Ich würde heute meinen Artikel mit dem gleichen Zitat aus dem deutschen Reiseführer anfangen, mit dem ich vor zwei Wochen mein Schreiben beendet habe. Also:
„Die Abfahrt von Jadranski Put hinunter an den Strand des Retortendorfes Čanj lohnt sich eigentlich nur für Reisende mit sehr schmalem Budget und geringen Ansprüchen. Fast ausschließlich Urlauber aus Serbien sowie ein paar versprengte Tschechen und Ungarn verbringen hier ihren Urlaub auf der Luftmatratze. Am Wochenende wird es dann richtig voll, denn von Podgorica sind es durch den neuen Straßentunnel nur noch 45 Minuten bis hierher. Da ist es natürlich praktisch, dass der hintere Teil des Kiesstrands gleich als Parkplatz ausgewiesen ist.“
Trotzdem hat nicht einmal dieser Reiseführer das Hauptproblem von Čanj erfasst – nämlich, dass es sich tatsächlich um den Stadtstrand der Hauptstadt von Montenegro Podgorica handelt. Nach dem Bau des Straßentunnels, der Podgorica mit der Küste anbindet, ist gerade Čajn der nächstgelegene Strand, zu dem die Einwohner von Podgorica aufbrechen, wenn sie sich entscheiden, ans Meer zu fahren. Und das tun sie leider häufig. Die Fahrt hierher mit dem Auto dauert – wie schon erwähnt – ungefähr eine Dreiviertelstunde, also es zahlt sich aus, sogar nachmittags nach der Arbeit herzufahren und ein kleines Bad im Meer zu nehmen. Diese Möglichkeit wird leider sehr oft genutzt – meiner Meinung nach viel zu oft. Also das schöne Photo im Internet wurde sicherlich irgendwann in April um sechs Uhr morgens geschossen.
Das ist nämlich wahrscheinlich die einzige Zeit, wenn der Strand nicht überfüllt ist. Übrigens, es gibt nicht nur „ein paar versprengte Tschechen“ hier. In einem alten Hotel am Strandrand residiert die tschechische Versicherung „Mořský koník“, also „Seepferd“ und organisiert hier Erholungsaufenthalte für tschechische Kinder.
Die einzige Alternative für ein schönes Bad ist ein Transfer mit einem Boot für drei Euro zum „Königsstrand“, der sich hinter einem Felsen in einer anderen Bucht befindet. Leider ist diese Überfahrt für Menschen mit Kinetose, wie zum Beispiel meine Frau, nicht unbedingt empfehlenswert.
Übrigens Čanj war der nördlichste Punkt von Montenegro bis zum Jahr 1918. Zwei Kilometer nördlich von diesem Dorf gibt es einen Pass, der in den Jahren 1878 – 1918 die österreichisch-montenegrinische Grenze war. Das Städtchen Petrovac – damaliges venezianisches und später österreichisches „Castello Lastva“ war der südlichste österreichische Ort. So weit nach Süden reichte nach dem Wiener Kongress Österreich-Ungarn und Montenegriner wechselten auf der anderen Seite der Grenze die Türken im Jahr 1878 aus, als sie mit russischer Hilfe den Zugang zum Meer eroberten – damals nach 1878 gehörten aber zu Montenegro lediglich die Häfen Antibari (das heutige Bar) und Ulcinj.
Natürlich besaß ich die Adresse unserer Unterkunft. Der Name „Apartman Promis“ klang nobel und ich war überzeugt, dass in einem Loch wie Čanj doch jeder Mensch wissen müsste, wo das ist. Obwohl mein GPS natürlich keine Ahnung hatte. Es brachte uns nach Čanj , den Namen der Straße kannte es aber natürlich nicht und ich konnte den richtigen Ort nicht finden. Meine Frau war überzeugt, dass sie unser Apartment in einem Gebäude am anderen Ende des Ortes erkennen konnte, wir fuhren also hin. Vor den Häusern, die denen aus dem Internet absolut ähnelten, obwohl sie keine sichtbare Bezeichnung des Apartments trugen, gab es einen öffentlichen Parkplatz. Ich blieb dort stehen und fragte einen jungen Mann, der dort die Parkgebühren einhob, ob das Gebäude vor uns „Apartman Promis“ sei. Er sagte absolut überzeugend, dass es sicher nicht so sei, er müsste darüber doch etwas wissen. Ich wurde unsicher, allerdings glaubte ich ihm und fuhr weg, um unsere Unterkunft zu suchen. Entlang der Küstenstraße gab es eine Menge kleiner Geschäfte, Strandbars und Restaurants, ich hielt bei einem Geschäft an und zeigte der Verkäuferin die Adresse unserer Unterkunft. Sie schüttelte den Kopf und meinte, es wäre sicher nicht dort. Ich begann zu schwitzen und wandte ein, wir wären doch in Čanj. Das war sie bereit zu gestehen, sie meinte aber, dass es die Adresse auf unserer Buchung über „Booking com“ im Ort sicher nicht gäbe. Ein bisschen irritiert entschied ich mich in einem Restaurant nach dem Apartment zu fragen. Ein guter Wirt muss doch alles wissen! Er meinte aber, dass er von einem Apartment mit diesem Namen und über diese Adresse, die ich auf meinem Papier hatte, noch nie etwas gehört hätte. Ich begann zu ahnen, dass wir Opfer von Internetbetrügern waren. Auf der Buchung gab es aber eine Telefonnummer. Ich rief an… und ich läutete ins Leere. Nicht nur das erste Mal, sondern auch das zweite Mal hat niemand abgehoben. Das dritte Mal meldete das Telefon, dass die gerufene Nummer unerreichbar wäre. Kurz bevor ich in Ohnmacht gefallen wäre, erinnerte ich mich, das ich bei der Einfahrt in den Ort einen Polizisten sah, der gerade dabei war, jemandem einen Strafzettel auszustellen. Ein Polizist MUSS doch wissen, wo es welche Adresse gibt – in einem Ort, um den er sich kümmert.
Wir fanden den Polizisten. Ich fragte ihn nach der Adresse und er meinte, dass so etwas sich in Čanj sicher nicht befinde. Er merkte meine Blässe und rief die Telefonnummer aus meiner Buchung an. Ich wandte ein, dass ich diese Nummer bereits dreimal erfolglos angerufen hatte. Er reagierte auf meinen Einwand nur mit einer missachtenden Handbewegung und tippte die Nummer in sein Handy. Diesmal wurde auf der anderen Seite sofort abgehoben. Es folgte ein langes und sehr emotionales Gespräch. Dann forderte mich der Polizist auf, ihm zu folgen. Er schaltete an seinem Motorrad das Blaulicht ein und führte uns – direkt vor die Apartments, wo wir am Anfang unserer Suche waren.
Der junge Mann auf dem Parkplatz war sehr überrascht, uns wieder zu sehen. Noch mehr überrascht war er, als er erfuhr, dass das Haus hinter dem Parkplatz, wo er bereits den ganzen Sommer die Parkgebühren eingehoben hat, ein Apartment namens „Promis“ ist.
Die Zufahrt zum Appartement war nicht ganz einfach, weil serbische Touristen ihre Autos in zwei Reihen nebeneinander abgestellt und somit die Zufahrt beinahe verschlossen hatten, aber als ich mich auf dem Parkplatz umdrehte und die Zufahrt von der anderen Seite angefahren hat, gelang es mir mit Hilfe meiner Gattin und fester Nerven mein Auto doch in die Lücke zu pressen und bald danach vor unserem Appartement einzuparken. Die Dame in der Rezeption sprach sehr gut Russisch und Englisch gleich schlecht wie ich, also war die Kommunikation mit ihr absolut problemlos. Man durfte ausschließlich in bar zahlen, es wurden keine Karten akzeptiert. Zum Glück rechnete ich damit und hatte genug Bargeld zur Hand. Auf die Frage, wo sich der nächste Bankomat befinde, um die dadurch erschöpfte Geldresourcen aufzufüllen, sagte mir die Dame, dass es in Bar wäre. Die Stadt Bar war elf Kilometer entfernt. In diesem Moment begann ich zwei Dinge zu ahnen:
- Čanj ist kein touristisches Zentrum, wie wir gewohnt sind. Das bestätigte sich auch. Wir fanden hier ein einziges Restaurant, das sogar Sonnenschirme mit einer Werbung für das tschechische Bier „Staropramen“ hatte (Obwohl es nur „Nikšičko pivo“ in Angebot gab – das Bier war aber nicht schlecht). Es gab hier nur ein Hotel. Als wir dort einmal zum Mittagessen gingen, war das Personal von der Anwesenheit der Ausländer so durch den Wind, dass wir uns weitere Besuche lieber ersparten. Ein Geschäft vom Typ eines Supermarkets gab es hier keines und das ganze Dorf wurde von einem Polizisten bewacht – dem, der uns zu unserem Appartement brachte und seit diesem Moment mit uns sehr befreundet war – übrigens bekam er für die Rettung unserer Leben zehn Euro als Trinkgeld.
- Ganz Montenegro ist eine große Waschmaschine fürs Geld. Und zwar für russisches Geld. Es gibt doch nichts Besseres, als in dieses Land schmutzige Rubel zu investieren und aus der Waschmaschine dann saubere Euros zu kassieren. In Montenegro zahlt man mit Euro, obwohl das Land keine eigene Emissionspolitik betreibt (obwohl es eine Nationalbank in Podgorica besitzt – welche Funktion diese Bank hat, habe ich nicht entziffert). EU akzeptiert schweigend diesen Auswuchs, offensichtlich bringt er doch bestimmte Vorteile. Es war eine Tat des Präsidenten Djukanovič, als Montenegro noch ein Teil der serbisch-montenegrinischen Föderation war. Im Jahr 1999 nach der Bombardierung von Serbien durch die Flugzeuge der NATO befürchtete Djukanovič eine Inflation des serbischen Dinars. Er entkoppelte also die eigene Währung und nahm als offizielles Zahlungsmittel im Land die deutsche Mark an (die seit 1998 bereits ein offizielles Zahlungsmittel im benachbarten Bosnien und Herzegowina war). Als dann Deutschland der Eurozone beitrat, folgte ihm Montenegro – im Gegensatz zu Bosnien. Der größte der montenegrinischen Kurorte am Meer – Budva – ist fest in russischer Hand, für russische Touristen wurde sogar ein Militärflughafen in Tivat in einen zivilen Flughafen umgebaut – der Weg nach Montenegro führt direkt am diesen Flughafen vorbei, als über mein Auto in einer ungefähr Dreißigmeterhöhe ein großes Flugzeug der Aeroflot schwebte, war ich mir nicht sicher, wie es der Pilot meinte und ob er gerade landete oder abstürzte. Die Montenegriner haben – ähnlich wie die Serben – ein traditionell gutes Verhältnis zu Russland und die Ähnlichkeit ihrer Sprache mit Russisch verdankt sie nicht nur den gemeinsamen slawischen Wurzeln, aber auch der Tatsache, dass der Gründer der serbischen (und damit auch montenegrinischen) Sprache Petar Petrovič Njeguš in Sankt Petersburg studierte.
Wir haben also unsere Unterkunft bezogen, die Apartments waren schön, neu und sauber mit einem Schwimmbad und sogar auch die Mehlschwalben auf dem Balkon hielten sich an die Vorschriften der Sauberkeit. Wir bereiteten uns vor, das interessante Land zu erkunden. Aber darüber das nächste Mal.