Category: Reiseberichte – andere Länder

Calvin ist an allem Schuld

               Es hat überraschenderweise bereits in Genf begonnen. Ich meine damit meine Zweifel. Für eine Stadt mit Französisch als Amtssprache war die örtliche Küche ziemlich arm. Ich suchte allerdings die Schuld bei mir. In Genf hat nämlich so gut wie niemand Deutsch gesprochen (mit Ausnahme des Eintrittskartenverkäufers an der Kassa im Museum des Protestantismus) Englisch auch nicht und ich kann wieder nicht Französisch. Ich dachte also, dass ich die richtigen Lokale in Folge des Informationsmangels einfach nicht gefunden habe. Das glaubte ich damals wirklich. Dafür durften wir in der Kathedrale von Genf einen Stuhl sehen, auf dem Jean Calvin persönlich gesessen war und gepredigt hatte. Ein normales Möbelstück, allerdings mit Geschichte. Ich habe den Stuhl sogar fotografiert! Damals habe ich Calvin für einen Reformator wie jeden anderen gehalten und hatte ich ihm nichts vorzuwerfen.

               Dann entschied ich mich, örtliche Spezialitäten in Amsterdam zu verkosten. Ich habe nämlich eine dumme Eigenschaft und die heißt Neugier. Also esse ich örtliche Spezialitäten überall, wohin wir reisen. Die Erbsensuppe mit Speck war noch ziemlich essbar, die panierten Kugeln mit merkwürdigem, nicht wirklich identifizierbarem schmierigem Inhalt genannt Bitterballen, das war schon ein anderer Kaffee. (Übrigens der Reiseführer von Amsterdam warnt davon zu versuchen zu erkunden, was in den Kugeln wirklich ist). Der Kaffee war übrigens in Amsterdam auch miserabel. Nur so nebenbei habe ich erfahren, dass die Stadt im sechzehnten Jahrhundert zum Calvinismus, also zur Reformierten Kirche übergetreten war. Die Zusammenhänge blieben mir zu diesem Zeitpunkt noch verborgen.

               Und dann fuhren wir einmal nach Bremen. Im Rathauskeller, also in einem der besten Restaurants in der Stadt, bat ich den Kellner um eine örtliche Spezialität um die Mentalität dieser Stadt, die besonders in der Oleanderblütezeit so wunderschön ist, noch besser kennen zu lernen. Und ich bekam den Seemannlaubkaus. Mein erster Gedanke war, dass der Koch wahnsinnig geworden ist und der Kellner diese Tatsache fahrlässig übersehen hat. Das Essen sah so aus, als ob bei seiner Entstehung folgende Geschichte geschah: „Die Matrosen von Bremen stachen in See und zum Mittag aßen sie Kartoffeln mit Selchfleisch. Nachmittag ist dann ein starker Sturm gekommen und so konnten sie das bereits verzehrte Mittagessen noch einmal zu Abend zu sich nehmen.“ Zu diesem gemixten Brei aus Selchfleisch und Kartoffelpüree ohne jedes Gewürz wurde noch Hering mit Roten Rüben serviert. Ich verhandelte mit dem Kellner, dass ich bereit bin, die Hälfte des Preises zu bezahlen. Die zweite Hälfte sollte der Mensch bezahlen, der diese Mahlzeit bereits vor mir im Magen hatte. Ich hatte keinen Erfolg, der Ober hatte keinen Sinn für Humor und dachte sicher, dass ich nicht richtig Deutsch konnte. Die Tatsache, dass in Bremen Calvinisten an der Macht waren, weckte in mir das erste Mal einen Verdacht, dass es Zusammenhänge geben könnte. Ich roch die Spur…

Und dann plötzlich wurden mir meine Augen geöffnet. Das geschah im Deutschen historischen Museum in Berlin, als ich erfuhr, dass die ganze Rheinpfalz, also das Gebiet um Heidelberg und Mannheim, im Jahr 1566 zur Lehre Calvins konvertierte. Alte Erinnerungen wurden wach. Das war vor einigen Jahren, als ich nach Heidelberg fuhr, um meine Frau nach Hause zu holen. Sie konnte nämlich die weiße, rote und braune Saucen, die sich nur durch die Farbe, nicht aber durch Geschmack unterschieden, weil sie keinen hatten, und im Krankenhausspeisesaal zu jedem Essen (na ja zu jedem Essen, es war immer Faschiertes) serviert wurden, nicht mehr vertragen. Sie versuchte zu erfahren, wo man in Heidelberg gut essen konnte. Es wurde ihr gesagt, dass es in Wiesloch wäre, in einem Städtchen südlich von Heidelberg. Dort gäbe es ein berühmtes und hervorragendes Lokal nach der die Art des österreichischen Buschenschanks (in Wien heißen diese Lokale Heurige, diese Bemerkung natürlich nur für meine Leser aus Deutschland oder anderen Ländern) und dort könnte man sehr gut essen. Wir fuhren hin. Vor dem Lokal stand eine Unmenge von Autos. Wir kauften eine Eintrittskarte um 13,50 Euro, die uns berechtigt hat, so viel zu essen, wieviel wir mochten. Das Problem war, dass wir nach einer halben Portion Ente nichts mehr essen konnten. Das Essen war gewürzlos und wahrscheinlich aufgewärmt und ein paar Bissen, die ich verzehrt hatte, wuchsen in meinem Magen zu einer ungeheuren Größe, für die mein Magen einfach zu klein war. Hätten wir nicht eine Flasche österreichischen Marillenschnapps mit, hätte ich möglicherweise die halbe Portion, die ich im Hunger verzehrte, nicht überlebt. Das schockierte mich. Die Pfalzregion hat unglaublich günstiges Klima, es wächst hier alles inklusiv Wein, die Vegetation ist zwei Wochen vor Graz, obwohl viel mehr nördlich gelegen ist – warum können die Pfälzer aus dieser Gabe nichts Essbares kreieren? In Berlin habe ich es verstanden – es war die Schuld von Calvin!

               Ich las und fand, dass in der Lehre von Calvin jede Wohllust des Körpers eine Sünde war, also das gute Essen genau wie auch ehelicher Geschlechtsverkehr (wenn gut war) und der Rechtgläubige strengte sich an, eine Sünde zu vermeiden, um die Erlösung zu erfahren und in den Himmel zu kommen. Also offensichtlich, überall wohin die Anhänger dieser Lehre kamen, vernichteten sie als die erste Tat die örtliche Küche (wie sie das mit dem Geschlechtsverkehr taten, habe ich nicht erfahren können, obwohl es in Amsterdam mehr als genug Gelegenheit dazu gab). Obwohl gerade das „Rote Viertel“ von Amsterdam mich zum Nachdenken brachte. Entstand es nicht gerade deshalb, weil es zu Hause zu öd war? Übrigens die größte Kirche in Amsterdam „Oude Kerk“, befindet sich direkt in der Mitte des roten Viertels. Also, man konnte gleich nach der Sünde in die Kirche gehen und sich vor Gott rechtfertigen. Vom Wohnhaus und vom Ehebett war es erstens weiter, und zweitens hätte die Gattin dumme Bemerkungen machen können. Nach dem Besuch eines Bordells maulte niemand und die Kirche war gleich zur Hand. Die Protestanten brauchen zum Dialog mit Gott nicht unbedingt einen Priester, weil es bei ihnen keine Ohrenbeichte gibt. Es ist natürlich intellektuell viel anspruchsvoller, die Sünden vor Gott, ohne einen Vermittler direkt zu rechtfertigen, weil es auch keine Absolution gibt. Aber wenn am nächsten Tag die Geschäfte wieder gut laufen, ist es ein klarer Beweis, dass Gott dem die Buße tuenden Sünder seine Gunst nicht entzogen hat. Darüber später.         

               Mein Bild hat sich also vollendet und ich erlaube mir einen kleinen Tipp denen zu geben, die  ähnlich wie ich gerne örtliche Spezialitäten kosten. Erfahren Sie zuerst, ob in der Stadt, die Sie besuchen möchten, nicht einmal – vielleicht auch nur für eine kurze Zeit – die Calviner an der Macht waren. Dann ist Vorsicht geboten. Lassen sie lieber die Finger von den örtlichen Spezialitäten und gehen Sie zum Italiener oder zum Chinesen.

               Kaiser Ferdinand I. der im Jahr 1555 einen Religionsfrieden zwischen Katholiken und Lutheranern vermittelt hat, schloss in diesem Dekret dezidiert die Reformierte Kirche aus und verbot sie am strengsten. Der alte kleine Brummler wurde mir sofort sympathischer. Er aß offensichtlich gerne und das spricht für einen in Grunde guten Charakter. Wenn er schon auch hinrichten lassen musste (wie im Jahr 1522 in Wiener Neustadt,) tat er das wahrscheinlich nicht ganz gern.

               Ich würde nach dem Erlebnis mit dem Seemannlaubkaus Calvin auf dem Scheiterhaufen verbrennen lassen.

               Es könnte euch vielleicht interessieren, wie sich diese Lehre, die beinahe alles Angenehmes im Leben verboten hat, überhaupt durchsetzen und besonders in den Städten mit starkem Handel und reicher Kaufmannsschicht so eine starke Position erreichen konnte. Calvin predigte – gleich wie Jan Hus oder der heilige Augustin – die Lehre der Prädestination. Also jeder Mensch wird bereits bei seiner Geburt entweder zur Erlösung oder zur Verdammung vorbestimmt. Damit kann er in seinem Leben nichts mehr tun, weil seine Sünden oder auch Wohltaten von Gott gesteuert werden und der eigene freie Wille dabei keine Rolle spielt. Man kann aber die Vorbestimmung für das ewige Leben im Himmel bereits im Leben hier auf Erde erahnen. Wenn man nämlich im Leben erfolgreich ist, wenn die Geschäfte gut laufen und die Kassa sich mit Silber und Gold füllt, ist das ein klares Zeichen der Gunst Gottes und Gott würde doch nicht einem Verdammten seine Gunst schenken. Deshalb verbreitete sich diese Lehre besonders erfolgreich in den reichen Städten, wo die Kaufleute das Sagen hatten, wie in Amsterdam, Bremen oder Mannheim. Erfolgreiche Geschäftsleute waren bereit, auf gutes Essen und guten Sex zu verzichten – die Aussicht auf den Himmel war viel zu verlockend. Das Essen musste also üppig sein, damit der Herr oder die Frau ihren Wohlstand und damit auch ihre Vorbestimmung für den Himmel demonstrieren konnten, bei Gewürzen wurde aber sehr gespart. Erstens weil sie teuer waren, zweitens, weil sie das Essen köstlich machen könnten und damit den Menschen in Versuchung bringen und den Weg in den Himmel versperren konnten. Also wenn man an dem ungenießbaren Mittagessen kaute, konnte man sich auf den Himmel freuen, wo man endlich auch Pfeffer zum Gastmahl bekommt.

               Es ist besser, Belgien zu besuchen. Dort hat den Menschen der Herzog von Alba solche Reformationsgedanken aus dem Kopf geschlagen (und das nicht nur im übertragenen Sinn). Die Küche in einem Land, dass an Frankreich grenzt und unter einer langen österreichischen Verwaltung katholisch blieb, ist einfach eine Traumküche. Obwohl es die Belgier waren, die Pommes frites erfanden. In dieser Erfindung hat Calvin seine Finger sicher nicht gehabt.

               Übrigens, nicht überall war seine Lehre bei der Essenvernichtung erfolgreich. Die Ungaren, obwohl sie sich der Lehre der Reformierten Kirche anschlossen und dafür einen Platz für ihren Anführer Stephan Bocskai auf dem Reformationsdenkmal in Genf erhielten, ließen sich ihr Gulasch und Paprikasch mit scharfer Paprika nicht nehmen. Eine wahrhaft weise und tapfere Entscheidung.

               Die Tschechen hatten wieder Glück, das sie bis heute nicht verstehen wollen. Friedrich von der Pfalz, der im Jahr 1619 zum tschechischen König gewählt wurde, um nach einem Jahr Herrschaft wieder flüchten zu müssen, war ein Calviner. In diesem Zusammenhang scheint die Niederlage des tschechischen Herres auf dem Weißen Berg bei Prag am 8.November 1620 nicht so tragisch zu sein. Kann man sich vorstellen, was mit der berühmten tschechischen Küche passiert wäre, wenn die Aufständischen damals gewonnen hätten und Friedrich sich auf dem tschechischen königlichen Thron eingenistet und seine Ordnung durchgesetzt hätte. Ich meine in der Küche, von dem anderen gar nicht zu sprechen….

               Na ja, Ferdinand II. mag kein wirklich sympathischer Kerl gewesen zu sein. Es gab Hinrichtungen (nur am 27. Juni 1621 in Prag siebenundzwanzig an der Zahl), es gab die gewaltsame Rekatholisierung, den dreißigjährigen Krieg, die Enteignung und die Massenemigration, die die Wirtschaft des Landes auf Jahrhunderte zurückgeworfen hat. Aber auf der anderen Seite, der Schweinsbraten mit Knödel, Kraut und Bier ist geblieben.

Montenegro – Binnenland II

Nach Petar I. bestieg den Thron sein Neffe Petar II. Petrovič Njeguš. Der wird von Montenegriner als „Pater Patriae“, also der Landesvater verehrt, aber nicht nur sie verehren ihn, auch bei Serben genießt er großen Respekt. Im Jahr 1982 war ich als Student in Montenegro und ich schloss Freundschaft mit einem Serben, der dort seinen Urlaub machte. Er ließ sich nicht abweisen, er wollte mich unbedingt zum Grab von Petar Petrovič Njeguš auf den Berg Lovčen, genauer gesagt auf einen der Gipfel dieses Nationalparks namens „Jezerni Vrh“ bringen. Die Tatsache, dass seine Gattin an einer Kinetose litt und sich in den zahlreichen Kehren auf dem Weg zum Gipfel in der Höhe über 1800 Meter über dem Meer (wir starteten logischerweise auf der Seehöhe Null) immer wieder übergeben musste, konnte ihn in seinem Verlangen, dem Ausländer das nationale Heiligtum zu zeigen, keinesfalls hindern, die arme Frau wurde von ihm aber häufig streng ermahnt, sich vor dem Fremden nicht so beschämend zu verhalten.

Diesmal fuhr ich mit meiner Frau hin und, obwohl sie ebenso an einer Kinetose leidet, meine rücksichtsvolle Fahrweise ermöglichte ihr den Besuch von „Jezerni vrh“ ohne Übelkeit.

               Auf dem Gipfel von „Jezerni vrh“ gibt es ein gigantisches Mausoleum, in dem der Vater des Landes bestattet ist. Es zahlt sich aus, in den Frühmorgenstunden hinzufahren, da es hier nicht genug Parkplätze gibt. Petr Petrovič ist hier in einer nachdenklichen Pose unter dem montenegrinischen Adler dargestellt, vom Gipfel des Berges kann man tatsächlich beinahe das ganze Land sehen. Von der Bucht von Kotor bis zum Skadarsee, man kann Cetinje unter dem Berg sehen, in der Ferne dann Podgorica und am Horizont eine hohe Bergkette mit dem höchsten Berg des Landes „Babin Kuk“. Petar Petrovič wacht von hier über sein Volk. Österreicher ließen ihn während des ersten Weltkrieges exhumieren und nach Cetinje überstellen, gleich nach dem Ende des Krieges brachten ihn aber Montenegriner zurück in sein Mausoleum, wo er bis heute ruht.

Petar Petrovič wurde von seinem Onkel nach Europa zum Studium entsandt. Er studierte in Wien und danach in St. Petersburg. Nach der Rückkehr ins Land und der Machtübernahme begann er im Lande bis dahin ungeahnte Reformen einzuführen. Er führte das Geld ein (man schrieb das Jahr 1830!!!), den Buchdruck, erste Schulen aber auch Steuern. Das gefiel den Montenegrinern nicht unbedingt, als er aber aus diesem Geld Straßen gebaut, die Post und ähnliche verlockende kulturelle Neuigkeiten eingeführt hatte, konnten sie sich damit letztendlich irgendwie abfinden. Petar II. baute in Cetinje einen Palast, der an die Zeit der Renaissance erinnert, ich dachte selbst, dass es sich um ein Gebäude aus dem sechzehnten Jahrhundert handelte – es war aber nicht.

Petar Petrovič lernte in Russland Billard zu spielen und das wurde zu seiner größten Leidenschaft. Er lud in den Palast örtliche Stammesführer ein, um mit ihnen Billard zu spielen, deshalb bekam der Palst seinen Namen, den er bis heute trägt – Billardia. Das Billard des Fürstbischofs Petar blieb erhalten und man kann es gleich in einem der ersten Räume des Palastes bewundern.

Der größte Verdienst gebührt allerdings Petar Petrovič für die Kodifizierung der serbischen Sprache. Er war selbst ein Dichter und Schriftsteller und wollte in der Muttersprache schreiben können. Nicht nur von dem Wortschatz, aber auch, weil er die Regel der Grammatik aus Russland importierte, ist Serbisch Russisch sehr ähnlich. Die Serben akzeptieren, dass der Vater ihrer Sprache ein Montenegriner war. Vielleicht auch deshalb ist das Verhältnis der Montenegriner zu den Serben gespalten. Die Reiseführerin in der Billardia bezeichnete zwar die Serben als eine Okkupationsmacht, in Wirklichkeit hatten aber die Montenegriner keine große Lust, sich von Serbien zu trennen. Wie ich schon schrieb, diese Volksabstimmung wurde durch die Stimmen der moslemischen Albaner in der Region Ulcinj entschieden.

               In Cetinje hat der montenegrinische Präsident seinen Sitz, es gibt hier auch Regierungsgebäuden, obwohl die Hauptstadt Podgorica ist, wo auch das montenegrinische Parlament tagt. Natürlich darf in Cetinje der königliche Palast nicht fehlen.

               Nach dem Tod von Petar Petrovič am 31.Oktober 1851 bestieg den Bischofsthron sein Neffe Danilo. Dieser entschied sich aber, der Praxis der Fürstbischöfe ein Ende zu machen, möglicherweise auch deshalb, weil er sich in eine bestimmte Darinka Kvekič verliebt hatte. Im Jahr 1852 verzichtete er also auf das Amt des Bischofs und rief ein weltliches Fürstentum aus. Seine Reformen, die das Land zu sehr an Westen annähern sollten, missfielen den Montenegrinern und Danilo wurde im Jahr 1860 in Kotor ermordet. Zum Fürsten wurde sein minderjähriger Sohn Nikola, die Regierungsgeschäfte führte aber in seinem Namen Danilos Bruder Mirko Petrovič – richtig, der, dem in Podgorica der Obelisk auf dem Hauptplatz errichtet wurde. Er führte nämlich lange Jahrzehnte die Montenegriner in die Kämpfe gegen Türken bis endlich im Jahr 1878 auf dem Berliner Kongress ein unabhängiges Königtum Montenegro entstand und Mirkos Neffe Nikola zum ersten (und letztem) montenegrinischen König wurde.

               Nikolas Palast, der so genannte „Blauer Palast“ in Cetinje ist ziemlich bescheiden, aber mit Geschmack eingerichtet. An den Wänden hängen Bilder bedeutsamer Mitglieder der Njeguš-Familie.

Natürlich auch die Bilder von Nikola und seiner Frau Milena. Milena war ein ganz einfaches Mädchen, das zuerst am fürstlichen Hof erzogen werden musste, bis sie die Sitten der Oberschicht gelernt hatte und erst dann durfte sie Nikola heiraten. Ihre einzige Qualifikation für den Titel einer Königin war ihre Schönheit, sie genoss den Ruf des schönsten Mädchens im Lande. Der temperamentvolle Nikola zeugte mit ihr zwölf Kinder, davon neun Töchter! Neun Töchter in gute Familien zu verheiraten ist keine einfache Aufgabe, Nikola schaffte es aber.  Nicht umsonst verdiente er sich dadurch seinen Spitznamen „Schwiegervater Europas“. Er konnte dadurch nicht nur mit der russischen Zarenfamilie, sondern auch mit den königlichen Häusern in England oder in Italien familiäre Beziehungen anknüpfen. Seine Lage wurde dadurch erleichtert, dass seine Töchter eine schöner als die andere waren, einige Räume im Palast tragen noch ihre Namen.

               Das größte Gebäude in Cetinje ist „Vladim Dom“ aus dem Jahr 1910, das zur Krönung Nikolas I. gebaut wurde.

Heute befindet sich in diesem Haus ein historisches und ein kunsthistorisches Museum. Zwischen Bildern der Mitglieder der montenegrinischen Königsfamilie findet man auch Werke von Picasso, Chagall oder Dali, historisch am meistens interessant ist allerdings die Ikone „Madona aus Philermon“. Diese heilige Schutzpatronin des Ordens der Malteserritter hat ein sehr bewegtes Schicksal hinter sich. Die Johanniter erwarben sie irgendwann im zwölften Jahrhundert, im Jahr 1291 nach dem Fall von Akko brachten sie die Ikone nach Rhodos und als sie die Insel im Jahr 1530 räumen mussten, packten sie das Bild ein und nahmen es mit nach Malta. Im Jahr 1798 besetzte Malta Napoleon mit seiner revolutionären Armee, die zu Religion und besonders zu heiligen Reliquien keine besonders positive Beziehung hatte. Um die Ikone vor der Zerstörung zu schützen, brachten sie die Ritter nach St. Petersburg. Im Jahr 1917 wurde sie wieder einmal von Revolutionären bedroht, diesmal von den kommunistischen, und wurde wieder evakuiert. Nach Zwischenstopps in London und Kopenhagen landete sie letztendlich in Beograd, wo sich der Sitz des Patriarchen der serbischen orthodoxen Kirche befand. Als im Jahr 1941 Serbien von Einheiten der deutschen Wehrmacht überrollt wurde, wurde die Ikone in montenegrinischem Kloster Ostrog untergebracht. Seit dem Jahr 1952 befindet sie sich in Cetinje, aber nur seit dem Jahr 2002 ist siefür die Öffentlichkeit zugänglich – in einem eigenen Raum – so genannter „Blauen Kapelle“.

               Das Kloster Ostrog, das in einen Felsen reingebaut wurde, gehört zum Pflichtprogramm des Besuches von Montenegro, es befindet sich auf dem Weg zu zweitgrößter Stadt Montenegros Nikšič. Bis nach Nikšič unbedingt zu fahren ist aber nicht notwendig, zum Schauen gibt es dort nicht viel (noch weniger als in Podgorica) und das einzige montenegrinische Bier „Nikšičko pivo“, übrigens von guter Qualität, bekommt man in Montenegro überall.

               Auf dem Weg von Podgorica in Richtung Meer fährt man am Skadarsee vorbei. Der See an der Grenze zu Albanien ist geteilt, zwei Drittel gehören Montenegro und ein Drittel Albanien. Wir hatten eigentlich vor, eine Rundreise um den See mit einem Besuch der albanischen Stadt Skadar zu machen. Das war aber nicht einfach. Auf dem Weg nach Süden gab es zuerst eine Abzweigung nach Skadar, die uns zuerst auf einen engen Weg zwischen Häusern führte, wo man den entgegenkommenden Fahrzeugen in die Höfe und Ausfahrten ausweichen musste. Hier gab es aber zumindest Asphalt. Nur dann plötzlich zeigte der Wegweiser steil hinauf auf einen wahnsinnig steilen Berg und dort sah ich nur mehr eine desolate Betonfläche mit riesigen Löchern und Stücken herausragendes Betons und ich beschloss, dass die Fahrt auf diesem Belag mein Auto nicht unbedingt überleben würde. Ich entschloss mich einen Umweg über Ulcinj zu machen. Dieser Weg war zwar länger, ich dachte aber, er wäre besser. Das war er nicht. In Ulcinj versperrten uns den Weg zwei quer abgestellte Autos der montenegrinischen Straßenarbeiter. Sie teilten uns trocken mit, dass die Straße in Folge von Reparaturarbeiten gesperrt sei. Umfahrung? Fehlanzeige! Also mussten wir ähnlich wie eine Reihe weiterer Touristen aus der Ukraine, Deutschland und dem Niederlande unsere Reise nach Albanien aufgeben. Statt dessen besuchten wir Podgorica, was – wie ich schon erwähnt habe – eine kleine Ehekrise zu Folge hatte. Zum See kamen wir aber trotzdem, und zwar bei Vizapar, einem Städtchen, das nur von Touristik lebt. Ungefähr zwanzigmal wurde uns ein Bootausflug auf dem See angeboten, aus Zeitmangel lehnte ich ab. Der See ist schön, groß, blau bis dunkelgrün. Er wird von einer Straße und der Eisenbahn, die Beograd mit Bar verbindet, durchquert. Wie bereits erwähnt, fuhr ich im Zug über den See schon einmal im Jahr 1982, als die Strecke sechs Jahre alt war. Auf dem Damm sieht man noch eine traurige Erinnerung an den türkisch-montenegrinischen Konflikt – die Ruinen der Festung Lesendro. Diese Festung ließ der Vater der Nation, Petar Petrovič, bauen. Aber noch vor ihrer Fertigstellung wurde die Festung von türkischen Truppen eingenommen und zerstört. Petar Petrovič zog sich also frustriert nach Cetinje zurück und schrieb Gedichte.

               Es hat vielleicht doch etwas für sich, wenn der Landesvater ein Dichter ist. Sogar bei einer Nation, die während ihrer Geschichte nichts anderes als Kriege, Leiden und Armut kannte. Heute entwickelt sich das Land in eine positive Richtung. Ob bei dieser Entwicklung der Rubel oder das Euro die entscheidende Rolle spielt, traue ich mich nicht abzuschätzen.

Montenegro – das Binnenland I

               Die Geschichte dieses kleinen Landes spielte sich nicht an der Küste ab, wo heutzutage das Leben und der Tourismus blühen, sondern im Inneren des Landers. Übrigens bis zum Jahr 1878 hatten die Montenegriner keinen Zugang zum Meer.

               Also wenn man das Land besser kennenlernen möchte, muss man die Küste verlassen. Heute erleichtert den Zugang in das Innenland ein Straßentunnel zwischen Čanj und Podgorica, durch den man für eine mäßige Gebühr von 2 Euro die Hauptstadt des Montenegros in einer guten halben Stunde erreichen kann. In den Zeiten vor der Fertigstellung dieses Tunnels gab es nur eine schlechte Straße, die bei Petrovac in die Berge abbog und an dem Skadarsee vorbei über Vizapar nach Podgorica führte – dieser Weg verlangte mehr als die doppelte Fahrzeit. Immerhin gab es aber bereits seit 1904 eine Schmalspureisenbahn zwischen Bar und Vizapar und im Jahr 1976 wurde die Eisenbahnverbindung Beograd-Bar fertiggestellt, die ich persönlich bereits im Jahr 1982 nutzen durfte.

               In der Meinung über die montenegrinische Hauptstadt Podgorica waren meine Frau und ich nicht ganz einig. Ich vertrat die Meinung, dass es dort nicht viel zu sehen gäbe, sie war dagegen überzeugt, dass es dort GAR NICHTS gab.  Wie meine Leser wissen, in diesen Streitereien mit meiner geliebten Gattin behalte ich meistens recht, schon deshalb, weil ich es bin, der darüber schreibt. Und wenn man sucht, findet man sogar in Podgorica etwas Sehenswertes, obwohl es – in diesem Punkt gebe ich meiner Frau recht – nicht einfach ist. Natürlich findet man dort nicht viel Historisches, die Stadt lag ständig an der Frontlinie zwischen Türken und Montenegrinern und wurde mehrmals zerstört, das letzte Mal im zweiten Weltkrieg, als hier verbitterte Kämpfe zwischen den Tito-Partisanen und der deutschen Wehrmacht tobten (ich kann mich aus meiner Kindheit an einen unglaublich brutalen Film „Die Schlacht an der Neretva“ erinnern, der den Kampf der Partisanen um einen Durchbruch nach Norden zu den Hauptstreitkräften der Tito-Armee schilderte, in dem der Fluss Neretva ein todbringendes Hindernis darstellte. Dank dieses Filmes konnte ich einige Nächte danach nicht schlafen). Zu Ehre des jugoslawischen Führers bekam die Stadt nach dem zweiten Weltkrieg den Namen Titograd und kehrte erst im Jahr 1992 zu ihrem ursprünglichen Namen Podgorica zurück.

               Das Stadtzentrum teilt sich in die Altstadt (Stary Varoš) und die Neustadt (Novy Varoš) auf. Die Altstadt ist tatsächlich eigenartig. Wo sonst findet man im Zentrum der Hauptstadt einen Hühnerstall mit lebenden Hühnern und Esel auf der Hauptstraße? Von der Bedeutungslosigkeit Podgoricas in der Zeit der türkischen Vorherrschaft zeugt eine bescheidene Moschee mit einem Minarett, obwohl aus dieser Zeit die einzige historische Sehenswürdigkeit der Stadt stammt – nämlich der Uhrturm „Sahat Kula“.

Von der türkischen Festung am Zusammenfluss der Flüsse Morača und Ribnica blieb nur ein kleines Stück der Befestigungsmauer übrig. Es reicht ein Blick auf diese „Sehenswürdigkeit“ vom Stadtpark mit einer großen Reiterstatue des Königs Nikola I. aus, um zu verstehen, dass sich ein Übergang des Flusses (eher eines Baches) Ribnica aus diesem Grund sicher nicht lohnt.

               Imposant ist die Milleniumsbrücke über den Fluss Morača und im Stadtzentrum der „Trg nezavisimosti“, also „Unabhängigkeitsplatz“ im Stil der kommunistischen Architektur und mit einer Fontäne in der Mitte und mit einem Obelisken, der zu meinem Erstaunen nicht Tito und seine Partisanen ehrt, wie man erwartet hätte, sondern dem Kämpfer gegen die Türken, dem Onkel des Königs Nikola I., Mirko Petrovič Njeguš gewidmet ist.

Aber immerhin fanden wir in der Neustadt die russische und die deutsche Botschaft, eine Reihe von Cafes und Restaurants, das Hotel Hilton, die Nationalbank (ich habe zwar nicht verstanden, wozu Montenegro diese Institution hat, wenn es keine eigene Emissionspolitik betreiben darf, aber so etwas gehört sich einfach), ein großes modernes Nationaltheater mit einer Statue Petars II. Petrovič Njeguš vor dem Gebäude – wer sonst könnte dort sein? Darüber aber ein bisschen später.

               Bitte, den Königspalast nicht vergessen! Am Ufer der Morača in einem großen Park unweit des Zentralkrankenhauses findet man einen ziemlich bescheidenen Palast der Familie Njeguš. König Nikola ließ diesen Palast als Geschenk für seinen Sohn Mirko bauen, Mirko mochte aber Podgorica – ähnlich wie meine Gattin – nicht, und wollte nicht in den Palast ziehen. Im Jahr 1916 hatte er aber keine Wahl. Montenegro wurde von österreichischen Truppen überrollt, Prinz Mirko geriet in die Gefangenschaft und er wurde in dem Palast, den sein Vater für ihn bauen ließ und den er nicht mochte, interniert. Sein Schicksal holte ihn also ein.

               In der Zeit vor der türkischen Expansion gab es auf dem Gebiet Montenegros ein Königreich namens Zeta, wo die Familie Crnojevič herrschte. Sie war eng mit dem serbischen Königreich verbunden und in der schicksalhaften Schlacht auf dem Amselfeld kämpften und starben also Montenegriner an der Seite der Serben. Danach gerieten sie unter einen gewaltigen türkischen Druck. Die Crnojeviči versuchten vergeblich, eine Koalition mit der Familie des albanischen Heros Skanderbeg zu bilden, die den Türken Paroli bieten könnte. Der letzte der Dynastie Ivan Crnojevič bemühte sich vergebens, seine Stellung in der Ebene unter den Bergen zu festigen, es gibt hier sogar zwei seiner Hauptstädte Žabjak und Rijeka Crnojeviča, die beide unter dem Druck der türkischen Truppen zugrunde gegangen sind. Heute sind sie kleine romantische Dörfer. Ivan Crnojevič konnte sich gegen die türkische Übermacht nicht halten und musste sich in die Berge zurückziehen, wo er im Jahr 1482 die Stadt Cetinje gründete und danach die Rettung in Italien suchte. Wenn man die geographische Lage Cetinjes wahrnimmt, kann man sich vorstellen, in welcher verzweifelten Lage sich Crnojevič befand, als er sich entschied, von diesem „Niemandsland“ aus zu regieren. Er konnte sich aber nicht einmal hier halten, die Armee der „Hohen Pforte“ war viel zu mächtig und die Dynastie der Crnojevič fand im Jahr 1499 ihr Ende. Ivan hat in Cetinje eine Statue – er war doch der Gründer der Stadt.

               Die Türken zeigten nie besonderes Interesse in diesem unfruchtbaren Land direkt zu herrschen. Das roch nach viel undankbarer Arbeit und wenig Gewinn. Aus diesem Grund schlossen sie einen Vertrag über eine vorteilhafte Zusammenarbeit mit den örtlichen Bischöfen. Diese regierten im Land unter dem Berg Lovčen als türkische Vasallen, sie zahlten Steuern nach Istanbul und hatten von den Türken mehr oder weniger Ruhe. Im siebzehnten Jahrhundert besetzte das Amt des Bischofs die Familie Njeguš. Danilo Petrovič, der erste aus der Reihe der Bischöfe aus dieser Familie, ließ in Cetinje ein gewaltiges Kloster bauen, das auch das Zentrum der Macht war – und das steht bis heute.

Er musste es sogar dreimal bauen, da in den Jahren 1698 und 1712 das Kloster von den Türken dem Erdboden gleich gemacht wurde. Das Kloster ist eine Dominante der Stadt auch heute und wenn man Cetinje besucht, muss man es einfach besuchen. Das Mausoleum Danilos steht auf einem Hügel über dem Kloster, ein Aufstieg zu ihm ist eine kleine sportliche Leistung. Die Macht ging regelmäßig vom Onkel auf den Neffen über, da die orthodoxen Priester zwar heiraten dürfen, nicht aber die Bischöfe. Im Jahr 1784 bestieg den Thron der Fürst Bischof Petar I. Es gelang ihm nicht nur die zerstrittenen montenegrinischen Stämme zu einigen, sondern sogar so etwas wie ein Staatsgebilde zu gründen. Er konnte sehr geschickt zwischen Türken, Russen und Franzosen, die in dieser Zeit Dalmatien besetzten, manövrieren. Das Angebot Napoleons, ein serbischer Patriarch unter französischem Schutz zu werden, lehnte er aber dankend ab. Nach seinem Tod im Jahr 1830 wurde er heiliggesprochen und sein Leichnam befindet sich im Kloster in Cetinje, das seinen Namen trägt. Wir waren Zeugen, als eine Frau einen Mönch bat, den Leichnam des Heiligen sehen zu dürfen.  Er brachte sie zum Sarg und klappte den Deckel auf, der Leichnam Petars I. befindet sich im Sarg unter einer Glasscheibe. Die Frau warf sich auf das Glas, sie umarmte und küsste es, es war für uns ein etwas ungewöhnlicher Beweis des Kultes des Heiligen. Wir weigerten uns, die Dame in dieser Tätigkeit nachzuahmen, obwohl uns der Mönch dazu aufgefordert hat.

Montenegro Küste II

Mit ein bisschen Glück und Impfbereitschaft würde man heuer hoffentlich wieder reisen dürfen. So möchte ich meine Serie der Urlaubsdestinationen fortsetzen.

Im Norden von Montenegro befindet sich der größte Fjord in Südeuropa „Kotorski zaliv“ . Wenn man von Norden kommt – und das ist die Regel – kann man die Bucht an ihrer engsten Stelle mit einer Fähre für 4 Euro überqueren, die Bucht zu umfahren ist nämlich eine unendliche Angelegenheit. Von Süden erreicht man Kotor leicht durch einen Tunnel und man kann ein Stück Geschichte erleben, wenn nicht gerade im Hafen der Stadt Kreuzfahrtschiffe anlegen – und das tun sie leider ziemlich häufig. In diesem Fall ist das Städtchen, eingeklemmt zwischen Felsen und Meer in kürzester Zeit hoffnungslos überfüllt. Ich entschied mich für acht Euro einen Aufstieg auf die Stadtmauer zu kaufen, ohne zu ahnen, dass der Weg zur Festung führt, die sich in einer Höhe von 200 Meter über dem Meeresspiegel befindet – Sie ahnen richtig, die Stadt hat eine Meereshöhe von Null.

Die zweihundert Höhemeter in der adriatischen Hitze zu bezwingen ist keine einfache Sache. Ich schaffte es, meine liebe Gattin gab in der Mitte auf. Natürlich gibt es jede paar Meter eine Erfrischungsstation mit einem Montenegriner, der überteuerte gekühlte Getränke verkaufte. Wenn man dann endlich den Gipfel erreicht, wird man von einer Anschrift „Hladna Piča“ begrüßt, Gott sein Dank mit einer englischen Übersetzung „Cold drinks“. Für einen tschechischen Touristen war diese Übersetzung eine sehr wichtige Sache, um zu wissen, was auf ihn in der Festung wartet – „Piča“ auf Tschechisch ist nämlich eine nicht gerade salonkonforme Bezeichnung des weiblichen Geschlechtsorgans. Und „hladna“ bedeutet auf Tschechisch hungrig, also keine besonders schöne Vorstellung. So viel also zur Ähnlichkeit der slawischen Sprachen.

Die Türken belagerten Kotor gleich drei Mal, aber immer erfolglos, was mich nicht überrascht. Wer möchte schon die zweihundert Meter den Felsen hinaufklettern, wenn er dort anstatt von kühlen Getränken von Männern mit geladenen Musketten erwartet würde? Da könnten sie mich auch…

Kotor stellte sich im fünfzehnten Jahrhundert freiwillig unter den Schutz von Venedig und blieb hier bis zum Jahr 1797, als es dann unter die Verwaltung des Österreichischen Kaiserreichs kam. Einmal hat auch der berühmte türkische Pirat Ahmedin Barbarossa versucht, die Stadt einzunehmen, aber auch er biss sich die Zähne aus. Sogar im Jahr 1571, in der Zeit der größten türkischen Offensive, als Cyprus, Bar und Ulcinj in die türkischen Hände fielen, schaffte es Kotor sich erfolgreich zu verteidigen. Bei einem Blick auf seine Stadtmauern, die zwanzig Meter hoch und sechzehn Meter dick sind, wundert man sich eigentlich nicht.

Matrosen von Kotor kämpften auch im Oktober 1571 bei Lepanto, wo die vereinte christliche Flotte unter der Führung von Juan d´Austria die türkische Seemacht endlich brechen konnte. An diese Helden erinnert eine Gedenktafel an der Mauer eines der Paläste von Kotor.  

Die Stadt ist wortwörtlich eingekeilt in einen winzigen Raum zwischen dem Meer und dem Felsen und hat drei Tore, des Nordtor, das Südtor (das schwer zu finden, weil unter dem Felsen versteckt ist und „Glavna gradska vrata“, also Das Haupttor, durch das man den Hafen betritt, und einige Kirchen.

Nordtor von Kotor

Natürlich, dass die größte davon „Sankt Nikola“ orthodox ist, gebaut am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts in neobyzantinischem Stil, die Fresken im Kircheninneren sind ein Geschenk des Patriarchen von Moskau. Neben dieser großen Kirche gibt es noch eine Dominante, die katholische Kirche des heiligen Trifons. Sie ist eine Erinnerung an die venezianische Vergangenheit der Stadt. Wie auch sonst überall, wo Venezianer in Montenegro waren, hinterließen sie ihre Spuren in der Gestalt des katholischen Glaubens und diese Spuren reichen noch weiter nach Süden nach Nordalbanien in die Region um Skadar. Die leiblichen Überreste des heiligen Trifons wurden nach Kotor anfangs des neunten Jahrhunderts von Konstantinopel gebracht und seitdem ist der Heilige der Patron der Stadt. Seine Gebeine sind in einem Sarkophag in der Kirche aufbewahrt, an dem man Spuren vieler Erdbeben sehen kann, die sich in dieser Gegend ungefähr alle hundert Jahre wiederholen. Die Innenausstattung der Kirche ist nur rudimentär, obwohl Kotor sowie auch Budva im Jahr 1979 von UNESCO in das Weltkulturerbe aufgenommen und dann für das Geld dieser Organisation wiederaufgebaut wurden. Übrigens die Kirche des heiligen Trifons hat schon schlimmere Zeiten überstanden. Bei einem Erdbeben im Jahr 1667 stürzten beide Kirchentürme ein und mussten wieder aufgebaut werden. Von der Terrasse zwischen den Türmen gibt es einen schönen Blick auf den Platz mit dem Gebäude der ehemaligen österreichischen Admiralität. Von hier aus gebärdeten sich Österreicher als Matrosen und in einer Seeschlacht konnten sie sogar gewinnen – über wen sonst, als über die Italiener. Es war im Jahr 1866 in der Schlacht bei Lissa, aber nicht einmal dieser österreichische Sieg konnte etwas an dem Ausgang dieses Krieges ändern, da dieser bei Königsgraz in der Schlacht gegen Preußen entschieden wurde. Die Schiffsglocke des Flaggschiffes der österreichischen Flotte „SMS Erzherzog Ferdinand Max“ befindet sich seit dem Jahr 1975 im Turm der Kirche des Krankenhauses der Barmherzigen Brüder in Graz.

In Kotor gibt es mehrere kleine liebe Kirchen wie „Sveta Maria Koledata“ oder „Sveti Pavle“ oder gleich neben dem Sankt Nikola eine unauffällige, aber schöne „Sankt Luka“. Über die seefahrerische Tradition von Kotor informiert „Pomorski muzej“ in „Palata Grgutina“ mit Schiffmodellen, der Geschichte der Seefahrt von Kotor und Bilder berühmter Landsleute, die es auf den Weltmeeren weit gebracht haben. Wie zum Beispiel der Admiral Matej Zmajevic, der es bis zum Oberkommandanten der russischen Kriegsflotte gebracht hat. Er wurde zwar nicht direkt in Kotor, sondern in dem nicht weit entfernten Perast geboren, die Menschen von Kotor halten ihn aber eigentlich für einen gebürtigen Kotoraner). Der Hauptplatz gleich hinter dem Tor in den Hafen heißt zwar offiziell „Trg oktobarskej revolucie“ also „Platz der Oktoberrevolution“, die Kotoraner kennen ihn aber eher als „Trg Oružia“, also „Waffenplatz“.

Die Dominante ist der Uhrturm, den hier die Venezianer am Anfang des siebzehnten Jahrhunderts errichten ließen, über ddem Tor sieht man als eine Erinnerung an die Einnahme von Kotor durch die jugoslawischen Partisanen im Jahr 1944 dann einen Zitat von Tito „Fremdes wollen wir nicht, Unseres geben wir nicht ab“.

Im Hafen kann man einen Bootausflug in die Bucht kaufen, wobei man auch die Halbinsel Luštica mit der alten österreichischen Festung Mamula besuchen kann. Diese Festung wird gerade in ein Luxushotel umgebaut. Man kann auch die unterirdischen Katakomben in den Höhlen besuchen, wo österreichische U-Boote ihr Versteck fanden und wo man noch heute österreichischen kaiserlichen Wappen als eine Erinnerung an diese Zeiten finden kann. Zu meinem Erstaunen hatten alle Reisebüros, die diese Ausfluge anboten, gleiche Abfahrtzeiten und zwar um elf vormittags und um drei nachmittags, nichts dazwischen. Was in der Praxis bedeuten müsste, dass alle Schiffe gleichzeitig in See stechen und dann gleichzeitig ans Ziel kommen. Im Programm war auch das Baden im Meer. So etwas kennen wir schon von La Maddalena auf Sardinien, also danke, brauche ich nicht. Obwohl für mich der Besuch alter österreichischen Arsenale verlockend war.

Die südlichste Küstenstadt Montenegros ist Ulcinj, ehemaliges Dolcinea. Erinnert euch der Name an etwas? Zum Beispiel an die Traumschönheit von Don Quijote Dulcinea? Nein, es ist kein Zufall, in Ulcinj verbrachte Miguel Cervantes fünf Jahre in Gefangenschaft der Piraten und der Name der Stadt inspirierte ihn offensichtlich, um der unerreichten schönen Dame in seinem Roman den Namen zu verleihen.

Heute gibt es hier natürlich das Hotel „Dulcinea“ und eine Statue von Cervantes in einem Hotel namens „Palata Venezia“, wo er angeblich gefangen gehalten wurde – damals gab es auf dieser Stelle sicherlich noch kein Luxushotel. Ulcinj war ein Piratennest, so etwas wie adriatische Tortuga. Im Jahr 1571 fiel es in türkische Hände, was einer der Gründe für die christliche Gegenoffensive war, die mit der Niederlage der türkischen Seemacht bei Lepanto geendet hat. Die Küste von Montenegro blieb dann türkisch bis zum Jahr 1878, Ulcinj selbst wurde nach längerem hin und her letztendlich im Jahr 1880 von der Türkei an Montenegro abgetreten.

Ulcinj ist sehr malerisch und vollständig auf den Fremdverkehr orientiert. Die Altstadt ragt auf einem Felsen über dem Stadtstrand und vielen Gassen mit Geschäften, Hotels und Appartements empor.

Auf dem höchsten Punkt der Altstadt gibt es dann eine Festung mit Museum. Der Vorteil für Touristen sind hier ziemlich niedrige Preise. Die meisten Gäste der überwiegend moslemischen Ortsbevölkerung sind nämlich Albaner aus dem Kosovo und ihre Kaufkraft ist nicht sehr groß. Zu meiner Überraschung parkten in den Straßen von Ulcinj nicht wenige Autos mit amerikanischen Kennzeichen, besonders aus den Staaten New York und New Jersey. Die Albaner kehren offensichtlich nach Hause auch mit ihren auf der anderen Seite des Atlantiks gekauften Fahrzeugen zurück. Übrigens, es waren gerade die Albaner aus der Ulcinjregion, die die entscheidende Kraft bei der Volksabstimmung über die Unabhängigkeit Montenegros von Serbien waren. Während die slawischen Montenegriner mehrheitlich für Verbleib in der serbisch-montenegrinischen Föderation gestimmt haben, die Albaner im Süden des Landes waren in 80% der Stimmen für die Abspaltung. Das war dann entscheidend.

Das Baden direkt in Ulcinj würde ich nicht unbedingt empfehlen. Der Strand ist überfüllt, die Frauen baden hier nach dem muslimischen Brauch angezogen.

Aber nur ein paar Kilometer südlich der Stadt gibt es einen langen, langsam abfallenden Sandstrand, ideal für das Baden auf die Art, die meine Frau liebt. Es gibt mehrere Zufahrten zu diesem Strand und seine einzelnen Teile haben unterschiedliche Namen wie „Pearl Beach“, „White Beach“ oder sogar „Copa Cabana“. Und alle sind sehr schön.

Am südlichsten Ende dieses Strandes, fünfzehn Kilometer südlich vom Ulcinj, gibt es dann in der Mündung des Flusses Bojana der berühmte FKK Camp mit dem Strand Ada Bojana, wo bereits einige Filme gedreht wurden. Die besten Zeiten hat allerdings diese Anlage schon hinter sich und sie ist bereits sanierungsbedürftig geworden.

Übrigens, sollten Sie Ulcinj besuchen und in die Altstadt aufsteigen, kann ich Ihnen das Restaurant Antigona empfehlen. Es ist ein neugebautes Restaurant auf einer Terrasse über das Meer mit einem atemberaubenden Ausblick.

Die Preise sind, wie es in Ulcinj der Brauch ist, erschwinglich, wir aßen und tranken mit meiner Frau für einen Gesamtpreis von 20 Euro. Die Bedienung war höchst professionell und der Restaurantbesitzer, ein junger Mann namens Albert, sprach vielleicht alle Sprachen der Welt, um seinen Gästen das Gefühl zu übermitteln, dass sie willkommen seien und von ihm persönlich betreut werden. Es bleibt nur zu hoffen, dass der liebe Albert durch die Coronakrise gut durchgekommen ist und seine Dienste auch weiter anbieten kann.

Montenegro ist natürlich nicht nur die Küste, sondern auch das Innenland. Danach hat doch das Land seinen Namen bekommen. Aber darüber das nächste Mal.

Montenegro -Küste I

               Die Geschichte von Montenegro ist kompliziert, aber auch interessant – vor allem aber ziemlich kurz. Trotzdem stößt man auf ältere Relikte, die aus der Zeit des Fürstentums Zeta stammen, das einmal auf dem Gebiet von Montenegro lag oder auf Spuren der venezianischen oder türkischen Herrschaft – das alles verleiht diesem exotischen Land sein spezifisches Flair.

               Montenegro war immer mit seinem mächtigen Nachbarn im Osten – Serbien – verbunden. Deshalb kämpften die Montenegriner auf serbischer Seite in der Schlacht gegen die Türken auf dem Amselfeld im Jahr 1389 und gemeinsam mit ihnen erlitten sie eine katastrophale Niederlage. Es dauerte trotzdem noch mehr als hundert Jahre, bis sie von den Türken beherrscht wurden und auch das niemals vollständig. Der Grund dafür sind die geographischen Verhältnisse – was sollte die Hohe Pforte mit einem Land zwischen hohen Bergen mit einem steinigen unfruchtbaren Boden schon anfangen? Sollten hier türkische Soldaten sterben, nur damit sich jemand vor dem Sultan beugen würde? Die Türken hatten andere Sorgen und die waren die von Venezianern kontrollierte adriatische Küste.

               An der Küste von Montenegro befinden sich vier Städte (die fünfte ist Herzeg Novi, um die zwar damalige Weltmachten auch kämpften, wovon die spanische Festung in dieser Stadt zeugt, diese Stadt erreichte aber nie die Bedeutung ihrer Nachbaren und auch in der heutigen Touristik spielt eine untergeordnete Rolle.) Jede Stadt ist anders und jede hat eine andere Bedeutung. Wir schauen uns also die übrigen vier an.

               Bar ist eine moderne kleine Stadt mit einem industriellen und einem militärischen Hafen, die dank der Eisenbahn, durch die sie mit Beograd verbunden ist, eine ökonomische Schlüsselposition in der montenegrinischen Wirtschaft besitzt.

               Budva ist wahrscheinlich die schönste der montenegrinischen Städte und ist ein inoffizielles Zentrum der Touristik mit einem beeindruckenden Nachtleben.

               Kotor hat ein melancholisches Flair, besonders für Menschen, die auf dem Gebiet der ehemaligen Donaumonarchie aufwuchsen, hier war einmal die österreichische Seemacht stationiert.

               Ulcinj als die südlichste montenegrinische Stadt hat schon einen anderen, eher albanischen Charakter und sie ist ein Zentrum der Badetouristik, besonders auf der „Velika Plaža“ also auf dem „Großen Strand“ südlich der Stadt, der 13 Kilometer lang ist.

               Wir starteten unseren Besuch dieser Städte in Bar, schon deshalb, weil hier der nächste Supermarket und der nächste Bankomat war. Bar ist eine moderne Stadt mit 13 000 Menschenseelen, also klein, aber ziemlich lieb. In Bar gibt es den industriellen Hafen, hier liegt vor Anker aber auch die ganze montenegrinische Militärflotte und den Hafen in Bar (alternativ auch in Kotor) müssen alle privaten Jachten anfahren, um sich hier registrieren zu lassen und die Eintrittsgebühren in das Land zu bezahlen. Bar hat ein winziges Stadtzentrum, zwei riesengroße Kirchen, wobei die orthodoxe wirklich imposant ist.

Es ist ein gigantischer moderner Bau, der in seinem Inneren der orthodoxen Tradition folgend bis zum letzten Zentimeter mit Fresken bedeckt ist. Vor der Kirche befindet sich eine Büste des Königs Nikola I., der Bar für Montenegro im Jahr 1878 eingenommen hat. König Nikola, dem wir noch oft begegnen werden – er war der einzige montenegrinische König – baute in Bar seine Sommerresidenz. Es ist eine elegante Villa in klassizistischem Stil direkt an der Küste inmitten eines kleinen, aber schönen Parks mit einem Restaurant.

Der König hatte dafür nicht viele Orte zu Auswahl. Im Jahr 1878 wurde Montenegro an der Küste lediglich die Stadt Bar zugesprochen, das eroberte Ulcinj mussten sie an die Türken zurückgeben und erhielten es erst im Jahr 1880 wieder zurück. Dafür, um die Türken zum Verlassen von Ulcinj zu zwingen, musste vor der Küste die Flotte der siegreichen Weltmächte ihre Stärke demonstrieren. Der ganze Kai von Bar ist ein großer Park mit Palmen, Restaurants und Kinderspielplatz, es ist dort sehr lieb. Ein bisschen anders schaut es ein paar hundert Meter weiter im Innenland aus, wo Plattenbauwohnhäuser aus der kommunistischen Zeit das Bild der Stadt dominieren.

               Das neue Bar ist nämlich eine ziemlich junge Stadt, die um den ehemaligen Hafen entstanden ist. Die antike Stadt, die Antibari hieß, weil sie an der Küste gegenüber der italienischen Stadt Bari lag, befindet sich in den Bergen und ist von der Küste einige Kilometer entfernt.

So war es der Brauch in der Antike, nicht anders war es in Athen mit Piräus oder in Ephesos mit seinem Hafen. Das alte Bar ist eine monumentale Ruine, weil es in Rahmen der Befreiungskämpfe im Jahr 1878 vollständig zerstört und nie mehr wieder aufgebaut wurde. Die Türken leisteten in der dortigen Festung hartnäckigen Widerstand bis zum bitteren Ende. Die befestigte Ruine ist eines Besuches wert, die mächtige Stadtmauern blieben beinahe unbeschädigt, zum Tor führt ein Gässchen zwischen Geschäften und kleinen Cafés, meistens mit moslemischen Verkäufern, im Alten Bar lebt die moslemische Kommune, die meistens in Norden Montenegros ansässig ist. Davon zeugen auch einige Moscheen, die man in der Stadt unterhalb der Ruinen der Altstadt sehen kann. Die Venezianer schafften es, die Stadt im Jahr 1443 zu erobern, gerade rechtzeitig, um ihre Einnahme durch die Türken zu verhindern. Sie konnten die Stadt allerdings nur bis zum Jahr 1571 halten, dann kamen doch die Türken. Die Mehrheit der Relikte stammt also aus der türkischen Epoche, wie das türkische Bad, der Uhrturm oder ein Aquädukt, mit dem Türken die Festung mit Wasser versorgten. Es ist schwer zu glauben, aber als fast alle modernen Gebäude in der Stadt einem Erdbeben im Jahr 1979 zu Opfer gefallen sind, verursachte dieses bei dem türkischen Aquädukt nicht den geringsten Schaden. Alle Ehre also der türkischen Baukunst dieser Zeit!

Auf dem höchsten Punkt der Stadt gibt es eine Zitadelle mit wunderschönen Aussichten bis zum Meer und auf die Berge, die die Stadt von Süden und von Osten beinahe bedrohlich umzingeln. Bei diesem Blick versteht man, woher Montenegro seinen Namen hat. Im Hof der Festung gibt es eine Zisterne, in der in der Zeit der italienischen Okkupation (1941 – 1944) einige jugoslawischen Freiheitskämpfer von den Italienern ertränkt worden sind. An diese Tatsache erinnert eine Tafel mit einer Aufschrift in zyrillischer Schrift. Die Tatsache, dass ich versucht habe, den Text zu entziffern, brachte eine anwesende Touristin zur Frage, ob ich ein Russe sei. Als ich es verneinte, stellte sich die Dame selbst vor. Sie war eine Russin aus Sankt Petersburg, die in der Zeit, als es in Montenegro noch sehr billig war, ein Apartment in Budva kaufte. Jetzt führte sie ihre Verwandten aus Omsk durch das Land, in dem sie seit dem Apartmentkauf jeden Sommer verbrachte.

               Budva ist nämlich wirklich fest in russischer Hand. Russisch hört man auf jedem Schritt, die Stadt ist die Hauptstadt der montenegrinischen Touristik mit großem Jachthafen und Unmenge von Hotels. Überraschenderweise war es nicht schwierig, ziemlich nahe an dem Stadtzentrum zu parken.

Allerdings auf der Wiese vor der Stadtmauer, wo ich einmal im Jahr 1982 mit meinem finnischen Freund Heikki geschlafen habe, stehen heute Hotels, Hotels und wieder einmal Hotels. Budva ist durch sein Nachtleben berühmt, mit Diskotheken, Restaurants und Bars. Budva war – im Gegensatz zu Bar – bis zum Jahr 1918 österreichisch- Es ist lieb, wie viele z.B. ungarische Worte aus dieser Zeit geblieben sind. Die Altstadt in Podgorica heißt „stary varoš“ (die Neustadt dann logisch „novy varoš“. Varos ist das ungarische Wort für Stadt). Der Strand nahe Budva heißt dann „Bečiči“. Den Zusammenhang versteht man nur, wenn man weiß, dass Wien ungarisch Bécz heißt, also Bečiči ist „kleines Wien“ an der Adriaküste. Von der Tatsache, dass sich hier die Habsburger nicht wirklich willkommen fühlten, zeugt die Festung in der Altstadt von Budva. Auch in Richtung Stadt hat sie keine Fenster, dafür aber zahlreiche Schießscharten, offensichtlich bestand ein Bedarf, sich nicht nur gegen den Feind vor den Mauern sondern auch gegen die eigene Bevölkerung zu schützen. Von den Mauern der Festung gibt es wunderschöne Aussichten. Es ist möglich, eine Eintrittskarte für einen Rundgang auf den Stadtmauern zu kaufen, um am Ende des Weges zu erfahren, dass es keinen Rundgang gibt. Der Spaziergang endet unter der Terrasse eines Luxusrestaurants und man muss den gleichen Weg wieder zurücklegen. Also kann man die Schönheit der Aussichten von den Mauern gleich zweimal genießen. Dabei auch den Blick auf die Insel Sankt Nikola, wo es die schönsten Stadtstrände gibt und wohin die Boote pendeln, um dorthin badesüchtige Touristen zu transportieren. Strände gibt es auch unter den Stadtmauern, wohin man durch ein kleines Tor in den Stadtmauern gelangt oder es gibt auch der große Strand „Slovenska plaža!“ südlich der Altstadt.

               Budva ist sehr schön, weil es vollständig wiederaufgebaut wurde. Nach dem Erdbeben im Jahr 1979 blieben von mehr als 200 Gebäuden in der Altstadt ganze fünfzehn unbeschädigt. Deshalb durften wir damals mit Heikki nicht in die Stadt hinein, weil im Jahr 1982 die Bausubstanz noch viel zu instabil und sturzgefährdet war. UNESCO schlug damals vor, um einer Horrorvorstellung zuvor kommen, dass auf der Stelle der Ruinen das kommunistische jugoslawische Regime Platenbauten bauen würde, die Städte Budva und Kotor in die Liste der Weltkulturerbe aufzunehmen und für eigenes Geld zu erneuern. Die jugoslawische Regierung nahm dieses Angebot dankend an – im Gegensatz zu Dogmatikern in Moskau, Berlin oder Prag war Josip Bros Tito ein Pragmatiker. Die Schönheit des alten Budva war damit gerettet. Durch enge Gassen kämpft man sich bis zum Hauptplatz, der von drei Kirchen umzingelt ist – also durch die katholische Kirche des Heiligen Johann des Täufers, weiter durch die orthodoxe Kirche der Heiligen Dreifaltigkeit. Die älteste Kirche in Budva ist die angeblich aus dem Jahr 840 stammende „Santa Maria in Punta“ und neben ihr ein kleines Kirchlein des heiligen Sava, das mehrmals seinen Besitzer wechselte. Seit dem Jahr 1657 ist es orthodox, aber die Franziskaner, die in ihm bis zu diesem Jahr residierten, durften den Schlüssel der Kirche behalten – man weiß ja nie…

Wir waren zweimal im Restaurant „Dvorište“ essen. Sehr gutes Essen, angemessene Preise und sehr gute nette Bedienung, ich kann es nur empfehlen.

Der schönste Blick auf Budva gibt es von der Straße ins Landesinnere in Richtung Cetinje. Die Straße ist neu und gut ausgebaut und überwindet einen Höheunterschied von 900 Metern. Oben sind schöne Aussichtspunkte, der Blick nach unten auf die Stadt ist einfach atemberaubend.

Unweit von Budva befindet sich die Insel „Sveti Stefan“ (dank eines Dammes, der sie mit dem Festland verbindet, wurde die Insel zu Halbinsel). Dort bekam ich das Gefühl, wie sich Montenegro seit meinem letzten Besuch im Jahr 1982 geändert hat. Damals konnten wir an der Küste unmittelbar gegenüber der Insel in einem Apartment wohnen, und zwar als Studenten für einen annehmbaren Preis, heute wäre so etwas undenkbar. Die ganze Insel ist heute (war allerdings immer schon) ein Luxushotel, wo eine Nacht mit dem Blick aufs Meer 5000 Euro kostet und für ein Zimmer inmitten der Insel man NUR 1000 Euro pro Person und Nacht zahlt. Im Jahr 1982 durfte man die Insel trotzdem besuchen und schauen, wo bestimmte Prominenten wie z.B. die Queen, wohnten) heute geht es nicht mehr. Die Strände, wo wir mit Heikki gebadet haben, sind für die Öffentlichkeit geschlossen, nur wenn sie nicht mit Hotelgästen ausgelastet sind, darf man eine Eintrittskarte für 75 Euro pro Tag kaufen.

Montenegro II

Ich würde heute meinen Artikel mit dem gleichen Zitat aus dem deutschen Reiseführer anfangen, mit dem ich vor zwei Wochen mein Schreiben beendet habe. Also:

„Die Abfahrt von Jadranski Put hinunter an den Strand des Retortendorfes Čanj lohnt sich eigentlich nur für Reisende mit sehr schmalem Budget und geringen Ansprüchen. Fast ausschließlich Urlauber aus Serbien sowie ein paar versprengte Tschechen und Ungarn verbringen hier ihren Urlaub auf der Luftmatratze. Am Wochenende wird es dann richtig voll, denn von Podgorica sind es durch den neuen Straßentunnel nur noch 45 Minuten bis hierher. Da ist es natürlich praktisch, dass der hintere Teil des Kiesstrands gleich als Parkplatz ausgewiesen ist.“

               Trotzdem hat nicht einmal dieser Reiseführer das Hauptproblem von Čanj erfasst – nämlich, dass es sich tatsächlich um den Stadtstrand der Hauptstadt von Montenegro Podgorica handelt. Nach dem Bau des Straßentunnels, der Podgorica mit der Küste anbindet, ist gerade Čajn der nächstgelegene Strand, zu dem die Einwohner von Podgorica aufbrechen, wenn sie sich entscheiden, ans Meer zu fahren. Und das tun sie leider häufig. Die Fahrt hierher mit dem Auto dauert  – wie schon erwähnt – ungefähr eine Dreiviertelstunde, also es zahlt sich aus, sogar nachmittags nach der Arbeit herzufahren und ein kleines Bad im Meer zu nehmen. Diese Möglichkeit wird leider sehr oft genutzt – meiner Meinung nach viel zu oft. Also das schöne Photo im Internet wurde sicherlich irgendwann in April um sechs Uhr morgens geschossen.

Das ist nämlich wahrscheinlich die einzige Zeit, wenn der Strand nicht überfüllt ist. Übrigens, es gibt nicht nur „ein paar versprengte Tschechen“ hier. In einem alten Hotel am Strandrand residiert die tschechische Versicherung „Mořský koník“, also „Seepferd“ und organisiert hier Erholungsaufenthalte für tschechische Kinder.

Die einzige Alternative für ein schönes Bad ist ein Transfer mit einem Boot für drei Euro zum „Königsstrand“, der sich hinter einem Felsen in einer anderen Bucht befindet. Leider ist diese Überfahrt für Menschen mit Kinetose, wie zum Beispiel meine Frau, nicht unbedingt empfehlenswert.

               Übrigens Čanj war der nördlichste Punkt von Montenegro bis zum Jahr 1918. Zwei Kilometer nördlich von diesem Dorf gibt es einen Pass, der in den Jahren 1878 – 1918 die österreichisch-montenegrinische Grenze war. Das Städtchen Petrovac – damaliges venezianisches und später österreichisches „Castello Lastva“ war der südlichste österreichische Ort. So weit nach Süden reichte nach dem Wiener Kongress Österreich-Ungarn und Montenegriner wechselten auf der anderen Seite der Grenze die Türken im Jahr 1878 aus, als sie mit russischer Hilfe den Zugang zum Meer eroberten – damals nach 1878 gehörten aber zu Montenegro lediglich die Häfen Antibari (das heutige Bar) und Ulcinj.

               Natürlich besaß ich die Adresse unserer Unterkunft. Der Name „Apartman Promis“ klang nobel und ich war überzeugt, dass in einem Loch wie Čanj doch jeder Mensch wissen müsste, wo das ist. Obwohl mein GPS natürlich keine Ahnung hatte. Es brachte uns nach Čanj , den Namen der Straße kannte es aber natürlich nicht und ich konnte den richtigen Ort nicht finden. Meine Frau war überzeugt, dass sie unser Apartment in einem Gebäude am anderen Ende des Ortes erkennen konnte, wir fuhren also hin. Vor den Häusern, die denen aus dem Internet absolut ähnelten, obwohl sie keine sichtbare Bezeichnung des Apartments trugen, gab es einen öffentlichen Parkplatz. Ich blieb dort stehen und fragte einen jungen Mann, der dort die Parkgebühren einhob, ob das Gebäude vor uns „Apartman Promis“ sei. Er sagte absolut überzeugend, dass es sicher nicht so sei, er müsste darüber doch etwas wissen. Ich wurde unsicher, allerdings glaubte ich ihm und fuhr weg, um unsere Unterkunft zu suchen. Entlang der Küstenstraße gab es eine Menge kleiner Geschäfte, Strandbars und Restaurants, ich hielt bei einem Geschäft an und zeigte der Verkäuferin die Adresse unserer Unterkunft. Sie schüttelte den Kopf und meinte, es wäre sicher nicht dort. Ich begann zu schwitzen und wandte ein, wir wären doch in Čanj. Das war sie bereit zu gestehen, sie meinte aber, dass es die Adresse auf unserer Buchung über „Booking com“ im Ort sicher nicht gäbe. Ein bisschen irritiert entschied ich mich in einem Restaurant nach dem Apartment zu fragen. Ein guter Wirt muss doch alles wissen! Er meinte aber, dass er von einem Apartment mit diesem Namen und über diese Adresse, die ich auf meinem Papier hatte, noch nie etwas gehört hätte. Ich begann zu ahnen, dass wir Opfer von Internetbetrügern waren. Auf der Buchung gab es aber eine Telefonnummer. Ich rief an… und ich läutete ins Leere. Nicht nur das erste Mal, sondern auch das zweite Mal hat niemand abgehoben. Das dritte Mal meldete das Telefon, dass die gerufene Nummer unerreichbar wäre. Kurz bevor ich in Ohnmacht gefallen wäre, erinnerte ich mich, das ich bei der Einfahrt in den Ort einen Polizisten sah, der gerade dabei war, jemandem einen Strafzettel auszustellen. Ein Polizist MUSS doch wissen, wo es welche Adresse gibt – in einem Ort, um den er sich kümmert.

               Wir fanden den Polizisten. Ich fragte ihn nach der Adresse und er meinte, dass so etwas sich in Čanj sicher nicht befinde. Er merkte meine Blässe und rief die Telefonnummer aus meiner Buchung an. Ich wandte ein, dass ich diese Nummer bereits dreimal erfolglos angerufen hatte. Er reagierte auf meinen Einwand nur mit einer missachtenden Handbewegung und tippte die Nummer in sein Handy. Diesmal wurde auf der anderen Seite sofort abgehoben. Es folgte ein langes und sehr emotionales Gespräch. Dann forderte mich der Polizist auf, ihm zu folgen. Er schaltete an seinem Motorrad das Blaulicht ein und führte uns – direkt vor die Apartments, wo wir am Anfang unserer Suche waren.

Der junge Mann auf dem Parkplatz war sehr überrascht, uns wieder zu sehen. Noch mehr überrascht war er, als er erfuhr, dass das Haus hinter dem Parkplatz, wo er bereits den ganzen Sommer die Parkgebühren eingehoben hat, ein Apartment namens „Promis“ ist.

               Die Zufahrt zum Appartement war nicht ganz einfach, weil serbische Touristen ihre Autos in zwei Reihen nebeneinander abgestellt und somit die Zufahrt beinahe verschlossen hatten, aber als ich mich auf dem Parkplatz umdrehte und die Zufahrt von der anderen Seite angefahren hat, gelang es mir mit Hilfe meiner Gattin und fester Nerven mein Auto doch in die Lücke zu pressen und bald danach vor unserem Appartement einzuparken. Die Dame in der Rezeption sprach sehr gut Russisch und Englisch gleich schlecht wie ich, also war die Kommunikation mit ihr absolut problemlos. Man durfte ausschließlich in bar zahlen, es wurden keine Karten akzeptiert. Zum Glück rechnete ich damit und hatte genug Bargeld zur Hand. Auf die Frage, wo sich der nächste Bankomat befinde, um die dadurch erschöpfte Geldresourcen aufzufüllen, sagte mir die Dame, dass es in Bar wäre. Die Stadt Bar war elf Kilometer entfernt. In diesem Moment begann ich zwei Dinge zu ahnen:

  1. Čanj ist kein touristisches Zentrum, wie wir gewohnt sind. Das bestätigte sich auch. Wir fanden hier ein einziges Restaurant, das sogar Sonnenschirme mit einer Werbung für das tschechische Bier „Staropramen“ hatte (Obwohl es nur „Nikšičko pivo“ in Angebot gab – das Bier war aber nicht schlecht). Es gab hier nur ein Hotel. Als wir dort einmal zum Mittagessen gingen, war das Personal von der Anwesenheit der Ausländer so durch den Wind, dass wir uns weitere Besuche lieber ersparten. Ein Geschäft vom Typ eines Supermarkets gab es hier keines und das ganze Dorf wurde von einem Polizisten bewacht – dem, der uns zu unserem Appartement brachte und seit diesem Moment mit uns sehr befreundet war – übrigens bekam er für die Rettung unserer Leben zehn Euro als Trinkgeld.
  2. Ganz Montenegro ist eine große Waschmaschine fürs Geld. Und zwar für russisches Geld. Es gibt doch nichts Besseres, als in dieses Land schmutzige Rubel zu investieren und aus der Waschmaschine dann saubere Euros zu kassieren. In Montenegro zahlt man mit Euro, obwohl das Land keine eigene Emissionspolitik betreibt (obwohl es eine Nationalbank in Podgorica besitzt – welche Funktion diese Bank hat, habe ich nicht entziffert). EU akzeptiert schweigend diesen Auswuchs, offensichtlich bringt er doch bestimmte Vorteile. Es war eine Tat des Präsidenten Djukanovič, als Montenegro noch ein Teil der serbisch-montenegrinischen Föderation war. Im Jahr 1999 nach der Bombardierung von Serbien durch die Flugzeuge der NATO befürchtete Djukanovič eine Inflation des serbischen Dinars. Er entkoppelte also die eigene Währung und nahm als offizielles Zahlungsmittel im Land die deutsche Mark an (die seit 1998 bereits ein offizielles Zahlungsmittel im benachbarten Bosnien und Herzegowina war). Als dann Deutschland der Eurozone beitrat, folgte ihm Montenegro – im Gegensatz zu Bosnien. Der größte der montenegrinischen Kurorte am Meer – Budva – ist fest in russischer Hand, für russische Touristen wurde sogar ein Militärflughafen in Tivat in einen zivilen Flughafen umgebaut – der Weg nach Montenegro führt direkt am diesen Flughafen vorbei, als über mein Auto in einer ungefähr Dreißigmeterhöhe ein großes Flugzeug der Aeroflot schwebte, war ich mir nicht sicher, wie es der Pilot meinte und ob er gerade landete oder abstürzte. Die  Montenegriner haben – ähnlich wie die Serben – ein traditionell gutes Verhältnis zu Russland und die Ähnlichkeit ihrer Sprache mit Russisch verdankt sie nicht nur den gemeinsamen slawischen Wurzeln, aber auch der Tatsache, dass der Gründer der serbischen (und damit auch montenegrinischen) Sprache Petar Petrovič Njeguš in Sankt Petersburg studierte.

Wir haben also unsere Unterkunft bezogen, die Apartments waren schön, neu und sauber mit einem Schwimmbad und sogar auch die Mehlschwalben auf dem Balkon hielten sich an die Vorschriften der Sauberkeit. Wir bereiteten uns vor, das interessante Land zu erkunden. Aber darüber das nächste Mal.

Montenegro

               Einmal wird der ganze Wahnsinn mir Coronavirus vorbei sein und dann beginnt man wieder Urlaub zu planen. Also versuche ich in einer kurzen Serie von drei Artikeln etwas über ein kleines Land weit weit weg am südlichen Balkan zu erzählen.

               Montenegro ist ein winzig kleines Land im Südwesten des Balkans. Es ist wirklich sehr klein. Wenn man den Berg „Jezerni Vrh“ besteigt, wo die Montenegriner  ein Mausoleum für ihren „Vater der Nation“ Petar Petrovič Njeguš erbaut haben, sieht man von diesem Gipfel aus praktisch das ganze Land. Vom Fjord von Kotor bis zum Skadarsee, die neue Hauptstand Podgorica sowie auch die alte Hauptstadt Cetinje. Von hinten (und von oben) schaut auf Sie der höchste Berg des Landes „Babin Kuk“. Also, wenn die Montenegriner ihrem geliebten Fürstbischof (geliebt war er, wie es den Väter der Nationen üblicherweise geschieht, nur nach seinem Tod) eine Aussichtsterrasse bauen wollten, so gelang es ihnen perfekt. Es ist auch notwendig zu bedenken, dass zu der Zeit, als das dankbare montenegrinische Volk  Petar Petrovič ins Grab legte, dieses Ländchen noch wesentlich kleiner war. Es waren die Landesgewinne in den Jahren 1878 und 1918, die das Land so weit vergrößerten, dass man es zumindest in die Europa- Landkarten eintragen konnte.

               Der Name des Landes ist vielsagend. Auf dem ganzen Gebiet, das 13 812 km2 umfasst und in dem 600 000 Einwohner leben, gibt es nämlich kaum etwas anderes als schwarze Berge.

Also mit Ausnahme der Küste, dem südlichsten Abschnitt der Adriaküste, der noch vom slawischen Element bewohnt wird. Das war eigentlich der Grund, warum wir in Richtung Montenegro aufbrachen.

               Der Reiseführer macht darauf aufmerksam, dass die Fahrt nach Montenegro und besonders dann die Fahrt IN MONTENEGRO feste Nerven und viel Geduld verlangen würde. Meine liebe Frau auf dem Beifahrersitz hat diese Eigenschaften nicht unbedingt im Überschuss und so gewann unsere Reise auch einen zusätzlichen emotionalen Aspekt.

               Die Fahrweise der Montenegriner ist tatsächlich spürbar emotional und so ist es ratsam, eher Instinkte als Vernunft beim Fahren zu verwenden. Dieses kann nämlich versagen. Das habe ich gleich am Tag der Anreise verstanden, als ich beinahe ein Auto übersah, das mich von rechts überholte (es hatte recht, links gab es keinen Platz). Seit diesem Moment beachtete ich bei der Fahrt mehr meinen Rückspiegel als das Geschehen vor mir. Die Montenegriner lieben eine schnelle Fahrt und lassen sich dabei durch Dinge, wie Geschwindigkeitsbeschränkung, doppelte Sperrlinie oder unübersichtliche Kurve nicht irritieren. Manche stürzen sich in diese Verbote oder Kurven mit dem Mut eines Kamikazes. Es gibt Gott sei Dank aber nicht sehr  viele von ihnen. Natürlich, alle Montenegriner würden gern auf diese Art fahren, werden aber dabei wesentlich durch die Qualität ihrer Fahrzeuge, die überwiegend aus dem Jahr „1900 und wenig“ stammen, limitiert. Bergauf schaffen ihre Mercedes maximal dreißig bis vierzig Kilometer pro Stunde. Und bergauf ist es dort häufig – siehe den Namen des Landes.

               Mit dem Parken machen sich die Einheimischen auch keine Sorgen. Das Auto wird einfach IRGENDWO abgestellt. Ob damit jemand eingesperrt wäre, interessiert sie nicht im Geringsten, auch wenn es nur einen Meter weiter zu fahren wäre, um dem Betroffenen eine freie Ausfahrt zu gewähren. Mit dieser Situation wurden wir bereits am ersten Tag konfrontiert. In der Nacht kam zu unserem Apartmenthaus irgendjemand im Mercedes mit deutschem Kennzeichen und stellte das Auto quer ab, damit niemand das Apartment verlassen konnte. Obwohl es wirklich gereicht hätte, nur einen Meter weiter, näher zur Wand des Hauses, zu fahren. Die Montenegriner kennen aber nicht die Entschlossenheit meiner Frau. Die ist bereit, sich um sieben Uhr in der Früh ins Auto zu setzen – in Montenegro herrscht zu dieser Uhrzeit noch tiefe Nacht, die Sonne strahlt zwar schon, aber alle befinden sich noch in der Phase eines tiefen Schlafes – und sie hupte so lange, bis jemand kam und den Weg für die Ausfahrt frei machte.

               Natürlich war es nicht der Desperado, der uns die Ausfahrt versperrt hatte, sondern ein anderer Bewohner des Apartmenthauses. Es war ein Deutscher aus Stuttgart, der uns den Weg durch ein kompliziertes Manöver freimachte, damit wir zu unserer Erkundungsreise aufbrechen konnten. Selbstverständlich gehörte das unsinnig eingeparkte Auto mit dem deutschen Kennzeichen einem einheimischen jungen Mann aus Čanj. In Montenegro muss man nicht die geringste Sorge haben, dass man durch das Autokennzeichen als Ausländer identifiziert werden könnte – die Hälfte aller Montenegriner arbeitet irgendwo im Ausland und hat also an ihren Fahrzeugen ausländische Kennzeichen. Am häufigsten deutsche aber überraschenderweise auf viele amerikanische, besonders aus der Staaten New York und New Jersey.

               Der Weg nach Montenegro ist lang. Es zahlt sich also aus, irgendwo unterwegs in Kroatien einmal zu übernachten. Wir taten es, wir übernachteten in Trogir und wir bereuten es nicht. Bis nach Ploče, wo die Autobahn in Richtung Sarajevo abbiegt, ist die Fahrt sehr gut, dann aber erwartet den Fahrer die Adriatische Magistrale (Jadranski Put) und einige Grenzübergänge, an denen die Zollbeamten ihre Arbeit sehr ernst nehmen. Besonders die kroatischen, die sich offensichtlich bemühen, die Touristen dafür zu bestrafen, dass sie sich entschieden hatten, in einem anderen als in ihrem Land den Urlaub zu verbringen. Zuerst überquert man die Grenze zwischen Kroatien und Bosnien und Herzegowina. Diesem Land gehört an der Küste nur eine einzige Gemeinde namens Neum, dann muss man wieder nach lediglich fünf Kilometern über die nächste Grenze von Bosnien und Herzegowina wieder zurück nach Kroatien und dann, nach einer langen Fahrt auf der Magistrale an Dubrovnik vorbei, kommt die Grenze zwischen Kroatien und Montenegro. Achtung, die sogenannte „Grüne Karte“ nicht vergessen! Wenn der Zöllner darauf kommt, dass man sie nicht mit hat, muss man gleich an der Grenze eine Reiseversicherung abschließen und die kostet 70 Euro. Ich hatte eine bereits abgelaufene Karte aus dem vorigen Jahr mit, aber so zimperlich sind die südbalkanischen Zollbeamten doch nicht. Ich kam kostenfrei durch. Auf dem Gebiet von Montenegro bewegt man sich dann fast ausschließlich in verbautem Bereich, also eine Geschwindigkeit mehr als fünfzig Kilometer pro Stunde ist nur selten erlaubt. Zusammengerechnet haben wir für 119 Kilometer von Čanj, wo wir wohnten, nach Dubrovnik, viereinhalb Stunden gebraucht, wobei uns kroatische Zollbeamten eineinhalb Stunde vor ihrer Grenze stehen ließen. Also ohne die bereits erwähnte Geduld kommt man nicht durch. Diese hatte aber meine Frau unglücklicherweise nicht eingepackt. Ich muss ihr aber sehr dankbar sein, dass sie mir einen Eintagesausflug nach Dubrovnik ausgeredet hat. Aus den oben genannten Gründen ist so etwas nicht realisierbar. Vergessen Sie eine solche Idee und mieten Sie in Dubrovnik ein Apartment für eine Nacht, wenn Sie die Stadt „Game of Throns“ unbedingt besuchen möchten.

               Ein bisschen problematisch ist es in Montenegro eine bestimmte Adresse zu finden. Zum Beispiel die Adresse des Apartments, in dem man den Aufenthalt gebucht hatte. Adressen sind hier nicht üblich, Maria Theresia mit ihrem Landeskataster war hier nicht tätig. Einige Straßen haben zwar Namen und die Häuser sogar Nummer – nur niemand von den Einheimischen kennt sie – und schon gar nicht mein GPS. Die Mehrheit der Firmenautos, denen man begegnet, hat in der Firmenadresse Angabe „bb.“, also „bez broja“ – ohne Hausnummer. Die Straßen besitzen zwar Namen, diese sind aber sogar ihren eigenen Bewohnern unbekannt. Wen kümmert es schon, dass es die Njegušstraße sein soll? Für die Montenegriner ist das doch die Straße, in der Drago seine Autowerkstatt hat. Für einen Ausländer, der die örtlichen Verhältnisse nicht kennt, könnte diese Tatsache zum Problem werden. Man kennt den Drago nämlich nicht und ist damit verloren!

               Also ist es praktisch, sich das Aussehen des Apartments oder Hotels, in dem man wohnen soll, zu merken oder noch besser es auszudrucken und mitzunehmen. So kann man sein Hotel erreichen. Wir haben diese Sache in unserer Unerfahrenheit unterschätzt und vernachlässigt. Es sollte sich rächen.

               Die Wahl der Unterkunft in Čanj schaute auf den ersten Blick sehr vernünftig aus. Im Internet gab es einen schönen, breiten, sauberen. menschenleeren Kiesstrand, die Ortslage war direkt im Zentrum der montenegrinischen Küste, also für jemanden, der das Land kennenlernen möchte, absolut ideal. Nur später kaufte ich einen Reiseführer über Montenegro und nach Durchlesen des Artikels über Čanj entstanden in mir bestimmte Zweifel über die Richtigkeit der Wahl der Unterkunft. Der deutsche Reiseführer hat – ziemlich sarkastisch – geschrieben: „Die Abfahrt von Jadranski Put hinunter an den Strand des Retortendorfes Čanj lohnt sich eigentlich nur für Reisende mit sehr schmalem Budget und geringen Ansprüchen. Fast ausschließlich Urlauber aus Serbien sowie ein paar versprengte Tschechen und Ungarn verbringen hier ihren Urlaub auf der Luftmatratze. Am Wochenende wird es dann richtig voll, denn von Podgorica sind es durch den neuen Straßentunnel nur noch 45 Minuten bis hierher. Da ist es natürlich praktisch, dass der hintere Teil des Kiesstrands gleich als Parkplatz ausgewiesen ist.“

Wir haben den Strand erreicht, aber darüber das nächste Mal. Es ist eine ein bisschen längere Erzählung.

Massada und Totes Meer

               „Masada darf nicht fallen“ – so lautet der Ruf, ein Teil der Rekrutenvereidigung der israelischen Armee. Bis vor einigen Jahren endete übrigens auch die Ausbildung der Rekruten in dieser Festung in der Wüste am Ufer des Toten Meeres. Eine so große symbolische Bedeutung hat diese Festung für Israel, sie symbolisiert den ungebrochenen Willen nach Unabhängigkeit und  Freiheit.

               Masada war tatsächlich der letzte Verteidigungspunkt, an dem Juden nach dem Fall  Jerusalems im Jahr 70 noch vier weitere Jahre Widerstand geleistet haben. Im Jahr 73 erschien aber vor der Festung die zehnte römische Legion „Fretensis“ unter der Führung von Flavius Silva und die Römer schließen um den Felsen einen dichten Belagerungsring. Sie bauten eine hohe Rampe und schoben auf dieser steilen Rampe Belagerungstürme zu Mauern, bis es ihnen gelang, in die Festungsmauer eine Bresche zu schlagen. Vor der Erstürmung der Festung, die für den nächsten Tag geplant war, begingen die Verteidiger der Festung, geführt von Eleasar ben Ja´ir, auch mit ihren Kindern und Frauen Selbstmord, um der Sklaverei zu entgehen. Reste der Rampe und des römischen Lagers sind auch heute noch sichtbar und zeugen von einer unglaublichen technischen Reife der damaligen römischen Ingenieure.

               Masada hatte immer eine sehr wichtige Funktion, da es an einer Furt lag, wo man das Tote Meer bereits in den Zeiten der Zeitwende überqueren konnte. Heutzutage, nach einem weiteren Rückgang des Wasserspiegels des Toten Meeres, entstand hier sogar eine Festlandbrücke – aus einem Meer wurden auf diese Art zwei. Mit diesem Naturphänomen möchte ich mich ein bisschen später beschäftigen.

               In Masada fand im Jahr 40 vor Christus die Familie des zukünftigen Königs Herodes die  Zuflucht, als sie vor Persern flüchten musste, die ins Land einfielen. Im Prinzip handelte es sich um einen Bürgerkrieg. Die Dynastie der Hasmonäer, die als Nachkommen der Makkabäer den Anspruch auf die jüdische Königskrone hatten, befand sich in Auflösung. Sie verlor die tatsächliche Macht, die an ihre „Majordomus“ überging. Dieser wahre Herrscher um das Jahr 50 vor Christus war der Vater des Herodes Antipatros. Er war eigentlich kein Jude – er stammte aus dem Stamm der Idumäer, also aus einem arabischen, mit Juden eng verwandten Stamm. Der König Hyrkanos II. fügte sich der Antipatros-Familie, nicht aber sein Neffe Antigonos, der Sohn seines Bruders Aristobulos. Antipatros wurde vergiftet und Aristobulos mit Unterstützung des persischen Prinzen Pakoros fiel in Judäa ein. Es gelang ihm seinen Onkel Hyrkanos gefangen zu nehmen. Er ließ ihn nach Persien führen, wo ihm die Ohren abgeschnitten wurden. Dadurch war es für Hyrkanos nicht mehr möglich, das Amt des Hohepriesters, das mit der Königswürde verbunden war, weiter zu  bekleiden, da die körperliche Makellosigkeit eine Voraussetzung dafür war. Im Krieg verlor auch der ältere Bruder von Herodes Phasael, sein Leben – er beging Selbstmord, damit er nicht als Geisel zur Erpressung missbraucht werden könnte.

               Herodes, der damals mit der Hyrkanos Tochter Mariamne verlobt war (wegen dieser Verlobung verstieß er seine erste Frau Doris, was ihm in der Zukunft große Probleme bereiten sollte), gelang es, nach Masada zu fliehen. Dort ließ er seine Familie und setzte seine Flucht bis nach Rom fort, wo er auf Geheiß seines guten Freundes Mark Anton vom römischen Senat überraschenderweise zum Jüdischen König ausgerufen wurde. Mit der Unterstützung der römischen Legionen kehrte er zurück, befreite die Familie aus der Belagerung in Masada und in den anschließenden drei Jahren gelang es ihm, das ganze Königsreich zu erobern und als ein Klientenkönig Roms die Macht zu übernehmen.  Antigonos wurde hingerichtet und Herodes ließ  seinen sechzehnjährigen Schwager Aristobulos (den Bruder Mariamnes und neuen Hohepriester) vorsorglich ertränken. Damit starb die Dynastie der Hasmonäer im Mannesstamm aus und Herodes konnte eine neue Dynastie gründen. Was nicht einfach war, besonders nicht in den Zeiten des römischen Bürgerkrieges, wo er mehrmals geschickt die Seiten wechseln müsste, bis er die Freundschaft des Augustus gewann. Er war nämlich ein Verbündeter und ein enger Freund von Mark Anton, bis dieser seinen Kampf bei Actium verlor. Damals hätte auf Herodes Leben niemand eine einzige Münze gewettet. Seine Frau Mariamne, die ihn für unwürdig, ihr Mann zu sein, betrachtete, bewarte den Thron für ihre Söhne, die sie mit Herodes hatte. Herodes segelte nach Rhodos, wo Oktavianus, der spätere Kaiser Augustus, sein Hauptquartier hatte, um die Invasion nach Ägypten vorzubereiten, und er erzwang sich eine Audienz. Bei der überraschte er den Römer damit, dass er keine Reue zeigte, sondern sagte: „Frage nicht, mit wem ich befreundet war, sondern was für ein Freund ich war.“ Augustus wurde aufmerksam, er erkannte einen Menschen der gleichen Blutgruppe, die er selbst besaß – klug, charakter- und gewissenlos. Die beiden wurden Freunde und Mariamne, die sich vorsorglich bereits einen Liebhaber besorgt hatte, wurde von Herodes hingerichtet. Später ließ Herodes sogar zwei seine eigenen Söhne, die er mit Mariamne hatte, aus Angst um seine Macht umbringen. Dies erwirkte die „graue Eminenz“ an seinem Hof, sein Sohn aus der ersten Ehe mit Doris Antipatros. Als seine Intrigen aufflogen, ließ Herodes auch ihn – fünf Tage vor seinem eigenen Tod – hinrichten. Damals sollte der Kaiser Augustus über seinen „Freund“ Herodes gesagt haben: „Es wäre besser ein Opfertier als ein Sohn dieses Königs zu sein, so könnte man länger leben.“

               Dieser Spruch des Augustus sollte die Grundlage der Legende über Kindermord in Betlehem bei Geburt Christi sein. Diese Tat des Herodes ist nämlich nicht in den historischen Quellen dokumentiert. Da sich die Historiker, besonders Flavius Josephus, mit der Herrschaft des Herodes detailiert beschäftigten und gerade Flavius Josephus zu diesem Herrscher sehr kritisch eingestellt war, hätte er sich diese grausame Tat des Königs in seinem Buch „ Der jüdische Krieg“ sicher nicht entgehen lassen. Er schweigt aber zu Vorwürfen, die in der christlichen Tradition aus dem zwar grausamen, aber äußerst fähigen Herrscher ein blutrüstiges Monster machten: Als Herodes merkte, dass ihn die Sterndeuter getäuscht hatten, wurde er sehr zornig und er ließ Betlehem und der ganzen Umgebung alle Knaben bis zum Alter von zwei Jahren töten, genau der Zeit entsprechend, die  er von den Sterndeutern erfahren hatte. (Matthäus 2, 16)

               Interessant ist auch, dass diese Geschichte nur im Matthäus Evangelium beschrieben ist, von Evangelisten Lukas wird sie aber nicht erwähnt. Gerade der Leibarzt des heiligen Paulus, Lukas sammelte Legenden und Zeugenberichte aus der Zeit der Geburt Christi während der Gefangennahme seines Meisters in Caesarea in den Jahren 56 – 58. Dass ihm so etwas entgehen hätte können, ist einfach unvorstellbar. Übrigens, die modernen Bibelforscher halten gerade die Evangelien von Markus und Lukas für authentisch, also wirklich von den Personen geschrieben, denen sie zugeschrieben wurden. Bei Matthäus und Johannes ist man bei weitem nicht so sicher. Ob das Massaker in Betlehem nach Christi Geburt tatsächlich stattgefunden hat, bleibt offen.

               Aber zurück zu Masada. Herodes erkannte sehr gut die strategische Bedeutung dieser Festung, wo sich seine Familie retten konnte und baute die Burg großzügig aus – in das heutige Ausmaß.

               Auf das Plateau wird man von einer Seilbahn befördert – leider kein österreichisches, sondern ein schweizerisches Produkt der Firma Von Roll. Sie hat eine Länge von 900 Metern und während der dreiminütigen Fahrt taucht man über den Mittelmehrspiegel auf. Die Talstation der Seilbahn befindet sich nämlich auf minus 257 Meter Seehöhe, die Bergstation ist aber in der Höhe 33 Meter über dem Meeresspiegel – in der Zeit, als das Jordantal vom Mittelmeer durch ein Erdbeben getrennt wurde, war Massada also eine Insel. Es ist auch möglich, zu Fuß auf einem Pfad den Berg zu besteigen – es sind letztendlich „nur“ 290 Höhemeter, ich würde es aber vielleicht nur in den frühen Morgenstunden versuchen, solange die Hitze noch einigermaßen erträglich ist.

Die Festung ist gigantisch, ihren Hauptteil bilden die Speicher für Vorräte – es gab hier genug Nahrungsmittel für die gesamte Garnison für drei Jahre. Herodes baute die Festung für den Fall, dass das ganze Land gegen ihn rebellieren würde. Dann wollte er sich in diese uneinnehmbare Festung zurückzuziehen und auf die römische Hilfe warten. Drei Jahre sollten sogar für die Römer genug Zeit sein, um zu Hilfe kommen zu können. Der Palast des Herodes ist am nördlichen Hang, also an der Schattenseite des Berges gebaut und war wirklich großartig – auf drei Terrassen und auch mit einem großen Bad.

               Das Essen war im Falle einer Belagerung nicht das größte Problem, Sorgen machte natürlich das Wasser. Es gibt in dieser Gegend keine Wasserquellen, man war also auf Regenwasser angewiesen und jeder Tropfen war viel zu wertvoll, um verloren gehen zu dürfen. Nicht nur auf dem Bergplateau sondern auch auf den Hängen der Klippe wurde ein sehr komplexes System zum Abfangen des Regenwassers mit Speichern in künstlichen Höhlen eingerichtet. Im Falle einer Belagerung konnten die Verteidiger bis zu diesen Speichern absteigen und das Wasser in die Festung holen – noch immer waren sie außer der Reichweite der damaligen Bogen.

Die Gebäude auf dem Berg sind hellenistisch geprägt, mit Fresken an den Wänden und mit Mosaikböden, allerdings ohne Darstellung der Lebewesen, soweit traute sich nicht einmal Herodes gegen das jüdische Gesetz zu verstoßen.

               Die neuesten Gebäude auf dem Plateau stammen aus der byzantinischen Epoche.  Masada wurde bis zum Jahr 749 bewohnt,  bis ein Erdbeben der letzten Siedlung ein Ende bereitete.

               Von der Festung sieht man in Richtung Westen nur Wüste mit einer Straße, die durch einen Pass in den Bergen zur Festung führt. Auf dieser Straße kam Herodes hierher – er konnte von der Garnison aus einer großen Entfernung gesehen und die Festung konnte rechtzeitig für seinen Aufenthalt vorbereitet werden. Genauso gut konnte man aber auch einen anrückenden Feind beobachten und sich entsprechend vorbereiten. Nicht zufällig sieht man die Reste des römischen Lagers direkt neben dieser Straße – natürlich mussten die Römer jeden Nachschub für die Verteidiger der Festung unterbinden.

               Herodes hatte seine Winterresidenz in Jericho bei der Mündung des Flusses Jordan in das Tote Meer. Heute ist das eine moderne palästinische Siedlung (Zone A), viel von der berühmten Vergangenheit findet man hier nicht. Jericho war die erste Stadt, die Juden im ihnen zugesprochenen Land erobert haben – wahrscheinlich mit Hilfe eines Erdbebens. Sie waren aber überzeugt, dass der Lärm, die ihre Hörner und ihr Kriegsgeschrei ausgelöst hat, die Mauer der Stadt zum Sturz gebracht haben. Moses war nicht mehr dabei. Er konnte das Land nur vom Berg Nebo sehen, er durfte es aber nicht betreten. Den Berg Nebo sieht man an dem Horizont, er befindet sich in Jordanien. Das Grab des Moses gibt es in der Wüste nahe dem Weg nach Jerusalem. Sein Leichnam wurde ins Heilige Land überführt und hier begraben.

               Zum Besuch des Tals des Toten Meeres gehört den Besuch von Qumran, wo die ältesten geschriebenen Texte des Alten Testamentes in einer Höhle gefunden worden sind.

In Qumran lebte offensichtlich die Sekte der Essener. Ob Johannes der Täufer zu ihnen gehörte oder zumindest zeitweise bei ihnen die Unterkunft fand, ist nur eine Hypothese, allerdings betrieben die Essener ein Ritualbad, vielleicht ein Vorbild der Taufe. Einer von ihnen war auch Lehrer von Herodes dem Großen und er sagte ihm bereits als einem kleinen Buben eine große Zukunft und ein furchtbares Ende voraus.

               Baden kann man im Toten Meer an der „Kalia Beach“. Der Strand ist schön und gepflegt. Hier befindet sich auch die tiefst gelegene Bar der Welt – 418 Meter unter dem Meeresspiegel. Die Bar hat keinen Namen – es ist einfach „The lowest Bar in the World“, man kann hier aber ein gutes, gekühltes Bier bekommen und in der Hitze braucht man die Flüssigkeit ganz dringend. Als wir dort waren – im April – zeigte das Thermometer 43,2 Grad Celsius im Schatten.

Das Wasser des Toten Meeres hat einen Salzinhalt von 32,6%, also ungefähr 10 mal so viel, wie normales Meereswasser – daher kann hier auch kein Lebenswesen überleben. Ein Mensch übrigens auch nicht. Das Baden ist zwar möglich, es wird aber dringend empfohlen, nur am Rücken im Wasser zu liegen – das schaffen sogar die Nichtschwimmer, da man in dieser konzentrierten Salzlösung nicht unten gehen kann. Eine Einatmung des Wassers ist aber fatal. Salz zieht Wasser an und die Folge ist dann ein Lungenödem, das nicht zu behandeln ist, da man das Salz aus der Lunge nicht mehr heraus  bekommt. Auf dem Bauch sollte man also niemals baden, da die Umdrehung oder das Aufstehen ohne den Kopf unter den Spiegel zu tauchen nicht möglich ist und so entsteht eine wirklich lebensbedrohliche Situation.

               Das Tote Meer entstand einmal vor vielen, vielen Jahren, offensichtlich durch ein Erdbeben, bei dem eine Landesbrücke gehoben wurde und ein Teil des Mittelmeeres vom Rest abgeschnitten wurde. Mit der Zeit verdunstete das Wasser. Der Fluss Jordan schaffte es, das Salz in die niedrigen Lagen zu spülen (deshalb ist Genezareth See süß). Aber es blieb letztendlich nur sehr wenig vom damaligen Meer – das Wasser war weg – das Salz blieb. Es geht sogar weiter – die Verdünstung wird auch dadurch beschleunigt, dass man beinahe das gesamte Wasser vom Fluss Jordan für die Landwirtschaft aber auch als das Trinkwasser verbraucht so dass bei Jericho der Jordan kaum noch Wasser in das Meer bringt. Deshalb ist das Tote Meer heutzutage bereits von einer Landbrücke in zwei Teile getrennt. Es gibt Überlegungen, das Wasser aus dem Roten Meer zuzufügen (dagegen protestieren die Naturschützer), um ein komplettes Verschwinden des Meeres zu verhindern – sonst droht dem Toten Meer das Schicksal des Aralsees. Ob dann die Proteste der Naturschützer aufhören, wenn Salzstürme das Tal plagen würden, ist die Frage. Vorläufig versuchen die Israelis das Land um das Tote Meer zu kultivieren, es gibt hier unendliche Plantagen von Dattelpalmen – da es sich um die Zone C handelt, dürfen die Israelis – aus ihrer Sicht  – hier alles tun, was ihnen beliebt.  

               Natürlich ist es in Israel noch einiges zu sehen. Die Knesset, also das Gebäude des israelischen Parlamentes, das Holocaustmuseum „Yad Waschem“, auch die „Gedenkstätte der Märtyrer und Helden des Staates Israel im Holocaust“ genannt. Oder die Ausgrabungen im Bereich der ehemaligen Decapolis, der hellenistischen autonomen Städte aus den Zeiten des römischen Reiches – normalerweise besucht man die einzige von diesen Städten, die sich auf dem westlichen Ufer des Jordans befindet „Bet She´an“, die frühere Scythopolis. Es gibt Strände am Roten Meer bei Elat oder die Wüste Negev im Süden des Landes.  Und natürlich es gibt die pulsierende Metropole des jüdischen Staates – Tel Aviv. Aber dafür alles würde man doch mehr Zeit brauchen, ich möchte mich an dieser Stelle vom Heiligen Land verabschieden.

Heiliges Land – Das Ende des Weges Christi

Also wenn der Weg Christi in Betlehem seinen Anfang nahm, endete dieser nach vielen Zwischenstationen in dem weitentfernten Galiläa, in Nazareth, in Kapernaum, am See Genezareth und – vielleicht – auch in Kana, in Jerusalem – so, wie er enden musste.

               Als Christus einmal am Palmsonntag durch das Goldene Tor in die Stadt wie ein Messias einzog, gab es keinen Weg zurück. Seine Mission in der Hauptstadt dauerte nur fünf Tage. Die Unruhen, die sein Einzug in der Stadt zur Folge hatte, veranlassten sogar den römischen Prokurator Pontius Pilatus, seinen Arsch aus seinem Luxusdomizil in Caesarea zu heben und nach Jerusalem zu kommen, obwohl Römer diese Stadt wie die Pest hassten – weil sie sie einfach nicht verstanden. Wenn aber die jüdischen Radikalen (Zeloten)erwarteten, das Jesus zu einem Aufstand und Sturz der römischen Herrschaft aufrufen würde, waren sie sehr enttäuscht. Das Reich Christi war nicht von dieser Welt und  er forderte sie sogar auf, dem Kaiser zu geben, was ihm gehörte und Gott, was seins war. In der Nacht von Donnerstag auf Freitag wurde Jesus im Garten Getsemani auf der anderen Seite des Cedrontals verhaftet und ins Haus des Hohepriesters Kaiphas abgeführt. Auf der Stelle dieses Hauses steht heute natürlich eine Kirche, gut sichtbar vom Ölberg. Kaiphas durfte aber den Propheten nicht richten, da  Gerichte, die Todesstrafe aussprechen durften, dem römischen Prokurator unterlagen. Die Begeisterung des Pontius Pilatus, dass ihn Juden in ihre religiösen Streitigkeiten hineinziehen wollten, hielt sich in Grenzen. Er kannte sich in den Gründen ihrer Streitereien nicht aus und er hatte auch keinen Bedarf, sich darin auszukennen. Dann erfuhr er, dass sich in Jerusalem gerade der Tetrarch von Galiläa Herodes Antipas befand und schickte postwendend Jesus zu ihm mit der Begründung, dass es sich bei dem Verhafteten um einen Galiläer handelte, damit um einen Untertanen des Herodes und es war dann die Pflicht des Herodes einen falschen Propheten zu richten. Herodes Antipas, der ohnehin nach der Hinrichtung des Johannes des Täufers noch immer ein schlechtes Gewissen hatte, zeigte keine Lust in diese Falle zu tappen und retournierte Jesus zu Pontius Pilatus mit der Feststellung, dass sich dieser keines Verbrechens auf dem Gebiet von Galiläa schuldig gemacht hätte und aus diesem Grund ihn der Tetrarch nicht richten könne.

               Der Schwarze Peter blieb also doch den Römern. Judea stand letztendlich unter ihrer direkten Verwaltung und der Prokurator war für die Ordnung in der Provinz verantwortlich – ob ihm das gefiel oder nicht. Es gefiel ihm nicht. Andererseits war der zur Brutalität neigende Pilatus genug Politiker, um die Schlauheit des Herodes zu würdigen. Laut Lukas wurden sie an diesem Tag Freunde, obwohl sie sich früher nicht besonders mochten. Übrigens diese Verknüpfung der Geschichte Christi mit Herodes beschreibt in seinem Evangelium nur Lukas. Matthäus, Markus und Johannes schicken Christus von Kaiphas direkt zu Pilatus – zum Gericht, das für ihn nicht gut ausgehen konnte.

               Auf dem Ort, an dem Pilatus sein Urteil sprach, beginnt die „Via Dolorosa“, also der „Weg der Schmerzen“, der durch die Altstadt von Jerusalem bis auf Golgota führt, auf die damalige Hinrichtungsstelle. Pilatus musste natürlich in der Festung Antonia richten, die Herodes der Große bauen und nach seinem Freund Mark Anton benennen ließ. Diese Festung lehnte sich direkt an den Tempelbezirk an, sie war eigentlich ein Teil von ihm. Von der Festung blieb nach dem Jahr 70 nichts erhalten. Es gibt die Treppe, die zur Festung führte, auf der Pilatus sein Urteil verkündete. Diese findet man aber nicht in Jerusalem. Die Kaisermutter Helena ließ sie im Jahr 326 nach Rom führen, wo sie jahrhundertelang die Eingangstreppe der päpstlichen Kirche im Lateran bildete. Als Erinnerung an das Leiden Christi durfte man diese Treppe in die Kirche nur kniend hochsteigen. Es musste ein hartes Stück Arbeit sein, die Marmortreppe zu zerlegen, auf damaligen Schiffen nach Rom zu transportieren und dort wieder zusammenzubauen. Nachdem der Lateran nach der Rückkehr des Papstes aus Avignon nach Rom im Jahr 1377 umgebaut und das Zentrum der päpstlichen Macht in den Vatikan verlegt wurde, verlor die Treppe ihre Funktion. Am Ende des sechzehnten Jahrhunderts bekam die Treppe, die bereits frei vor der Kirche stand, ein eigenes Gebäude und ihr Marmor wurde mit Holz verkleidet – um sie vor der Abnützung zu schützen. Ich glaube, dass dieses Nussholz mehr als den Marmor die Knie der Pilger schützt – auch heute darf man die Treppe nur kniend und betend betreten.

               Gleich neben der ersten Station der „Via dolorosa“ gibt es die zweite Station, wo Christus das Kreuz auf sich nahm.

Die Kapelle über diesen Ort ließ Herzog Maximilian von Bayern auf seiner Pilgerreise ins Heilige Land im Jahr 1838 bauen, als er zum Ritter des Heiligen Grabes geschlagen wurde. Für die, die diese ein bisschen extravagante Person der europäischen Geschichte nicht kennen, es handelt sich um den Vater der Kaiserin Elisabeth, der Gattin von Franz Josef I., unserer berühmten Sissi.

               Gleich in der Nähe der dritten Station steht das Österreichische Hospiz. Es wurde im Jahr 1858 gebaut und 1863 als Herberge für alle Pilger aus dem Österreich-Ungarischen Kaiserreich eingeweiht. Deshalb steht auf der Treppe die Statue der Jungfrau Maria – „Magna Mater Austriae“, die in Mariazell verehrt wird, geschmückt mit Wappen aller Länder der damaligen Monarchie. Das Hospiz musste in den 160 Jahren seiner Existenz bewegte Zeiten durchmachen. Im ersten Weltkrieg war es das Hauptquartier der österreichischen Offiziere (Die Türkei kämpfte auf der Seite von Deutschland und Österreich). Im November 1917 wurde Jerusalem von britischen Einheiten eingenommen und im Februar 1918 machten die Briten aus dem Hospiz ein Waisenhaus. Später verwandelten sie es in eine Pension für britische Offiziere und nach 1938 wurden hier österreichische Mönche und Nonnen interniert, die nach dem Anschluss Österreichs an Deutschland deutsche Staatsbürger wurden. Nach dem Jahr 1948 war hier ein jordanisches Krankenhaus, wo am 20. Juli 1951 der jordanische König Abdallah starb, der bei einem Attentat bei der Moschee Al Asqa tödlich verwundet wurde. Nach dem Sechstagekrieg wurde Jerusalem Teil des israelischen Staates und das Hospiz wurde an Österreich zurückgegeben. Die Österreicher renovierten das mittelweile einsturzgefährdete Gebäude und eröffneten es im Jahr 1988 feierlich wieder.

               Das Hospiz ist besuchswert. Nicht nur seiner wunderschönen Kapelle aus dem Jahr 1908 wegen, wo oberhalb des Altars alle heiligen Landespatronen der Länder des Kaiserreiches dargestellt werden, also auch der heilige Wenzel, der heilige Stephan oder Leopold. Man kann hier nämlich auch einen guten Wiener Kaffee, einen Apfelstrudel oder eine Sachertorte genießen. Die Hauptattraktion ist aber die Dachterrasse (der Eintritt kostete 5 Schekel) von der es einen wunderschönen Blick auf ganz Jerusalem gibt.

Auf einer Seite gibt es den Felsendom, auf der anderen die Kuppel der Grabeskirche und der Erlösungskirche, sie stehen nebeneinander am Ende der „Via Dolorosa“. Die Grabeskirche ist für orthodoxe und katholische Gläubige bestimmt. Damit die Protestanten auch eine Kirche hätten, ließ der Kaiser Wilhelm in ihrer unmittelbaren Nähe eine Kirche für seine protestantischen Untertanen die Erlösungskirche bauen. Wie wir wissen, feiern die Protestanten den Tod Christi mehr als seine Auferstehung, gerade durch seinen Tod hat er nämlich die Menschheit von der Erbsünde erlöst. Von der Dachterrasse des Hospizes aus sieht man die ganze Altstadt von Jerusalem so schön, dass man sie gar nicht mehr verlassen möchte.

               Die „Via dolorosa“ setzt ihren Verlauf fort, die dritte und vierte Station sind ziemlich unauffällig, der erste Sturz unter dem Kreuz und das Treffen mit Jesu Mutter sind nur ein paar Schritte voneinander entfernt. Dann geht man bergauf nach Golgota. Die fünfte Station ist Simon aus Zyrene gewidmet, der Christus sein Kreuz zu tragen half. In der Mauer eines der Häuser gibt es hier ein Stein mit dem „Abdruck“ der Handfläche Christi. Hier stützte sich der müde Erlöser an die Mauer. Zu bestimmten heiligen Relikten bin ich ein bisschen skeptisch, ich hoffe, dass mich mein Leser verstehen kann.

               Dann geht man durch die alte Mauer von Jerusalem, da die Befestigung, die Sultan Suleiman gebaut hat, ein wesentlich größeres Gebiet umgab, als es die antike Stadt besaß. Die Hinrichtungsstätte war logischerweise außerhalb der Stadtmauer, heute ist sie allerdings innerhalb der Stadt. Das Treffen mit Veronika als die sechste Station ist also im Bereich des alten Stadttores. In der Nähe der siebenten Station der „Via dolorosa“ gibt es ein ehemaliges Spital der Johanniter, das mit einem Malteserkreuz gekennzeichnet ist und von dem uns Schibli einreden wollte, dass es protestantisch sei.

               Die letzte Station außerhalb der Grabeskirche ist die achte Station, alle übrigen befinden sich unter dem Dach der Kirche. Die Grabeskirche wird je ein Viertel von orthodoxen Christen – griechischen, ägyptischen, armenischen und aramäischen – besessen, die Katholiken besitzen hier nur eine Seitenkapelle, wo ein Rest der Säule aufbewahrt wird, an der Christus gegeißelt wurde. Das Grab ist in einem Marmorbau gehüllt, auf den Eintritt zum Grab wartet man in einer Schlange ganze Stunden. Besonders dann, wenn in dem Moment, in dem wir schon hineintreten sollten, eine Prozession der polnischen Pilger den Ablauf unterbrach, die zum Grab von den Rittern des Heiligen Grabes in ihren prächtigen Ornaten begleitet wurde – zu meiner Überraschung gab es unter den Rittern auch Frauen.

Wir warteten auf den Eintritt dadurch eine halbe Stunde länger, es zahlte sich aber aus, die Prozession der Ritter war eine schöne Attraktion. Schlimmer war es für diejenigen, die hinter der Ecke standen – sie sahen nichts, warten mussten sie aber genauso wie wir. Sie mochten nachher keine Polen. Übrigens Polen, sowie auch Russen, gab es hier in unglaublichen Mengen, Osteuropa holt offensichtlich seine Defizite auf.

               Das Grab ist natürlich ein mystischer Ort. Bedeckt mit flachen Marmorplatten und beleuchtet nur mit Kerzen, hat es einen geheimnisvollen Charakter. Es ist klein, es passen höchstens drei Personen gleichzeitig hinein. Gerade, als wir an der Reihe waren, stürmte eine fanatische junge Frau im Kopftuch hinein. Sie warf sich auf die Platten des Grabes und wollte das Grab nicht mehr verlassen. Sie wälzte sich in einer Ekstase auf den Steinen, verbrannte sich ihre Hand an der Kerze, der Pope, der auf die Besucher aufpasste, musste sie mit Gewalt herausholen.               

               Im Vorraum der Kirche ist eine Marmorplatte ausgestellt, durchtränkt durch Öl, mit dem Maria Magdalena den Leichnam Christi einbalsamierte.

Man findet diese Platte leicht, bei ihr knien oder auf ihr liegen ganze Menschenmengen, die den zauberhaften Duft der Salbe genießen wollen. Man kann ihn wirklich riechen, möglicherweise deshalb, weil die Platte damit täglich frisch geschmiert wird. Der Duft ist sehr angenehm, ich habe ihn noch lange auf meinen Handflächen riechen können.

               Golgota befindet sich in der gleichen Kirche wie das Grab. Man muss nur um ein Stockwerk höher steigen. Durch eine enge Treppe kommt man zu einer weiteren Kapelle, die über die Steine der ehemaligen Hinrichtungsstätte gebaut wurde. Die Steine sind mit einem Glas bedeckt, damit man sie sehen kann und unter dem Altar gibt es eine Stelle, wo man die Hand hinlegen und die Steine von Golgota berühren kann. Die Voraussetzung ist eine angemessene Kleidung, ein Tourist in kurzer Hose wurde von den Priestern trotz heftigen Widerstandes erbarmungslos hinausgeworfen.

               Die Protestanten haben ihr Golgota anderswo, nämlich in einem englischen Park außerhalb der Stadtmauer, wenn man die Stadt durch Damascustor verlässt. Die Protestanten begründen diese Stelle mit dem Text der Bibel, dass sich die Hinrichtungsstätte außerhalb der Stadtmauern befand. Dazu findet man in diesem Park tatsächlich einen Felsen, der dem menschlichen Schädel ähnelt. Im Jahr 1867 wurde hier ein Felsengrab entdeckt und im Jahr 1883 entschied der britische Generalmajor Charles Gordon, dass es sich hier um den wahren Ort des Todes und Begräbnisses Jesus handelte und er kaufte das Grundstück. Es ist ein ruhiger Ort, viel ruhiger als die Menschenmengen in der Grabeskirche, also es ist entbehrlich mit Protestanten zu streiten, ob die Mauer Suleimans mit der antiken übereinstimmt oder nicht. Wer Lust oder Zweifel hat, darf auch diesen Ort besuchen.

               Egal ob dort oder hier, irgendwo hier in der Nähe, jedenfalls in Jerusalem, fand das Leben Christi sein Ende. Und damit auch unsere Pilgerreise. Trotzdem möchte ich das Heilige Land noch nicht verlassen. In zwei Wochen geht es zum Toten Meer und zur Festung Massada. Das ist ohnehin ein Pflichtprogramm jeder Israelreise.

Heiliges Land – Betlehem

               Betlehem, wo der Lebensweg Christi begann, ist heutzutage mit Jerusalem grundsätzlich zusammengewachsen. Also, es wäre zusammengewachsen, gäbe es zwischen den beiden Städten nicht eine acht Meter hohe Mauer. Die Grenzübergänge werden von bewaffneten israelischen Soldaten überwacht. Betlehem liegt nämlich in Palästina also in der „Westbank“, im autonomen palästinischen  Gebiet. Betlehem gehört zur „Zone A“, also zum palästinischen Gebiet mit einer vollständigen Autonomie, also mit Zivilverwaltung und palästinischer Polizei (Palästinenser dürfen keine Armee haben). Man wird nach der Überquerung der Grenze von einer großen roten Tafel ein bisschen überrascht, auf der, geschrieben mit großen weißen Buchstaben, steht: „Dieser Weg führt in ein palästinisches Dorf. Benutzung dieser Straße ist für israelische Staatsbürger lebensgefährlich“. Aus diesem Grund wechseln die Reisegruppen, die einen israelischen Reiseführer haben, an dieser Stelle diesen in einen palästinensischen. In Betlehem machen die Führungen ausschließlich Palästinenser.

               Zur „Geburtskirche“ muss man also über die Grenze – am bestens im Taxi mit einem arabischen Fahrer. Betlehem ist eine prosperierende Stadt, gleich wie Rammallah profitiert es von der Loyalität der derzeitigen palästinischen Führung – und von der Touristik. Es gibt hier Vier – und Fünfsternhotels (obwohl man im Vergleich mit mitteleuropäischen Verhältnissen einen Stern abziehen sollte). Es ist doch ein bisschen anders, zum Beispiel im Hotel Gabriel ist die ganze Bar eine Raucherzone, also für Nichtraucher ist es dort ein bisschen schwierig. Eine Zigarette gehört im Orient zum Image eines erwachsenen Menschen noch viel mehr als bei uns und medizinischer Tratsch über die Schädlichkeit des Rauchens ist hier noch nicht angekommen. Im Stadtzentrum gibt es ein riesiges modernes Einkaufszentrum, wäre es nicht arabisch beschriftet (nur arabisch, hebräische Aufschrift würde man vergeblich suchen), könnte man glauben, man wäre zu Hause.

               Die Basilika „Geburtskirche“ist ein riesiges Gebäude im romanischen Stil. Angeblich ist es die einzige Kirche in ganz Palästina, die das Wüten der Perser im Jahr 614 überlebte. Der Grund war das Mosaik mit einer Abbildung der drei Könige vor ihrem Eingang. Diese wurden in den traditionellen persischen Gewänden dargestellt und das hielt die Soldaten des persischen Königs ab – sie fürchteten, sie könnten einen persischen Tempel zerstören. Das Mosaik gib es hier heutzutage nicht mehr, der Eingang in die Basilika ist trotzdem sehr interessant. Grundsätzlich handelt sich um drei Eingänge in einem. Der größte und der mittelgroße (sagen wir der normal große) sind beide zugemauert, es bleibt nur ein kleiner Eingang, in dem man sich viel bücken muss, um durchzukommen. Angeblich ist der Grund, dass kein Mann in der Rüstung und mit einer Waffe hineinkommen durfte. Was funktionieren könnte. Ein gepanzerter Ritter kann sich sicher nicht so klein machen, um durchzukommen. Das Innere der Kirche ist dafür groß. Groß genug, damit sich hier eine dreistündige Schlange bilden kann, die auf den Eintritt in die Höhle im Untergeschoß wartet, wo das Christkind zur Welt kam. 

               So zog auch Josef von der Stadt Nazareth in Galiläa hinauf nach Judäa  in die Stadt Davids, die Betlehem heißt, denn er war aus dem Haus und Geschlecht Davids. Er wollte sich eintragen lassen mit Maria, seiner Verlobten, die ein Kind erwartete. Als sie dort waren, kam für Maria die Zeit ihrer Niederkunft und sie gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen. Sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil in der Herberge kein Platz für sie war. (Lukas 2, 4-7)

               Das apokryphische Matthäus Pseudoevangelium bereichert diese Erzählung mit unseren zwei bekannten Tieren: „Am dritten Tage nach der Geburt unseres Herrn Jesus Christus trat die seligste Maria aus der Höhle, ging in einen Stall hinein und legte ihren Knaben in eine Krippe, und Ochs und Esel beteten ihn an. Da erfüllte sich, was durch Propheten Jesaja verkündet ist, der sagt: Der Ochse kennt seinen Besitzer und der Esel die Krippe seines Herrn“

               Weil die Apokryphen in der christlichen Tradition eine bedeutende Rolle spielen, muss natürlich der Geburtsort Christi in einer Höhle sein – die Stelle der Geburt ist auf dem Boden mit einem Stern gekennzeichnet.

Vorher muss man aber eine mehrstündige Schlange überstehen, die sich durch die orthodoxe Basilika schlängelt, bis man zum Eingang in die Höhle kommt. Die Menschen sickern in den Eingang der Höhle wie Sand in ein Loch im Boden, der Ort hat aber trotz dieses Andrangs der Pilger und Touristen etwas in sich. Hier klingen die Worte des Evangelium von Lukas: „In jeden Tagen erließ Kaiser Augustus den Befehl…“ einfach anders als wo anders.

               Die wunderschöne Ikonostase und riesige Kronleuchter aus Silber stiftete der russische Zar Nikolaus II. für die Kirche. Der Herrscher, der in seinem Heimatsland zu einem heiligen Märtyrer erklärt worden ist, da er mit seiner ganzen Familie dem Terror der Bolschewiken zum Opfer fiel.

               Da die Geburtskirche ein orthodoxes Gotteshaus ist, gibt es in ihrer unmittelbaren Nähe die Kirche der Heiligen Katharina von Alexandria. Diese monumentale katholische Kirche (verwaltet wird sie von Franziskanern) steht auf dem Ort, wo laut Überlieferung der heiligen Katharina Jesus erschien und ihr bevorstehendes Martyrium voraussagte.  Die katholischen Weihnachtsmessen aus Betlehem werden in die ganze Welt aus dieser Kirche übertragen. Übrigens, die Orgel ist ein Werk der österreichischen Firma Rieger und wurde in den Jahren 2002 – 2003 gebaut.

               Betlehem ist der Geburtsort Königs David, des Gründers des ersten jüdischen Staates und Eroberers Jerusalems. Also des ersten ( obwohl eigentlich des zweiten) jüdischen Königs. Er, sowie auch Josef und Christus, leiteten ihre Herkunft vom jüdischen Stamm Benjamin ab, sie waren also Nachfahren des jüngsten der Söhne Jakobs. An Davids Geburt wird auf dem Gebiet des Feindes nicht erinnert, die Juden ehren ihn an seinem fiktiven Grab auf dem Berg Zion vor den Mauern Jerusalems.

               Also wenn der Weg Christi in Betlehem seinen Anfang nahm, endete dieser nach vielen Zwischenstationen in dem weitentfernten Galiläa, in Nazareth, in Kapernaum, am See Genezareth und – vielleicht – auch in Kana, in Jerusalem – so, wie er enden musste.

Aber darüber das nächste Mal.