Betlehem, wo der Lebensweg Christi begann, ist heutzutage mit Jerusalem grundsätzlich zusammengewachsen. Also, es wäre zusammengewachsen, gäbe es zwischen den beiden Städten nicht eine acht Meter hohe Mauer. Die Grenzübergänge werden von bewaffneten israelischen Soldaten überwacht. Betlehem liegt nämlich in Palästina also in der „Westbank“, im autonomen palästinischen Gebiet. Betlehem gehört zur „Zone A“, also zum palästinischen Gebiet mit einer vollständigen Autonomie, also mit Zivilverwaltung und palästinischer Polizei (Palästinenser dürfen keine Armee haben). Man wird nach der Überquerung der Grenze von einer großen roten Tafel ein bisschen überrascht, auf der, geschrieben mit großen weißen Buchstaben, steht: „Dieser Weg führt in ein palästinisches Dorf. Benutzung dieser Straße ist für israelische Staatsbürger lebensgefährlich“. Aus diesem Grund wechseln die Reisegruppen, die einen israelischen Reiseführer haben, an dieser Stelle diesen in einen palästinensischen. In Betlehem machen die Führungen ausschließlich Palästinenser.
Zur „Geburtskirche“ muss man also über die Grenze – am bestens im Taxi mit einem arabischen Fahrer. Betlehem ist eine prosperierende Stadt, gleich wie Rammallah profitiert es von der Loyalität der derzeitigen palästinischen Führung – und von der Touristik. Es gibt hier Vier – und Fünfsternhotels (obwohl man im Vergleich mit mitteleuropäischen Verhältnissen einen Stern abziehen sollte). Es ist doch ein bisschen anders, zum Beispiel im Hotel Gabriel ist die ganze Bar eine Raucherzone, also für Nichtraucher ist es dort ein bisschen schwierig. Eine Zigarette gehört im Orient zum Image eines erwachsenen Menschen noch viel mehr als bei uns und medizinischer Tratsch über die Schädlichkeit des Rauchens ist hier noch nicht angekommen. Im Stadtzentrum gibt es ein riesiges modernes Einkaufszentrum, wäre es nicht arabisch beschriftet (nur arabisch, hebräische Aufschrift würde man vergeblich suchen), könnte man glauben, man wäre zu Hause.
Die Basilika „Geburtskirche“ist ein riesiges Gebäude im romanischen Stil. Angeblich ist es die einzige Kirche in ganz Palästina, die das Wüten der Perser im Jahr 614 überlebte. Der Grund war das Mosaik mit einer Abbildung der drei Könige vor ihrem Eingang. Diese wurden in den traditionellen persischen Gewänden dargestellt und das hielt die Soldaten des persischen Königs ab – sie fürchteten, sie könnten einen persischen Tempel zerstören. Das Mosaik gib es hier heutzutage nicht mehr, der Eingang in die Basilika ist trotzdem sehr interessant. Grundsätzlich handelt sich um drei Eingänge in einem. Der größte und der mittelgroße (sagen wir der normal große) sind beide zugemauert, es bleibt nur ein kleiner Eingang, in dem man sich viel bücken muss, um durchzukommen. Angeblich ist der Grund, dass kein Mann in der Rüstung und mit einer Waffe hineinkommen durfte. Was funktionieren könnte. Ein gepanzerter Ritter kann sich sicher nicht so klein machen, um durchzukommen. Das Innere der Kirche ist dafür groß. Groß genug, damit sich hier eine dreistündige Schlange bilden kann, die auf den Eintritt in die Höhle im Untergeschoß wartet, wo das Christkind zur Welt kam.
So zog auch Josef von der Stadt Nazareth in Galiläa hinauf nach Judäa in die Stadt Davids, die Betlehem heißt, denn er war aus dem Haus und Geschlecht Davids. Er wollte sich eintragen lassen mit Maria, seiner Verlobten, die ein Kind erwartete. Als sie dort waren, kam für Maria die Zeit ihrer Niederkunft und sie gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen. Sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil in der Herberge kein Platz für sie war. (Lukas 2, 4-7)
Das apokryphische Matthäus Pseudoevangelium bereichert diese Erzählung mit unseren zwei bekannten Tieren: „Am dritten Tage nach der Geburt unseres Herrn Jesus Christus trat die seligste Maria aus der Höhle, ging in einen Stall hinein und legte ihren Knaben in eine Krippe, und Ochs und Esel beteten ihn an. Da erfüllte sich, was durch Propheten Jesaja verkündet ist, der sagt: Der Ochse kennt seinen Besitzer und der Esel die Krippe seines Herrn“
Weil die Apokryphen in der christlichen Tradition eine bedeutende Rolle spielen, muss natürlich der Geburtsort Christi in einer Höhle sein – die Stelle der Geburt ist auf dem Boden mit einem Stern gekennzeichnet.
Vorher muss man aber eine mehrstündige Schlange überstehen, die sich durch die orthodoxe Basilika schlängelt, bis man zum Eingang in die Höhle kommt. Die Menschen sickern in den Eingang der Höhle wie Sand in ein Loch im Boden, der Ort hat aber trotz dieses Andrangs der Pilger und Touristen etwas in sich. Hier klingen die Worte des Evangelium von Lukas: „In jeden Tagen erließ Kaiser Augustus den Befehl…“ einfach anders als wo anders.
Die wunderschöne Ikonostase und riesige Kronleuchter aus Silber stiftete der russische Zar Nikolaus II. für die Kirche. Der Herrscher, der in seinem Heimatsland zu einem heiligen Märtyrer erklärt worden ist, da er mit seiner ganzen Familie dem Terror der Bolschewiken zum Opfer fiel.
Da die Geburtskirche ein orthodoxes Gotteshaus ist, gibt es in ihrer unmittelbaren Nähe die Kirche der Heiligen Katharina von Alexandria. Diese monumentale katholische Kirche (verwaltet wird sie von Franziskanern) steht auf dem Ort, wo laut Überlieferung der heiligen Katharina Jesus erschien und ihr bevorstehendes Martyrium voraussagte. Die katholischen Weihnachtsmessen aus Betlehem werden in die ganze Welt aus dieser Kirche übertragen. Übrigens, die Orgel ist ein Werk der österreichischen Firma Rieger und wurde in den Jahren 2002 – 2003 gebaut.
Betlehem ist der Geburtsort Königs David, des Gründers des ersten jüdischen Staates und Eroberers Jerusalems. Also des ersten ( obwohl eigentlich des zweiten) jüdischen Königs. Er, sowie auch Josef und Christus, leiteten ihre Herkunft vom jüdischen Stamm Benjamin ab, sie waren also Nachfahren des jüngsten der Söhne Jakobs. An Davids Geburt wird auf dem Gebiet des Feindes nicht erinnert, die Juden ehren ihn an seinem fiktiven Grab auf dem Berg Zion vor den Mauern Jerusalems.
Also wenn der Weg Christi in Betlehem seinen Anfang nahm, endete dieser nach vielen Zwischenstationen in dem weitentfernten Galiläa, in Nazareth, in Kapernaum, am See Genezareth und – vielleicht – auch in Kana, in Jerusalem – so, wie er enden musste.
Aber darüber das nächste Mal.