Jerusalem ist ein ewiger Streitpunkt zwischen Religionen. Es ist ein Symbol für Christen, Juden und leider auch für Moslems. Der Prophet Mohammed ahnte wahrscheinlich gar nicht, was er seinen Kindern eingebrockt hat, als er sich entschied, für seine Himmelfahrt auf seinem Zaubertier Buraq als Startfläche gerade den Tempelberg in Jerusalem zu wählen. Was er dort tat in der Zeit, als die Stadt noch unter byzantinischen Verwaltung stand, werden wir wahrscheinlich niemals erfahren, rückblickend wäre es möglicherweise günstiger gewesen zum Treffen mit den anderen Propheten von einem anderen Ort aufzubrechen, zum Beispiel von Mekka oder Medina oder – eigentlich egal woher, nur nicht von Jerusalem aus! Aber es geschah so.
Jerusalem ist also ein Symbol, nicht umsonst beharren die Juden darauf, dass gerade diese Stadt die Hauptstadt von Israel sein sollte. Trotz aller Proteste und Unruhen, die das mit sich bringt.
Im Film „Königreich der Himmel“ fragt Orlando Bloom Saladin: „Was ist Jerusalem wert?“ Und Saladin antwortet mit einem Lächeln: „Nichts! Und alles!“
Wenn man an diesem Ort steht, beginnt man diesen Widerspruch zu verstehen. Der Tempelberg mit dem Felsendom, der Berg Zion oder der Ölberg sind Orte, von denen man vielmals gelesen und unzähligemal gehört hat und wenn man sie sieht, ist man trotzdem nicht enttäuscht. Das geschieht nicht so oft im Leben.
Jerusalem wurde irgendwann um das Jahr 1000 vor Christus von König David erobert und dieser machte es zur ersten Hauptstadt der Juden, die bis dahin als Nomaden lebten. Sein Sohn Salomon baute hier den ersten Tempel – die Juden dürfen nur einen Tempel haben, alles anderes sind nur Synagogen, also Gebetshäuser. Diesen Tempel zerstörte der babylonische König Nebukadnesar, als er Jerusalem im Jahr 586 vor Christus eroberte. Er führte Juden in die babylonische Gefangenschaft, also in die Sklaverei. Als sie dann nach der Rückkehr, die ihnen der persische König Kyros erlaubte, einen neuen Tempel bauten, war es nur ein bescheidenes Gebäude, das man mit dem Tempel von Salomon nicht vergleichen konnte. Um eine Korrektur dieser beschämenden Tatsache bemühte sich König Herodes der Große. Er ließ das Gebäude aus dem sechsten Jahrhundert vor Christi allen Protesten des Volkes zum Trotz niederreißen und baute ein großartiges Gotteshaus, das in der damaligen Welt seinesgleichen vergeblich suchen musste.
Genau in diesem Tempel spielten sich die Geschichten des Neuen Testamentes ab. Herodes war überzeugt, dass der Messias aus seiner Familie stammen würde und gerade auf dem Tempelberg würde er dann die Lebenden und die Toten richten, nachdem er durch das Goldene Tor in die Stadt triumphal einziehen würde. Deshalb sparte Herodes nicht bei den Baukosten, immerhin war er in dieser Zeit im Auftrag des Augustus der Verwalter des ganzen asiatischen Teils des römischen Reiches. Am Geld mangelte es also nicht. Herodes freute sich sicherlich, wenn der Erlöser einmal sagen würde – „Und diesen prachtvollen Tempel ließ mein Ur- Ur – Urgroßvater Herodes bauen.“ Und Herodes selbst würde vor dem Messias als der Erste stehen und dank seiner Verdiensten um diesen prächtigen Bau seiner Verbrechen begnadigt und paradieswürdig gesprochen werden.
Es sollte anders kommen. Im Jahr 70 nach Christus wurde Jerusalem von den Römern erobert und der römische Heerführer und spätere Kaiser Titus ließ die Stadt samt dem Tempel dem Boden gleichmachen. Von dem ganzen monumentalen Gebäude des Herodes blieb nur ein Teil der westlichen Mauer erhalten, die heutige Klagemauer. Im Jahr 530 ließ Kaiser Justinian auf dem Tempelberg eine Kirche der Jungfrau Maria bauen, diese hatte aber nur eine kurze Lebensdauer, im Jahr 614 wurde sie, wie alle anderen Kirchen auch, von Persern zerstört. Dann kamen die Araber. Sie erinnerten sich, dass gerade von diesem Ort Prophet Mohammed zu seiner Himmelfahrt aufbrach und bauten hier die erste Moschee. Bereits im Jahr 692 stand hier ein „Felsendom“. Seine goldene Kuppel ist eine Dominante der ganzen Stadt. Im Jahr 1099 wurde die Stadt von Kreuzfahrern erobert und diese verursachten unter der Zivilbevölkerung, die Asyl im Tempel gesucht hatte, ein furchtbares Massaker. Hier entstand der Templerorden und die Templer hatten dann gerade hier (in einem Teil des königlichen Palastes) ihr Hauptquartier.
Im Jahr 1187 wurde die Stadt von Sultan Saladin erobert und mit einer kurzen Unterbrechung in den Jahren 1229 – 1244 blieb sie dann schon in moslemischen Händen. Im Jahr 1517 wurde Jerusalem von Türken eingenommen und die Symbole des Vollmondes wurden durch türkische Halbmonde ersetzt. Im Jahr 1917 kamen Briten hierher und im Jahr 1947 wurde die Teilung der Stadt zwischen den beiden hier lebenden Nationen beschlossen. Die Juden bekamen den westlichen modernen Stadtteil, den Arabern wurden die Altstadt und die östlichen Stadtviertel zugesprochen. Diese Teilung wurde im Sechstagekrieg beendet, als Ostjerusalem von jüdischen Truppen eingenommen wurde. Später annektierte der Staat Israel den östlichen Teil der Stadt und erklärte Jerusalem zu seiner „unteilbaren“ Hauptstadt.
In der Stadt gibt es das Viertel Mea Shearim, wo ultraorthodoxe Juden leben. Sie betrachten den Staat Israel als Gotteslästerung, da in ihren Vorstellungen den Staat Israel nur der Messias gründen kann. Sie verweigern den Militärdienst, sie zahlen keine Steuern, die arbeiten nicht und leben von Spenden (angeblich besonders von den Juden aus den USA). Alle Männer waren hier in der traditionellen Kleidung zu sehen mit Hüten und Kaftanen, die Frauen mit Kopfbedeckung und ungeschminkt, die Kinderwagen (die Familien der ultraorthodoxen Juden sind sehr kinderreich) wurden aber ausschließlich von Männern geschoben.
Die heutige Mauer, die die Altstadt umgibt, ließ Sultan Suleiman „der Prächtige“ bauen. Sie ist mehr als vier Kilometer lang und hat acht Tore. Nur sieben davon sind offen. Das wichtigste aller Tore, das Goldene Tor, direkt unter dem Tempelberg in Richtung Ölberg, ließ Suleiman zumauern. Diese Tat hat eine Logik. Gerade durch dieses Tor sollte der jüdische Messias in die Stadt einziehen (deshalb betrat auch Christus die Stadt durch dieses Tor). Also wenn man dieses Tor zumauert, wird dadurch die Wahrscheinlichkeit des Einzugs des Messias minimalisiert.
Zum Tempelbezirk kommt man durch das „Mülltor“. Den Namen bekam das Tor dank der Tatsache, dass gerade durch dieses Tor die Abfälle aus der Stadt getragen wurden. Durch Check points kommt man auf das Tempelplateau. Den Juden ist der Zutritt verboten, das ganze Plateau ist eigentlich jordanisches Gebiet und der jordanische König ist auch offiziell der Wächter über den Felsendom. Die Juden dürfen diesen Platz aber auch in Folge ihrer eigenen Gesetze nicht betreten. Niemand weiß nämlich, wo sich das Heiligtum des Tempels befand, das nur der Hohepriester betreten durfte. Also ein orthodoxer Jude würde ein Sakrileg begehen, wenn er sich – auch unabsichtlich, auf diesen Platz stellen würde. Ariel Sharon war es egal, als er im Jahr 2000 den Tempelbezirk betrat, was die zweite Intifada auslöste und ihm den Wahlsieg im Jahr 2001 sicherte. Auf dem Tempelplateau stehen zwei Gebäude – die Moschee Al Aqsa und der Felsendom. Beide dürfen seit dem Jahr 2000 von Nicht-moslems nicht betreten werden. Ich suchte lange die Minarette, die zu einer Moschee einfach untrennbar gehören. Um das Gebäude Al Aqsa fand ich keine, obwohl nach meiner Schätzung diese Moschee mindestens vier haben müsste (die Zahl der Minarette entspricht der Wichtigkeit der Moschee, sechs Minarette darf offiziell nur die Moschee in Mekka haben). Letztendlich fand ich sie. Sie stehen an den Ecken des Plateaus – also offiziell ist das ganze Plateau eine Moschee und der Felsendom mit seiner vergoldeten Kuppel gehört dazu.
Die Juden beten an der Klagemauer. Die Männer und Frauen tun das getrennt, wie es schon im Orient üblich ist. Männern steht ein wesentlich größerer Teil der Mauer zu Verfügung, ich zählte aber mehr betende Frauen als Männer. Neben säkularen Juden und Touristen, die auf dem Kopf eine kleine Kippa (oder Jarmulka) tragen – (ohne sie darf man nicht zur Mauer, man kann sich aber eine solche Kopfbedeckung beim Eingang kostenlos ausleihen) beten hier auch orthodoxe Juden mit Schläfenlocken, in Kaftanen und Hüten. Diese beten sehr intensiv, nämlich mit dem ganzen Körper, da ihnen das Gesetz befiehlt, alle körperlichen Organe beim Gebet zu bewegen. Die Mehrheit der orthodoxen Juden betet in dem überdachten Teil der Klagemauer, links bei der Mauer gibt es einen kleinen Eingang.
Durch das jüdische Viertel (mit der größten Synagoge und dem riesigen siebenarmigen Leuchter aus echtem Gold) und das armenische Viertel mit dem Ziontor ( in der Altstadt gibt es noch ein arabisches und ein christliches Viertel) kommt man auf den Berg Zion. An dem Ziontor sieht man noch immer die Einschüsse aus dem Sechstagekrieg. Gerade durch dieses Tor drangen die israelitischen Truppen in die Altstadt ein. Zion ist der bedeutendste jüdische Berg, obwohl er bereits außerhalb der Stadtmauer liegt. Nach ihm heißt die Zionistische Bewegung, die das Recht der Juden auf die Rückkehr in ihre alte Heimat predigt und die vom wiener Juden Theodor Herzl gegründet wurde. König David hat hier sein symbolisches Grab. Sein Grabmal ist wirklich nur symbolisch. Sein Leichnam liegt nicht hier, trotzdem ist das ein jüdischer Pilgerort. Zu dem Sarg des Königs werden Männer und Frauen getrennt zugelassen. Frauen sehen nur einen kleineren Teil, unsere Damen begegneten im Gegenteil zu uns also keinen betenden orthodoxen Juden, dafür aber wunderschön singenden argentinische Frauen.
Der Berg Zion ist auch für Christen heilig. Hier fand das letzte Abendmahl statt, hier wurde die neue Tradition, das neue Ritual gegründet, das uns bei jeder Messe begleitet: Während des Mahls nahm Jesus das Brot und sprach den Lobpreis; dann brach er das Brot, reichte es den Jüngern und sagte: Nehmt und esst, das ist mein Leib. Dann nahm er den Kelch, sprach das Dankgebet und reichte ihn den Jüngern mit den Worten: Trink alle daraus, das ist mein Blut, das Blut des Bundes, das für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden.“ (Matthäus 26, 26-28, auch Markus 14, 22-25 und Lukas 22 14 – 20). Johannes lokalisiert die Lehre über das Blut und Körper Christi in die Synagoge in Kapernaum, das Mysterium des letzten Abendmals beschreibt er nicht.
Der Saal des letzten Abendmals ist ein gotisches Gebäude aus der Zeit der Kreuzfahrer, ein Olivenbaum aus Bronze mit drei Fruchtarten – neben Oliven auch Weizen und Weintrauben – erinnert an den Besuch des Papstes Johann Pauls II. im Jahr 2000 und symbolisiert das Zusammenleben aller drei monotheistischen Religionen.
Obwohl der Saal natürlich immer voll mit Menschen ist, hat er doch ein bestimmtes Flair, gerade hier wurde doch das Ritual gegründet, das die christliche Kirche zusammenhält und die Verbreitung der Botschaft Gottes ermöglicht: Du sollst deinen Nächsten lieben, wie dich selbst! (Markus12, 31, Galater 5,14). Es ist faszinierend, dass Christus, der sein ganzes Leben gegen jüdische Rituale kämpfte, am letzten Abend seiner Mission erkannte, dass ohne Ritual seine Lehre nicht überleben konnte und er nutzte dieses letzte Abendmahl mit seinen Aposteln zur Gründung einer neuen Tradition. Angeblich passierte es gerade an diesem Ort. Aber wenn auch nicht, es konnte nicht zu weit von hier sein.