Diesmal wurde ich von Bekannten und Freunden gewarnt. Auf Capri hat man nichts verloren. Tausende Menschen in engen Gassen, wo man nur schwer durchdringen kann, ein paar Luxusgeschäfte und Hotels und vor allem übertriebene Preise. Wir überlegten also ganz ehrlich, ob wir uns so einen Ausflug antun sollten. Gegen alle diese Argumente stand nämlich noch immer die Tatsache, dass sich dort eine Villa befindet, von der aus einmal Kaiser Tiberius über die ganze damals bekannten Welt geherrscht hat. Meine Seele eines Historikers lief Sturm gegen den Gedanken, dass ich so nah war und trotzdem das nicht gesehen hatte. Wir dachten nach und beschlossen, dass es bereits Mitte September sei und damit der Hauptstrom der Touristen hoffentlich vorbei sein könnte und wir den Besuch doch überleben dürften. Ehrlich gesagt, es sah so aus, dass wir in diesem Punkt geirrt hatten. Schwer zu sagen, wie es in der Hauptsaison aussieht, aber auch im September war die Insel stark übervölkert. Trotzdem haben wir unseren Besuch nicht bereut.
Capri muss man mit dem Schiff besuchen, es ist letztendlich eine Insel. Man kann von überall hinfahren – aus Neapel, aus Salerno, Amalfi oder Positano, der stärkste Besucherstrom kommt aber aus hunderten Hotels in Sorrent – darüber habe ich bereits in meinem letzten Artikel über „costiera amalfitana“ geschrieben. Wir fuhren aus dem ziemlich entferntem Salerno hin und aus diesem Grund, obwohl wir früh aufgestanden sind, waren wir nicht unter den ersten Besuchern. Was natürlich absolut fatal war.
Die größte Attraktion der Insel ist nämlich die Blaue Grotte. Dank ihrer Bekanntheit wurde die Insel zu einem touristischen Magneten. Seit den Zeiten des Kaisers Tiberius kümmerte nämlich der Felsen Mitte im Meer niemanden mehr. Hier lebten nur Ziegen, nach denen die Insel ihren Namen bekam und ein paar frustrierte Einheimische, die neidisch zu einer anderen und glücklicheren Insel schauten, nämlich nach Ischia auf der anderen Seite der Bucht von Neapel, die dank ihren direkt aus dem Meerboden entspringenden Thermalquellen von Touristen überströmt war. Bis einer von ihnen ein bestimmter Giuseppe Pagano, der Besitzer eines der wenigen Herbergen auf der Insel, von einer genialen Idee heimgesucht wurde. Im Jahr 1826 nutzte er die Tatsache, dass bei ihm der deutsche Dichter August Kopisch mit seinem Freund Ernst Fries Unterkunft fanden und arrangierte eine „Entdeckung“ der Blauen Grotte. „Rein zufällig“ stach er mit seinem Boot einmal nachmittags mit beiden Künstlern ins Meer und „verirrte sich“ in die Grotte mit magischem blauen Licht, das durch das Wasser hineindrängte und alle drei Besucher erstaunten über dieses Naturwunder, das noch „niemand gesehen hatte“. Pagano verschwieg diskret, dass gerade aus diesem Grund bereits in römischen Zeiten über der Grotte eine Luxusvilla stand. Beide Deutschen waren von der Entdeckung begeistert und Kopisch schrieb über dieses Ereignis ein enthusiastisches Gedicht. Bald danach wurde aus der vergessenen Insel in Sichtweite vor der Küste von Sorrent ein touristisches Paradies, Giuseppe Pagano wurde ein reicher Mensch und das Hotel „La Palma“, das aus seiner ehemaligen Herberge entstand, ist heutzutage eine Luxusresidenz – ehrlich gesagt, gibt es aber auf Capri keine anderen als luxuriösen Unterkünfte. Die Versuche hier Sanatorien zur Behandlung der Lungenkrankheiten, wie es einmal ein idealistischer schottischer Arzt im Jahr 1845 versuchte, waren zum Scheitern verurteilt, der Mammon besiegte alle Idealisten und bereits im Jahr 1860 wurde aus dem Sanatorium ein Hotel, das heute das luxuriöseste auf der Insel ist, das Fünfsternehotel Quisiana. Ich las eine Lobeshymne einer britischen Touristin, die ein magisches romantisches badeanzugfreies Bad beschrieb, wobei die Körper der Badenden im Wasser wie versilbert wirkten. Das mag natürlich wahr sein. Als wir aber unseres Schiff verließen und auf der Mole eine unendliche Schlange vor dem Verkauf der Tickets für die Überfahrt zu Blauen Grotte sahen, in der britische Touristen mit nicht besonders jungen und durch übermäßiges Konsum von „baked beans“ und „ham and eggs“ ziemlich gezeichneten Körper überwogen, konnte ich mir nicht vorstellen, das es romantisch sein könnte, auch wenn diese majestätische Figuren nicht nur versilbert aber sogar vergoldet wären. Wir verzichteten also auf den Besuch der Blauen Grotte. Um den Besuch zu genießen, müsste man wahrscheinlich auf der Insel übernachten und für entsprechendes Schmiergeld die Grotte noch vor Sonnenaufgang besuchen, in jedem Fall noch früher als in Marina Grande Schiffe aus Sorrent zu landen beginnen und Mengen an Tagestouristen ausspucken.
Aus dem Hafen, also der Marina Grande (auf der anderen Seite der Insel gibt es noch die Marina Picola, also „der kleine Hafen“ wo aber keine touristischen Schiffe anlegen) führt ein Lift also „Funiculare“ in die Stadt. Weil auch hier eine Menschengedränge war, entschlossen wir uns in die Stadt aus eigener Kraft aufzusteigen. Dabei unterschätzten wir eindeutig den Höheunterschied von zweihundert Metern sowie auch die Tagestemperaturen oberhalb der Dreißiggradmarke. Es brauchte eine bestimmte Überwindung, wir schafften es aber trotzdem und der Hauptplatz von Capri war nicht mehr so übervölkert wie der Hafen (dafür aber die Blaue Grotte). Es war doch bereits Mitte September und so konnte man in den Kaffeehäusern sogar ab und zu einen freien Stuhl finden.
Ich wollte aber unbedingt zum Kaiser Tiberius. Zu seiner „Villa Jovi“ auf dem östlichen Kap der Insel geht man durch enge Gässchen zwischen Gärten und Villen. Praktisch der ganze Weg vom Stadtzentrum bis zur Villa ist verbaut. Es hat einen Vorteil, die engen Gassen bieten Schutz vor der Sonne. Es fahren hier auch Autos, allerdings sehr klein und nur für eine Person, größere würden nicht hinein passen. Sie befördern Pensionisten, die den Weg zum Fuß nicht schaffen würden. Wir haben es geschafft. Die Reste des Kaiserpalastes sind auch heute noch beeindruckend. Die Villa ließ bereits Kaiser Augustus bauen, der aus der damaligen Sicht nämlich unverständlich, die Insel Ischia, die in seinem Besitz war, für Capri austauschte. Tiberius ließ die Villa ausbauen und verlegte das Machtzentrum des Römischen Reiches hierher.
Tiberius war kein schlechter Kaiser, egal was über ihn Tacitus oder Suetonius schreiben. Sie beschrieben die Meinung der reichen Römern, Patrizier und Ritter, die für den strengen Herrscher wirklich keine Liebe empfinden konnten. Er war ein tüchtiger Soldat und Beamter. Vor dem Feldzug seiner Armee in den Bereich des heutigen Böhmens, der damals von germanischem Stamm der Markomannen besiedelt war, bewahrte diese Region nur die Tragödie der Legionen des Varus im Jahr 6 nach Christus im Teutoburger Wald. Leider hatte Tiberius eine sehr ehrgeizige Mutter namens Livia und das war sein Fluch. Livia ließ sich vom Vater des Tiberius scheiden, als der Bursche gerade drei Jahre alt war (sie war in dieser Zeit schwanger mit einem zweiten Kind – mit dem späteren Heerführer Drusus). Die Schwangerschaft hinderte sie allerdings nicht, Oktavianus, den späteren Kaiser Augustus, zu heiraten und diesen konnte sie dann erfolgreich das ganze Leben lang beherrschen und manipulieren. Es wird ihr nachgesagt, dass sie alle drei Enkelsöhne des Augustus, also die Söhne von Augustus Tochter Julia, die sie mit dem Freund des Augustus Agrippa hatte, hat umbringen lassen. Nach Agrippas Tod zwang sie Tiberius, sich von seiner geliebten Frau scheiden zu lassen und die verwitwete Julia zu heiraten. Sie verheiratete somit ihren eigenen Sohn mit ihrer Stieftochter. Augustus adoptierte in weitere Folge Tiberius und ernannte ihn zu seinem Nachfolger. Das war ein Glück, nach dem sich Tiberius – in Gegenteil zu seiner ehrgeizigen Mutter – überhaupt nicht gesehnt hatte und er musste dafür teuer bezahlen. Julia war nämlich eine Nymphomanin und der zurückhaltende Tiberius konnte ihren sexuellen Appetit bei bestem Willen nicht befriedigen. Als sie schon beinahe mit dem gesamten Rom schlief, erfuhr es Augustus (es gibt seinen legendären Aufruf: „Gibt es in Rom jemanden, der noch nicht mit meiner Tochter schlief?“) und er schickte sie in Verbannung.
Tiberius konnte des Rufes des Gehörnten nie mehr los werden und als er dann tatsächlich Herrscher wurde, ging ihm das ganze spottische Rom wahnsinnig auf die Nerven. Letztendlich meinte er, er hätte die Schnauze voll und übersiedelte nach Capri. Von dort aus konnte er effektiv das Reich beherrschen und der Spott aus der Hauptstadt erreichte ihn hier nicht. Übrigens, sobald der Kaiser weg war, verloren die Verleumdungen und Spott auch ihren Sinn und verstummten langsam. Giftige Scherze wurden vor Angst abgelöst, da in der Hauptstadt anstatt des Kaisers die Präfekten der Prätorianergarde Seianus und nach ihm Macrus tobten. Bereits in der Zeiten des Augustus gab es ein Gesetz über Majestätsbeleidigung und dieses wurde jetzt häufig angewendet, besonders gegen die Reichen, deren Besitz dann von Seianus konfisziert werden konnte. Als sein Treiben bekannt wurde, ließ Tiberius Seianus aus seinem Exil auf Capri mit seiner gesamten Familie hinrichten (Seianus Töchter mussten vor der Hinrichtung vergewaltigt werden, da römische Gesetze eine Hinrichtung Jungfrauen verbaten). Allerdings ging es den Senatoren und Rittern unter Seianus Nachfolger Macrus nicht besser.
Tiberius ließ die Villa auf Capri monumental ausbauen, sie musste den Regierungsgeschäften dienen, zugleich aber auch dem alternden Kaiser, der an einer Hautkrankheit litt, den notwendigen Komfort bieten. Es lebten hier inklusiv Dienerschafft dreihundert Menschen. Gigantische Zisternen, die erhalten blieben, dienten als Wasserreservoirs für die kaiserliche Therme, die einen ganzen Trakt der Villa einnahmen. Hoch über die Küste gegenüber dem Kap des sorrentischen Festlandes ließ sich der Kaiser eine Kolonnade bauen, wo er hoch über das Meer spazieren konnte. Er wählte den Ort richtig und mit gutem Geschmack, obwohl heute der Ausblick von Bäumen reduziert wird, ist er noch immer ein echtes Erlebnis. Nur der Weg, der vom Palast zur Kolonnade führte, musste dem alten Kaiser beträchtliche Probleme bereiten, die Mosaiken, mit denen er gepflastert ist, sind noch heute rutschig. „Salto Tiberio“, ein Ort aus dem der mürrische Kaiser Menschen hinunterwerfen ließ, die ihm missfielen, ist auf der anderen Seite der Villa, auf einem gut dreihundert Meter hohen Felsen. Einen solchen Sprung ins Wasser kann man nicht überleben und so ging es auch den Oppositionellen des Kaisers. Heutzutage kann man von hier wunderschöne Photos machen.
Auf dem höchsten Punkt der Villa steht heutzutage eine Kirche mit der Statue Jungfrau Maria mit dem Kind – wie übrigens in Kampanien so gut wie überall. Den Grund dieses Phänomens habe ich im Museo Campano i Capua erfahren, darüber aber ein andersmal.
Auf dem Rückweg hielt uns ein älterer Italiener auf und bestand darauf, dass wir den Weg verlassen und einen Ausblickpunkt besuchen sollten. Er meinte es wirklich gut mit uns, wir bereuten es nicht. Wir wurden mit einem berauschenden Blick auf die ganze Küste der Weißen Grotte, „Arco naturale“ belohnt, mit dem Haus des Schriftstellers Curzio Malaparte (Casa Malaparte), der sich sein „avantgardes“ Haus dank guter Beziehungen zum Bürgermeister von Capri in einer absolut verbotenen Zone bauen lassen durfte. Seine Bücher „Caput“ und „Haut“ prägten meine Jugend und ich war sein großer Bewunderer. Sein Testament, in dem er das Haus der Volksrepublik China vermachte, nahm niemand ernst. Das Testament wurde als Zeichen einer geistigen Krankheit beurteilt und ignoriert. Die Villa ist heute im Privatbesitz und hier wurde der Film „Verachtung“ mit Brigitte Bardot gedreht, wo sie ihren verführerischen nackten Hintern zeigen durfte.
Auf der Insel gibt es zwei Städte, neben Capri auch ein weniger bekanntes Anacapri. Bis in die moderne Zeit waren sie nur durch eine Treppe aus den Zeiten der Phönizier verbunden (Scala Fenicia), nur im Jahr 1877 wurden zwischen den Städten eine Straße gebaut – leider nicht gerade breit. Als der Bus mit uns fortfuhr, fragte ich mich, wo die Gegenrichtung ist? Zu meinem Erstaunen war sie auf der gleichen Straße. Die Busse auf Capri sind nicht groß, die Straße ist aber auch für sie grenzwertig breit. Das hinderte die Fahrer natürlich nicht daran, Vollgas zu geben. Ein Computerspiel „Mit Bus auf Capri fahren“ hätte sicher einen gewaltigen Erfolg und wäre ein Verkaufshit. Zu beschreiben, wie die Busse dem Gegenverkehr auswichen, übersteigt hoch meinen Wortschatz (nicht nur auf Deutsch, sogar auf Tschechisch konnte ich keine passenden Worte finden). Nur zweimal musste unser Bus um Platz zu machen rückwerts zu fahren, sonst hat er das immer irgendwie geschafft ohne uns umzubringen, obwohl zwischen den Rückspiegeln der Busse manchmal nur Zentimeterabstände waren. Die Fahrer kannten sich aber in ihrem Beruf aus, die Spiegel blieben auf ihren Plätzen.
Von Anacapri führt eine Sesselbahn auf den Gipfel des höchsten Berges der Insel Monte Solaro, der 589 Meter über das Meer emporragt. Das Sessellift ist ein Einzellift, also nur für Mutige und eine romantische Bergfahrt zu zweit ist nicht möglich. Der Gipfel ist aber dafür Romantik pur – und das trotz Mengen von Japanern, die gerade zur Zeit unseres Besuches den Gipfel stürmten. Die Ausblicke vom Gipfel auf die „Villa Jovi“ am anderen Ende der Insel, hinter ihr dann „Costiera Sorrentina“ und auf die Felsengruppe namens Faraglioni im Meer, die auf jeder Postkarte aus Capri zu finden ist, waren möglicherweise kitschig, aber atemberaubend. Das Meer war blau, so blau, dass man diese Farbe gar nicht beschreiben konnte, man sah aus dieser Höhe kaum die Boote, die das Uferwasser durchquerten, nur die lange weiße Spur hinter ihnen ließ sie ahnen. Einfach ein Traum vom Meer.
Der Besuch auf Capri zahlte sich trotz allem aus. Mit den Photos aus der Insel könnte man Facebook überschwemmen, jedes einzelne hatte Facebook-Qualität.
Vielleicht schau ich noch einmal hin. Allerdings müsste ich dort übernachten, um die „Blaue Grotte“ noch vor Sonnenaufgang zu erreichen. Die Vorstellung der badenden versilberten Körper lässt mich irgendwie nicht ganz in Ruhe. Vorläufig werde ich aufpassen, nicht zu viel zuzunehmen.