinals Franz noch nicht. Auf dem ehemaligen Tanzberg ließ er die Kapelle des heiligen Sebastians nach dem Vorbild der Kirche des heiligen Petrus im Vatikan sowie auch die Kapelle des Heiligen Grabes nach dem Vorbild aus Jerusalem errichten. Zu den Kapellen führt ein Kreuzweg mit 17 Stationen.  Man muss, zuerst durch Wald und dann auf einem Pfad im Kalkstein zweihundert Höhenmeter überwinden, um einen wunderschönen Blick über die Stadt zu genießen. Besonders bei Sonnenuntergang ist es ein unvergessliches Erlebnis. Den Tanzberg ließ der Kardinal natürlich umbenennen, jetzt heißt er der Heilige Berg. Von seinem Gipfel kann man Valtice und Breclav bis zu den Niederen Karpaten und weit bis nach Österreich sehen.

               Was nicht einmal der Kardinal beeinflussen konnte, war die Anwesenheit einer starken jüdischen Gemeinde in der Stadt. Seit dem Jahr 1420, als Juden drastisch vom Herzog Albrecht aus Wien vertrieben wurden (es wurden dabei um die 400 Menschen verbrannt), ließen sie sich in Mikulov nieder und bildeten hier die bedeutendste jüdische Gemeinde in Mähren. Hier hatte auch der Landesrabbi seinen Sitz, seit dem sechzehnten Jahrhundert tagte hier das jüdische Parlament. In den Jahren 1553 – 1573 hatte der berühmte Rabbi Löw das Amt des Landesrabbis inne. Derjenige, der später den Golem in Prag baute und nach dem sogar eine Straße in der Altstadt von Jerusalem benannt wurde. Seine mährische Karriere ist weniger bekannt, es erinnert an sie eine Ausstelllung in der Synagoge und eine Gedenktafel an der Zeremoniehalle des jüdischen Friedhofes.

Dieser ist riesig, er nimmt eine zwei Hektar große Fläche ein und es gibt hier Hunderte Grabsteine, besonders die der bedeutenden Rabbiner, der Mitglieder der Unternehmerfamilie Teltscher oder der Eltern von Sir Frank Lampl, des Generaldirektors der britischen Firma Bovis, einer der größten Bauunternehmens auf der Welt.  Nach einer Volkszählung lebten im Jahr 1836 3520 Juden in Mikulov, was 42% der Stadtbevölkerung war.  Ein Anfang vom Ende war der Bau der Eisenbahn, die von Brünn über Breclav nach Wien führte, die aber Mikulov abseits liegen ließ. Und dann kamen die Nazis. Mit ihnen hat sich der letzte Dietrichstein namens Alexander kompromittiert. Er war zwar kein Mitglied der NSDAP, dafür aber der Sudetendeutschenpartei und fühlte sich immer als Deutscher. Er floh gleich noch im Jahre 1945 nach Argentinien, angeblich aus der Liebe zu seiner Auserwählten, die dort lebte, seine Flucht weckte aber natürlich den Verdacht, dass er etwas zu befürchten hatte. Der Besitz der Familie Dietrichstein wurde aufgrund der Benesdekrete konfisziert und die Erbin der Familie, Mercedes Dietrichstein, wie ich schon geschrieben habe, kämpft jetzt um den Besitz mit der Tschechischen Republik vor Gericht. An die Juden erinnert neben dem Friedhof und der  Synagoge eine Menge wertvoller historischen Andenken. Es gibt hier eine Ausstellung „Rabbi Löw und das jüdische Bildwesen in Mähren“ und das jüdische Bad – Mikva.

               Einen schönen Blick gibt es von „Kozi Hradek“. Der Trum gehörte einmal zur Stadtbefestigung, seit dem sechzehnten Jahrhundert auch mit einer Kanonenbatterie, aber aufpassen! Geöffnet für die Besucher ist der Turm nur, wenn dort eine Fahne weht. Also bevor Sie zum steilen Berg aufbrechen, schauen Sie gut hin!                        

In der Nähe der Stadt liegt das Gebirge Palava, eine Tropfsteinhöhle „Na Turoldu“, Archeopark in Pavlov mit einem Museum der Mammutenjäger, im nahen Dorf Kletnice dann Cafe Farad, wo jedes Zimmer eine andere Farbe und einen anderen Duft von Lavendel bis zu Marillen hat, man kann wählen, worauf gerade Lust hat.

Übrigens in Mikulov und seiner Umgebung wurden sogar zwei österreichische Präsidenten geboren. Direkt in der Stadt im Jahr 1890 Adolf Schärf und bereits im Jahr 1870 in nahem Untertamowitz (Dolni Vestonice) Karl Renner.

               Mikulov hat viel zu bieten. Aus dem modernen Angebot gibt es hier die herrliche Galerie „Zavodny“ oder die Statue des „Hängenden“ auf dem Hauptplatz von David Černý, eine Reihe guter Restaurante und Pensionen. Ich kann das Hotel Tempel in der Husstrasse nennen, wo österreichische Gäste, die ich hingeführt habe, nicht genug von den Köstlichkeiten bekommen konnten und der Hasenrücken, den ich dort gegessen habe, war absolut fantastisch. Sollten Sie Lust auf koscheres Essen haben, finden Sie in der Husstrasse ein jüdisches Restaurant Tanzberg. Aber es gibt hier das Restaurant Aquarium in der Pavlovskastrasse, eine Menge Vinotheken und wenn Sie wirklich einen märchenhaften Platz kennenlernen möchten, dann fahren Sie nach Valtice und dann weiter in Richtung Katzelsdorf. Einen halben Kilometer vor der österreichischen Grenze steht auf einem kleinen Hügel das Weingut Obelisk. Ein modernes Gebäude mit faszinierendem Blick auf Valtice und Mikulov am Horizont, wo die Sonne untergeht. Besseres Ambiente für Promotionen, Hochzeiten oder andere Veranstaltungen gibt es gar nicht. Inklusiv eines hilfsbereiten und zuvorkommendes Personals.

Ungefähr zehn Kilometer von Mikulov nach Norden am Ufer des Stausees gibt es die Therme in Musov. Das nur für den Fall, dass das Wetter nicht mitspielen sollte.             

   Haben Sie Lust auf einen Besuch im Mikulov bekommen? Weit ist es nicht, nur 1 Kilometer hinter der österreichischen Grenze, zehn Kilometer von Poysdorf entfernt. In diesem Fall aber beeilen Sie sich mit der Reservierung, die Stadt ist in der Hochsaison hoffnungslos ausgebucht.     

Stille Nacht – ein 200 Jahre altes Kultlied

Weyhnachts-Lied.
Stille Nacht! Heil’ge Nacht!
Alles schläft. Einsam wacht,
Nur das traute heilige Paar,
Holder Knab’ im lockigten Haar;
Schlafe in himlischer Ruh!
Schlafe in himmlischer Ruh!
Stille Nacht, heilige Nacht!
Alles schläft, einsam wacht
Nur das traute, hochheilige Paar.
Holder Knabe im lockigen Haar,
Schlaf in himmlischer Ruh,
Schlaf in himmlischer Ruh.
Stille Nacht! Heil’ge Nacht!
Gottes Sohn! O! wie lacht
Lieb’ aus Deinem göttlichen Mund,
Da uns schlägt die rettende Stund;
Jesus! in Deiner Geburth!
Jesus in Deiner Geburth!
Stille Nacht, heilige Nacht!
Gottes Sohn, o wie lacht
Lieb aus deinem göttlichen Mund,
Da uns schlägt die rettende Stund,
Christ, in deiner Geburt,
Christ, in deiner Geburt.
Stille Nacht! Heil’ge Nacht!
Die der Welt Heil gebracht,
Aus des Himmels goldenen Höh’n,
Uns der Gnade Fülle läßt seh’n
Jesum in Menschengestalt!
Jesum in Menschen-Gestalt!
Stille Nacht! Heil’ge Nacht!
Wo sich heut alle Macht
Väterlicher Liebe ergoß,
Und als Bruder Huldvoll umschloß
Jesus die Völker der Welt!
Jesus die Völker der Welt!

 

Wir alle kennen den Text, egal ob wir regelmäßig die Kirche besuchen, oder nur selten her kommen, oder sie vielleicht sogar vermeiden. Eines der berühmtesten Lieder der Menschengeschichte hat gestern ein 200-jähriges Jubiläum seines Entstehens gefeiert.

Dass dieses wunderschöne Lied aus Salzburg stammt, hat eine gewisse Logik. Salzburg war bis 1803 ein unabhängiges kirchliches Territorium, der Erzbischof war gleichzeitig ein Reichsfürst, der seit dem westfälischen Frieden nur dem Kaiser direkt unterstellt war. Die Erzbischöfe von Salzburg waren schon immer Herrschaften, die die Schönheit liebten. Sie haben viele schöne Schlösser um die Stadt gebaut. Alleine  ihretwegen  lohnt sich ein Besuch in Salzburg. Die Musik war vor allem in der Zeit des Barocks ein untrennbarer  Teil des repräsentativen Lebensstils. Der letzte Reichsfürst, der Erzbischof von Salzburg mit dem herrlichen Namen Jerome Franz Joseph de Paul, Graf Colloredo von Waldsee und Mels, stellt den Höhepunkt dieser Entwicklung dar. Er war ein äußerst gebildeter Mann und war für seine Zeit, und besonders für sein Amt, sehr weltoffen. Er sprach fließend deutsch, französisch, italienisch und sogar tschechisch! Er gehörte dem Orden der Illuminaten an (ich erinnere an Dan Browns Roman, der die Illuminati fast zu Terroristen machte. Aber die Illuminati versuchten nur, die Kirche durch Bildung zu reformieren) und er war ein großer Liebhaber der Musik. Er war selbst ein begeisterter  Geiger und erkannte unmittelbar nach seiner Amtsübernahme 1772 das Genie des damals jungen Wolfgang Amadeus Mozart und beauftragte ihn mit der Leitung seines Orchesters, der junge Mozart wurde also sein Konzertmeister. Mozart wurde im Jahr 1756 geboren und starb 1791, er war also kein österreichischer Bürger. Salzburg wurde erst im Jahr 1815 Teil von Österreich, der aufgeklärte Bischof hat seinen genialen Komponisten an Kaiser Joseph I. also nur geborgt.

Mit dem Ende des achtzehnten Jahrhunderts und dem Ausbruch der napoleonischen Kriege kam jedoch für das Salzburger Land eine schwere Zeit. Dreimal hintereinander, in den Jahren 1800, 1805 und 1809, wurde Salzburg von französischen Truppen überrannt und geplündert. 1803 gründete Napoleon aus dem Erzbistum Salzburg ein säkularisiertes Herzogtum, der Musikliebhaber Colloredo musste sein Amt des  Reichsfürsten aufgeben und starb 1812 in Wien. 1805 wurden Salzburg und die Abtei Berchtesgaden an Österreich angeschlossen. 1810 wieder, nach der österreichischen Niederlage bei Wagram, an das Napoleon treue Bayern zurück übergeben. Auf dem Wiener Kongress nach der Niederlage Napoleons wurden die Karten neu gemischt. Salzburg wurde zum Opfer der großen Politik und wurde zwischen Österreich und Bayern aufgeteilt. Die endgültigen Grenzen wurden durch den Vertrag von München vom 14. April 1816 festgelegt. Die Gemeinde Laufen, die eine wichtige Rolle in unserer Erzählung spielen wird, wurde in zwei Teile getrennt: das linke Salzbachufer mit allen wichtigen Kirchen fiel an Bayern. Der rechte Teil, genannt Oberndorf, wurde Österreich zugesprochen und damit auch die einzige übriggebliebene Kirche  – St.Nikola. Und genau hier erklangen am 24. Dezember 1818 die Töne dieses berühmten Liedes.

Die Lebensschicksale der beiden Autoren dieses Liedes sind ebenfalls sehr bewegt. Durch ihre künstlerischen Eigenschaften, die mit einem bestimmten Lebenschaos verbunden waren, wurden sie vorbestimmt, sich in die Kunstgeschichte der Welt gemeinsam einzuschreiben, wenn auch nur mit einem einzigen Lied.

Der Textautor Josef Mohr, geboren 1792, war ein katholischer Priester. Er erhielt im Jahr 1815 seine Priesterweihe in Salzburg und wurde dann zu seinem ersten Arbeitsplatz gesandt, nach Mariapfarr im Lungau. Lungau war ein bergiges und sehr armes Gebiet des Landes, das vom Bergbau lebte und gerade in diesem Jahr von Bayern nach Österreich zurück übergeben wurde. Gerade hier, in Mariapfarr, schrieb Josef Mohr sein Lied. Vergebens suchte er hier aber nach einem Komponisten, der eine Melodie für seinen Text kreieren würde. Aus diesem Grund ist in Mariapfarr eines der zahlreichen Museen von “Stille Nacht”.

Den Komponisten fand Mohr, nachdem er nach Oberndorf übersiedelt war, in der Person von Franz Xaver Gruber. Dieser junge Mann schlug sich mehr schlecht als recht durch das Leben. Er war nämlich ein Hilfslehrer. Und wie Kaiser Franz Joseph in seinem Gesetz schrieb: “Ein verantwortungsvoller und anspruchsvoller Beruf eines Lehrers wird nur im Himmel belohnt.” Der liebe Hilfslehrer Gruber war arm wie eine Kirchenmaus. Im Jahr 1807 bekam er eine Lehrstelle in  Arnsdorf und um zumindest die Wohnung des Messners der Kirche Maria in Möstl benutzen zu dürfen und ein Dach über den Kopf zu haben, heiratete er eine bereits zweifache Witwe, Elizabeth Fischinger, mit der er zwei Kinder hatte. In den Jahren 1816 – 1829 arbeitete er aus finanziellen Gründen auch als Orgelspieler in St. Nikola im nahen Oberndorf, wo ihn der örtliche Pfarrer Mohr ansprach. Gruber brauchte angeblich für das Schreiben der Melodie nur einen Nachmittag. Und so konnte das Lied bereits am 24.Dezember 1818 nach der Weihnachtsmette in der St.Nikola-Kirche, zum ersten Mal gespielt werden.

Es wurde nicht während der Mette gesungen, sondern nach der Christmette, diese Tradition wird bis heute eingehalten. Außerdem wurde es nicht für Orgel, sondern für die Gitarre komponiert, was für die damalige Zeit sehr ungewöhnlich war. Die Gitarre wurde als Musikinstrument der Landwirte betrachtet und gehörte nicht in die Kirche. Aber auch diese Tatsache hatte einen Grund. Die Orgel in der St.Nikola-Kirche funktionierte einfach nicht. Das Gerücht, dass eine hungrige Kirchenmaus daran schuld sei (die Aussage “Arme wie eine Kirchenmaus” ist bekannt und der Vergleich mit Gruber wäre sehr passend)  stimmt allerdings nicht. Erst 1819 wurde Meister Carl Mauracher von Zillertal gerufen, der sich für den Bau einer neuen Orgel entschied. Diese wurde im Jahr 1825 fertiggestellt. Franz Gruber konnte sie also noch spielen, er war Orgelspieler  in Oberndorf bis 1829. Interessanterweise spielte in dieser denkwürdigen Nacht, am 24. Dezember 1818, Mohr die Gitarre und nicht Gruber, beide sangen aber. Das Lied wurde für zwei Solo-Tenöre und einen Chor komponiert.

Die beiden Herren schienen sich also sehr gut zu ergänzen, sie mussten seelenverwandt sein und das Ergebnis war die erstaunliche Melodie, die gemeinsam mit dem rührenden Text unsere Weihnachtsfeiertage seit zweihundert Jahren verschönert.

Vielleicht erklärt diese Seelenverwandtschaft auch weitere Schicksale beider Autoren. Mohr hat sich in Oberndorf nicht lange Zeit aufgehalten. Sein Vorgesetzter der Presbyter Georg Heinrich Joseph Nöstler beklagte sich über ihn, dass er faul sei, keinen Bezug zu den Messen und zu bei den Krankenbesuchen hätte und dass er mit weiblichem Geschlecht scherzte!!! Außerdem soll er nichtreligiöse Lieder gesungen haben. Mohr war einfach viel mehr ein junger Mann als ein Priester. Das Schicksal führte ihn durch viele andere Standorte, er war Priester in Kuchl, Golling, Vigaun, Authering, Eugendorf, Hof und Hintersee. Hier hatte er sogar ein großes Problem. Arme Menschen in diesem abgelegenen Dorf mit 267 Seelen haben gewildert, was verboten war. Mohr kaufte das Fleisch von den Wilderern ab, und dafür sollte er das Geld aus den Mettenspenden genutzt haben. Als er angezeigt wurde, musste er das Dorf verlassen und war ab 1837 Vikar in Wagrain. Hier fand er endlich seine Ruhe, und übte sein Amt verantwortungsvoll aus, obwohl er sich mit den örtlichen Bauern gegenseitlich nicht wirklich mochte und er mehrmals um eine Versetzung angesucht hat. Im Jahr 1838 gründete er in Wagrain sogar eine Schule, die bis heute seinen Namen trägt.

1848 starb er und wurde in Wagrain begraben. Er liegt immer noch hier, aber nicht sein ganzer Leichnam. Es fehlt nämlich der Schädel. Mohr war das ganze Leben ein wenig eigenartig und ließ sich niemals porträtieren. Als der Priester und Bildhauer Joseph Mühlbacher im Jahr 1912 feststellte, dass es kein einziges Porträt des berühmten Lyrikers gab, exhumierte er den Kopf und versuchte, sein Antlitz anhand des Schädels zu rekonstruieren! Der Kopf wurde danach nicht in das Grab in Wagrain zurückgegeben, sondern in Oberndorf in die Wand der neu erbauten “Stille-Nacht-Kapelle”, die 1936 geweiht wurde, eingemauert. Die ursprüngliche Kirche St. Nikola wurde nämlich nach einem schweren Schaden durch ein Hochwasser abgerissen.

Franz Josef Gruber lebte in Arnsdorf, nach dem Tod seiner ersten Frau Elisabeth heiratete er im Jahr 1826 seine ehemalige Schülerin Maria Breitfuß, mit der er zehn Kinder hatte. 1833 fand er in der Stadt Hallein eine Anstellung als Chordirigent der Stadtpfarrkirche. Nachdem er 1842 zum dritten Mal, Catherine Rieser heiratete, lebte er hier bis 1863 als relativ wohlhabender und angesehener Bürger. Das Grab findet man neben der Pfarrkirche. Es ist leicht zu finden, da es hier das einzige Grab nach Aufhebung des Friedhofes geblieben ist.

Für uns war es ein Glück, das Franz Gruber so lange lebte (damals waren 76 Jahre ein gesegnetes Alter). Beide Autoren des Liedes gerieten nämlich in Vergessenheit und niemand wusste, wie das berühmte Lied entstand. 1854 stellte die königliche Hofkapelle aus Berlin eine Frage an die Erzabtei St. Peter in Salzburg, ob der Autor des Liedes Michael Haydn sei (der Bruder des berühmten Joseph Haydn). Dieser Komponist lebte nämlich zwischen 1737 und 1806 auch in Salzburg. Die Frage wurde an Haydns Sohn Felix übermittelt, einen Musiker im Dienste der Erzabtei. Er sandte den Brief weiter an Franz Gruber nach Hallein. Dieser schrieb dann “Die vollständige und wahre Geschichte über die Entstehung des Liedes Stille Nacht ” nieder.

Dank dieses Textes wissen wir, wo und wie das Lied entstanden ist. Mittlerweile gibt es Museen in Mariapfarr, Hallein, Oberndorf und Wagrein und die Gräber beider Autoren wurden zu echten Pilgerstätten. Es entstand der Spielfilm “Das ewige Lied” mit Tobias Moretti in der Hauptrolle. Er spielte die Rolle von Joseph Mohr. Franz Gruber wurde vom deutschen Schauspieler Heino von Stetten dargestellt.

Österreich hat dieses Ereignis nicht vergessen und begeht dieses Fest unter anderem  auch mit einer 20-Euro-Gedenkmünze.

Das Lied lebt durch sein eigenes Leben weiter.

Neapel


 

Wahrscheinlich kennt jeder Mensch den Spruch „Neapel sehen und sterben“. Weil er uns auch bekannt war und wir hatten noch nicht vor zu sterben, bevor wir die Stadt unter Vesuv gesehen haben, entschlossen wir uns, mit dem Zug nach Neapel zu fahren. Wir ließen unseren Lancia vor dem Hotel eingeparkt und verlangten nach dem Zugfahrplan zwischen Salerno und Neapel. Dabei realisierte ich das erste Mal, dass es nicht so einfach sein würde. Die Züge fahren zwischen diesen zwei Städten jede Stunde, das Ticket kostet ein wenig über 4 Euro, also auf den ersten Blick schaut alles unkompliziert aus. Auf den zweiten Blick merkt man aber, dass es bei der Mehrzahl der Züge einen Preiszuschlag gibt – zwischen 5 und 19 Euro. In einen solchen Zug wollten wir keinesfalls einsteigen, da ich mir vorstellen konnte, dass für den Kauf eines solchen  Zuschlages im Zug einen weiteren Zuschlag oder eventuell eine saftige Strafe zu bezahlen wäre, weil man unberechtigt in einen solchen Zug eingestiegen war. Und wie soll ich das dem Schaffner mit meinem gebrochenen Italienisch erklären?

Probleme sind aber dazu da, um gelöst zu werden. Ich schrieb alle Züge, die ohne Zuschlag geführt worden sind, nieder, kaufte ein Rückfahrtticket und wir brachen auf.

Neapel ist unglaublich. Es ist ein Nest, in dem ungefähr 2,5 Millionen Menschen leben, eine absolute Mehrheit davon ist sehr arm. Nach einer Statistik aus dem Jahr 2009 gab es in Kampanien ein durchschnittliches Einkommen 10 000 Euro pro Familie und Jahr. Wie viel Einwohner Neapel wirklich hat, weiß keiner. Bei der letzten Volkszählung gaben alle Kommissare auf und legten in der Verzweiflung ihre Mandate nieder. Man konnte für sie keinen Ersatz finden und die Volkszählung in Neapel blieb also unvollendet. Kein Wunder. Die Neapolitaner wollten nicht gezählt werden und ließen sich nicht dazu zwingen.

Die sizilianische Mafia ist nämlich in Vergleich zu neapolitanischen Camorra eine harmlose Erscheinung. Camorra hat die Macht in der gesamten Region fest in der Hand, schon deshalb, da sie neben dem italienischen Staat der einzige Arbeitsgeber ist. Bei einer Jugendarbeitslosigkeit über 50% gibt es für jemanden, der keinen Job als Polizist, Beamter, Lehrer oder Arzt ergattern konnte, die einzige Möglichkeit, zu einem Paten zu gehen und dort gegen einen Treuschwur einen Job zu bekommen. 70% der Firmen, Betriebe und Geschäfte zahlen Schutzgeld (pfui, natürlich kein Schutzgeld, dass ist heutzutage nicht mehr „in“, man zahlt eine Versicherung, natürlich bei der richtigen Gesellschaft. Sie ist zwar sehr teuer, aber bringt die Sicherheit, dass Ihr Geschäft nicht ausgebrannt wird.)

Ein Tourist erkennt natürlich nichts davon, zumindest haben wir nichts erkannt. Während des ganzen Aufenthaltes fühlten wir uns nicht bedroht und niemand hat es versucht, uns zu bestehlen. Wir betraten die Stadt an der „Statione centrale“ auf der „Piazza Garibaldi“. Garibaldi gibt es in jeder italienischen Stadt, es ist einfach ein Pflichtprogramm nach ihm etwas zu benennen und ihm eine Statue zu errichten. In Neapel hat es aber eine eigene Poesie. Garibaldi brachte der Stadt nämlich ihren Untergang. Als nämlich der sardinische Ministerpräsident Cavour nicht mehr wusste, was er mit dem unsteuerbaren Giuseppe tun sollte, schickte er ihn mit seinen 1000 „Rothemden“ nach Süden, um für den König das Königreich der beiden Sizilien zu erobern. Er hoffte, dass der liebe Giuseppe dort von den Bourbonen erschossen wird und er – also Cavour – selbst endlich Ruhe haben würde. Eine fatale  Fehleinschätzung. Garibaldi schaffte es, die Armee der Bourbonen auf Sizilien zu besiegen und der italienische Süden wurde wirklich dem Königreich einverleibt. Das war der Anfang vom Ende der einmal prächtigen, mächtigen und glorreichen Stadt Neapel. Aus der Hauptstadt wurde eine Provinzstadt, der Adel zog aus und verließ seine prächtigen Paläste auf der „Via tribunali“, die begannen zu verfallen und die erwarteten Investitionen der norditalienischen Unternehmern ließen auf sich warten. Neapel wurde arm und die Macht hat die Camorra übernommen. Trotzdem wird auch hier Garibaldi gefeiert. Fragen Sie mich nicht warum, es ist in Italien – wie bereits gesagt – einfach ein Pflichtprogramm.

Den ersten Kaffee, einen exzellenten Espresso um 90 Cent tranken wir bei der „Porta Capuana“. Das war einmal das wichtigste Stadttor, weil von hier der Weg nach Capua und von dort dann nach Norden in Richtung Rom führte. Gleich hinter dem Tor gibt es den ehemaligen königlichen Palast der Normannen und Staufen – „Castello Capuano“. Hier hatten Kaiser Heinrich VI.  oder Friedrich II. ihren Sitz, wenn sie sich in der Stadt aufhielten – beide taten das nicht besonders gerne. Neapel war im Jahr 1191 der wahre Stolperstein für Heinrich VI. auf seinem Weg zur Beherrschung des süditalienischen normannischen Königreiches, auf das er als der Gatte der Königserbin Konstanze Anspruch erhob. Er konnte die Stadt nicht einnehmen. Er starb beinahe an Durchfall, an dem er während der Belagerung erkrankt war, der tschechische Fürst Konrad Otto, der ihn mit tschechischen Soldaten begleitet hat, hatte weniger Glück und starb wirklich. Heute gibt es in diesem Palast das höchste neapolitanische Gericht, also dieses Gebäude wird auch heutzutage ausreichend genutzt. Die Richter werden in Kampanien von Arbeitslosigkeit sicher nicht bedroht.

Dann  betraten wir die Altstadt auf der „Via tribunali“ und meine Frau erlitt einen Kulturschock, von dem sie sich nicht mehr erholen sollte. Diese Straße war einmal tatsächlich eine Luxusstraße, die zwischen Palästen der Hofleute, Adeligen und Bankier verlief, die in der Nähe des Königshofes beiwohnten. Aber, wie ich bereits erwähnte, sie verließen Neapel und aus ihren Palästen wurden Ruinen, die später zu Wohnhäusern umgebaut wurden. Allerdings sind die Wohnungen im Stadtzentrum nicht gerade verlockend, ich kann mir nicht vorstellen, dass es dort eine Toilette für jede Wohnung gäbe. Also wohnen hier nicht gerade die Reichen und sie sind es, die auch enge Gässchen um die „Via tribunali“ bewohnen, die noch enger und schmutziger sind als die „Via tribunali“ selbst. Einen anderen Weg zum Dom, zur Kirche St Lorenzo Maggiore und zum Kloster der heiligen Klara gibt es aber nicht. Und die muss man einfach besucht haben.

Der „Duomo“ von Neapel ist atemberaubend. Von außen ein monumentales Gebäude im gotischen Stil – gebaut von den französischen Anjous, die die Staufen auf dem neapolitanischen Thron im Jahr 1266 abgelöst hatten. Im Inneren ist es eine unglaubliche Stilmischung, gleich chaotisch wie Neapel selbst. Karl von Anjou ließ nämlich zwei Kirchen, die an dieser Stelle standen, nicht abreißen, sondern er inkorporierte sie in den neuen Bau. Damit hat er offensichtlich dem italienischen Unmut etwas niederzureißen Tribut gezollt. Das Hauptschiff ist also zwar gotisch, aber mit einer flachen romanischen Decke. Die Nebenkirche im frühromanischen Stil  bewahrt eine Taufkapelle aus dem vierten Jahrhundert mit typischen römischen Mosaiken. Die Kapelle des heiligen Gennaro auf der anderen Seite ist wieder einmal das prächtigste Barock – sie muss so prächtig sein, weil hier nämlich die wertvollste neapolitanische Reliquie aufbewahrt wird – das Blut des heiligen Gennaro.  Als dieser Heilige geköpft worden ist, hat eine Frau sein Blut in einer Flasche aufgefangen. Dieses Blut wird einmal pro Jahr immer wieder flüssig, was der Anlass zu einer großen begeisterten Feier in der ganzen Stadt ist. Und Neapolitaner lieben Feste!

In der Kirche St. Lorenzo Maggiore, diesmal rein gotisch, erlebten wir ein Begräbnis auf neapolitanische Art. Die Trauergäste jammerten zwar so intensiv, dass wir sie auch sechs Meter unter der Erde hören konnten – wo die Ausgrabungen aus den griechischen Zeiten der Neá pólis sind.  Als wir aber wieder in die Sonne traten, wurde bereits Gitarre gespielt und es war wieder fröhlich und lustig. Die Toten müssen schnell vergessen werden, man lebt für die Gegenwart. Es wird intensiv aber nur sehr kurz getrauert.

Neapel ist sehr schön, genauer gesagt, hat seine schönen Facetten. Besonders von Vomero aus gesehen, einem Hügel hoch über die Altstadt, wohin man mit der „funiculare“, also einer Seilbahn, fahren kann. Diese gehört zum System der Stadtverkehrslinien und ein Ticket für Metro oder Straßenbahn ist hier ebenso gültig. Von der Nähe, bei den Bergen der Abfälle auf den Straßen, ist der Eindruck der Schönheit  nicht mehr so berühmt.

Als hier im siebenten Jahrhundert v.Ch die ersten Siedler aus der griechischen Stadt Cumae ankamen, gab es hier noch keine Abfälle. Sie ließen sich auf der Insel vor der Küste nieder, wo heute die Festung Castello dell´ Ovo steht und entschieden sich, in dieser günstigen Lage eine neue Stadt zu gründen. Weil es hier bereits eine Stadt namens „Pathenope“ gab, gaben sie der neuen Siedlung einen ein bisschen fantasielosen Namen Neustadt, also „Neá pólis“, und so blieb es bis heute. Ich weiß nicht, wie den Siedlern der Berg über die Stadt gefallen hat. Sie nannten ihn „Monte Somma“ und dieser Berg überraschte alle, als er im Jahr 79 n.Ch plötzlich explodierte. Er zeigte damit den nichtsahnenden Bewohnern, dass es sich um einen aktiven Vulkan handelte, der achthundert Jahre geschlafen hatte, und nach diesem großartigen Feuerwerk brach er in sich zusammen. Der heutige Vesuv wuchs in seine derzeitige Form bei weiteren 13 Explosionen, die letzte fand im Jahr 1944 statt. Von Vomero ist der Blick auf den Vesuv in Hintergrund der Stadt mit vielen Häuschen, die auf seinen Hängen (natürlich unerlaubt) stehen, echt imposant.

Unter Vomero fanden wir eine Einkaufsgallerie Umberto I., die es vergeblich versucht, der Gallerie Vittorio Emanuelle in Mailand das Wasser zu reichen. Es fehlen hier doch die Marken wie Prada oder Versace etc.

Was aber Neapel wirklich im Überfluss hat, sind königliche Paläste. Jede der herrschenden Dynastien baute einen eigenen Palast und einer ist monumentaler als der andere. Neben dem bereits erwähnten „Castello Capuano“ ist das vor allem das „Castello Nuovo“ nahe dem Hafen, das Karl von Anjou zu einer uneinnehmbaren Festung ausbauen ließ. Er hatte seine schlechten Erfahrungen aus Sizilien. Dort haben die Sizilianer am 30.März 1282 in wenigen Stunden einige Tausende Franzosen ermordet (sizilianische Vesper) und der König rettete sich selbst nur knapp im Palast in Cefalú, von wo es ihm gelungen ist, auf das italienische Festland zu flüchten. Seitdem traute er seinen Untertannen nicht mehr und wusste, dass er sich vor ihnen am besten hinter mächtigen unüberwindbaren Mauern schützen konnte und das am besten in der Nähe vom Hafen, wo immer ein schnelles Schiff bereitgestellt werden sollte. „Castello Nuovo“ ist ein gigantischer Bau, der jeden von einem Versuch ihn anzugreifen, abbringen musste. Immerhin wurde aber in diesen Mauern im Jahr 1451 der zukünftige Kaiser Maximilian I. gezeugt. Sein Vater Friedrich III., im zarten Alter von 36 Jahren immer noch jungfräulich, weigerte sich nämlich hartnäckig mit seiner Frau, der wunderschönen fünfzehnjährigen portugiesischen Prinzessin Eleonore, zu schlafen. Deshalb wurde er von ihrer Verwandtschaft von Rom nach Neapel verschleppt, um hier die Ehe vollzuziehen.  Als es die erste Nacht nicht geklappt hat und der Kaiser behauptete, das Bett wäre verhext, musste ein Priester mit Weihwasser her. In der nächsten Nacht wurde die Ehe doch vollzogen und der Thronfolger gezeugt.  Vielleicht war aber nur die düstere Atmosphäre im dunklen Palst an der Enttäuschung der schönen Eleonore schuld.

Die Bourbonen, die nach dem Krieg um die spanische Erbschaft nach Neapel kamen, wollten in diesem düsteren Palast nicht einmal wohnen. Deshalb bauten sie den „Palazzo Reale“ und weil ihnen auch dieser monumentale Palast nicht genug war, bauten sie in den Bergen hinter Capua in Caserta noch ihres eigenes Versailles. (Nicht umsonst war der erste bourbonische König Karl der Enkelsohn des Sonnenkönigs Ludwig XIV.) Für die Innenausstattung der Paläste blieb dann aber nicht  mehr so viel Geld und Zeit.

Nein, in einem Tag in Neapel kann man nicht viel erledigen. Die Festungen,  Paläste und Museen sowie auch das unterirdische Neapel (Napoli sottaranea) mit 80 Kilometer langen Gängen, Höhlen und Brunnen, die bis 5000 Jahre alt sind und eine echte „Stadt unter der Stadt“ bilden, das  alles verlangt nach einem viel längeren Aufenthalt. Ich konnte also nicht einmal den „Palazzo del´ Ovo“ besuchen. In Mauern dieses Palastes versteckte einmal Vergilius ein Ei in einer Flasche und Metallschale. Das Ei wurde nie gefunden und wird auch nicht gesucht, weil einer Legende nach die Stadt Neapel so lange bestehen würde, so lange das Ei in der Mauer bleibt. Hier wurde der letzte Staufer Konradin bis zu seiner Hinrichtung festgehalten. Auch für das „Museo Archeologico Nationale“ mit Ausgrabungen aus Pompei und Herculaneum blieb keine Zeit übrig. Ich konnte auch das „Museo nationale di San Martino“, das Aquarium, die Kirche Santa Anna dei Lombardi oder die Kirche „San Giovanni a Carbonara“, wo ein monumentales Grabmal des neapolitanisches Königs Ladislaus steht, eines hartnäckigen Gegners des Kaisers Sigismund von Luxemburg und der Päpste, nicht besuchen. Ich besuchte nicht einmal die „Piazza Mercato“, wo Karl von Anjou im Jahr 1268 trotz vieler internationaler Proteste  Konradin hinrichten ließ.

Das alles hätte ich natürlich gerne gesehen, aber es war notwendig, zum Zug zu eilen. Der unsere hatte nämlich 18:18 Abfahrt,  er hatte die Nummer 3387 und seine Endstation war Battaglie. Das alles habe ich notiert, um sicher nach Hause (also nach Salerno) zu kommen. Als wir den Bahnhof betraten, wurde der Zug noch nicht einmal ausgeschrieben. Es war zehn vor sechs, als ich meine Frau, die sich noch immer unter einem kulturellen Schock litt und am Ende ihrer Kräfte war, zu keinem weiteren Spaziergang durch die Stadt überreden konnte. Ein bisschen überraschend (weil es 17:50 war) war ein Zug nach Salerno mit Abfahrt 17:20 angekündigt. Das kann natürlich passieren, besonders in Italien, Verspätungen gehören zum Leben. Sicher war nur, dass es sich sicher nicht um unseren Zug handelte, da auf ihn ein Zuschlag von 16 Euro ausgeschrieben war – zumindest so stand es im Fahrplan.

Um sechs Uhr wurde plötzlich unser Zug nach Battaglia ausgeschrieben – auf dem gleichen Bahnsteig wie der Zug nach Salerno, der schon seit geräumiger Zeit weg sein sollte. Er war es nicht. Im Gegenteil, als wir zum Bahnsteig kamen, fuhr er gerade ein.

Viele Menschen begannen einzusteigen, eine vergleichbare Menge stand aber mit uns weiter auf dem Bahnsteig und wartete auf den richtigen Zug. Um 18:10 wurde ich langsam nervös. Der falsche Zug stand weiter auf dem Bahnsteig, die Menschen stiegen ein und er fuhr nicht weg, um den Platz für den richtigen Zug zu machen. Ich kontrollierte die Anzeigetafel, sie kündigte unbeirrt an, dass es sich um einen Zug Nummer 3382 nach Salerno mit Abfahrt 17:20 handelte. Es war viertel nach sechs, die Nervosität wuchs nicht nur bei uns, aber auch bei den anderen Menschen. Sie diskutierten, wiesen auf den Zug und auf die Anzeigetafel, zuckten die Schulter und ihr italienisches Temperament war immer mehr zu hören. Und dann plötzlich, es konnte 18:17 sein, sagte der Lautsprecher etwas in so einem schnellen Italienisch, dass ich nicht die geringste Chance hatte, etwas davon zu verstehen. Aber die ganze Menschenmenge, die uns umgab, stürzte sich plötzlich auf den Zug, der vor uns stand. Die Massenpanik riss uns mit. Ich spekulierte nicht mehr darüber, ob der Zug der richtige war. Wichtig war nur, dass er offensichtlich in die richtige Richtung fahren würde. Es ist nur um nacktes Überleben gegangen. Wir warfen uns in den überfüllten Waggon und der Zug kam in Bewegung. Auch in der Anzeigetafel im Zug stand, dass es sich um den Zug 3382 nach Salerno mit Abfahrt 17:20 handelte. Als der Zug einige Hundert Meter gefahren war, kamen die Zahlen und Buchstaben plötzlich in Bewegung und auf der Anzeigetafel erschien der Zug 2287 nach Battaglia. Wir waren also im richtigen Zug und mein Puls und meine Atemfrequenz normalisierten sich langsam wieder.

Natürlich bin ich glücklich, dass wir Neapel besucht, meine Frau dann noch glücklicher, dass wir die Stadt verlassen haben. Ich habe also ein Problem. Es gibt dort doch noch das „Museo archeologico“, das „Museo nationale di San Martino“, es gibt dort den „Palazzo reale“, das „Castello Nuovo“ und viele weitere Gebäuden und Plätze, die ich so gerne noch besuchen würde. Aber wie bringe ich meine bessere Hälfte dazu, mit mir hinzufahren? Sie ist der Meinung, sie hätte Neapel gesehen und wäre nicht gestorben und es sei gut so. Warum sollte sie das noch einmal riskieren?

Wie einmal Curzio Malaparte in seinem Roman „Haut“ schrieb: „Neapel ist keine Stadt, Neapel ist die Welt.“

Benevent


Benevent war das südlichste Herzogtum der Langobarden und ist auf seine langobardische Geschichte gehörig stolz. Langobarden erschienen, angeführt von ihrem Häuptling Zotto, im Jahr 571 n.Ch. vor der Stadt. Sie eroberten Benevent und bildeten gemeinsam mit dem Herzogtum Spoleto die so gennannte Langobardia Minor, die von den nördlichen Herzogtümern durch das byzantinische Exarchat von Ravenna, das später zum Kirchenstaat geworden ist, getrennt war. Man trifft in Benevent auf Schritt und Tritt Erinnerungen an diese berühmte Zeit. Hier, weit im Süden, suchten die Söhne der verräterischen Herzogin von Cividalle, Romilda, Romuald und Grimoald Asyl. Der zweite von ihnen hat von hier aus seinen Marsch zur Gewinnung der langobardischen Königskrone begonnen. Allerdings führte die Entfernung von dem Machtzentrum in Pavia die lokalen Fürste zur Annahme, dass sie der militärische Konflikt zwischen ihrem König Desiderius und dem fränkischen König Karl dem Großen nichts angehe und sie überließen im Jahr 772 den eigenen König einfach seinem Schicksal. Was sich rächen sollte. Im Jahr 840 wurde Benevent von Arabern erobert, danach zerfiel das Herzogtum in drei Teile (Benevent, Capua und Salerno), die dann eins nach dem anderen von Normannen eingenommen wurden. Die Landkarte, die die größte Ausdehnung des Herzogtums Benevent (aber auch das Gebiet, das im Altertum der Stamm Samniten beherrscht hatte) darstellt, gibt es auf der Hauptstraße Via Garibaldi mitten in der Stadt. Die Bewohner der Stadt sind also auf ihre Geschichte sehr stolz.

Diese Stadt, tief in Binnenland zwischen den Hügeln gelegen, war nämlich bereits in der vorrömischen Zeit bedeutsam. Sie war die Hauptstadt des Stammes der Samniten und fiel als eine der letzten in Italien an Rom – nach der Niederlage des griechischen Königs Pyrrhus, der von einer Karriere wie der Alexander der Große träumte. Im Jahr 275 v.Ch – fand vor den Toren von Benevent die entscheidende Schlacht, in der römische Legionen unter der Führung des Konsuls Curius Dentatus Pyrrhus besiegt haben, statt.

Bei Benevent wurde noch einmal über das Schicksal von Süditalien entschieden und zwar im Jahr 1266, als sich hier zwei mächtige Armeen gegenüber standen. Auf einer Seite waren das Truppen des sizilianischen Königs Manfred, des unehelichen Sohnes des Kaisers Friedrich II., den er mit der schönen Bianca Lancia hatte. Der Kaiser heiratete seine Geliebte an ihrem Sterbebett (sie wird also offiziell als seine dritte Frau geführt), der Papst hat diese Ehe aber niemals anerkannt und Manfred blieb also für ihn und für den Rest der Welt ein Bastard. Seine Ansprüche auf die sizilianische Königskrone lehnte der Papst in seinem Hass auf die ganze staufische Familie entschieden ab. Der Papst suchte geduldig jemanden, der bereit wäre, den letzten Vertreter dieser verdammten Familie zu verjagen oder zu töten. Und er wurde fündig.

Gegen Manfred standen Truppen des französischen Herzogs Karl von Anjou, der hier im päpstlichen Sold war und als Belohnung die Königskrone erhalten sollte, die noch auf dem Haupt von Manfred saß. Es war 26.Februar 1266, es war kalt und die Arme von Anjou war hungrig und erfroren. Die Kräfte Manfreds waren viel größer, besonders was die Fußsoldaten und sarazenische Bogenschützer betraf. Dazu verfügte Manfred über eine Truppe deutscher Söldnern, die als unbesiegbar galten und von denen Italiener panische Angst hatten. Wohl bemerkt – die Italiener, nicht aber die Franzosen. Im Grunde genommen wäre ausreichend gewesen, sich in den befestigten Städten zu verschanzen und die Armee von Karl von Anjou hätte sich wahrscheinlich selbst aufgelöst. Manfred wollte aber die Plünderung seines Landes vermeiden und dazu verließ er sich auf die zahlenmäßige Überlegenheit seiner Armee. Er stellte sich also den Eindringlingen auf der Brücke über den Fluss Calore vor den Toren von Benevent – und als Heerführer versagte er kläglich. Manfred war ein sehr schöner Mann, ähnlich seiner wunderschönen Mutter Bianca. Er war ein Maecenas der Kunst, er kümmerte sich um den Wirtschaftaufschwung seines Landes, er gründete Städte (eine von ihnen trägt bis heute seinen Namen Manfredonia), in der Kriegsführung kannte er sich aber nicht aus. Also, wenn ich mich schon einmal am Ufer eines Flusses hinter einer Brücke verschanze, hat es keinen Sinn, diese Brücke zu überqueren und den ohnehin verzweifelten Gegner anzugreifen. Dazu noch umgeben von italienischen Baronen, die immer zu einem Verrat bereit waren. Was auch geschehen ist. Im Moment, als die Schacht zugunsten der Franzosen entschieden war, rief sein Berater und Minister, der dem König immer mangelnde Interesse für seine Armee vorgeworfen hatte,  Manfred folgende Worte zu: „Wo sind jetzt deine Sänger und Geiger? Jetzt sollten sie spielen und singen und damit den Feind verjagen!“

Es gelang nicht. Manfred starb in der Schlacht. An der Stelle, wo er seinen Tod fand, steht heute am Ufer des Flusses Calore sein Denkmal „Monumento a Manfredi“. Süditalien ging in die Macht der französischen Familie Anjou über, was man an der ungewöhnlich hohen Zahl gotischer Bauten in dieser Region erkennt – in Monte San Angelo, in Lucera oder in Neapel. Die Italiener selbst haben Gotik als einen fremden französischen Stil großteils ignoriert (Ausnahme Mailand).

Der König von Neapel, Ferdinand, schenkte Benevent Papst Alexander VI. Borgia, der hier ein Herzogtum für seinen Sohn Juan neu gründete. Juan wurde bald danach ermordet, Benevent blieb aber ein Teil des Kirchenstaates.

Benevent ist ein schönes Städtchen mitten von Bergen. Einen Parkplatz hier zu finden war nicht einfach, besonders deshalb, weil es Samstag war und der Platz des Kardinals Pacco, wo sich der Hauptparkplatz der Stadt befindet, als Markt diente, wie es schon in vielen italienischen Städten der Fall ist. Wir fanden letztendlich einen kostenlosen Parkplatz ungefähr 700 Meter vom Stadtzentrum mit seinem gut erhaltenen Mauerring entfernt und ein kleiner Spaziergang schadete nicht. Zu meiner Verwunderung war von den Straßen im Zentrum nur die Hauptstraße Via Garibaldi mit Namen gekennzeichnet, alle anderen Plätzchen und Gässchen hier waren namenslos. Weil aber das Zentrum nicht gerade groß ist, war das für die Orientierung kein echtes Problem, Übrigens weiter im Getümmel der kleinen mittelalterlichen Gässchen fanden wir schon die Namen der langobardischen Herzöge Arechi I. Arechi II. oder des bereits erwähnten Romuald aus Cividale.

Durch Benevent verläuft die Via Appia (über die Brücke Ponte Leproso, die noch viel ursprüngliche römische Bausubstanz hat) und deshalb war diese Stadt auch in den römischen Zeiten bedeutsam. An die erinnert der monumentale Siegesbogen Kaisers Trajan aus dem Jahr 114 n.Ch. am Rande eines schönen Parks. Die kreativen Bürger von Benevent bauten den Bogen in die Stadtbefestigung ein und er diente als Tor „Porta aurea“, also das „Goldene Tor“.

In Benevent befindet sich als eine weitere Erinnerung an die Zeiten des römischen Imperiums ein großes römisches Theater für 20 000 Zuschauer. Es befindet sich mitten in der Stadt, was es ein bisschen schwieriger es zu finden macht. Es wirkt aber trotzdem monumental, obwohl er von Wohnhäusern umgeben ist. Die Sitzreihen sind modern mit neuen Ziegeln umgebaut, damit das Theater auch heute benutzt werden könnte, viel Authentizität kann man aber unter diesen Umständen nicht erwarten.

Eine Erinnerung an die Zeiten der Langobarden ist die Kirche Santa Sofia, neben Brescia die größte frühmittelalterliche Rotunde mit einem Kreisgrundriss und im Inneren mit zwei Säulenreihen. Sie ist in das Weltkulturerbe UNESCO aufgenommen und sie verdient das auch. Der Grundriss mit den Säulen, die die Gewölbe tragen, ließ annehmen, dass es sich hier ursprünglich um einen antiken Tempel handelte – möglicherweise war er der Göttin Juno geweiht. An die Kirche lehnt sich das Benediktinerkloster an. In dem gibt es die größte Attraktion von Benevent, das samnitische Museum „Museo del Sannio“ mit den Exponaten aus der Zeiten der Samniten, Römern und aus dem Mittelalter, als hier Langobarden und Normannen herrschten. Das Kloster selbst mit einem riesigen zweistöckigen Kreuzgang, getragen von eigenartigen Säulen (manche sogar in Knotenform) ist sicher besuchswert. Die Ausstellung ergänzt es dann sehr passend – obwohl hier natürlich ausschließlich italienisch gesprochen wird.

Der Dom von Benevent war etwas enttäuschend. Unter dem Bombenhagel des zweiten Weltkrieges wurde er vollständig vernichtet und in den Fünfzigerjahren neu aufgebaut. Erhalten sind nur die Flügel der Fassade geblieben, das Innere der Kirche ist modern. Auch die Bausubstanz, von außen betrachtet, ist sichtlich neu. Der Krieg hat hier unheilbare Spuren hinterlassen.

Benevent hat noch eine Sehenswürdigkeit. Die Stadt (oder ihre Umgebung) diente als einen Treffpunkt der italienischen Hexen (wie zum Beispiel die Stolzalpe in der Steiermark). Sie ist stolz auf diesen fraglichen Ruhm, wir aßen im Restaurant „Locande dele Streghe“ und ich kapierte endlich, woher das schöne slowakische Wort „Striga“ für eine Hexe stammt.

Ob ich dieses Restaurant mit langobardischen Spezialitäten empfehlen kann, bin ich mir nicht ganz sicher. Das Essen war sehr gut, das Kaninchen einfach köstlich und die Bedienung, an der auch der sieben- oder achtjährige Sohn der Besitzer teilnahm, lieb und schnell. Das Kaninchen auf langobardische Art hat allerdings die erlaubte Höchstgeschwindigkeit in meinen Gedärmen mehrfach überschritten und war bald wieder draußen. Gott weiß warum, vielleicht war das wirklich eine Hexerei. Der Vorteil war, dass man das Essen ohne Angst, zuzunehmen, genießen konnte. Nur, bitte, sollte man das Restaurant nicht zu früh verlassen. Schön warten, bis man von dem Kaninchen wieder verlassen wird.

Trotzdem nahmen wir aus Benevent schöne Erinnerungen mit.

Capua


Capua ist ein kleines Nest mit 18 600 Einwohnern, das kaum eines Besuches wert wäre, hätte es nicht so eine hervorragende Geschichte hinter sich. Heute ist es kaum zu glauben, aber im vierten Jahrhundert v.Ch war es nach Rom die zweitgrößte Stadt in Italien und die Hauptstadt von Kampanien, das damals von einer bunten Bevölkerungsmischung von Osken, den Ureinwohner dieses Gebietes, Griechen, die hier an der Küste zahlreiche Kolonien gegründet, und Samniten, die dieses Gebiet  kurz vorher beherrscht hatten, bewohnt wurde.

Im Jahre 340 erkannte Capua die Vorherschaft Roms an, um sich damit von den Samniten zu trennen. Dafür hat die Stadt einen Status „Halbbürgerschaft“ erhalten, was wir uns darunter immer vorstellen könnten. Die Verbindung zwischen Rom und Capua war für die Römer so wichtig, dass der Konsul Appius Claudius Caecus im Jahre 312 v.Ch den Bau einer Straße veranlasste, die diese zwei Städte verbunden hat. Die Via Appia ist die älteste Straße in Europa, die noch immer benutzt wird – sie wurde später nach Benevent, nach Tarent und Brindisi verlängert, wo sie an der Adriaküste endete. Allerdings konnte sich Capua mit der römischen Vorherrschaft lange nicht abfinden. Im Jahre 216 v.Ch. wurde die Stadt im zweiten Punischen Krieg für 14 Jahre zum Hauptstützpunkt des karthagischen Heerführers Hannibal. Capua blieb Karthago bis zum bitteren Ende des Krieges treu und wurde danach vom Rom „gerecht“ bestraft.

Die Via Appia führt direkt durch die Stadtmitte, nachdem sie den Fluss Volturno über eine römische Brücke überquert hat. Diese Brücke wurde im zweiten Weltkrieg so wie auch der Großteil der Stadt vernichtet, wurde aber vorlagetreu wieder aufgebaut. Was allerdings endgültig zerstört wurde, war das Tor auf dieser Brücke, das im Jahr 1239 Kaiser Friedrich II. bauen ließ. Von dem Tor blieben nur zwei Fundamente übrig. Gerade dieses Tor hatte aber für die Weltkultur eine unermessliche Bedeutung. Hier wurde nämlich das erste Symbol der beginnenden Renaissance erstellt, also der neuen Weltansicht. Gerade hier, in Capua, wurde das Ende des Mittelalters eingeläutet.

Friedrich II. kämpfte während seiner ganzen Regierungszeit mit Päpsten um die Macht. Er beschloss, mit Rom nicht nur auf dem Schlachtfeld zu kämpfen, sondern auch auf dem Feld der Ideologie. Er verstand diesen Kampf komplex und wusste, dass er nur durch Änderung des Denkens der Menschen die Vormachtstellung der Kirche brechen konnte. Unter anderem tat er das durch Gesetzgebung – sein Gesetzbuch von Melfi, in dem er durch seine Gesetze sein Königsreich aus der Jurisdiktion Roms vorsorglich herausgenommen hat, oder durch die Gründung der Universität in Neapel, die als erste Universität keine theologische Fakultät hatte und deren Hauptaufgabe in der Übersetzung der Schriften von Aristoteles lag. Dadurch wollte der Kaiser die kirchliche Ideologie, die auf dem Neoplatonismus beharrte, erschüttern. Was auch gelang, es musste Thomas von Aquin kommen, um diese für den Glauben tödliche Waffe zu entschärfen. Der Kaiser gründete aber auch die „Scuola nuova siciliana“, eine Vereinigung von Malern und Bildhauern, die die gotische Kunst verließen und nach antiken Vorbildern ihre Werke zu gestalten begannen und die vom Kaiser persönlich finanziell unterstützt worden sind.

Im Jahr 1239 entschloss sich der Kaiser zu einer ungehörten Provokation. Direkt an der Grenze seines Reiches in Richtung zum Kirchenstaat, also auf dem Fluss Volturno, ließ er ein Tor in der Form eines römischen Triumphbogens mit Reliefs, die seine politischen Siege feierten, bauen. Was aber ein echter Tabubruch war, war die Tatsache, dass er auf der Vorderseite des Tores also in Richtung Roms, sich selbst und zwei seine wichtigsten, Minister Petrus de Vinea und Thaddeus de Souza darstellen ließ. Lebende Personen darzustellen war im Mittelalter absolut undenkbar, es durften nur Heilige dargestellt werden. Wenn ein Donator einem Heiligen sein Gesicht verleihen wollte, musste er dafür bezahlen. Jetzt schauten in Richtung Rom drei LEBENDE Hauptfeinde der päpstlichen Macht. Möglicherweise dachte Friedrich, dass der Papst unter dieser Provokation vom Schlag getroffen werden könnte, was für ihn auch keine schlechte Lösung seines Streites gewesen wäre. Der Papst hat es aber überlebt, sogar als dieses Werk aus dem Marmor aus der Ruinen des alten Capua im Jahr 1247 fertiggestellt worden ist. Man kann also diesen Triumphbogen des Kaisers als das erste Werk der Renaissance betrachten, als ein Symbol der neuentstehenden Zeit. Die Gesichter von Petrus de Vinea (dieser wichtigste Minister des Kaisers wurde in Capua geboren)und Thaddeus de Souza kann man im Museum in Capua bewundern. Der Kopf des Kaisers ist verschollen, von Franzosen vernichtet. Ich erfuhr zwei Theorien, wie das passierte. Nach der ersten schlugen dem Kaiser Soldaten des Herzogs Karl von Anjou den Kopf ab, als Karl die Macht im Süden Italiens an sich gerissen hat, nach der zweiten waren das Soldaten der Armee Napoleons. In jedem Fall aber Franzosen. Diese bösen Buben!

Die zwei erhaltenen Köpfe durfte ich im „Museo provincionale Capuano“ bewundern. Ein bezauberndes Museum mit reichen Sammlungen. Obwohl ich die Eintrittskarten kaufte, wurde ich nicht hineingelassen, das war lediglich in Rahmen einer Führung möglich. Es erschien wirklich eine junge und hübsche Dame und ich, voll Hoffnung, fragte sie, ob sie Deutsch oder Englisch spräche. Sie schüttelte den Kopf und sagte, natürlich auf Italienisch, dass ihr Onkel in Bolsano perfekt deutsch sprach, sie aber nicht). Es war mir in diesem Moment nicht ganz klar, wie uns der ferne Onkel irgendwo in Südtirol helfen konnte und ob er ihre Führung per Telefon übersetzen würde. Nichts dergleichen passierte. Die Führung erfolgte auf Italienisch und beanspruchte meine Kenntnisse dieser Sprache bis zur äußersten Grenze und weit darüber hinaus. Allerdings strahlte unsere Führerin wie ein Weihnachtsbaum, wenn ich immer, als sie eine Pause eingelegt hat, sagte: „Ho capito.“ Ich machte ihr diese Freude mehrmals, als Belohnung durfte ich die Reste der Statuen von Friedrich II. und seinen Ministern aus dem vernichteten Tor filmen, obwohl das strengst verboten war. Aber auch ihre Dankbarkeit hatte ihre Grenzen. Als ich nach der Kamera das zweite Mal griff, sagte sie kompromisslos „Basta.“ Es kam allerdings ein Moment, in dem sie mit mir SEHR nicht einverstanden war.

In Museo Campano befindet sich nämlich eine absolut eigenartige Statuensammlung. Es handelt sich um sogenannte „matres matutae“, die Mütter mit kleinen Kindern darstellen und noch aus den samnitischen Zeiten stammen. In einer Villa nahe Capua wurden Hunderte solche Statuen, Frauen mit Säuglingen in den Armen, entdeckt. Die Zahl der Kinder bei einer Mutter schwankt zwischen zwei und zehn! Also kein Wunder, das die beliebste Göttin in Kampanien Juno, die Gattin Jupiters (Jovus), war. Beide göttliche Eheleute sind eher unter den griechischen Namen Hera und Zeus bekannt – Hera wird mit einem Spiegel und einem Granatapfel in der Hand dargestellt – Granatapfel war in der griechischen Tradition das Symbol der Fruchtbarkeit und jede Braut musste am Hochzeitstag einen Granatapfel essen. Ich kann es nicht nur für einen Zufall halten, dass gerade in Kampanien der Kult der Gottesmutter Maria so verbreitet ist wie sonst nirgends auf der Welt und eine echte kampanische Madonna mit Christkind auf dem rechten Arm und mit einem Granatapfel in der linken Hand dargestellt wird. Als ich unsere Führerin auf diese Ähnlichkeit der Kulte aufmerksam machte, wurde sie rot im Gesicht und stand meiner Theorie SEHR ablehnend gegenüber. Heidnische Kulte, meinte sie, haben mit christlichem Kult doch ÜBERHAUPT nichts Gemeinsames. Also gut, wenn eine hübsche und liebe junge Dame so denkt, widerspreche ich nicht. Ich behalte meine Meinung für mich. (Und jetzt auch für euch)

Es gibt eigentlich zwei Capuas. Die, über die ich bisher schrieb, ist die neue, von Langobarden im Jahr 856 gegründete Stadt, nachdem die alte im Jahr 840 definitiv von Arabern zerstört worden ist. Anstatt zu versuchen, die Ruinen der antiken Stadt wiederherzustellen, entschlossen sich die Langobarden, die Stadt näher an den Fluss zu verlegen, direkt zum Fluss Volturno, wo man sich bessere Verteidigungsmöglichkeiten erhofft hat. Aus dem Jahr 856 stammt also auch der „Duomo Santo Stefano“, der allerdings mehrmals umgebaut wurde. Die korinthischen Säulen im Atrium, das sehr an den Dom in Salerno erinnert, stammen aus altem Capua.

Der Dom selbst wurde barockisiert, er ist eine dreischiffige Basilika, die Decke ist aber entgegen der Erwartungen nicht flach, sonder eher klassistisch, man merkt, dass die Kirche in den 1200 Jahren ihrer Existenz viele Umbaus durchgemacht hat. Nur der Kampanille ist noch original aus langobardischen Zeiten. Der Antik begegnet man in Capua überall, sogar in den Mauern der Amtsgebäude mit der Anschrift SPQC (senatus et populus capuanus) findet man Köpfe von antiken Statuen. Das Baumaterial wurde offensichtlich Großteils aus der alten Stadt gewonnen.

Die alte Capua heißt heute Santa Maria Capua Vetere und ist ungefähr fünf Kilometer von der neuen Stadt entfernt. Vor hier ist einmal die größte Gefahr für das römische Reich ausgegangen, vielleicht sogar größer als von Hannibals Feldzug. Jeder von uns hat vom Sklavenaufstand des Spartakus gehört, der Rom Jahre in größter Bedrängnis gehalten hat. Im Jahr 73 v.Ch kam es zum Aufstand von ca. 70 Gladiatoren in der Gladiatorenschule des Gnaeus Cornelius Lentulus Battianus und die Aufständischen zogen zum nahen Vesuv. Dort errangen sie die ersten Siege über die römischen Truppen, für zwei Jahre brachten sie die römische Macht in Italien zu Fall, bis sie im Jahr 71 v.Ch. besiegt wurden. Spartakus wurde zum Thema zahlreichen Romane, Filme und Fernseherserien, die größte Berühmtheit erreichte der Film mit Kirk Douglas in der Hauptrolle. Warum es gerade in Capua zu dem Aufstand kam, hat eine Logik. Kampanien war bereits damals der Ausflugsort für die Römer, die besonders im Sommer aus der stinkenden Hauptstand ans Land flüchteten. Die Gladiatorenspiele waren dann eine willkommene Unterhaltung. Wie bereits gesagt, Capua war eine große Stadt, die Provinzhautstadt, bis es als Ort der Unterhaltung von Pompei abgelöst wurde.

Das Amphitheater, das man heutzutage bewundern kann, erinnert selbst an die Zeiten von Spartakus nicht, es wurde im zweiten Jahrhundert von Kaiser Hadrian gebaut, also zweihundert Jahre nach Spartakus. Das Amphitheater hatte Platz für 50 000 Zuschauer und nach dem Kolosseum im Rom war es das zweitgrößte (Verona würde jetzt heftig protestieren)  An Kaiser Hadrian erinnern die Reste eines Triumphbogens, der sich auf der Straße zwischen beiden Capuas befindet. Man kann das Amphitheater besuchen, interessanter als der monumentale überirdische Bau ist der unterirdische Teil mit den Käfigen für wilde Tiere und mit dem Weg, auf dem  die Gladiatoren auf ihrem Weg zum Ruhm oder Tod marschierten. Ein Teil des Amphitheaters ist das „Museo dei Gladiatori“ mit Erklärung der Ausrüstung und den Kampfarten der Gladiatoren mit einer Tonbegleitung.

Im alten Capua befindet sich auch ein unterirdischer Tempel des Mithra aus dem zweiten Jahrhundert v. Ch. mit schlecht erhaltenen Wandmalereien. Der Kult des Mithra kämpfte bis zum vierten Jahrhundert mit dem Christentum um die Position der monotheistischen Religion, die die alte polytheistische Religion ablösen sollte. Mithra verlor, wahrscheinlich deshalb, weil zu seinem Kult Frauen keinen Zutritt hatten. Zur Anmeldung für einen Besuch des Mithratempels muss man sich bei dem Kauf des Tickets im Amphitheater anmelden.

Auf dem Corso Garibaldi gibt es die Möglichkeit das „Museo archeolgico dell´Antica Capua“ zu besuchen. In meiner Frau kam es aber gerade zu dieser Zeit im alten Capua zum Aufstand der Meeresfrüchte, die wir am vorigen Tag gegessen hatten. Die Rückreise nach Salerno war also sehr kompliziert und wir mussten nicht nur dieses Museum, sondern auch das Versailles von Neapel – den Palast in Caserta, aus unserem Programm streichen.

Salerno und Costiera cilentana


Am 8. September 1943 schlug die Sternstunde der neapolitanischen  Camorra. An diesem Tag kam sie zur Macht, die sie bis heute behält. In Kampanien bildet diese kriminelle „Familie“ parallele Strukturen zu den staatlichen und wenn man keinen Arbeitsplatz im staatlichen Dienst bekommt, ist man gezwungen, zu einem „Paten“ zu gehen und bei ihm um eine Arbeit zu bitten. Camorra besitzt oder kontrolliert 70% des Privatsektors in Kampanien. Ihr märchenhafter Aufstieg begann an diesem Tag, dem 8.September 1943, als Alliierten in der Bucht von Salerno landeten.

Die Zeiten waren damals sehr unruhig. Als es Alliierten gelang, im Juli 1943 auf Sizilien zu landen und die dortigen italienische und deutsche Truppen zu besiegen, rief König Vittorio Emanuelle  III. Mussolini vom Posten des Premierministers ab und ließ ihn internieren. Zuerst auf der Insel Ponzo in der Inselgruppe La Maddalena bei Sardinien und dann im einem Luxushotel Campo Imperatore im Gebirge Gran Sasso nahe l´Aquilla. Am 3.September schloss er dann Waffenstillstand mit den Alliierten. Die Deutschen aber, die die strategische Bedeutung Italiens gut erkannten, waren nicht bereit, dieses Land aufzugeben und marschierten in Italien ein, um dort die Macht zu übernehmen. Am 12.September wurde Mussolini von einem Kommando unter der Führung des Obersten Skorzeny befreit und nach Deutschland ausgeflogen.

Die Zeit drängte, die Alliierten brauchten dringend eine schnelle Landung auf dem italienischen Festland und wollten dabei keine großen Verluste hinnehmen. Sie traten in Verhandlung mit Mafiachef Lucy Luciano, der seit 1936 in einem Gefängnis in den USA saß. Er vermittelte einen Kontakt zu der kampanischen Mafia – Camorra – und diese bereitete alles für eine erfolgreiche Landung in der Bucht von Salerno vor. Als Belohnung für ihre Dienste übernahm sie danach die Verwaltung der internationalen Hilfe inklusiv des Marschallplans. Und mit diesem Geld legte sie den Grundstein ihrer Machtstellung in der Region. Die amerikanische Regierung sowie auch Lucy Luciano selbst haben diese Verhandlungen immer dementiert, es ist aber eine Tatsache, dass Luciano, der im Jahre 1936 zu 30 – 50 Jahre Haft verurteil worden war, im Jahr 1946 freigelassen und des Landes verwiesen wurde – direkt nach Kampanien. Ich glaube nicht, dass die Amerikaner in der Mathematik so schwach waren.

Die Stadt Salerno, der Zentralpunkt der Bucht mit einem großen Hafen und mit Industrie, wurde aber trotzdem am 8.September 1943 stark beschädigt und konnte sich von dieser Zerstörung nie mehr wirklich erholen. Also wenn man nach Salerno kommt, wird man von breiten Straßen mit hohen Wohnhäusern aus der Nachkriegszeit begrüßt, die bereits Anstrich und sogar Ziegel auf den Balkonen verlieren. Ein echtes architektonisches Juwel ist diese Stadt sicher nicht. Trotzdem ist sie eines Besuches wert. Sie hat nämlich eine ruhmreiche Geschichte hinter sich.

Im Jahre 1076 nahmen Soldaten des normannischen Herzogs Robert Guiscard die Stadt ein und vertrieben den letzten langobardischen Herrscher. An diese Zeit erinnert die größte Sehenswürdigkeit der Stadt, der Duomo San Matto. Das imposante Gebäude im normannisch-arabischen Stil ließ Robert Guiscard im Jahr 1080 bauen. Der Bau ist nur durch die Fassade aus dem 19.Jahrhundert entstellt, sonst ist er aber sicherlich eines Besuchs wert. Das riesige Atrium vor der Kirche ist von 28 Marmorsäulen aus Paestum umrahmt, die Bögen zwischen den Säulen sind schmal, es ist die typische Symbiose des romanischen und arabischen Stils, die sich Normannen aneigneten und benutzten. Auf Sizilien kann man sie an vielen Orten sehen. Die Bronzetür der Kirche stammt aus Konstantinopel, wie es in dieser Gegend öfter vorkommt und in der Kirche sind zwei beinahe filigranartige Kanzel aus dem 12.Jahrhundert am schönsten.

In der Kirche gibt es Gebeine von zwei Heiligen. Über den ersten muss man nicht streiten. Die Überreste des heiligen Evangelisten Matthäus sind in der barocken Krypta aufbewahrt. Laut einer Legende wurden sie von Äthiopien, wo er den Märtyrertod starb, im neunten Jahrhundert nach Paestum überführt und so wurde er zum Patron der Region Kampanien. Von dort wurden seine Gebeine nach Salerno transportiert, als sich die Bewohner von Paestum unter ständigen arabischen Angriffen entschlossen haben, die Stadt zu verlassen. Über die Echtheit der Gebeine dürfen wir natürlich streiten, Normannen hielten aber an dem Heiligen fest.  Die Krypta ist mit Stukatur und vielen Gemälden geschmückt und hier finden Hochzeiten statt – das Ehegelöbnis beim Grab des heiligen Evangelisten hat natürlich einen besonderen Reiz.

Das Grab des zweiten Heiligen befindet sich in einer Kapelle rechts vom Hauptaltar. Sein Bild gibt es hier auch in der Mosaikform, sogar mit seinem Namen.

Ich gebe zu, dass ich mit diesem Heiligen nicht gerade kleine Probleme habe. Es handelt sich um Gregor VII, den Papst, der den Investiturstreit ausgelöst und Europa damit für lange Jahrhunderte in einen blutigen Krieg zwischen der weltlichen und der geistlichen Macht verstrickt hat. Seine Heiligsprechung kann ich also nur als eine reine politische Tat  verstehen. Gregor VII., mit eigenem Namen Hildebrand von Soana, wurde  am 22. April 1073 vom römischen Volk zum Papst ausgerufen. Die Kardinäle wurden zur Wahl gar nicht zugelassen, wenn sie überleben wollten, mussten sie die Wahl zähneknirschend akzeptieren. Hildebrand  zögerte, die päpstliche Tiara auf diese Art zu empfangen, aber das Volk schleppte ihn in die Kirche San Pietro in Vincoli und setzte ihn auf den Thron.  Und die Geschichte nahm ihren Lauf. Bereits im Jahr 1074 rief der Papst eine Versammlung zusammen und richtete dem jungen deutschen König Heinrich IV. klar aus, dass er sich für den Herrn über alle Kirchenmänner auf der ganzen Welt halte und nur er allein über ihre Ernennung entscheiden dürfe. Er forderte alle Bischöfe, die sich ihre Ämter mit Geld gekauft hatten (der König war der größte Empfänger dieses Geldes) auf ihre Ämter unter der Androhung des kirchlichen Bannes  zu verzichten. Es begann der Kampf um die Herrschaft über unsere bekannte Welt, der so genannte Investiturstreit. Das Ziel des Papstes war einen universalen kirchlichen römischen Staat zu gründen, in dem die einzelnen Länder nur kirchliche Lehnen darstellen sollten. Im Jahr 1076 exkommunizierte er den König und zwang ihn zum demütigenden Weg nach Canossa. Dort ließ er ihn vom 25. bis 27. Januar 1077 drei Tage lang in Schnee und Frost barfuß vor der Burg stehen. Es spricht für eine hervorragende körperliche Verfassung des Königs, dass er die drei Tage ohne größeren gesundheitlichen Schaden überstanden hat. (er war letztendlich nur 28 Jahre alt und offensichtlich pumperlgesund). Danach beugte er sich dem Papst, versprach seine Vormacht zu akzeptieren und seine Exkommunikation wurde vom Papst aufgehoben. Der König kehrte nach Deutschland zurück, machte mit denen, die den Papst unterstützt hatten, kurzen Prozess und festigte seine Macht.  Der Papst bereute seine „Großmütigkeit“, im Jahr 1080 exkommunizierte er den König das zweite Mal, diesmal aber ohne Erfolg. Der Schreck dieser Maßnahme verblasste bei der Wiederholung. Der Kaiser marschierte mit seinen Truppen in Rom ein und ignorierte den Papst, der sich in der Engelsburg versteckte. Gregor suchte verzweifelt nach Verbündeten und wurde in Robert Guiscard, der eigentlich ebenso wie der Kaiser seit 1074 mit einem kirchlichen Bann belegt war, fündig. Jetzt wurden die Plündereien des Normannen im Kirchenstaat vergessen, der Bann feierlich aufgehoben und Robert Guiscard wurde vom Papst mit allen Gebieten, die er erobert hatte, als päpstlichem Lehen belohnt. Robert Guiscard hatte aber genug eigene Sorgen als der König am 21.April 1082 feierlich durch das Tor San Giovanni in Rom einzog. Der König erklärte den Papst für abgesetzt, ließ im Lateran seinen eigenen Papst Klement III. weihen und der hat ihn im Gegenzug zum Kaiser gekrönt. Nur dann erschien Robert Guiscard mit seinen Truppen vor der Stadt. Der Kaiser konnte sich dieser Armee nicht stellen, er verließ die Stadt still am 21.Mai. Normannen zogen am 27.Mai in Rom ein und begannen die Stadt zu plündern. Römer, die Widerstand leisteten, wurden erbarmungslos ermordet. In der Stadt entstanden Brände, von Rom blieb nur ein Drittel unzerstört. Nach so einem Massaker, das auf  Einladung des Papstes stattgefunden hat, durfte Gregor VII. nicht einmal daran denken, in Rom zu bleiben. Er ging mit den Normannen nach Salerno und starb dort am 25. Mai 1085 in der Verbannung. Er war ein gebrochener Mann, der seinen Machtkampf verloren hat. Er fand aber würdige Nachfolger wie Innozenz III oder Innozenz IV, die in der Mitte des dreizehnten Jahrhundert die kaiserliche Macht gebrochen haben. Der Beschützer des Papstes und Plünderer von Rom Robert Guiscard überlebte Gregor VII. nur um knappe zwei Monate.

Im Jahr 1606 wurde Gregor VII, den seine Zeitgenossen „der heilige Satan“ oder „Höllenbrand“ nannten, vom Papst Paul V. heilig gesprochen. Wenn man bedenkt, wie vielen unschuldigen Menschen seine Politik das Leben kostete, habe ich mit seiner Heiligsprechung wirklich  große Probleme. Sein Grab besuchte ich trotzdem.

Salerno ist aus noch einem Grund berühmt. Hier gab es die erste medizinische Schule in Europa. Seit neuntem Jahrhundert wirkte hier die „Scuola medica salertiana“, hier überlebte die griechische Medizin und wurde weiter entwickelt. Die Schule war so berühmt, dass bei der Gründung der Universität von Neapel der Gründer, Kaiser Friedrich II., die medizinische Fakultät weiterhin disloziert in Salerno ließ. Ein kleines Museum (Museo virtuale) ist in einer kleinen, weiß gestrichenen Kirche des heiligen Gregor untergebracht. Außer des Videos über die Geschichte der Medizin bietet es nicht zu viel, aber für Liebhaber der medizinischen Geschichte ist sicher interessant. Auf die Öffnungszeiten kann man sich nicht ganz verlassen. Wir kamen in der Zeit, in der das Museum laut Reiseführer offen sein sollte, war es aber nicht. Montags ist das Museum, egal was der Reiseführer schreibt, – geschlossen.

Viel mehr gibt es in Salerno nicht zu sehen. Natürlich gibt es hier einen Hafen, von wo aus man nach Amalfi, Possitano oder Capri fahren kann, einen großen Park und eine mit Palmen und Bäumen umrahmte Promenade am Meeresufer und eine Burg. Obwohl Castello Arechi nicht gerade leicht erreichbar ist. Sie steht auf einem Hügel hoch über der Stadt, aus meiner Sicht Ende August viel zu hoch über der Stadt, man muss sogar auf einem Wege die Autobahn durch eine Unterführung durchqueren, man hat die Autobahn dann unter sich. Im Castello gibt es ein Museum zur Stadtgeschichte und einen wunderschönen Blick auf die Stadt und die Bucht von Salerno.

Wir wählten Salerno, eigentlich das Hotel Olimpico in seiner Nähe (Pontacaiano-Faiano) als  Ausgangspunkt fürs Kennenlernen Kampaniens und wie bereuten diese Entscheidung nicht.  Das Hotel selbst war lieb, mit einem eigenen gepflegten Strand nur über der Straße und mit einem reichen Frühstückbuffet mit viel Obst. Sein alter Besitzer grüßte abends die Gäste im  Restaurant, angezogen in einem perfekt passenden Anzug mit einer Fliege, um morgens in einer Papiermütze Waffeln zu  braten. In die Stadt führte uns ein Hotelangestellter, den wir „Speedy“ nannten. Er schaffte es auf der Straße mit Geschwindigkeitsbegrenzung von siebzig Kilometern mit hundertzwanzig in die Kurve zu fahren und dabei mit seiner Freundin zu telefonieren – sein Handy natürlich am Ohr haltend. Meine Frau, die wegen ihrer Kinetose auf dem Vordersitz sitzen wollte, mochte ihn für seine Fahrstil nicht wirklich. Ich versuchte mit ihm mit meinem gebrochenen Italienisch zu kommunizieren, was zu Folge hatte, dass er mich am dritten Tag erstaunt anschaute und sagte: „Hören Sie zu, sie sprechen mit mir Italienisch?“ „Ja, schon den dritten Tag,“  bejahte ich. Er wurde still, für eine Weile wirkte er depressiv und verlangsamte (in der Stadt) auf neunzig Stundenkilometer. Er bewunderte wahrscheinlich alle die drei Tage sein eigenes Talent Englisch zu verstehen oder das, was er für Englisch hielt und die Erkenntnis, dass es die ganze Zeit seine Muttersprache war, traf ihn direkt ins Herz.

Es war von dort überallhin nah. Nach Pompei, nach Herculaneum, Amalfi, Vesuv. Nach Neapel fuhren wir mit dem Zug aus Salerno und sogar Benevent war nicht zu weit entfernt.

Ein sehr schöner Teil des Landes ist Cilento. Costiera Cilentana ist am südlichen Ufer der Bucht von Salerno, Amalfitana am nördlichen. Cilentana beginnt in der Stadt Agrópoli, deren Altstadt hoch über das Meer emporragt. Wir stellten das Auto in der Neustadt ab und dann glich der Aufstieg auf breiten Stiegen zur Altstadt einer Bergwanderung. Die Belohnung war ein unglaublich fantastischer Blick über die ganze Bucht von Salerno. Die Kirche in der Altstadt ist der Jungfrau Maria von Konstantinopel gewidmet, der Beschützerin der Matrosen. Wir aßen in einem kleinen Restaurant auf einer Terrasse hoch über dem Meer. Als Vorspeise gab es natürlich eine Mozzarella buffalla, weil ohne sie in Kampanien gar nichts geht. Auf dieses Lokalprodukt sind die Einheimischen besonders stolz. Dann bestellte ich frittierte Fische aus dem Fang des Tages. Ich muss dazu sagen, der Fang des Tages war eindeutig miserabel. Meine Frau lachte, dass der Wirt wahrscheinlich die Fische seinem Sohn aus seinem Aquarium fischen musste und suchte die ganze Zeit den verzweifelt weinenden Buben. Es gab keinen solchen. Auf der Spitze der Stadt gibt es die mit einer Brücke mit der Stadt verbundene Festung Castello Aragonese mit dem unglaublichen Ausblick, wenn euch die ganze Welt wortwörtlich zu Füßen liegt.

Noch bevor man Cilentana einfährt, muss man Paestum besuchen, eine der größten Ausgrabungsstätten in Italien. Die Stadt wurde einmal von Griechen aus Sybaris gegründet, die die Stadt zu Ehre des Gottes Poseidon Poseidonia nannten. Als die Stadt im Jahre 273 v.CH von Römern erobert wurde, umbenannten sie die Stadt zu Paestum.    Die Stadt ist mit einer beinahe fünf Kilometer langen und fünf Meter dicken Mauer umgeben, trotzdem war diese Mauer nicht stark genug, um die Stadt vor den Einfällen der Arabern zu schützen, deshalb gaben die Bewohner die Stadt im neunten Jahrhundert auf. Sie wurde im Jahre 1752 neu entdeckt und heute gibt es hier Ausgrabungen auf einem riesigen Gebiet, obwohl nur ein kleiner Teil der Stadt bisher freigelegt wurde. Besonders der repräsentative Teil mit Tempeln von Poseidon, Apollo, Hera oder Athena. Sie werden alle von monumentalen dorischen Säulen getragen, manche haben sie sogar noch die Cella, also den inneren Teil des Tempels. Man sieht auch ein großes Forum sowie auch das Gymnasium.  Eine Kuriosität ist der Tempel der Göttin Fortuna, also der Glücksgöttin, vor dem sich ein Schwimmbecken befindet. Jedes Jahr mussten alle Frauen der Stadt im fertilen Alter ein Bad in diesem Becken nehmen, um fruchtbar zu bleiben. Ob dort nur die Verheirateten baden mussten oder auch die Unverheirateten, erfuhr ich nicht. Das Amphitheater wird schonungslos durch eine Straße „Via Magna Grecia“ in zwei Teile getrennt, die im Jahre 1829 König Franz I. von Neapel bauen ließ, um eine Verbindung mit dem bis dahin verkehrsmäßig vollkommend abgeschnittenen Kalabrien zu schaffen. Er wurde offensichtlich durch gute Absichten getrieben, heute könnte man angesichts des Ergebnisses vom Schlag getroffen werden. Im Museum von Paestum gibt es eine Menge an Gräbern mit Bildern auf dem Verputz auf der Innenseite der Grabsteine. Auf den Mauern der Gräber gibt es am häufigsten Bilder von Gastmählern, für besonders kampfsüchtige Tote gibt es aber auch Bilder von Schlachten oder Jagd. Das berühmteste ist das Bild des Tauchers, der ins Wasser springt. Ob es sich dabei wirklich um einen Sprung ins Wasser oder um einen symbolischen Sprung  in die Ewigkeit handelt, hat noch niemand beantworten können.

Dann fuhren wir weiter auf den Serpentinen der Cilentata. Wir erreichten die Ruinen der Stadt Elea/Velia (35 km von Agrópoli entfernt), wo einmal die Philosophen Xenophanes, Parmenides und Zenon tätig waren, nicht. Es war notwendig, baden zu gehen. Tief unter der Straße sahen wir ein Städtchen mit einem langen sauberen Schotterstrand und wir entschlossen uns, dort eine Pause zu machen. Dieses Städtchen oder eher ein Dörfchen hieß Pioppi. Der Strand war sehr schön. Als wir uns im Meer erfrischt hatten, brachen wir zu einer Stadtbesichtigung auf. Und wir fanden zu unserem  Erstaunen eine große Luxusvilla, in der sich das „Museum der Mediterraner Kost“ befand. Es war geschlossen, trotzdem ließ mich diese Entdeckung nicht in Ruhe und ich habe nachgeforscht. Ich wollte mehr wissen. Ich fand eine wunderschöne Geschichte.

In Boston in den USA lebte und wirkte ein berühmter Physiologe Ancel Keys. Er beschäftigte sich mit der Auswirkung der Diät auf kardiovaskuläre Erkrankungen. Im Jahr 1950 veröffentlichte er ein Buch von 1400 Seiten „The Biology of Human Starvation“, das als Bibel für die gesunde Ernährung galt. Als er mit siebzig Jahren in die Pension ging, machte er einen Urlaub in Italien und machte im Jahr 1975 in Pioppi halt – und wahrscheinlich das erste Mali im Leben hat er köstlich gegessen. In Folge dieses Erlebnisses verwarf er alle seine Theorien und begann die italienische Küche zu studieren. Er stellte fest, dass sie nicht nur gut, sondern sogar gesund sei. Sein Buch „How to eat well and stay well the Mediterranean way“ (1975) über die mediterrane Kost wurde zu einem Bestseller – natürlich auch deshalb, da es ein so berühmter Experte schrieb und der Mythos der „Mediterraner Küche“ war geboren. Und lebt bis heute. Weil Ancel Keys 101 Jahre alt wurde (nur ein Jahr vor seinem Tod verließ er seine Villa in Pioppi, wo er 28 Jahre gelebt hatte, und kehrte in die USA zurück), galt die gesunde Wirkung der mediterranen Diät auf den menschlichen Organismus als bewiesen.

Also, wenn Sie von Paestum nach Velia fahren, vergessen Sie einen Stopp in Pioppi nicht. Es ist winzig klein, lieb und historisch UNGEHEURLICH wichtig. Hier wurde eine Kultur geboren, der wir täglich in unserer eigenen Küche begegnen.

Bei dieser Gelegenheit darf ich eine Bemerkung zu einem nicht wegdenkbaren Teil der mediterranen Diät, nämlich zum Rotwein, nicht auslassen. Auf dem geriatrischen Kongress im Jahr 2012 kam es zu einer Diskussion, ob der Rotwein für alte Menschen von Vorteil sei oder nicht. Über das  Nutzen kam es zu keinem wirklichen Streit, die Frage war nur, wie viel soll oder darf ein alter Mensch davon genießen. Ob ein Achtel oder zwei und ob einmal pro Woche oder einmal pro Tag. Die Diskussion wurde von einem alten italienischen Professor beendet. Er nahm das Mikrofon  in die Hand und bestimmte die Menge des Rotweines fürs Erreichen des hohen Alters mit folgenden Worten: „So viel, wie sozial akzeptabel.“

Also Prosit!“

 

 

 

Capri


Diesmal wurde ich von Bekannten und Freunden gewarnt. Auf Capri hat man nichts verloren. Tausende Menschen in engen Gassen, wo man nur schwer durchdringen kann, ein paar Luxusgeschäfte und Hotels und vor allem übertriebene Preise. Wir überlegten also ganz ehrlich, ob wir uns so einen Ausflug antun sollten. Gegen alle diese Argumente stand nämlich noch immer die Tatsache, dass sich dort eine Villa befindet, von der aus einmal Kaiser Tiberius über die ganze damals bekannten Welt geherrscht hat. Meine Seele eines Historikers lief Sturm gegen den Gedanken, dass ich so nah war und trotzdem das nicht gesehen hatte. Wir dachten nach und beschlossen, dass es bereits Mitte September sei und damit der Hauptstrom der Touristen hoffentlich vorbei sein könnte und wir den Besuch doch überleben dürften. Ehrlich gesagt, es sah so aus, dass wir in diesem Punkt geirrt hatten. Schwer zu sagen, wie es in der Hauptsaison aussieht, aber auch im September war die Insel stark übervölkert. Trotzdem haben wir unseren Besuch nicht bereut.

Capri muss man mit dem Schiff besuchen, es ist letztendlich eine Insel. Man kann von überall hinfahren – aus Neapel, aus Salerno, Amalfi oder Positano, der stärkste Besucherstrom kommt aber aus hunderten Hotels in Sorrent – darüber habe ich bereits in meinem letzten Artikel über „costiera amalfitana“ geschrieben. Wir fuhren aus dem ziemlich entferntem Salerno hin und aus diesem Grund, obwohl wir früh aufgestanden sind, waren wir nicht unter den ersten Besuchern. Was natürlich absolut fatal war.

Die größte Attraktion der Insel ist nämlich die Blaue Grotte. Dank ihrer Bekanntheit wurde die Insel zu einem touristischen Magneten. Seit den Zeiten des Kaisers Tiberius kümmerte nämlich der Felsen Mitte im Meer niemanden mehr. Hier lebten nur Ziegen, nach denen die Insel ihren Namen bekam und ein paar frustrierte Einheimische, die neidisch zu einer anderen und glücklicheren Insel schauten, nämlich nach Ischia auf der anderen Seite der Bucht von Neapel, die dank ihren direkt aus dem Meerboden entspringenden Thermalquellen von Touristen überströmt war. Bis einer von ihnen ein bestimmter Giuseppe Pagano, der Besitzer eines der wenigen Herbergen auf der Insel, von einer genialen Idee heimgesucht wurde. Im Jahr 1826 nutzte er die Tatsache, dass bei ihm der deutsche Dichter August Kopisch mit seinem Freund Ernst Fries Unterkunft fanden und arrangierte eine „Entdeckung“ der Blauen Grotte. „Rein zufällig“ stach er mit seinem Boot einmal nachmittags mit beiden Künstlern ins Meer und „verirrte sich“ in die Grotte mit magischem blauen Licht, das durch das Wasser hineindrängte und alle drei Besucher erstaunten über dieses Naturwunder, das noch „niemand gesehen hatte“. Pagano verschwieg diskret, dass gerade aus diesem Grund bereits in römischen Zeiten über der Grotte eine Luxusvilla stand. Beide Deutschen waren von der Entdeckung begeistert und Kopisch schrieb über dieses Ereignis ein enthusiastisches Gedicht. Bald danach wurde aus der vergessenen Insel in Sichtweite vor der Küste von Sorrent ein touristisches Paradies, Giuseppe Pagano wurde ein reicher Mensch und das Hotel „La Palma“, das aus seiner ehemaligen Herberge entstand, ist heutzutage eine Luxusresidenz – ehrlich gesagt, gibt es aber auf Capri keine anderen als luxuriösen Unterkünfte. Die Versuche hier Sanatorien zur Behandlung der Lungenkrankheiten, wie es einmal ein idealistischer schottischer Arzt im Jahr 1845 versuchte, waren zum Scheitern verurteilt, der Mammon besiegte alle Idealisten und bereits im Jahr 1860 wurde aus dem Sanatorium ein Hotel, das heute das luxuriöseste auf der Insel ist, das Fünfsternehotel Quisiana. Ich las  eine Lobeshymne einer britischen Touristin, die ein magisches romantisches badeanzugfreies Bad beschrieb, wobei die Körper der Badenden im Wasser wie versilbert wirkten. Das mag natürlich wahr sein. Als wir aber unseres Schiff verließen und auf der Mole eine unendliche Schlange vor dem Verkauf der Tickets für die Überfahrt zu Blauen Grotte sahen, in der britische Touristen mit nicht besonders jungen und durch übermäßiges Konsum von „baked beans“ und „ham and eggs“ ziemlich gezeichneten Körper überwogen, konnte ich mir nicht vorstellen, das es romantisch sein könnte, auch wenn diese majestätische Figuren nicht nur versilbert aber sogar vergoldet wären. Wir verzichteten also auf den Besuch der Blauen Grotte. Um den Besuch zu genießen, müsste man wahrscheinlich auf der Insel übernachten und für entsprechendes Schmiergeld die Grotte noch vor  Sonnenaufgang besuchen, in jedem Fall noch früher als in Marina Grande Schiffe aus Sorrent zu landen beginnen und Mengen an Tagestouristen ausspucken.

Aus dem Hafen, also der Marina Grande (auf der anderen Seite der Insel gibt es noch die Marina Picola, also „der kleine Hafen“ wo aber keine touristischen Schiffe anlegen) führt ein Lift also „Funiculare“ in die Stadt. Weil auch hier eine Menschengedränge war, entschlossen wir uns in die Stadt aus eigener Kraft aufzusteigen. Dabei unterschätzten wir eindeutig den Höheunterschied von zweihundert Metern sowie auch die Tagestemperaturen oberhalb der Dreißiggradmarke. Es brauchte eine bestimmte Überwindung, wir schafften es aber trotzdem und der Hauptplatz von Capri war nicht mehr so übervölkert wie der Hafen (dafür aber die Blaue Grotte). Es war doch bereits Mitte September und so konnte man in den Kaffeehäusern sogar ab und zu einen freien Stuhl finden.

Ich wollte aber unbedingt zum Kaiser Tiberius. Zu seiner „Villa Jovi“ auf dem östlichen Kap der Insel geht man durch enge Gässchen zwischen Gärten und Villen. Praktisch der ganze Weg vom Stadtzentrum bis zur Villa ist verbaut. Es hat einen Vorteil, die engen Gassen bieten Schutz vor der Sonne. Es fahren hier auch Autos, allerdings sehr klein und nur für eine Person, größere würden nicht hinein passen. Sie befördern Pensionisten, die den Weg zum Fuß nicht schaffen würden. Wir haben es geschafft. Die Reste des Kaiserpalastes sind auch heute noch beeindruckend. Die Villa ließ bereits  Kaiser Augustus bauen, der aus der damaligen Sicht nämlich unverständlich, die Insel Ischia, die in seinem Besitz war, für Capri austauschte. Tiberius ließ die Villa ausbauen und verlegte das Machtzentrum des Römischen Reiches hierher.

Tiberius war kein schlechter Kaiser, egal was über ihn Tacitus oder Suetonius schreiben. Sie beschrieben die Meinung der reichen Römern, Patrizier und Ritter, die für den strengen Herrscher wirklich keine Liebe empfinden konnten. Er war ein tüchtiger Soldat und Beamter. Vor dem Feldzug seiner Armee in den Bereich des heutigen Böhmens, der damals von germanischem Stamm der Markomannen besiedelt war, bewahrte diese Region nur die Tragödie der Legionen des Varus im Jahr 6 nach Christus im Teutoburger Wald. Leider hatte Tiberius eine sehr ehrgeizige Mutter namens Livia und das war sein Fluch. Livia ließ sich vom Vater des Tiberius scheiden, als der Bursche gerade drei Jahre alt war (sie war in dieser Zeit schwanger mit einem zweiten Kind – mit dem späteren Heerführer Drusus). Die Schwangerschaft hinderte sie allerdings nicht, Oktavianus, den späteren Kaiser Augustus, zu heiraten und diesen konnte sie dann erfolgreich das ganze Leben lang beherrschen und manipulieren. Es wird ihr nachgesagt, dass sie alle drei Enkelsöhne des Augustus, also die Söhne von Augustus Tochter Julia, die sie mit dem Freund des Augustus Agrippa hatte, hat umbringen lassen. Nach Agrippas Tod zwang sie Tiberius, sich von seiner geliebten Frau scheiden zu lassen und die verwitwete Julia zu heiraten. Sie verheiratete somit ihren eigenen Sohn mit ihrer Stieftochter. Augustus adoptierte in weitere Folge Tiberius und ernannte ihn zu seinem Nachfolger. Das war ein Glück, nach dem sich Tiberius – in Gegenteil zu seiner ehrgeizigen Mutter – überhaupt nicht gesehnt hatte und er musste dafür teuer bezahlen. Julia war nämlich eine Nymphomanin und der zurückhaltende Tiberius konnte ihren sexuellen Appetit bei bestem Willen nicht befriedigen. Als sie schon beinahe mit dem gesamten Rom schlief, erfuhr es Augustus (es gibt seinen legendären Aufruf: „Gibt es in Rom jemanden, der noch nicht mit meiner Tochter schlief?“) und er schickte sie in Verbannung.

Tiberius konnte des Rufes des Gehörnten nie mehr los werden und als er dann tatsächlich  Herrscher wurde, ging ihm das ganze spottische Rom wahnsinnig auf die Nerven. Letztendlich meinte er, er hätte die Schnauze voll und übersiedelte nach Capri. Von dort aus konnte er effektiv das Reich beherrschen und der Spott aus der Hauptstadt erreichte ihn hier nicht. Übrigens, sobald der Kaiser weg war, verloren die Verleumdungen und Spott auch ihren Sinn und verstummten langsam. Giftige Scherze wurden vor Angst abgelöst, da in der Hauptstadt anstatt  des Kaisers die Präfekten der Prätorianergarde Seianus und nach ihm Macrus tobten. Bereits in der Zeiten des Augustus gab es ein Gesetz über Majestätsbeleidigung und dieses wurde jetzt häufig angewendet, besonders gegen die Reichen, deren Besitz dann von Seianus konfisziert werden konnte. Als sein Treiben bekannt wurde, ließ Tiberius Seianus aus seinem Exil auf Capri mit seiner gesamten Familie hinrichten (Seianus Töchter mussten vor der Hinrichtung vergewaltigt werden, da römische Gesetze eine Hinrichtung Jungfrauen verbaten). Allerdings ging es den Senatoren und Rittern unter Seianus Nachfolger Macrus nicht besser.

Tiberius ließ die Villa auf Capri monumental ausbauen, sie musste den Regierungsgeschäften dienen, zugleich aber auch dem alternden  Kaiser, der an einer Hautkrankheit litt, den notwendigen Komfort bieten. Es lebten hier inklusiv Dienerschafft dreihundert Menschen. Gigantische Zisternen, die erhalten blieben, dienten als Wasserreservoirs für die kaiserliche Therme, die einen ganzen Trakt der Villa einnahmen. Hoch über die Küste gegenüber dem Kap des sorrentischen Festlandes ließ sich der Kaiser eine Kolonnade bauen, wo er hoch über das Meer spazieren konnte. Er wählte den Ort richtig und mit gutem Geschmack, obwohl heute der Ausblick von Bäumen reduziert wird, ist er noch immer ein echtes Erlebnis. Nur der Weg, der vom Palast zur Kolonnade führte, musste dem alten Kaiser beträchtliche Probleme bereiten, die Mosaiken, mit denen er gepflastert ist, sind noch heute rutschig. „Salto Tiberio“, ein Ort aus dem der mürrische Kaiser Menschen hinunterwerfen ließ, die ihm missfielen, ist auf der anderen Seite der Villa, auf einem gut dreihundert Meter hohen Felsen. Einen solchen Sprung ins Wasser kann man nicht überleben und so ging es auch den Oppositionellen des Kaisers. Heutzutage kann man von hier wunderschöne Photos machen.

Auf dem höchsten Punkt der Villa steht heutzutage eine Kirche mit der Statue Jungfrau Maria mit dem Kind – wie übrigens in Kampanien so gut wie überall. Den Grund dieses Phänomens habe ich im Museo Campano i Capua erfahren, darüber aber ein andersmal.

Auf dem Rückweg hielt uns ein älterer Italiener auf und bestand darauf, dass wir den Weg  verlassen und einen Ausblickpunkt besuchen sollten. Er meinte es wirklich gut mit uns, wir bereuten es nicht. Wir wurden mit einem berauschenden Blick auf die ganze Küste der Weißen Grotte, „Arco naturale“ belohnt, mit dem Haus des Schriftstellers Curzio Malaparte (Casa Malaparte), der sich sein „avantgardes“ Haus dank guter Beziehungen zum Bürgermeister von Capri in einer absolut verbotenen Zone bauen lassen durfte. Seine Bücher „Caput“ und „Haut“ prägten meine Jugend und ich war sein großer Bewunderer. Sein Testament, in dem er das Haus der Volksrepublik China vermachte, nahm niemand ernst. Das Testament wurde als Zeichen einer geistigen Krankheit beurteilt und ignoriert. Die Villa ist heute im Privatbesitz und hier wurde der Film  „Verachtung“ mit Brigitte Bardot gedreht, wo sie ihren verführerischen nackten Hintern zeigen durfte.

Auf der Insel gibt es zwei Städte, neben Capri auch ein weniger bekanntes Anacapri. Bis in die moderne Zeit waren sie nur durch eine Treppe aus den Zeiten der Phönizier verbunden (Scala Fenicia), nur im  Jahr 1877 wurden zwischen den Städten eine Straße gebaut – leider nicht gerade breit. Als der Bus mit uns fortfuhr, fragte ich mich, wo die Gegenrichtung ist? Zu meinem Erstaunen war sie auf der gleichen Straße. Die Busse auf Capri sind nicht groß, die Straße ist aber auch für sie grenzwertig breit. Das hinderte die Fahrer natürlich nicht daran, Vollgas zu geben. Ein Computerspiel „Mit Bus auf Capri fahren“ hätte sicher einen gewaltigen Erfolg und wäre ein Verkaufshit. Zu beschreiben, wie die Busse dem Gegenverkehr auswichen, übersteigt hoch meinen Wortschatz (nicht nur auf Deutsch, sogar auf Tschechisch konnte ich keine passenden Worte finden). Nur zweimal musste unser Bus um Platz zu machen rückwerts zu fahren, sonst hat er das immer irgendwie geschafft ohne uns umzubringen, obwohl zwischen den Rückspiegeln der Busse manchmal nur Zentimeterabstände waren. Die Fahrer kannten sich aber in ihrem Beruf aus, die Spiegel blieben auf ihren Plätzen.

Von Anacapri führt eine Sesselbahn auf den Gipfel des höchsten Berges der Insel Monte Solaro, der 589 Meter über das Meer emporragt. Das Sessellift ist ein Einzellift, also nur für Mutige und eine romantische Bergfahrt zu zweit ist nicht möglich. Der Gipfel ist aber dafür Romantik pur – und das trotz Mengen von Japanern, die gerade zur Zeit unseres Besuches den Gipfel stürmten. Die Ausblicke vom Gipfel auf die „Villa Jovi“ am anderen Ende der Insel, hinter ihr dann „Costiera Sorrentina“ und auf die Felsengruppe namens Faraglioni im Meer, die auf jeder Postkarte aus Capri zu finden ist, waren möglicherweise kitschig, aber atemberaubend. Das Meer war blau, so blau, dass man diese Farbe gar nicht beschreiben konnte, man sah aus dieser Höhe kaum die Boote, die das Uferwasser durchquerten, nur die lange weiße Spur hinter ihnen ließ sie ahnen. Einfach ein Traum vom Meer.

Der Besuch auf Capri zahlte sich trotz allem aus. Mit den Photos aus der Insel könnte man Facebook überschwemmen, jedes einzelne hatte Facebook-Qualität.

Vielleicht schau ich noch einmal hin. Allerdings müsste ich dort übernachten, um die „Blaue Grotte“ noch vor Sonnenaufgang zu erreichen. Die Vorstellung der badenden versilberten Körper lässt mich irgendwie nicht ganz in Ruhe. Vorläufig werde ich aufpassen, nicht zu viel zuzunehmen.

Amalfiküste


Ein deutscher Reiseführer warnt ausdrücklich davor, an der Amalfiküste ein eigenes Verkehrsmittel zu verwenden. Wörtlich schreibt er, dass die Nutzung eines eigenen Fahrzeuges kontraproduktiv sein könnte.  Er könnte wirklich recht haben. Die Küstenstraße, die Salerno mit Städten Amalfi, Positano und Sorrent verbindet, wurde nur dank dem Dynamit von Alfred Nobel im neunzehnten Jahrhundert gebaut, bis dahin war die Verbindung zwischen diesen Städten nur auf dem Seeweg möglich und bei schlechtem Wetter gab es dann überhaupt keine.

Grundsätzlich wurde die Straße für zwei entgegenkommende Fahrzeuge gedacht und gebaut, und diese sollten die Möglichkeit haben (mit Ausnahmen der Orte, wo die Straße doch etwas enger ist) an einander vorbeizufahren. Natürlich dachte man in der Zeit des Baus nicht an Busse, die allerdings heutzutage, voll mit neugierigen Touristen, die Straße in beiden Richtungen benutzen. Trotzdem wäre die Situation noch immer nicht ganz tragisch, wäre die Straße mit Ausnahmen der steilsten Kurven nicht völlig verparkt. Italiener stellen ihre Autos zwar unmittelbar an den Felsen, mit den rechten Rädern im Graben (wie sie dann rauskommen, bleibt für mich ein Rätsel), sie können also nur auf der Seite des Fahrers das Auto verlassen, aber auch ein so geparktes Auto macht die ohnehin schon enge Straße noch enger. Damit man sich aber nicht langweilt, kommen zu den Bussen und LKWs noch Motorräder, die Autos von rechts, von links und manchmal von beiden Seiten gleichzeitig überholen. Dazu kommt noch eine Menge britischen Touristen, die gerade lernen, rechts zu fahren. Also für Spannung wird ausreichend gesorgt und für die Straße zwischen Vietri und Sorrent braucht man Abenteuerlust und natürlich auch feste Nerven.

Weil ich beides besitze, entschied ich mich, diese Reise zu absolvieren. Meine Frau, die bei Reisen ein bisschen empfindlicher ist und Angstgefühle bereits beim Überholen auf der Autobahn hat, erhielt Kinedryl oder eine ähnliche Tablette. (Ich kaufte es in der Apotheke mit den Worten „Abiamo bisogno di farmaco contro la chinetosa“) und hoffte, dass ich wirklich bekam, was ich verlangte. In Betracht der Tatsache, dass meine liebe Frau während des gesamten Ausfluges weder schimpfte, noch versuchte, das Auto währen der Fahrt zu verlassen und keine hysterischen Anfälle bekam, als in der Gegenrichtung plötzlich ein Bus aus der Kurve auftauchte oder als uns zwei Motorräder zugleich von beiden Seiten überholten, erhielt sie offensichtlich die richtige Tablette und wahrscheinlich in einer deutlich höheren Stärke, als es bei uns üblich ist. Es war notwendig.

Natürlich brach ich auf diese selbstmörderische Mission nicht ohne gehörige Vorbereitung auf. Erstens ließ ich meinen Peugeot 508 zu Hause, weil ich seine Größe als absolut unpassend für die Straße von Amalfi beurteilte (ich hatte ihn bereits einmal auf die Palme gebracht, als ich ihn zwei Jahre früher auf eine Reise nach Apulien mitgenommen hatte und ich war mir nicht sicher, ob er mir das bereits verziehen hat). Ich bestellte im Internet ein Auto zum Flughafen von Neapel und wählte die kleine mittlere Klasse (ich verlangte einen Peugeot 208, weil ich fürchtete, dass ein Peugeot 108 oder ein Fiat 500 für meine Gattin doch zu klein sein könnte) Ich bekam einen Lancia und bestellte zu ihn ein Vollkasko ohne Selbstbehalt. Zu meiner Verwunderung habe ich es bekommen, ich beurteilte diese Tatsache als ein unglaubliches Vertrauen des italienischen Vermieters in meine Fahrkunst und entschied mich, ihn nicht zu enttäuschen.

Für die Fahrt ist angeblich der italienische Fahrstil notwendig. In Italien war ich bereits mehrmals, ich habe also genug trainiert. Wahrscheinlich habe ich mir den Stil bereits zu eigen gemacht, weil ich dort noch nie einen Unfall hatte. Ich hatte eher Probleme mich nach der Rückkehr an die österreichischen Verhältnisse wieder anzupassen. Erstens – in Italien gibt es keinen Rechtsvorrang. Es fährt der, der schneller und der Kreuzung näher ist – entscheidend können Zentimeter sein. Eine Vorstellung, dass man in einem Kreisverkehr in Sicherheit ist, weil man Vorrang hat, ist absolut falsch. Offiziell ist es zwar wirklich so, aber es gelten die gleichen Regeln wie beim Rechtsvorrang. Im Falle eines entgegenkommenden Fahrzeuges ist es keine Schande, sich in einer Lücke zwischen zwei geparkten Autos zu verstecken, auch wenn diese in einem Anhaltenverbot parken. Die befohlene Höchstgeschwindigkeit einzuhalten ist sehr gefährlich, weil man von hinten abgeschossen werden könnte, im besten Fall verdient man sich Hupen und unanständige Gesten. Neunzig bei Siebzig-gebot zu fahren ist gerade angemessen (natürlich muss man damit rechnen, dass man dabei überholt wird, es gibt nämlich Experten wie der Fahrer unseres Hotelbusses, die bei Sechzig Hundertzwanzig fahren und dabei es noch schaffen, mit der Freundin mit einem Handy zu telefonieren – natürlich ohne irgendwelche lächerliche technische Anlage wie Bluetooth.

Grundsätzlich werden die Verbote und Gebote in Italien als unverbindliche Empfehlungen interpretiert. Wenn man sich damit abfinden kann, hat man schon halb gewonnen.

Ich absolvierte zuerst eine Trainingsfahrt auf der Costiera cilentana – also auf der Küstenstraße des Nationalparks Cilento südlich von Paesta (aber darüber ein anders Mal). Die ist gleich schmal wie die Amalfitana, aber mit weniger Verkehr und ohne Busse. Nachdem ich das geschafft habe, entschloss ich mich, die Reise nach Amalfi am letzten Tag unseres Urlaubes zu unternehmen (wenn ich auch das Auto dort lassen müsste, wäre es nicht so tragisch, einen Tag ohne Auto würden wir schon überstehen) Und dann ist es los gegangen. Es zahlte sich aus.

 

Auf die Amalfitana biegt man von der Autobahn Salerno – Neapel bei Vierti sul Mare ab. Vietri ist ein ehemaliges Zentrum der Produktion typischer lokaler Keramik, die man überall sieht. Nicht nur in den Souvenirläden, aber auch in der Dekoration der Häuser, Kirchen und sogar auf den Säulen im Kreuzweg des Klosters Santa Chiara in Neapel. Übrigens – gleich bei der Einfahrt in Vietri gibt es ein liebes Lokal. Als der Besitzer hörte, dass ich mit meinem gebrochenen Italienisch bestellt habe (außer uns war hier nur eine große Gruppe Engländer, die sich solche Mühe nicht gemacht haben) lief er zu unserem Tisch, um meiner Frau ein Kompliment zu machen. Er sagte, sie wäre „signora belissima“ und in einer längeren Rede (wenn ich ihn richtig verstanden habe, da es an der äußersten Grenze meiner italienischen Kenntnissen war) erklärte er uns, dass er sich immer gewünscht hat, eine so schöne Tochter zu haben (er hat das Alter meiner Frau offensichtlich grob unterschätzt, um so viel älter als wir war er sicher nicht), aber seine Frau hat ihm nur Buben geboren. Dieses Erlebnis hatten wir allerdings am Ende unserer Reise, also eines nach dem anderen.

Nach zwei lieben Dörfchen Maiori und Minori, die wir im ersten Schock der Konfrontation mit der Realität der Amalfistraße mehr oder weniger übersehen haben, kam Altrani mit seiner Kathedrale. In der wurden die Dogen von Amalfi gewählt und  in das Amt eingeführt. Gleich danach erschien plötzlich die ganze Schönheit der Amalfitana vor uns. Eigentlich war ich gerade in ihrem Zentrum. Amalfi war einmal eine sehr reiche Stadt, eigentlich eine Weltmacht. Es nutzte geschickt seine Lage am Meer ohne Verbindungsstraßen mit dem Festland, sowie auch die Kämpfe zwischen Byzanz und Langobarden und machte sich selbständig.   Als dann die Flotte von Amalfi im Jahr 846 geholfen hat, die Sarazenen bei Ostia zu besiegen und dadurch sich eine unendliche Dankbarkeit des Papstes erwarb (der wollte natürlich vor allem Byzanz ärgern) stand nichts mehr im Wege, dass Amalfi die erste unabhängige Republik an der Küste geworden ist. (Und damit irgendwie ein Vorläufer von Venedig) Die Bürger der Stadt haben einen Dogen gewählt und, um sich die Treue vom nahen Atrani zu sichern (Bürger von Atrani waren weniger und hatten damit keine Chance einen eigenen Mann zum Doge wählen zu lassen), wurde der Doge gewählt und ins Amt in Atrani eingeführt. Klug waren Italiener immer. Weil Amalfi faktisch keinen fruchtbaren Boden besaß und aus dem Fischfang allein man nicht leben oder zumindest nicht gut leben konnte, war die Stadt auf Handel angewiesen. Sie musste alle Nahrungsmittel kaufen und war deshalb gezwungen, eigene Ware zu produzieren und zu exportieren. Das machte sie und das mit Erfolg. Eine große Bronzetür am Dom aus dem zehnten Jahrhundert, die in Byzanz erzeugt und die ältesten in Westeuropa sei – (CAVE Monte Angelo!), sowie auch der Dom allein sind durch seine Schönheit Zeugen des damaligen Reichtums. Die Stadt war damals größer als heute, weil ein Großteil der Stadt bei dem Erdbeben am Anfang des vierzehnten Jahrhundert im Meer begraben wurde. Aber schon viel früher, im Jahr 1073 eroberte die Stadt der normannische Herrscher Robert Guiscard und schloss sie seinem süditalienischen Imperium mit der Hauptstadt im nahen Salerno an. Damit wurde die berühmteste Epoche dieses  zauberhaften Städtchens beendet. Im neunzehnten Jahrhundert lebte sie von Papierproduktion und davon, dass sie zum Piratenstützpunkt wurde, bis sie im zwanzigsten Jahrhundert von Touristen entdeckt und überlaufen wurde.

Der Kaffee auf der Piazza del Duomo unter unendlich hoher Treppe, die zu einem monumentalen Eingang in die Kathedrale führt, schmeckte wirklich hervorragend. Der Dom „San Andrae Apostolo“ selbst ist barockisiert, gleich neben ihm gibt es aber ein romanisches Kloster Chiostro Paradiso mit einem Kreuzweg noch im arabischen Stil mit engen Bögen und schmalen Doppelsäulen, also die schönste Architektur des neunten Jahrhunderts.

Heute gibt es den größten Luxus in Amalfi im Hotel Luna Convento – ein Fünfsternehotel im ehemaligen Kloster oberhalb der Stadt mit eigener Zufahrtstraße. Wie viel dort eine Nacht kostet, weiß ich nicht und muss ich eigentlich gar nicht wissen, was würde man eine Woche lange in so einem kleinen Nest wie Amalfi tun?

Die Preise in den Geschäften waren verhältnismäßig niedrig, sogar niedriger als in Pontecaiano Faiano, wo wir wohnten. Also kauften wir ein paar Flaschen Wein Greco di Tufo, der berühmtesten Marke Kampaniens sowie auch legendären Limoncelo, einen Zitronenlikör, der Amalfi zu Amalfi macht.

Wir fuhren auf den Serpentinen nach dem um 350 Meter höher gelegenen Ravello. Überraschenderweise trafen wir dort auch ein, obwohl es nicht ganz problemlos war – besonders als ich eine Ampel an der Stelle, an der nur Einbahnverkehr möglich war, übersehen habe (wahrscheinlich hatte ich Glück und grünes Licht, weil mich niemand von der Straße abgeschossen hat). Ravello war einmal eine selbständige Republik, im Jahre 1086 wurde es sogar zum Bistum, im siebzehnten Jahrhundert nach einer Pestepidemie vollständig entvölkert und als Geisterstadt wurde es von den Romantikern des neunzehnten Jahrhunderts entdeckt. Richard Wagner fand hier die Idee zu seinem Parcifal, Verdi für Otello usw. usw. Ravello ist einfach die „Citta della musica“. Die Bühne steht auf einer künstlicher Plattform hoch über dem Meer und die Aufführung mit der Kulisse der drei hundert Meter tiefer liegenden Küste muss fantastisch sein.

Das Theater befindet sich in der Villa Rufolo, in einem Palast, den sich einmal im dreizehnten Jahrhundert ein Bankier der königlichen Familie Anjou aus Neapel namens Matteo Rufolo bauen ließ. Neben dem Palast gibt es einen wunderschönen Garten, mein Herz eines Gärtners jubelte, aber nicht nur hier. Die zweite Villa in Ravello ist nämlich die Villa Cimbrone mit einer Terrasse der Ewigkeit. Die Aussichtsterrasse liegt dreihundert Meter über dem Meer, ist mit Statuen geschmückt und einfach unvergesslich. Nicht jeder hat den Mut sich hinzustellen. Eine Japanerin, die mich mit meiner Frau fotografierte, lehnte mein Angebot der Gegenleistung mit einem Blick in den Abgrund dankend ab.

Der englische Millionär William Beckett kaufte die Ruine des Palastes im Jahr 1904 und ließ sie rekonstruieren – bis heute sind ihm dafür alle dankbar, wovon eine Gedenktafel beim Eingang zeugt. Der wunderschöne Garten spricht von einer gefühlsvollen Hand des englischen Gärtners, so sind die Engländer schon einmal. Meine Seele eines Gärtners jubelte schon wieder, eigentlich wollte ich gar nicht von dort fortgehen, wir wurden aber letztendlich von Durst und Hunger vertrieben. Ein großes Bier bekamen wir nur auf der Piazza del Duomo, in den Restaurants unterwegs wurden nur kleine Biere angeboten, was in Italien 0,2 L bedeutet. Wie viel davon hätten wir nach einem anstrengenden Tag trinken müssen und wie viel hätten wir dafür bezahlt? Birra Moretti auf der Piazza del Duomo war gekühlt und schmeckte wunderbar.

Die Reise führte uns weiter nach Positano, angeblich dem schönsten Städtchen auf der Amalfiküste. Die Stadt hängt eigentlich auf einem Felsen über das Meer, die Straßen in der Stadt sind Treppen. Es gibt nur eine einzige Straße, auf der man in die Stadt einfährt, um sie  dann nach unzähligen Serpentinen auf der anderen Seite zu verlassen – in diesem Fall halten sich sogar die Italiener an die Einbahnregelung und das hat schon etwas zu bedeuten. Ich verlor meine Nerven zu früh und parkte an der ersten Stelle, die sich angeboten hat. Nur dann habe ich festgestellt, dass ich noch immer gut zweihundert Meter über dem Meeresspiegel bin und die Rückkehr zum Auto einem Bergaufstieg bei Temperaturen oberhalb dreißig Grad Celsius glich. Es gibt einen großen Parkplatz (sogar zwei) gleich nahe dem Stadtzentrum, das habe ich bei meinem Abstieg auf einer steilen Treppe zum Dom und zum Strand von Positano festgestellt. Ja, Positano hat wirklich einen eigenen Strand – als die einzige Stadt an der Amalfitana. Nicht umsonst wählte es Joachim Murat, der Gatte der Napoleons Schwester Karoline, der von seinem Schwager im Jahr 1808 zum König von Neapel unter dem Namen Gicacchino I. erhoben wurde, zu seinem Sommersitz. Heute ist in seinem damaligen Palast ein Luxushotel. Murat hat ein schlechtes Ende gehabt. Als er sich seinem Schwager Napoleon nach seiner Rückkehr aus Elba angeschlossen hatte, wurde er nach seiner Niederlage bei Waterloo durch ein Standgericht im Oktober 1815 verurteilt und erschossen. Positano hat im Gegensatz zu ihm ein gutes Schicksal erwischt, es wurde von Touristen entdeckt.

Wir tranken Espresso oberhalb des Strandes von Positano, hörten Musik und beobachteten das umgebende Grün und das Menschengewimmel. In einem diesen Cafes komponierten Mick Jagger und Keith Richards ihren Song „Midnight Rambler“. Kein Wunder, Positano inspiriert.  Wie meine Frau sagte – pure Romantik, ein Platz wie geschaffen für Neuverliebte oder Neuvermählte. Kein Wunder, dass gerade am Strand von Positano Diane Lane dem italienischen Verführer Marcello im Film „Unter der Sonne von Toskana“ verfallen ist. Meine Frau meinte, ihr wäre es nicht anders gegangen. Also liebe Männer, lassen Sie niemals ihre Frauen allein nach Positano in den Urlaub fahren!  Es könnte ganz schön schief gehen!

Der Duomo steht auf einer kleinen Plattform – viel Platz gab es in Positano nicht einmal für die Kathedrale. Sie war die Kirche eines Benediktinerklosters, hat eine wunderschöne Kuppel aus Majolika und bewahrt eine byzantinische Ikone der Schwarzen Madonna aus dem dreizehnten Jahrhundert. Angeblich brachten sie Piraten nach Positano – wer sonst? Laut einer Legende haben sie diese Ikone in Byzanz gestohlen und sind an der Amalfiküste in einen Sturm geraten. Als sie um Positano segelten, hörte der Kapitän eine Stimme, die ihm sagte „Posa, posa!“ (Lege mich hier ab) Und seitdem ist die Madonna der wertvollste Gegenstand der Kathedrale.

Sorrento als die letzte Stadt der Amalfitana kann man angeblich auslassen. Wir taten es nicht. Es war gut so, wie haben dadurch viel verstanden. Sorrent liegt eigentlich nicht mehr an Amalfiküste. Um dorthin zu gelangen, muss man die Halbinsel überqueren und auf die Costiera sorrentina, also Sorrentküste kommen. Trotzdem wird sie zur Amalfitana gezählt. Warum? Wenn man in einem Reisebüro eine Reise zur Amalfiküste buchen möchte, kriegt man aisch Übernachtungen in Sorrent. Nirgends, wirklich nirgends in meinem Leben habe ich so viele Hotels in einer Stadt gesehen. Ich wiederholte den Fehler von Positano und parkte in der ersten Tiefgarage, die sich angeboten hat. Sie war beim Rathaus, also dachte ich, dass ich bereits im Zentrum sei. Weit verfehlt! Eigentlich war ich wirklich im Zentrum, aber im Zentrum der Neustadt – ins historische Zentrum war es eine gut zwei Kilometer lange Strecke. Auf diesem Weg passierten wir unzählige Hotels – nach dem zwanzigsten hörte ich auf zu zählen. Alle waren mit vier, manche mit fünf Sternen geschmückt, vor allen hielten Busse an und spuckten Hunderte erkentnnishungrige Pensionisten aus. In der Stadt liefen unzählige Gruppen mit Reiseführen mit Regenschirmen unterschiedlichster Farben, einfach ein Chaos, das seinesgleichen lange suchen müsste. Man könnte davon wahnsinnig werden. Als ob hier noch der Geist des bekanntesten Landsmann von Sorrent, des Renaissancedichters Torquatto Tasso geisterte, der aus der Unsicherheit, ob sein Werk „La Gerusalemme liberata“ wirklich gut sei, tatsächlich wahnsinnig wurde. Endlich wahnsinnig waren auch die Preise in den Geschäften auf der Haupteinkaufstraße. Es gab hier eine Unmenge Geschäfte mit viel schöner Ware, aber der Wunsch meiner Frau, hier ein schönes Kleid für unsere Enkelin für einen angemessenen Preis zu kaufen, war natürlich absolut naiv und unerfüllbar. Letztendlich hat sie aber der italienischen Mode doch nicht widerstehen können und sie hat ein wirklich liebes Kleid gekauft. Ein angemessener Preis schaut aber meiner Meinung nach anders aus.

Sorrent allein ist schön, es steht hoch über das Meer auf einem steilen Felsen, von dem man zum Hafen absteigen muss, von wo aus Schiffe nach Positano, Amalfi, Neapel, Capri oder Ischia fahren. Alte Griechen, die einmal die Stadt gegründet haben, gaben sich mit einem kleinen Hafen unter dem Felsen zufrieden. Von diesem Hafen führt in die Stadt ein Weg durch ein historisches griechisches Tor. Es wurde zwar hundertmal repariert und umgebaut, darüber gibt es heutzutage eine Menge Wohnungen, aber es ist noch immer das ursprüngliche – nach ´dem bekannten italienischen Motto – nicht abreißen, was schon einmal steht. Unterwegs geht man an vielen schönen Restaurants mit Blick auf das Meer vorbei also, wer auf den Preis nicht unbedingt schauen muss….

Als es uns gelang, Sorrent zu verlassen und in der Abenddämmerung unübersichtliche Straßen der Städten Gragnano und Castellamare unbeschadet hinter uns zu lassen, erreichten wir endlich die Autobahn. (Abend ist die Zeit, in der alle, aber wirklich ALLE Italiener in ihren Autos trotz unverschämter Benzinpreise, die bei manchen Tankstellen die Marke zwei Euros überschritten haben, von einem Platz zu einem anderen fahren. (Ob sie dazu einen nachvollziehbaren Grund haben oder das nur zum Vergnügen und für einen Adrenalinschub tun, habe ich nicht erfahren.) Ich hatte die Schnauze voll.

Zum Glück folgte noch das bereits erwähnte Abendessen in Vietri mit dem galanten Besitzer. Also, hätten Sie Lust auf Romantik, Adrenalin und Chaos an einem Tag, kann ich die Amalfiküste herzlichst empfehlen.

Mantova


Eigentlich heißt die Stadt auf deutsch Mantua, aber wenn sie in Italien nach Mantua fragen,  wird sie kein Italiener verstehen (wollen).  Unter uns können wir sie aber weiter Mantua nennen, mit der Hoffnung, dass kein Italiener je diesen Artikel lesen wird.

Laut einer Legende ist Mantua angeblich auf einer Insel mitten in den Gewässern entstanden, diese waren die Tränen von Prophetin Manta. Sie war die Tochter eines Priesters und Propheten und ihre Tränen verliehen dem Wasser magische Kräfte. Manta heiratete Tiberius den König von Toscana. Ocmus, ihr gemeinsamer  Sohn, gründete dann im See eine Stadt, der er den Namen seiner Mutter gab. Soweit die Legende.

Mantua hat den Ruf eine der schönsten Städte Italiens zu sein und überhaupt die schönste in der Tiefebene des Flusses Po. Zu recht. „Schuld“ daran ist erstens die geographische Lage, die sie mit drei Seen umkreist (Lago superiore, Lago di mezzo und Lago inferiore), die eigentlich alle eine Erweiterung des Flusses Mincio, kurz vor seiner Mündung in den Po, sind. Und zweitens Bauaktivitäten der Familie Gonzaga, die die Stadt seit dem Jahr 1328 beherrschte, als sie aus der Stadt die diktatorische Familie Bonacolsi vertrieb (natürlich mit blutiger Gewalt). Dieses Ereignis wird auf dem Bild von Domenico Morone, in Salla della Stemma, in Palazo ducale dargestellt. Die Gonzagas haben sich immer richtig politisch orientieren können und sparten nicht mit Geld, wenn es notwendig war. Karl IV. erhob sie im Jahr 1362 zu Grafen, Sigismund 1433 zu Markgrafen und in den Zeiten von Kaiser Karl V. schafften Sie es bis zum Herzogtitel (höher ging es gar nicht mehr). Sie hielten sich abseits der Konflikte im Norditalien auf und waren auch wirtschaftlich sehr erfolgreich dank Pferdezucht, die in ganz Italien berühmt war. Und nicht nur in Italien. Ein  Pferd von Gonzaga zu haben war etwas Ähnliches wie heute der Besitz eines Ferraris. Und wer von den damaligen Reichen und Schönen wollte das nicht haben? Die Gonzagas verdienten sich dadurch eine goldene Nase, und investierten das Geld in die Verschönerung ihrer Stadt. Das Ergebnis kann sich sehen lassen.

Giuseppe Verdi ließ die Geschichte seiner Oper „Rigoletto“ in Mantua spielen. Das Haus mit einer Statue dieses buckeligen Hofnarren findet man vor „Palazzo Ducale“, auf dem Platz Sordello. Heute ist hier ein Informationsbüro für Touristen.

Das Zentrum der Stadt,  obwohl es sich am Stadtrand befindet, ist zweifellos Palazzo ducale. Warum der Eintritt ins „Castello San  Giorgio“ und „Corte Nuova“ vormittags ist und ins „Cortile d´Onore“ nachmittags, weiß ich nicht. Die Eintrittskarte ist aber für beide Teile des Palastes gültig. Möglicherweise wäre es für den Besucher auf einmal auch einfach zu viel. So bekommt man die Möglichkeit, in der Mittagspause die Eindrücke zu verarbeiten und sich in einem der vielen Bars und Restaurants auf der „Piazza Sordello“ vor dem Palast zu erfrischen. Der ganze Palast hat insgesamt acht Komplexe, die nach und nach zwischen dem dreizehnten und siebzehnten Jahrhundert entstanden sind. Er hat mehr als 500 Räume und Säle und 34 000 m2 Wohnfläche! Sie lesen richtig, mehr als drei Hektar!!! Dazu gibt es auch noch 15 Höfe und Gärten.

Das Herz der Burg ist „Castello San Giorgio“, dies ist der älteste Teil des Palastes, als diese noch der Verteidigung diente. Ludovico Gonzaga ließ hier in „Camera degli Sposi“ von seinem Hofmaler Andrea Mantegna einen Zyklus der Freskos herstellen, der ihn selbst mit seiner ganzen Familie sowie auch sein Treffen mit seinem Sohn und Kaiser Friedrich III. vor Mailand darstellt. Auf dem Familienbild entdeckte ich auch eine kleine Person die eine Beziehung zu Graz hat, nämlich Prinzessin Pauline de Gonzaga. Diese arme Seele litt an Knochentuberkulose. In Folge dieser Erkrankung hatte sie einen Buckel und auch sonst war sie keine Schönheit. Sie war einfach unvermählbar (auf dem Fresko ist sie sehr realistisch dargestellt). Ihre verzweifelte Mutter Barbara von Brandenburg (laut dem Fresko auch keine wirkliche Schönheit) veröffentlichte, in der Bemühung doch einen Bräutigam für ihre Tochter zu finden, die Höhe der Mitgift, das ihre Tochter bekommen würde. Das rief Kaiser Friedrich III. auf den Plan. Er wurde zwar spöttisch „Erzschalfmütze“ genannt, da er weder kämpfen noch herrschen vermochte und ständig mittellos war, aber in einer Sache war er ein wahrer Meister und das war die Heiratspolitik. Dank der Vermählung seines Sohnes Maximilian mit der Erbin von Burgund Maria und danach durch Verbindung seines Enkelsohnes Phillip mit Johanna von Spanien gründete er das habsburgische Imperium, über das die Sonne nie untergegangen ist. Jetzt roch er wieder seine Chance. Seit dem Jahr 1382 gehörte der Hafen Triest zu den habsburgischen Ländereien. Mit den anderen habsburgischen Ländern hatte er aber auf dem  Festland keine Verbindung. Zwischen Triest und Kärnten bzw. Windischer Mark (dies liegt im heutigen Slowenien), die bereits habsburgisch waren, gab es die Grafschaft Görz.  Mit den Grafen von Görz hatten die Habsburger einen Vertrag abgeschlossen, dass im Falle vom Aussterben einer der beiden Familien, die andere den gesamten Besitz erben würde. Der damalige Graf Leonhard war ein Lebemensch, bekannt durch seinen verschwenderischen Lebensstil, er war permanent insolvent und bedroht in seinen Schulden unter zu gehen. Dies hätte aber gefährlich werden können, wenn er seine Ländereien in höchste Not verkaufen hätte wollen, den dann wäre nichts aus dem Vertrag mit den Habsburgern geworden. Friedrich hat sich ausgerechnet, dass Paulina Gonzaga nie Kinder haben würde, ihr Geld könnte aber Leonhard von Görz gut gebrauchen. Der Plan ging auf. Leonhard heiratete Paulina mit ihrer großen Mitgift (und verschwendete es gleich wieder), die Ehe blieb kinderlos, die Grafschaft Görz  fiel nach seinem Tod an die Habsburger und blieb ein Teil ihres Imperiums bis 1918. Die Truhen, in welchen die Mitgift nach Görz transportiert wurde, kann man im Grazer Dom bewundern, sie bewahren heilige Reliquien, die Papst Paul V. Erzherzog Ferdinand (später Kaiser Ferdinand II.) im Jahre 1617 geschenkt hat auf. Leonhard verkaufte nämlich sogar die Truhen an Mönche aus dem Kloster in Millstättersee und von dort kamen sie nach Graz.

Die Gonzagas heirateten übrigens permanent in die besten Familien Europas. Sie hatten unverschämt viel Geld für die Mitgift ihre Töchter und sie waren bereit zur Nachsicht bei der Mitgift der Bräute aus den permanent insolventen kaiserlichen Familien, wenn die wieder nach Mantua verheiratet wurden. Kaiser Ferdinand I. schaffte es sogar gleich zwei seiner Töchter so zu verheiraten. Der Arme hatte übrigens 12 Töchter und es war schwierig für alle passende Bräutigame zu finden! Zuerst verheiratete er seine Tochter Katharina  mit Francesco III. von Gonzaga. Als dieser starb, verheirate er sofort die nächste Tochter, Eleonore, mit seinem Nachfolger Guglielmo. Sein Sohn Ferdinand von Tirol, wählte zu seiner zweiten Gattin (nach seiner ersten morganatischer Ehe mit Philippine Welser)  Anna Katharina Gonzaga, die Tochter seiner eigenen Schwester Eleonore. Diese sollte dem Herzog von Tirol einen Sohn gebären, der die Herrschaft in der Habsburgerfamilie übernehmen und so der Throneintritt vom Neffen des Ferdinands von Tirol, ebenso Ferdinand von der Steiermark verhindern sollte. Der Onkel hatte nämlich nicht gerade eine schmeichelhafte Meinung über die Fähigkeiten seines Neffen (zu recht, wie sich später zeigte, als dieser Neffe Europa in den Dreißigjährigen Krieg stürzte). Der Plan ging nicht auf, denn Anna Katherina gebar dem bereits älteren Lebemensch Ferdinand nur drei Töchter. Noch einmal versuchte zumindest Kaiser Mathias dem jungen steierischen Narr ein Hindernis in den Weg zu stellen und heiratete eine der Töchter von Ferdinand und Anna Katharina namens Anna (also die eigene Cousine ersten Grades). Zu diesem Zeitpunkt diagnostizierten aber die Ärzte beim Monarch bereits „impotentia totalis“. Es half nichts, Ferdinand aus der Steiermark bestieg den Kaiserthron und der Weg zur größten Katastrophe der europäischen Geschichte war frei. Und auch Ferdinand, jetzt Kaiser Ferdinand II. nahm zu seiner zweiten Frau Eleonora Gonzaga, die Enkelin seiner eigenen Tante Eleonore.

Ferdinand II. war auch die Ursache des größten Unheils in der Geschichte von Mantua.  Mantua war eine der größten Katastrophen des dreißigjährigen  Krieges. Gerade in der Zeit, als Ferdinand dank dem Wallenstein den dänischen König besiegt hatte und sich auf dem Höhepunkt seiner Macht fühlte, starb die Familie Gonzaga in der Manneslinie aus. Obwohl zwei Mitglieder der Familie, Ferdinand und Vincenzo, auf die Kardinalwürde verzichteten um Nachkommen zu zeugen und so die Zukunft der Familie retten zu dürfen, gelang es ihnen nicht und im Jahr 1627 starb der Stamm der Gonzagas in der Hauptlinie aus. Der letzte Herrscher Vincenzo sicherte sich dadurch ab, dass er das ganze Herzogtum seinem entfernten Verwandten Karl aus der französischen Linie Gonzaga-Nevers vererbte.  Dieser hatte wirklich den größten Anspruch auf das gerade freigewordene Herzogtum. Aber Ferdinand, seit 1622 mit einer Schwerster der letzten Gonzagas verheiratet, fühlte sich als ein unantastbarer und unbesiegbarer Herrscher des gesamten Europas und entschied Mantua als freies Lehen auszurufen (was sie im grundegenommen auch tatsächlich war) und beschenkt mit diesem reichen Stück Land seinen Favoriten Ferrante II., Gonzaga aus der spanischen Linie (wie ich schon gesagt habe, die Gonzagas waren verschwägert in ganz Europa). Die kaiserlichen Berater warnten den Monarchen dringlich vor diesen Schritt, weil Karl ein Franzose war und hinter ihm der mächtige Kardinal Richelieu stand, der ungeduldig auf einen passenden Vorwand gewartet hatte, um in den Krieg zu ziehen und etwas für sein Land zu gewinnen. Ferdinand, der sonst seinem Kanzler Ulrich von Eggenberg immer brav gehorchen hatte, blieb stur und setzte sein Vorhaben durch. Die Folge war der Eintritt von Frankreich in den dreißigjährigen Krieg, der dadurch weitere zwanzig Jahre dauerte. Der mantuanische Erbfolgekrieg dauerte von 1627 bis 1631. Die kaiserliche Armee unter der Führung eines gebürtigen Mantuaner, General Rambalto Collalto, eroberte am 18.Juli 1630 Mantua und plünderte die Stadt fürchterlich aus. Letztendlich musste aber der Kaiser, dessen Soldaten auf zwei Fronten kämpften mussten (den im Jahr 1630 landete in Pommerien der schwedische König Karl Gustav und begann seinen siegreichen Feldzug durch Deutschland) akzeptieren, dass der neue Herzog von Mantua der französische Kandidat Karl I. von Gonzaga Nevers würde. Das hatte aber nicht zur Folge, dass sich Frankreich aus dem  Krieg zurückziehen wollte. Es begann die letzte, zerstörerischste, Phase des Krieges.

Aber zurück zu dem Fresko in „Camera degli Sposi“. Der Maler Andrea Mantegna hat, wie gesagt, in seinen Werken die Realität sehr genau abgebildet (die Gattin von Ludovico Gonzaga Barbara von Brandenburg schaut fürchterlich aus). In eine der Wände hat er sein Autoportrait eingebaut. Er erreichte großes Reichtum, sein großes Haus am Stadtrand ist heute ein Museum und er fand sogar eine Braut, aus einer Patrizierfamilie, die ihm die Tür in die Kreisen der Stadtnobilität eröffnet hat. Natürlich erfährt man, dass „Camera degli Sposi“ der schönste Raum auf der ganzen Welt ist. Ein Italiener kann von seinem „piú“ nicht loslassen. Andrea Mantegna ist der Schöpfer eines wichtigen Kunstwerkes in Mantua, nämlich der Kirche des heiligen Andreas „Chiesa di San Andre“ auf dem Platz „Piazza delle Erbe“. Es ist ein der ersten Kirchen, gebauten im Stil der Renaissance. Es ist eine einschiffige Basilika mit hohen Renesainsbögen und kantigen Pfeiler und mit einem Architrav nach dem Vorbild der römischen Tempel. Es handelte sich zu dieser Zeit um einen vollkommen neuen und revolutionären Baustil. Sehr viele Renaissancekirchen gibt es übrigens nicht, der Mensch hat sich in der Zeit der Renaissance vom Gott zu sich selbst gewendet. In der Kirche wird eine ziemlich obskure Reliquie aufbewahrt, die sich in der Krypta unter der Kirche befindet. Man kann sie, im Rahmen einer Führung besuchen, die zweimal am Tag stattfindet.  Es handelt sich um das heilige Blut Christi, durchmischt mit dem Boden aus dem Berg Golgota. Nach einer Legende sammelte der Soldat Longinus, der die Seite Christi mit einem Speer durchbohrte, das ausgeflossene Blut und auch den Boden in den es einsickerte auf. Als er dann in Mantua starb, wurde diese blutige Erde dann eingegraben. Das erste Mal wurde sie im Jahr 804 entdeckt, als das Bischofstum von Mantua gegründet worden war, und das zweite Mal im Jahr 1048. Wer will, darf es glauben. In jedem Fall wird diese heilige Reliquie jedes Jahr am Karfreitag in einer großen Prozession durch die Stadt getragen.  Wie schon Kaiser Friedrich II. gesagt hatte: „Der Phantasie der byzantinischen und venezianischen Kaufmänner wurde keine Grenze gesetzt“.

Duomo auf dem Platz „Piazza Sordello“ ist neben der Kirche San Andre beinahe bedeutungslos. Es handelt sich um eine chaotische Mischung aller möglichen Baustils vom romanischem bis zum Klassizismus. Die Mantuaner haben mit dem Bau der Kirche im Jahr 1131 begonnen, aber im achtzehnten Jahrhundert entwerteten sie dann das Gebäude mit einer Barockfasade. Vielleicht ist ja jemand einer anderen Meinung, ich aber halte den Dom von Mantua einfach für hässlich und es reicht ihn, nur nebenbei, mit einem Auge zu betrachten.

Ansonsten ist in Mantua alles sehr schön. Im Saal „Sala del Pisanello“ wurden Freskos vom Meister Pisanello, aus dem vierzehnten Jahrhundert, entdeckt und eine Gedenktafel erinnert daran dass in diesem Saal der unsterbliche Pagannini gespielt hat. Im neuen Palast gibt es wunderschöne Freskos an den Wänden und auf der Decke und auch Bilder von Paul Rubens, der für die Gonzagas in den Jahren 1605 – 1607 gearbeitet hat und für sie ein Monumentalbild der Heiligen Dreifaltigkeit malte. Nebenbei erzeugte er auch ein Portrait des letzten Gonzaga, Vincenzo, in seinen jungen Jahren.

Etwas entlegen, außerhalb des historischen Zentrums der Stadt, steht „Palazzo Te“. Dieses Palais wurde von einem Schüler Raffaelos, Giulio Romano,  in der Zeit gebaut als dort noch eine Insel des Flusses Mincio war. Einmal stand ja die ganze Stadt Mantua auf einer Insel. Der Herzog Federico II. Gonzaga ließ dieses Palais als seine Sommerresidenz außerhalb der damaligen Stadtmauern in den Jahren 1525 – 1535 bauen. Es ist ein echtes Juwel der Baukunst der Renaissance mit Fischteichen, Gärten und Kolonaden.  Später ließ sich, gerade durch dieses Palais, Ludwig XIV. zum Bau von Versailles und Maria Theresia zum Bau von Schönbrunn inspirieren. Die Fresken von Giulio Romano sind erstaunlich. Besonders der Saal der Giganten, in dem der Fall der Giganten die für Jupiter seine Blitze geschmiedet hatten, geschildert wird. Wunderschön ist auch der Saal des Amors und der Psyche. In der Tradition der Renaissance schmückte Giulio Romano die Wände des Gebäudes nicht mit christlichen sondern mit griechischen mythologischen Motiven. Im Jahr 1530 wurde auch Mantua, von Kaiser Karl V. auf seiner Krönungsreise nach Bologna, besucht. Sein Besuch ist im Palais Te detailliert dokumentiert und man findet hier sogar das feierliche Menü! Leider nur auf Italienisch.

Auf dem „Piazza delle Erbe“ kann man auch noch die Rotunde San Lorenzo aus dem elften Jahrhundert mit den Resten von Freskos und Statuen besuchen. Das Rathaus mit Torre dell´ Orologio,  also mit einer astronomischen Uhr, aus dem fünfzehnten Jahrhundert gibt es ebenfalls zu bewundern. Diese wurde vom Mathematiker, Astrologen und Mechaniker Bartolomeo Manfredi konstruiert.

Mantua blieb im Besitz der Familie Gonzaga bis zum Jahr 1707. In diesem Jahr wurde sie im Rahmen des Spanischen Erbfolgekrieges von österreichischen Truppen eingenommen und die Österreicher blieben hier mit einer Unterbrechung bis 1866. Deshalb wird in Castello Can Giorio auch ein Reisebesteck von Maria Theresia ausgestellt, wahrscheinlich hat sie es hier vergessen. Im Jahr 1796 zog aber durch Norditalien ein junger General namens Napoleon Bonaparte durch und hinterließ hier eine Verwüstung. Obwohl die Französen vom russischen General Suvorov vertrieben worden sind, kamen sie bald wieder. Nach dem Sieg bei Austerlitz im Jahr 1805 schloss Napoleon Mantua dem französischen Kaiserreich an. Für die Österreicher hat die Stadt einen bitteren Beigeschmack, hier ist der Tiroler  Nationalheld Andreas Hofer hingerichtet worden. Andreas Hofer ist es gelungen die, bis dahin unbesiegbaren Franzosen, gleich mehrmals zu besiegen (seine erste Niederlage in einer Feldschacht erlitt Napoleon bei Aspern, im Jahr 1809, und sein Bezwinger Erzherzog Karl hat aus diesem Grund eine Statue auf dem Heldenplatz in Wien). Die glorreichsten Siege feierte Andreas Hofer auf dem Bergisel bei Innsbruck, wo heute die Sprungschanze steht auf der jedes Jahr der dritte Bewerb der „Vierschanzentournee“ ausgetragen wird. Nach dem Wiener Kongress kamen die Österreicher nach Mantua zurück, aber nach der verlorenen Schlacht bei Königsgraz, im Jahr 1866, mussten sie Mantua auch mit Venedig, an den Verbündeten der siegreichen Preußen, nämlich Italien, wieder abtreten. Heute ist das kleine Mantua (47 000 Einwohner) eine der meistbesuchten Städte Italiens.

Jeden Herbst findet hier ein Treffen der Oldtimer zu Ehre des berühmtesten Sohnes der Stadt in der modernen Geschichte statt. Er hieß Tazio Nuvelari, genannt „der fliegende Mantuaner“ der in den dreißiger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts als ein unbesiegbarer Autofahrer galt. Er fuhr für den Rennstall  Scuderia, bis er nach einem Streit mit dem Gründer dieses Rennstalls, Enzo Ferrari, zur Konkurrenz bei Masseratti wechselte. Zwei „Hähne in einem Stall“ vertrugen sich auch schon damals nicht. Zur Zeit dieses Oldtimerrennens, aber nicht nur zu dieser Zeit, kämpft Mantua mit einem Parkplatzmangel. Also, sollten Sie Lust bekommen diese zauberhafte Stadt die am Fluss Mincio liegt zu besuchen, stehen Sie lieber früh auf.

Aber auch Damen kommen in Mantua auf ihre Kosten. Man kann hier sogar am Sonntag shoppen. Als ich mit meiner Frau nach Mantua gereist bin, an einem Sonntag, vereinbarten wir, dass zumindest dieser eine Tag ausschließlich der Kultur gewidmet wird. Das Shoppen, das sonst immer ein fester Bestandteil unseres täglichen Ablaufs war, wollten wir auslassen. Ich habe nämlich gehofft, dass die Geschäfte im katholischen Italien am Sonntag geschlossen haben. Aber weit gefehlt! Die Geschäfte auf „Piazza delle Erbe“ waren offen. Und in einem davon haben wir ein Kleid für unsere fünfjährige Enkeltochter, gerade so eines das wir gesucht haben, gefunden. Sie sollte nämlich am kommenden Samstag als Jungfer zu einer Hochzeit gehen, daher war der Kauf eines passenden Kleides eine der Prioritäten unseres italienischen Urlaubes. Das Kleid hatte genau die richtige Größe für ein fünfjähriges Kind, wir haben es gekauft und waren glücklich. Besonders ich sehnte mich im Glück, im Glauben, dass ich das Sonntagsshopping hinter mir hätte.

Ich habe mich zu früh gefreut. Als ich zu meiner Frau, von einer Phototour um die Mantua, zurückkehrte (Mantua ist am schönsten beim Blick über das Wasser, also über die Seen des Flusses Mincio und die sind breit genug, um für ein gutes Foto ziemlich weit laufen zu müssen), sagte meine Frau, wir hätten ein Problem.  Wir haben ein Kleid in Größe 110 cm gekauft, unsere liebe Enkelin ist aber inzwischen unkontrolliert auf 116 cm gewachsen und brauchte daher Größe 120, also nach italienischen Maßen ein Kleid für ein sechsjähriges Kind (ich weiß nicht, warum dort die Kinder so klein sind). Ich habe sofort verstanden dass, in erster Linie, ich jetzt ein Problem hatte. Als mir meine Frau erklärte, dass wir zurück in das Geschäft gehen müssen und ich der Verkäuferin, die nach einem guten italienischen Brauch kein Wort Englisch sprach, erklären müsse, worum es ging. Ich spürte kalten Schweiß auf dem Rücken. Mit meinem gebrochenen Italienisch sollte ich so eine komplizierte Sache erklären?

Ich  brachte alle Kräfte und meine gesamten italienischen Kenntnisse zusammen und erklärte der Verkäuferin, dass meine Gattin mit meiner Tochter telefoniert hatte und unsere Enkelin, für die das Kleid als Geschenk gemeint war, war mehr gewachsen als wir ahnen konnten und wir ein um eine Nummer größeres Kleid bräuchten. Die Verkäuferin sagte, das wäre kein Problem, daraus habe ich angenommen, dass sie mich verstanden hatte und sie ging zum Kleiderständer. Dort hat sie dann, nach meiner Erwartung festgestellt, dass sie kein Kleid in der richtigen Größe hätte. Meine schüchterne Frage, ob wir das Geld zurückhaben könnten, beantwortete sie mit einem scharfen „non´e possibile“. Dann begann sie uns die unterschiedlichsten Kleider anzubieten. Das Problem lag darin, dass alle gut für den Kindergarten oder für einen Spielplatz wären, nicht aber für eine Hochzeit. „Sag ihr, dass es für eine Hochzeit ist“, sagte meine Frau. Ich war gerührt. Das Wort „Hochzeit“ ist sicherlich eines der ersten im Wortschatz, wenn man eine fremde Sprache selbst lernt. Das schlimmste war aber die Tatsache, dass ich wusste, ich kannte das Wort (es gibt doch die Oper „Figaros Hochzeit“ und den Originaltitel der Oper hatte ich schon oftmals gehört).

Aber Sie kennen das sicher. Wenn Sie sich dringend an etwas erinnern wollen, geht es einfach nicht.  Ich probierte es mit Noce, Noca, aber keiner hat mich verstanden. Da ich ein moderner Mensch bin (oder zumindest glaube ich es zu sein), habe ich unbemerkt das Wörterbuch auf meinem Handy aktiviert und gab das Wort Hochzeit ein. Das Handy antwortete, dass es „Matrimonium“ bedeutet. Ich zweifelte. Etwas hat mir gesagt, dass Matrimonium eine Ehe bedeutet. Hätte ich es verwendet, hätte die Verkäuferin denken können, dass wir unsere fünfjährige Enkelin verheiraten wollten und dann wären Zweifel über unsere Religion aufgekommen. Ich wurde stur und sagte das Wort nicht. Letztendlich haben wir ein schönes Kleid für den Kindergarten gekauft und sogar mir ein paar Strümpfen. Es war zwar nicht das Richtige aber auch nicht unbedingt das Falsche.

Als ich ins Auto eingestiegen bin, erinnerte ich mich auf „le nozze de Figaro“, aber es war zu spät. Das Wort „le nozze“ vergesse ich jetzt natürlich nie mehr (auch wenn es sich um ein Plural handelt) und dass obwohl ich das Wort nie mehr brauchen werde. Übrigens das Wort „Matrimonium“ hätte ich auch verwenden können. Es bedeutete beides, Ehe sowie auch Hochzeit.

Mantua ist einfach schön. Man kann dort sehr gut shoppen. Auf keinen Fall lassen Sie diese Stadt bei einem Italienbesuch aus.