Die Kirche wurde von Karl dem Großen als ein riesiges Oktagon konzipiert und es ist voll mit Symbolik (bereits das Achteck symbolisiert den achten Tag der Schöpfung, also das Jüngste Gericht und mit ihm die Vollendung der Vollkommenheit.)

Diejenigen, die schon bei meinem Artikel über Köln bei der Beschreibung der dortigen heiligen Reliquien, die in der Stadt so eine wichtige Rolle spielten, den Kopf geschüttelt haben, werden jetzt wahrscheinlich mit der Stirn gegen die Wand schlagen. Karl ließ sich nämlich bei der Gelegenheit der Einweihung der Kirche vom Patriarchen von Jerusalem heilige Reliquien von unbezahlbarem Wert schicken. Es sind ausnahmeweise keine Knochen – in einem prächtigen vergoldeten Reliquiar befinden sich: Die Windel Jesu und sein Lendentuch vom Tag der Kreuzigung, das Kleid der Jungfrau Maria und das Tuch, in dem der Kopf des heiligen Johannes des Täufers eingewickelt war. Schon genug gelacht? Dann dürft ihr weiterlesen.

Also jetzt zur Symbolik dieser Kleiderstücke. Die Windel Jesu und sein Lendentuch symbolisieren die Geburt und den Tod, also den Kreislauf des menschlichen Lebens. Das Kleid Marias dann die Mutterschaft, also das Leben vor dem Leben und das Tuch des Johannes Täufers überbrückt den Neuen mit dem Alten Testament.

Die Stoffe werden seit dem Jahr 1349 (wieder einmal hatte der luxemburgisch-tschechischer deutscher Kaiser Karl IV. seine Finger im Spiel) jede sieben Jahre öffentlich ausgestellt. Und sie zeigen keine Zeichen eines Verfalls, obwohl sie nach der Karbonanalyse tatsächlich aus dem ersten Jahrhundert stammen – und das ohne jegliches Konservierungsmittel – das grenzt wirklich an einem Wunder.

In der Kirche gibt es noch ein Reliquiar – mit den Knochen ihres Gründers Karls des Großen. Dieser großer Verbreiter des Christentums – er verbreitete es mit Feuer und Schwert, wer sich nicht taufen ließ, verlor sofort seinen Kopf wie zehntausende unzähmbare und unnachgiebige Sachsen – wurde am 29.12.1165 vom Papst Paschalis III. auf das Ansuchen Kaisers Friedrich Barbarossas heiliggesprochen. Paschalis war allerdings ein Gegenpapst nach dem Willen des Kaisers – Barbarossa konnte nämlich das tatsächliche Oberhaupt der Kirche, den Papst Alexander III., nicht leiden. Karl der Große gilt also als heilig im deutschsprachigen Raum – genauer gesagt im Bereich des ehemaligen mittelalterlichen Römischen Reiches, von der allgemeinen katholischen Kirche ist er aber als ein Heiliger nicht anerkannt. Auf dem prächtigen vergoldeten Reliquiar gibt es eine Darstellung von 16 Königen, den Nachfolgern des Karls bis zu Friedrich II. – das Reliquiar schenkte dem Dom nämlich gerade dieser Enkel Barbarossas am Tag seiner Krönung am 27. Juli 1215. Interessant ist, dass die Analyse der Knochen bewies, dass sie wirklich von einer einzigen Person stammen und diese am Ende des achten Jahrhunderts lebte – es könnte sich also wirklich um die leiblichen Überreste Karls handeln. Der Leichnam war 184 cm groß, gehörte also für seine Zeit einem wirklich großen Mann. Er ist aber im Reliquiar nicht komplett, ein wichtiger Teil der Leiche fehlt – dazu kommen wir noch und hier hat wieder einmal Karl IV. seine Spielchen getrieben. Barbarossa war bei der Heiligsprechung Karls des Großen anwesend und er schenkte bei dieser Gelegenheit der Kirche einen gigantischen 265 Kilogramm schweren Leuchter, der von der Decke an einer 27 Meter langen Kette hängt. Die Kette ist gleich wie der Leuchter ein Original aus dem Jahr 1165 und wird in Richtung Kirchendecke breiter, um auszusehen, als ob sie in der gesamten Länge immer gleich dick wäre. Ihre 240 Glieder wiegen insgesamt 330 Kilogramm, also mehr als der Leuchter selbst. Auch der Leuchter ist voll mit Symbolik, er stellt das himmlische Jerusalem mit acht großen und acht kleinen Türmen und 48 Kerzen dar.

Der wichtigste Gegenstand in der Kirche ist der Krönungsstuhl der römischen Könige.

Im Dom wurde der Sohn Karls des Großen, Ludwig der Fromme, als der erste König gekrönt und diese Tradition wurde dann von Otto I. wiederbelebt. Seit dieser Zeit wurde zum römischen Herrscher nur der König anerkannt, der auf diesem Thron in der Kathedrale in Aachen vom Kölner Erzbischof mit der Krone, die Otto für diese Gelegenheit anfertigen ließ, gekrönt wurde. Diese Krone befindet sich heutzutage in der Schatzkammer der Hofburg in Wien. Es gab insgesamt dreißig Krönungen, die letzte spielte sich im Jahr 1531 ab, als Ferdinand I. zum deutschen König gekrönt wurde. Sein Sohn Maximilian II. hatte zu heiligen Reliquien eine distanzierte Stellung und seinem Enkel Rudolf II. war Aachen zu weit, um so eine Reise zu unternehmen. So starb diese Tradition am Ende des sechzehnten Jahrhunderts.

Um den Sinn für die Symbolik zu verstehen, müssen wir uns mit dem Thron länger beschäftigen. Der Thron ist nämlich selbst eine Reliquie. Die Marmorplatten, aus denen er gebaut ist, stammen angeblich aus der Kirche des Heiligen Grabes in Jerusalem. Das ist durchaus möglich, die Platten haben tatsächlich einen antiken Ursprung, auf einer von ihnen gravierten nämlich die römischen Legionäre das Spielbrett für ein in der damaligen Zeit beliebtes Brettspiel ein. Damit aber der Akt der Krönung noch mehr Symbolik hätte, wurde unter den Thron ein Beutel mit der mit dem Blut des ersten christlichen Märtyrers des heiligen Stefan durchtränkte Erde – also die Erde aus dem Heiligen Land – gelegt. Der König wurde also somit auf heiligem Boden gekrönt. Nur dann durfte der Kölner Erzbischof dem König die Krone Karls, also eigentlich Ottos I. auf das Haupt setzen, die speziell für diese Gelegenheit aus Nürnberg gebracht wurde. Die Krönungsinsignien der römischen Könige wurden auf zwei verschiedenen Plätzen aufbewahrt. In Nürnberg lag die Krone, das Kreuz, die heilige Lanze, der Reichsapfel, das Schwert, das Zepter und das Gefäß für das Weihwasser. In Aachen wurden dann der Beutel mit dem Blut des heiligen Stephans, das Reichsevangeliar und die Säbel Karls des Großen aufbewahrt.

Heute ist die Kirche mit Mosaiken geschmückt, die hier nach der Beseitigung der barocken Dekoration im neunzehnten Jahrhundert erschaffen wurden. In der Zeit Karls war die ganze Kirche weiß ausgemalt und lediglich die Metallartefakte wie die Geländer waren vergoldet. Es strahlten also in dem Kircheninneren nur zwei Farben – Weiß und Gold – die Farben des Heiligen Stuhls in Rom und damit eine klare kaiserliche Provokation im Kampf um die Vorherrschaft über die Welt. Wie schon gesagt, Karl mochte den Papst Alexander nicht.

Es ist unbedingt notwendig auch die Schatzkammer in Aachen zu besuchen. Auch hier finden wir Spuren Karls IV. Dieser Kaiser war nämlich der Namensvetter des Gründers des mittelalterlichen Weströmischen Reiches, und zwar nach langen 461 Jahren. Seit dem Tod Karls III., des Dicken im Jahr 888 gab es keinen weiteren Karl auf dem römischen Thron. Der Name war nämlich im deutschsprachigen Raum unüblich und auch Karl IV., eigentlich mit eigenem Namen Wenzel, nahm diesen Namen bei seiner Firmung in Frankreich an, wo sein Pate sein Onkel, der französische König Karl IV. der Schöne, war. Karl IV. schenkte der Schatzkammer zwei Reliquiare. Ein davon in einer traditionellen Form eines Gebäudes mit gotischen Türmen. Es ist dadurch interessant, dass der Autor hier vollkommen falsch den Dom in Aachen dargestellt hat – offensichtlich kannte er ihn nur vom Hören und das Reliquiar erstand im fernen Prag. Das zweite Reliquiar ist eine äußerst skurrile Angelegenheit. Es ist wahrscheinlich die berühmteste Büste der Welt. Sie stellt Karl den Großen mit einer Krone auf dem Haupt dar. Gerade mit dieser Krone wurde Karl IV. im Jahr 1349 zum römischen König gekrönt – nur danach landete sie auf dem Haupt der Büste seines berühmten Vorgängers. Die richtige Krone Ottos I. hatten damals nämlich die Söhne von Karls Vorgänger, Ludwig IV. des Bayern, im Besitz und wollten sie nicht herausgeben. Aber wie sollte man die Krönung mit einer Krone, die das Haupt der Gründer des Weströmischen Reiches nachträglich getragen hat, anzweifeln? Der Deckel der Büste ist abklappbar und drinnen befindet sich der Schädel Karls des Großen. Durch die Initiative Karls IV. wurde jeder neue angehende römische König in den Toren der Stadt Aachen mit dieser Büste empfangen. Er musste den Deckel abklappen und den drinnen versteckten Schädel küssen. Ein bisschen skurril und sicherlich nicht gerade hygienisch, aber das konnte keinen einzigen Königskandidaten zur Verweigerung dieser Zeremonie ermutigen. Bis zu Maximilian II.  

Neben diesen Reliquiaren gibt es in der Schatzkammer auch andere Schätze, unter ihnen auch „Der Tschechische Flügelaltar“ mit Darstellung des heiligen Wenzel. Nach Aachen kam es irgendwann in der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts, als in Tschechien Georg von Podiebrad herrschte, der dauernd mit dem Papst im Streit bezüglich seiner Rechtsgläubigkeit lag. Keine Ahnung, warum gerade zu dieser Zeit ein Reliquiar aus Prag nach Aachen kam. Aber es gab in dieser Zeit in Böhmen auch eine reiche katholische Opposition, die sich nach politischer Unterstützung von Gott und Kaiser sehnte und bereit war, diesbezüglich etwas zu investieren.

In der Empfangshalle des Rathauses in Aachen überraschte mich das Bild des Sohnes Karls IV. Sigismunds. Er ist auf der Wand, das dem Bild Karls des Großen gegenüber liegt, dargestellt. Ich habe keine Ahnung, warum gerade er so geehrt wurde. Vielleicht war die Wand im neuen Gebäude gerade frei. Oder hat sich es dieser Kaiser irgendwie verdient, ich weiß aber nicht wodurch.

 Den Namen Karls des Großen trägt auch der Karlspreis oder genauer seit 1988 „Internationaler Karlspreis zu Aachen“, den diejenige Person oder Organisation verliehen bekommt, die sich am meisten für die Vereinigung Europas eingesetzt hat. So wie der Kaiser das ganze damalige Europa unter seinem Zepter vereinigen versuchte. Die Preisträger sind manche großen Europäer, 1954 Konrad Adenauer, 1955 Winston Churchill, aber auch Nicht-Europäer, wie im Jahr 1959 George Marschall, der Vater des Wiederaufbauplanes Europas. Aus den neueren Zeiten dann 1987 Henry Kissinger, 1988 Helmut Kohl und Francois Mitterand und 1991 Vaclav Havel. 1995 ging dieser Preis an Franz Vranitzky, offensichtlich für seinen Verdienst für Beitritt Österreichs zu EU. 2008 wurde Angela Merkel mit diesem Preis geehrt, die Preisträger aus dem Jahr 2020 sind die Anführer der weißrussischen Opposition der letzte Preisträger aus dem Jahr 2021 ist der rumänische Präsident Klaus Johannis.

Aachen ist beeindruckend und sehr schön. Besonders für Geschichteliebhaber ist die lange Reise in diese Stadt viel wert. Aachen ist nicht wirklich nah, es liegt nämlich nah an der Grenze dreier Länder – es gibt hier einen Dreiländerpoint Deutschland, Niederlande und Belgien (dieser Punkt mit 322 m über dem Meeresspiegel ist zugleich der höchste Berg der Niederlande. Wenn ihr also Niederlande von oben schauen möchtet….

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