Ravenna erlebte seine Blütezeit in der Zeit des Unterganges. Gerade hier schloss sich die Epoche des Altertums und es begann das Mittelalter. Es geschah im Jahre 476, als der Häuptling des Stammes der Herulen Odoaker den letzten weströmischen Kaiser Romulus (genannt wegen seines Alters Augustulus also Kaiserlein) absetzte und dem oströmischen Kaiser Zeno ausrichten ließ, dass Italien keinen Kaiser mehr brauche. Dass Italien Zeno jetzt direkt unterstellt wäre und er, also Odoaker, sei bereit, sich vor ihm mit dem Titel „Rex Italiae“, zu dem er sich selbst ernannte, zu beugen. Bereits seit dem Tod des Kaisers Valentianus III. im Jahre 455 wechselten die Herrscher auf dem weströmischen Thron innenhalb weniger Jahren (oder sogar Monate) und in Wirklichkeit herrschten über das Reich Generäle, sogenannte „Magister militium“. Der letzte dieser berühmten und einflussreichen Heerführern Ricimer, starb im Jahr 472. Im Jahr 475 setzte Senator Orestes Kaiser Julius Nepos ab, der dann nach Dalmatien flüchtete, und setzte seinen eigenen Sohn Romulus ein, um in seinem Namen selbst zu herrschen. Und genau zu diesem Zeitpunkt hatte der Anführer der germanischen Truppen, die den neuen Kaiser schützen sollten, also Odoaker, von diesem Trauerspiel gerade genug und er beendete die Existenz des Weströmischen Reiches. Interessanteweise wurde nur Orestes getötet, Romulus wurde von Odokaer auf ein Gut nahe Neapel geschickt, wo er noch lange in Ruhe leben durfte – er lebte noch in den Jahren 507 – 510, da ihm der neue italienische Herrscher Theodorich nachweislich eine Rente zahlte.
Odoaker war in seiner Absicht, den Kaiser in Konstantinopel für sich zu gewinnen, nicht wirklich erfolgreich. Dieser unterstützte nämlich weiterhin den abgesetzten Julius Nepos. Dieser wurde zwar bereits im Jahr 480 ermordet, das hat aber auch nicht geholfen und für Odoaker sollte die ganze Situation fatale Folgen haben.
Warum passierte das alles, was mit dem Ende des tausendjährigen römischen Reiches einherging, in Ravenna und nicht in Rom? Weil bereits im Jahr 402 Kaiser Honorius die Hauptstadt des Reiches von Mailand nach Ravenna verlagerte – Rom wurde vom Kaiser bereits im Jahr 396 verlassen – zu großer Freude der damaligen römischen Bischöfe (späteren Päpste), die sich dadurch von der kaiserlichen Macht emanzipieren durften. Der einzige Grund der Verlegung der Hauptstadt war die Tatsache, dass Ravenna – in Gegenteil zu Rom oder Mailand – uneinnehmbar war. Gleich im Jahr 408 bissen sich an ihr Westgoten unter Alarich die Zähne aus, die sich dann zwei Jahre später ihre Frustration durch Plünderung von Rom heilen konnten.
Im Jahr 489 zogen gegen Odoaker Ostgoten ins Feld. Sie wurden vom Kaiser Zeno geschickt. Der Kaiser beauftragte den Häuptling der Ostgoten Theodorich, der als Geisel am oströmischen Hof aufwuchs, Odoaker zu stürzen und Italien direkt dem Kaiser zu unterstellen. Theodorich musste sich auch zuerst belehren lassen, dass Ravenna mit damaligen militärischen Mitteln uneinnehmbar war. Er ließ sich dadurch aber nicht abschrecken und begann die Stadt zu belagern. Nach drei Jahren Belagerung war es mit der Geduld an beiden Seiten zu Ende. Theodorich konnte nicht in die Stadt und Odoaker wieder nicht aus der Stadt und so beschlossen die zwei Herren ein Remis. In der Praxis sollte es bedeuten, dass sie über Italien gemeinsam herrschen würden. Ein Teil des Friedenvertrages war aber, dass Odoaker Theodorich und seine Soldaten in die Stadt einlassen musste, was der Häuptling der Ostgoten dazu genutzt hat, Odoaker gleich bei Versöhnungsgastmal eigenhändig zu töten. Für Ravenna begann die berühmteste Episode seiner Geschichte, was ein monumentales Grabmal des Königs Theodorich bezeugt, in dem dieser große Herrscher nach seinem Tod im Jahr 526 begraben wurde.
Die Streitereien über seine Nachfolge nutzte der oströmische Kaiser Justinian und als der ostgotische König Wittiges seine Gattin Amalaswinta, die Tochter Theodorichs, ermorden ließ, meinte der Kaiser, dass dadurch der König seine Berechtigung, die italienische Königskrone zu tragen verlor und schickte gegen ihn seinen besten Heerführer Belisarios los. Es folgten lange Jahre mehr oder weniger unentschiedener Kämpfe, bis der Kaiser nach Italien seinen Minister – einen Eunuch namens Narses – entsandte. Der bereitete den Ostgoten im Jahr 553 ihr endgültiges Ende. Die Byzantiner freuten sich aber nicht lange, bereits im Jahr 576 fielen Langobarden ins Italien ein und begannen eine Stadt nach der anderen einzunehmen. Ravenna konnten sie aber wieder einmal nicht erobern, es blieb byzantinisch bis zum Jahr 751, als es doch der König Aistulf einnehmen konnte, und ihr Ruf der Uneinnehmbarkeit war dahin. Ravenna war bis zu diesem Jahr die Hauptstadt des sogenannten Exarchates, das dem byzantinischen Kaiser unterstellt war und dieses Exarchat erstreckte sich nach Mittelitalien inklusiv Rom und Ravenna schmückte sich, wie es sich für eine Hauptstadt gehörte.
Ravenna war also berühmt und mächtig in der Zeit, als das Malen in den Verputz, also Fresko, noch unbekannt war. Die Wände der Paläste und Kirchen wurden mit Mosaiken geschmückt und deshalb ist das heutige Ravenna eine Stadt wunderschöner Mosaiken. Deshalb fahren Touristen hin und deshalb besuchten es auch wir. Abgesehen vom Besuch Krenkenschwester Jarka, die einmal mit mir auf der Dialyse im slowakischen Poprad gearbeitet hatte und später dann ihren neuen Arbeitsplatz in Ravenna fand.
An die byzantinische Vergangenheit der Stadt erinnert das Hotel Bizancio im Stadtzentrum. Dort wohnten wir. Im Jahr 1441 nahmen die Venezianer Ravenna ein und im Jahr 1509 wurde es zum Teil des Kirchenstaates, was es bis zum Jahr 1859 blieb. An die venezianische Herrschaft erinnert eine große Ruine der Festung „Rocca di Brancaleone“, wo sich heute eine große Parkanlage „Giardini publici“ befindet. Wir standen im strömenden Regen unter einem Torbogen der Festungsmauer ohne zu wissen, dass es nur zwanzig Meter weiter eine Cafeteria gab.
Auf einer lieben „Piazza del Popolo“ stehen zwei Säulen aus dem fünfzehnten Jahrhundert mit den Statuen der Heiligen und aus der gleichen Zeit stammt auch der „Palazzo Veneziano“ im Stil der Renaissance. Auf vier von acht Säulen der Kolonnade des Palastes gibt es ein Monogramm Theoderichs des Großen. Der „Palazzo communale“, also das Rathaus, ist um zweihundert Jahre jünger.
Das älteste Objekt, wo man Mosaiken bewundern kann, ist das legendäre Grabmal „Galla Placidia“. Diese Dame, Tochter des römischen Kaisers Theodosius I., Schwester des Kaisers Honorius und Mutter des Valentianus III, in dessen Namen sie das Gebiet des Weströmischen Reiches praktisch selbständig regierte, verdiente sich natürlich nach ihrem Tod ein wunderschönes Grabmal. Gerade sie und ihr Bruder Honorius bauten doch Ravenna zu einer echten Hauptstadt aus. Kleinkarierte Historiker sollen entdeckt haben, dass sie in Rom und nicht in ihrem monumentalen Mausoleum in Ravenna begraben wurde, WENN INTERESSIERT ES ABER SCHON?
Im Mausoleum gibt es drei Sarkophage. Kaisers Konstantinus III. des zweiten Gatten von Galla Placidia, und ihres Sohnes Valentinianus III. Der dritte Sarkophag ist natürlich für sie gebaut worden, ob sie dort schon lag oder nicht! Mosaiken, beleuchtet mit Licht, das durch Fenster aus Alabaster hereinströmt, stellen in der unteren Reihe Pflanzenmotive und Tiere dar, oben dann gibt es Symbole der Evangelisten, Apostel und Christus als „Guter Hirt“. Das Mausoleum ließ aus dem Schlamm, unter dem es begraben wurde, Kaiser Friedrich II. befreien, als er mit seinem Heer in Ravenna weilte und Angst hatte, dass eine Untätigkeit die Moral der Soldaten untergraben könnte. Weil er als Vater der Renaissance alles Antike bewunderte, ließ er dieses prächtige Grabmal freilegen, das man auch noch heute besuchen kann.
Mosaiken sind der größte Schatz von Ravenna. Was man in Istanbul, ehemaligem Konstantinopel, nur als Rudimente sehen kann, ist hier in der ganzen Pracht sichtbar. Natürlich sind die Mosaiken in der „Capella palatina“ in Palermo noch imposanter, die sind allerdings um sechshundert Jahre jünger. Also frühchristliche Mosaiken in ähnlicher Pracht wie in Ravenna kann man nirgends in der ganzen Welt sehen. Um etwas jünger als die Mosaiken im Mausoleum Galla Placidia sind Mosaiken in der Kirche „San Vitale“, die Kaiser Justinian bauen ließ. Deshalb erinnert das Gebäude ein bisschen an die „Hagia Sophia“ in Istanbul, die der gleiche Kaiser im gleichen Baustil bauen ließ.
Es steht gleich in der Nachbarschaft vom Mausoleum „Gaia Placidia“, im Kloster gleich nebenan gibt es ein Museum der antiken und mittelalterlichen Kunst. Mosaiken stellen Christus unter Erzengeln dar, Evangelisten, Heilige und über allem steht ein Lamm im Gewölbe der Kirche.
Der heilige Vitalis ist ein lokaler Heiliger und Märtyrer, der angeblich in der Zeit der Christenverfolgung während der Herrschaft Kaisers Nero, also um 60 n. Ch., lebend begraben wurde. Im Kloster „San Vitale“ wartete auf uns eine Überraschung in der Form eines Metalldetektors wie auf einem Flughafen oder in einem strengst geheimen Trakt eines Ministeriums. Menschen gingen durch ihn, der Detektor alarmierte ohne Ende, die Angestellten des Museums konnte es allerdings nicht aus der Ruhe bringen. Einen Touristen zur Seite zu nehmen und zu untersuchen, ob er bei sich eine Bombe, eine Pistole oder einen Messer hätte, fiel ihnen gar nicht ein. Warum hier also der Detektor installiert wurde, bleibt für mich also ein Rätsel.
Bei der Jagd nach Mosaiken von Ravenna muss man von der „Piazza del Popolo“ in Richtung „Duomo“ gehen. Nicht aber in den Dom hinein, es handelt sich um ein neues Gebäude aus dem achtzehnten Jahrhundert, wo von der ursprünglichen Bausubstanz nur der Turm und die Krypta geblieben sind. Ins Kolorit von Ravenna passt diese Kirche überhaupt nicht. Aber gleich nebenan gibt es das riesige „Battisterio Neoniano“, ein orthodoxes Baptisterium. Im Inneren gibt ein Taufbecken aus Marmor und das ganze Gebäude wird mit herrlichen Mosaiken geschmückt.
In der Kuppel gibt es das Motiv der Taufe Christi nach dem Text aus dem Evangelium nach Markus und Bilder der Apostel und Evangelisten. Es ist ein atemberaubender Platz, wo man von Bewunderung ausschnaufen und eine Weile stehen bleiben kann. Im „Museo Archivescoville“, also im erzbischöflichen Museum, gibt es ein Kunstwerk, das man sehen sollte, nämlich die „Cattedra die Massimiliano“. Es ist ein Bischofstuhl, geschnitzt im sechsten Jahrhundert aus Elfenbein, die Schnitzereien stellen nach der Tradition Szenen aus dem Neuen- und Alten Testament dar.
Ähnliche Motive wie im „Battisterio Neoniano“ findet man auch im etwas kleineren „Battisterio ariano“. Auch hier gibt es in der Kuppel das Motiv Taufe Christi. Gleich nebenan befindet sich die Kirche „Santo Spirito“. Es handelt sich um eine romanische Basilika mit einem großen Kirchhof und Säulengang vor dem Eingang. Im Inneren der Basilika sind ihre Mauern mit ganz normalem weißem Verputz bedeckt. Die Goten waren, wie alle anderen germanische Stämme (mit Ausnahme der Franken) Arianer, die die Lehre des Philosophen Arius aus Alexandria priesen und dadurch eine andere Wahrnehmung der Dreifaltigkeit Gottes hatten.
Die schönsten Mosaiken gibt es in der Kirche „San Apollinare Nuovo“. Es handelte sich um die Hofkapelle Königs Theodorich des Großen, nicht weit von hier, in der Straße „Via Allberoni“ findet man übrigens Reste seines Palastes. Die Kirche selbst wird durch Säulen, die aus Konstantinopel importiert wurden, in drei Schiffe geteilt. An den Wänden gibt es Mosaiken mit den Bildern der Heiligen, auf einer Seite Männer, auf der anderen Frauen, Männer in Togen, Frauen in Tuniken, alle mit Märtyrerkronen in den Händen. „San Apollinare“ ist das schönste Beispiel des byzantinischen romanischen Stils.
Sollten Sie aber den allerschönsten Bau in diesem Stils besuchen wollen, müssten Sie fünf Kilometer von Ravenna in Richtung Süden fahren. Dort gab es – heute bereits seit langer Zeit versandter – den Hafen von Ravenna und hier steht die Kirche und das Kloster „San Apollinare in Classe“. Lassen Sie sich nicht durch den runden Glockenturm tauschen, der ist um gut vierhundert Jahre jünger als die Kirche selbst. Es geht um eine klassische frühchristliche Basilika mit schmalen Säulen und engen Bögen, typisch für den byzantinischen architektonischen Stil und natürlich mit Mosaiken. Es gibt hier wieder einmal wunderschöne Mosaiken inklusiv des heiligen Apollinarius, ebenso eines Heiligen, dessen Tätigkeit mit Ravenna verbunden ist. Angeblich entsandte ihn der heilige Petrus höchstpersönlich hierher. Nachdem er auf wundersame Weise einige Kranke geheilt hatte, wurde er von einer aufgebrachten Menschenmenge in einer Straße von Ravenna gelyncht. Ursprünglich wurde er in der Kirche „San Apollinare in Classe“ begraben, als aber Sarazenen im Jahr 856 die Kirche geplündert hatten, wurden seine Gebeine nach „San Apollinare Nuovo“ übertragen. Die Kirche, die bis dahin wegen ihrer vergoldeten Decke „San Martino con cielo d´oro“ genannt wurde, änderte danach auch ihren Namen.
Womit sich Ravenna rühmen kann, ist der Grab des Vaters der italienischen Sprache Dante Allighieris. Dante starb in Ravenna nach neunzehnjährigem Exil. Seine Geburtsstadt Florenz verurteilte ihn zum Tode durch Verbrennung. Nachdem er seine Arbeit an seinem berühmtesten Werk „Die göttliche Komödie“ in Verona begonnen hatte, beendete er sie kurz vor seinem Tod im Jahr 1321 in Ravenna. Florenz versuchte jahrhundertelang vergeblich, den Leichnam ihres berühmtesten Landsmannes für das prächtige Grabmal, das es für ihn in der Kirche „Santa Maria Novella“ gebaut hat, zu überführen. Die Bürger von Ravenna zeigten sich unbeugsam und das Grab in Florenz blieb bis heute leer. Der große Dichter ruht in Ravenna und die Florentiner haben ein einziges Privileg, nämlich das Öl für die Lampe mit ewigem Licht, das von der Decke in seinem Grabmal hängt, zu spenden.
Gleich nebenan gibt es die Kirche des heiligen Franciscus. Eine gigantische romanische Basilika hat ein Problem, dass der Mosaikboden der Krypta unter Wasser steht. Ravenna sank nämlich seit den antiken Zeiten um ganze vier Meter.
Schmale romanische Säulen sind wieder mit engen Bögen verbunden, der Verputz zwischen ihnen ist aber einfach weiß wie in „San Spirito“. Ravenna schmückt sich nicht mit Fresken wie andere italienische Städte, es hat seine Mosaiken. Das hindert es aber nicht daran, an prächtige romanische Basiliken barocke oder sogar klassizistische Fassaden zu kleben wie zum Beispiel in der Kirche Santa Maria in Porto“ oder in „San Giovanni Evangelista“. Manchmal muss man Italienern ihre Kreativität einfach verzeihen.
Wenn man einmal in Ravenna ist, ist es undenkbar, das Wahrzeichen der Stadt nicht zu besuchen, also das Grabmal Königs Theodorich des Großen. Er ließ es noch während seines Lebens bauen, das Grab ist groß und nur die Kuppel aus einem Stück Kalkstein wiegt 300 Tonnen. Das Erdgeschoß hat die Form eines gleicharmigen Kreuzes. Der Bau besteht aus Kalkstein ohne Mörtel, er ist eher orientalisch als römisch, eigentlich eine merkwürdige Kombination des orientalischen und germanischen Stils.
Ob hier Theodorich überhaupt begraben wurde, darüber wird bis heute gestritten. Der Sarkophag aus Porphyr im Obergeschoß erinnert eher an eine Wanne und ist natürlich leer. Was aber den Atem raubt, ist das Grundstück, das zum Grabmal gehört. Ein riesiges Areal mit einer Wasserfläche in der Mitte ist etwas außerhalb des Stadtzentrums. Es ist zwar für die 3 Euro Eintritt nicht zu viel zu sehen, in jedem Fall ist es aber ein Pflichtprogramm und das Grabmal des Theodorichs ist vom Besuch Ravennas untrennbar.
Nach einem anstrengenden Tag in Ravenna wurden wir hungrig. Im ganzen historischen Zentrum konnten wir aber bei besten Willen kein Restaurant finden. Als unsere Verzweiflung bereits einen unerträglichen Level erreicht hatte, verließen wir das Stadtzentrum und gleich hinter der ersten Kreuzung fanden wir die Trattoria „Al Rustichello“. Es war sieben Uhr abends und wir erfuhren, dass die Trattoria um halb acht öffnen wird. Wir haben offensichtlich so verzweifelt und hungrig ausgesehen, dass es uns gelang, die Besitzerin des Lokals zu überreden, dass sie uns trotzdem eingelassen hat. Sie setzte uns an einen Tisch und wir durften zuschauen, wie im Durchgang zwischen Küche und Speisesaal der Koch seinen Abendessen genießt. Zum Glück brachte uns die liebe Frau zumindest Brot und „vino della casa“ und so litten wir nicht so sehr. Dann schlug die Uhr halb acht und sie kam mit einem Lächeln zu unserem Tisch.
Ich fragte nach einem Menü. Sie zuckte die Schulte und holte es. Als ich es geöffnet habe, erklärte sie uns – natürlich auf Italienisch. „ Wir haben das Menü, weil uns dazu eine amtliche Anordnung zwingt. Wir kochen aber nicht, was dort steht.“
Ich begann Probleme zu fürchten. „Was kochen Sie dann, bitte?“ fragte ich unsicher.
„Wir kochen, was wir heute auf dem Markt kaufen konnten“, antwortete sie.
Ich übersetzte ihre Antwort und mein Sohn überschlug sich von Begeisterung: „Das ist das richtige italienische Restaurant,“ rief er begeistert. „Alles wird frisch sein, hervorragend…“
Ich teilte seine Begeisterung nicht unbedingt. Ich hatte keine Ahnung, wie ich jetzt das Essen bei der Dame, die ausschließlich Italienisch sprach, bestellen sollte. Es war aber einfach. Wahrscheinlich deshalb, weil Italienisch zu sechzig Prozent mit Händen und Beinen gesprochen wird und nur der Rest für die Worte bleibt. Sie erklärte uns, dass es heute Kaninchen gibt und als sie das magische Wort „coniglio“ ausgesprochen hat, zeigte sie mit Fingern lange Ohren, damit jeder Zweifel zerstreut würde, um welches Tier es sich handelte. Das Essen war einfach genial. Das Restaurant erfreute sich offensichtlich eines guten Rufes. Alle Tische waren binnen einer Stunde besetzt und vor dem Restaurant stand eine lange Schlange. Wir konnten uns wirklich gratulieren, dass wir noch vor der Eröffnungsstunde gekommen waren.
Ravenna ist eine sehr gastfreundliche Stadt. Sogar so weit, dass es uns keinesfalls hinaus lassen wollte. Natürlich, ein moderner Mann hat ein GPS. Sollten Sie denken, dass Sie damit in Italien gewonnen haben, irren Sie gewaltig. In der Stadtmitte gab es nämlich eine Baustelle und meine Navigation führte mich natürlich verlässlich direkt zu der Straßensperre. Na gut, meinte ich, das kann passieren. Ich kehrte um und fuhr in die Gegenrichtung. Aber egal, welche Richtung ich gewählt habe, ich landete immer auf der gleichen Stelle, nämlich vor dieser Straßensperre. Mein GPS kannte einfach keine andere Ausfahrt aus der Stadt. Ich schaltete also das blöde unflexible Gerät aus und suchte eine Ausfahrt aus der Stadt auf eigene Faust?. Es war nicht einfach, in Ravenna werden nämlich die Straßen aus Prinzip nicht gekennzeichnet. Das hatte eine lange Irrfahrt durch das Stadtzentrum zu Folge und danach auch noch in der Peripherie der Stadt. Nur danach habe ich die erste Anzeigetafel gefunden, die Richtung Autobahn zeigte. Ich brach in diese Richtung auf. Viele weitere Kilometer gab es keine Tafel mehr, aber ich hielt hartnäckig die Richtung. Endlich kam ich zu einem Autobahnzubringer und dann sah ich den ersehnten Wegweiser in die Richtung Padova/Bologna. Ich zeigte meine Begeisterung, die aber mein Sohn sofort abkühlte.
„Ich weiß nicht, Papa, aber der Wegweiser wurde gerade von zwei Arbeitern abgedeckt. Glaubst du, er wäre noch gültig?“
War es nicht. Die Einfahrt auf die Autobahn wurde gerade gesperrt und der Wegweiser der Umleitung führte uns unbeirrt direkt zurück in die Stadt. Sie können einmal raten, wohin. Natürlich, direkt zu der uns bereits gut bekannten Straßensperre im Stadtzentrum.
Keine Angst. Nach einem mehr als halbstündigen Kampf haben wir Ravenna doch verlassen können, die Stadt wollte einfach nur, dass wir sie noch länger genießen konnten.
Danke! Wir kommen wieder.