Capua ist ein kleines Nest mit 18 600 Einwohnern, das kaum eines Besuches wert wäre, hätte es nicht so eine hervorragende Geschichte hinter sich. Heute ist es kaum zu glauben, aber im vierten Jahrhundert v.Ch war es nach Rom die zweitgrößte Stadt in Italien und die Hauptstadt von Kampanien, das damals von einer bunten Bevölkerungsmischung von Osken, den Ureinwohner dieses Gebietes, Griechen, die hier an der Küste zahlreiche Kolonien gegründet, und Samniten, die dieses Gebiet  kurz vorher beherrscht hatten, bewohnt wurde.

Im Jahre 340 erkannte Capua die Vorherschaft Roms an, um sich damit von den Samniten zu trennen. Dafür hat die Stadt einen Status „Halbbürgerschaft“ erhalten, was wir uns darunter immer vorstellen könnten. Die Verbindung zwischen Rom und Capua war für die Römer so wichtig, dass der Konsul Appius Claudius Caecus im Jahre 312 v.Ch den Bau einer Straße veranlasste, die diese zwei Städte verbunden hat. Die Via Appia ist die älteste Straße in Europa, die noch immer benutzt wird – sie wurde später nach Benevent, nach Tarent und Brindisi verlängert, wo sie an der Adriaküste endete. Allerdings konnte sich Capua mit der römischen Vorherrschaft lange nicht abfinden. Im Jahre 216 v.Ch. wurde die Stadt im zweiten Punischen Krieg für 14 Jahre zum Hauptstützpunkt des karthagischen Heerführers Hannibal. Capua blieb Karthago bis zum bitteren Ende des Krieges treu und wurde danach vom Rom „gerecht“ bestraft.

Die Via Appia führt direkt durch die Stadtmitte, nachdem sie den Fluss Volturno über eine römische Brücke überquert hat. Diese Brücke wurde im zweiten Weltkrieg so wie auch der Großteil der Stadt vernichtet, wurde aber vorlagetreu wieder aufgebaut. Was allerdings endgültig zerstört wurde, war das Tor auf dieser Brücke, das im Jahr 1239 Kaiser Friedrich II. bauen ließ. Von dem Tor blieben nur zwei Fundamente übrig. Gerade dieses Tor hatte aber für die Weltkultur eine unermessliche Bedeutung. Hier wurde nämlich das erste Symbol der beginnenden Renaissance erstellt, also der neuen Weltansicht. Gerade hier, in Capua, wurde das Ende des Mittelalters eingeläutet.

Friedrich II. kämpfte während seiner ganzen Regierungszeit mit Päpsten um die Macht. Er beschloss, mit Rom nicht nur auf dem Schlachtfeld zu kämpfen, sondern auch auf dem Feld der Ideologie. Er verstand diesen Kampf komplex und wusste, dass er nur durch Änderung des Denkens der Menschen die Vormachtstellung der Kirche brechen konnte. Unter anderem tat er das durch Gesetzgebung – sein Gesetzbuch von Melfi, in dem er durch seine Gesetze sein Königsreich aus der Jurisdiktion Roms vorsorglich herausgenommen hat, oder durch die Gründung der Universität in Neapel, die als erste Universität keine theologische Fakultät hatte und deren Hauptaufgabe in der Übersetzung der Schriften von Aristoteles lag. Dadurch wollte der Kaiser die kirchliche Ideologie, die auf dem Neoplatonismus beharrte, erschüttern. Was auch gelang, es musste Thomas von Aquin kommen, um diese für den Glauben tödliche Waffe zu entschärfen. Der Kaiser gründete aber auch die „Scuola nuova siciliana“, eine Vereinigung von Malern und Bildhauern, die die gotische Kunst verließen und nach antiken Vorbildern ihre Werke zu gestalten begannen und die vom Kaiser persönlich finanziell unterstützt worden sind.

Im Jahr 1239 entschloss sich der Kaiser zu einer ungehörten Provokation. Direkt an der Grenze seines Reiches in Richtung zum Kirchenstaat, also auf dem Fluss Volturno, ließ er ein Tor in der Form eines römischen Triumphbogens mit Reliefs, die seine politischen Siege feierten, bauen. Was aber ein echter Tabubruch war, war die Tatsache, dass er auf der Vorderseite des Tores also in Richtung Roms, sich selbst und zwei seine wichtigsten, Minister Petrus de Vinea und Thaddeus de Souza darstellen ließ. Lebende Personen darzustellen war im Mittelalter absolut undenkbar, es durften nur Heilige dargestellt werden. Wenn ein Donator einem Heiligen sein Gesicht verleihen wollte, musste er dafür bezahlen. Jetzt schauten in Richtung Rom drei LEBENDE Hauptfeinde der päpstlichen Macht. Möglicherweise dachte Friedrich, dass der Papst unter dieser Provokation vom Schlag getroffen werden könnte, was für ihn auch keine schlechte Lösung seines Streites gewesen wäre. Der Papst hat es aber überlebt, sogar als dieses Werk aus dem Marmor aus der Ruinen des alten Capua im Jahr 1247 fertiggestellt worden ist. Man kann also diesen Triumphbogen des Kaisers als das erste Werk der Renaissance betrachten, als ein Symbol der neuentstehenden Zeit. Die Gesichter von Petrus de Vinea (dieser wichtigste Minister des Kaisers wurde in Capua geboren)und Thaddeus de Souza kann man im Museum in Capua bewundern. Der Kopf des Kaisers ist verschollen, von Franzosen vernichtet. Ich erfuhr zwei Theorien, wie das passierte. Nach der ersten schlugen dem Kaiser Soldaten des Herzogs Karl von Anjou den Kopf ab, als Karl die Macht im Süden Italiens an sich gerissen hat, nach der zweiten waren das Soldaten der Armee Napoleons. In jedem Fall aber Franzosen. Diese bösen Buben!

Die zwei erhaltenen Köpfe durfte ich im „Museo provincionale Capuano“ bewundern. Ein bezauberndes Museum mit reichen Sammlungen. Obwohl ich die Eintrittskarten kaufte, wurde ich nicht hineingelassen, das war lediglich in Rahmen einer Führung möglich. Es erschien wirklich eine junge und hübsche Dame und ich, voll Hoffnung, fragte sie, ob sie Deutsch oder Englisch spräche. Sie schüttelte den Kopf und sagte, natürlich auf Italienisch, dass ihr Onkel in Bolsano perfekt deutsch sprach, sie aber nicht). Es war mir in diesem Moment nicht ganz klar, wie uns der ferne Onkel irgendwo in Südtirol helfen konnte und ob er ihre Führung per Telefon übersetzen würde. Nichts dergleichen passierte. Die Führung erfolgte auf Italienisch und beanspruchte meine Kenntnisse dieser Sprache bis zur äußersten Grenze und weit darüber hinaus. Allerdings strahlte unsere Führerin wie ein Weihnachtsbaum, wenn ich immer, als sie eine Pause eingelegt hat, sagte: „Ho capito.“ Ich machte ihr diese Freude mehrmals, als Belohnung durfte ich die Reste der Statuen von Friedrich II. und seinen Ministern aus dem vernichteten Tor filmen, obwohl das strengst verboten war. Aber auch ihre Dankbarkeit hatte ihre Grenzen. Als ich nach der Kamera das zweite Mal griff, sagte sie kompromisslos „Basta.“ Es kam allerdings ein Moment, in dem sie mit mir SEHR nicht einverstanden war.

In Museo Campano befindet sich nämlich eine absolut eigenartige Statuensammlung. Es handelt sich um sogenannte „matres matutae“, die Mütter mit kleinen Kindern darstellen und noch aus den samnitischen Zeiten stammen. In einer Villa nahe Capua wurden Hunderte solche Statuen, Frauen mit Säuglingen in den Armen, entdeckt. Die Zahl der Kinder bei einer Mutter schwankt zwischen zwei und zehn! Also kein Wunder, das die beliebste Göttin in Kampanien Juno, die Gattin Jupiters (Jovus), war. Beide göttliche Eheleute sind eher unter den griechischen Namen Hera und Zeus bekannt – Hera wird mit einem Spiegel und einem Granatapfel in der Hand dargestellt – Granatapfel war in der griechischen Tradition das Symbol der Fruchtbarkeit und jede Braut musste am Hochzeitstag einen Granatapfel essen. Ich kann es nicht nur für einen Zufall halten, dass gerade in Kampanien der Kult der Gottesmutter Maria so verbreitet ist wie sonst nirgends auf der Welt und eine echte kampanische Madonna mit Christkind auf dem rechten Arm und mit einem Granatapfel in der linken Hand dargestellt wird. Als ich unsere Führerin auf diese Ähnlichkeit der Kulte aufmerksam machte, wurde sie rot im Gesicht und stand meiner Theorie SEHR ablehnend gegenüber. Heidnische Kulte, meinte sie, haben mit christlichem Kult doch ÜBERHAUPT nichts Gemeinsames. Also gut, wenn eine hübsche und liebe junge Dame so denkt, widerspreche ich nicht. Ich behalte meine Meinung für mich. (Und jetzt auch für euch)

Es gibt eigentlich zwei Capuas. Die, über die ich bisher schrieb, ist die neue, von Langobarden im Jahr 856 gegründete Stadt, nachdem die alte im Jahr 840 definitiv von Arabern zerstört worden ist. Anstatt zu versuchen, die Ruinen der antiken Stadt wiederherzustellen, entschlossen sich die Langobarden, die Stadt näher an den Fluss zu verlegen, direkt zum Fluss Volturno, wo man sich bessere Verteidigungsmöglichkeiten erhofft hat. Aus dem Jahr 856 stammt also auch der „Duomo Santo Stefano“, der allerdings mehrmals umgebaut wurde. Die korinthischen Säulen im Atrium, das sehr an den Dom in Salerno erinnert, stammen aus altem Capua.

Der Dom selbst wurde barockisiert, er ist eine dreischiffige Basilika, die Decke ist aber entgegen der Erwartungen nicht flach, sonder eher klassistisch, man merkt, dass die Kirche in den 1200 Jahren ihrer Existenz viele Umbaus durchgemacht hat. Nur der Kampanille ist noch original aus langobardischen Zeiten. Der Antik begegnet man in Capua überall, sogar in den Mauern der Amtsgebäude mit der Anschrift SPQC (senatus et populus capuanus) findet man Köpfe von antiken Statuen. Das Baumaterial wurde offensichtlich Großteils aus der alten Stadt gewonnen.

Die alte Capua heißt heute Santa Maria Capua Vetere und ist ungefähr fünf Kilometer von der neuen Stadt entfernt. Vor hier ist einmal die größte Gefahr für das römische Reich ausgegangen, vielleicht sogar größer als von Hannibals Feldzug. Jeder von uns hat vom Sklavenaufstand des Spartakus gehört, der Rom Jahre in größter Bedrängnis gehalten hat. Im Jahr 73 v.Ch kam es zum Aufstand von ca. 70 Gladiatoren in der Gladiatorenschule des Gnaeus Cornelius Lentulus Battianus und die Aufständischen zogen zum nahen Vesuv. Dort errangen sie die ersten Siege über die römischen Truppen, für zwei Jahre brachten sie die römische Macht in Italien zu Fall, bis sie im Jahr 71 v.Ch. besiegt wurden. Spartakus wurde zum Thema zahlreichen Romane, Filme und Fernseherserien, die größte Berühmtheit erreichte der Film mit Kirk Douglas in der Hauptrolle. Warum es gerade in Capua zu dem Aufstand kam, hat eine Logik. Kampanien war bereits damals der Ausflugsort für die Römer, die besonders im Sommer aus der stinkenden Hauptstand ans Land flüchteten. Die Gladiatorenspiele waren dann eine willkommene Unterhaltung. Wie bereits gesagt, Capua war eine große Stadt, die Provinzhautstadt, bis es als Ort der Unterhaltung von Pompei abgelöst wurde.

Das Amphitheater, das man heutzutage bewundern kann, erinnert selbst an die Zeiten von Spartakus nicht, es wurde im zweiten Jahrhundert von Kaiser Hadrian gebaut, also zweihundert Jahre nach Spartakus. Das Amphitheater hatte Platz für 50 000 Zuschauer und nach dem Kolosseum im Rom war es das zweitgrößte (Verona würde jetzt heftig protestieren)  An Kaiser Hadrian erinnern die Reste eines Triumphbogens, der sich auf der Straße zwischen beiden Capuas befindet. Man kann das Amphitheater besuchen, interessanter als der monumentale überirdische Bau ist der unterirdische Teil mit den Käfigen für wilde Tiere und mit dem Weg, auf dem  die Gladiatoren auf ihrem Weg zum Ruhm oder Tod marschierten. Ein Teil des Amphitheaters ist das „Museo dei Gladiatori“ mit Erklärung der Ausrüstung und den Kampfarten der Gladiatoren mit einer Tonbegleitung.

Im alten Capua befindet sich auch ein unterirdischer Tempel des Mithra aus dem zweiten Jahrhundert v. Ch. mit schlecht erhaltenen Wandmalereien. Der Kult des Mithra kämpfte bis zum vierten Jahrhundert mit dem Christentum um die Position der monotheistischen Religion, die die alte polytheistische Religion ablösen sollte. Mithra verlor, wahrscheinlich deshalb, weil zu seinem Kult Frauen keinen Zutritt hatten. Zur Anmeldung für einen Besuch des Mithratempels muss man sich bei dem Kauf des Tickets im Amphitheater anmelden.

Auf dem Corso Garibaldi gibt es die Möglichkeit das „Museo archeolgico dell´Antica Capua“ zu besuchen. In meiner Frau kam es aber gerade zu dieser Zeit im alten Capua zum Aufstand der Meeresfrüchte, die wir am vorigen Tag gegessen hatten. Die Rückreise nach Salerno war also sehr kompliziert und wir mussten nicht nur dieses Museum, sondern auch das Versailles von Neapel – den Palast in Caserta, aus unserem Programm streichen.

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