Mein Sohn lacht immer über die Tatsache, dass die Tschechen für jede Stadt in Europa einen eigenen Namen haben müssen, mit dem Original sind sie nie zufrieden. So ist aus Wien Vídeň, aus Graz Štýrský Hradec, aus Konstanz Kostnice und aus Koppenhagen Kodaň. Manchmal ist aber der tschechische Name der richtige und ursprüngliche (wie es auch bei Konstanz der Fall ist – im Altdeutsch hieß die Stadt Kostnitz). Bei Leipzig ist es auch so. Der ursprüngliche Name der Gemeinde war Lipsk, also in der serbischen Sprache ein Ort, wo „Lipy“ also Linden wachsen. Die ganze nördliche Seite des Erzgebirges wurde zu dieser Zeit von den Serben bewohnt, bevor sie von den deutschen Kaisern Heinrich I. und einem Sohn Otto I verdrängt wurden. Seitdem sind aber mehr als tausend Jahre vergangen und die slawische Vergangenheit Sachsens spiegelt sich nur mehr in zahlreichen slawischen Ortsnamen. Angeblich aber auch in der Schönheit der dortigen Frauen, wie mir ein einheimischer Taxifahrer in Dresden erklärte.

            In Leipzig war ich das erste Mal im Jahr 1982 und ich habe nach Hause ein Bild einer grauen depressiven unschönen Industriestadt gebracht, die ich nie mehr besuchen wollte. Das Schicksal wollte es aber anders. Zuerst besuchte mein Sohn Leipzig und nach einer Nacht, die er in der Moritzbastei (in der ehemaligen Stadtbefestigung errichteten Studenten der Leipziger Universität einen Klub und einen Ort, wo Diskotheken stattfinden) verbrachte, pochte er darauf, dass ich unbedingt noch einmal hinfahren müsste, um meine Meinung zu korrigieren.

            Ich tat es. Ich habe die Stadt besucht und meine Meinung korrigiert, obwohl nur teilweise. Leipzig wird die Schönheit von Dresden, München oder Aachen niemals erreichen. Es wirkt irgendwie inhomogen, zwischen historischen Häusern steht moderne Architektur kombiniert mit den Häusern aus der kommunistischen Vergangenheit der Stadt. An der Schönheit hat die Stadt dadurch viel eingebüßt.

So war es aber immer, die Stadt ist immer im Schatten von Dresden oder Meißen gestanden, sie war nie eine Residenz-, dafür aber immer eine Handelsstadt. Zwei Privilegien des Kaisers Maximilian I. aus den Jahren 1497 und 1507 verliehen der Stadt das Recht, Messen zu organisieren und Leipzig wurde so zum ostdeutschen Frankfurt am Main. Das echte Frankfurt war nämlich für die Kaufleute mit schlechter Anbindung an das Rhein/Main Flusssystem nur mühsam erreichbar. Wenn also nach Frankfurt die Ware auf dem Wasserweg transportiert wurde, nach Leipzig geschah es auf dem Landweg. Aus diesem Grund wurden die Paläste im Stadtzentrum mit sehr breiten Einfahrten in den Innenhof gebaut, damit ein vollbeladener Wagen einfahren konnte und die Ladung nicht auf der Straße umgelagert werden müsste. Heute wurden diese Einfahrten in charmante Passagen im Stadtzentrum umgebaut.

            In Leipzig war und ist eine Universität. Sie entstand im Jahr 1409 aus einem guten Grund und mit sehr guten Voraussetzungen für ihre Prosperität. Am18.Januar 1409 hat der tschechische König Wenzel IV. in Kuttenberg ein Dekret erlassen, das die Verhältnisse auf der Karlsuniversität in Prag gründlich veränderte. Bis dahin hatten ausländische Studenten und Lehrer in Prag bei Abstimmungen drei Stimmen und die Tschechen nur eine. Ab jetzt sollten die Tschechen drei Stimmen haben und alle Ausländer zusammen nur eine.  In Folge dieser Veränderung verließen Prag viele deutsche (aber auch polnische und viele andere) Professoren und Studenten – die Mehrheit von ihnen ging nach Leipzig, das auf die neue Situation flexibel mit einer Gründung der eigenen Universität am 2.Dezember 1409 reagierte. Jede neue Universität – das gilt bis heute – hat das Hauptproblem, gute Lehrer zu gewinnen. Leipzig hatte dieses Problem also nicht, hier ließen sich sofort die besten Professoren aus Prag nieder. Im Jahr 1519 fand in Leipzig die so genannte Leipziger Disputation zwischen dem katholischen Gelehrten Johann Eck und Martin Luther und seinen Freunden statt. Auch diese Tatsache bezeugt, dass Leipzig bereits damals ein anerkanntes Bildungszentrum Sachsens war. Luther mochte diese Stadt nie (er nannte Leipzig „Sodoma und Gomora“) es gelang ihm die Stadt für seine Lehre durch eine leidenschaftliche Rede in der Kirche des Heiligen Thomas im Jahr 1539 zu gewinnen. Trotzdem ist es gerade das Leipziger Museum der Stadtgeschichte im Alten Rathaus, das den Ehering der Gattin Luthers, Katharina von Bora, besitzt.

            An der Leipziger Universität studierten viele berühmten Menschen, vor allem in den Jahren 1765 – 1768 Johann Wolfgang Goethe. Seine Statue, die ihn als einen jungen Studenten darstellt, steht vor dem schönen Rokokogebäude der Börse.

            Gerade aus diesem Grund platzierte der große Dichter eine der Szenen seines Doktor Faust Dramas in den Auerbachkeller in der Mädlerpassage, wo wahrscheinlich der Lebemann Goethe nicht wenige Gläser während seines Studentenlebens leerte. Ich habe lange Zeit nicht verstanden, warum es diese Szene im „Faust“ überhaupt gibt, – aus meiner Sicht wirkt sie dort künstlich und überflüssig. Nur als ich Bescheid über die stürmischen jungen Jahre Johann Wolfgangs in Leipzig erfuhr (und er konnte wirklich leben!), dämmerte mir, warum Mephistopheles dieses Lokal besuchen musste. Übrigens Mephisto ist der Name einer Bar in dieser Passage sowie auch auf dem Leipziger Hauptplatz.

            Das Lokal Auerbachkeller, geschmückt beim Eingang mit Statuen von Doktor Faust, Mephisto und den Studenten, die in diesem Drama auftreten, ist natürlich eine Attraktion der Stadt, geschmückt mit Motiven aus Faust.

Die typische sächsische Küche würde ich aber nicht unbedingt probieren. Also ich habe es natürlich ausprobiert und erfahren, dass sie nur für Menschen mit einer sehr guten Verdauung geeignet ist. Kraut und Kartoffel sind allanwesend, der Geruch vom sauren Kraut schlägt in die Nase gleich beim Eintreten in dieses berühmte Wirtshaus und die sächsische Ernährung kann in den Gedärmen eine explosive Mischung bilden.

            Goethe lässt hier seine Studenten folgende Sätze sagen:

Will keiner trinken? Keiner lachen?
Ich will euch lehren Gesichter machen!

Ihr seyd ja heut wie nasses Stroh,

Und brennt sonst immer lichterloh.

            Goethe besuchte dieses Wirtshaus offensichtlich sehr gerne.

            Weitere berühmten Absolventen der Universität waren Richard Wagner, Karl Liebknecht oder Angela Merkel. Sie als eine Studentenaktivistin half die Moritzbastei auszugraben, ein Ort der besuchswert ist. Dieser Teil der Stadtbefestigung war nach der Bombardierung des zweiten Weltkrieges unter Trümmern begraben. Die Studenten der Universität wählten diesen Ort im Jahr 1974 aus und nach acht Jahren Ausgrabungen und Reparaturarbeiten eröffneten sie hier im Jahr 1982 eine Bar und eine Diskothek – in diesem Jahr besuchte die Moritzbastei auch meine Gattin, die damals ihre Famulatur in Leipzig machte.

            Richard Wagner war durch seinen Antisemitismus bekannt – möglicherweise auch deshalb wurde er zum Kultautor des Naziregimes. Er wurde zum Antisemiten gerade in Leipzig. Er kam in Leipzig in armen Verhältnissen zur Welt, sein Vater starb als der kleine Richard ein Jahr alt war. Mit der Mutter und dem Stiefvater war er viel unterwegs und im Jahr 1827 kehrte er nach Leipzig zurück. In Jahr 1831 begann er sein Studium an der Universität – er studierte Musik. Zur gleichen Zeit war Felix Mendelssohn-Bartholdy der Star der Leipziger Musikwelt, er wirkte in Leipzig in den Jahren 1835 – 1841. Mendelssohn Bartholdy stammte aus einer reichen jüdischen Familie und durch seinen Ruhm, seine Erziehung und seinen Reichtum waren für ihn alle Türe der Leipziger höher Gesellschaft geöffnet. Wagner dagegen kämpfte mit dem harten Schicksal und versuchte vergeblich mit seinem strahlenden Vorbild gleichzuziehen. Nach der katastrophalen Premiere seines ersten Werkes „Das Liebeverbot oder die Novize“ verließ der frustrierte Wagner Leipzig und ging nach Königsberg in der Überzeugung, dass seine Kariere in seinem Geburtsort eine jüdische Verschwörung zunichte gemacht hätte. Er hörte bis Ende seines Lebens nicht auf, die Juden zu hassen.

            Übrigens das erste, was Nazis nach der Machtergreifung im Jahr 1933 in Leipzig entfernten, war die Statue von Mendelssohn – Bartholdy, die vor der Fassade der Kirche des Heiligen Thomas stand. Heute steht sie dort wieder und bei der Feier „200 Jahre von der Geburt des Komponisten“ wurde nach ihm auch die Fassade der Kirche benannt.

            Wenn man aber über Leipzig und Musik spricht, sollte man in erster Linie an Johann Sebastian Bach denken.

Dieser höchste Meister der Barockmusik war nämlich seit dem Jahr 1723 siebenundzwanzig Jahre lang der Chormeister in der Kirche des heiligen Thomas und ist seit 1950 in dieser Kirche auch bestattet. In Leipzig waren auch Robert Schumann, Franz Liszt oder Hector Berlioz tätig, alle in der für Wagner so schicksalhafter Zeit um 1840, als in die Stadt Schumann einzog – sein Haus ist als sein Museum erhalten.

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