AGAMEMNON I

               Soldaten marschierten durch ein langes Tal, das Mykene vom Meer trennte und sangen. Ihre Stimmung war gut, wie es schon so bei einem Heer, das vom siegreichen Krieg nach Hause zurück kehrt, üblicherweise ist. Besonders, wenn ein solcher Krieg ganze zehn Jahre gedauert hatte. Er beobachtete sie mit Stolz. Er führte sie zum Sieg, es ist sein Verdienst, dass die mitgeführten Wagen voll mit Beute waren. Ein beträchtlicher Teil der Beute ist übrigens noch auf den Schiffen geblieben, auf denen sie gestern zur Küste kamen. Die Soldaten verfielen in einen sonderbaren Rausch, der sie in der Nähe der Heimat, die sie zehn Jahre nicht gesehen haben, beherrschte. Sie konnten den Marschschritt nicht mehr halten, um so lauter jubelten sie ihrem großen König Agamemnon zu.

               Ihre Bewunderung umspülte ihn wie ein warmes Bad, sie floss über seinen Körper, über seine Arme, die er zu seiner Stadt, zu Mykene, deren mächtige Stadtmauern auf dem Horizont auftauchten, ausgestreckt hatte. Er liebte es immer, geliebt und geachtet zu werden. Deshalb zögerte er keinen Augenblick, als ihm griechische Könige die Führung des Straffeldzuges gegen das weitentfernte Troja angeboten hatten. Übrigens war Menelaos, der unglückselige und geschmähte König von Sparta, dessen Frau der wüste Prinz von Troja, Paris, entführt hat, sein Bruder. Damals ahnte er natürlich nicht, wieviel Leid dieser Krieg den Griechen und ihm persönlich bringen würde. Er verlangte nur nach Sieg, Beute und Ruhm, nach Brechen der Hindernisse. In jedem Mann ist ein Raubtier versteckt und dieses erwachte damals in ihm. Jetzt war die Geschichte endlich hinter ihnen. Troja wurde niederbegrannt, seine Bewohner getötet oder vertrieben. Die legendären Schätze des Königs Priamos wechselten in die griechischen Schiffe und er brachte jetzt einen beträchtlichen Teil dieses Schatzes als Geschenk seiner Frau und seinem Volk. Er hatte also einen guten Grund stolz zu sein.

               Trotzdem spürte er ein Gefühl der Enge in seiner Brust. Er versuchte es zu vertreiben, zu unterdrücken, es kehrte aber immer wieder zurück, besonders die letzten Tage war es sehr lästig gwesen. In der Schlacht vergisst man manche Dinge, aber sobald die Schlacht zu Ende ist und der Rausch des Sieges verblasst, beginnen einen lästige Gedanken zu plagen und es ist schwer, sie zu verdrängen.

               Seine Frau Klytamnestra hatte er seit zehn Jahren nicht mehr gesehen. Das ist eine viel zu lange Zeit, um nicht mit Sorge der bevorstehenden Begegnung entgegen zu blicken. Als er sie damals verließ, war sie nicht mehr jung, sie hat bereits den Dreißiger überschritten. Wer wird ihm jetzt begegnen, wer wird ihn begrüßen? Wird es möglicherweise eine alte graue Frau mit einigen letzten Zähnen sein, von der er sich mit Ekel abwenden würde? Und die Kinder! Wie schauen seine Kinder aus? Orestes watschelte noch, als er ihn das letzte Mal sah. Er ist jetzt zwölf. Und seine älteren Schwestern, Elektra und Chrysostomis? Iphigenia wäre vierundzwanzig. Wäre… Vielleicht hätte sie ihn bereits mit Enkelkindern erwartet, nicht alle griechischen Jungen suchten den Tod in dem verrückten Krieg unter den Mauern von Troja. Iphigenia… Lieber nicht nachdenken, so eine Erinnerung tut auch noch nach zehn Jahren weh.

               Er ging mit seiner Gattin nicht in Gutem auseinander. Er wusste, dass er sie verletzt hatte, furchtbar verletzt, er hoffte aber, dass sie es verstand, dass er nicht anders handeln konnte. Dass er keine Wahl hatte. Als sie sich verabschiedete, verfluchte sie ihn. Weibliche Tücken haben aber keine lange Dauer und zehn Jahre ist eine verdammt lange Zeit. Die Zeit beruhigt die Gemüter, die Zeit heilt die Wunden und stillt die Schmerzen. Er kommt jetzt wie ein großer Sieger. Solche werden von den Frauen verehrt, solchen stürzen sich die Frauen zu Füßen. Er wird den Palast in der goldenen Rüstung des Königs Priamos betreten, umbeben von seinen Soldaten und wehenden Fahnen. Das Volk wird jubeln und Siegeschoräle singen. So bricht man den weiblichen Hass und verändert ihn zur Bewunderung. Klytamnestra wird keine Alternative haben als sich zu seinen Füßen zu stürzen, damit er sie erheben und an seine Brust schmiegen kann. Sie haben doch drei gemeinsame Kinder! Zur Sicherheit ließ er aber einen Teil der Beute in den Schiffen zurück. Besonders Kassandra. Sie ist so angenehm im Bett! Klytamnestra muss nicht unbedingt von ihr erfahren. Zumindest am Anfang nicht.

               „Alles wird gut sein“, versicherte sich der zurückkehrende König. „Alle wird wieder gut sein.“

                KLYTAMNESTRA I.

               Sie beobachtete die lange Schlange der Soldaten, die sich durch das Land schlängelte, durch die fruchtbare Ebene von Argolis und sich der Burg näherte. Sie beobachtete sie schon lange ohne Bewegung, der Wind zerzauste ihre Haare. Es war angenehm und vielleicht deshalb erschien in ihrem Gesicht ein zufriedenes Lächeln.

               „Er kommt zurück“, sagte Klytamnestra und in dem Satz war alles. Die Angst, der Hass und das eiskalte Verlangen nach Rache. Nein, so war es nicht. Die Angst fehlte. Sie fühlte sie nicht.

               „Vielleicht kommen sie ohne ihn“, sagte Aigisthos, der neben ihr stand. Er wollte sie um ihre Schulter umarmen, wie es seine Gewohnheit in der letzten Zeit war, er brachte aber den Mut dazu nicht auf. Der Gatte seiner Geliebten kehrte zurück. Der große König Agamemnon!

               „Wäre er nicht dabei, würden die Soldaten keine erbeuteten Fahnen tragen. Das hier ist ein triumphierendes Heer, mein Lieber. Mit einem triumphierenden Anführer an seiner Spitze. Die Götter sind gerecht. Sie brachten ihn nicht vor Troja um, sie liefern ihn meinen Händen aus. Hast du vielleicht geglaubt, dass die Götter unsere Rache an sich nehmen würden?“

               Ja, er dachte es. Er hoffte es, erkannte die Königin und fühlte Verachtung. Er ist ein Feigling. Allerdings darf er feige sein, er hat keinen Grund, meinen Mann zu töten. Sein Herz ist nicht durch Hass so durchtränkt wie das meine, nur durch Angst. Er fühlt sich als erwischter Ehebrecher und deshalb verliert er seinen Mut. Ich brauche aber seinen Mut nicht, ich habe selbst genug davon. Ich brauche nur seine Muskeln. So wie ich die ganzen Jahre seine Umarmung brauchte. Nur die Umarmung, nicht die Liebe! Ich pfeife auf die Liebe, nur das Verlangen musste gestillt werden, damit ich in meinem Herzen meinen Hass kalt und scharf bewahren konnte. Dafür habe ich dich gebraucht, Aigisthos, du warst ein gutes Werkzeug, ein konservierendes Werkzeug für meinen Hass. Jetzt wirst du zu einem vollstreckenden Werkzeug. Ich brauche keine Liebe, ich erlebte sie einmal und es war mehr als genug.

               Ich heiratete König Agamemnon nicht aus Liebe. Meine Eltern zwangen mich den größten aller hellenischen Könige zu heiraten. „Die Weise zu einem Weisen, die Schöne zu einem Schönen“, sagte damals mein Vater, als er mich mit Agamemnon und Helena, meine Schwester, mit seinem Bruder Menelaos verlobte. Helena, die Hure! Wegen ihrer Hurerei verlor ich meine Tochter und demnächst verliere ich auch meinen Mann. Nur weil sie ihre Oberschenkel nicht zusammendrücken vermochte, als sie der verdammte Looser Paris auf den Rücken legte. Meine Schwester! So ein Ekel!

Ich war Agamemnon eine gute Gattin, viel besser als Helena für Menelaos. Aber sie war schön und solchen Schönheiten wird alles verziehen. Uns, Weisen, wird nicht verziehen! Nicht einmal die Verbrechen der anderen!

Warum musste gerade ich leiden für ihre Hurerei? Warum? Warum sind Götter so ungerecht?  Sie nahmen mir meinen Mann, zehn Jahre verbrachte er in einem Krieg. Schon das allein ist grausam. Aber als er in den Krieg zog, wurde er nur mehr von meinem Hass verfolgt.

Der Priester Kauleas verlangte Opfer für einen erfolgreichen Ausgang des Krieges und das Opfer sollte unserer Tochter Iphigenia sein. Agamemnon lieferte ihm unser Kind aus. Die Priester schnitten ihr den Hals durch wie einem Vieh, wie einem Kalb mit warmen braunen Augen. Meine Älteste, mein Liebling, die ich mit meinen eigenen Brüsten stillte, obwohl das als unanständig galt. An ihrem Bett habe ich nächtelang gewacht, wenn sie krank war oder schlechte Träume hatte. Sie wurde gerade zur Frau, sie war verwirrt durch diese Verwandlung und suchte Sicherheit in meiner Umarmung. Sie wurde mir brutal entrissen und die Priester schnitten ihren langen schlanken Hals durch. Wie einem Vieh! Und er, ihr Vater ließ es zu! Das kann man nicht vergessen und das kann man nicht verzeihen, auch wenn er heute den Palast in der goldenen Rüstung des Königs Priamos unter lautenden Fanfaren betreten würde. Es interessiert mich nicht, dass er damals von seinen Soldaten zu seiner Tat gezwungen wurde, ich will mich nicht an seine Tränen erinnern, die ihm über das Gesicht flossen, als Iphigenia zum Altar geführt worden ist. Er opferte sie seinem Ruhm. Jetzt hat er ihn. Gerade deshalb darf er keinen Augenblick länger leben. Zumindest nicht so lange, um entdecken zu können, dass ich ganze zehn Jahre den armen Teufel Aigisthos in mein Bett gelassen habe. Ich habe meinem Mann die Hörner in aller Öffentlichkeit aufgesetzt und absichtlich ich habe den unbedeutesten von allen Kandidaten gewählt, damit meine Lust aus der Rache noch größer würde. Ja, richtig, die Lust aus Rache war größer als die Lust aus seiner Liebkosung, sie brachte mich immer regelmäßig und verlässlich zum Höhepunkt. Bin ich pervers? Vielleicht! Jetzt aber kommt der Moment der Entscheidung. Wer als der erste zuschlägt, wird siegen. Ich würde wetten, dass es in der ankommenden Armee Soldaten gibt, die über mein Verhältnis mit Aigisthos Bescheid wissen. Wir schickten doch nach Troja Soldaten und Lebensmittel, also Nachschub und Versorgung. Möglicherweise wissen es alle. Aber genauso würde ich wetten, dass es ihm niemand sagte. Alle wären halb tot vor Angst bei der Vorstellung, wie er reagieren würde. Alle haben Angst vor ihm. Immer hatten alle Angst vor ihm. Es gab Zeiten, als ich ihn auch fürchtete. Die sind vorbei. Es ist schon so lange her, so furchtbar lange her!

AGAMEMNON II

               Er betrat den Palast. Er trug die Rüstung des Priamos, die die Strahlen der abendlichen Sonne spiegelte. Das Volk vor dem Palast jubelte, der ganze Weg vom Löwentor bis zum Palast war voll mit jubelnder Menschenmenge, die Soldaten bliesen in ihre Hörner. Auf die Köpfe der königlichen Begleitung regnete es Blumen. Könnte sich ein Herrscher einen schöneren Empfang wünschen?

               Klytamnestra stand in der Mitte des Hofes. Sie kniete vor ihrem Mann nieder, damit er sie erheben und an seine Brust drücken konnte. Die Höflinge jubelten. Alles lief also genau so, wie er sich es vorgestellt hatte. Die innere Anspannung ließ langsam nach.

               Seine Gattin erkannte er sofort als er das Tor passierte. Sie wurde nicht alt, nicht soviel, wie er fürchtete. In den Haaren hatte sie zwar bereits einige graue Streifen, aber ihre Wangen blieben noch voll und ihre Zähne strahlten in einem schönen Lächeln. Ihre Arme waren noch immer fest, die Haut hing an ihnen noch nicht, sie umspannte ihre Muskeln. Die Königsgattin war noch würdig seiner Liebe und diese Tatsache erfreute ihn. Er musste doch seine zehnjährige Abwesenheit wieder gutmachen und er freute sich darauf. Kassandra wird lange Zeit verborgen bleiben, möglicherweise sogar für immer. Er wird seiner Frau zeigen, dass er nicht nur ein Mann auf dem Schlachtfeld, sondern auch im Bett ist. Im Bett werden alle Streitereien beglichen, dort verschwinden auch die letzten Kränkungen.

               „Alles wird gut sein“, sagte der König zu sich.

               Die Königin empfing ihn mit ausgewählten Worten und führte ihn einige Schritte zur Seite, wo die Kinder warteten. Das älteste Mädchen war schon beinahe eine Frau. Schön, ein bisschen ähnlich ihrer Tante Helena, dachte er. Das ist also Elektra. Er mochte sie, nicht aber so sehr wie Iphigenia. Sie war damals noch ein Kind und Iphigenia schon ein Mädchen, die zu ihrem Vater wie zu einem Mann und Beschützer aufschaute. Er liebte sie. Wird ihm sein Gewissen einmal verzeihen, dass er sie dem Tod ausgeliefert hat? Er konnte aber doch nicht anders!

               Er umarmte Elektra und sie sagte: „Papa, ich möchte…“ Sie konnte ihren Satz nicht vollenden. Klytamnestra führte ihn schon weiter. Er spürte den Unwillen, mit dem das Mädchen seine Hände losließ. Was wollte es ihm sagen? Sicherlich etwas Wichtiges. Das kann aber warten. Wir werden ab jetzt Unmengen an Zeit füreinander haben.

               Das zweite Mädchen war also Chrysostomis. Sie schaute auf den Boden, sie war ihrer Mutter ähnlich, im Gegensatz zu ihr schien sie aber schüchtern zu sein. Sie konnte sich eigentlich auf ihn nicht erinnern. Dafür war sie vor zehn Jahren noch zu klein. Er ist ein fremder Mann für sie. Das wird sich ändern, meine Töchterlein! Ich mache alles wieder gut, es gibt so viel, was ich wieder gut machen muss!

               Auch für Orestes muss ich zum Vater und Erzieher werden. Agamemnon stand vor einem zwölfjährigen Burschen. Gut gewachsen, mit einem düsteren aber direkten Blick. Ich werde dich unterrichten, mein Sohn. Unterrichten, wie man Kriege führt und wie man Frauen ins Gras und ins Bett legt. Nach ihrer Herkunft, weiß du, Junge? Es wird ein König aus dir werden. So einer, den Mykene noch nie hatte.

               „Ich habe für dich ein Bad vorbereitet, mein Herr “, sagte Klytamnestra. „Es bekommt dir nach der Reise sicherlich wohl.“

               „Sicher“, antwortete er zerstreut. Eigentlich wollte er nicht in das Bad, er wusste aber nicht, wie und warum er es ablehnen sollte. Er merkte, dass Elektra zusammenzuckte und ein Mann, der hinter den Kindern stand, blass wurde. Er hatte schon irgendwo diesen Kerl gesehen. Sicherlich war das jemand aus der Verwandtschaft, der nicht in Troja war.  Wer soll sich schon aber alle Gesichter merken? Es sind zehn Jahre vergangen, als er sie das letztemal sah. Er wird sie noch kennenlernen. Sie werden die Rechnungen von ihrem Wirtschaften ablegen. Agamemnon war ein strenger König. Er wird es wieder sein. Gleich, wenn die erste Begeisterung verblasst ist.

               Er ließ sich von seiner Gattin in den hinteren Trakt des Palastes führen, er gab einem Diener seine Kleidung und sein Schwert und trat in das Bad.

               KLYTAMNESTRA II

               Er betrat den Palast. Wie ich es erwartete. In der Rüstung unter Jubel und Gesang. Hielt er mich wirklich für so eine Dumme und Oberflächliche und hoffte, dass er mich dadurch beeindrucken konnte? Nehmt einem Mann die weibliche Gesellschaft weg und er vertrottelt. Obwohl, er war nie ganz ohne weibliche Gesellschaft. Zuerst Chryseovna, dann Briseovna und jetzt hat er auf einem seiner Schiffe die Dirne aus Troja namens Kassandra. Ich weiß alles, meine Leute sind verlässlich. Sie fürchten nicht, mir auch die bösen Nachrichten zu übermitteln. Er ahnt aber nicht, dass ich es weiß. Es ist gut so, so wird es alles einfacher sein.

Ich kniete in der Mitte des Hofes nieder und ließ mich von ihm erheben. Ich merkte eine freudige Überraschung in seinem Blick. Er erwartete ein altes Weib und fand eine Frau in der Blüte. Wenn du wüstest, mein geliebter verhasster Ehemann, wie viel Mühe es gekostet hat, um so auszusehen, wie es ist! Nicht nur meiner Mühe, nicht weniger musste sich dein Verwandter Aigisthos anstrengen, wenn er sich deine königliche Krone in meinem Bett verdienen wollte.  Es kostete ihn tatsächlich viel Schweiß. Das erfährst du aber nie.

Ich führte ihn zu den Kindern. Elektra hätte fast alles zunichte gemacht. Zum Glück ahnte ich das und führte ihn weg, noch bevor sie etwas Schreckliches und Schicksalhaftes sagen konnte. Sicher, Elektra verwandelt sich gerade in eine junge Frau. Deshalb erwartete sie die Rückkehr ihres Vaters als ob ihr Geliebter kommen sollte. Sie sehnt sich nach einem Mann und er ist einer. Deshalb hasst sie mich, weil ich auf ihn ein gesetzliches Vorrecht habe. Auf seine Liebe. Aber auch auf seinen Tod! Sie schaffte es ihn gerade nur ansprechen und ich zog ihn schon zu Chrysostomis. Wie furchtbar langsam lockerte sich die Umarmung des Vaters mit der ältesten Tochter! Mit der ältesten lebenden Tochter, musste ich mich erinnern. Die tatsächlich älteste lebt seit zehn Jahren nicht mehr! Aus diesem Grund wird er auch nicht mehr leben! Er verdient sich kein weiteres Leben!

Er stand vor Orestes. Die Götter wissen, woran er dachte. Es wirbelten sicherlich Pläne durch seinen Kopf, er hatte dort immer nur Pläne und nie Gefühle. In seinen Gedanken machte er sicherlich einen Kämpfer, König und Liebhaber aus ihm. Diesen Jungen wird er aber nicht erziehen! Nur ich! Er wird nicht einfach sein Orestes zu erklären, warum sein Vater sterben musste. Er erinnert sich nicht an die schrecklichen Umstände des Todes seiner Schwester. Er war damals nur ein Wickelkind, er verstand die verzweifelte Umarmung Iphigenias nicht. Jetzt bewundert er den Vater wie auch das ganze Volk. Zusätzlich hasst er Aigisthos und Aigisthos wieder ihn. Es wird anstrengend sein, diese zwei zu versöhnen. Ich muss meinem Sohn erklären, dass Aigisthos nur ein Werkzeug ist. Er muss mich verstehen, er ist doch mein Sohn!

„Ich habe ein Bad für dich vorbereitet, mein Herr“, sagte ich mit der ruhigsten und mit Liebe gefüllten Stimme, deren ich fähig war. „Es gereicht dir nach der Reise sicherlich zum Wohl.“

Er glaubte es. Der Ruhm blendete seine Augen so sehr, dass er glaubte, ich liebe ihn und sorge für sein Wohl. Vor einem Gastmahl gehört sich doch ein Bad zu nehmen! Und vor einer Liebesnacht sowieso! Die Götter sind doch gerecht. Sie machten ihn blind, als ich das am meistens brauchte.

Elektra zuckte zusammen, Aigisthos wurde blass. Nur jetzt verstanden alle, dass wir einen Weg ohne Rückkehr betreten haben. Aber niemand stürzte sich dem König zu Füßen, um ihn aufzuhalten und zu warnen. Er war zehn Jahre abwesend und zehn Jahre sind eine sehr lange Zeit. In dieser Zeit haben alle gelernt, mich zu fürchten. Ich zeigte Aigisthos, dass er mir folgen sollte.

Alle anderen schauten nur machtlos zu, wie ihr König und Held von mir in den hinteren Trakt des Palastes geführt wurde um seine Rüstung und sein Schwert abzulegen und das Bad zu betreten.

               AGAMEMNON III

               Plötzlich hat er alles verstanden. Vielleicht war es die Wirkung von Dampf, der aus dem Bad aufstieg, durch den man schwächer wird und die Instinkte die einschlafende Vernunft überwinden. Das Düstere in einem Menschen, das viel weiser und weitsichtiger als er selbst und sein Verstand ist, weil er das von Göttern bei seiner Geburt geschenkt bekommen hatte. Nach einem Moment, als sein Verstand, betäubt durch Ruhm und Beifall, für eine Weile eingeschlafen war, kam es Agamemnon vor, als ob jemand vor ihm den Nebel zerteilt hätte.

               Jetzt sah er alles klar. Wie konnte er nur der liebeswürdigen Stimme seiner Frau Glauben schenken? Hätte sie ihm mit einem schlecht verborgenen Hass angesprochen, dann wäre alles in Ordnung gewesen, nur unter solchen Umständen hätte er ruhig bleiben können. Der Hass hätte ihre Ohnmacht und seine Sicherheit bedeutet. Er glaubte aber dem Billigsten, was sich zum Glauben angeboten hat. Jetzt verstand er ihre erhaltene Schönheit. Nur ein regelmäßiges Liebkosen einer männlichen Hand konnte eine Frau so schön berhalten, wie Klytamnestra es war. Sogar mit dem Verlangen in ihrem Blick. Nach zehn Jahren ohne Mann wäre es schon längst verblast. Deshalb also der Mann! Aber ja, er war ein Verwandter, Aigisthos, so ein Niemand, deshalb konnte er ihn nicht sofort erkennen. Deshalb wurde er also so blass! Ging er nicht zufällig mit ihnen, als ihn Klytamnestra zum Bad führte? Aber sicher, er folgte ihnen. Agamemnon merkte es doch, nur er verstand damals noch keine Zusammenhänge. Jetzt befand er sich auf dem einzigen Platz in dem ganzen Palast, wo kein Soldat seine Leibwache zu ihm durfte und dazu gab er seine Kleidung und sein Schwert dem Diener vor der Tür. Wo ist übrigens der Bademeister und der Masseur? Ja, ihre Abwesenheit war die Tatsache, die den Nebel vor seinen Augen auseinander gerissen hat. Die ihn dazu brachte, zu kapieren, was sich hier abspielte. Der König ist doch im Bad nie allein! Nur wenn ihn jemand töten möchte!

               In diesem Moment erwachte in Agamemnon der Soldat. Er stürzte zur Tür, um sie mit dem Riegel zuzusperren. Die Mörder werden auf die Tür schlagen, sie werden die Tür ausbrechen müssen, dachte er, damit werden sie die Wachen alarmieren. Seine Leibgarde kommt zur Hilfe. Nein, es ist noch nichts verloren. Warum sollte er sterben, wenn er keine Lust dazu hat?

Der Riegel an der Tür fehlte. Mit einem erstaunten Blick betrachtete er die leere Stelle, wo er offensichtlich vor kurzem entfernt worden war. Er stützte sich mit Rücken an die Tür. Seine Füße rutschten auf dem nassen Boden. Er verstand, dass er die Türe so nicht geschlossen halten konnte. Er würde nur ein kleiner Stoß von außen reichen um ihn auf den nassen Boden fallen zu lassen, auf den Rücken wie einen machtlosen Käfer.

Das ist das Ende, fiel ihm ein. Das erste Mal im Leben fiel ihm so etwas ein. Nicht einmal unter den Mauern von Troja, nicht einmal als die Trojaner Griechen ins Meer trieben und Achilles mit seinen Leuten sich weigerte, sich der Schlacht anzuschließen. Nicht einmal damals dachte er, es wäre alles verloren.

Jetzt aber standen die Mörder hinter der Tür. Er hörte sie nicht, aber er spürte ihre Anwesenheit. Sie waren dort, sie sammelten nur den Mut, um in das Bad einzubrechen und ihm den kalten Stahl in den Körper zu jagen. Wer wird der erste sein? Aigisthos? Den könnte er eventuell noch einschüchtern und ihm die Waffe entreißen. Nein, Klytamnestra ist konsequent. Es kommt ein bezahlter Mörder ohne Gefühle und Interesse an dem Verbrechen. Er wird ihm das Schwert in den Körper treiben, dann sein Gold kassieren und gehen. Oder kommt sie selbst? Er fühlte, wie es ihm kalt über den Rücken lief. Das doch nicht! Aber eigentlich warum nicht? Die Rache für Iphigenias Tod muss vollkommen sein. Sie ist ein Ungeheuer, dachte er über seine Frau. War ich aber kein Ungeheuer, als ich mit einem verlogenen Brief mein liebstes Kind zum Heer lockte, um es opfern lassen zu können?  Sie hätte Achilles heiraten sollen, habe ich ihr geschrieben. Sie kam mit großer Erwartung, sie freute sich so sehr auf ihren Bräutigam. Und dann kam die bittere Enttäuschung. Keine Hochzeit, dafür der Tod! Wem habe ich damals gedient? Warum sollte ich mich noch jetzt, in Angesicht des Todes, belügen? Ich habe nur mir selbst und meiner Sucht nach Ruhm gedient. Nur deshalb musste das unglückliche Mädchen sterben! Ein Blut aus meinem Blut! Ich rief damals, dass auf dem Altar auch mein Blut fließt. Es war eine Lüge. Es war nur ihr Blut, das meine wird demnächst und hier fließen.

Ein Versöhnungsgefühl drang in ihn ein. Warum nicht? Die Strafe ist gerecht. Für mich auch akzeptabel. Noch heute in der Früh habe ich mir Sorgen gemacht, wie ich mein Gewissen los werde, das meine Nächte zur Hölle macht. Also, die Lösung hat sich selbst angeboten! Der Tod ist eine Lösung. Zu sterben und definitiv Ruhe haben.  Keine Gewissenbisse, keine Pflichten. Sterben nach einem großen Sieg wie ein Held. Nicht wie ein schreiender Nackter, verfolgt von einer Herde Bewaffneter, sondern wie ein König, getötet in einem Moment der Erholung, versöhnt und großmutig.

Er wandte sich von der Tür weg und trat in die Badewanne. Er legte sich nieder und schloss seine Augen. Noch ein paar Augenblicke! Dann geht die Tür auf und die Mörder laufen ein. Er drückte seine Augenlider zusammen und wartete darauf, was jeden Moment kommen musste.

KLYTAMNESTRA III

Sie wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war, wann der König alles verstehen würde. Seit dem Moment, als sich die Tür hinter ihm schloss, vergingen nur einige Augenblicke. Die Tür hatte auf der Innenseite keinen Riegel, man konnte sie nicht zusperren. Die Königin überließ nichts dem Zufall. Sie hielt das Schwert ihres Mannes in der Hand, es wurde ihr von dem Diener gereicht, der sich gleich danach entfernte.

Jetzt ging es nur mehr um eines, den Mut zur Tat zu gewinnen. Den Mut sich an die Tür anzulehnen und dann das Schwert in die Brust des mächtigsten Mannes Griechenlands zu jagen. Er war jetzt hinter dieser Tür nackt und machtlos, trotzdem jagte er ihr noch immer Angst ein. Eigentlich nicht noch immer aber schon wieder! Warum? Ist das die Angst, die einmal in der Vergangenheit zur Liebe wurde und diese wieder zum Hass? Und plötzlich verwandelte sich der Hass in die ursprüngliche Gestalt, aus der er hervorging – in die Angst vor dem großen Kämpfer.

„Gehen wir?“ fragte sie bereits das zweite Mal ungeduldig.

Aigisthos war todblass und seine Hand mit dem Dolch zitterte. Es war offensichtlich, dass er das nicht schafft. Sogar der unbewaffnete Agamemnon wäre im Stande, ihn zu überwältigen. Also muss es sie selbst tun! Die Götter verzeihen nichts, man kann sie nicht überlisten.

Wenn man eine Rache will, muss man sie auch vollziehen. Sie ist die Einzige, die den König tatsächlich hasst, deshalb muss sie auch selbst morden. Obwohl sie ihn, aber daran durfte sie nicht denken, gleichzeitig noch liebte. Sie zerschlug die Liebe in sich, diese überlebte aber trotzdem. Irgendwo im Vorhof ihrer Seele, ständig geschlagen, vertrieben, still und leidend, aber sie überlebte. Sie muss jetzt Augen und Ohren zumachen, um sie nicht zu sehen und nicht zu hören. Agamemnon hat sicher bereits alles verstanden, einer von ihnen musste also sterben. Warum sollte es sie sein? Es gibt Taten, die man niemals rechtfertigen kann, aber wenn sie getan werden müssen, darf man nicht zögern.

„Wenn wir ihn nicht töten, tötet er uns“, sagte sie und schaute Aigisthos direkt in die Augen.

„Ja“, sagte er und sie verstand, dass sie sich ab diesem Moment bis zum Lebensende gegenseitig hassen werden. Dafür, dass einer den anderen zu einem Verbrechen gezwungen hat, das sich in der Tiefe ihrer Seelen keiner von ihnen wirklich gewünscht hatte. Sie wird ihn für seine Schwäche hassen und er sie, weil sie seine Schwäre gesehen und verstanden hat. Nach dem Tod des Königs wird sich für beide ihr eigener Tod nähern. Fürs Überlegen war es aber bereits viel zu spät.

Klytamnestra stieß mit dem Fuß die Tür auf und mit dem Schwert in der Hand lief sie in den wohlriechenden Dampf, der aus der Wanne aufstieg.

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