Zum Schreiben dieses Artikels musste ich mich fast einen Monat lang überreden (und ein beinahe weiteres Jahr hebe ich gebraucht, um es zu publizieren.). Ich bin nämlich überzeugt, dass die meisten meiner Leser diese Insel viel öfter besucht haben als ich und meine Erlebnisse daher bei ihnen nur ein Schulternzucken auslösen würden. Nun ja, ein Neuling in einem Reiseziel, das im Grunde zum Pflichtprogramm eines gebildeten Menschen gehört. Mallorca ist eine der meistbesuchten Inseln der Welt, und vielleicht war das der Grund, warum wir sie so lange gemieden haben.
Dennoch haben wir uns in vorigem Jahr entschlossen, in den sauren Apfel zu beißen, nur um dann festzustellen, dass er eigentlich gar nicht so sauer ist. Obwohl es hier von Touristen nur so wimmelt – nun ja, wie sieht es in Prag aus, oder im schlimmsten Fall in Krumau oder in Hallstatt? Die Menschen kommen nach Mallorca nicht nur, um zu baden, sondern auch, um die Kultur, die Natur und den Sport zu genießen – es gibt hier Trainingscamps für Tennis und Golf, und natürlich gibt es auch den berühmten Ballermann, wo die Deutschen bis zum Umfallen feiern können. Das alles sind Gesichter einer sonst ziemlich kleinen Insel.
Für den touristischen Boom verantwortlich ist ein Österreicher, genauer ein Habsburger, und noch genauer gesagt Erzherzog Ludwig Salvator.
Dieser Habsburger wurde 1847 in Florenz als zweitjüngster Sohn des Großherzogs Leopold II. geboren. Er war der Urenkel von Kaiser Leopold II., dessen zweitältester Sohn Ferdinand nach der Umsiedlung von Leopolds Familie nach Österreich sein Nachfolger auf dem toskanischen Thron wurde. Im Jahr 1859 musste die Familie aufgrund der Risorgimento-Bewegung nach der verlorenen Schlacht von Solferino Italien verlassen – Florenz wurde sogar für eine gewisse Zeit zur Hauptstadt des neu vereinten Italiens. Ludwig Salvator zog mit seinen Eltern auf das Schloss in Brandeis in Böhmen. Dieses Schloss kam im Jahr 1547 im Rahmen von Konfiskationen nach dem ersten Adelsaufstand gegen König Ferdinand I. in den Besitz der Habsburger. Der junge Erzherzog zeigte kein Interesse an einer militärischen Karriere, wie es einem echten Habsburger angemessen gewesen wäre, sondern wurde Wissenschaftler, mit Schwerpunkt Biologe und mit besonderem Interesse an Insekten. Auf seiner Forschungsreise besuchte er 1867 Mallorca und war von der Schönheit ihrer Natur fasziniert. Schon zwei Jahre später veröffentlichte er das monumentale Werk „Die Balearen in Wort und Bild“, das auch heute noch eine Wissensquelle über die Bräuche und natürlichen Bedingungen auf der Insel ist, bevor der Massentourismus hier Einzug hielt. Das Werk wurde bei der Weltausstellung im Paris im Jahr 1878 mit einer Goldmedaille ausgezeichnet. Der Erzherzog kaufte sich auf Mallorca das Haus „Son Marroig“ auf der Halbinsel „Sa Foradada“, das, ich gestehe, schwer aber doch, von der Stadt Port Solér aus zu erreichen ist.
Aber Ludwig Salvator allein hätte Mallorca nicht so populär machen können. Diesen gebildeten und anscheinend auch humorvollen Intellektuellen mochte auch Kaiserin Sissi, die ihn mehrmals auf Mallorca besuchte. Und als die Kaiserin begann, von den Schönheiten der Insel zu schwärmen, wurde es gleich wieder einmal zum Hit. Die Kaiserin war halt lebenslang eine Trendsetterin. Übrigens sorgte sie im Jahr 1892 für einen Skandal, als sie Weihnachten und ihren 55. Geburtstag (sie wurde am 24. Dezember 1837 geboren) anstelle ihres langweiligen kaiserlichen Ehemanns mit Ludwig Salvator verbrachte, was der verärgerte Kaiser mit folgenden Worten kommentierte: „Ich hoffe, der dicke Luigi kümmert sich ausreichend um dein Wohlergehen.“. Übrigens gerade sein Übergewicht und damit verbundene Elefantiasis führte im Jahr 1915 zum Tod des Erzherzogs auf dem Schloss in Brandeis.
Der eigentliche Massentourismus auf Mallorca begann dann in den 1960er Jahren, denn auch der Diktator Franco erkannte das Kapital der Insel, und die Einnahmen aus dem Tourismus waren für das politisch isolierte Land mehr als willkommen.
Heute gibt es hier so viele Touristen, dass die Einheimischen anfingen, sich zu wehren. Zum Beispiel, indem sie falsche Wegweiser an Straßen stellen, die die Touristen in die falsche Richtung schicken, oder sie ändern die Angaben der Entfernungen, und statt drei Kilometern erfährt man, dass sein Ziel 50 Kilometer entfernt ist. Die Touristenmassen gehen vielen Einheimischen einfach auf die Nerven. Aber für die Touristenmengen kann vielleicht Großteils auch der auf Mallorca geborene Rafael Nadal verantwortlich gemacht werden, der in seiner Heimatstadt Manacor ein großes Tennis-Trainingszentrum gebaut hat – eine unsere tennisbegeisterte Kollegin konnte sich ein Jahr ohne einen Besuch in Manacor überhaupt nicht vorstellen.
Mallorca hat jedoch eine viel längere Geschichte. Aufgrund seiner Lage zwischen Hispanien und Gallien, also zwischen Spanien und Frankreich, hatte es genügend Bedeutung, um oft den Besitzer zu wechseln. Zuerst kamen die Römer, die auf der Insel zwei wichtigen Städte gründeten, Palma im Westen und Pollenca im Osten. Die Vandalen plünderten die Insel, aber sie schlossen sie nur formell an ihr Königreich in Afrika an. So konnte sie ohne Probleme von den Byzantinern im Zeitalter von Kaiser Justinian erobert werden. Allerdings war die Insel von Konstantinopel verdammt weit entfernt, und als die Macht Byzanz’ zu schwinden begann, konnten sie die Byzantiner nicht gegen die arabische Expansion verteidigen. Schon zu Beginn des 8. Jahrhunderts waren die Franken hier als Schutzmacht vor arabischen und wikingischen Überfällen tätig, aber im Jahr 903 wurde die Insel letztendlich doch von den arabischen Mauren erobert und dem Emirat Córdoba angegliedert.
Zum Silvester 1229 mussten die örtlichen arabischen Herrscher vor der Armee Königs Jaume I. von Aragon kapitulieren und ihm die Schlüssel zur Hauptstadt der Insel übergeben, die damals „Medina Mayurka hieß“.
Sein zweitgeborener Sohn Jaume II. machte sich dann im Jahr 1276 selbstständig und schuf aus den Balearischen Inseln ein eigenständiges Königreich. (Darüber wird im Roman „Die Kathedrale des Meeres“ von Ildefonc Falcones berichtet). Während seiner Herrschaft erlebte die Insel ihre schönste Zeit, und die meisten monumentalen Gebäude, einschließlich des königlichen Palastes und der Kathedrale „Le Seu“ in Palma, stammen aus dieser Zeit. Sein Neffe Jaume III. wurde dann in der Schlacht bei Llucmajor von seinem Cousin, aragonischem König Pedro, ermordet, und damit ging die Unabhängigkeit Mallorcas zu Ende.
In den ersten Jahrzehnten nach der Eroberung war die Mehrheit der Bevölkerung moslemisch. Das das Volk langsam, aber unanhaltsam und ohne Gewalt zum katholischen Glauben übertritt, war Verdienst eines Mannes namens Ramon Llull.
Dieser Priester setzte auf Kommunikation, mehrmals reiste er sogar nach Nordafrika, um dort mit den moslemischen Philosophen zu diskutieren. Er sprach fliesend arabisch, seine Werke schrieb er aber nicht in Latein, wie damals üblich war, sondern im katalanischen Dialekt. Damit gilt er nicht nur als erfolgreicher Missionär aber auch als Gründer der katalanischen Sprache. Sein Denkmal steht in Palma di Mallorca, in der Hand hält er ein Buch. Neben ihm und Raphael Nadal wurde noch der bekannte Bildhauer und Maler Miguel Barceló (geboren 1957).
Mallorca gehört also zu Spanien, es wird hier allerdings katalanisch gesprochen oder sogar eher der mallorquinische Dialekt, der sich sogar von dem katalanischen unterscheidet. Dass es Unterschiede zwischen den Sprachen auf der Iberischen Halbinsel gibt, habe ich verstanden, nicht nur als mir anstelle des spanischen „solida“ das „sortida“ begegnete, was eher an das französische „sortie“ erinnert, sondern auch daran, dass Jaume die katalanische Form von Jakob ist, was auf Spanisch Diego heißt Wie katalanische Freunde meinem Sohn einmal erklärten, ist Katalanisch zur Hälfte Italienisch und zur Hälfte Französisch, hat aber “überhaupt nichts mit Spanisch zu tun!” Ende des Zitats.
Es gibt viele Möglichkeiten, wie man einen Urlaub auf Mallorca verbringen kann. Junge Deutsche, die wilde Nächte am Ballermann lieben, werden natürlich in Palma übernachten. Ältere Menschen wie wir und Familien mit Kindern wählen eher den Osten der Insel – die schönsten Strände findet man an der „Playa de Muro“. Auch hier gibt es Hotel neben Hotel, aber die Strände sind öffentlich, und man muss sich eine Liege am Strand von den Einheimischen mieten – die Hotels haben keinen Anspruch darauf. Meine Frau brauchte jedoch keine Liege, als sie einmal ins warme Wasser des Mittelmeers ging, weigerte sie sich, wieder herauszukommen. Unser Hotel war großartig und preiswert, nur hat sich meine liebe Gattin wahrscheinlich bei der Buchung vertan, denn sie wollte ein Hotel ohne Kinder, und es handelte sich in Wirklichkeit um ein Kinderhotel mit vielen kinderfreundlichen Attraktionen und einer Menge Kinder von Windelalter bis zu Jugendlichen. Aber selbst so war es hier sehr bequem mit einem sehr guten Service.