Also wenn der Weg Christi in Betlehem seinen Anfang nahm, endete dieser nach vielen Zwischenstationen in dem weitentfernten Galiläa, in Nazareth, in Kapernaum, am See Genezareth und – vielleicht – auch in Kana, in Jerusalem – so, wie er enden musste.
Als Christus einmal am Palmsonntag durch das Goldene Tor in die Stadt wie ein Messias einzog, gab es keinen Weg zurück. Seine Mission in der Hauptstadt dauerte nur fünf Tage. Die Unruhen, die sein Einzug in der Stadt zur Folge hatte, veranlassten sogar den römischen Prokurator Pontius Pilatus, seinen Arsch aus seinem Luxusdomizil in Caesarea zu heben und nach Jerusalem zu kommen, obwohl Römer diese Stadt wie die Pest hassten – weil sie sie einfach nicht verstanden. Wenn aber die jüdischen Radikalen (Zeloten)erwarteten, das Jesus zu einem Aufstand und Sturz der römischen Herrschaft aufrufen würde, waren sie sehr enttäuscht. Das Reich Christi war nicht von dieser Welt und er forderte sie sogar auf, dem Kaiser zu geben, was ihm gehörte und Gott, was seins war. In der Nacht von Donnerstag auf Freitag wurde Jesus im Garten Getsemani auf der anderen Seite des Cedrontals verhaftet und ins Haus des Hohepriesters Kaiphas abgeführt. Auf der Stelle dieses Hauses steht heute natürlich eine Kirche, gut sichtbar vom Ölberg. Kaiphas durfte aber den Propheten nicht richten, da Gerichte, die Todesstrafe aussprechen durften, dem römischen Prokurator unterlagen. Die Begeisterung des Pontius Pilatus, dass ihn Juden in ihre religiösen Streitigkeiten hineinziehen wollten, hielt sich in Grenzen. Er kannte sich in den Gründen ihrer Streitereien nicht aus und er hatte auch keinen Bedarf, sich darin auszukennen. Dann erfuhr er, dass sich in Jerusalem gerade der Tetrarch von Galiläa Herodes Antipas befand und schickte postwendend Jesus zu ihm mit der Begründung, dass es sich bei dem Verhafteten um einen Galiläer handelte, damit um einen Untertanen des Herodes und es war dann die Pflicht des Herodes einen falschen Propheten zu richten. Herodes Antipas, der ohnehin nach der Hinrichtung des Johannes des Täufers noch immer ein schlechtes Gewissen hatte, zeigte keine Lust in diese Falle zu tappen und retournierte Jesus zu Pontius Pilatus mit der Feststellung, dass sich dieser keines Verbrechens auf dem Gebiet von Galiläa schuldig gemacht hätte und aus diesem Grund ihn der Tetrarch nicht richten könne.
Der Schwarze Peter blieb also doch den Römern. Judea stand letztendlich unter ihrer direkten Verwaltung und der Prokurator war für die Ordnung in der Provinz verantwortlich – ob ihm das gefiel oder nicht. Es gefiel ihm nicht. Andererseits war der zur Brutalität neigende Pilatus genug Politiker, um die Schlauheit des Herodes zu würdigen. Laut Lukas wurden sie an diesem Tag Freunde, obwohl sie sich früher nicht besonders mochten. Übrigens diese Verknüpfung der Geschichte Christi mit Herodes beschreibt in seinem Evangelium nur Lukas. Matthäus, Markus und Johannes schicken Christus von Kaiphas direkt zu Pilatus – zum Gericht, das für ihn nicht gut ausgehen konnte.
Auf dem Ort, an dem Pilatus sein Urteil sprach, beginnt die „Via Dolorosa“, also der „Weg der Schmerzen“, der durch die Altstadt von Jerusalem bis auf Golgota führt, auf die damalige Hinrichtungsstelle. Pilatus musste natürlich in der Festung Antonia richten, die Herodes der Große bauen und nach seinem Freund Mark Anton benennen ließ. Diese Festung lehnte sich direkt an den Tempelbezirk an, sie war eigentlich ein Teil von ihm. Von der Festung blieb nach dem Jahr 70 nichts erhalten. Es gibt die Treppe, die zur Festung führte, auf der Pilatus sein Urteil verkündete. Diese findet man aber nicht in Jerusalem. Die Kaisermutter Helena ließ sie im Jahr 326 nach Rom führen, wo sie jahrhundertelang die Eingangstreppe der päpstlichen Kirche im Lateran bildete. Als Erinnerung an das Leiden Christi durfte man diese Treppe in die Kirche nur kniend hochsteigen. Es musste ein hartes Stück Arbeit sein, die Marmortreppe zu zerlegen, auf damaligen Schiffen nach Rom zu transportieren und dort wieder zusammenzubauen. Nachdem der Lateran nach der Rückkehr des Papstes aus Avignon nach Rom im Jahr 1377 umgebaut und das Zentrum der päpstlichen Macht in den Vatikan verlegt wurde, verlor die Treppe ihre Funktion. Am Ende des sechzehnten Jahrhunderts bekam die Treppe, die bereits frei vor der Kirche stand, ein eigenes Gebäude und ihr Marmor wurde mit Holz verkleidet – um sie vor der Abnützung zu schützen. Ich glaube, dass dieses Nussholz mehr als den Marmor die Knie der Pilger schützt – auch heute darf man die Treppe nur kniend und betend betreten.
Gleich neben der ersten Station der „Via dolorosa“ gibt es die zweite Station, wo Christus das Kreuz auf sich nahm.
Die Kapelle über diesen Ort ließ Herzog Maximilian von Bayern auf seiner Pilgerreise ins Heilige Land im Jahr 1838 bauen, als er zum Ritter des Heiligen Grabes geschlagen wurde. Für die, die diese ein bisschen extravagante Person der europäischen Geschichte nicht kennen, es handelt sich um den Vater der Kaiserin Elisabeth, der Gattin von Franz Josef I., unserer berühmten Sissi.
Gleich in der Nähe der dritten Station steht das Österreichische Hospiz. Es wurde im Jahr 1858 gebaut und 1863 als Herberge für alle Pilger aus dem Österreich-Ungarischen Kaiserreich eingeweiht. Deshalb steht auf der Treppe die Statue der Jungfrau Maria – „Magna Mater Austriae“, die in Mariazell verehrt wird, geschmückt mit Wappen aller Länder der damaligen Monarchie. Das Hospiz musste in den 160 Jahren seiner Existenz bewegte Zeiten durchmachen. Im ersten Weltkrieg war es das Hauptquartier der österreichischen Offiziere (Die Türkei kämpfte auf der Seite von Deutschland und Österreich). Im November 1917 wurde Jerusalem von britischen Einheiten eingenommen und im Februar 1918 machten die Briten aus dem Hospiz ein Waisenhaus. Später verwandelten sie es in eine Pension für britische Offiziere und nach 1938 wurden hier österreichische Mönche und Nonnen interniert, die nach dem Anschluss Österreichs an Deutschland deutsche Staatsbürger wurden. Nach dem Jahr 1948 war hier ein jordanisches Krankenhaus, wo am 20. Juli 1951 der jordanische König Abdallah starb, der bei einem Attentat bei der Moschee Al Asqa tödlich verwundet wurde. Nach dem Sechstagekrieg wurde Jerusalem Teil des israelischen Staates und das Hospiz wurde an Österreich zurückgegeben. Die Österreicher renovierten das mittelweile einsturzgefährdete Gebäude und eröffneten es im Jahr 1988 feierlich wieder.
Das Hospiz ist besuchswert. Nicht nur seiner wunderschönen Kapelle aus dem Jahr 1908 wegen, wo oberhalb des Altars alle heiligen Landespatronen der Länder des Kaiserreiches dargestellt werden, also auch der heilige Wenzel, der heilige Stephan oder Leopold. Man kann hier nämlich auch einen guten Wiener Kaffee, einen Apfelstrudel oder eine Sachertorte genießen. Die Hauptattraktion ist aber die Dachterrasse (der Eintritt kostete 5 Schekel) von der es einen wunderschönen Blick auf ganz Jerusalem gibt.
Auf einer Seite gibt es den Felsendom, auf der anderen die Kuppel der Grabeskirche und der Erlösungskirche, sie stehen nebeneinander am Ende der „Via Dolorosa“. Die Grabeskirche ist für orthodoxe und katholische Gläubige bestimmt. Damit die Protestanten auch eine Kirche hätten, ließ der Kaiser Wilhelm in ihrer unmittelbaren Nähe eine Kirche für seine protestantischen Untertanen die Erlösungskirche bauen. Wie wir wissen, feiern die Protestanten den Tod Christi mehr als seine Auferstehung, gerade durch seinen Tod hat er nämlich die Menschheit von der Erbsünde erlöst. Von der Dachterrasse des Hospizes aus sieht man die ganze Altstadt von Jerusalem so schön, dass man sie gar nicht mehr verlassen möchte.
Die „Via dolorosa“ setzt ihren Verlauf fort, die dritte und vierte Station sind ziemlich unauffällig, der erste Sturz unter dem Kreuz und das Treffen mit Jesu Mutter sind nur ein paar Schritte voneinander entfernt. Dann geht man bergauf nach Golgota. Die fünfte Station ist Simon aus Zyrene gewidmet, der Christus sein Kreuz zu tragen half. In der Mauer eines der Häuser gibt es hier ein Stein mit dem „Abdruck“ der Handfläche Christi. Hier stützte sich der müde Erlöser an die Mauer. Zu bestimmten heiligen Relikten bin ich ein bisschen skeptisch, ich hoffe, dass mich mein Leser verstehen kann.
Dann geht man durch die alte Mauer von Jerusalem, da die Befestigung, die Sultan Suleiman gebaut hat, ein wesentlich größeres Gebiet umgab, als es die antike Stadt besaß. Die Hinrichtungsstätte war logischerweise außerhalb der Stadtmauer, heute ist sie allerdings innerhalb der Stadt. Das Treffen mit Veronika als die sechste Station ist also im Bereich des alten Stadttores. In der Nähe der siebenten Station der „Via dolorosa“ gibt es ein ehemaliges Spital der Johanniter, das mit einem Malteserkreuz gekennzeichnet ist und von dem uns Schibli einreden wollte, dass es protestantisch sei.
Die letzte Station außerhalb der Grabeskirche ist die achte Station, alle übrigen befinden sich unter dem Dach der Kirche. Die Grabeskirche wird je ein Viertel von orthodoxen Christen – griechischen, ägyptischen, armenischen und aramäischen – besessen, die Katholiken besitzen hier nur eine Seitenkapelle, wo ein Rest der Säule aufbewahrt wird, an der Christus gegeißelt wurde. Das Grab ist in einem Marmorbau gehüllt, auf den Eintritt zum Grab wartet man in einer Schlange ganze Stunden. Besonders dann, wenn in dem Moment, in dem wir schon hineintreten sollten, eine Prozession der polnischen Pilger den Ablauf unterbrach, die zum Grab von den Rittern des Heiligen Grabes in ihren prächtigen Ornaten begleitet wurde – zu meiner Überraschung gab es unter den Rittern auch Frauen.
Wir warteten auf den Eintritt dadurch eine halbe Stunde länger, es zahlte sich aber aus, die Prozession der Ritter war eine schöne Attraktion. Schlimmer war es für diejenigen, die hinter der Ecke standen – sie sahen nichts, warten mussten sie aber genauso wie wir. Sie mochten nachher keine Polen. Übrigens Polen, sowie auch Russen, gab es hier in unglaublichen Mengen, Osteuropa holt offensichtlich seine Defizite auf.
Das Grab ist natürlich ein mystischer Ort. Bedeckt mit flachen Marmorplatten und beleuchtet nur mit Kerzen, hat es einen geheimnisvollen Charakter. Es ist klein, es passen höchstens drei Personen gleichzeitig hinein. Gerade, als wir an der Reihe waren, stürmte eine fanatische junge Frau im Kopftuch hinein. Sie warf sich auf die Platten des Grabes und wollte das Grab nicht mehr verlassen. Sie wälzte sich in einer Ekstase auf den Steinen, verbrannte sich ihre Hand an der Kerze, der Pope, der auf die Besucher aufpasste, musste sie mit Gewalt herausholen.
Im Vorraum der Kirche ist eine Marmorplatte ausgestellt, durchtränkt durch Öl, mit dem Maria Magdalena den Leichnam Christi einbalsamierte.
Man findet diese Platte leicht, bei ihr knien oder auf ihr liegen ganze Menschenmengen, die den zauberhaften Duft der Salbe genießen wollen. Man kann ihn wirklich riechen, möglicherweise deshalb, weil die Platte damit täglich frisch geschmiert wird. Der Duft ist sehr angenehm, ich habe ihn noch lange auf meinen Handflächen riechen können.
Golgota befindet sich in der gleichen Kirche wie das Grab. Man muss nur um ein Stockwerk höher steigen. Durch eine enge Treppe kommt man zu einer weiteren Kapelle, die über die Steine der ehemaligen Hinrichtungsstätte gebaut wurde. Die Steine sind mit einem Glas bedeckt, damit man sie sehen kann und unter dem Altar gibt es eine Stelle, wo man die Hand hinlegen und die Steine von Golgota berühren kann. Die Voraussetzung ist eine angemessene Kleidung, ein Tourist in kurzer Hose wurde von den Priestern trotz heftigen Widerstandes erbarmungslos hinausgeworfen.
Die Protestanten haben ihr Golgota anderswo, nämlich in einem englischen Park außerhalb der Stadtmauer, wenn man die Stadt durch Damascustor verlässt. Die Protestanten begründen diese Stelle mit dem Text der Bibel, dass sich die Hinrichtungsstätte außerhalb der Stadtmauern befand. Dazu findet man in diesem Park tatsächlich einen Felsen, der dem menschlichen Schädel ähnelt. Im Jahr 1867 wurde hier ein Felsengrab entdeckt und im Jahr 1883 entschied der britische Generalmajor Charles Gordon, dass es sich hier um den wahren Ort des Todes und Begräbnisses Jesus handelte und er kaufte das Grundstück. Es ist ein ruhiger Ort, viel ruhiger als die Menschenmengen in der Grabeskirche, also es ist entbehrlich mit Protestanten zu streiten, ob die Mauer Suleimans mit der antiken übereinstimmt oder nicht. Wer Lust oder Zweifel hat, darf auch diesen Ort besuchen.
Egal ob dort oder hier, irgendwo hier in der Nähe, jedenfalls in Jerusalem, fand das Leben Christi sein Ende. Und damit auch unsere Pilgerreise. Trotzdem möchte ich das Heilige Land noch nicht verlassen. In zwei Wochen geht es zum Toten Meer und zur Festung Massada. Das ist ohnehin ein Pflichtprogramm jeder Israelreise.