Wenn Sie bereits vom Spaziergang in der Stadt Graz müde sind, dann geht es mir genauso. Halten Sie durch, bald wird es vorbei sein. Aber es gibt noch viel zu sehen. Und ich verspreche, dass wir das Stadtzentrum nicht verlassen werden, und wir werden keine weiter entfernten Ziele besuchen, wie zum Beispiel das Schloss Eggenberg am Fuße des Plabutsch-Berges, das barocke Juwel der Wallfahrtskirche Mariatrost, das von Kaiser Karl VI., dem Vater von Maria Theresia, im Jahr 1714 erbaut wurde, die Ruine der Burg Gösting mit Jungfrausprung direkt über die Autobahn A9 oder sogar das Zisterzienserkloster Rein, wo die ersten Herrscher der Steiermark bis zum Vater von Friedrich III., Ernst der Eisernen, begraben sind. Bitte besuchen Sie es privat.
Nachdem wir uns also am Mehlplatz erfrischt haben, überqueren wir die Stadt über den Hauptplatz und betreten das Kälberne Viertel. Es ist nach der Vielzahl von Geschäften benannt, deren Stände an den Außenwänden der das Viertel dominierenden Kirche der Franziskaner aufgebaut wurden und wo einmal Rindfleisch verkauft wurde. Heute sind das Souvenirs und Kleider.
In Richtung Fluss befindet sich das kleinste Haus in Graz – in der Neutorgasse 11.
Ich mag dieses Viertel mit seinen zahlreichen Gasthäusern sehr. Zwei von ihnen, “Don Camillo” und “Peppone”, erinnern an den berühmten Roman des italienischen Journalisten Giovanni Guareschi, in dem in einem kleinen Dorf in der Po-Ebene nach dem Zweiten Weltkrieg der katholische Priester Don Camillo und der kommunistische Bürgermeister Peppone um die Gunst der einheimischen Bevölkerung kämpften. Das Franziskanerkloster wurde noch während der Babenberger-Dynastie gegründet – es werden die Jahre 1221, 1230 oder sogar 1241 angegeben. Als sich im Jahr 1517 der Franziskanerorden in Minoriten (Minoritenbrüder) und Franziskaner- Observanten spaltete, fiel die Kirche an die Minoriten. Bereits im Jahr 1571 bot Erzherzog Karl dieses Kloster den Jesuiten an, doch sie erschraken vor dem desolaten Zustand des Gebäudes und “begnügten” sich lieber mit dem Dom. Die Minoriten mussten schließlich ihr Kloster den Observanten überlassen. Der Grund war angeblich das unmoralische Leben der Mönche. Sie gingen nur über die Mur und ließen sich in Sichtweite ihres alten Quartiers das neue, wunderschöne Mariahilf-Kloster errichten. Es ist eines der wenigen rein barocken Gebäude in Graz mit einem prächtigen Barocksaal.
Sowohl Erzherzog Ferdinand als auch der frisch konvertierte Ulrich von Eggenberg trugen zum Bau bei, den der Baumeister des Mausoleums, Giovanni Pietro de Pomis, zwischen 1607 und 1611 geschaffen hat. Ulrich von Eggenberg musste nämlich beweisen, dass er es mit seiner Konversion zum Katholizismus ernst meinte, und das Ergebnis kann sich sehen lassen. Der Bau hat offensichtlich den steirischen Herrscher Ferdinand so angesprochen, dass er den Architekten beauftragte, das bereits erwähnte Mausoleum neben dem Dom zu errichten. Wenn jemand – wie ich – über die fehlende Logik nachdenken würde, nämlich dass das Mausoleum im Stil des Manierismus erbaut wurde und das einige Jahre ältere Mariahilf-Kloster rein barock ist, liegt das daran, dass das heutige Aussehen des Klosters hundert Jahre jünger ist. Den Mönchen hat ihr Kloster im Gegensatz zu Erzherzog Ferdinand nicht so gut gefallen, und sie ließen es in den Jahren 1742-1744 in die heutige barocke Form umbauen.
In dem Franziskanerkloster – der Pfarrkirche der Himmelfahrt der Jungfrau Maria – befindet sich die schönste gotische Jakobikapelle mit einem vergoldeten Altar. Übrigens wurde dort meine erste Enkelin getauft.
Zwischen den beiden Klöstern steht die Hauptbrücke über den Fluss Mur. Seit 1361 war sie aus Holz und wurde immer wieder von hohem Wasser weggerissen. Erst im Jahr 1889 wurde die heute noch stehende Stahlbrücke errichtet. Ursprünglich war sie mit Metallstatuen von Styria und Austria geschmückt – diese sind heute im Stadtpark ausgestellt. Styria ist eine friedliche Magd, während Austria mit Waffen klirrt.
Im Jahr 1471 war diese Brücke die einzige Überquerungsmöglichkeit über den Fluss, und auf der Stadtseite standen zwei Tore mit befestigten Türmen – das innere und das äußere Tor. Hier fand der berühmte Rebell Andreas Baumkircher sein Ende. Diese wahrhaft legendäre Figur lebte zurzeit Kaiser Friedrichs III. Andreas Baumkircher besaß ausgedehnte Ländereien und einige Burgen im heutigen Burgenland und war sogar eine Zeit lang der Zupan (Landeshauptmann) von Pressburg (Bratislava). Mehrmals half er dem Kaiser persönlich, zum Beispiel als er von der tschechischen Armee belagert wurde, die die Auslieferung von Ladislaus Posthumus forderte. Ladislaus war zwar offiziell der König von Böhmen, befand sich jedoch “unter dem Schutz” Friedrichs in der Wiener Neustadt. Baumkircher lieh dem Kaiser große Geldsummen. Friedrich war jedoch nie besonders gewissenhaft beim Begleichen seiner finanziellen Pflichten und seine Schulden bei Baumkircher wuchsen in schwindelerregende Höhen. Als Andreas die Hoffnung aufgab, seine Gelder auf legalem Weg zurückzuerlangen, erklärte er dem Kaiser “Fehde”, das heißt Krieg. Auf diese Weise konnten Gläubiger gemäß dem mittelalterlichen Recht ihre Forderungen durchsetzen. Dass dabei Menschen starben und Dörfer und Städte brannten, überraschte damals niemanden besonders. In der Steiermark entbrannte ein echter Krieg, bei dem die Rebellen die Städte Hartberg, Feldbach, Fürstenfeld, Maribor und Slovenska Bystrica besetzten, die Städtchen Wildon oder Katsch wurden völlig zerstört und der Konflikt kulminierte in der Schlacht bei Fürstenfeld am 21. Juli 1469. Auf beiden Seiten kämpften erfahrene böhmische Söldner mit husitischer Ausbildung, die kaiserliche Armee wurde vom Hauptmann Jan Holub angeführt, dessen Nationalität ist auch klar. Beide Seiten verwendeten die Taktik der Wagenburg. Die Schlacht war außergewöhnlich blutig und endete mit einem Sieg der Truppen von Baumkircher, als auch Jan Holub schwere Verletzungen erlitt und den Rückzug befehlen musste. Allein auf Seiten der Sieger gab es angeblich 300 Tote und 500 Verwundete.
Nach dieser Niederlage erkannte der Kaiser, dass er den Aufstand militärisch nicht unterdrücken konnte, und bot Baumkircher Verhandlungen an. Am 23. April 1471 kamen Andreas Baumkircher und sein Freund Andreas von Greisenegger mit einem Schutzbrief nach Graz, der bis zu der Vesper gültig sein sollte. Die Verhandlungen auf dem Schlossberg zogen sich jedoch hin, der Kaiser musste natürlich sowohl am Vormittag als auch nach dem Mittagessen ausschlafen (nicht umsonst nannte man ihn Erzschlafmütze), und als es der spätere Nachmittag war, bat Baumkircher um eine Verlängerung des Schutzbriefes. Als dies abgelehnt wurde, begann er einen Hinterhalt zu ahnen. Er brach die Verhandlungen ab, aber seine Pferde waren vom Schlosshof verschwunden. Die Ritter rannten zum Tor, und sie hätten es vielleicht geschafft, aber der Kaiser, der ihre Flucht beobachtete, ließ die Vesper eine Viertelstunde früher läuten. In dem Moment, als beide Ritter zwischen dem inneren und äußeren Tor waren, fielen die eisernen Gitter an beiden Toren herab, und sie befanden sich in der Falle. Ihre tapfere Verteidigung half ihnen nicht. Sie wurden gefangen genommen und noch am selben Tag hingerichtet, laut der Legende genau an jener Stelle zwischen den beiden Toren mit Blick auf die Brücke und das gegenüberliegende Ufer, wo die Rettung in Form von Baumkirchers Männern wartete.
Gleich auf der anderen Seite des Flusses befindet sich das Kunsthaus.
Mit seinem unkonventionellen Aussehen konnten sich die Bewohner von Graz, und nicht nur sie, lange Zeit nicht abfinden. Die Stadt versuchte den Unmut mit dem Spitznamen „Friendly Alien“ zu besänftigen. Die Bürger gaben dem Gebäude den Spitznamen “Krake”, aber sie gewöhnten sich allmählich daran. Es wurde sozusagen zum steirischen Eiffelturm. Auf jener rechten Flussseite befinden sich die schönsten Jugendstilhäuser, in denen einst die jüdische Gemeinde lebte. Die alte Synagoge wurde in der Kristallnacht vom 9. auf den 10. November 1938 von den Nazis zerstört, die neue wurde an derselben Stelle im Jahr 2000 eröffnet. Die Uferpromenade wird von den Hotels Weitzer und Wiesler dominiert. Das Fünfsternhotel Weitzer hat bereits Mick Jagger, Dalai Lama oder Jennifer Lawrence beherbergt. Arnold Schwarzenegger soll sogar eine Suite für seine Besuche in seiner Heimatstadt langfristig gemietet haben. Hinter den Hotels befindet sich das Kloster der Barmherzigen Brüder mit einem Krankenhaus. Die Mönche des Ordens, den der portugiesische Abenteurer Johann von Gott im Jahr 1539 gegründet hat, wurden im Jahr 1615 von den Erzherzögen Ferdinand und Maximilian nach Graz eingeladen. Es war ihr zweiter Wirkungsort auf habsburgischem Gebiet, der erste befand sich seit 1605 im mährischen (damals allerdings noch österreichischen) Valtice (Felsenberg). Dieser Orden reformierte die medizinische Versorgung und das angesehene Krankenhaus befindet sich dort bis heute. Genauso wie im nahegelegenen Haus des Elisabethinen-Ordens – der Turm ihrer Kirche ist weiß im Gegensatz zum gelben der Barmherzigen Brüder. Im Turm der Kirche der Barmherzigen Brüder befindet sich eine Kuriosität – die Schiffsglocke des österreichischen Kriegsschiffs “SMS Tegetthoff”. Es war das Flaggschiff der österreichischen Marine in der einzigen Seeschlacht, die Österreich je gewonnen hat – natürlich gegen Italien. Die Schlacht fand 1866 bei Lissa statt. Die Glocke hatte eine bewegte Geschichte. Zuerst wurde sie nach der österreichischen Kapitulation im Jahr 1918 den Italienern übergeben. Im Jahr 1942 wurde sie auf den schweren Kreuzer “Prinz Eugen” verlegt und im Jahr 1945 nach Kiel gebracht, um in Sicherheit zu sein. Dort blieb sie in einer Marineschule bis 1973, als sie ihren Platz im Turm der Kirche der Barmherzigen Brüder in Graz erhielt.
Auf der linken Muruferseite können wir über die Brücke oder über die Murinsel zurückkehren – eine künstliche Insel, die anlässlich von Graz als Kulturhauptstadt Europas im Jahr 2003 geschaffen wurde. Achten Sie darauf, die Toilette auf dieser Insel zu besuchen! Die Spiegel sind so gemein angeordnet, dass es recht schwierig ist, die Toilette wieder zu verlassen.
Ich habe wirklich gehofft, den Spaziergang durch Graz heute beenden zu können. Allerdings haben wir heute schon mehr als genug gesehen und gelesen. Gönnen wir uns also noch eine zweiwöchentliche Pause, bis unser Besuch von Graz endlich zu Ende geht.