Auf dem Weg von Wroclaw nach Süden fährt man über Pässe zwischen Wäldern und Hügeln entlang des Flusses Nysa Klodzka und plötzlich öffnet sich vor dem Reisenden ein schönes, breites grünes Tal, von allen Seiten umgeben von Bergen. Man ist in Glatz, in einem Land mit bewegter Geschichte, das zwischen Polen und Tschechien so lange den Besitzer wechselte, bis es von Preußen eingenommen wurde.
In Süden umarmen das Land das Adlergebirge (Orlické Hory ) und ein Massiv der Glatzer Schneekoppe (Kralický Sněžník – Masyw Snežnika), im Norden berühren sich beinahe das Eulengebirge (Sovi Hory – Góry Sowie) im Westen mit dem Reichensteinen Gebirge (Rychlebske Hory – Góry Zlote) im Osten. Es hat sich immer gerade angeboten, diese enge Lücke zwischen den Bergen durch eine Staatsgrenze zu verschließen. Einmal, es ist sehr lange her, war es auch so. Der erste dokumentierte Besitzer von „Castellum Glacium“ war der tschechische Fürst Slavnik. Nachdem der Stamm des Fürsten Slavnik von den Premysliden brutal blutig an einem einzigen Tag ausgerottet wurde, fiel Glatz an die Premysliden und damit an die Tschechische Krone. Premysl Otakar II. erteilte der Stadt Glatz ihr Wappen, einen silbernen zweischwänzigen Löwen im Sprung auf rotem Hintergrund, dieses Wappen besitzt die Stadt Klodzko (der derzeitige polnische Name von Glatz) bis heute.
Im Jahr 1297 wurde in Glatz Arnošt z Pardubic (Ernst von Pardubitz) geboren, sein Vater war hier als königlicher Burggraf tätig. In Glatz begann Ernst sein Studium bei dortigen Johannitern, die hier seit 1310 tätig waren, bis er zu weiterem Studium nach Italien ging (Bologna und Padova) um im Jahr 1344 zum ersten tschechischen Erzbischof zu werden, einem der besten, den Tschechien in seiner Geschichte hatte. Er war die rechte Hand Kaisers Karl IV. und half ihm beim Aufbau des neuen tschechischen Staates – „Die Länder der tschechischen Krone“. Nach seinem Tod im Jahr 1364 ließ er sich in Glatz in der Kirche Maria Himmelfahrt bestatten, die er als von ihm gegründeten Stiftung bauen ließ. Also sein Geburtsort wuchs ihm ans Herz.
In Jahr 1459 machte der tschechische König Georg von Podiebrad aus Glatz eine Grafschaft, die mit der tschechischen Krone lockerer verbunden war. Der König wollte auf diese Art seine Söhne versorgen. Weil ihm klar war, dass er allein gegen den ungarischen König Matthias Corvinus und Papst Pius II. nicht bestehen konnte, schloss er ein Bündnis mit Jagellonen, an die sollte dann als Gegenleistung für ihre Hilfe im Krieg der Königstitel nach seinem Tod übergehen. Das geschah dann im Jahr 1571 tatsächlich. Georg hatte aber eine Menge Söhne und er wollte sie absichern und ihnen eine privilegierte Stellung im Vergleich mit den übrigen tschechischen Baronen verleihen. Bis zu der Schlacht auf dem Weisen Berg galt zwischen den tschechischen Adeligen eine Vereinbarung, also ein „gentleman agreement“, dass keiner von ihnen nach einer höheren Stellung trachten würde. Alle blieben Freiherren, aus der internationalen Sicht also Barone, was die niedrigste Stufe des Hochadels ist. Für die königliche Söhne war es doch ein bisschen zu wenig. Durch die Ausgliederung der Grafschaft Glatz ermöglichte Georg seinen Söhnen sich Grafen zu titulieren, was in der adeligen Hierarchie doch eine Stufe höher war. Kladsko hörte auf, ein untrennbarer Teil des Tschechischen Königsreiches zu sein, es blieb ein tschechisches Lehen. Nichtsdestotrotz bestimmte das Privilegium aus dem Jahr 1472 (vom König Vladislav I. Jagiello unterschrieben und im Jahr 1578 von Kaiser Rudolf II. bestätigt), dass dieses Land niemals vom tschechischen Königreich getrennt werden darf. Glatz war also niemals ein Teil von Schlesien, obwohl die Söhne von Georg zu schlesischen Herzögen aufgestiegen sind und sich dort zu Hause zu sein fühlten.
Das Schicksal meinte es aber mit diesem Stück Land ein bisschen anders. Glatz fiel bei einer Verteilung der Erbschaft zwischen die zahlreichen Nachkommen des flinken hussitischen Königs Georg an Heinrich I. den Älteren, der zugleich auch Herzog von Minsterberg war. Dieses Herzogtum lag in Schlesien und so war Glatz das erste Mal zumindest durch die Person des Herrschers mit Schlesien verbunden. Im Jahr 1501 verkauften drei Söhne Heinrichs Albrecht, Karl und Georg zur Tilgung ihren Schulden die Grafschaft Glatz trotz Widerstandes der tschechischen Stände für 70 000 Gulden an den österreichischen Herrn Ulrich von Hardegg, der damit auch den Graftitel übernahm, der mit dem Besitz von Glatz verbunden war. Obwohl die Hardegger die Grafschaft bereits im Jahr 1534 an den König Ferdinand I. verkauft haben, benutzen sie den Titel der Grafen von Glatz bis heute. Deshalb wurde die Gattin von Fürst Karl Schwarzenberg, des Herren von Murau und tschechischen Außenministers und Präsidentenkandidaten Theresa als Gräfin von Hardegg, Glatz und Machland geboren. Weil Ulrich von Hardegg später die Tochter des Herzogs von Minsterberg, Albrecht, Sidonia heiratete, gab es also in den Adern der Frau Theresa ein paar Tropfen des Blutes des tschechischen Königs Georg.
In den Jahren 1620 – 1622 verteidigte die Festung von Glatz tapfer Franz Thurn, ein Sohn des Anführers des Aufstandes der tschechischen Stände gegen den Kaiser Ferdinand II., Matthias Thurn. Matthias Thurn führte die Rebellen bei dem weltberühmten Prager Fenstersturz im Jahr 1618. Dank des militärischen Genies von Franz Thurn (er war an diesem Gebiet unvergleichlich besser, als sein Vater, der auf den Schlachtfeldern des Dreißigjährigen Krieges eher eine tragische Figur machte) konnte sich die Festung noch zwei Jahre nach der Niederlage am Weißen Berg halten. Glatz war also die letzte Bastion der ständischen Opposition, die die Armee der Habsburger einzunehmen vermochte. Die Festung, sowie auch die Stadt, wurden bei den Kämpfen dem Boden gleich gemacht und danach neu aufgebaut. Die neue Festung sollte uneinnehmbar sein, sie war es aber nicht.
Im Jahr 1741 marschierte in Schlesien die preußische Armee Friedrichs II. ein und dieser Herrscher erkannte sofort die strategische Bedeutung der Stadt und der Festung an dem Fluss Nysa. Die Festung fiel nach dem Frieden von Wroclaw im Jahr 1742 in preußische Hände. Glatz wurde dabei definitiv von Böhmen getrennt und wurde als ein Land mit besonderem Status ein Teil des Preußischen Königtums. Im Jahr 1760 in Rahmen des Siebenjährigen Krieges ist es den Österreichern gelungen, die Festung zurückzuerobern, dann aber starb am 5.Januar 1762 die russische Zarin Elisabeth, eine treue Verbündete von Maria Theresias (Der Krieg wurde auch Krieg der drei Röcke genannt – die dritte in Bande war Madame Pompadour, die wichtige Entscheidungen anstatt ihres Liebhabers Ludwig XV. traf). Der Neffe Elisabeths Peter III., ein leidenschaftlicher Bewunderer alles was von Preußen kam, schloss gleich im März mit Friedrich, der inzwischen sogar Berlin räumen und an die Russen abgeben musste, einen Waffenstillstand. Damit war der Ausgang des Krieges sowie auch das Schicksal von Glatz besiegelt. Glatz blieb ein Teil von Preußen und nach dem zweiten Weltkrieg ging es in die polnische Oberherrschaft. Im Jahr 1946 wurden aus dem Gebiet der (in dieser Zeit bereits vollständig germanisierter) Grafschaft Glatz 97 000 deutsche Einwohner vertrieben. Heute hat der Verwaltungsbezirk Glatz etwas über 123 000 Einwohner, davon leben ungefähr 28 000 in der Bezirkshauptstadt.
Glatz ist ein schönes kleines Städtchen mit einem riesigen Rathaus mitten am Hauptplatz und mit einer mächtigen Festung, die über die Stadt emporragt. Die Festung mit ihrem Labyrinth ist die Hauptattraktion der Stadt und ist sicher besuchswert. Der Besuch ist nur mit einer Führung möglich, der Eintritt kostete (vor 5 Jahren) 12 Zloty, also ca. 3 Euro, was man sicher überleben konnte. Es zahlt sich aus. Der Komplex der Festung, den Friedrich II. aufbauen ließ, hat 900 Meter Länge und 500 Meter Breite. Außerdem ließ Friedrich II. auf dem gegenüberliegenden Ufer des Flusses Nysa auf dem Schafberg eine weitere Festung bauen, die allerdings heutzutage nur eine Ruine ist, weil sie im Gegensatz zur Festung von Glatz nicht restauriert wurde. (Nach den Worten unseres „Prziewodniks“ also Führers, wartet sie auf bessere Zeiten, die nicht kommen wollen). In der Festung erfährt man viel über die damalige Kriegsführung, über die Artillerie, das Zielen der Kanone, über die Versorgung der Armee sowie auch über das Leben der Soldaten. Die Garnison hatte unter normalen Umständen 1300 Personen. Auf die Hygiene wurde geachtet, ein Soldat konnte sogar mit Gewalt zwei Mal im Jahr !!!! gezwungen werden, sich selbst und seine Kleider zu waschen. Wenn in einem Raum im Festungsteil, genannt „Große Zange“ bis zu 20 Männer schliefen, wäre nur ein Hygieneverweigerer genug, um den Rest der Mannschaft im Schlaf in die Narkose zu versetzen. Die Festung hatte eine eigene Bäckerei und im so genannten Donjon, also in dem zentralen und sichersten (weil am höchsten) Teil der Festung, gab es auch Wohnungen für Prominente, die in der Zeit der Belagerung die Zuflucht in der Festung suchen durften. Die gemeine Bevölkerung von Glatz hatte so ein Privileg nicht. Sie musste in den Kriegszeiten in der Stadt ausharren und die Kanonade von beiden Seiten aushalten – zum Schutz gegen die Kanonenkugel und durch sie verursachte Feuer legte man auf die Hausdächer in den Kriegszeiten den Stallmist. Die Idee war grundsätzlich gut, die Einschläge der Kugel wurden dadurch gemildert und Feuer kann im feuchten Mist nicht entstehen, die Dächer waren aber leider nicht wirklich dicht und wenn die Belagerung länger dauerte – und das tat sie leider oft – war das Wohnen in so einem Haus nicht gerade angenehm. Die Prominenz im Donjon der Festung hatte es doch etwas besser.
Die Kathedrale „Maria Himmelfahrt“, die in seinem Testament Arnošt von Pardubice bauen ließ und wo er auch seine letzte Ruhe fand, ist von außen ein Bau im Stil der Frühgotik, ein Werk der Werkstatt von Peter Parler, der auch die St Veith Kathedrale in Prag oder die Mathiaskirche in Budapest baute, innen ist die Kirche aber vollständig barockisiert. Auch die Zufahrt in die Stadt, die St. Johanns Brücke erinnert ein bisschen an Prag, da nach dem Muster der Karlsbrücke in Prag gebaut wurde – hier waren nämlich die gleichen Architekten wie bei der Kirche am Werk – also die Schüler Peter Parlers. Es ist nur ein weiteres Denkmal der ehemaligen fester Bindung von Glatz an Böhmen.
Ein Besuch von Glatz zahlt sich also aus. Aber auch die Umgebung der Stadt ist schön. In der Region Glatz ist eine ganze Reihe von Thermen, da hier an vielen Orten thermales Wasser an die Erdoberfläche sprudelt. Also ist es möglich, die Plätze wie Ladek Zdrój (Zdrój bedeutet auf Polnisch Bad), Kudowa Zdrój, Duszniki Zdrój, die schönste Therme in der Region ist angeblich Polanica Zdrój zu besuchen. Ladek Zdrój hat eine berühmte Vergangenheit. Es wurde natürlich auch von Johann Wolfgang Goethe besucht, der hier seinen 41. Geburtstag feierte und Ausgaben für die Feier in der Höhe von 2 Tollar und 4 Groschen verzeichnete. Wie groß die Geburtstagsparty war, kann ich leider aus der angegebenen Summe nicht abschätzen. Goethe besuchte alle thermalen Bäder in Mitteleuropa, bis er letztendlich seinen Wohnsitz mehr oder weniger in Karlsbad fand. Aber in Ladek Zdrój, das allerdings zu damaliger Zeit Bad Landeck hieß, verbrachte den Sommer des Jahres 1813 der preußische König Friedrich Wilhelm IV. und er traf hier den russischen Zaren Alexander I., der hier mit seinem ganzen Hof am 2.- 18 August 1813 wohnte. Die zwei Herrscher hatten damals mehr als genug Sorgen. Die Russisch-preußische Koalition erlitt in Frühjahr 1813 einige katastrophale Niederlagen im Krieg gegen Napoleon und nach der Schlacht bei Bautzen 21.Mai 1813 wurde ein Waffenstillstand vereinbart. Fürst Metternich täuschte vor, eine Friedenkonferenz in Prag organisieren zu wollen. Letztendlich war sein Herr, Kaiser Franz I., der Schwiegervater und ein Verbündeter des französischen Kaisers. Nach dem Besuch bei Napoleon in Dresden entschied sich aber Metternich anders. Am 12.August 1813, also in der Zeit, als sich der preußische und der russische Herrscher ihre Kriegswunden in Ladek Zdrój leckten und auf neue Verbündete hofften, hat Österreich Napoleon Krieg erklärt. Wahrscheinlich gerade hier, in Ladek Zdrój, vereinbarten der König mit dem Zaren eine neue Strategie, die dann bei Leipzig im Oktober 1813 zu einer entscheidenden Niederlage Napoleons führte.
Auch denen, die Bergwanderungen lieben, hat Glatz mit seinem Glatzer Bergland etwas anzubieten. Wir wählten den Glatzer Schneeberg (Kralický Sněžník). Diesen Berg bestieg Kaiser Josef II. sowie auch die Prinzessin Marianne von Oranjen-Nassau, die in Glatz im neunzehnten Jahrhundert zahlreiche Besitzungen hatte. Sie kümmerte sich vorbildlich um ihre Untertanen und um die wirtschaftliche Entwicklung in der Region, bis heute wird sie „die gute Prinzessin“ genannt – sie war die Gattin des Prinzen Albrechts von Preußen. Letztendlich kletterte auf die Glatzer Schneekoppe im Jahr 1886 auch der tschechische Schriftsteller Alois Jirásek, der bekannteste Autor historischer Romane in der tschechischen Literatur, also ein Kollege von mir (halt ein bisschen berühmter). Hundert und dreißig Jahre nach ihm gingen auch wir (also ich mit meiner Frau) zum Gipfel dieses Berges.
Das Internet jagte mir ein bisschen Angst ein. Es beschrieb, dass es sich um einen vierstundenlangen Aufstieg handeln sollte. Als ich meinen Freund Vladimir fragte, der dank seiner polnischen Freundin gute Kontakte nach Polen hatte und der in den Bergen nicht wandert, sondern läuft, bestätigte er meine Befürchtungen mit dem Nachsatz, dass es sich sogar um fünf Stunden handeln könnte. Aus diesem Grund ließen wird unser Frühstück in Hotel Kalina in Ladek Zdrój von acht Uhr auf halb sieben verlegen – das unglaublich zuvorkommende Personal war wirklich bereit, die Köchin um sechs in der Früh zu holen und die Nacht im Hotel inklusiv dieses Frühstück kostete 20 Euro pro Nacht!
Allerdings nichts wird so heiß gegessen wie gekocht wurde. Aus dem Zentrum eines bezaubernden Dorfes Medzygorce gibt es wirklich einen vierstundenlangen Weg zum Gipfel. Er führt an einem schönen Wasserfall „Wodospad Wilczki“ vorbei, wo einige Aussichtsterrassen die legendäre gute Prinzessin Marianne bauen ließ. Wenn man aber mit dem Auto weiter der roten Markierung folgt, kommt man in den Dorfteil Jaworica, wo es den letzten Parkplatz gibt und von dort dauert der Aufstieg zur Berghütte „Schronisko po Sneznikom“ eineinhalb Stunde (nur zwei kurze Abschnitte sind wirklich steil) und dann eine weitere halbe Stunde bis zum Gipfel. Also in zwei Stunden ist der Aufstieg leicht zu bewältigen und dann kann man in „Schronisko“ eine der fünf hier angebotenen Suppen und Bier genießen.
Wem das zu wenig wäre, kann noch einen weiteren halben Kilometer vom Gipfel auf die tschechische Seite zum Ursprung des Flusses March laufen – der Höheunterschied ergibt nur vierzig Meter, die man natürlich dann wieder bei der Rückkehr aufsteigen muss. Diese Tatsache konnte meine Neugier nicht mildern. Ich konnte nicht widerstehen und besuchte den Ursprung des längsten mährischen Flusses, der die Grenze zwischen Österreich und der Slowakei bildet und an dessen Ufern schicksalhafte Schlachten ausgetragen wurden (in den Jahren 1260 und 1278) sowie auch der berühmte österreichische Spargel angebaut wird – ich konnte mir nicht vorstellen, bis Ende meiner Tage mit so einem Defizit leben zu müssen, sollte ich es nicht tun. Meine Frau hat dieser Verführung widerstanden, sie hat nämlich einen unglaublich starken Willen. Sie wartete auf mich auf dem Gipfel.
Also was wäre mit einem Ausflug nach Glatz? Das Land ist schön, die Preise niedrig – zum Beispiel in einer Familienpension Cecylia in Ladek Zdrój aßen wir beide mit meiner Frau inklusiv Wein für 15 Euro – die Menschen sind lieb und zuvorkommend und es ist einiges zu sehen. Für einen Historiker ebenso wie für einen Naturliebhaber. Ich genoss beides.