Es gibt Dinge, die man zumindest einmal im Leben erleben sollte, diesmal ohne Betonung des Wortes „einmal“. Seit ewiger Zeit pilgern Menschen ins Heilige Land um am eigenen Leib das Mysterium der Entstehung unseres Glaubens und unserer Kirche erleben zu können. Sie taten das Tausende Jahre lang, oft unter Einsatz des eigenen Lebens.

               Heute steht das Coronavirus dem Pilger im Weg, es ist aber anzunehmen, dass sobald es den Platz räumt, die Pilgerreisen wieder in Schwung kommen. Wir haben unsere Reise noch zwei Jahre vor der Coronaviruspandemie geschafft. 

               Weil ich den Ausflug persönlich organisierte und damit die Verantwortung für alle eventuelle Misserfolge und Komplikationen trug, entschloss ich mich, nichts dem Zufall zu überlassen. Und genau das hat sich als großer Fehler erwiesen.

  1. Weil ich von meinen Nachbaren, die Israel ein Jahr vor uns besucht hatten, vor israelischen Hotels gewarnt wurde, nämlich, dass die Bezeichnung mit den Sternen dem mitteleuropäischen Standard nicht entspricht, entschloss ich mich, für die bessere Hotelkategorie aufzuzahlen. Demzufolge landeten wir mit meiner Gattin in einer 43-köpfigen Pensionistengruppe, wo wir beinahe das jüngste Element darstellten. Als uns der Reiseführer bereits das dritte Mal mit Nachdruck erinnerte, dass niemand seine Zähne im Badezimmer vergessen sollte, verstand ich, dass ich möglicherweise nicht in der richtigen Gruppe war.  Die Gruppe, die mit dem selben Reisebüro reiste, aber das bessere Hotel nicht aufzahlte, war 15-köpfig, jung, lustig und hatte sogar einen besseren Reiseführer. Na gut, möglicherweise hätte ich in der Gruppe wie eine pädagogische Aufsicht ausgesehen, aber in der Gesellschaft junger Menschen fühle ich mich immer jung und frisch. In unserer Gruppe war es nicht der Fall. Manche Teilnehmer waren schon vergesslich und fragten immer das selbe, die anderen waren schwerhörig – mit dem gleichen Effekt. Einer hatte eine Obsession, in der er „illegale israelische Siedlungen“ sehen wollte und er vermutete sie in jedem arabischen Dorf, womit er unseren Reiseführer in den Wahnsinn trieb. Dann fuhren wir im Jordantal stundenlang an diesen Siedlungen vorbei, was er nicht bemerkte und als wir dann in Richtung Betlehem abbogen, wiederholte er seine Frage, wann endlich die illegalen Siedlungen kommen würden, womit er unseren Reiseführer an den Rand eines Herzinfarktes brachte. Zwei der Damen waren nicht nur ältere Jahrgänge, sondern auch ziemlich voluminös und bereits in Akko, bei unserem ersten Stopp, hat die erste von ihnen den Kontakt mit der Gruppe verloren. In Caesarea verloren wir dann auch die zweite und unser Reiseführer verlor definitiv die Nerven. Es war ein Wunder, dass wir letztendlich alle nach Hause kamen.
  2. Weil ich wusste, dass die Amerikaner zum 70 – jährigen Jubiläum der Entstehung des Staates Israel ihre Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem verlegen wollten (und dies dann auch taten), konnte man zu diesem Datum große Unruhen erwarten. Israel wurde am 15.Mai 1948 gegründet und ich wählte also den Termin für unseren Ausflug für April in der Erwartung, dass im April die Palästinenser für ihre Proteste noch die Kräfte vorbereiten würden. Die Demonstrationen im Gazastreifen betreffen die Touristen nicht direkt, Tränengas im Tempelbezirk schon. Wie groß war meine Überraschung, als am Tag nach unserer Ankunft Israel 70 Jahre seiner Entstehung feierte. Ich habe das nicht verstanden. Ich verwendete natürlich Google, dort wurde auf dem 15.Mai bestanden. Unser Reiseführer war nicht im Stande, mir diesen Widerspruch zu erläutern – später bin ich darauf gekommen, dass es bei weitem nicht die einzige Sache war, bei der er daneben lag. Einen Tag später habe ich erfahren, dass die Juden nach ihrem, also nach dem Mondkalender, feiern und die Gründung des Staates Israel auf den fünften Tag des achten jüdischen Monats fällt. Was im Jahr 2018 der 19.April war. Gott sei Dank wussten das die Amerikaner nicht!
  3. Ich hatte bestimmte Befürchtungen bezüglich der koscher Küche und des Sabbats. Das Essen war für mich eine sehr angenehme Überraschung. Natürlich findet man im Angebot kein Schweinfleisch oder Kaninchen und Meeresfrüchte sind auch tabu. Gott erlaubte den Juden nur das zu essen, was an den Füßen zwei Zehen hat, also eigentlich nur Zweihufer, Rind, Schafe und Ziegen. Fische sind erlaubt, warum Sepien, Muscheln oder Oktopus nicht koscher sind, konnte ich nicht erfahren. Natürlich darf Milch und Milchprodukte Fleisch nicht berühren, was Juden durch einen Satz im Buch Levi begründen „Du wirst nicht das Zicklein in der Milch seiner Mutter kochen“. In der Praxis bedeutet es, dass, wenn es zum Frühstück Käse gibt, man keinen Schinken findet, nicht einmal aus Rind oder Geflügel, obwohl Vögel keine Milch haben. In den Zeiten Christi wurden die Galiläer nicht für rechtgläubige Juden gehalten. Nicht nur wegen ihres spezifischen Dialektes, sondern auch, weil sie Huhn in Sahnesauce aßen. Ihre Argumente, dass Huhn keine Milch hat, fruchteten nicht einmal damals. Darüber zu diskutieren zahlt sich einfach nicht aus. Übrigens, durch koschere Zubereitung wird Fleisch unglaublich fein und schmackhaft. Ich habe noch nie ein so weiches Rindfleisch gegessen und das Geflügel schmeckte genau so wunderbar. Der Grund dafür ist wahrscheinlich die Tatsache, dass Fleisch vom Blut befreit werden muss. Nicht nur, dass das Vieh bei der Schlachtung vollständig ausbluten muss, sondern danach werden zusätzlich alle Gefäße auspräpariert und anschließend wird das Fleisch in eine spezielle Salzmarinade eingelegt und diese zieht auch die letzten Blutreste aus dem Fleisch. Ein Verbot, das Blut zu essen, findet man in der Bibel mindestens an fünf Stellen – übrigens an diese Stellen (verdreht in Richtung Bluttransfusionen) stützt ich auch der Glaube der Zeugen Jehovas. Die koschere Küche war für mich also eine sehr angenehme Überraschung.
  4. Mit dem Sabbat war es schon ein bisschen schlimmer. Am Freitagabend wurden wir aus dem Speisesaal durch eine auf fünfzehn – vielleicht sogar zwölf – Grad eingestellte Klimaanlage vertrieben. Der Sabbat beginnt am Freitag nach dem Sonnenuntergang und wir wollten nicht nur essen, sondern auch bei einem Glas Wein diskutieren. Das war unzulässig, der Sabbat war da. Am Samstag früh fanden wir unter dem Tisch die Reste des Abendessens von Freitag, weil nicht geräumt wurde und der Toaster war außer Betrieb. Er war mit einem Tuch abgedeckt und wenn eine Dame einen Toast machen wollte, wurde sie sehr energisch aufmerksam gemacht, dass auch der Toaster Sabbat einzuhalten habe. Es ist notwendig, auf Sabbatlifte aufzupassen. Die sind in den Hotels speziell gekennzeichnet. Für einen orthodoxen Juden ist sogar das Drucken der Taste im Lift ein prägnanter Verstoß gegen das Arbeitsverbot. Deshalb bleibt dieser Lift in jedem Stockwerk stehen und er steht hier eine ganze Minute, damit Menschen ein- und aussteigen können. Umso angenehmer ist es am Samstag auf den israelischen Straßen zu fahren. Die heilige Schrift erlaubt nämlich einem Juden sich nur zur nächsten Synagoge von zu Hause zu entfernen und das kann man zum Fuß bewältigen.
  5. Interessant ist die Lösung des Wochenendeproblems. Für die Juden ist der Ruhetag der Samstag für die Moslems der Freitag. Also auf  den meisten Gebieten des Staates Israel wird Wochenende am Freitag und Samstag gehalten. Es gibt aber auch Gebiete, in denen neben Juden auch Christen leben. Dort gibt es das Wochenende am Samstag und Sonntag. Am schlimmsten ist es in Betlehem, wo Moslems und Christen miteinander leben.  Dort hat man Wochenende Freitag und Sonntag und wenn man längere Freizeit haben möchte, muss man am Samstag Urlaub nehmen.
  6. Die offizielle Sprache in Israel ist Hebräisch und Arabisch, alle Aufschriften sind dreisprachig (zusätzlich noch Englisch). Also fast alle – auf denen, die Parkregeln betreffen, fehlt Englisch – das ist eine Falle für mutige Touristen, die durch Israel in eigenem Fahrzeug reisen möchten. Und natürlich in den palästinischen Gebieten (auch direkt in Israel) sind trotz aller Vorschriften die Texte auf den Tafeln nur arabisch. Von den offiziellen Stellen wird es offensichtlich akzeptiert.
  7. Wir waren mit einem palästinischen Reisebüro unterwegs. Das wussten wir in Österreich nicht, unser Reiseanbieter informierte uns über diese Tatsache nicht. Obwohl uns auffallen konnte, dass wir vier Nächte in Betlehem, also im palästinischen Gebiet übernachten sollten. Damit hatte ich kein Problem. Eher mit unserem Reiseführer. Als er uns auf dem Flughafen mit einem verzweifelten Ruf: „Wie viele seid ihr?“ begrüßte, sank bereits bei dem ersten Kontakt mein Vertrauen in seine Person. Ich hatte das Gefühl, dass genau das sollte eher er als wir wissen. Leider Gottes ist es ihm nicht gelungen, mein angeschlagenes Vertrauen zurück zu gewinnen. Unser Schibli (was im Arabischen angeblich „Kleiner Löwe“ bedeutet) war zwar sehr lieb und hatte mit unserer Gruppe  – wie ich schon erwähnte – nicht gerade kleine organisatorische Probleme. Diese konnte er beherrschen, mich störten eher seine ziemlichen Wissenslücken.  Und das nicht nur in der Botanik, sondern vor allem in der Geschichte.
Istaelische Siedlung im Jordantal

               Dass er aus Pompeius einen Kaiser machte und ihm den Satz Vespasianus,  „Geld stinkt nicht“ zuschrieb, habe ich noch irgendwie überlebt, sowie auch die Tatsache, dass er die Makkabäer mit Bar Kochba verwechselt hat. Ich nahm ohne Proteste sogar seine permanente Behauptung hin, dass Kaiser Konstantin mit seiner Mutter Helena auf einer Pilgerreise das Heilige Land besuchte, hier im Jahr 324 (wo er zu diesem Datum kam, blieb mir rätselhaft, da in diesem Jahr gar nichts passiert ist) das Christentum zur Staatsreligion des Römischen Reiches erklärte und damit die Byzantinische Zeitperiode begann. (Nur zur Korrektur, Kaiser Konstatin erlaubte im Edikt von Mailand im Jahr 311 den Christen freie Ausübung ihrer Religion, er selbst wurde nie zum Christ und deshalb hat er auch nie eine Pilgerreise nach Palästina unternommen. Zur offiziellen Staatsreligion wurde das Christentum durch das Edikt des Kaisers Theodosius im Jahr 380 und die byzantinische Zeitperiode begann mit der Teilung des Römischen Reiches in ein West- und ein Oströmisches Reich im Jahr 395). Das alles habe ich irgendwie verdaut, aber seine Erklärung, dass im zweiten Weltkrieg die Briten Deutsche aus ihrer Kolonie in Haifa als Nazis vertrieben und diese dann nach Malta auswanderten und dort den Deutschritterorden gründeten, war schon weit jenseits meiner Schmerzgrenze. Aber zu einer Pilgerreise gehört ein bisschen Leiden, es geht letztendlich um den Sündenerlass und so hoffe ich, dass ich, da ich Schiblis Ausführungen überstand, ohne gegen ihn Gewalt anzuwenden, nach Hause sündenfrei gekommen bin. Ich muss aber zugeben, dass ich es am letzten Tag unseres Ausfluges auf dem Weg nach Massada nicht ausgehalten habe. Ich entwendete ihm das Mikrofon und brachte die Geschichte des Königs Herodes den Anwesenden selbst bei. 

Meine tschechischen Leser wissen, dass es sich dabei um meine Herzangelegenheit handelt, mein Roman über diesen Herrscher erschien im Jahr 1998 (und das zweite Mal dann im Jahr 2005) und obwohl ich nach zwanzig Jahren schon einiges vergessen hatte, konnte ich trotzdem ein qualifizierteres Bild des antiken Tyrannen darstellen, als es unser lieber Schibli im Stande gewesen wäre. Ich ersparte mir dadurch einen Herzinfarkt.

               Schiblis Deutsch war nicht auf dem höchsten Niveau – obwohl nicht schlecht – in Laufe des Tages wurde es aber durch die zunehmende Müdigkeit schlechter. Dieses Phänomen kenne ich aus meinen österreichischen Anfängen, daher hatte ich dafür ein volles Verständnis und war bereit,  es ihm zu verzeihen. Aber dass er die Flagge von Jordanien nicht kannte (die sich von der palästinischen nur durch einen silbernen Stern im schwarzen Feld unterscheidet) obwohl er selbst behauptete, dass er zu seiner Familie in Chicago von Amman flog (weil Palästinenser den Flughafen in Tel Aviv nicht benutzen dürfen), war wieder einmal eine Enttäuschung.

               Übrigens, ob zufrieden oder unzufrieden, das Trinkgeld wird erbarmungslos kassiert und hat feste Regel. Für das Hotelpersonal 1 Euro pro Nacht, für den Busfahrer 1,5 Euro pro Tag und für Schibli 3 Euro pro Tag. Freiwilligkeit wird dabei nicht gepflegt. Also viel Bargeld auf die Pilgerreise mitnehmen.

Also gut, lassen wir unseren glücklosen Reiseführer in Ruhe, ich konnte mich übrigens für die Reise bereits zu Hause vorbereiten. Was ich auch getan habe und das war möglicherweise das Problem. Ich habe nachgedacht, warum Menschen um dieses Stück Landes seit fünf tausend Jahre ununterbrochen streiten. Nicht das es hässlich wäre, es besitzt sogar einen bestimmten Zauber , es gibt hier aber weder Erdöl, noch Gold oder andere Bodenschätze und das Leben hier bedeutet einen permanenten Kampf um jeden Tropfen Wasser. Wenn sich die Natur hier schon einmal so schonungslos zeigte, warum haben die Menschen einen unüberwindbaren Drang, das noch schlechter zu machen. Aber darüber reden wir das nächste Mal in zwei Wochen. Ihr seid willkommen.

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