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Wem gehört das Palästina II

Nach dem Ersten Weltkrieg verstärkte sich der Zustrom jüdischer Siedler nach Israel deutlich. Die einzelnen Phasen der Einwanderung werden Alijah genannt, da sie ihre eigenen Besonderheiten hatten. Die sogenannte vierte Alijah brachte in den Jahren 1924–1931 80.000 Einwanderer aus Russland und Polen nach Palästina.

Die eigentliche Welle war jedoch die fünfte Alijah in den Jahren 1932–1938, als etwa 200.000 jüdische Flüchtlinge aus Österreich und Deutschland in Palästina Zuflucht vor dem nationalsozialistischen Regime suchten. Sie hatten nicht viele Alternativen, da die USA in diesen Jahren Einwanderungsquoten einschränkten und europäische Länder sich hartnäckig gegen Flüchtlinge aus Deutschland wehrten. Diese Einwanderungswelle jedoch erregte den Unmut der örtlichen Araber und beunruhigte die britischen Verwaltungsbehörden, da die Situation außer Kontrolle zu geraten drohte. Daher erließen die Briten am 17. Mai 1939 das sogenannte “Weiße Buch”, das die jüdische Einwanderung und die Möglichkeit der Grundstücksverkäufe an jüdische Siedler einschränkte. Im Grunde genommen verschlossen sie damit die Türen allen Juden, die vor der nationalsozialistischen “Endlösung” fliehen wollten.

Dennoch setzte die Einwanderung nach Palästina in den Jahren 1939–1947 illegal fort. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs blieben Hunderttausende Juden in Europa, die den Holocaust überlebt hatten, aber niemand wollte sie. Wenn ihre Häuser und Wohnungen nicht den Bombardierungen zum Opfer gefallen waren, wurden sie beschlagnahmt, hatten neue Besitzer, die nicht bereit waren auszuziehen – übrigens hatten sie meistens auch keine Alternativen, wo sie wohnen konnten. Bei den überlebenden Juden handelte es sich meist um junge Menschen, die die Hölle der Konzentrationslager überlebt hatten und daher nicht gerade zimperlich waren. Sie waren bereit, sich ihr neues Schicksal zu erkämpfen. Die Briten, die ein Desaster ahnten, versuchten verzweifelt, dieser neuen Einwanderungswelle Einhalt zu gebieten – sie richteten Konzentrationslager auf Zypern ein, um die Flüchtlinge festzuhalten. Die palästinensischen Araber drohten bereits offen mit Gewalt, wenn diese neuen Einwanderer in Palästina ankommen sollten.

            In Palästina wuchs währenddessen die Spannung zwischen den jüdischen Siedlern und der britischen Verwaltung. Die Juden bildeten militante Gruppen wie Lechi und Irgun, deren Ziel die einseitige Ausrufung eines jüdischen Staates war. Die Briten waren sich der Explosivität der Situation bewusst, griffen jedoch nicht allzu glücklich ein. Am “Schwarzen Samstag”, auch “Schwarzer Sabbat” genannt, am 29. Juni 1946 verhafteten die Briten über 2700 Personen und konfiszierten eine Vielzahl von Waffen. In einem einzigen Kibbuz namens Jagur fanden sie 300 Gewehre, 100 Mörser und 400.000 Patronen. Jüdische Widerstandskämpfer antworteten am 22. Juli mit einem Bombenanschlag auf das Hotel King David in Jerusalem, dem Sitz der britischen Verwaltung.

Bei dem Angriff kamen 92 Menschen ums Leben, darunter 28 Briten. Die britische Verwaltung erkannte definitiv, dass sie die Situation nicht unter Kontrolle hatte und auch nicht haben würde. Außerdem fühlten sich die Briten als Schutzmacht für die jüdischen Siedler und versuchten, die Spannungen zwischen ihnen und den lokalen Arabern zu mildern. Die Briten waren jedoch zutiefst beleidigt von der jüdischen “Undankbarkeit” und beschlossen, die Juden ihrem Schicksal zu überlassen.

Anfang des Jahres 1947 wussten die Briten endgültig nicht weiter und übergaben das palästinensische Problem der Organisation der Vereinten Nationen. Zu dieser Zeit lebten etwa 600.000 Juden und 1.200.000 Araber in Palästina.

Jüdische Siedlungen im Palästina um das Jahr 1947

Gemäß der Resolution 181 der UN sollte Palästina in zwei Teile aufgeteilt werden, in einen palästinensischen und einen jüdischen Teil. Die Juden erhielten zwar die Mehrheit des Territoriums, nämlich 56,47%, aber der Schein trügt, da zu diesem Gebiet auch die Negev-Wüste gehörte, die damals unbewohnbar war. Im Wesentlichen sollte der israelische Staat in drei mehr oder weniger getrennten Enklaven liegen, die nur durch schmale Korridore miteinander verbunden waren. Der größte Teil des bewohnbaren Landes wurde den Palästinensern zugesprochen. Jerusalem sollte unter internationaler Verwaltung stehen, also keinem der zwei Staaten gehören.

Die Resolution wurde am 29. November 1947 verabschiedet, bei der Abstimmung stimmten 33 Staaten, einschließlich der USA, der Sowjetunion, Frankreich und auch Tschechoslowakei für diese Lösung mit zwei Staaten. Dreizehn Länder sprachen sich dagegen aus, und ein warnendes Zeichen war die Tatsache, dass alle arabischen Staaten ohne Ausnahme dagegen stimmten. Zehn Länder enthielten sich der Stimme, darunter neben China auch Großbritannien. Die Resolution sah vor, dass das britische Mandat spätestens am 1. August 1948 enden sollte, und souveräne jüdische und palästinensische Staaten sollten zwei Monate später, also am 1. Oktober 1948, ausgerufen werden.

Die Dinge nahmen jedoch ihren eigenen Lauf. Die Briten verließen Palästina bereits im Frühjahr 1948, durchsuchten noch vor ihrer Abreise jüdische Häuser und Kibbuzim und beschlagnahmten Waffen, obwohl sie wussten, was die Juden in der arabischen Umzingelung erwartete. Aber die Beleidigung schien offensichtlich zu groß zu sein. Die Israelis waren nicht bereit bis Oktober zu warten und erklärten bereits am 14. Mai 1948 einen unabhängigen souveränen Staat Israel auf dem von den UNO zugeteilten Gebiet. Am nächsten Tag griffen Armeen aller umliegenden arabischen Staaten den neuen Staat an, mit dem Ziel, die Juden zu massakrieren oder ins Meer zu treiben und Palästina vollständig von ihnen zu säubern. Die arabischen Einheiten wurden hauptsächlich von geflohenen Kommandeuren der deutschen Armee aus dem Zweiten Weltkrieg befehligt. Aber auch sie konnten die Kampfmoral ihrer Einheiten nicht genug steigern, um die entschlossenen Juden zu besiegen. Der Krieg endete mit einer katastrophalen Niederlage der arabischen Armeen, und die Israelis besetzten große Teile des ursprünglich den Palästinensern zugewiesenen Gebiets. 750.000 Palästinenser (also die Mehrheit der 1 200 000 im Palästina lebenden Arabern) flohen in die umliegenden Länder, wo die örtlichen Regierungen sie jedoch nie in die Gesellschaft integrierten und sie jahrzehntelang in Flüchtlingslagern vegetieren ließen.

In 1967, Israel occupied the remaining 22% of historic Palestine: the West Bank and Gaza (as well as large sections of Syria and Egypt). Since then Israel has transferred many of its citizens to Jewish settlements, (colonies, which are illegal according to the fourth Geneva Convention). Today 40% of the West Bank is off-limits to Palestinians, as they are not allowed to live in Israeli settlements, drive on Israeli-only roads connecting these settlements, or even live or travel through security zones, surrounding the settlements. ANSA/PASSIA ++ NO SALES, EDITORIAL USE ONLY ++

            In den Jahren 1948–1951 zogen unter dem Eindruck dieses triumphalen Sieges 690.000 neue jüdische Einwohner aus arabischen Ländern, Polen und Rumänien nach Israel, wodurch sich die Zahl der Juden in Palästina verdoppelte. Israel bekannte sich von Anfang an zur Tradition westlicher Demokratie, es gab allerdings Probleme mit der Einführung einer offiziellen Sprache. Die am häufigsten verwendete Sprache war Deutsch, und es wurde erwogen, es als Amtssprache einzuführen. Aufgrund der möglichen Diskriminierung anderer Gruppen wurde jedoch entschieden, das längst vergessene Hebräisch als Amtssprache einzuführen. Also die Sprache der Bibel, die jedoch sogar zu Christi Zeiten in Palästina nicht mehr gesprochen wurde (Christus selbst sprach Aramäisch). Es war eine heldenhafte Tat, dass sich die neuen Bewohner das Hebräisch aneigneten und es bis heute sprechen.

            Am 25. Januar 1949 fanden die ersten Wahlen zum israelischen Parlament (Knesset) statt. Der erste Premierminister wurde Ben Gurion und der Präsident Chaim Weizmann, der Mitverfasser der Balfour-Deklaration von 1917. Am 23. Januar 1950 wurde West-Jerusalem zur Hauptstadt des neuen Staates erklärt, was eine klare Provokation war und der Resolution 181 widersprach, die für Jerusalem einen neutralen Status unter internationaler Kontrolle vorsah. In den Jahren 1955–1957 zogen weitere 100.000 Juden aus den Ländern Nordafrikas nach Israel, aus denen sie von der arabischen Bevölkerung vertrieben worden waren.

            Die Araber haben sich nie mit ihrer beschämenden Niederlage von 1948 abgefunden. Die Beziehungen zum neuen Nachbarn waren von Provokationen und Konflikten geprägt, die mehrmals in verheerende Kriege mündeten.                   


            Das erste Mal geschah dies im Jahr 1956, als Israel mit Unterstützung von Großbritannien und Frankreich aktiv an den Kämpfen um den Suezkanal teilnahm. Dieser war vom ägyptischen Präsidenten Nasser verstaatlicht worden, und die Fahrt von israelischen Schiffen wurde verboten. Die israelischen Streitkräfte erreichten erstmals den Suezkanal, zogen sich jedoch nach einer Resolution der Vereinten Nationen, die diesen Angriff verurteilte, auf ihr Gebiet zurück.

Am 5. Juni 1967 griff Israel die Flughäfen der umliegenden arabischen Staaten an, die große Kampfverbände an die israelische Grenze verlegten und mit einem weiteren Krieg drohten. Innerhalb von sechs Tagen gelang es Israel, die Armeen von Ägypten, Syrien und Jordanien zu besiegen und Ost-Jerusalem, palästinensisches Gebiet am Westufer des Jordan und die syrischen Golanhöhen zu besetzen.

            Im November 1967 forderte die UNO Israel auf, sich auf die Demarkationslinie vor dem 5. Juni 1967 zurückzuziehen, was de facto die territoriale Besetzung von 1948 legalisierte und offiziell die bis heute bestehenden Staatsgrenzen festlegte.

Ein weiterer Krieg, der sogenannte “Jom-Kippur-Krieg”, weil er am Tag des größten jüdischen Feiertages, dem Jom Kippur, am 6. Oktober 1973 begann, war der brutalste aller Konflikte. Israel war nicht auf einen Angriff vorbereitet und die Technik sowie auch die Munition gingen schnell zur Neige. Premierministerin Golda Meir (geboren in Kyïv in heutiger Ukraine) soll sogar die Möglichkeit des Einsatzes von Atomwaffen in Betracht gezogen haben, obwohl Israel offiziell keine besaß. Erst eine Woche nach Kriegsbeginn begannen die USA, militärisches Material nach Israel zu liefern, und dann gelang ein Gegenangriff, bei dem Israel alle angreifenden Armeen zurückdrängte und die Sinai-Halbinsel bis zum Suezkanal besetzte. Der Krieg dauerte diesmal drei Wochen, Israel verlor 3000 Soldaten, auf der anderen Seite kamen Zehntausende Ägypter und Syrer ums Leben. Am Ende des Krieges standen israelische Truppen 100 Kilometer von Kairo und 65 Kilometer von Damaskus entfernt.

Seit diesem Krieg verstärkte Israel seine Bemühungen, mit seinen Nachbarn Friedensverträge abzuschließen. Dies gelang nach und nach. Im Jahr 1979 wurde unter der Schirmherrschaft der USA ein Friedensvertrag mit Ägypten unterzeichnet (was dem ägyptischen Präsidenten Anwar Sadat das Leben kostete, er wurde von islamischen Fanatikern ermordet), am 26. Oktober 1994 unterzeichnete auch der jordanische König Hussein einen Frieden. Im Jahr 1982 kam es zu einem weiteren Krieg im Libanon. Die Palästinensische Befreiungsorganisation hatte in Beirut ihr Hauptquartier und versuchte von dort aus Israel anzugreifen – am 3. Juni drang Israel in den Libanon ein und am 11. Juni eroberte es Beirut – Yassir Arafat und seinen Männern wurde erlaubt, nach Tunesien zu fliehen, während libanesische christliche Milizen unter dem tatenlosen Zuschauen israelischer Soldaten in den Flüchtlingslagern Sahra und Shatilla 1000–3000 Palästinenser massakrierten. Dieser Krieg führte zur Gründung der schiitischen Milizen Hisbollah im Libanon, die seitdem das Land kontrollieren und für Israel eine dauerhafte Bedrohung darstellen, insbesondere weil sie mit dem Iran verbunden sind, der sogar die Zerstörung des Staates Israel in seiner Verfassung verankert hat.

            Verhandlungen mit den Palästinensern über eine neue Aufteilung des Gebiets liefen praktisch dauerhaft. Je länger sie aber dauern, desto schlechter wird die Situation für die Palästinenser – sie sind es jedoch, die Friedenspläne hartnäckig ablehnen.

            Im Jahr 1993 einigten sich schließlich Yassir Arafat und Premierminister Yitzhak Rabin auf die Einrichtung einer palästinensischen Selbstverwaltung als ersten Schritt zur Gründung eines unabhängigen palästinensischen Staates. Dieser Schritt bedeutete das Ende der ersten Intifada, des palästinensischen Widerstandkampfes, der bereits seit 1987 dauerte. Beide Staatsmänner erhielten 1994 dafür überraschend den Friedensnobelpreis. Es war jedoch Rabin, der sein Entgegenkommen gegenüber den Palästinensern mit dem Leben bezahlte – am 4. November 1995 wurde er in Tel Aviv von einem radikalen israelischen Siedler erschossen.


            Das Problem bei der Beendigung des Konflikts und der Suche nach einem Modus Vivendi stellen jedoch immer mehr israelische Siedlungen im Westjordanland dar, die eindeutig gegen internationales Recht verstoßen. Selbst die Mauer, die Israel zum Schutz vor terroristischen Angriffen auf der Grenze zu palästinensischem Gebiet errichtet hat, wäre akzeptabel, wenn sie nicht größtenteils auf palästinensischem Gebiet gebaut worden wäre.

Radikale auf beiden Seiten benötigen einander gegenseitig, und der Frieden rückt einmal näher, einmal entfernt er sich wieder.

            Der Friedensplan von Ehud Olmert aus dem Jahr 2008, der einen Gebietstausch (etwa 5,8 Prozent des Westjordanlandes auf dem israelischen Gebiet gegen jüdische Siedlungen in der Umgebung von Jerusalem vorsah), die Teil Israels werden sollten, wurde vom palästinensischen Führer Mahmud Abbas sofort abgelehnt. Eine weitere Chance war damit vereitelt.

Olmert-Plan

            Ein großes Problem entstand auch im Jahr 1987, als die erste Intifada begann – nämlich die radikale Hamas-Bewegung, die sich vom Muslimbruderschaft abgespalten hatte und deren erklärtes Ziel die Zerstörung Israels ist. Die Hamas hat jegliche Friedensverhandlungen vereitelt. Sie begrüßte die terroristischen Angriffe in New York am 11. September 2001 und als im Jahr darauf Friedensgespräche zwischen Israelis und Palästinensern von der Fatah-Bewegung (gemäßigter Teil der Palästinensischen Befreiungsorganisation) begannen, vereitelte die Hamas diese Verhandlungen durch Eskalation terroristischer Angriffe. Die Hamas gewann 2006 die einzigen Wahlen im palästinensischen Gebiet im Gazastreifen (im Westjordanland gewann die Fatah), und im Jahr 2007 entledigte sie sich durch einen blutigen Putsch der Fatah im Gazastreifen. Am 12. Juni 2007 ermordete die Hamas die politische Führung der Fatah im Gazastreifen und übernahm die vollständige Kontrolle über das Gebiet. Der internationale Plan, den Gazastreifen zu einem Hauptseehafen im Nahen Osten zu machen, etwas ähnlich wie Singapur, was Wohlstand für dieses Gebiet bedeuten würde, stieß auf den Widerstand der Hamas. Für ihren Plan benötigt diese Bewegung eine verarmte und daher radikalisierte Bevölkerung, die bereit ist, Opfer zu bringen, weil sie nichts zu verlieren hat.

            Leider kam es in der Zwischenzeit auch auf israelischer Seite zu Radikalisierung. Aufgrund fundamentalistischer Siedler hat sich die politische Szene Israels deutlich nach rechts verschoben. Wenn das moderne Israel als ein linkes (fast kommunistisches) Experiment begann, ist das heutige demokratische System viel mehr von rechts bedroht – der Staat wird faschistisch. Nach Jahren gemäßigter Regierungen, die nach Kompromissen mit den Palästinensern suchten, kam die rechte Partei von Benjamin Netanjahu an die Macht. Er verstrickte sich in Korruptionsskandale, und als ihm Gefängnis drohte, war er bereit, eine Regierung auch mit den schlimmsten israelischen Radikalen zu bilden – ein Minister seiner Regierung, Amichai Elijahu von der Jewish Power Party, schlug vor, den Gazastreifen mit einem Atomangriff zu zerstören. Der Bau weiterer und weiterer Siedlungen im Westjordanland sowie Angriffe auf die dortige palästinensische Bevölkerung erreichten bisher ungekannte Intensität.

            Und dann kam der 7. Oktober 2023 und der bestialische Angriff der Hamas auf Israel, der zu einem weiteren blutigen Krieg führte.

            Der Frieden ist so weit entfernt wie noch nie zuvor. Und solange Menschen an der Macht sind, die keinen Frieden wollen, sondern im Gegenteil von Kriegen profitieren – sei es politisch oder wirtschaftlich – wird er sich nicht nähern.

            Palästina gehört den Menschen, die dort leben, egal wann sie gekommen sind oder auf welche Vorfahren sie sich berufen. Sie müssten sich nur an den Verhandlungstisch setzen und bereit sein, sinnvolle Kompromisse einzugehen. Aber solche Menschen gibt es derzeit nicht. Auf keiner Seite.

            Dennoch ist es hauptsächlich der arabische Hass, der den Friedensgesprächen im Wege steht. Hass, der aus Neid und dem Gefühl der Ohnmacht stammt.

Golda Meir sagte einmal: “Wenn die Araber die Waffen niederlegen, wird Frieden sein. Wenn die Israelis die Waffen niederlegen, werden sie getötet. Frieden wird herrschen, wenn die Araber ihre Kinder mehr lieben als Israel hassen werden.”

            Diese Zeit ist jedoch noch nicht gekommen und wird wahrscheinlich noch lange nicht kommen.

Wem gehört das Palästina?

Auf die Bitte einiger meiner Bekannten habe ich mich entschieden, auf die neuesten tragischen Geschehnisse in diesem Land im Nahen Osten doch zu reagieren, und ich werde versuchen, die Geschichte dieses problematischen Gebiets näher zu bringen. Obwohl die historischen Ereignisse auf diesem Gebiet zwischen Ägypten und Mesopotamien allgemein bekannt sind, gibt es immer noch Desinformationen, denen die Menschen gerne glauben, wenn sie ihren eigenen Vorstellungen entsprechen. Diese Vorstellungen sind meistens sehr vereinfacht, besonders dann die arabischen.

Es tut mir leid, dass auch ich in diesem komplexen Thema recht knapp sein muss, aber ich werde versuchen, das Problem nicht zu vereinfachen. Warum dieses Gebiet schon in der Antike hart umkämpft wurde, ist mir ein wenig rätselhaft, denn es gibt hier nichts, was den Sieger für die aufgewendete Mühe und Kosten belohnen würde. Keine Bodenschätze, vielleicht hatte nur das Holz der libanesischen Zedern eine strategische Bedeutung für den Bau von Schiffen und Tempeln im alten Ägypten sowie auch in Mesopotamien. Es handelte sich allerdings um die wichtigste Verbindung zwischen diesen zwei damals bedeutendsten Reichen der Welt. Wer das andere Land besuchen wollte, sei es im Frieden oder mit einer Armee, musste durch das Gebiet des heutigen Palästinas marschieren.

Dass sich hier um das Jahr tausend vor unserer Zeitrechnung Juden niederließen, sollte für die Zukunft der Region entscheidenden und nicht immer positiven Einfluss haben. Wenn die Palästinenser sich als Nachkommen der Philister oder der sogenannten Meeresvölker betrachten, die temporär Palästina besetzten, als die Juden in ägyptischer Gefangenschaft waren, ist das nur opportunistisch und beruht nicht auf historischer Grundlage. (Dazu komme ich noch später zurück.) Es ist ähnlich wie bei den Ungarn, die sich als Nachkommen der Hunnen betrachten, um ihren Anspruch auf die Pannonische Tiefebene zu rechtfertigen – als ob sie ihn rechtfertigen müssten. Sie sind hier doch seit über tausend Jahren ansässig, und niemand bestreitet ihren Anspruch – im Gegensatz zu den Juden. Obwohl die Ungaren ihr Land genauso mit Waffen erobert haben wie die Juden nach ihrer Ankunft aus Ägypten. Übrigens sind die heutigen Juden Nachkommen von nur zwei der zwölf jüdischen Stämme, nämlich Benjamin und Juda, die anderen zehn verschwanden spurlos in der assyrischen Gefangenschaft im achten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung. Die Palästinenser sind ein arabischer Stamm, Und die Araber lebten damals übrigens mit den Juden im Frieden. Araber sind übrigens mit den Juden eng verwandt (die Sprachen Arabisch und Hebräisch können ihre Verwandtschaft nicht leugnen), beide Völker gehören zur semitischen Rasse. Daher ist es etwas problematisch, den etablierten Begriff des Antisemitismus im Zusammenhang mit arabischem Hass auf Juden zu verwenden, richtig wäre Antijudaismus. Zum Beispiel war die Herodes-Dynastie, die um die Zeitenwende in Judäa herrschte, arabischer Herkunft, genauer gesagt, idumäisch. Und der junge Herodes, später der Große genannt, suchte während der persischen Invasion in Palästina zuerst Hilfe bei seinen arabischen Verwandten. Erst als er sie dort nicht bekam, wandte er sich an Rom.

Judäa zur Zeit von Herodes dem Großen

Die Juden haben jedoch ein Problem, das sich durch ihre gesamte Geschichte zieht. Es ist ihr Dogma des auserwählten Volkes. Dieses Dogma ist zum Hauptthema ihrer Geschichte geworden, und wenn jemand sich als auserwähltes Volk betrachtet, ruft dies logischerweise die unterbewusste Vorstellung hervor, dass es sich um ein überlegenes Volk handelt. Dies ruft logischerweise Aversionen bei allen anderen hervor. Wenn es dann zu einer Kollision zwischen dem auserwählten Volk und einem Herrenvolk, bzw. Herrenrasse kommt, wie es zur Zeit der nationalsozialistischen Diktatur geschah, kann dies verheerende, unabsehbare Folgen haben.

Die Juden waren aufgrund ihres Monotheismus und der Theorie des auserwählten Volkes bereits im Altertum problematisch. Als Alexander der Große das gesamte persische Reich eroberte und es hellenisierte, so dass die griechisch-hellenistische Kultur bis zum Fluss Indus reichte, blieb nur eine Insel übrig, die diese Kultur, die zu dieser Zeit als Höhepunkt der menschlichen Entwicklung galt, kategorisch ablehnte. Das war Israel auf seinem Gebiet, das damals Judäa genannt wurde. Die Seleukiden, als Nachfolger von Alexander dem Großen, versuchten mit allen Mitteln, die Juden zum “richtigem Glauben” zu bekehren. Vergeblich. Sie starben lieber in vielen Aufständen, bis sie unter der Führung der Makkabäer ihre Unabhängigkeit erkämpften.

Ihr strikter Monotheismus bereitete weiterhin Probleme, selbst als sie Teil des Römischen Reiches wurden. Die Römer waren Polytheisten, also aus der Sicht der Juden Heiden, und zur Zeit des Kaiserreichs wurden die verstorbenen Kaiser traditionell zu Göttern erklärt, und es wurden Tempel mit ihren Statuen errichtet. Dies war für die Juden eine völlig inakzeptable Tradition, da in ihrer Heiligen Schrift, dem gegenwärtigen Alten Testament, das Abbilden von Gottheiten durch lebende Wesen ausdrücklich verboten ist. Dies war offensichtlich eine Reaktion auf die ägyptische Gewohnheit, Hunderten ägyptischen Göttern das Antlitz verschiedenster Tiere zu verleihen. Übrigens übernahmen die Muslime dieses Verbot von den Juden selbst in ihre Religion. Der Versuch, diesen Text des Alten Testaments in der christlichen Welt durchzusetzen, sei es durch Bilderstürmerei im Byzantinischen Reich oder durch die Zerstörung von Heiligenbildern von den Calvinisten, setzte sich dauerhaft nicht durch.

Mit den Römern gerieten die Juden logischerweise in einen zerstörerischen Konflikt, als diese sie zwangen, dem Kaiser im Tempel in Jerusalem Opfer darzubringen. Im Gegensatz zu den Christen haben die Juden nur einen Tempel, und dieser muss sich in Jerusalem befinden. Synagogen sind nur Gebetshäuser, sie haben also nicht den Status eines Heiligtums, in dem die direkte Gegenwart Gottes vorausgesetzt wird. Der Aufstand in den Jahren 66 bis 70 n. Chr. endete mit der jüdischen Niederlage und der Zerstörung des Tempels. Die Juden wollten sich aber auch nach dieser Zeit nicht der “heidnischen Macht” unterwerfen. Der Ausbruch angesammelter Emotionen erfolgte, als Kaiser Hadrian beschloss, jüdische Bräuche zu verbieten. Neben dem Verbot der Beschneidung plante er, anstelle des zerstörten Jerusalems die Stadt „Aelia Capitolina“ zu errichten und an der Stelle des jüdischen Tempels einen römischen Tempel für den höchsten römischen Gott Jupiter zu errichten. Hadrian war offenbar der hellenistischste unter den römischen Kaisern und wollte durchsetzen, was bereits die Seleukiden scheitern ließ. Als Detail sei erwähnt, dass Hadrian als echter hellenistischer Herrscher bisexuell war, sich dazu bekannte und durch sein Reich mit seinem Geliebten Antinoos reiste, während in Judäa die Homosexuellen zu dieser Zeit gesteinigt wurden. Die Folge der Schritte des Kaisers war jedoch ein weiterer jüdischer Aufstand unter der Führung von Bar Kochba.

Der Aufstand von Bar Kochba – das Gebiet unter Kontrolle der Aufstöndischen ist blau gefärbt

Die Juden erwiesen sich erneut als sehr hartnäckige Nuss, die Römer verloren eine ganze Legion, schließlich besiegten sie aber den Aufstand. Hadrian entschied sich, seine Pläne auf den Trümmern der jüdischen Nation umzusetzen. „Aelia Capitolina“ wurde anstelle von Jerusalem errichtet, und den Juden wurde der Zutritt in die Stadt verboten. Anstelle des Tempels stand hier nun ein römischer Tempel mit Statuen von Jupiter und Hadrian. Hadrian traf in seiner Wut auch eine Entscheidung, die bis heute fatale Folgen hat. Er benannte das Gebiet Judäa nach dem ehemaligen Volk der Philister (die hier jedoch schon über tausend Jahre nicht mehr lebten) in Palästina um.

Palästina erhielt also seinen Namen nicht nach dem arabischen Stamm der Palästinenser, sondern die Palästinenser wurden nach dem Gebiet benannt, auf dem sie lebten. Dies geschah jedoch erst, nachdem Palästina, aus dem Hadrian die Juden vertrieb, und so ihre Diaspora verursachte, von den Arabern während der byzantinischen Herrschaft erobert wurde, was das Ende der griechischen und den Beginn der arabischen Kultur in dieser Region markierte. Und das geschah erst im Jahr 636 nach Christus. Vor diesem Datum lebten hier keine Araber. Zwar blieben kleine Gruppen von Juden auf dem Gebiet Palästinas oder zogen im Laufe der Jahrhunderte dorthin, aber die Juden spielten in den folgenden tausenddreihundert Jahren keine bedeutende Rolle. Das war die Zeit, als Muslime mit den Kreuzfahrern kämpften (die hier ihren Staat von 1099 bis 1291 hatten, Palästina letztendlich aber räumen mussten) und schließlich die Türken das Land eroberten und in ihr Reich eingliederten.

Das Schicksal der Juden in der Diaspora war nicht einfach. Das Hauptproblem war jedoch ihre positive Diskriminierung. Das bedeutet, dass sie sich weiterhin als auserwähltes Volk fühlten und an ihren Bräuchen und religiösen Ritualen festhielten. Es ist übrigens bis heute den Juden beider Geschlechter offiziell verboten, Menschen aus anderen Religionen zu heiraten. (Bei Arabern betrifft dieses Verbot nur die Frauen, also ergibt sich die Frage, ob die Juden in diesem Punkt weniger tolerant oder mehr emanzipiert sind). Die freiwillige Abschottung der Juden weckte natürlich das Misstrauen der anderen Bevölkerung und sie waren immer wieder Angriffen und Pogromen ausgesetzt. Ihnen wurde von den Christen immer wieder die Schuld am Tod Christi gegeben, und es wurde der Satz aus dem Matthäus-Evangelium zitiert, wo die versammelten Juden auf Pilatus’ Aussage: “Ich bin unschuldig am Blut dieses Menschen; das ist eure Angelegenheit!” mit dem Ruf antworten: “Sein Blut komme über uns und unsere Kinder!”

Da es den Juden – ursprünglich waren sie ein bäuerliches und nomadisches Volk – verboten war, Land zu besitzen, mussten sie sich anders ihr Überleben sichern. Sie nutzten das christliche Verbot, Geld zu verleihen und Zinsen zu nehmen, und wurden zu Bankiers, Händlern oder Gastwirten – also zu Berufen, für die sie keinen Landbesitz benötigten. Immer wieder gelang es ihnen, durch diese Aktivitäten wohlhabend zu werden, was Neid und damit verbundenen Hass erregte, der sich in Pogromen oder der Vertreibung jüdischer Gemeinden äußerte. Juden waren leicht identifizierbar, weil sie in Ghettos rund um Synagogen lebten, die Beschneidung praktizierten und deshalb immer wieder als Feindbild missbraucht wurden.

In den Gebieten des mittelalterlichen Römischen Reiches überlebten sie dank des persönlichen Schutzes der Kaiser, für den sie den sogenannten “jüdischen Groschen” zahlten. Da dies kein geringes Geld war, hielten die Kaiser schützend die Hand über sie, und wenn es in einer Stadt zu einem Pogrom gegen die Juden kam, endete dies mit einer Strafe für die Stadt – meistens allerdings nur finanziell. Das war eine weitere Einnahmequelle für ständig zahlungsunfähige Herrscher. In seiner Goldenen Bulle verzichtete Karl IV. auf diese Verpflichtung. In Zeiten der Pest hatte der Herrscher natürlich große Schwierigkeiten, seine jüdischen Untertanen zu schützen. Juden wurden oft als Verursacher des Schwarzen Todes bezeichnet (ihre Gemeinden waren durch die Pest viel weniger betroffen, weil sie in isolierten Ghettos lebten und zudem Juden öffentliche Bäder mieden, die aufgrund der allgegenwärtigen Ratten das Hauptreservoir der Krankheit waren). Karl, der sich einen Ruf eines Antisemiten erworben hatte, verzichtete auf ihren Schutz und übertrug ihn auf die Kurfürsten. Diese übernahmen diese Funktion recht zögerlich, als erster scheiterte Karls Sohn Wenzel, der den schrecklichen Prager Pogrom am 18. April 1389 nicht verhindern konnte.

Übrigens erließ die Kaiserin Maria Theresia am 18. Dezember 1744 den letzten antijüdischen Erlass vor dem nationalsozialistischen Holocaust. Als überzeugte Katholikin hegte sie eine tiefe Abneigung gegen Juden. Nichts konnte daran etwas ändern, nicht einmal ihr Gatte, der progressive und sehr tolerante Franz Stephan. Trotz des Widerstands vieler europäischer Herrscher, sogar des Papstes, vertrieb sie die Juden aus Prag. Von den ausgewiesenen Juden überlebten 1400 Menschen den Winter nicht – besonders betroffen waren Kinder und ältere Menschen.

Es ist also nicht verwunderlich, dass die Juden von einem Land träumten, in dem sie ohne gefährliche Nachbarn leben könnten, in dem sie nach ihren eigenen Vorstellungen regieren könnten und in dem ihre Gottesdienste und Gebete nicht zum Ziel von Angriffen wütender Mobs würden.

Eine konkrete Form erhielten diese Ideen durch den Wiener Juden Theodor Herzl. Er verkündete das Programm des Zionismus (nach dem heiligen palästinensischen Berg Zion), dass die Idee der Gründung eines jüdischen Staates unterstützte (Herzl bestand nicht auf Palästina, als Alternative erwog er Gebiete in Afrika oder Südamerika). Sein Buch “Der Judenstaat” veröffentlichte er im Jahr 1896, als die sogenannte Dreyfus-Affäre in Frankreich zeigte, dass Juden sich auch in der modernen Zeit nach Aufhebung diskriminierender Gesetze in christlichen Staaten nicht sicher fühlen können. Die blutigen Pogrome in den Jahren 1880-1900 in Russland, die von den örtlichen Behörden toleriert wurden, führten zu einer massiven Auswanderung. Die Mehrheit der Juden aus Osteuropa wollte jedoch in die USA, nur ein Bruchteil suchte seine neue Heimat in Palästina. Im Jahr 1904, dem Todesjahr Herzls, lebten 24.000 Juden in Palästina. In diesem Jahr ließ Herzls Nachfolger David Wolffsohn nach weiteren schrecklichen Pogromen im Russischen Reich (Kischinau) endgültig von der Idee der Gründung eines jüdischen Staates in Afrika oder Südamerika ab und die Zionisten begannen, die Auswanderung europäischer Juden nach Palästina zu unterstützen. Bis 1914 wuchs ihre Zahl auf 85.000.

Der Erste Weltkrieg brachte große Veränderungen. Die Türken schlossen sich unglücklicherweise den Mittelmächten an und gerieten damit in Konflikt mit dem Britischen Empire. Die Briten versuchten eine Invasion in Gallipoli, scheiterten aber kläglich. Sie nutzten die Unzufriedenheit der Araber mit der türkischen Herrschaft und zogen sie mit dem Versprechen der Unabhängigkeit auf ihre Seite und zum Widerstand gegen Konstantinopel. Als Belohnung sollte jeder der arabischen Stämme einen eigenen unabhängigen Staat erhalten. Zur Zeit der türkischen Kapitulation am 30. Oktober 1918 befand sich die Front bei Aleppo, also im Norden Syriens, und das gesamte Palästina stand unter britischer Kontrolle.

Nach dem Krieg wurde das britische Versprechen an die Araber im Wesentlichen erfüllt – mit einer Ausnahme, nämlich Palästina. Bereits am 2. November 1917 hatte Großbritannien die sogenannte Balfour-Deklaration angenommen, die die britische Unterstützung für die Idee der Gründung eines jüdischen Staates in Palästina zusicherte. Diese Deklaration erhielt ihren Namen zwar nach dem damaligen britischen Außenminister Arthur James Balfour, den Text verfasste aber der Zionist Chaim Weizmann, zusammen mit dem Abgeordneten Sir Mark Sykes. Symptomatisch ist jedoch, dass Balfour den Text dieser Erklärung bereits vor ihrer Zustimmung im Parlament an Walter Rothschild, den zweiten Baron Rothschild, schickte, denn genau dieser Mann zog die Fäden in der britischen Außenpolitik im Nahen Osten. Das Haus Rothschild spielte eine sehr wichtige Rolle im damaligen Großbritannien. Nathan Mayer Rothschild war im Jahr 1799 nach Großbritannien gezogen und verdankte seinen raschen Aufstieg der Finanzierung der napoleonischen Kriege. Nach der Rückkehr Napoleons von Elba kaufte er für die britische Regierung Gold zur weiteren Finanzierung des Krieges ein. Großbritannien finanzierte aber den Krieg durch Staatsanleihen. Ob Rothschild persönlich hinter der falschen Nachricht von der britischen Niederlage bei Waterloo stand, ist nicht ganz sicher, auf jeden Fall schaffte er es, mit dem gesammelten Gold Staatsanleihen zu kaufen, die massiv im Preis fielen, noch bevor die wahre Nachricht vom Sieg eintraf, was ihren Preis sofort in die Höhe trieb. Rothschild wurde so zum größten Gläubiger der britischen Krone, und seine Machtposition leitete sich davon ab.


            Daher erhielten die Palästinenser keinen eigenen Staat, aber das Gebiet Palästinas wurde im Jahr 1920 – etwas willkürlich – in ein Gebiet unter britischem und ein Gebiet unter französischem Mandat aufgeteilt (aus diesem Gebiet entstand später Syrien). Das britische Mandatsgebiet wurde im Jahr 1922 in Palästina und Transjordanien aufgeteilt (entsprechend dem heutigen Königreich Jordanien). Die Grenze Palästinas verlief also entlang des Flusses Jordan. Dies war das Gebiet, auf dem die Briten bereit waren, weitere jüdische Einwanderung zu akzeptieren. Erst jetzt erhielt das heutige “Palästina” seine Grenzen.

Brittisches Mandatgebiet 1918

Wie es weiterging, darüber werde ich im nächsten Artikel schreiben, heute wäre es bereits zu viel.

Orthodoxie III

Im Jahr 1071 verloren die Byzantiner die Schlacht bei Manzikert gegen die Seldschuken-Türken, was den unaufhaltsamen Niedergang ihres Reiches einleitete. Kaum eine andere Schlacht hatte solche weitreichenden Folgen. Die Schutzmauer der europäischen griechisch-römischer Kultur und damit auch Christentums ist damit gefallen. Die Byzantiner mussten ganz Anatolien räumen und konnten es nie wieder zurückerobern. Das Reich beschränkte sich auf die Küstengebiete und die Ägäis Inseln. Die Expansion der Türken führte zu Kreuzzügen, von denen der vierte im Jahr 1204 sich gegen die Griechen wandte. Die Kreuzfahrer eroberten Konstantinopel und gründeten dort das Lateinische Kaiserreich.

Eroberung Konstantinopels durch den vierten Kreuzzug 1204

Wahrscheinlich inspiriert von diesem Triumph ließ Papst Innozenz III. im Jahr 1215 auf dem Vierten Laterankonzil das “filioque” als kirchliches Dogma in das offizielle Glaubensbekenntnis aufnehmen. Er hatte wohl das Gefühl, endgültig über die Orthodoxie gesiegt zu haben, die sich in das sogenannte „Reich von Nicäa“ zurückziehen musste. Die Katholiken beherrschten beide Hauptstädte des ehemaligen römischen Reiches und wollten bestimmen, was richtig war.

Die Griechen gaben jedoch nicht auf. Im Jahr 1261 eroberten sie Konstantinopel zurück, und es folgten weitere zweihundert Jahre eines allmählichen Verfalls des Byzantinischen Reiches, bis es im Jahr 1453 endgültig unterging. Der Eroberer von Konstantinopel von 1261, der Kaiser Michael Palaiologos, versuchte, eine Kirchenunion mit dem Westen zu schaffen, und diese Union entstand tatsächlich im Jahr 1274 in Lyon. In Byzanz stieß sie jedoch auf allgemeinen heftigen Widerstand, und der Kaiser, obwohl er sich durch die Rückeroberung der Hauptstadt und die Gründung einer neuen Dynastie einen Namen gemacht hatte, starb im Exil. Der Glaube und die damit verbundenen Emotionen besiegten die Vernunft, die von einem weisen Herrscher in die Ost-West Beziehungen eingeführt werden sollte.

Die Bedrohung durch die Türken wurde jedoch auch im Westen sehr wohl wahrgenommen, insbesondere vom ungarischen König und deutschen Kaiser Sigismund, der an seiner südlichen Grenze ununterbrochen mit dieser Bedrohung konfrontiert wurde. Der Plan für einen großen Kreuzzug scheiterte genau an den Uneinigkeiten der Kirche. Die militärischen Expeditionen der Jahre 1395 (Nikopol) und 1444 (Varna) endeten jeweils in Katastrophen.

Die byzantinischen Kaiser waren sich vollkommen bewusst, dass sie ohne Hilfe des Westens der türkischen Expansion nicht standhalten konnten und suchten dort Hilfe. Aber die Päpste waren unnachgiebig. Sie waren nur bereit zu helfen, wenn die Griechen in den Schoß der allgemeinen Kirche zurückkehren, also wenn sie sich mit den Veränderungen in den Ritualen und im Glaubensbekenntnis versöhnen würden. Zu diesem Zweck wurde vom Papst Eugen ein Konzil nach Ferrara einberufen, das im Jahr 1438 begann. Symptomatisch für die Asymmetrie der beiden Kirchen war die Tatsache, dass die katholische Delegation Papst Eugen IV. selbst anführte (der diese Gelegenheit nutzte oder missbrauchte, um das Konzil von Basel zu boykottieren, das seit 1431 tagte und an dem eigentlich der Papst teilnehmen müsste), während die griechische Delegation vom Kaiser Johannes VIII. Palaiologos geleitet wurde. Der Patriarch Josef II., der mit ihm kam, durfte zwar diskutieren, alle Schlussfolgerungen mussten aber vom Kaiser abgesegnet werden. Daran hat sich in Osten seit tausend Jahren nichts geändert. Nach langen Verhandlungen und der Verlegung des Konzils von Ferrara nach Florenz wurde am 6. Juli 1439 in der Kathedrale von Florenz feierlich die Kirchenunion verkündet. 31 Bischöfe, darunter auch der Patriarch von Konstantinopel Josef II., unterzeichneten das Dokument für die griechische Seite. Der Patriarch starb allerdings bald darauf und wurde in der florentinischen Kirche Santa Maria Novella begraben.

In Konstantinopel stieß aber dieser Vertrag wieder einmal auf einen unüberwindbaren Widerstand. Der Hass auf den Westen war enorm. Er war nicht nur die Folge der Erinnerungen an die demütigende Eroberung der Hauptstadt durch die Kreuzfahrer im Jahr 1204. Es war der Hass eines Machtlosen, der sich nicht wehren konnte und nichts anderes als Hass übrig hatte. Das Motto der orthodoxen Christen wurde “Lieber den türkischen Turban als den Kardinalshut”. Die mit dem Kaiser loyalen Bischöfe, wie Metrophanes II. (1440-1443), Gregor III. Mammas (1443-1450) oder Athanasios II. (1450-1453), konnten das Volk für die Rettung der “ewigen Stadt” nicht gewinnen. Für einfache Griechen war die Vorstellung von Heterodoxie, also Ketzerei, so schrecklich, dass sie sich lieber entschieden, allein gegen die Türken zu kämpfen. 21 von 31 Bischöfen, die das Unionsdokument in Florenz unterzeichnet hatten, zogen ihre Unterschriften unter Druck des Volkes zurück. Der Hauptakteur des Widerstandes gegen die Union war der Mönch Gennadios Scholarios, der dann durch die Gnade von Sultan Mehmed der erste Patriarch von Konstantinopel wurde, nachdem die Türken die Stadt 1453 erobert hatten. Gennadios Scholarios war der beste Philosoph seiner Zeit. Er nahm am Konzil von Florenz als persönlicher Sekretär des Kaisers teil und unterzeichnete sogar das Unionsdokument. Danach wechselte er jedoch die Seiten. Er zog seine Unterschrift zurück und zog sich nach der Verkündung der Union in der Hagia Sophia am 12. Oktober 1452 (es dauerte so lange, bis der letzte byzantinische Kaiser Konstantin Palailogos sich dazu entschloss), aus Protest in ein Kloster zurück. Von dort aus wirkte er weiter als symbolische Person, die den unerschütterlichen wahren Glauben verkörperte. Unter türkischer Herrschaft verlor der Patriarch von Konstantinopel seine Bedeutung, da es keinen Kaiser mehr gab. Die Orthodoxie suchte nach einer neuen Führung, die dem muslimischen Herrscher nicht untergeben war. Noch im Jahr 1448 (also unmittelbar vor dem Fall von Konstantinopel) erhielt die orthodoxe Kirche des fernen Moskauer Fürstentums eine Autonomie. Die orthodoxe Kirche war nie so strikt hierarchisch organisiert wie die katholische. Die einzelnen Völker, die sich zum orthodoxen Glauben bekannten, erhielten in der Regel das Recht, ihre Angelegenheiten in ihrer eigenen Kirchenprovinz unabhängig zu regeln. Das ist auch heute noch der Fall. Praktisch jede Nation, die sich zum orthodoxen Glauben bekennt, hat ihren Patriarchen – seit dem 15. Dezember 2018 auch die Ukraine. Dazu kommen wir später noch zurück. Im Jahr 1448 wurde der erste Moskauer Metropolit, Bischof Jona, ernannt. Zu dieser Zeit erkannten die Moskauer Metropoliten jedoch noch die Überlegenheit des Konstantinopler Patriarchen an. Im Jahr 1547 ließ sich Ivan der Schreckliche zum “Zaren von ganz Russland” krönen und übertrug damit offiziell die Kaiserkrone des Byzantinischen Reiches nach Moskau. („Zar“ ist der russische Ausdruck für Kaiser). Ivan hatte jedoch kein Interesse an der gleichzeitigen Übertragung des Patriarchats. Der Patriarch in entferntem Konstantinopel war ihm lieber, als wenn er neben ihm im Kreml sitzen und ihm Leviten lesen würde (was er bei Ivan wahrscheinlich nicht lange getan hätte).

Die Gründung des Moskauer Patriarchats geht auf einen anderen russischen Politiker, nämlich auf Boris Godunov, zurück.

Boris Godunov

Boris Godunov war für seine Zeit ein genialer Stratege und hatte in Russland praktisch keine Konkurrenz. Er regierte als Vormund des geistig behinderten Sohnes Ivans dem Schrecklichen, Fjodor I. Er erkannte, dass Moskau, um zum Oberhaupt der orthodoxen Kirche zu werden, benötigte, Russlands Ansprüche auf die Stellung als Erbe und Nachfolger des Byzantinischen Reiches zu legitimieren. Die kaiserliche Krone ohne eine Untermauerung durch den Glauben (also die Kirche) war nicht genug. Er begann sofort nach Ivans Tod im Jahr 1584 mit den Vorbereitungen für diesen Schritt. Im Jahr 1589 wurde das Moskauer Patriarchat ausgerufen und ein Jahr später genehmigte die Synode in Konstantinopel seine Gründung – was konnte sie schon tun? Jove wurde der erste Patriarch und belohnte Boris Godunov damit, dass er nach dem Tod von Fjodor I. im Jahr 1598 einen entscheidenden Anteil an seiner Wahl zum Zaren hatte. Die kaiserliche Krone brachte Boris kein Glück. Bis zu seinem Tod im Jahr 1605 kämpfte er gegen die Rebellion der Bojaren, gegen eine polnische Intervention, Missernten und Hunger. Das alles wurde von fanatischen Mönchen als göttliche Strafe interpretiert (angeblich für den Mord an Ivans dem Schrecklichen jüngstem Sohn Dimitrij, der jedoch Boris niemals nachgewiesen werden konnte). Boris Godunov ist wohl eine der meistverarbeiteten Figuren in der russischen Literatur (Puschkin und Alexej Tolstoi schrieben Dramen über ihn, Modest Mussorgskij eine Oper und Sergej Bondartschuk drehte über den unglücklichen Zaren einen Film). Das Schicksal von Boris Godunov ist das Schicksal eines Menschen, der in Russland etwas voranbringen wollte und am russischen Mystizismus, Fatalismus und der Passivität scheiterte. Nur Peter der Große konnte Russland reformieren, allerdings nur weil er brutaler als alle seine Gegner war und bei Bedarf sogar persönlich Rebellen die Köpfe abschlug.

Es funktionierte in diesem Land auf eine gute Weise nie etwas, oder etwa doch, Herr Gorbatschow?

Moskau übernahm zwar die Machtansprüche von Konstantinopel, wenn es um die Führungsposition in der orthodoxen Kirche ging, vermisste jedoch vollständig die feine und hochentwickelte griechische Philosophie. Dazu hatte das russische Reich einfach keine Kapazitäten. Es konnte sie auch nicht haben. Kenntnisse des Griechischen waren rudimentär und die russische Sprache wurde sogar von den Russen selbst bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts als literarisch unbrauchbar angesehen. Die bessere Gesellschaft unterhielt sich auf Französisch und die schlechtere konnte weder lesen noch schreiben. Erst Puschkin und Gogol (übrigens ein gebürtiger Ukrainer) machten aus dem Russischen eine Salonsprache. Anstatt Philosophen wie Photios, Gennadios Scholarios oder Gregorios von Nazianz sollte also die Entwicklung der orthodoxen Kirche in Russland von Propheten, Narren und Rasputins bestimmt werden. Es war ein Rückzug ins dunkle Mittelalter (eigentlich ist sogar diese Formulierung ungenau, jeder von den Patriarchen im Konstantinopel sogar im vierten Jahrhundert war bei weitem mehr gebildet als russische Patriarchen, sogar die derzeitigen) und diesen Weg hat die russische Orthodoxie bis heute nicht verlassen. Die Patriarchen spielten eine sehr wichtige Rolle im Leben Russlands und konservierten mittelalterliche Bräuche. Moskau war das Zentrum ihrer Arbeit – und der Rückwärtsgewandtheit. Das ging dem reformorientierten Kaiser Peter dem Großen (der auch aus diesem Grund eine neue Hauptstadt weit entfernt von Moskau gründete) ungemein auf die Nerven.

Peter der Große

Im Jahr 1721 entzog er dem Patriarchat seine Rechte und unterstellte die Kirche dem Staat – also sich selbst. Die “Heilige Synode” unter staatlicher Aufsicht entschied über organisatorische Angelegenheiten im Patriarchat und seit 1742 war der Vorsitzende der “Heiligen Synode”. anstelle des Patriarchen der Oberste Staatsanwalt.       

Interessanterweise wurde das Patriarchat nach der Oktoberrevolution 1918, also nach der Machtergreifung der Bolschewiki, wieder eingeführt. Die Kommunisten gingen zwar im Allgemeinen unerbittlich gegen Religion vor (Religion war für sie das „Opium des Volkes“), aber Stalin erkannte die Möglichkeiten, die ihm die Frömmigkeit des russischen Volkes bot. Er verwandelte das Patriarchat mit seinen Strukturen und Anhängern in eine Filiale des KGB. Im Grunde musste jeder Priester mit dem KGB zusammenarbeiten, viele von ihnen hatten in dieser Organisation sogar bedeutende Positionen. Wie auch der gegenwärtige Patriarch Kyril oder sein Vorgänger Alexios (1990-2009). Stalin förderte die orthodoxe Kirche auch auf “befreiten” europäischen Gebieten. Im östlichen Teil der Slowakei wurden orthodoxe Priester mit verschiedenen Vorteilen gelockt, insbesondere Mitglieder der griechisch-katholischen Kirche, und viele von ihnen verfielen den Verführungen. Die KGB war erfreut.

 Die Russen fanden nach 1990 sehr schnell den Weg zurück zum orthodoxen Glauben. Zum Beispiel wurde die Alexander-Newski-Kirche in Tallinn, die von der estnischen Regierung ursprünglich abgerissen werden sollte, sehr schnell zum Treffpunkt für die in Estland lebende Russen. Die Russen kehrten willig in den Schoß ihrer Kirche zurück. Die Kommunisten trennten die Bevölkerung gewaltsam von der Religion, aber der wirkliche Atheismus, der in Europa auf der Grundlage der Aufklärung entstand, fand nie einen Weg nach Russland. Die Russen verstanden den Verzicht auf die Orthodoxie im Grunde genommen als eine Abtrennung von ihren kulturellen Wurzeln. Die Aufklärung hat Russland nie wirklich berührt. Selbst Katharina II. die Große, eine begeisterte Anhängerin der Ideale von Jean-Jacques Rousseau, gab schnell ihre Bemühungen auf, diese Ideale in Russland zu verbreiten, als sie erkannte, mit welchem Widerstand sie konfrontiert wäre und dass es sie höchstwahrscheinlich sowohl die Krone, als auch den Kopf kosten würde. Als eine gebürtige Deutsche und eine Protestantin, also eine Heterodoxe, musste sie täglich beweisen, dass sie es mit der Konversion zum orthodoxen Glauben ernst meinte und dass sie sich mit diesem Glauben identifizieren konnte.

Katharina die Große

Aber ohne den Einfluss der Aufklärung fehlt den Menschen der Vernunft. Es bleibt lediglich ein blinder Glaube – an Gott, an den Zaren und an den Patriarchen. Ihre Befehle müssen blind befolgt werden, kritisches Denken ist nicht erwünscht. Was kann sich ein Monarch – Diktator – mehr wünschen? Vor allem, wenn der Leiter der Kirche – der Patriarch – daran gewöhnt und bereit ist, dem Zaren zu dienen.

Die orthodoxe Kirche ist einer der Pfeiler des aktuellen totalitären russischen Systems geworden. Ihre Ablehnung von allem Westlichen ist symptomatisch für die Reinheit des Glaubens! Sie ist nicht einmal bereit, den Kalender zu reformieren, weil der katholische Papst Gregor es angeordnet hat und sie hält weiterhin am julianischen Kalender fest. Aus Prinzip! Auch wenn sie bereits um 14 Tage zurückliegt. Sie wäre bereit, Weihnachten im Sommer zu feiern, nur um ihre Ablehnung des Papsttums zum Ausdruck zu bringen. Nichts davon hat sich geändert, nicht einmal als die Bolschewiki aus praktischen Gründen den gregorianischen Kalender übernommen haben. Die russische Orthodoxie kennt keine praktischen Gründe, sondern nur ideologische. Und die Hauptideologie ist der Hass auf den Westen. Kirchen (auch die katholische Kirche) haben sich nie für Demokratie begeistern können, ihre Strukturen sind totalitär und sie kommen daher besser mit totalitären Regimen zurecht (es war schließlich die katholische Kirche, die als erste den faschistischen Mussolini-Regime im Austausch für den Lateranvertrag anerkannt hat). Putin verbindet mit Kyrill außerdem eine gemeinsame Vergangenheit im KGB und beide sprechen fließend Deutsch (Kyrill liebt Aufenthalte in der Schweiz, wo er sein luxuriöses Anwesen hat). Welche Rolle Putins Beichtvater Tichon, den ihm Kyrill zugewiesen hat, bei derzeitigem Verhalten seines Präsidenten spielt, können wir nur vermuten. Es scheint, dass diese graue Eminenz einen erheblichen Anteil an der Entfachung des gegenwärtigen Krieges in der Ukraine hatte. Vielleicht hat er Putin einen Platz im Himmel und Vergebung all seiner Sünden versprochen. Und Putin muss sich im Klaren sein, dass er nicht gerade wenige dieser Sünden begangen hat, die er beim jüngsten Gericht zu verantworten haben wird. Aber warum würde Tichon das tun? Also der russische Patriarchat hat die Ausrufung der ukrainischen autokephalen Kirche im Jahr 2018 nie verdaut. Die Ukrainer hatten beim Patriarchen in Konstantinopel (wie die Griechen und orthodoxen Gläubigen Istanbul immer noch nennen) um Autokephalie angesucht und die Konstantinopler Synode hatte ihren Antrag trotz heftiger Proteste aus Moskau positiv beurteilt. Kyrill hat also ein Drittel seiner Gläubigen verloren. Dennoch haben viele orthodoxe Gläubige in der Ukraine weiterhin die Moskauer Priorität akzeptiert (obwohl sich die Priester dieser Kirche weigerten, die in den Kämpfen in Donbas gefallenen ukrainischen Soldaten zu beerdigen) – allerdings nur bis zum 24. Februar 2022. Ab diesem Tag möchte niemand mehr in der Ukraine etwas mit Kyrill zu tun haben. Aussagen wie die, die ich am Anfang meines ersten Artikels zitiert habe, nämlich: “Der russische Soldat ist heute ein Krieger des Lichts, der für die Rettung des wahren Glaubens und Russlands kämpft, er ist buchstäblich ein Kämpfer der himmlischen Armee, hinter der sich Engel unter der Führung des Erzengels Michael befinden”, heben selten die Moral der kämpfenden Truppen an, entschuldigen aber dafür im Voraus alle Verbrechen, die diese “heilige” Armee begehen wird. Ein Verbrecher kann sich nichts mehr als eine absolute Amnestie für alle seine Verbrechen wünschen, die er begehen will. Mit umso größerer Freude begeht er sie dann. Wie die Kreuzfahrer im Jahr 1099 in Jerusalem und die Russen 2022 in Butscha und anderen ukrainischen Städten.

Die orthodoxe Kirche, die Waffen segnet (ihre Priester haben sogar eine Rakete namens “Satan” geweiht, als Beweis für den gegenwärtigen russischen Wahnsinn), wird für die Ewigkeit mit Blut beschmiert werden. Der Glaube der einfachen Russen an die Unfehlbarkeit des Zaren und Patriarchen sowie an die Erlösung durch genaue Erfüllung ihrer Befehle wird sich jedoch wahrscheinlich nicht ändern. Dass der Kriegstreiber Kyrill von der Europäischen Union auf die Liste der sanktionierten Personen gesetzt wurde, war mehr als logisch. Umso erstaunlicher war es, dass Viktor Orban seine Streichung von dieser Liste erpresst hatte, als er mit einem Boykott des Sanktionspakets, dass gegen den russischen Ölimport gerichtet war, drohte. Die Tatsache, dass Calvinisten (also Ungarn) gleich wie orthodoxe Gläubige gesäuertes Brot bei der Messe essen, spielte in seinem Handeln sicherlich keine Rolle. Es ging wahrscheinlich auch nicht um den Aufbau von Orbáns eigenem Ego. Die Anweisung, dass Orbán die Sanktionierung des Oberhaupts der russischen Kirche blockieren sollte, kam zweifellos aus Moskau, wahrscheinlich von Putin selbst. Vielleicht hatte ihm sein Beichtvater Tikhon mitgeteilt, dass die Voraussetzung für seine eigene Erlösung darin besteht, dass Kyrill den Sommer 2022, wie gewohnt, in seiner Residenz in den Schweizer Bergen (umgeben von der ketzerischen Bevölkerung, was ihn erstaunlicherweise nicht stört) verbringen konnte. Umso überraschender war es, dass sich Orbán für ihn so heftig eingesetzt hat und nicht einmal vor der Gefahr seiner eigenen Blamage zurückschreckte. Das wirft die Frage auf, was Putin gegen Onkel Viktor hat und womit er ihn erpressen kann. Worum ging es bei Orbáns Treffen mit Putin in Moskau im Februar 2022 unmittelbar vor dem Beginn der russischen Invasion in die Ukraine?

Alte Freundschaft rostet nicht

Hat Putin Orbán damals die Transkarpaten-Ukraine versprochen? War es so etwas wie der Molotow-Ribbentrop-Pakt und jetzt sitzt Orbán in einer Falle, weil er entweder etwas unterschrieben hat oder sein Gespräch aufgezeichnet wurde? Es wäre denkbar. Vielleicht werden wir es eines Tages erfahren. Patriarch Kyrill kann jedoch dank Orbán seine Schäfchen weiterhin straffrei zum Krieg anstacheln. Und sie werden weiterhin blind gehorchen und morden mit der Erwartung einer Erlösung.

Ohne den Einfluss der Aufklärung ist es nicht möglich, Glauben mit Vernunft zu verbinden. Die Verwendung von Vernunft riecht in Russland nach Heterodoxie, das heißt Ketzerei. Im Westen wurde man im Mittelalter dafür verbrannt. Im Osten geschieht dies bis heute.

Orthodoxie II – das Schizma

Ein einziges Wort reichte aus, um den schwelenden zwischen dem westlichen und dem östlichen Patriarchat Konflikt auszulösen. Das Wort lautete “filioque” und fand seinen Weg in das Glaubensbekenntnis des Westens. Im Nicänischen Glaubensbekenntnis, das als offiziell galt, stand in lateinischer Form “qui ex Patre procedit”, was bedeutet, dass der Heilige Geist vom Vater ausgeht. Irgendwann um das Jahr 400 tauchte in Spanien erstmals die Formulierung “qui ex Patre Filioque procedit” auf, was bedeutet, dass der Heilige Geist vom Vater und gleichzeitig auch vom Sohn ausgeht. Dieses Glaubensbekenntnis empfahl die Synode von Toledo im Jahr 481. Solange sich so etwas am damaligen Ende der Welt im fernen Spanien ereignete, interessierte es niemanden, schon allein deshalb, weil die westgotischen Herrscher, die Spanien beherrschten, Arianer waren, die zur Heiligen Dreifaltigkeit ihre eigene, politisch motivierte Beziehung hatten. Nach dem Arianismus war die Kirche (der Sohn) und der Heilige Geist (die Gelehrsamkeit) dem Vater, also dem Herrscher, untergeordnet. Deshalb liebten die germanischen Herrscher diese Lehre so sehr.

Das Problem entstand erst, als die katholischen Franken begannen, dieses veränderte Glaubensbekenntnis zu verwenden, und der wahre Ärger entstand, als im Jahr 809 Kaiser Karl der Große dieses Glaubensbekenntnis auf den von ihm kontrollierten Gebieten zur Pflicht erklärte. Offenbar wollte er damit den oströmischen Kaiser Nikephoros I. in Konstantinopel provozieren, der bis zum Jahr 812 zögerte, Karls kaiserlichen Titel anzuerkennen und weiterhin darauf bestand, dass er der einzige “Caesar Romanorum” wäre. Papst Leo III., der Karl einst zum Kaiser gekrönt hatte, schwieg zu dieser fränkischen Provokation mit „filioque“ – was blieb ihm auch übrig? Er war vollkommen vom Kaiser abhängig. Er widersprach dem Kaiser nicht, ließ aber zumindest für Sicherheit das Glaubensbekenntnis ohne “filioque” in die Wand der Peterskirche meißeln.

Aber der Geist war bereits aus der Flasche entkommen und begann sein eigenes Leben zu führen.

Erstmalig führte dies zu einem diplomatischen Konflikt am Ende des 9. Jahrhunderts, als sich die Wege der östlichen und westlichen Kirche zum ersten Mal trennten. Es ging wiederum hauptsächlich um die Politik. In Byzanz übernahm der junge Kaiser Michael III. die Macht. Eigentlich herrschte anstatt ihm sein Onkel und Mentor Bardas (Michal interessierte sich vor allem für Trinkgelage und das Verführen der Ehefrauen von Hofbeamten, denen er dann Hirschgeweihe als ein Hinweis schickte, damit der Beamte wusste, dass seine Frau im kaiserlichen Bett lag – so entstand historisch gesehen – das Wort „der Gehörnte“ für betrogene Ehemänner). Bardas entmachtete Michaels Mutter Theodora und ließ ihren ersten Minister Theoktistos ermorden. Aber Patriarch Ignatios stellte sich ihm in den Weg. Er war nicht sehr klug, aber hart und unnachgiebig. Mit ihm zu verhandeln war unmöglich. Bardas ließ ihn also einfach vom Posten des Patriarchen absetzen (es half ihm, dass Ignatios sich beim Amtsantritt zum Patriarchen ernennen ließ, ohne zuvor von einer Bischofssynode gewählt worden zu sein, so dass sein Amt als illegal angesehen werden konnte). Bardas brauchte dringend einen neuen Patriarchen, und wenn möglich einen klugen, gebildeten und loyalen. Seine Wahl fiel auf den größten Gelehrten dieser Zeit, Fotios, genannt „Philosoph“ oder auch „Der Große“.

Er war der berühmteste Professor an der Universität von Konstantinopel. Er war auch ein Kollege, Freund und Mentor des slawischen Apostels Konstantin – Kyrill, er war es, der die Brüder von Saloniki, Kyrill und Methodius, nach Großmähren als Missionäre schickte. Das kleine Hindernis bei seiner Ernennung zum Patriarchen war die Tatsache, dass Fotios ein Laie war und keine Priesterweihe hatte. In Byzanz wurde dieses Problemchen auf ihre spezifische Weise gelöst. Fotios erhielt in vier Tagen alle vier notwendigen Weihen und übernahm das Amt. Aber dann kam Papst Nikolaus I. ins Spiel. Er wurde gerade im Jahr von Fotios’ Inauguration gewählt und wollte Stärke zeigen. Mit Verweis auf die Schnelligkeit von Fotios’ Weihe lehnte Nikolaus Fotios als Konstantinopler Patriarchen ab. Damit erhob er offiziell Anspruch nicht nur das Oberhaupt der Kirche, sondern auch ein Schiedsrichter zu sein, der das Recht hat, die Ernennung anderer Patriarchen zu bestätigen. Also ein Privileg, das traditionell nur dem Kaiser vorbehalten war. Aber Nikolaus fühlte sich bereits über Könige und Kaiser erhoben. Nikolaus erklärte Fotios im Jahr 863 für abgesetzt und installierte erneut Ignatios, was jedoch in Konstantinopel niemanden interessierte. Nach einem Austausch von verärgerten Briefen berief Fotios in Konstantinopel ein Konzil und lud alle Patriarchen außer den Römischen ein. Wenn Nikolaus auf dem politischen Gebiet kämpfte, antwortete Fotios, wie es in Griechenland üblich war, mit Gelehrsamkeit.

Das Konzil beschuldigte den Papst der Ketzerei, genau deshalb, weil er angeblich im Glaubensbekenntnis das Wort “Filioque” verwendet und beschuldigt ihm auch, diese ketzerische Lehre in der neuen Kirchenprovinz in Bulgarien zu verbreiten. Weil dieses Glaubensbekenntnis in Rom im Gegensatz zum Frankenreich nicht verwendet wurde, war dies nicht wahr, die Wahrheit interessierte aber niemanden. Das Konzil erklärte Nikolaus für einen Ketzer und schloss ihn aus der Kirche aus. Bevor den Papst von Wut der Schlag treffen konnte, kam es in Konstantinopel zu einem politischen Umsturz. Der Liebhaber (ursprünglich ein Stallknecht) des Kaisers Michael Bazileos ermordete Bardas und nach ihm auch den Kaiser und erklärte sich selbst zum „Caesar Romanorum“. Um den Papst zu besänftigen und seine sehr fragliche Legitimität bestätigt zu bekommen, rief er Fotios aus dem Amt ab und setzte Ignatius ein. Nikolaus starb im selben Jahr mit dem Gefühl, gute Arbeit geleistet zu haben.

Aber Bazileos’ Loyalität zu Rom war nicht von Dauer. Er hatte bereits seine Titelbestätigung erhalten und so ernannte er nach Ignatius’ Tod im Jahr 877 zum Erstaunen von Papst Johannes VIII. Fotios erneut zum Patriarchen. Was Bildung und diplomatische Fähigkeiten betraf, hatte er nämlich im ganzen Reich keinen besseren Mann. Fotios berief in den Jahren 879-880 ein Konzil nach Konstantinopel, das durch versöhnliche Formulierungen den zwölf Jahre alten Streit überwand. Der Papst benötigte dringend die byzantinische Flotte zum Schutz Roms vor den Arabern und entschied sich daher, die Sache nicht eskalieren zu lassen und vorläufig nicht mehr in die Souveränität des Konstantinopeler Patriarchats einzugreifen. Fotios ließ jedoch das Glaubensbekenntnis ohne das „Filioque“ bestätigen, und alle fünf Patriarchen sowie die Gesandten von Papst Johannes stimmten dieser Formulierung zu. Der Streit wurde auf der Oberfläche gelöst, es brodelte allerdings weiter in der Tiefe. Das erste Schisma, also die Spaltung der Kirche, wurde vorerst vermieden. Aber die Spannungen zwischen Ost und West wuchsen weiter. Es ging nicht nur um den Glauben, die entgegengesetzte Richtung des Kreuzens oder den Verzehr von gesäuertem (Osten) und ungesäuertem (Westen) Brot bei der Messe. In diesem Punkt bezog sich der westliche Teil der noch einheitlichen Kirche auf Jesus, der für seine Jungen bei dem letzten Abendmal gemäß der jüdischen Tradition, natürlich ungesäuertes Brot brach. Die Griechen jedoch beriefen sich auf die Tradition des heiligen Paulus (1.Kor 5.6), der die Verwendung von gesäuertem Brot einführte, mit der Begründung, dass “Christen wie Sauerteig sind, der den Teig der Gesellschaft durchsäuert wie das Brot und es besser und schmackhafter macht.”

Im Gebiet des römischen Reiches der deutschen Nation oder im westlichen römischen Reich wurde gemäß dem Befehl seines Gründers Karl weiterhin das Glaubensbekenntnis mit dem „Filioque“ verwendet, das im Jahr 1013 vom Papst Benedikt VIII. als einzig richtig anerkannt wurde. Ihm ging es im Wesentlichen nur darum, Hilfe von den Soldaten des Kaisers Heinrich II. zu bekommen, der später zum Heiligen erklärt wurde, obwohl er den Spitznamen “der Zänker” erhielt, also ein Streithahn oder Randalierer sein musste. (Seine Heiligkeit wurde ihm wahrscheinlich durch die Phimose der Vorhaut beschert, die ihm den Geschlechtsverkehr mit seiner Frau Kunigunde, die ebenso heilig wurde,  unmöglich machte.) Der Kaiser kam tatsächlich im Jahr 1014 nach Italien und ließ sich vom Papst krönen. Der Papst sah damals die Hauptbedrohung durch die Byzantiner, die den Süden der Apenninenhalbinsel kontrollierten.

Das „Filioque“ wurde also erstmals auch in Rom in das Glaubensbekenntnis aufgenommen, aber solange darüber diskret geschwiegen wurde, lief alles weiter. Es durfte nur kein Dummkopf in die Führung einer der konfliktträchtigen Parteien gelangen. Wir wissen, dass ein initiativer Trottel gefährlicher als ein Klassenfeind (oder ein Parteifreund) ist. Aber in Konstantinopel passierte im Jahr 1043 gerade das. Zum Patriarchen wurde ein bestimmter Michael Kerullarios ernannt, ein eingeschränkter Bürokrat mit unzureichender theologischer Ausbildung und nur rudimentären Kenntnissen der Kirchengeschichte.

Überraschenderweise gelang es ihm trotz seiner etwas begrenzten Intelligenz (oder gerade wegen ihr), eine große Popularität beim byzantinischen Volk zu erlangen. In Süditalien entflammten die Konflikte erneut. Vor vierzig Jahren suchten die Päpste noch in den Normannen – Einwanderern aus dem europäischen Norden – Verbündete gegen Byzanz, jetzt hatte sich das Blatt gewendet. Papst Leo IX., mit dem ursprünglichen Namen Bruno von Egisheim-Dagsburg in Elsass, also einer der wenigen Deutschen auf dem Papstthron, suchte gegen den normannischen Druck eine Allianz mit Byzanz.

Leo IX

Eine solche Allianz stand jedoch im Widerspruch zum dogmatischen Patriarchen. Er beschuldigte den Papst, dass er auf dem von den Normannen eroberten Gebiet lateinische Bräuche mit ungesäuertem Brot einführte und die dortigen Menschen zum Glaubensbekenntnis mit dem „Filioque“ zwang. Er befahl sofort allen lateinischen Klöstern im Gebiet des Byzantinischen Reiches, zum griechischen Ritus überzugehen, sonst würden sie geschlossen werden. Der Papst antwortete versöhnlich (er brauchte unbedingt militärische Hilfe von Byzanz) und argumentierte, dass im Westen in griechischen Klöstern griechische Riten toleriert werden.

Der Kaiser Konstantin IX. strebte nach Versöhnung und zwang schließlich den Patriarchen, einen versöhnlichen Brief an den Papst zu schreiben. Dieser tat es widerwillig, obwohl er sich kleine Provokationen nicht verkneifen konnte, wie zum Beispiel den Papst als “Bruder” anstatt “Vater” anzusprechen, wie es das Protokoll vorschrieb.

Die Normannen waren jedoch geschickte Kämpfer. Sie verhinderten das Zusammenkommen der päpstlichen und byzantinischen Streitkräfte und besiegten am 18. Juni 1053 das päpstliche Heer bei der Stadt Civitate. Der Papst geriet sogar für mehrere Monate in ihre Gefangenschaft. Der Papst befand sich dadurch in einer emotional schwierigen Situation. Noch voller Groll schrieb er zwei Briefe, einen an Kerullarios und einen an den Kaiser, und schickte drei Gesandte mit ihnen nach Konstantinopel. Bei der Wahl der Gesandten hatte er außerordentlich unglückliche Hand. Die Leitung wurde dem Papstsekretär Humbert von Moyenmoutier anvertraut, der befangen und für seinen Hass auf alles Griechische bekannt war. An seiner Seite standen Kardinal Friedrich von Lothringen und Erzbischof Peter von Amalfi, die beide bei Civitate kämpften und überzeugt waren, dass die Byzantiner sie absichtlich in der verlorenen Schlacht im Stich gelassen hatten.

Die Delegation kam im April 1054 in Konstantinopel an und es lief von Anfang an einfach nicht gut. Kerullarios verstand die Antwort des Papstes auf seinen versöhnlichen Brief als Beleidigung. Die Legaten, die sich in Diplomatie nicht auskannten und den höflichen Empfang beim Kaiser (wie es das griechische Protokoll vorschrieb), als kaiserliches Bündnis in ihrem Feldzug gegen den Patriarchen interpretierten. Sie veröffentlichten also einen Brief, den Papst Leo in größter Aufregung geschrieben hatte und den er dann nicht zu senden wagte (aber sein Sekretär hatte seinen Text dabei). Auf diesen Brief antwortete der Mönch Niketas Stethatos im Namen von Kerullarios so scharf, dass die Legaten jede Kontrolle übere ihre Emotionen verloren haben. Humberts Gebrüll, durchsetzt mit vulgären Schimpfwörtern, beraubte die päpstlichen Gesandten jeglicher Autorität. In den Straßen von Konstantinopel demonstrierten Menschenmengen gegen die Päpstlichen, der kranke Kaiser Konstantin verlor die Kontrolle über die Entwicklung. Kerullarios jedoch vergaß in diesem sensiblen Moment nicht, “filioque” als Beweis für römische Ketzerei ins Spiel zu bringen.

Zu dieser Zeit kam die Nachricht vom Tod von Papst Leo IX. Seine Legaten verloren dadurch jegliche Befugnis und sollten sofort nach Rom zurückkehren. Der wütende Humbert jedoch berücksichtigte das nicht. Am 16. Juli 1054 marschierten während einer Messe, die der Patriarch persönlich leitete, alle drei Legaten in die Hagia Sophia und legten auf dem Altar eine Exkommunikationsbulle nieder, mit der sie den Patriarchen von Konstantinopel aus der Kirche ausschlossen. Zwei Tage später verließen sie Konstantinopel.

Wenn der Patriarch ein Gelehrter wie Photios gewesen wäre, hätte er die Sache zu seinen Gunsten gedreht. Er hätte die Inkompetenz der Legaten und die Unsinnigkeit ihrer Exkommunikationsbulle nachgewiesen und sich wahrscheinlich mit einer entsprechenden Entschuldigung aus Rom ihre Aufhebung erzwungen. Unabhängig von der Tatsache, dass die Legaten nach dem Tod des Papstes, der sie nach Konstantinopel geschickt hatte, kein Mandat hatten, war das Dokument so schlecht geschrieben und mit so vielen sachlichen und rechtlichen Fehlern versehen, dass Historiker bis heute erstaunt sind, wie ein Mensch mit Humberts Bildung so ein schlechtes Pamphlet schreiben konnte. Wahrscheinlich hat ihm seine Wut den Verstand vernebelt. Ein fähiger Anwalt hätte alle dort genannten Argumente leicht widerlegen und das Dokument als unsinnig und irrelevant erklären können. Aber der Patriarch war eben Michael Kerullarios, der nicht allzu viel Verstand hatte. In der ganzen Stadt fanden Demonstrationen zu seinem Gunsten statt und in diesem Machtrausch tat er nichts Besseres, als den römischen Papst (der zu diesem Zeitpunkt bereits im Grab ruhte und mit der Exkommunikation des Patriarchen nichts zu tun hatte) zu exkommunizieren.

Im Sommer 1054 stießen in Konstantinopel also zwei Dummköpfe aufeinander und wie wir wissen, ist eine solche Kollision mit einem Dummkopf immer gefährlich. Der bereits fragile Bau der Universalkirche überlebte diese Kollision nicht und brach auseinander. Das Schisma, also die Spaltung zwischen der westlichen und der östlichen Kirche, entstand also aus menschlicher Dummheit, wie es bei historischen Ereignissen von entscheidender Bedeutung viel zu oft der Fall ist. Ironischerweise hatten weder Humbert noch Kerullarios eine Kirchenspaltung im Sinn und die Exkommunikation hatte für sie nur eine rein persönliche Bedeutung. Wenn nach Leo IX. und Kerullarios Menschen mit Weitblick in den Ämtern gewesen wären, hätten sie alles noch in Ordnung bringen können.

Es sollte aber anders kommen. Kaiser Konstantin IX., enttäuscht von menschlicher Dummheit und schwer krank, zog sich zurück und starb am 11. Januar 1055. Da er keinen legitimen Sohn hatte, herrschte in Byzanz nach seinem Tod ein Chaos. Auf dem römischen Papstthron folgte nach Viktor II., der seiner Aufgabe absolut nicht gewachsen war, im Jahr 1057 Stephan IX, niemand anders als Friedrich von Lothringen, also einer der Legaten, die für die Kirchenspaltung im Jahr 1054 verantwortlich waren.

Also hat niemand versucht, das Problem zu lösen, es wurden keine diplomatischen Schritte unternommen. Kaiser Konstantin Dukas hatte schließlich genug von Kerullaios’ Exzessen.  Er stürzte ihn im Jahr 1058 und verbannte ihn aus Konstantinopel, der Riss im Bau der Kirche konnte aber nicht mehr geheilt werden. Das „Filioque“ wurde auf Anregung von Papst Innozenz III. offiziell auf dem 4. Laterankonzil im Jahr 1215 in das Glaubensbekenntnis aufgenommen. Danach gab es kein Zurück mehr.

Die Exkommunikation von Kerrulaios wurde erst 1965 von Papst Paul VI. aufgehoben. Über das, was danach geschah und wie der Konflikt zwischen West und Ost von Griechenland nach Russland überging, wo er bis heute andauert, werden wir das nächste Mal in dem letzten Teil dieser Erzählung sprechen.

Orthodoxie I

“Ein russischer Soldat ist heute ein Krieger des Lichts, der für die Rettung des wahren Glaubens und Russlands kämpft. Er ist buchstäblich ein Krieger der himmlischen Armee, deren Streitkräfte von Engeln unter der Führung des Erzengels Michael stehen. “

Einen ähnlichen Text (ohne Erwähnung Russlands) hätte ich vom Papst Urban erwartet, als er im Jahr 1096 den ersten Kreuzzug ins Heilige Land verkündete. Aber dieser Aufruf ist fast tausend Jahre jünger, im März 2022 rief der Moskauer Patriarch Kirill I. auf diese Weise russische Soldaten in den Kampf und bezeichnete die Kräfte, die gegen diese himmlische Armee die Ukraine verteidigten, als “außerirdische höllische Kräfte, die gegen den wahren Glauben und russische Soldaten kämpfen”.

Wenn dies wie ein schlechter Witz scheint, handelt es sich um eine falsche Schätzung. Wenn man die Aussagen des obersten geistlichen Leiters der russischen Kirche als völligen Verrat an der Botschaft des Evangeliums bewerten, hat man allerdings Recht.

Um das Unverständliche zu verstehen, müssten wir uns die Geschichte ansehen. Ich möchte meine Leser sehr weit zurück bis zu den Ursprüngen der Kirche und ihrer Spaltung führen. Da es sich um eine lange Reise handelt, wird es darüber wahrscheinlich gleich eine Artikelserie geben, daher bitte ich um Ihre Geduld. Aber das Thema könnte so interessant und heutzutage auch hochaktuell sein, dass es die Leser hoffentlich nicht langweilen würde.

Zunächst muss erklärt werden, was das Wort Orthodoxie im russischen Verständnis bedeutet. Der Ausdruck stammt aus dem Griechischen und bedeutet “der wahre Glaube”. Das bedeutet, dass jeder, der anders glaubt, “Heterodoxie” begeht, was dasselbe wie Häresie oder Ketzerei ist. In diesem Sinne ist Papst Franziskus für orthodoxe Gläubige ein Ketzer, ganz zu schweigen von Protestanten.

Die christliche Kirche entstand im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung als ungleichartige Mischung von Gemeinden in den Städten des Römischen Reiches. An der Spitze der Gemeinden standen gewählte Bischöfe, die zunächst tatsächlich nur die Aufgabe hatten, die Heilige Schrift zu predigen und sich um die Mitglieder der Gemeinschaft zu kümmern. Aber schon im dritten Jahrhundert begannen sich Unterschiede zwischen Westen und Osten des Römischen Reiches zu zeigen. Während der Osten relativ stabil blieb und eine funktionierende Infrastruktur und Verwaltung hatte, zerfiel im Westen die Infrastruktur in Folge des Drucks der Germanen und Hunnen Ab dem vierten Jahrhundert wurden die Bischöfe gezwungen, auch organisatorische Aufgaben zu übernehmen und im Grunde genommen die Funktion der römischen Verwaltung zu ersetzen – das bekannteste Beispiel war der Mailänder Bischof Ambrosius.

Seit dem Jahr 313, als Kaiser Konstantin das Christentum mit der traditionellen römischen Religion gleichgestellt hat, konnten Christen aus der Illegalität herauskommen und ihre Rituale frei ausüben. Im Jahr 325 fand unter der Leitung eines heidnischen Kaisers (Konstatins I.) das erste Konzil von Nicäa statt, das unter anderem das Glaubensbekenntnis festlegte, das wir bis heute beten – mit einem kleinen Unterschied über den noch gesprochen werden wird. Die offizielle Kirche brauchte eine feste Struktur. Das Konzil von Konstantinopel im Jahr 381 und das Konzil von Chalcedon im Jahr 451 bestimmten die Hauptverwaltungseinheiten der Kirche, und Kaiser Justinian legte diese Aufteilung in fünf Patriarchate in der Mitte des sechsten Jahrhunderts per Gesetz fest.

Es handelte sich um:

  • Das westliche Patriarchat, gegründet von den Aposteln Petrus und Paulus mit Sitz in Rom
  • Das Patriarchat von Konstantinopel, gegründet vom Apostel Andreas
  • Das Patriarchat von Alexandria, gegründet vom Evangelisten Markus
  • Das Patriarchat von Antiochien, gegründet vom heiligen Petrus
  • Das Patriarchat von Jerusalem, gegründet von allen Aposteln.

Entsprechend der Entscheidung des Kaisers sollte kein Patriarch einem anderen untergeordnet sein. Der römische Patriarch hatte nur das Recht, als erster auf der Liste zu stehen. Aber der römische Bischof hatte gleich eine Reihe von Vorteilen. Einerseits hatte er seinen Sitz in der traditionellen Hauptstadt des Reiches, andererseits konnte er sich auf direkte Nachfolge des heiligen Petrus berufen, der laut Tradition der erste römische Bischof war und von Christus persönlich mit der Leitung der Kirche beauftragt wurde. Zukünftige Päpste werden diese Karte sehr geschickt ausspielen und politisches Kapital daraus schlagen. Formal waren also alle diese Patriarchate gleich, aber in Wirklichkeit hatten die ersten beiden eine entscheidende Position. Nach der Teilung des Römischen Reiches in das Oströmische und das Weströmische Reich waren Patriarchen von Rom und Konstantinopel im Vorteil, weil sie den regierenden Kaisern nahestanden. Der Patriarch von Alexandria konnte ihnen noch in gewissem Maße Konkurrenz machen, da Alexandria ein Zentrum der Bildung war, sowohl der ehemaligen heidnischen als auch der späteren christlichen. Aber der Kaiser war der Kaiser und die Bischöfe waren seine Diener, einschließlich der höchsten Bischöfe, also der Patriarchen. Drei dieser fünf Patriarchate, Alexandria, Antiochia und Jerusalem, verloren in der ersten Hälfte des siebten Jahrhunderts ihre Bedeutung, als diese Gebiete von Arabern erobert wurden und der Islam hier das Christentum ablöste. Es blieben lediglich zwei Machzentren, und das ist nie gut. Zu zweit können keine Koalitionen gebildet werden, es kann nur ein Kampf auf Leben und Tod geben – oder ein Zusammenleben in Frieden und Harmonie. Leider entspricht die menschliche Natur eher der ersten Variante.

Es blieben also Rom und Konstantinopel. Diese beiden Patriarchen lebten jedoch unter unterschiedlichen Bedingungen und hatten daher unterschiedliche Aufgaben. Im Osten blieb der Kaiser in Konstantinopel und der dortige Patriarch hatte die Rolle seines Hofkaplans. Der Kaiser schätzte vor allem Loyalität. Das Kirchenoberhaupt war zu dieser Zeit nur der Herrscher, also der Kaiser, der Patriarch war sein engster Diener, den der Kaiser nach Belieben absetzen konnte – wie es zum Beispiel dem Patriarchen Fotios dem Großen im neunten Jahrhundert gleich mehrmals passierte. Der Patriarch von Konstantinopel war also von der Gnade seines Herrschers abhängig.

 In Rom war es anders. Schon Kaiser Diokletian hatte 286 neben Rom Mailand als weiteren Regierungssitz festgelegt und die Kaiser zogen tatsächlich dorthin. 402 änderte Kaiser Honorius wieder einmal seine Hauptstadt und zog nach Ravenna, die im Gegensatz zu Rom oder Mailand als uneinnehmbar galt. Der Papst blieb jedoch weiterhin in Rom (durch einen Umzug außerhalb der Stadt, wo der heilige Petrus seine Mission gegründet hatte, hätte er seine Legitimität verloren) und musste sich daher zunehmend in der weltlichen Politik engagieren. Einfach gesagt, er musste die Hausaufgaben für den abwesenden Kaiser machen.

Historiker sind sich nicht einig, welchen der römischen Bischöfe man als ersten Papst, also weltlichen Herrscher, betrachten soll. Sie zögern zwischen Innozenz I. (401-417) und Leo I. dem Großen (440-461). Beide haben jedoch eine Gemeinsamkeit. Beide erlebten die Eroberung und Plünderung Roms (Innozenz im Jahr 410 durch den Einfall der Westgoten, Leo im Jahr 455 durch die Verwüstungen der Stadt durch die Vandalen) und mussten sich um das leidende Volk kümmern, während der Kaiser in Ravenna verschanzt war. Dies verlieh ihnen Legitimität als weltliche Herrscher der Stadt, aber auch Ansehen außerhalb der Stadtgrenzen. Als Leo I. im Jahr 451 seinen Hirtenbrief an das Konzil von Chalcedon schickte, erschien in der Resolution des Konzils der Satz: “Petrus sprach durch den Mund von Leo.” Dies wurde im Westen als Anerkennung der führenden Rolle des römischen Bischofs in der christlichen Kirche interpretiert.

Leo I der Große

Während die Päpste Schritt für Schritt ihre Machtposition aufbauten, versank der Osten in Glaubensstreitigkeiten. Dies war durch kulturelle Unterschiede vorherbestimmt. Während die Griechen lange Diskussionen liebten, in denen sie Rhetorik schärften, neue Ausdrücke für ihre Sprache erfanden und es mehr um ihre Verherrlichung als um das Ergebnis des Streits ging, hasste man im Westen lange Diskussionen. Sie hielten vom praktischen Leben ab und Latein war dafür übrigens nicht wirklich geeignet. Es war immer die Sprache der Beamten und nicht der Philosophen. Darüber hinaus verfiel die Kenntnis des Lateinischen nach dem Fall des Römischen Reiches. Das mittelalterliche Latein ähnelte Ciceros Sprache nur wenig und war viel primitiver. Philosophen wie Boethius waren in Italien eine absolute Ausnahme, während sie in Griechenland das kulturelle Bild bestimmten.

Im Wesentlichen stammten mit Ausnahme von Papst Gregor dem Großen (590-604) alle Kirchenlehrer aus dem Osten. Hier hatten sie in einer relativen Ruhe die Zeit, sich mit Glaubensfragen zu beschäftigen, während der Westen um das nackte Überleben kämpfte. In die Kirchengeschichte haben sich vor allem Gregor von Nazianz (329-389), Basilius der Große (330-379) und Johannes Chrysostomus (347-407) eingeschrieben, wobei letzterer nicht einmal von seiner Gelehrsamkeit oder Beredsamkeit politisch profitieren konnte. Er geriet in Ungnade des Kaisers und starb im Exil. Aber im Osten wirkten nicht nur Kirchenlehrer, sondern auch Verfechter von Strömungen, die in weiterer Folge für ketzerisch erklärt wurden. Die bekannteste von ihnen war wohl die Lehre von Arius von Alexandria (260-327). Der gebildete Philosoph bemühte sich, Glauben und Vernunft zu vereinen und den grundlegenden Widerspruch des christlichen Glaubens – die Dreieinigkeit Gottes – logisch zu erklären. Seine Lehre zog besonders die gebildeten Schichten an, aber erstaunlicherweise auch die Häuptlinge der germanischen Stämme. Zum einen wuchsen germanische Fürsten meist als Geiseln am kaiserlichen Hof in Konstantinopel auf, zum anderen wirkte unter den Germanen der Mönch Wulfila, der zu ihren Völkern das Christentum in der arianischen Form brachte. Und Arius’ Lehre festigte die Stellung des Herrschers, was für die Häuptlinge praktisch war. Aber dazu später mehr. Mit Ausnahme der Franken wurden alle Germanen Arianer. Für das einfache byzantinische Volk war Arius’ Lehre jedoch zu kompliziert. Zuerst geriet er mit dem alexandrinischen Patriarchen Alexander in Streit, dann auch mit dem Patriarchen von Konstantinopel, Athanasios (295-373). Arius’ Lehre wurde auf dem Konzil von Nicäa im Jahr 325 verurteilt, er selbst überlebte seine Verurteilung nur um zwei Jahre.

Als Papst Leo I. der Große seine Anerkennung als erster unter den Bischöfen erlangte, befand sich der Osten in einem weiteren Konflikt. Es handelte sich um den von dem Mönch Eutyches verkündeten Monophysitismus. Diese Lehre leugnete die menschliche Natur von Jesus Christus und schrieb ihm nur eine, nämlich die göttliche Natur zu. Patriarch Flavianus bemühte sich vergeblich, diese Lehre zu unterdrücken, er tat sich schon deshalb schwer, weil die Lehre Kaiser Theodosius II. gefiel. Auf der Synode von Ephesus im Jahr 449 wurde der Patriarch sogar brutal verprügelt und seines Amtes enthoben. Erst das Konzil von Chalcedon im Jahr 451 brachte Ordnung und hier engagierte sich – auf der Seite des Patriarchen – auch der römische Bischof. Er übernahm also erstmals das Recht, über Glaubensfragen zu entscheiden, über die bisher immer nur Konzile unter dem Vorsitz des Kaisers entschieden hatten. Das Papsttum begann den Weg der Emanzipation, von der der Patriarch von Konstantinopel nur träumen konnte. (Auf der anderen Seite wurde seine Stadt nicht von den wilden Vandalen geplündert). Es gab jedoch zur Unabhängigkeit der Päpste noch einen langen Weg. Papst Johannes I. (523-526) sollte darüber belehrt werden. Der oströmische Kaiser Justinian verbot das Arianertum und befahl die Verfolgung der Anhänger dieser Lehre. Das gefiel dem ostgotischen König Theoderich, der selbst Arianer war, gar nicht. Er schickte Johannes nach Konstantinopel, um beim Kaiser die Aufhebung des Edikts zu erreichen. Johannes wurde in Konstantinopel als eigentlicher Kirchenführer begrüßt (er war der einzige römische Papst in der Geschichte, der nach Konstantinopel reiste). Er wagte es jedoch nicht, das Problem des Arianismus nur anzusprechen, und nach seiner Rückkehr nach Ravenna ließ ihn der wütende König Theoderich ins Gefängnis werfen, wo der Kopf des westlichen Christentums 526 starb.

Das achte Jahrhundert war für beide Teile der Kirche bestimmend. Im Osten ging es wieder um Glaubensfragen, im Westen um den Aufbau des päpstlichen Reiches. Kaiser Leo III. (717-741) erließ im Jahr 730 ein Edikt zur Zerstörung der Bilder von Jesus-, Maria- und Heiligen. Das Zeitalter des sogenannten Bildersturms begann. Leo ließ sich offensichtlich vom Islam inspirieren, mit dem er sonst permanent Kriege führte. Es ging ihm aber vor allem um die Schwächung der Macht von Klöstern, Kirche und damit auch des Patriarchen. Der Kaiser stützte sich auf den Text des Alten Testaments. Im zweiten Buch Mose, Exodus, heißt es: “Du sollst dir kein Bild von Gott machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf der Erde, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist. Du sollst dich vor nichts Derartigem niederwerfen oder ihnen dienen.” Derselbe Text wird dann im fünften Buch Mose (Deuteronomium) wiederholt. Übrigens ließen sich die Muslime bei ihrem Verbot der Darstellung lebender Kreaturen genau von diesem Text inspirieren – der Koran ist nämlich zum großen Teil eine Neuinterpretation des Alten Testaments.

Verehrer von Heiligenbildern stützten sich auf den Text von Johannes von Damaskus, der schrieb: “Da Gott in Jesus Christus Fleisch geworden ist und eine konkrete menschliche Gestalt angenommen hat, ist seine körperliche Darstellung möglich. Heilige verkörpern auf eine bestimmte Weise den Heiligen Geist.” Der Kampf um die Anbetung von Heiligenbildern dauerte bis 843. In der ersten Phase vertraten Kaiser Leo III., sein Sohn Konstantin V. und sein Nachfolger Leo IV. eine harte Linie gegen die Bilder und damit auch gegen die Kirche. Aber Leo IV. starb zu früh, und seine Frau Irene, die die Anbetung von Bildern begünstigte, übernahm die Regentschaft für seinen kleinen Sohn Konstantin VI. Die zweite Phase begann mit Kaiser Leo V. (813-820) und setzte sich sowohl bei seinem Sohn Michael II. als auch bei seinem Nachfolger Theophilos fort. Aber die Geschichte wiederholte sich. Theophilos starb, als sein Sohn Michael drei Jahre alt war, die Kaiserin Theodora übernahm die Regentschaft. Sie rief 843 eine Kirchensynode in Konstantinopel ein und beendete endgültig die Zeiten des Bildersturms. Orthodoxe Gläubige lassen sich deshalb ihre Liebe zu Heiligenbildern nicht nehmen. Das Küssen von Heiligenbildern ist ein Teil des Kirchenbesuchs in Russland, Griechenland oder Serbien, obwohl dieser Brauch die Hygieniker ekelt. Wir sahen dasselbe in Griechenland auf dem Lykabettus in Athen wie in St. Petersburg. Dort stand zumindest vor dem Bild der von Bolschewiki ermordeten kaiserlichen Familie Nikolaus II., die zu heiligen Märtyrer erklärt wurde, eine Dame in Arbeitskleidung und mit einer Flasche Alkohol in der Hand und wusch nach jedem Kuss das Bild, damit ein nächster Interessent, die in einer langen Schlange warteten, es küssen konnte.

Die Anbetung von Bildern wurde zu einem integralen Bestandteil der orthodoxen Glaubenspraxis, gerade weil die Gläubigen sie in einem hundertjährigen blutigen Kampf erkämpft haben, der viele Märtyrer forderte. Zur gleichen Zeit hatte Papst Stephan II. in Rom völlig andere Sorgen. Rom litt unter ständigen Angriffen der Langobarden, die unter dem Vorwand einer besseren Religion (sie waren Arianer) seit Jahrhunderten immer wieder die katholischen Römer angriffen. Papst Stephan suchte Hilfe beim fränkischen  – katholischen – König „Pipin dem Kurzen“ und er fand sie. Als Dank dafür, dass ihn der Papst zum König krönte und damit die Herrschaft der Merowinger in dem Frankenreich beendete, fiel Pipin in Italien ein und zwang die Langobarden, dem Papst umfangreiche Gebiete des ehemaligen byzantinischen Exarchats von Ravenna zu überlassen. Dieses “Pipinische Schenkung” vom Jahr 756 machte den Papst endgültig zum weltlichen Herrscher. Dabei stützte sich dieses “Recht auf das Eigentum des heiligen Petrus” auf eine unverschämte Fälschung namens “Constitutum Constantini”, die Stephan offenbar genau zu diesem Anlass herstellen ließ. In diesem Dokument, das Nikolaus von Kues im 15. Jahrhundert als Fälschung entlarvte, handelte es sich um eine Schenkungsurkunde des Kaisers Konstantin des Großen, der den Nachfolgern des heiligen Petrus umfangreiche Gebiete in Zentralitalien schenken sollte. Während also die Christen im Osten darüber stritten, ob man sich vor den Bildern der Heiligen verbeugen und sie küssen sollte, baute der Papst im Westen eine vielversprechende Machtposition auf, die er dann weiter ausbauen konnte, als Leo III. am 25. Dezember 800 überraschenderweise Karl dem Großen, dem Sohn von Pipin, die Kaiserkrone auf den Kopf setzte und damit das Weströmische Reich wiederherstellte. Der neue Kaiser nahm – vielleicht ungewollt und unerwartet – seine Krone aus den Händen des Papstes entgegen, und die Päpste rechtfertigten damit in Zukunft ihr Alleinrecht, die Kaiser krönen zu dürfen und damit über ihre Berechtigung dieses Amt zu bekleiden zu entscheiden. Während also im Osten der Kaiser darüber entschied, wer Patriarch werden würde, war es im Westen der Patriarch, der darüber entscheiden wollte, wer das Recht hatte, Kaiser zu werden. Während die östliche Kirche sich auf die Verteidigung der Reinheit des Glaubens konzentrierte, baute das Oberhaupt der Kirche im Westen zielstrebig seine Machtposition aus.

Die Konfrontation dieser beiden Konzepte war unvermeidlich und würde bald eintreten. Aber darüber das nächste Mal.