Fast jede Nation hat – so etwas wie die letzte Rettung – irgendwo einen Berg, in dem Ritter schlafen, die kommen, wenn es dem Volk am schlimmsten geht, um es zu retten. In der Slowakei gibt es so einen Berg namens Sitno und er befindet sich in der Nähe der Stadt Banská Štiavnica. (Auf Deutsch Schemnitz) Da die Stimmen unter meinen Freunden zunehmen, dass alles “bergab” geht und dass “es nicht schlimmer sein könnte”, was übrigens die letzte Wahl von Robert Fico bestätigt hat, haben wir beschlossen, zum Sitno zu gehen, um zu schauen, was mit den slowakischen Rittern los ist und ob sie bereit sind, loszuziehen. Es wäre wirklich die höchste Zeit!
Die Legende besagt, dass zur Zeit von Fürst Pribina (also noch vor dem Aufblühen des Großmährischen Reiches) auf der Burg Sitno Fürst Stojmír lebte. Er hatte zwei Söhne, Tyr und Želibor. Zwei Söhne und eine Burg, das deutet immer auf Ärger hin. Und so, obwohl Stojmír seine Söhne auf dem Sterbebett ermahnte, zusammenzuhalten, stritten sie gleich nach seinem Tod. Und als ihre Heere sich gegenseitig gegenüberstanden, schlug der Blitz ein, der Berg Sitno spaltete sich und verschlang alle Kämpfer. Und dort sind sie also (im Gegensatz zum tschechischen Berg mit der gleichen Funktion namens Blaník ist es eher unsicher, ob sie schlafen, aber das ist schon auf das unterschiedliche Temperament der zwei Völker zurückzuziehen), und warten darauf, dass sie slowakisches Volk ruft, um es zu retten. Wir übernachteten am See „Počúvadlo“ und machten uns am Morgen auf den Weg zum Berg. Der Aufstieg ist ziemlich einfach (mit einem Höhenunterschied von 340 Metern, also ein etwas anstrengender Spaziergang, zu Beginn etwas steil, dann über die Lichtung Tatranska und teilweise auch über Holztreppen bis zum Gipfel auf einer Höhe von 1009 Metern). Unterwegs gibt es mehrere schöne Aussichtsfelsen, und auf dem Gipfel gibt es einen Aussichtsturm und ein Gasthaus. Zuerst war ich überrascht, dass während die Österreicher Kreuze auf die Gipfel der Berge stellen, katholische Slowaken dort Gasthäuser bauen, aber schließlich entdeckten wir dort auch das Kreuz. Dafür keine sitnianischen Ritter.
Der Haken könnte sein, dass der Hüter des Berges nur einmal alle sieben Jahre aus dem Zufluchtsort kommt. Er stellt sich auf den Gipfel des Berges und ruft, ob Hilfe benötigt wird. Wenn er keine Antwort erhält, kehrt er in den Berg zurück, und das war es dann. Erstens wissen wir nicht, um welche Uhrzeit er herauskommt. Wahrscheinlich nachts, denn tagsüber gibt es dort so viele Touristen wie auf einer Pilgerreise, und er könnte sich unter ihnen verlieren oder in Panik geraten. Dann ruft er vielleicht nicht laut genug, um im Tal gehört zu werden. Und dieses siebenjährige Intervall ist ziemlich unpraktisch, schon allein deshalb, weil Parlamentswahlen alle vier Jahre stattfinden (In der Slowakei übrigens eher deutlich öfter). Es wäre praktisch, wenn dieser Bergwächter zumindest alle vier Jahre nach den Wahlen herauskommt, nach Bratislava geht und fragt, ob seine Jungs bereits gebraucht werden. Dann könnte sich vielleicht etwas bewegen. Vielleicht könnten die aufgetretenen Reiter in voller Rüstung vor dem Regierungsgebäude etwas bewirken. Obwohl ihre Ausrüstung wahrscheinlich nicht die modernste sein wird, immerhin legt die Legende sie in das frühe neunte Jahrhundert. Aber besser als nichts. Wenn schon die Demonstranten mit dem Premierminister nichts schaffen, könnten zumindest die, wenn auch altmodisch gerüstete Ritter etwas erwirken. Wir haben also keine Ritter gefunden, aber ein Ausflug nach Banská Štiavnica lohnt sich trotzdem. Nicht umsonst gilt es als eines der schönsten slowakischen Städte (immerhin war es im Jahr 1782 nach Bratislava – Preßburg und Debrecen, also vor Buda, die drittgrößte ungarische Stadt mit mehr als zwanzigtausend Einwohnern).
Die Stadt verdankt ihre Bedeutung dem Gold- und Silberbergbau. Bis zur Entdeckung Amerikas war in der Slowakei das größte Goldvorkommen Europas, im besten Jahr 1690 wurden in Schemnitz 605 kg Gold und 29 Tonnen Silber abgebaut. Die drei wichtigsten Städte des ungarischen Bergbaues waren „das goldene Kremnitz – Kremnica“, das silbernde Schemnitz (Banská Štiavnica) und das kupferreiche Neusohl (Banska Bystrica). Die Berge um Schemnitz sind ein Überbleibsel vulkanischer Aktivitäten, und so ist dort viel Wertvolles an die Oberfläche gekommen. Obwohl sich bereits in der Römerzeit ein befestigter Ort in der Nähe von Sitno befand, verlor der Ort später an Bedeutung und tauchte erst im elften Jahrhundert wieder auf. Die Bevölkerung war, wie in allen Bergbaustädten, hauptsächlich deutsch. Die deutschen Siedler kamen hauptschlich nach dem Einfall der Mongolen im Jahr 1241, der eine Entvölkerung der Slowakei zur Folge hatte, auf die Einladung des Königs Bela IV. aus Niedersachsen. Im fünfzehnten Jahrhundert verwickelte sich die Stadt unglücklich in die Kämpfe zwischen zwei Königsanwärter Ladislaus Postumus (dessen Interessen in Oberungarn und damit in der Slowakei von Jan Jiskra von Brandeis vertreten wurden) und Vladislav Jagiello, für den der berühmte Janos Hunyady kämpfte, und im Jahr 1442 wurde sie niedergebrannt und das darauffolgende Erdbeben vollendete das Werk der Zerstörung.
Obwohl der König Matthias Corvinus durch verschiedene Erleichterungen versuchte, den Bergbau wiederherzustellen und die zerstörte Stadt aufzubauen, musste die Stadt auf ihre Prosperität noch warten.
Sie verdankte einen neuen Aufschwung, wie auch andere slowakische Bergbau-Städte, einer seltsamen Koalition, die im Jahr 1495 von Jakob Fugger, genannt der Reiche (nicht ohne Grund – er war zu dieser Zeit der reichste Mann Europas und entschied mit seinem Geld sogar über die Wahl des römischen Kaisers), und dem in Leutschau geborenen Johann Thurzo, einem zipser Patrizier und Krakauer Bürger, geschlossen wurde. Nach den ungarischen Gesetzen durfte nämlich die Bodenschätze im Lande kein Ausländer besitzen. Fugger, der nach der Erlangung des Monopols für den europäischen Kupferabbau (zur Zeit der Produktion von Kanonen ein sehr wichtiges Monopol) auch ein Monopol für den Silberabbau (und später auch für Quecksilber, ohne das damals kein Goldabbau möglich war) anstrebte, schloss mit Thurzo zunächst einen Vertrag über den Kupferabbau in Neusohl (Banská Bystrica), den sie dann auf den Silberabbau in der gesamten Slowakei ausweiteten. Thurzo, der in Padua studiert hatte, erfand nämlich ein System zur Entwässerung überfluteter Bergwerke, und so gelang es ihm, den Silberabbau in den bereits stillgelegten Minen wieder aufzunehmen und profitabel zu machen. Natürlich profitierte hauptsächlich Fugger, aber Thurzo blieb genug, um seine Familie in den Adelstand zu erheben (was in Ungarn extrem schwierig – und teuer – war), und einer seiner späteren Nachkommen Georg Thurzo wurde sogar in den Jahren 1610 – 1619 der ungarische Palatin, also der königliche Vertreter in Ungarn.
Banská Štiavnica war also eine reiche Bergbaustadt, und das ist heute noch sichtbar. Ich musste mein Wissen korrigieren, nach dem ich dachte, der steirische Erzherzog Johann hätte in Leoben die erste Bergbau-Universität gegründet. Das ist nicht wahr, seine Großmutter Maria Theresia war ihm voraus, und zwar gerade in Schemnitz zwischen 1763 und 1770.
(Leoben funktioniert jedoch bis heute und ist somit die älteste immer noch funktionierende Bergbauschule). Banská Štiavnica ist wirklich eine schöne Stadt, obwohl sie im Jahr 2023 durch einen Großbrand sehr beschädigt wurde. Das Zentrum umfasst gleich zwei benachbarte Plätze – der Dreifaltigkeitsplatz und der Rathausplatz. Die monumentale Skulptur der Heiligen Dreifaltigkeit als Pestsäule wurde nach der Pestepidemie in den Jahren 1710-1711 errichtet, die derzeitige stammt aber aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts (Es ist bereits die zweite – aber monumentale barocke – Version).
Über dem Platz steht die Alte Burg, eine Burg, die aus einer ehemaligen Kirche umgebaut wurde. In Zeiten der türkischen Gefahr befestigte sich die Stadt und baute ein neues Verteidigungssystem, zu dem neben der Alten Burg auch die Neue Burg auf dem gegenüberliegenden, recht entfernten Hügel gehörte. Das Kalvária von Štiavnica ist berühmt und definitiv einen Besuch wert. Unser österreichischer Freund Heimo bezeichnete den Aufstieg als seine größte sportliche Lebensleistung, aber das zeugt nur über seine völlig unsportliche Natur. Der Kalvarienberg befindet sich auf dem Ostrý vrch (Scharfberg) über Štiavnica und ist von allen Seiten gut sichtbar und natürlich für Touristen attraktiv.
Er wurde von den Jesuiten in den Jahren 1740-1744 erbaut, und man besteigt den Hügel an etwa 22 Kapellen und 3 Kirchen vorbei. Nicht alle sind bereits renoviert, denn während der Kämpfe zwischen der Roten Armee und der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg wurde der Kalvarienberg zerstört. Die Renovierung begann zwar bereits 1953, die Hauptarbeiten folgten in den Jahren 1976-1983, dauern aber bis heute an. Da sie aus privaten Spenden finanziert werden, geht die Arbeit nur langsam voran. Die meisten Kapellen werden von privaten Sponsoren unterstützt – oft bedeutenden einheimischen, wie die Schauspielerin Emília Vašáryová, die Schwester der ehemaligen tschechoslowakischen Botschafterin in Österreich Magda.
Vergessen Sie auf keinen Fall, die Schemnitzerkrippe zu besuchen. Sie ist wunderschön geschnitzt aus Holz mit Motiven aus dem Bergbau und der Verteidigung gegen die Türken, die hier vergeblich die Neuen Burg belagern. So sagt die Legende, es ist mir jedoch nicht gelungen herauszufinden, ob die Türken überhaupt jemals nach Banská Štiavnica kamen, aber jedes Jahr findet im September die Veranstaltung “Die Türken kommen”, die an die erfolgreiche Verteidigung gegen die türkische Invasion erinnern sollte, statt.
Zwei Kilometer hinter der Neuen Burg befindet sich das Bergbau-Museum in der Natur, sicherlich interessant, vor allem für Kinder, und einige Kilometer weiter gibt es den Tajch (aus dem deutschen Teich) Počúvadlo. Er ist nicht nur zum Baden geeignet, sondern es gibt hier auch regelmäßige Auftritte von Musikgruppen, Gulasch- oder Nockerl-Kochwettbewerbe. Es handelt sich um keinen natürlichen See, sondern um einen sogenannten Tajch, der als Energiequelle zum Antrieb von Maschinen zur Entwässerung der Bergwerke von Janos Thurzo gebaut wurde. Er hat also die überfluteten Minen mit Wasserhilfe entwässert, sicherlich eine interessante und damals revolutionäre Idee. Und eine sehr profitable, wie ich schon geschrieben habe. Der Tajch Počúvadlo ist der größte erhaltene zu diesem Zweck gebaute Stausee Europas.
Der Touristenverein in Banská Štiavnica gehört angeblich zu den ältesten in Europa, die Einwohner von Štiavnica selbst setzen ihn sogar gleich nach dem Londoner Verein an die zweite Stelle. Vielleicht ist das wahr, die Wege zum Sitno sind schön angelegt, es gibt hier immerhin eine fünfhundertfünfzigjährige Tradition. Und wenn jemand vom Wandern in den Bergen gelangweilt ist, dann gibt es in der Nähe von Štiavnica noch „Svätý Anton“, das Schloss des letzten bulgarischen Zaren Ferdinand I.
Seine Familie besaß umfangreiche Ländereien in der Slowakei, insbesondere Jagdreviere, zum Beispiel auf der Muráň-Hochebene. Ferdinand I. war nämlich bulgarischer Zar (1887–1908 der Fürst und dann bis 1918, bevor die Bulgaren ihn vertrieben, der Zar), stammte jedoch aus dem deutschen Haus Coburg-Gotha aus Thüringen. Leider schloss er sich im Ersten Weltkrieg der falschen Seite (der deutschen) an, und nach dem Krieg, von seinem Thron vertrieben, verbrachte er seinen Lebensabend im Schloss Svätý Anton. Sein Sohn Boris III. war Zar bis 1943 – im Zweiten Weltkrieg kämpfte er erneut auf der falschen – wieder auf der deutschen – Seite, manche sind einfach unbelehrbar. Zar Ferdinand bestieg unter anderem auch Sitno, aber auch er wartete vergeblich auf die Hilfe der sitnianischen Ritter. Es ist offensichtlich nie so schlimm, dass es nicht noch schlimmer sein könnte und dem Volk – oder dem Zaren – müsste es „am schlimmsten“ gehen, um die Ritter zur Hilfe zu motivieren. Der Zar hatte es übrigens auf Schloss Svätý Anton überhaupt nicht schlecht. Ob die sitnianischen Ritter gegen die Panzer der Roten Armee bestanden hätten, ist übrigens mehr als fraglich. Das Haus Coburg-Gotha war bei der Besetzung europäischer Throne sehr aktiv. Prinz Albert war der Ehemann von Königin Victoria von England, aus dieser Familie stammt auch die belgische Königsdynastie, beginnend mit König Leopold (1790–1865), ebenso auch die letzte portugiesische Dynastie und die Thüringer wilderten sogar in der brasilianischen Kaiserfamilie, wo Prinz August die Prinzessin Leopoldine heiratete. Und dann war da noch diese bulgarische Zarendynastie. Thüringen war für diese ehrgeizigen Adligen einfach zu klein.
Also, wenn Sie nicht wüssten, wohin in den Urlaub und das slowakische Hochgebirge Tatra Ihnen bereits langweilig geworden wäre, ist die Gegend um Štiavnica (mit dem nahegelegenen Kremnica, dem Badeort Sklenné Teplice, aber auch dem etwas weiter entfernten, aber gut erreichbaren Zvolen (Altsohl)oder Banská Bystrica (Neusohl) kein schlechter Tipp. Übrigens, wenn Ihnen der See Počúvadlo zu kalt wäre, ist die Therme Kováčová auch nicht weit entfernt.