Man muss einfach eine Idee haben. Und natürlich, weder Gewissen noch Skrupel. Erzbischof Rainald von Dassel hatte das erste, das weitere fehlte ihm vollständig. Im Jahr 1164 entschied er als Vikar für Italien im Dienste Kaisers Friedrich Barbarossas, die heiligen Reliquien der drei Könige, die einmal dem Christkind in Betlehem gehuldigt hatten, von Mailand nach Köln zu überführen. Ob die Mailänder zum Widerstand gegen diesen Diebstahl oder zumindest zu irgendwelchen Protesten im Stande waren, ist nicht bekannt. Nach der Eroberung ihrer Stadt von Kaiser Friedrich im Jahr 1158 mussten sie gezwungenermaßen brav und still sein. In der Politik geht es immer um den Anstand und die Ehrlichkeit. Wenn man es schafft, sie loszuwerden, kann man sehr viel erreichen.
Erzbischof Rainald übertrug also die Reliquien nach Köln und machte daher aus der Stadt, in der er sein Amt ausübte, einen Pilgerort – das zweite Jerusalem. Die Knochen aus Mailand gibt es in Köln bis heute, wem sie tatsächlich gehörten, kann man nur raten, aber offiziell handelt sich um die drei biblischen Könige und ihre Königskronen schmücken das Wappen der Stadt Köln. Im Jahr 1246 entschied ein anderer Erzbischof, Konrad von Hochstaden, dass die alte romanische Kathedrale so einer wertvollen Reliquie nicht würdig sei und ließ die Kirche niederreißen. Zwei Jahre später legte er den Grundstein für den Bau einer neuen Kathedrale, die heute die wichtigste Dominante der Stadt ist. Ohne seine Kathedrale können wir uns Köln gar nicht vorstellen und sie erschien sogar auf der deutschen Zweieuromünze aus dem Jahr 2011. Der Bau der Kathedrale dauerte allerdings mehr als sechs hundert Jahre, fertiggestellt wurde sie nämlich erst im Jahr 1880. Im Jahr 1530 ist nämlich das Geld ausgegangen und im Jahr 1560 wurde der Bau gänzlich stillgelegt, der Kran auf dem Torso des Nordturmes sollte bis zum Jahr 1842 das Wahrzeichen der Stadt bleiben. In diesem Jahr entschied der preußische König Friedrich Wilhelm, um sich die Gunst seinen neuen Untertanen am Rhein zu erkaufen (seit 1815 waren hier die Preußen infolge des Wiener Kongresses die Hausherren), die Kirche fertigbauen zu lassen.
Köln ist aber eine viel ältere Stadt und wenn man bis zu ihrer Gründung zurückblicken möchte, muss man in die Zeit des Römischen Reiches eintauchen. Hier wurde nämlich, damals noch in einer bedeutungslosen Siedlung namens Oppium Ubiorum, die zukünftige Kaiserin Agrippina die Jüngere geboren – ihr Vater Germanicus war gerade dabei, mit den ungehorsamen Germanen auf dem gegenüberliegenden Rheinufer die offenen Rechnungen zu begleichen. Als Agrippina dann ihren Onkel (Germanicus Bruder), Kaiser Claudius heiratete, setzte sie durch, dass der Ort ihrer Geburt zur römischen Kolonie mit dem Namen „Colonia Claudia Ara Agrippinnensium“ (CCAA) wurde und aus diesem Namen entstand der derzeitige Name der Stadt – Köln.
In CCAA wurde im Jahr 69 durch seine Legionen General Vitelius zum Kaiser ausgerufen (es handelte sich um das so genannte Jahr der vier Kaiser nach dem Tod des Kaisers Nero), sein Feldzug nach Italien nahm aber kein gutes Ende, Er verlor seinen Kampf gegen Vespasianus und wurde hingerichtet. In Köln findet man sehr viele antike Sehenswürdigkeiten. Man kann das Prätorium besuchen, also das Verwaltungsgebäude des Gouverneurs, das bis in das fünfte Jahrhundert funktionierte, bis es die Franken als Königliche Residenz übernommen haben. Unter Köln gibt es in der Tiefe von 9,5 Meter einen römischen Entwässerungskanal (der nach seiner Entdeckung im neunzehnten Jahrhundert lange als Bierlager genutzt wurde), es blieben auch Reste der römischen Tore und der Stadtmauer. Ein Großteil der Ausgrabungen kann man im „Römisch-germanischen Museum“ in der Nähe des Kölner Doms sehen. Dieses Museum ist großartig. Es steht an der Stelle einer ehemaligen römischen Villa, deshalb ist hier auch ein originelles Mosaik des Hausbodens zu sehen, das so genannte „Dionysosmosaik“.
Die Römer schätzten Trinkwasser von hoher Qualität. Deshalb schöpften sie das Wasser nicht aus dem Rhein, sondern leiteten sie es vom Fluss Eifel in den Hügeln südlich der Stadt mit einem Aquädukt mit einer Länge von 95,7 Kilometern! Teile dieses Aquäduktes blieben bis heute erhalten. In den Jahren 310 – 315 sind mehrere Aufenthalte des Kaisers Konstantin des Großen in der Stadt dokumentiert. Der Kaiser ließ den Rhein überbrücken und errichtete auf seinem rechten Ufer eine Festung namens Divitia (heute der Stadtteil Deutz).
Köln profitierte nicht nur von den heiligen Reliquien, sondern vor allem von seiner Lage am Rhein. Wenn man die Karte Deutschlands im frühen Mittelalter betrachtet, ist das grundsätzlich eine Reihe Städte am Rhein (logischerweise fast alle auf dem linken Ufer, da der Fluss die Grenze des Römischen Reiches bildete und die Städte sind fast ausnahmslos römische Gründungen). Der Rhein war der Hauptader des Landes, die Donau und die Elbe spielten in dieser Zeit noch so gut wie keine Rolle. Der Großteil des heutigen Deutschlands war mit Urwald bedeckt, um die östlichen Provinzen führten die Germanen erbitterte Kämpfe mit den Elbslawen und Hamburg war ein Missionsbistum, das immer wieder von Normanen niedergebrannt wurde. Köln liegt dann gerade an einer Stelle, wo Rhein zu einem Fluss wird, der für Schiffe mit größerem Tiefgang nicht mehr schiffbar ist. Die Ware musste hier auf Schiffe mit flachem Kiel umgeladen werden, um zu Kunden stromaufwärts gelangen zu können. Das war die Quelle des Reichtums der Stadt, die von dem Erzbischof im Jahr 1259 ein „Stapelrecht“ erzwungen hat, das heißt ein Vorkaufrecht auf alle Ware, die hierher befördert wurde – dieses Recht galt bis zum Jahr 1831!
Aber schon viel früher entschied der fränkische König Karl, genannt der Große, das nicht weit entfernte Aachen zur Hauptstadt seines Reiches zu machen. Karl war ein weiser Mann. Seinen Seelsorger wollte er nicht direkt in Aachen haben, damit er ihm nicht ständig über die verdorbene Moral des königlichen Hofes in die Ohren meckert, zu weit durfte er aber auch nicht sein. Köln war von Aachen gerade richtig entfernt. Es schlug die Sternstunde der Stadt. Die Stadt wurde zum bedeutendsten Seelsorgezentrum des Römischen (Deutschen) Reiches. Schon das ist ein guter Grund, warum ein Geschichteliebhaber wie ich die Stadt unbedingt besuchen sollte. Köln wurde allerdings im zweiten Weltkrieg zu 90% zerstört und es war nicht in menschlichen Kräften, alles, was vernichtet wurde, zu rekonstruieren. Zwischen den Gebäuden aus dem frühen Mittelalter stehen also moderne Gebäude. Die Suche nach den Sehenswürdigkeiten ähnelt also einer Rosinensuche in einem Kuchen, es zahlt sich aber trotzdem aus. Die Kölner zeigten beim Wideraufbau ihrer Stadt einen guten Geschmack. Nicht einmal moderne Fenster in den Kirchen aus dem elften Jahrhundert wirken störend, obwohl sie von der Bausubstanz, die sie ergänzen, ein Zeitfenster von tausend Jahren trennt. Und es gibt hier Unmenge solchen Kirchen! Der erste Erzbischof Bruno, der Bruder des Kaisers Otto I, entschied sich, Köln zum zweiten Jerusalem zu verwandeln. Deshalb hatte die Stadt zwölf Tore und deshalb mussten in der Stadt zwölf Kirchen sein. Bruno schaffte es, sein Vorhaben zu realisieren, zur Belohnung ruht er jetzt in einer dieser Kirchen, in der Kirche des heiligen Pantaleon (des Schutzherren der Ärzte).
Die Stadt ist mit heiligen Reliquien voll. Die Pilger strömten von überall hierher, die drei Könige waren doch die ersten Pilger in der Bibel und damit das Vorbild schlechthin für alle, die ihnen in der Verehrung der christlichen Symbole folgen wollten.
Heute können wir darüber lächeln, aber im Mittelalter waren die Reliquien (egal ob echt oder gefälscht) über alles geehrt. Sie waren wertvoller als Gold und Köln als ein Pilgerort ließ sich niemals zum Protestantismus verleiten. Trotz seiner Nähe zu den Niederlanden ließen die Einheimischen die reliquienzerstörerische Lehre von Calvin niemals in die Stadt. Wahrscheinlich auch deshalb kann man in Köln sehr gut essen. Den rheinischen „Sauerbraten“ mit Mandeln und Rosinensauce kann ich herzlichst empfehlen. In Köln lebte der heilige Severin, ein Bischof aus dem vierten Jahrhundert, der aus der Stadt seinen heidnischen Vorgänger vertrieb – die nach ihm benannte Kirche mit seinem Leichnam befindet sich im südlichen Teil der Stadt. Weiter gibt es hier den heiligen Gereon, den Befehlshaber der Kohorte aus Theben, die sich in der Zeit des Kaisers Diocletianus weigerte, an der Christenverfolgung teilzunehmen und deshalb vor den Mauern CCAA dezimiert und der Anführer hingerichtet wurde. Seine Kirche ist ein wunderschönes Gebäude mit einer imposanten Kuppel. Es handelt sich angeblich um eine der größten Kuppeln in Europa, größer sollte nur Hagia Sophia und die Kathedrale in Aachen sein. (Die Italiener würden sofort Einspruch erheben und mit dem Heiligen Petrus in Rom und mit Dom von Florenz argumentieren, ich fühle mich aber nicht befugt, in diesem Streit zu schlichten). Die Kuppel ist rot gefärbt als Symbol des Leidens der Legionäre der thebischen Kohorte.
Und dann gibt es noch die heilige Ursula. Diese britische, in CCAA lebende Prinzessin hatte es angeblich versucht, mit ihren elf Begleiterinnen vor den Mauern der Stadt Attilas Hunnen aufzuhalten. Diese verstanden ihre Absichten nicht ganz und ermordeten sie alle. (Elf Flammen im Stadtwappen von Köln stellen dieses elf Märtyrerinnen dar). Gott sandte den Hunnen als Vergeltung für diese üble Tat einen Sturm und in weiterer Folge auch die Pest und vertrieb sie dadurch von der Stadt. Von den heiligen Reliquien der heiligen Ursula und den ermordeten elf Jungfrauen gibt es mehr als genug. An der Stelle, wo heute die Kirche der heiligen Ursula steht, entdeckten die Kölner nämlich einen antiken Friedhof und die dort aufgefundenen menschlichen Überreste erklärten sie für die Knochen der heiligen Märtyrinnen und mit ihrem gut entwickelten Sinn für Geschäft begannen sie sie auf dem Markt mit heiligen Reliquien anzubieten. Es war ein Bombengeschäft, es war schade damit aufzuhören, als die verkauften Knochen die Knochenzahl von elf Leichen bereits bei weitem überstiegen. Deshalb korrigierten die kölner Geschäftsleute die Zahl der ermordeten Jungfrauen auf 111 und letztendlich auf 11000. Wenn einige Abnehmer protestieren, dass manche der Knochen eindeutig männlich seien, wurden sie belehrt, dass in der Begleitung der heiligen Ursula sich natürlich auch Priester und Bischöfen befanden. Geschäft ist Geschäft!
Aber abgesehen von diesen skurrilen Angelegenheiten ist es doch faszinierend an dem Grab berühmten Menschen zu stehen, die irgendwann vor tausend Jahren starben. Ob es der Sarkophag des Bischofs Bruno in der Kirche des heiligen Pantaleons ist, wo auch die Kaiserin Theophano begraben wurde, die Gattin des Kaisers Otto II und Mutter Ottos III, eine bedeutsame Frau, die lange Jahre die Hebel der Weltpolitik in den Händen hielt. In der Kirche des heiligen Andreas gibt es dann den Sarkophag Alberts des Großen, eines berühmten Kirchenlehrers des dreizehnten Jahrhunderts (er starb in Köln im Jahr 1280).