Estremadura ist keine Stadt, sondern ein Gebiet. Es ist eine Region südlich des Flusses Douro und hat daher auch ihren Namen. Hier gibt es keine großen Städte, dafür aber umso mehr Sehenswürdigkeiten und wahre Schätze der portugiesischen Architektur. Und es ist wunderschön. Im Norden Portugals findet man kaum ein Stück flaches Land, alles ist hügelig und grün, und dazwischen verstecken sich Städtchen und Klöster.

Wir begann unseren Besuch in der Stadt Obidos. Nachdem Afonso Henriques diese Stadt erobert hatte, ließ er sie mit Mauern umgeben – mit vielen maurischen Elementen, die er als praktisch empfand, wie zum Beispiel Zinnen. Diese Mauern sind in ihrer gesamten Ausdehnung, einschließlich der Burg, die der erste portugiesische König hier errichten ließ, bis heute erhalten geblieben – auch wenn die Burg nur noch deshalb steht, weil sich dort eine Pousada, also ein Gasthaus, befindet.

Das Städtchen hat seinen mittelalterlichen Charakter bewahrt und weiß diesen auch bestmöglich zu nutzen. Besonders sollte man hier den Grinja probieren, sonst ist der Besuch der Stadt ungültig. Es ist ein Kirschlikör, der in Schokoladenbechern serviert wird, die man anschließend essen muss.

Das Städtchen hat die Kirche Santa Maria, in der 1441 der spätere portugiesische König Afonso V., damals zehn Jahre alt, seine achtjährige Cousine – wieder einmal Isabel – heiratete.

Vor der Kirche befindet sich ein Pranger mit dem Motiv eines Fischernetzes. Diesen Pranger schenkte die Königin Leonor, die Frau von König Johann II., der Stadt, nachdem ihr Fischer ihren ertrunkenen Sohn im Netz gebracht hatten, den sie vergeblich zu retten versucht hatten. Obidos lag damals nämlich am Ufer einer Meeresbucht, die mittlerweile vollständig verschlammte, heute liegt das Städtchen im Landesinneren.

Zum Meer sind wir trotzdem gekommen, und zwar in der Stadt Nazaré. Die Stadt hat zwei Teile. Der alte Teil liegt auf einer 110 Meter hohen Klippe über dem Atlantik, von wo aus man eine wunderbare Aussicht hat.

Auf der Klippe befindet sich die Ermida da Memória. Hier soll im Jahr 1182 die Jungfrau Maria den lokalen Edelmann Fuas Roupinho auf wundersame Weise gerettet haben, als er im Nebel einem Hirsch nachritt, der von der Klippe stürzte. Dieses Wunder ist in der Kirche Nossa Senhora da Nazaré dargestellt. Dort befindet sich auch das örtliche Wahrzeichen, eine Statue der Jungfrau Maria, die angeblich ein Mönch im vierten Jahrhundert aus Nazareth gebracht hat und der Stadt ihren Namen gab. Wie überall wissen die Einheimischen den Touristenstrom kommerziell zu nutzen. Auf der Klippe stehen Dutzende Stände mit Trockenfrüchten und verschiedenen Kernen, die von älteren Damen in Miniröcken verkauft werden. Nein, meine Herren, es geht nicht um Sexappeal, die Röcke haben sieben Schichten, die Damen sind schon ziemlich alt und tragen Kniestrümpfe, aber umso fröhlicher erleben sie ihren Tag. Sie tanzten, sangen – ich vermute jedoch, dass sie das nur taten, um mehr von ihren Waren zu verkaufen.

Unten in der Stadt gibt es einen langen und breiten Strand, wo Surf-Wettbewerbe stattfinden – der Atlantik kann riesige Wellen erzeugen, die für normale Touristen, die nur schwimmen wollen, auch gefährlich sein können. Entlang des Strandes gibt es eine Promenade mit vielen Restaurants. Wir haben in einem Restaurant mit dem verheißungsvollen Namen „El Pescador“ Fisch gegessen und wurden nicht enttäuscht. Ob Goldbrasse (Dorade) oder Kabeljau (Bacalau), beides war hervorragend. Kabeljau ist übrigens in Portugal ein Nationalgericht. Ich scherzte in Anspielung an eine uralte Werbung aus der kommunistischen Tschechoslowakei, dass „Kabeljau auf hundert Arten, immer lecker und kalorienarm“ angeboten sei, bis man mir sagte, dass Kabeljau in Portugal nicht auf hundert, sondern auf 365 Arten zubereitet wird – also für jeden Tag des Jahres auf eine andere Weise. Na gut, man muss nicht alles ausprobieren.

Die Hauptattraktion der Region Estremadura sind jedoch die religiösen Stätten – es war schließlich ein Gebiet, das den Mauren in blutigen Kämpfen entrissen wurde und im Namen des Herrn neu besiedelt werden musste.

Nahe beieinander stehen zwei Klöster, beide wunderschön, beide der Jungfrau Maria geweiht und doch völlig unterschiedlich. Das liegt daran, dass ihre Errichtung zweihundert Jahre auseinanderliegt. Das erste wurde logischerweise im romanischen Stil erbaut, das zweite ist ein Beispiel der Hochgotik.

Das erste, „Santa Maria de Alcobaca“, wurde 1153 von König Afonso Henriques nach seinem Sieg über die Mauren bei Santarém gegründet.

Er rief die Zisterzienser ins Land, was damals in ganz Europa üblich war. Die Zisterzienser hatten dank ihrer hervorragenden Organisation und der jährlichen Treffen aller Äbte Im Zentrum des Ordens in Cluny die besten Informationen über die politischen Geschehnisse auf dem Kontinent, beherrschten die Diplomatie und dienten meist als Berater und engste Mitarbeiter der Herrscher aller europäischen Länder. Üblicherweise wurden diese Klöster in unmittelbarer Nähe der Residenzstädte errichtet. Bei Prag war es Zbraslav, bei Graz das Kloster Rein und bei Wien Heiligenkreuz. Aus dieser Perspektive ist die Lage des Klosters in Alcobaca einzigartig, denn weit und breit gab es kein königliches Anwesen, und auch nach Coimbra war es für damalige Verhältnisse recht weit. Die Mönche konnten sich also ungestört der Christianisierung der Bevölkerung widmen, ohne durch die Beratung des Königs abgelenkt zu werden. Offenbar hatte Afonso Henriques, genannt der Eroberer, in seinem heiligen Kampfesgeist keine Notwendigkeit, sich beraten zu lassen. Es dauerte siebzig Jahre bis 1223, bevor die Mönche in das Kloster einziehen konnten. In den besten Jahren des Klosters lebten hier angeblich 999 Mönche, was man sich kaum vorstellen kann. Dieser Zahl entspricht jedoch sowohl die riesige Küche als auch die noch viel größere Speisekammer. Der Wasserzulauf zur Küche wurde clever gelöst. Da das Wasser direkt aus dem Fluss, der das Grundstück durchquert, geleitet wurde, schwammen auch Fische in das Wasserbecken, das zum Spülen des schmutzigen Geschirrs vorgesehen war – eine willkommene Bereicherung des Speiseplans, besonders während der Fastenzeit. Das Bauwerk ist riesig, die Stadt drumherum entstand erst nach dem Kloster als „Versorgungseinheit“ des Ordens. Der aufgeklärte König Dinis, über den wir schon viel gesprochen haben, ließ im Kloster einen Kreuzgang errichten. Die größten Attraktionen des Klosters sind die Sarkophage von Pedro I. und seiner Geliebten Ines de Castro, deren Liebesgeschichte ich im Artikel über Coimbra beschrieben habe.

Sie sind aus weißem Marmor (Portugal ist nach Italien der größte Produzent dieses wertvollen Steins in Europa; in der Umgebung der Stadt Estremoz werden jährlich etwa 500.000 Tonnen dieses wertvollen Steins in den Farben Weiß, Rosa und Grün abgebaut) und überstanden mit nur geringem Schaden sogar die Plünderungen der französischen Soldaten zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Die reich mit Skulpturen geschmückten Sarkophage sind einander gegenüber ausgerichtet, und beide Liebenden liegen mit den Füßen zueinander. So wird das Erste, was Pedro am Tag des Jüngsten Gerichts sehen würde, das Gesicht seiner Geliebten sein. Es war offensichtlich wirklich Liebe über den Tod hinaus. Dabei helfen ihnen Engelchen: Sowohl Pedro als auch Ines werden von je sechs kleinen Engeln gehalten, die die Toten am Tag des Jüngsten Gerichts aus ihren Gräbern erheben sollen.

Das zweite Kloster, diesmal ein Dominikanerkloster, ist Santa Maria da Vitória und befindet sich an einem Ort namens Batalha, was auf Portugiesisch Schlachtfeld bedeutet.

Das ist kein Zufall. Im Jahr 1383 starb Ferdinand I., genannt der Schöne, der Sohn von Pedro I. und mit ihm erlisch die burgundische Königsdynastie. Für kurze Zeit herrschte seine Witwe Leonore Teles de Menezes mit ihrem Liebhaber, doch bereits nach sechs Wochen stürzten sie die portugiesischen Adligen und riefen Ferdinands Halbbruder Johann von Avis zum König aus. Wie ich schon berichtet habe, Pedro I. hat nach dem Tod von Ines nie geheiratet, zeugte allerdings mit seiner Geliebten Teresa Lourenco einen Sohn namens Joao, also Johann. Das wollte der kastilische König Juan, der mit Ferdinands Tochter Beatrix verheiratet war, nicht akzeptieren. 1384 belagerte er vergeblich Lissabon, ein Jahr später zog er mit einer großen Armee von 30.000 Soldaten ins Land, verstärkt durch die französische Kavallerie, die damals als die beste der Welt galt.

João von Avis hatte nur 7000 Soldaten zur Verfügung, jedoch unter der Führung des genialen Generals Nuno Álvares de Pereira. João bat in seinen Gebeten die Jungfrau Maria um Hilfe, wollte sich aber offensichtlich nicht nur auf sie verlassen. Deshalb mietete er 1000 englische Bogenschützen – England war seit 1290 dank König Diniz ein enger Verbündeter Portugals. Die Truppen trafen bei Aljubarrota aufeinander, und Nuno Álvares entschied sich, die bewährte englische Defensivtaktik anzuwenden, mit der die Engländer die Schlachten von Crécy 1346 und Poitiers 1356 gewonnen hatten. Die portugiesischen Ritter stiegen von ihren Pferden ab und stellten sich zwischen die Bogenschützen, um sie vor den französischen Rittern zu schützen. Die angreifenden französischen Reiter gerieten in einen Regen englischer Pfeile und erinnerten sich wohl daran, was ihnen ihre Väter, die das ebenfalls erlebt hatten, darüber erzählt hatten. Ich stelle mir die Panik in ihren Reihen vor, als ihnen klar wurde, dass „diese englischen Teufel wieder da waren.“ Sie wandten sich in panischer Flucht ab, trampelten dabei die kastilischen Einheiten hinter ihnen nieder und setzten sie so schutzlos und demoralisiert dem Angriff des portugiesischen Heeres aus. Die Schlacht dauerte eine halbe Stunde, am Ende gab es 8000 tote und 5000 gefangene Spanier und das Ende der Versuche des kastilischen Königs Juan, seinen portugiesischen Namensvetter zu stürzen. Dieser kaufte sich dann beim Papst die eheliche Herkunft (der Papst entdeckte irgendwie, dass Pedro tatsächlich mit João’s Mutter Teresa verheiratet war, oder er vermählte sie möglicherweise nachträglich, billig war das jedenfalls nicht) – und João, also Johann I., konnte eine neue Königsdynastie gründen. Zur Erinnerung auf seinen Sieg gründete er in der Nähe des Schlachtfeldes ein prächtiges Kloster. Es ist ein großartiges Bauwerk im Stil der Hochgotik, ganz anders als das Kloster in Alcobaça. Das neue Kloster wurde auch zur Begräbnisstätte der neuen Königsdynastie; hier sind nicht nur João I., sondern auch seine Nachkommen, König Duarte und sein weiterer Sohn Heinrich der Seefahrer, begraben.

Das Grabmal von Heinrich dem Seefahrer

Nur der erstgeborene Alfons, der im Alter von zehn Jahren starb, liegt in der Kathedrale der Stadt Braga.

Vor dem Kloster steht eine große Reiterstatue des genialen Feldherrn Nuno Álvares de Pereira, zu meiner großen Überraschung ist er ein portugiesischer Heiliger. Es gibt offenbar nicht viele heilige Generäle auf der Welt, insbesondere solche, die für den Tod von achttausend Menschen verantwortlich sind, aber Nuno ist eine Ausnahme. Angeblich wollte er nie General werden, sondern ein Mönch, aber das Pflichtgefühl gegenüber dem Vaterland trieb ihn auf das Schlachtfeld. Nach dem Tod seiner Frau konnte er schließlich in den Karmeliterorden eintreten und dort in Lissabon wirken. Er wurde 2009 von Papst Benedikt XVI. heiliggesprochen.

Nuno Alvarez de Pereira

Das Kloster ist ein schönes Beispiel der Spätgotik mit vielen Türmchen und Zierelementen. Wenn man das Gefühl hat, in England zu sein, ist das nicht unbegründet, denn die Architekten kamen ebenso wie die Bogenschützen und die Gattin von König João I. aus England. Das Bauwerk wurde während der gesamten Lebenszeit von João I. und noch zu Lebzeiten seines Sohnes König Duarte I. errichtet. Dieser versuchte, neben dem Kloster ein königliches Pantheon zu errichten, aber mit seinem Tod wurden die Arbeiten an dieser Kapelle gestoppt. König Manuel I. ließ die Arbeiten zugunsten des Hieronymus-Klosters in Belém endgültig einstellen, sodass diese Kapelle unvollendet blieb.

Unvollendete Kapellen Königs Duarte

Der Name König Duartes ist auch etwas ungewöhnlich, und ich verstand ihn erst, als ich herausfand, dass es die portugiesische Form des Namens Eduard ist und dass seine Mutter, wie bereits erwähnt, eine Engländerin war. João I. heiratete als Ausdruck der Dankbarkeit für die englische Hilfe Philippa von Lancaster – beide sind in der Gründungskapelle des Klosters gemeinsam in einem Marmorsarkophag begraben, der jedoch der Steinmetzarbeit von Pedros und Inês de Castro nicht konkurrieren kann. Die Sarkophage der anderen hier begrabenen Mitglieder der königlichen Familie, wie beispielsweise Joãos Sohn, der berühmte Heinrich der Seefahrer, sind zwar prächtiger, aber sie mussten sich mit Plätzen in den Nischen entlang der Wände der Kapelle begnügen, während João und Philippa ihr Grab in der Mitte haben und der Sarkophag mit Joãos Motto „por bem“ verziert ist, was „zum Wohle“ bedeutet.

Das Grabmal von Joao I und Filippa von Lancaster

Das Kloster verkörpert tatsächlich die Bedeutung des Kampfes für die Entwicklung eines unabhängigen Portugals. Im Kloster Santa Maria da Vitória befindet sich im ehemaligen Kapitelsaal das Grab des unbekannten Soldaten. Die Portugiesen nahmen zwar nur mit einem Expeditionskorps am Ersten Weltkrieg und am Zweiten überhaupt nicht teil, da sie wie das benachbarte Spanien neutral blieben. Aber in den Kolonialkriegen in Angola und Mosambik, die mit unglaublicher Grausamkeit geführt wurden, fielen viele portugiesische Soldaten, weshalb sie an diesem heiligen Ort der portugiesischen Militärgeschichte geehrt werden.

Der Grab des unbekannten Soldaten

Philippa von Lancaster war sehr fruchtbar und schenkte João acht Kinder. Das hinderte den lebhaften König jedoch nicht daran, auch mehrere uneheliche Kinder zu zeugen – zur Freude Portugals, da einer seiner unehelichen Söhne, Alfons, der erste Herzog von Braganza, der Stammvater der späteren portugiesischen Königsdynastie werden sollte, wenn auch erst in der achten Generation. João wurde angeblich einmal im Palast von Sintra ertappt, wie er eine Hofdame küsste. Da dies natürlich das Hauptthema der Palastklatschereien wurde, ließ er an die Decke des betreffenden Raumes 165 Elstern malen, da es so viele Hofdamen im Palast gab.

Doch die Kinder, di er mit Inês Pires hatte, beweisen, dass an jedem Gerücht ein Körnchen Wahrheit sein könnte. Es gibt halt keinen Rauch ohne Feuer.

Das nächste Mal bleiben wir noch in der Region Estremadura.

2 Comments on Estremadura

  1. Wie immer,ein hochinteressanter Bericht.Wir kennen nicht den portugisischen Teil der Estremadura,wohl aber den spanischen.Kulturell und historisch natürlich auch sehr intressant.
    Braga haben wir mit seinen vielen Kirchen auch sehr genossen.
    Noch eine schöne Zeit im 2. Teil der Estremadura.
    liebe Grüsse
    Heinz und heidi

    • Po.rtugal hat uns als ganzes gefallen, wir haben nur den Süden nicht besucht. Aber der ist angeblich doch nicht so grün wie der Norden. Das Programm war so dicht, dass ich nicht geglaubt habe, dass man das alles besichtigen könnte, aber es ist gegangen. Und sogar sehr gut. Ich freue mich, dass wir darüber einmal beim Essen diskutieren könnten. Hoffentlich bald

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