Wenn man bei der Suche nach einer Unterkunft über einen Satz stolpert, dass ein Hotel eine „sehr gute Eisenbahnverbindung“ bietet, sollte sofort hellhörig werden. Als wir auf diese Art die Unterkunft in San Alesio di Siculo an der sizilianische Ostküste gebucht haben ohne über diesen Satz nachzudenken, hatte es die Folgen, dass die Eisenbahn zwanzig Meter hinter unserem Apartment lief und zwischen uns und ihr war nur der Parkplatz für Autos – nämlich für den Bahnhof direkt vor unseren Fenstern.
Am Tag war es kein großes Problem, wir waren ohnehin entweder am Strand oder machten wir einen Ausflug. In der Nacht haben wir aber doch bemerkt, dass diese Unterkunft nicht die beste Idee war. Am Tag fuhren die Personalzüge nur sporadisch, hielten im Bahnhof an, um dann wieder kurzatmig zu starten, in der Nacht aber wurden durch die Strecke Catania-Messina Güterzüge geschleust. Diese hielten im Bahnhof von San Alesio di Siculo nicht an, sondern fuhren mit voller Geschwindigkeit durch. Jede Stunde! Wir konnten diese Durchfahrt auf unterschiedliche Art wahrnehmen, wahrscheinlich nach dem Gewicht der transportierten Güter – von mäßigem Zittern, über Bettbewegungen bis zu kleinem Erdbeben, bei dem Schwägerin Hanka um zwei Uhr in der Nacht aus dem Bett stürzte.
Außer dieses kleinen Makels war die Unterkunft perfekt. Einige große Räume, gut ausgestattete Küche und eine Dachterrasse mit Grill, die einen Blick aufs Meer bot. Nur ein paar Schritte von unserem Apartment entfernt gab es eine Bäckerei, wo wir jeden Morgen frisches Gebäck holten und auf der anderen Seite ein Geschäft mit frischen Fischen. Nur die Gasflasche auf dem Balkon bei der Küche, auf die den ganzen Tag die sizilianische heiße Sonne strahlte, machte mich ein bisschen nervös. Ich überlegte, wie viel eine solche Flasche aushalten konnte, also wie weit das Gas in der Flasche bei den Sommertemperaturen expandierte, bis es explodieren würde. Dieser Faktor bereicherte unseren Urlaub mit einem aufregendem, sogar explosivem Hauch von Abenteuer.
Die Vermieter waren sehr nett. Wir kamen beim Hotel „La Grotta“ tief in der Nacht an. Auf unser Klingeln und Schläge auf die Tür reagierte lange Zeit niemand. Als ich aber versucht habe, die Telefonnummer der Vermittlungsagentur zu wählen, kam es im Hotel zu einer Bewegung und dann wurden wir von unseren Gastgebern enthusiastisch empfangen. Sie waren bereit, sogar auf unseren Schwager zu warten, der vergessen hatte, die Autobahn rechtzeitig zu verlassen und einen Umweg über Messina machen musste und so kam er um eins in der Nacht an. Wir schaften es trotz der späten Ankunft, sich bequem einzuquartieren, und so konnten wir die ersten Züge erleben, die uns für den Rest der Nacht den Schlaf unmöglich machten. Als wir dann in der Früh zu den Gastgebern für notwendige Informationen gekommen sind, saßen diese am Tisch und hatten einen sehr unsicheren Ausdruck im Gesicht. Wir ließen uns über die Bäckerei und den Supermarket informieren, besuchten die Dachterrasse mit Grill und dann plötzlich zogen sie aus einem Versteck unter dem Tisch einige Flaschen Wein und Olivenöl und zwangen uns wortwörtlich diese ganze Last, die wir kaum tragen konnten, kostenlos anzunehmen.
Den Grund dieser unerwarteten Freundschaft erfuhren wir am Abend vor unserer Abfahrt. Da fragte uns die Haushälterin das erste Mal: „Ihr seid aber keine Deutschen, oder?“ „Nein“, bestätigte ich. „Das habe ich mir gleich gedacht. Die Deutschen sind so zimperlich. Sie kommen, und wenn etwas anders ist, als bei ihnen zu Hause, sind sie gleich bei uns und beschweren sie sich.“ Ich habe es endlich verstanden. Wir waren wahrscheinlich die ersten Gäste, die nach der ersten schlaflosen Nacht nicht geschimpft haben. Deshalb die heiße Freundschaft, der Wein und das Olivenöl. Das alles war für wütende Deutsche vorbereitet, um sie zu beruhigen und zu versöhnen. Wir bekamen dazu noch einen perfekten Espresso. Andererseits, was sollten wir tun? Hätten wir vielleicht durch Schimpfen etwas gewinnen können? Versuchen Sie es, an der Ostküste Siziliens nahe Taormina eine Unterkunft am Strand zu finden!
Taormina ist nämlich ein Kult, es ist wie der Tod, alle müssen einmal hin. Und wir waren dort alle. Taormina ist ein historischer Ort, seine strategisch günstige Lage prädestinierte die Stadt, zu einem Stützpunkt zu werden. Es war ursprünglich eine Stadt des Stammes der Sikulen. Sie pflegte gute Beziehungen mit griechischen Kolonisten im Nahen Naxos (heutiges Giardini Naxos) bis die Stadtbewohner die Griechen letztendlich in die Stadt aufgenommen haben. Im vierten Jahrhundert vor Christus übernahmen die Griechen in der Stadt bereits das Kommando. Und bauten das wunderschöne Theater, wegen dem heute alle Touristen die Stadt besuchen wollen.
Die Römer bauten das Theater im zweiten Jahrhundert weiter in die heutige Größe auf – also mit einer Kapazität von 5400 Besuchern. Das Theater ist wirklich fabelhaft. Besonders, weil es den schönsten Blick auf den Vulkan Ätna an Horizont bietet, es war offensichtlich eine Absicht, das Theater so zu bauen, dass der rauchende bedrohliche Berg im Hintergrund der Bühne stand, dieser Blick gab den Vorstellungen sicherlich einen weiteren aufregenden Akzent. Taormina war eine Festung, der letzte Stützpunkt der Byzantiner auf der Insel gegen die Invasion der Araber. Als bereits die ganze Insel in arabischer Macht war, leistete Taormina noch immer Widerstand. Es fiel im Jahr 902 nach Christus, als die byzantinischen Truppen nach Konstantinopel abgerufen wurden. Während zweier antiarabischer Aufstände im zehnten Jahrhundert wurde die Stadt vollständig zerstört und später wieder aufgebaut.
Taormina erreichte aber danach nie wieder ehemalige Bedeutung. Im zwanzigsten Jahrhundert wurde es aber zu einer Touristenfalle. Im Jahr 1787 entdeckte Taormina auf seiner Sizilienreise Johann Wolfgang Goethe – und es war um Taormina geschehen. Also genauer gesagt, geschehen ist es um Taormina etwas später, als hier „Festivals Taormina Arte“ organisier wurden, dank derer sich in der Stadt Stars wie Greta Garbo, Elisabeth Taylor oder Marlene Dietrich aufgehalten haben – und sie schwiegen nicht darüber! Eine Festung blieb allerdings die Stadt bis heute. Der Parkplatz ist außerhalb der Stadt und man zahlt hier eine unchristliche Parkgebühr – bereits im Jahr 2008 waren es neun Euro. Von dem überfüllten Parkplatz wird man dann mit einem Bus in die Stadt befördert. Außer dem Theater gibt es hier aus antiken Zeiten noch das Odeon und zwei Stadttore – Porta Catania und Porta Messina, die im sechszehnten und siebzehnten Jahrhundert erneuert wurden. Natürlich gibt es hier auch eine Reihe Kirchen – vor allem den Dom „San Nicolo“ mit der Statue von „Centauressa“ – diese merkwürdige Kreatur, die auch das Wappen von Taormina schmückt, hat etwas vom Kentaur mit einem Stierkörper (Taormina liegt auf dem Berg Mons Tauro, also Stierberg) und mit Zepter und Erdkugel in den Händen. Durch die Mitte der Stadt führt eine verhältnismäßig kurze Hauptstraße „Corso Umberto“ und in ihrer Mitte befindet sich die „Piazza 9. Aprile“ mit dem Uhrturm „Torre dell´orologio“, in dem das mittlere Stadttor „Porta Mezzo“, angeblich aus dem zwölften Jahrhundert, eingebaut ist. Zu Füßen liegt Ihnen dann ein riesiger Hafen und der Urlaubsort Letojani.
Es ist in Taormina prinzipiell genug zu sehen, aber für diese Menschenmenge…
Im Fünfsternhotel Timeo, dass in der Stadt nach dem antiken Theater die beste Adresse ist- und sich gleich bei dem Theater befindet – nahmen wir keinen Drink, obwohl das Hotel eines der weniger war, die nicht überfüllt waren. Ich glaube, das hatte einen Grund.
Die Sizilianer können sehr kreativ sein. In der Bar am Strand in San Alesio saß ein leicht depressiver junger Mann. Seine Geschäfte liefen offensichtlich nicht nach Plan. Das war kein Wunder. Vom Espresso um achtzig Cent (fabelhafter Qualität) konnte er nicht leben und das Bier um vier Euro kaufte wieder keiner. Als wir allerdings begonnen haben, sein überteuertes Bier zu konsumieren, kostete es zwei Tage später schon fünf Euro.
Es ist (oder vor elf Jahren war es zumindest) in der Osthälfte der Insel beinahe unmöglich einen Supermarket zu finden. Nach einer langen vergeblichen Suche fuhren wir nach Messina und dort fanden wir wirklich einen. Das GPS hat allerdings nicht vergessen, wieder einmal mit uns zu scherzen, es führte uns durch kaum passierbare Gässchen und letztendlich zu einer Unterführung, wo ich die Seitenspiegel meines kleinen Renaults zuklappen musste, um überhaupt durchzukommen. (Zurückzufahren war nicht möglich, obwohl ich mir das sehr wünschte, aber hinter uns standen bereits, wie es in Italien sogar in den vergessensten Gässchen üblich ist, weitere drei Autos). Messina hat nicht viel zu bieten, die Stadt wurde durch ein Erbeben im Jahr 1908 vollständig zerstört und der historische Stadtkern wurde nicht restauriert. Messina war immer das Tor nach Sizilien. Hier wollte sich der junge fünfzehnjährige Friedrich II. verschanzen, als er die Invasion des Kaisers Otto IV. und seinen eigenen Tod erwartete, in Messina landeten die normannischen Invasionstruppen (auf Einladung des örtlichen Herrschers), die dann die Insel eroberten.
Auf unser GPS konnten wir uns auf Sizilien wirklich nicht verlassen. Nicht nur, dass es versucht hat, uns umzubringen. Das war bei dem Ausflug in die Stadt „Forza d´Agro“, die auf einem kegelförmigen 420 Meter hohen Berg über das Ionische Meer emporragte. Das GPS meldete plötzlich und voll unerwartet „nach rechts abbiegen“. Das tat es auf der Straße, die den Berg umfuhr und wo es rechts von uns nur eine drei hundert Meter tiefe Kluft gab. Es war ein klarer Mordversuch, blieb aber ohne Erfolg. Das Städtchen „Forza d´Agro“ war ein typisch italienisches Örtchen mit einer normannischen Festung, engen Gassen, einer Kirche mit der Jungfrau Maria und einem schönen Blick auf die Küste tief unter den Füßen und den rauchenden Ätna. Es war aber die erste Warnung, dass das Autofahren auf Sizilien vielleicht nicht ganz einfach sein wird. Und es war auch nicht!
Als wir ein Tag später auf der Rückfahrt zu unserer Pension waren, gab ich ihre Adresse ins GPS ein und als wir an einem Wald vorbeigefahren sind, gab die Navigation einen Befehl – „rechts abbiegen“. Ich habe rechts keine Straße gesehen, ich dachte aber zuerst, dass ich sie vielleicht übersehen hätte, also absolvierten wir noch eine Runde in den engen Gässchen, um nach der Einleitung unseres Navigationssystems zu diesem Wald zurückzukehren. Ich fuhr diesmal wirklich im Schritttempo, aber auf der Stelle, wo mir das GPS wieder den Befehl abzubiegen erteilte, war nur Wald, aber keine Straße, nicht einmal ein Pfad. Letztendlich mussten wir unsere Pension aus eigener Kraft ohne technische Hilfsmittel erreichen Das Rätsel der fehlenden Straße entschlüsselten wir mit meinem Sohn zwei Tage später bei einem Spaziergang entlang der Küste. Zuerst gingen wir auf einer Straße, die dann aber abrupt endete. Hier standen verlassene Baumaschinen, es gab hier Löcher im Boden, aber kein Baumaterial. Nur eine Tafel, die uns informierte, dass diese Straße aus den Fonds der Europäischen Union gebaut wird – Termin der Fertigstellung November 2006. Ich erinnere daran, dass es bereits August 2008 war. Auf Sizilien ist das einfach so. Zumindest wurde diese Straße in die Navigationssysteme eingefügt, das ist auch was, oder?
Auf den Ätna kamen wir problemlos, dieser Berg wurde gekennzeichnet.
Natürlich, er ist neben Taormina die touristische Hauptattraktion. Wir fuhren durch die Lavafelder bis zur Talstation der Seilbahn – glauben Sie es oder nicht, auf Sizilien, also auf dem Ätna, wird im Winter Schi gefahren, obwohl die Schipiste, geglättet zwischen den Lavafeldern und dadurch mit einer braunroten Farbe schon ein bisschen anders war, als die österreichischen, auf denen im Sommer die Kühen weiden. Aber egal ob anders, wichtig war, sie war da. Die Seilbahn befördert die Touristen viel höher hinauf und dort warten auf sie Kleinbusse, um sie für angemessenes (oder eher unangemessenes) Gebühr bis in die Höhe von 2900 Meter Seehöhe zu bringen, wo schon aus den Kratern Rauch zum Himmel steigt und die Lavasteine in ihrem Kern Temperaturen von einigen Hundert Grad Celsius haben und rötlich glühen. Der Ätna hat das Problem, dass neben dem Hauptkrater auf einem seiner Gipfel in der Höhe 3323 Meter, der giftige Gase und Lava permanent spuckt, er immer wieder auch neue Krater öffnet, und in diesen sammelt sich die explosive Kraft, die sich dann durch immer neue Eruptionen entladet. Deshalb gibt es eine Unmenge Krater auf dem Ätna, an der Stelle von einem von ihnen, einem schönen färbigen und tiefen, stand bis zum Jahr 2001 die Bergstation der Seilbahn mit Restaurant und Parkplätzen für Schifahren liebende Touristen. Das alles flog im Jahr 2001 in die Luft.
Weil aber Seismologen rechtzeitig vor dem Ausbruch gewarnt hatten, kam es zu keinen Verlusten an Menschenleben, sondern nur an Material. Ich möchte nicht die Versicherung leiten, die Bauprojekte in der Region Ätna versichert. Wir gingen um einige Krater herum – zum Hauptgipfel sollte man nur mit einem Bergführer gehen, da die Giftgase, die der Vulkan produziert, einen Bewustseinverlust mit der Folge des Sturzes in den Krater verursachen könnten. Glauben Sie, dass Sie dann dort drinnen niemand suchen würde!
Ich war ein bisschen enttäuscht, da ich hoffte, über die Lavaströme springen zu dürfen, darauf muss man aber bis zu einer weiteren Eruption warten. Man muss glücklicherweise nicht lange warten, der Ätna bereitet Touristen dieses Vergnügen jede paar Jahre. Ich erinnere mich an den Bruder des Großvaters unserer Schwägerin, der einmal mit achtzig Jahren und mit einem Kardiostimulator auf den Ätna reiste, da der Vulkan gerade wieder einmal explodierte und er hatte Angst, dass er die nächste Eruption nicht mehr erleben würde. In seinem Fall war die Befürchtung wirklich begründet.
In der Nordwand des Ätnamassivs befindet sich die Kluft Alcantara. Es ist ein Nationalpark mit einer tiefen Basaltklamm, durch die ein kalter Bach mit Wasserfällen fließt (wirklich ein kalter mit Temperaturen um 16 Grad und das im heißen August). Die Einheimischen bieten hier Canyoning an. Es ist natürlich ein Erlebnis. In einem Neoprenanzug gingen wir zuerst gegen den Strom hoch, um dann stromabwärts hinunter zu rutschen. Von einer Gefahr konnte keine Rede sein, aber ein bisschen Adrenalin wurde schon in den Kreislauf ausgeschüttert, besonders als wir einer italienischen Supermama halfen, die dieses Canyoning allein mit drei Kindern absolvierte.
Sizilien bietet also im Osten heiße Steine, eiskaltes (na ja eiskalt – also eher kaltes) Wasser, natürlich auch Strände mit dunklem Vulkansand und historische Sehenswürdigkeiten. Aber darüber das nächte Mal.