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Palermo

               Wir reisten durch Sizilien zwar mit dem Auto, nach Palermo fuhren wir aber lieber mit dem Bus. Dass es eine richtige Entscheidung war, überzeugten wir uns, als unser Bus hartnäckig versuchte sich ins Stadtzentrum durchzukämpfen und kompromisslos drängte Autos weg, die es wagten, sich vor ihn einzureihen. Ich bin überzeugt, dass ich es nicht geschafft hätte, übrigens schon eine Durchfahrt auf einer dreispurigen (?) Straße um Palermo zwei Tage später war ein ausreichend stressiges Erlebnis. Also die Wahl eines Busses war richtig, obwohl er selbstverständlich mit einer halbe Stunde Verspätung kam und Palermo mit einer Stunde Verspätung erreicht hat. Dafür konnten wir aber den Bus im Zentrum von Palermo ohne körperlichen oder seelischen Schaden verlassen. Diese Tatsache war unbezahlbar, weder mit Geld noch mit Zeit.

               Palermo erfreut sich keines guten Rufes. Ganze Jahrzehnten war es der Stützpunkt der sizilianischen Mafia. (Erinnern Sie sich noch auf die italienische Serie „La Piovra“, auf Deutsch „Die Krake“ mit dem sympathischen und von Frauen geliebten Kommissar Correo Cattani?) Und das, obwohl für die Hauptstadt der Mafia das Städtchen Corleone im Landesinneren gehalten wird. Die Macht der Mafia auf Sizilien schrumpfte aber in den letzten Jahrzehnten wesentlich, sie kann sich keinesfalls mit dem Einfluss von Camorra in Kampanien oder Ndrangetta in Kalabrien messen. Schicksalhaft zeigten sich für die Mafia die Morde an den Untersuchungsrichtern Giovanni Falcone am 23.Mai 1992 und Paolo Borsallino am 19. Juli des gleichen Jahres. Die Mafia überspannte mit diesen Taten den Bogen und die Sizilianer sagten, „es reicht“. Ab diesem Jahr  galt nicht mehr die „Omerta“ also „das Gesetz des Schweigens“, das die Mafiosi die ganze Zeit schützte. Nach den zwei ermordeten Kommissaren wurde der Flughafen von Palermo benannt.

               Von der Schwäche der Mafia zeugt auch das Schicksal des Bürgermeisters von Palermo Leoluca Orlando. Im Jahr 1985 wurde er das erste Mal zum Bürgermeister von Palermo gewählt, damals noch für die Partei „Democratia christiana“. Zu Überraschung aller begann er Ordnung zu machen, womit niemand, nicht einmal im Traum, rechnen konnte. Einer der Anlässe zu seiner Politik war die katastrophale Situation um die Oper von Palermo.

Sie war ein Wahrzeichen der Stadt mit 3200 Sitzplätzen. Gebaut wurde sie am Ende des neunzehnten Jahrhunderts. Dort kam es einmal im Jahr 1977 zum Rohrbruch mit Wasserschaden. Die Firma, die mit der Reparatur des Schadens beauftragt wurde, war an die Mafia gebunden und machte im Gebäude mehr Schaden, den wieder eine weitere Firma – wiederum an Mafia gebunden – reparieren musste. Und so weiter und so weiter… Nach einigen Jahren stiegen die Kosten für die Reparatur in Millionenhöhe und das Gebäude war abrissreif. Orlando schmiss alle beteiligten heimischen Firmen hinaus und beauftragte mit den Arbeiten Unternehmen aus dem Ausland. Infolge dessen wurde er von seiner eigenen Partei im Jahr 1990 verraten und abberufen. Er gründete auf Anhieb eine eigene politische Bewegung „La Rete“, also „Das Netz“ und gewann mit ihr die anstehenden Wahlen. Das „Teatro Massimo“ auf der „Piazza Verdi“ wurde feierlich nach einundzwanzig Jahren im Jahr 1998 wiedereröffnet und gerade diese Feier wurde zum Symbol des Sieges über die Mafia und ihren Einfluss in der sizilianischen Wirtschaft. Leoluca Orlando war in den Jahren 1985 – 2000 ununterbrochen drei Wahlperioden Bürgermeister und da es ihm vorgekommen ist, dass der Kampf gegen Mafia nachgelassen hätte, ließ er sich im Jahr 2013 das vierte Mail wählen.

               Natürlich stand er seit dem Anfang seiner politischen Karriere unter Polizeischutz, aber dass ihn trotzdem die Mafia nicht beseitigen konnte und Orlando lebt – er ist der Bürgermeister und Abgeordneter im italienischen sowie auch im europäischen Parlament – ist für die Mafiabosse eine große Niederlage und Kreditverlust.

               Von der Amtsführung des Leoluca Orlando profitierte nicht nur die Oper von Palermo, die wieder im Betrieb ist, sondern die ganze Stadt. Also ganze – zumindest das Zentrum der Stadt. Die Hauptstraßen wurden endlich renoviert und Palermo wurde zu einer anziehenden Touristendestination. Besonders, da die Kleinkriminalität auf den Straßen, die hier früher blühte, unterdrückt werden konnte. Palermo gilt seit langem nicht mehr zu den zehn italienischen Städten mit der höchsten Kriminalität. Ich muss sagen, dass wir uns die ganze Zeit absolut sicher fühlten.

               Durch die Mitte der Stadt führt   das „Corso Vittorio Emanuelle“. Es ist eine breite Straße, ihr folgend kommt man zur Kathedrale von Palermo und sie endet bei der „Porta Nuova“, einem Tor, das zu Ehre des Kaisers Karl V. und seines Sieges über die Araber in Tunis Im Jahr 1536 gebaut wurde. Die Sizilianer konnten schätzen, dass damit ein wichtiger Stützpunkt der arabischen Piraten (Hayredin Barbarossa) vernichtet wurde.Mittelpunkt der Stadt ist die Kreuzung „Quatro Canti“.

Alle vier Gebäude an den Ecken dieser Kreuzung haben die gleiche Form und bilden so den Eindruck eines Kreises. Die Kathedrale ist ein monumentaler Bau, die allerdings viel besser von außen als von innen aussieht. Von außen ist das ein Juwel der Frühgotik, im Inneren ist sie klassizistisch einfach.

In der Schatzkammer der Kathedrale ist die Kaiserkrone von Konstanze von Aragon ausgestellt, der ersten Gattin des Kaisers Friedrich II. und der einzigen, die der Kaiser krönen ließ. Konstanze war schon vor der Hochzeit mit Friedrich ungarische Königin, nach der Rückkehr nach Sizilien vermittelte Papst Innozenz III. ihre Hochzeit mit dem damals fünfzehnjährigen Friedrich (sie selbst war 25 Jahre alt). Die Ehe war nicht besonders glücklich, der Kaiser akzeptierte trotzdem seine ältere Ehefrau und zeugte mit ihr einen Sohn – den unglücklichen römischen König Heinrich VII. Die Krone ist im byzantinischen Stil ausgeführt, in der Krypta der Kathedrale befinden sich Sarkophage der Bischöfe von Palermo, und in der Kathedrale selbst dann in einem silbernen Schrein die sterblichen Überreste der heiligen Rosalia, der Schutzpatronin von Palermo. Die Heilige lebte in den Jahren 1130 – 1170 als Eremitin auf dem Berg „Monte Pelegrino“, der über den Hafen von Palermo emporragt und der Goethe bei seinem Palermobesuch begeisterte.

               Was allerdings in der Kathedrale von Palermo ein absolutes Unikum ist, ist die Toilette für die Besucher der Kirche. Der Eingang in diese öffentliche Toilette ist diskret hinter einem Altar in einer Seitenkapelle versteckt, beinahe hätte ich nicht geglaubt, dass dort so etwas sein konnte. Es war aber!

               Die Hauptattraktion ist allerdings nicht die Toilette, sondern die Sarkophage des normannischen Königs Roger II., seiner Tochter Konstanze, der Gattin des Kaisers Heinrich VI. und Mutter Friedrichs II. Friedrich selbst befindet sich links vorne, hinter ihm ist der Sarkophag seines Großvaters mütterlicherseits Roger II. In der rechten Reihe sind dann die Eltern des Kaisers Heinrich VI. und Konstanze, der Tochter Rogers II. und Erbin des Sizilianischen Königsreiches.

In den Wänden sind Grabmäler von Wilhelm I. und Konstanze, der ersten Gattin Friedrichs. Die königlichen Sarkophage sind imposant auf Art antiker Tempel gebaut worden, die kaiserlichen werden von Säulen aus dem roten Porphyr getragen, während die königlichen von vergoldeten Marmorsäulen. Damit gleich klar ist, wem die königliche und wem die kaiserliche Würde gehörte. Friedrich ließ sich in Palermo begraben, sein Herz wurde aber in Foggia aufbewahrt, in der Stadt, die er liebte und von der er sein riesiges Reich beherrschte. Das Herz ist verloren gegangen, als sein Palast in Foggia durch ein Erdbeben vernichtet wurde. Seine körperlichen Überreste in Palermo blieben bis heute erhalten.

               Was man in der Kathedrale vermisst, das findet man vielmals im „Palazzo dei Normanni“.

Der Palast ist von außen ein monumentales Gebäude in romanischem Stil, im Inneren ist der „Palazzo reale“ im Renaissancestil umgebaut – diese zwei architektonische Stile harmonieren miteinander gut, von  hier aus herrschten die spanischen Vizekönige. Ein Teil des Palastes ist aber leider klassizistisch umgebaut, die Baustile werden hier wild vermischt, wie wir in Italien und besonders in Süden Italiens gewohnt sind.

               Dann kommt aber der absolute Höhepunkt – die „Capella Palatina“. Im Augenblick, wenn man die Kapelle betritt, wird man vom Glanz des Goldes geblendet. Überall an den Wänden gibt es Gold, Gold und wieder einmal Gold zwischen wunderschönen Mosaiken, natürlich mit Pantokrator in der Apsis. Es ist ein unbeschreibliches Erlebnis, das man nur selten erlebt.

Etwas Ähnliches habe ich wahrscheinlich nur noch im Bernsteinzimmer in „Carsko Selo“ empfunden, in der Sixtinischen Kapelle störten den Eindruck die hunderte anwesende Besucher. Es ist sicherlich eine Absicht, dass die Stühle in der Mitte der „Capella Palatina“ durch Seile unzugänglich gemacht worden sind. Weil wenn sich der Mensch einmal hingesetzt hätte, würde er diesen Raum nie freiwillig verlassen. Im Stehen kommt doch einmal die Müdigkeit und man muss, auch wenn ungern, doch hinausgehen. Trotzdem ist es fantastisch hier für ein paar Minuten stehen zu bleiben, den Atem anzuhalten und die unglaubliche Schönheit des Raumes zu genießen.

               Wenn man den „Palazzo die Normanni“ verlassen hat, braucht man dringend eine seelische Erholung. Die bietet ein Kirchlein „San Giovani degli Eremiti“ in der unmittelbaren Nähe des normannischen Palastes.

Ein kleines Kirchlein mit roten Kuppeln auf dem Platz der ehemaligen Moschee als eine Erinnerung auf die rekatholisierende Tätigkeit des Königs Rogers II, der diese Kirche im Jahre 1132 bauen ließ. Es ist eine Kirche mit vielen arabischen Komponenten und einem großen Garten mit gigantischen Kakteen, Orangebäumen, Palmen und einem arabischen Brunnen im Hof mit arabischem Säulengang – doppelte Säulen mit engen Bögen als eine Erinnerung an die Zeit der Toleranz, als hier alle drei Religionen zusammen im Frieden lebten – die katholische, die orthodoxe und der Islam. Die Kirche kennt noch die Zeiten, als in Palermo im Jahr 1096 die Brüder Roger und Robert Guiscard triumphal einzogen, die örtliche arabische Herrscher zur Kapitulation zwangen. Palermo verdankt den Arabern vieles. Sie haben die Hauptstadt der Insel von Syrakus nach ehemaliges Panormos verlegt, weil diese Stadt ein besserer Stützpunkt für ihre Angriffe in Richtung Italien war.

Übrigens sechs Euro für den Eintritt in ein Kirchlein, in dem seine innere Ausstattung vollständig fehlt, halte ich doch für eine überzogene Gebühr. Zum Glück befindet sich in der Nähe der Kirche ein Restaurant „Villa San Giovanni degli Eremiti“ mit fantastischem frischem, direkt im Restaurant gebackenem Brot, mit gutem Wein und einer hervorragenden Küche.

               Palermo hat eine drei viertel Million Einwohner und die absolute Mehrheit davon ist sehr arm. Das merkt man gleich, wenn man die touristischen Hauptrouten verlässt. Gleich in einer Parallelstraße zum „Corso Vittorio Emanuelle“ unmittelbar neben einer schön rekonstruierten Barockkirche ragen hohe verfallene Wohnhäuser mit halbzerfallenen Balkons und mit Graffiti auf den Wänden empor.

Manche Eingänge signalisieren bereits, dass die Räume hinter ihnen unbewohnbar sind. Dafür stolpert man auf jedem Schritt über Statuen der heiligen Jungfrau Maria, wie überall auf Sizilien ist die Mutter Gottes auch in Palermo ein absoluter Kult.           

               Wenn man zum Plätzchen „Quatro Canti“ zurückkehrt, findet man in einer Nebenstraße das „Municipio“, also das Rathaus und vor ihm  die „Piazza pretoria“ mit der „Fontana Pretoria“. Diese Fontäne wurde ursprünglich für die Stadt Florenz erbaut, im Jahre 1573 kaufte sie aber die Stadt Palermo.

Gleich um die Ecke befindet sich die „Piazza Bellini“. Man muss wissen, dass man sie suchen muss, es zahlt sich aber aus, sie zu finden. Neben der Barockkirche „Chieza Santa Caterina“ ist hier „La Martorana“ auch „Santa Maria dell´Ammiraglio“ genannt, die im Jahre 1143 Georg von Antiochia, der Vizeadmiral der Flotte Rogers II., bauen ließ. In dieser Kirche befindet sich ein Mosaikzyklus aus dem Jahr um 1150, also älter als die Mosaiken im „Palazzo Normanni“. Auch sie glänzen von Gold. In der Vorhalle der Kirche ließ sich der Vizeadmiral selbst verewigen, vergaß aber nicht, die Ehre seinem König zu erweisen. Auf der anderen Seite krönt nämlich Christus persönlich den König. Was kann sich ein Herrscher Besseres wünschen, als einen loyalen Heerführer? Gleich neben „La Martorana“ gibt es eine weitere Erinnerung an die arabische Vergangenheit der Insel, die Kirche „San Cataldo“ mit roten Kuppeln im arabisch-normannischen Stil. Die Normannen waren bei der Machtübernahme über die Insel sehr tolerant und Hauptsache, sie nahmen sich aus allen Einflüssen, die sie auf der Insel fanden, das Beste und das Schönste. Es entstand eine gemischte Kultur, der Grundstein des Wohlstandes, der unter der Regierung der nachdenklichen normannischen Könige ein Jahrhundert halten sollte.            

   Sollten Sie sich bis zu dem „Teatro Massimo“ verirren, gleich daneben gibt es das „Museo archeologico“ mit vielen Kunstwerken, die an die antike Vergangenheit der Insel erinnern, als Sizilien noch die Kornkammer zuerst Griechenlands und dann des Römischen Reiches war. Heute scheint es unwahrscheinlich, aber in der Antike waren Städte wie Syrakus, Himera, Selinunt, Segesta oder Agrigent ein Symbol der Prosperität und des Reichtums.  

               Natürlich kann man in Palermo noch viel mehr sehen, unentbehrlich sind Kirchen des heiligen Dominikus und Franciscus, natürlich auf den verschiedenen Seiten der Altstadt, den Charakter der Stadt kann man angeblich am besten auf dem Markt „Ballaro“ kennenlernen. Allerdings muss man dorthin gleich in der Früh gehen und das haben wir verpasst. Als wir den Markt endlich gefunden haben, schlossen die Verkäufer gerade ihre Buden. Also wenn man die Atmosphäre des palermitanischen Marktes erleben will, muss man gleich in der Früh hin. Und dabei doch auf die Geldbörse aufpassen.

               Vor der Stadtmauer an der Küste gibt es einen schönen Platz zum Ausruhen. Eine breite Promenade mit  viel Grün, mit Bäumen und dem „Monte Pelegrino“ am Horizont. Wenn man dann in die Stadt zurückkehrt, sollte man unbedingt noch die „Villa Giulia“ besuchen, einen Garten an den dann der „Orto botanico“ anschließt. In der Mitte des Gartens gibt es vier symmetrisch aufgestellte farbige Exedren, Sonnenuhr und einige Fontänen.

Goethe besuchte diesen Park und war von ihm so hingerissen, dass er zu seinem Lieblingerholungsplatz wurde. Wir machten es nach ihm, obwohl die Marmorbänke so heiß waren, dass es sehr problematisch war, sich auf sie hinzulegen und sich nach dem anstrengenden Tag in der „Goldenen Muschel“, wie Palermo genannt wird, zu erholen.

Syrakus

               Syrakus war einmal eine der größten Städte der Welt. Nicht umsonst wurde es von Cicero „die schönste griechische Stadt“  genannt. In seinen glorreichsten Zeiten lebten hier eine halbe Million Einwohner. Heute, zweitausend und dreihundert Jahre später, ist das nicht einmal ein Viertel davon. Im Jahr 734 vor Christi erkannten Siedler aus Korinth die geniale Lage der Bucht von Syrakus, wo sich heute der Große Hafen – „Porto Grande“ – befindet und als sie noch dazu auf der Insel Ortigia eine ausgiebige Süßwasserquelle fanden, wurde das Schicksal dieses Ortes entschieden. Die Korinther gründeten hier eine Kolonie. Die Quelle auf der Insel gibt es immer noch, man kann sie finden, wenn man von der Kirche „Santa Lucia alla Badia“ entlang der Straße „Via Picherali“ geht und sie trägt den Namen der Nymphe Arethusa. Diese, einer Legende nach, warf sich auf der Flucht vor dem Flussgott Alpehios auf der Ostküste des Peloponnes ins Meer und tauchte in Ortigia auf, direkt auf der Stelle, wo dann kaltes Quellwasser sprudelte. So zumindest wird diese Geschichte von Vergil beschrieben.

               Bald nach ihrer Gründung expandierte die Stadt auf das Festland hinter der Insel und in der Zeit ihrer größten Blüte war ihre Stadtmauer 22 Kilometer lang. Um sich eine Vorstellung von der Größe des damaligen Syrakus machen zu können, müssen wir bedenken, dass die Festung „Castello Eurialo“, die man von der Straße aus der Richtung Catania sehen kann, ein Teil der Stadtbefestigung war. Nur dann stockt einem der Atem. Syrakus war ein ganzes Jahrtausend die wichtigste Stadt der Insel, bis die Araber die Hauptstadt nach Palermo verlagerten. In den Zeiten des Kaisers Konstans II. also im siebenten Jahrhundert n. Ch., war Syrakus kurz sogar die Hautstadt des Byzantinischen Reiches. Dann wurde es aber von den Arabern erobert und danach mit Hilfe des byzantinischen Admirals Maniacos, nach dem die Festung auf dem südlichsten Ausläufer von Ortigia ihren Namen bekommen hat, von Normanen eingenommen. Syrakus verlor danach immer mehr an Bedeutung, die dann Palermo übernahm.

               Besuchswert ist die Stadt auch heute noch, obwohl sie von ihrer Schönheit aus der Ciceros-Zeit viel eingebüßt hat. Die Altstadt befindet sich auf der Insel Ortigia, Neapolis, also die Neustadt, auf dem Festland. Die wichtigsten archäologischen Funde als Erinnerung an die Zeiten der glorreichen Diktatoren von Syrakus, findet man auf dem Festland in „Parco archeologico“.    

               Das Beeindruckteste davon ist das griechische Theater.

Es ist gigantisch, gebaut aus weißem Marmor mit einem Durchmesser von 138 Meter (zu Vergleich – der Durchmesser des Theaters von Athen hatte nur 100 Meter), mit 61 Reihen von Sitzplätzen für insgesamt 15 000 Besucher (in anderen Quellen fand ich sogar 30 000). Oberhalb des Theaters gibt es im Felsen kleine Höhlen, wo man sich im Schatten ausruhen kann, aus einer davon sprudelt immer noch Wasser wie in den besten Zeiten von Syrakus und fließt in die antiken Kanäle. Damals diente das Wasser zur Erfrischung der Zuschauer, zum Beispiel, als hier die Uraufführung des Theaterstückes „Die Perser“ von Aischylos in Anwesenheit des Autors stattgefunden hat.

               Das römische Amphitheater, das sich nicht weit davon befindet, hat bei weitem nicht diese imposanten Maße. Ob hier die Gladiatorenkämpfe ausgetragen wurden, ist bis heute nicht ganz sicher, aber aus welchem anderen Grund hätte die Römer das Amphitheater besucht? Zwischen dem Theater und Amphitheater sieht man den Altar Hierons II. Der Altar hat unglaubliche Maße von 198×23 Meter und zu Ehre des Zeus wurden hier bis zu 450 Stiere geopfert, die dann die Bewohner der Stadt in Rahmen der Feierlichkeiten verspeist haben. Es wird erzählt, dass Hieron 300 Ochsen schlachten ließ, als der im Jahr 287 v.CH. in Syrakus geborene Archimedes sein berühmtes Gesetz entdeckte. Seitdem zittern alle Ochsen, wenn etwas Neues entdeckt wird.

               Die Stadt hatte sogar zwei Tyrannen mit dem Namen Hieron. Immer waren es geschickte Politiker, die Macht und Reichtum der Stadt vermehren konnten. Hieron I. wurde zum Tyrann im Jahr 478 vor Christi, als er die Macht nach seinem Bruder übernahm – bis dahin herrschte er im naheliegenden Gela. Er schaffte es, die ewig zerstrittenen griechischen Kolonien auf der Insel zu einen und gemeinsam dann  bei Cumae die expandierenden Etrusken zu besiegen. Zur Ehre dieses Sieges ließ Hieron auf der Insel Ortigia einen Tempel der Göttin Athena (Pallas Athena war Göttin eines vernünftig geführten Krieges, die Griechen glaubten, das so etwas wirklich existiert) im monumentalen dorischen Stil bauen. Die Säulen dieses Tempels kann man auch heute in einem sehr guten Zustand bewundern, weil dieser Tempel zum Dom von Syrakus umgebaut wurde und die Säulen die Seitenschiffe der Kirche tragen. Dank dieser Säulen hat die Kirche ihren Namen „Santa Maria delle Collone“ bekommen.   

               Hieron II. lebte zweihundert Jahre später. Er übernahm die Macht in Syrakus im Jahr 269 v.Ch, gerade rechtzeitig, da vier Jahre später der erste punische Krieg zwischen Rom und Karthago ausbrach. Sizilien wurde nämlich zum Zentralpunkt der kriegerischen Handlungen und Hieron zum Segen für seine Stadt, da er sich weitsichtig an die Seite Roms stellte, obwohl es am Anfang überhaupt nicht danach aussah, dass die Römer, die sich in der Seefahrt überhaupt nicht auskannten, die geborenen Seeleute von Karthago besiegen könnten. Es zeigte sich, dass er auf die richtige Karte gesetzt hatte. Rom hat den Krieg im Jahr 241 v.Ch. gewonnen und nahm ganz Sizilien ein. Hieron konnte allerdings als Dank für seine Loyalität  unabhängig von der römischen Macht bleiben und sein Königsreich im Osten der Insel unterlag nicht der römischen Verwaltung. Als im Jahr 218 v. Christi der zweite punische Krieg begann, lebte er noch und er hätte seine Strategie der Zusammenarbeit mir Rom nicht geändert. Er starb aber im Jahr 215 und sein Nachfolger Hieronymus wechselte unter dem Eindruck des Sieges von Hannibal über die Römer bei Cannae die Fronten und trat zu Karthago über. Er wurde zwar noch im gleichen Jahr ermordet, Syrakus hat die propunische Partei aus der Stadt vertrieben und wieder seine Loyalität zu Rom erklärt, aber die Römer konnten sich diese hervorragende Gelegenheit, die letzte unabhängige Enklave auf „ihrem Sizilien“ zu erobern nicht entgehen lassen und sie schickten nach Syrakus eine Armee unter der Führung Generals Marcellus. Wir sollten merken, dass es im Jahr 214.v.Ch war, zwei Jahre nach der vernichtenden Niederlage bei Cannae, als Hannibal in Capua saß und ganz Mittelitalien direkt vor der Toren Roms beherrschte. Für so ein Unternehmen muss man feste Nerven haben und die hatten die Römer wirklich. Allerdings, bei der Belagerung von Syrakus trafen sie auf einen Gegner, mit dem sie offensichtlich nicht gerechnet hatten – auf den Mathematiker und Physiker Archimedes. Der bereits ältere Wissenschaftler amüsierte sich die ganze Zeit durch Erfindungen speziellen Verteidigungsmaschinen, wie zum Beispiel „Die Kralle von Archimedes“ oder verschiedenen Katapulten. Angeblich reichte es mit der Zeit nur einen Ast auf den Mauern hochzuheben und die Römer ergriffen panische Flucht. Sein Meisterstück war das Anzünden der Segel der römischen Flotte im großen Hafen durch Linseneffekt, das er durch polierte Bronzenschilde der Soldaten auf den Mauern erreichte. General Marcellus verlor in diesem Moment seine Nerven und rief, dass er keine Lust hätte, weiter gegen einen einzigen Mathematiker Krieg zu führen.

               Die lange Belagerung führte aber dazu, dass die Aufmerksamkeit der Bürger von Syrakus nachgelassen hat. Wegen Römer, die sich machtlos vor den unüberwindbaren Mauern der Stadt langweilten, waren sie nicht bereit, sich die Angenehmlichkeiten des Lebens entgehen zu lassen, wie die Feier der Göttin Artemis. An dieser Feier wollten unbedingt auch die Wachen der Stadtmauern teilnehmen. Die Römer erfuhren das, und einer kleinen Gruppe römischer Soldaten gelang es, die unbewachte Mauer zu erklimmen und die Stadttore zu öffnen. Die Stadt wurde von Römern eingenommen und dabei starb auch Archimedes. Er wurde von einem römischen Offizier aufgefordert, zu Marcellus zu gehen, gerade, als er dabei war, ein kompliziertes mathematisches Problem zu lösen. Der Römer wurde durch die Antwort von Archimedes „Störe meine Kreise nicht“ sosehr beleidigt, dass er den Alten tötete.

               Neben dem archäologischen Park gibt es einen Steinbruch, aus dem die Steine des griechischen Theaters und vielen weiteren Bauten in der Stadt stammen. Hier arbeiteten Kriegsgefangene (heute ist es ein Park unter dem freien Himmel, aber im Jahr 413 wurde noch unterirdisch gearbeitet). Gerade in diesem Jahr wurden hierher 7000 gefangenen Soldaten des Heeres von Athen zu Zwangsarbeit gebracht. In Griechenland tobte damals der „Peloponnesische Krieg“ zwischen Sparta und Athen um die Macht über das Griechenland und das Schicksal dieses Krieges entschied sich überraschenderweise auf Sizilien vor Syrakus. Syrakus war ein Verbündeter von Sparta, da es sich nicht vor der Seemacht Athen beugen wollte. Sparta war keine Seemacht und brauchte Versorgung mit Nahrungsmitteln und Rohstoffen, die Athen mit seiner Flotte zu unterbinden versuchte. Die Flotte von Syrakus konnte aber Sparta ausreichend versorgen und der Krieg war damit in einer Pattstellung. Deshalb entschied sich der Politiker von Athen, Alkibiades, Syrakus zu brechen und in weiterer Folge dann auch Sparta. Im Jahr 415 v.Ch. stach eine riesige Flotte von 140 Trieren in See in Richtung Sizilien und es folgte eine erfolglose Belagerung der Stadt. Als im Großen Hafen die Flotte von Athen vernichtet wurde, entschieden sich die Athener zum Rückzug. Viel zu spät!. Im Inneren der Insel wurden sie eingekesselt und besiegt. Der Heerführer Nikias wurde hingerichtet und siebentausend Gefangene nach Syrakus überführt, um hier im Steinbruch inmitten der Stadt zu arbeiten.

               Heute ist der Steinbruch ein Park und eine besondere Attraktion ist das so genannte „Ohr des Dionysos“. Es ist eine künstliche Höhle 60 Meter lang und 23 Meter hoch mit einer Breite von fünf bis zehn Metern mit einer unglaublichen Akustik. Laut einer Legende konnte der Tyrann Dionysos dank dieser Höhle auch die stillste Gespräche der Gefangenen abhören.            

               In die Altstadt gelangt man auf dem Weg um eine furchtbare Kirche aus Beton namens „Santuario della Madonna delle Lacrime“ und sie schaut tatsächlich zum Weinen aus.

Man kann aber nichts tun, dieses Ungeheuer ist ein Wahrzeichen des modernen Syrakus. Gleich nebenan befindet sich  die „Basilica di San Giovanni“, berühmt durch ihre Katakomben. Hier lebte die erste christliche Kommunität von Syrakus. Die Kirche wurde mehrmals niedergerissen und wieder aufgebaut, heute ist sie eine Ruine,  nur die erhaltene Krypta des heiligen Marcianus in der Form eines Kreuzes erinnert noch heute an ihren Erbauer, den König von Sizilien und römischen Kaiser Friedrich II.

Der Reiseführer führt euch dann in unterirdische Katakomben, die als Grabstätte, aber auch Versammlungsort, der ersten Christen dienten und deshalb gibt es zwischen unendlichen Gängen auch kleine runde Plätze – es handelt sich wirklich um eine unterirdische Stadt der damals noch in der Illegalität lebenden Christen.   Inmitten der Katakomben führt eine Hauptstraße als Achse der Stadt, auf den Seiten gibt es dann in den Wänden ausgemeißelte Gräber, bedeutende Persönlichkeiten wurden in Sarkophagen begraben, der berühmteste von ihnen ist der so genannte „Adelfia Sarkophag“.        

Die Altstadt auf der Insel Ortigia muss man natürlich besuchen, auch wenn man vom Spazieren durch die Stadt in der Augustsonne bereits mehr als genug hätte. Schmale Gassen bieten übrigens genug Schatten und zahlreiche Restaurants und Bars auch eine Erfrischung.

Über die „Ponte nuovo“ überquert man einen engen Wasserkanal, der den „Großen Hafen“ mit dem Kleinen verbindet und dann kommt man in die alte Stadt mit dem Flair der Vergangenheit. Gleich hinter der Brücke sieht man die Ruine des Apollotempels. Dieser Tempel hat viel durchgemacht und man sieht das auch. Er war einmal ein dorischer Tempel, dann eine byzantinische Kirche,  dann eine arabische Mosche, danach wieder einmal eine Kirche aber diesmal normannisch und zuletzt eine spanische Kaserne. Über den „Corso Matteoti“ kommt man auf den Archimedesplatz mit einer monumentalen Artemisfontäne im Jugendstil.

In der Mitte der Fontäne gibt es eine Statue, wo die Göttin Artemis die bereits erwähnte Nymphe Arethusa in eine Wasserquelle verwandelt – symbolisch wird hier so der Anfang und das Ende der Unabhängigkeit von Syrakus dargestellt. Letztendlich war das gerade die Feier der Göttin Artemis, die dem genialen Mathematiker, auf den Syrakus bis heute sehr stolz ist, den Tod brachte. 

               Um das „Municipium“ herum kommt man auf die „Piazza del Duomo“ mit dem Dom mit großartiger Barockfassade aus dem siebzehnten Jahrhundert und mit einer Treppe mit Statuen des heiligen Petrus und Paulus und auf den ersten Blick schlichtem Inneren.

Das Mittelschiff der Kirche ist nämlich im klassizistischen Stil umgebaut worden, die flache Decke und einige weitere Artefakte lassen aber den ersten Bau aus dem elften Jahrhundert im romanischen Stil vermuten. Die Seitenschiffe werden dafür aber durch monumentale dorische Säulen getragen, die noch an den Tyrannen Hieron I. erinnern. Ich habe genug Zeit, die Betrachtung dieser merkwürdigen aber interessanten Symbiose zu genießen, es war nämlich ein Samstag, in der Kirche wurde gerade eine Hochzeit vorbereitet und meine Frau wollte unbedingt die Braut sehen. Und wie ich schon erwähnt habe, die Sizilianer haben Zeit.      

               Die Quelle der Arethusa ist ein großer ummauerter Teich mit Bäumen, die direkt aus dem Wasser wachsen und mit einer Skulptur, die die Flucht der Nymphe vor dem Flussgott darstellt, die sie hierher gebracht hat. Gleich nebenan gibt es einen kleinen Park mit unglaublich großen Ficusbäumen, ein passender Moment für eine Erholung im Schatten. Nach dem Besuch der Quelle der Arethusa kann man noch einen kleinen Spaziergang zum Großen Hafen unternehmen, wo die Kreuzschiffe vor Anker liegen. Der Hafen ist noch schön und gepflegt, weiter in Richtung der Festung „Castello Maniaco“ wirkt die Stadt (oder zumindest im Jahr 2008 hat sie gewirkt) ziemlich verfallen. Die Häuser waren hier heruntergekommen, die Fenster teilweise zugemauert, offensichtlich ist dieser Teil der Stadt touristisch nicht genug interessant. Die Festung auf dem Kap, die nach dem byzantinischen Admiral benannt wurde, ist nämlich ein militärisches Sperrgebiet und man darf es nicht besuchen.

Die Frage ist, ob wir noch die Energie für den Besuch der Festung hätten, ein Tagesausflug nach Syrakus ist nämlich eine physisch anstrengende Angelegenheit, obwohl wir auch den Besuch der Festung „Castello Euriano“ ausgelassen haben – das hätte meine Frau mit Sicherheit nicht überlebt. Oder ich?

Die Küche in unserem Apartment in San Alesio di Siculo hatte nämlich sie unter Kontrolle und wenn sie böse ist….        

Sizilien – Ostküste

               Wenn man bei der Suche nach einer Unterkunft über einen Satz stolpert, dass ein Hotel eine „sehr gute Eisenbahnverbindung“ bietet, sollte sofort hellhörig werden. Als wir auf diese Art die Unterkunft in San Alesio di Siculo an der sizilianische Ostküste gebucht haben ohne über diesen Satz nachzudenken, hatte es die Folgen, dass die Eisenbahn zwanzig Meter hinter unserem Apartment lief und zwischen uns und ihr war nur der Parkplatz für Autos – nämlich für den Bahnhof direkt vor unseren Fenstern.

               Am Tag war es kein großes Problem, wir waren ohnehin entweder am Strand oder machten wir einen Ausflug. In der Nacht haben wir aber doch bemerkt, dass diese Unterkunft nicht die beste Idee war. Am Tag fuhren die Personalzüge nur sporadisch, hielten im Bahnhof an, um dann wieder kurzatmig zu starten, in der Nacht aber wurden durch die Strecke Catania-Messina Güterzüge geschleust. Diese hielten im Bahnhof von San Alesio di Siculo nicht an, sondern fuhren mit voller Geschwindigkeit durch. Jede Stunde! Wir konnten diese Durchfahrt auf unterschiedliche Art wahrnehmen, wahrscheinlich nach dem Gewicht der transportierten Güter – von mäßigem Zittern, über Bettbewegungen bis zu kleinem Erdbeben, bei dem Schwägerin Hanka um zwei Uhr in der Nacht aus dem Bett stürzte.

               Außer dieses kleinen Makels war die Unterkunft perfekt. Einige große Räume, gut ausgestattete Küche und eine Dachterrasse mit Grill, die einen Blick aufs Meer bot. Nur ein paar Schritte von unserem Apartment entfernt gab es eine Bäckerei, wo wir jeden Morgen frisches Gebäck holten und auf der anderen Seite ein Geschäft mit frischen Fischen. Nur die Gasflasche auf dem Balkon bei der Küche, auf die den ganzen Tag die sizilianische heiße Sonne strahlte, machte mich ein bisschen nervös. Ich überlegte, wie viel eine solche Flasche aushalten konnte, also wie weit das Gas in der Flasche bei den Sommertemperaturen expandierte, bis es explodieren würde. Dieser Faktor bereicherte unseren Urlaub mit einem aufregendem, sogar explosivem Hauch von Abenteuer.      

               Die Vermieter waren sehr nett. Wir kamen beim Hotel „La Grotta“ tief in der Nacht an. Auf unser Klingeln und Schläge auf die Tür reagierte lange Zeit niemand. Als ich aber versucht habe, die Telefonnummer der Vermittlungsagentur zu wählen, kam es im Hotel zu einer Bewegung und dann wurden wir von unseren Gastgebern enthusiastisch empfangen. Sie waren bereit, sogar auf unseren Schwager zu warten, der vergessen hatte, die Autobahn rechtzeitig zu verlassen und einen Umweg über Messina machen musste und so kam er um eins in der Nacht an. Wir schaften es trotz der späten Ankunft, sich bequem einzuquartieren, und so konnten wir die ersten Züge erleben, die uns für den Rest der Nacht den Schlaf unmöglich machten. Als wir dann in der Früh zu den Gastgebern für  notwendige Informationen gekommen sind, saßen diese am Tisch und hatten einen sehr unsicheren Ausdruck im Gesicht. Wir ließen uns über die Bäckerei und den Supermarket informieren, besuchten die Dachterrasse mit Grill und dann plötzlich zogen sie aus einem Versteck unter dem Tisch einige Flaschen Wein und Olivenöl und zwangen uns wortwörtlich diese ganze Last, die wir kaum tragen konnten, kostenlos anzunehmen.

               Den Grund dieser unerwarteten Freundschaft erfuhren wir am Abend vor unserer Abfahrt. Da fragte uns die Haushälterin das erste Mal: „Ihr seid aber keine Deutschen, oder?“ „Nein“, bestätigte ich. „Das habe ich mir gleich gedacht. Die Deutschen sind so zimperlich. Sie kommen, und wenn etwas anders ist, als bei ihnen zu Hause, sind sie gleich bei uns und beschweren sie sich.“ Ich habe es endlich verstanden. Wir waren wahrscheinlich die ersten Gäste, die nach der ersten schlaflosen Nacht nicht geschimpft haben. Deshalb die heiße Freundschaft, der Wein und das Olivenöl. Das alles war für wütende Deutsche vorbereitet, um sie zu beruhigen und zu versöhnen. Wir bekamen dazu noch einen perfekten Espresso. Andererseits, was sollten wir tun? Hätten wir vielleicht durch Schimpfen etwas gewinnen können? Versuchen Sie es, an der Ostküste Siziliens nahe Taormina eine Unterkunft am Strand zu finden!             

               Taormina ist nämlich ein Kult, es ist wie der Tod, alle müssen einmal hin. Und wir waren dort alle. Taormina ist ein historischer Ort, seine strategisch günstige Lage prädestinierte die Stadt, zu einem Stützpunkt zu werden. Es war ursprünglich eine Stadt des Stammes der Sikulen. Sie pflegte gute Beziehungen mit griechischen Kolonisten im Nahen Naxos (heutiges Giardini Naxos) bis die Stadtbewohner die Griechen letztendlich in die Stadt aufgenommen haben. Im vierten Jahrhundert vor Christus übernahmen die Griechen in der Stadt bereits das Kommando. Und bauten das wunderschöne Theater, wegen dem heute alle Touristen die Stadt besuchen wollen.

Die Römer bauten das Theater im zweiten Jahrhundert weiter in die heutige Größe auf – also mit einer Kapazität von 5400 Besuchern. Das Theater ist wirklich fabelhaft. Besonders, weil es den schönsten Blick auf den Vulkan Ätna an Horizont bietet, es war offensichtlich eine Absicht, das Theater so zu bauen, dass der rauchende bedrohliche Berg im Hintergrund der Bühne stand, dieser Blick gab den Vorstellungen sicherlich einen weiteren aufregenden Akzent. Taormina war eine Festung, der letzte Stützpunkt der Byzantiner auf der Insel gegen die Invasion der Araber. Als bereits die ganze Insel in arabischer Macht war, leistete Taormina noch immer Widerstand. Es fiel im Jahr 902 nach Christus, als die byzantinischen Truppen nach Konstantinopel abgerufen wurden. Während zweier antiarabischer Aufstände im zehnten Jahrhundert wurde die Stadt vollständig zerstört und später wieder aufgebaut.

               Taormina erreichte aber danach nie wieder ehemalige Bedeutung. Im zwanzigsten Jahrhundert wurde es aber zu einer Touristenfalle. Im Jahr 1787 entdeckte Taormina auf seiner Sizilienreise Johann Wolfgang Goethe – und es war um Taormina geschehen. Also genauer gesagt, geschehen ist es um Taormina etwas später, als hier „Festivals Taormina Arte“ organisier wurden, dank derer sich in der Stadt Stars wie Greta Garbo, Elisabeth Taylor oder Marlene Dietrich aufgehalten haben – und sie schwiegen nicht darüber! Eine Festung blieb allerdings die Stadt bis heute. Der Parkplatz ist außerhalb der Stadt und man zahlt hier eine unchristliche Parkgebühr – bereits im Jahr 2008 waren es neun Euro. Von dem überfüllten Parkplatz wird man dann mit einem Bus in die Stadt befördert. Außer dem Theater gibt es hier aus antiken Zeiten noch das Odeon und zwei Stadttore – Porta Catania und Porta Messina, die im sechszehnten und siebzehnten Jahrhundert erneuert wurden. Natürlich gibt es hier auch eine Reihe Kirchen – vor allem den Dom „San Nicolo“ mit der Statue von „Centauressa“ – diese merkwürdige Kreatur, die auch das Wappen von Taormina schmückt, hat etwas vom Kentaur mit einem Stierkörper (Taormina liegt auf dem Berg Mons Tauro, also Stierberg) und mit Zepter und Erdkugel in den Händen. Durch die Mitte der Stadt führt eine verhältnismäßig kurze Hauptstraße „Corso Umberto“ und in ihrer Mitte befindet sich die „Piazza 9. Aprile“ mit dem Uhrturm „Torre dell´orologio“, in dem das mittlere Stadttor „Porta Mezzo“, angeblich aus dem zwölften Jahrhundert, eingebaut ist. Zu Füßen liegt Ihnen dann ein riesiger Hafen und der Urlaubsort Letojani.

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Es ist in Taormina prinzipiell genug zu sehen, aber für diese Menschenmenge…

Im Fünfsternhotel Timeo, dass in der Stadt nach dem antiken Theater die beste Adresse ist- und sich gleich bei dem Theater befindet – nahmen wir keinen Drink, obwohl das Hotel eines der weniger war, die nicht überfüllt waren. Ich glaube, das hatte einen Grund.

               Die Sizilianer können sehr kreativ sein. In der Bar am Strand in San Alesio saß ein leicht depressiver junger Mann. Seine Geschäfte liefen offensichtlich nicht nach Plan. Das war kein Wunder. Vom Espresso um achtzig Cent (fabelhafter Qualität) konnte er nicht leben und das Bier um vier Euro kaufte wieder keiner. Als wir allerdings begonnen haben, sein überteuertes Bier zu konsumieren, kostete es zwei Tage später schon fünf Euro.

               Es ist (oder vor elf Jahren war es zumindest) in der Osthälfte der Insel beinahe unmöglich einen Supermarket zu finden. Nach einer langen vergeblichen Suche fuhren wir nach Messina und dort fanden wir wirklich einen. Das GPS hat allerdings nicht vergessen, wieder einmal mit uns zu scherzen, es führte uns durch kaum passierbare Gässchen und letztendlich zu einer Unterführung, wo ich die Seitenspiegel meines kleinen Renaults zuklappen musste, um überhaupt durchzukommen. (Zurückzufahren war nicht möglich, obwohl ich mir das sehr wünschte, aber hinter uns standen bereits, wie es in Italien sogar in den vergessensten Gässchen üblich ist, weitere drei Autos). Messina hat nicht viel zu bieten, die Stadt wurde durch ein Erbeben im Jahr 1908 vollständig zerstört und der historische Stadtkern wurde nicht restauriert. Messina war immer das Tor nach Sizilien. Hier wollte sich der junge fünfzehnjährige Friedrich II. verschanzen, als er die Invasion des Kaisers Otto IV. und seinen eigenen Tod erwartete, in Messina landeten die normannischen Invasionstruppen (auf Einladung des örtlichen Herrschers), die dann die Insel eroberten.             

Auf unser GPS konnten wir uns auf Sizilien wirklich nicht verlassen. Nicht nur, dass es versucht hat, uns umzubringen. Das war bei dem Ausflug in die Stadt „Forza d´Agro“, die auf einem kegelförmigen 420 Meter hohen Berg über das Ionische Meer emporragte. Das GPS meldete plötzlich und voll unerwartet „nach rechts abbiegen“. Das tat es auf der Straße, die den Berg umfuhr und wo es rechts von uns nur eine drei hundert Meter tiefe Kluft gab. Es war ein klarer Mordversuch, blieb aber ohne Erfolg. Das Städtchen „Forza d´Agro“ war ein typisch italienisches Örtchen mit einer normannischen Festung, engen Gassen, einer Kirche mit der Jungfrau Maria und einem schönen Blick auf die Küste tief unter den Füßen und den rauchenden Ätna. Es war aber die erste Warnung, dass das Autofahren auf Sizilien vielleicht nicht ganz einfach sein wird. Und es war auch nicht!        

               Als wir ein Tag später auf der Rückfahrt zu unserer Pension waren, gab ich ihre Adresse ins GPS ein und als wir an einem Wald vorbeigefahren sind, gab die Navigation einen Befehl – „rechts abbiegen“. Ich habe rechts keine Straße gesehen, ich dachte aber zuerst, dass ich sie vielleicht übersehen hätte, also absolvierten wir noch eine Runde in den engen Gässchen, um nach der Einleitung unseres Navigationssystems zu diesem Wald zurückzukehren. Ich fuhr diesmal wirklich im Schritttempo, aber auf der Stelle, wo mir das GPS wieder den Befehl abzubiegen erteilte, war nur Wald, aber keine Straße, nicht einmal ein Pfad. Letztendlich mussten wir unsere Pension aus eigener Kraft ohne technische Hilfsmittel erreichen Das Rätsel der fehlenden Straße entschlüsselten wir mit meinem Sohn zwei Tage später bei einem Spaziergang entlang der Küste. Zuerst gingen wir auf einer Straße, die dann aber abrupt endete. Hier standen verlassene Baumaschinen, es gab hier Löcher im Boden, aber kein Baumaterial. Nur eine Tafel, die uns informierte, dass diese Straße aus den Fonds der Europäischen Union gebaut wird – Termin der Fertigstellung November 2006. Ich erinnere daran, dass es bereits August 2008 war. Auf Sizilien ist das einfach so. Zumindest wurde diese Straße in die Navigationssysteme eingefügt, das ist auch was, oder?

               Auf den Ätna kamen wir problemlos, dieser Berg wurde gekennzeichnet.

Natürlich, er ist neben Taormina die touristische Hauptattraktion. Wir fuhren durch die Lavafelder bis zur Talstation der Seilbahn – glauben Sie es oder nicht, auf Sizilien, also auf dem Ätna, wird im Winter Schi gefahren, obwohl die Schipiste, geglättet zwischen den Lavafeldern und dadurch mit einer braunroten Farbe  schon ein bisschen anders war, als die österreichischen, auf denen im Sommer die Kühen weiden. Aber egal ob anders, wichtig war, sie war da. Die Seilbahn befördert die Touristen viel höher hinauf und dort warten auf sie Kleinbusse, um sie für angemessenes (oder eher unangemessenes) Gebühr bis in die Höhe von 2900 Meter Seehöhe zu bringen, wo schon aus den Kratern Rauch zum Himmel steigt und die Lavasteine in ihrem Kern Temperaturen von einigen Hundert Grad Celsius haben und rötlich glühen. Der Ätna hat das Problem, dass neben dem Hauptkrater auf einem seiner Gipfel in der Höhe 3323 Meter, der giftige Gase und Lava permanent spuckt, er immer wieder auch neue Krater öffnet, und in diesen sammelt sich die explosive Kraft, die sich dann durch immer neue Eruptionen entladet. Deshalb gibt es eine Unmenge Krater auf dem Ätna, an der Stelle von einem von ihnen, einem schönen färbigen und tiefen, stand bis zum Jahr 2001 die Bergstation der Seilbahn mit Restaurant und Parkplätzen für Schifahren liebende Touristen. Das alles flog im Jahr 2001 in die Luft.

Weil aber Seismologen rechtzeitig vor dem Ausbruch gewarnt hatten, kam es zu keinen Verlusten an Menschenleben, sondern nur an Material. Ich möchte nicht die Versicherung leiten, die Bauprojekte in der Region Ätna versichert. Wir gingen um einige Krater herum – zum Hauptgipfel sollte man nur mit einem Bergführer gehen, da die Giftgase, die der Vulkan produziert, einen Bewustseinverlust mit der Folge des Sturzes in den Krater verursachen könnten. Glauben Sie, dass Sie dann dort drinnen niemand suchen würde!

               Ich war ein bisschen enttäuscht, da ich hoffte, über die Lavaströme springen zu dürfen, darauf muss man aber bis zu einer weiteren Eruption warten. Man muss glücklicherweise nicht lange warten, der Ätna bereitet Touristen dieses Vergnügen jede paar Jahre. Ich erinnere mich an den Bruder des Großvaters unserer Schwägerin, der einmal mit achtzig Jahren und mit einem Kardiostimulator auf den Ätna reiste, da der Vulkan gerade wieder einmal explodierte und er hatte Angst, dass er die nächste Eruption nicht mehr erleben würde. In seinem Fall war die Befürchtung wirklich begründet.            

               In der Nordwand des Ätnamassivs befindet sich die Kluft Alcantara. Es ist ein Nationalpark mit einer tiefen Basaltklamm, durch die ein kalter Bach mit Wasserfällen fließt (wirklich ein kalter mit Temperaturen um 16 Grad und das im heißen August). Die Einheimischen bieten hier Canyoning an. Es ist natürlich ein Erlebnis. In einem Neoprenanzug gingen wir zuerst gegen den Strom hoch, um dann stromabwärts hinunter zu rutschen. Von einer Gefahr konnte keine Rede sein, aber ein bisschen Adrenalin wurde schon in den Kreislauf ausgeschüttert, besonders als wir einer italienischen Supermama halfen, die dieses Canyoning allein mit drei Kindern absolvierte.         

               Sizilien bietet also im Osten heiße Steine, eiskaltes (na ja eiskalt –  also eher kaltes) Wasser, natürlich auch Strände mit dunklem Vulkansand und historische Sehenswürdigkeiten. Aber darüber das nächte Mal.       

Sizilien Teil II.

Auf Sizilien lebt man auf der Straße. Kein Wunder, die Wohnungen der Sizilianer sind eher klein und für Empfänge größerer Menschenmengen nicht geeignet. Für Treffen und Sozialleben dient die Straße. Sie tut es in zwei Phasen. Am Tag werden vor die Türen der Häuser Pensionisten geholt. Sie sitzen hier den ganzen Tag auf Stühlen oder in Sesseln und beobachten schweigend die Welt. Nach Sonnenuntergang werden sie von der Straße gebracht. Sie verschwinden in den Häusern und auf die Straße kommt die Jugend. Die ist viel lauter, es ist nichts Außergewöhnliches, kleine spielende Kinder noch nach Mitternacht hier zu treffen

So war das im Süden übrigens immer. Schon die alten Griechen lebten auf der Straße, in der Öffentlichkeit, zu Hause blieben nur die Frauen. Frauen wurde damals das Leben in der Öffentlichkeit – im Unterschied zu heute – untersagt. Trotzdem hatte Sizilien bereits in antiken Zeiten auf der politischen Karte des Mittelmeerraumes eine bedeutsame Stellung.          

Sizilien war in der Antik ein wichtiger Verkehrsknoten und ein begehrtes reiches Land. Griechische Kolonien in Syrakus, Segesta, Selinunt oder Agrigent waren damals schon reiche Städte. Die Griechen mussten allerdings um die Vorherschaft über die Insel mit den Karthaginern kämpfen, eine Vorentscheidung in diesem Kampf brachte die Schlacht bei Himera im Jahr 480 v. Christi, wobei auch der karthaginische Heerführer Hamilkar sein Leben verlor. Karthago gab aber trotzdem keine Ruhe, es nutzte die Kämpfe zwischen der griechischen Städten und im Jahr 409 kam die Rache, die Stadt Himera wurde vernichtet und nie wieder aufgebaut.

               Wir besuchten die antiken historischen Orte – Segesta und Selinunt – im Süden gibt es dann noch Agrigent und im Innenland Enna – die würde ich aber im August lieber nicht besuchen, die sommerliche Hitze ist nur am Meer erträglich. Wir waren hier zwar schon anfangs Juli, aber über die Insel bis ins Mitteleuropa ist gerade eine Hitzewelle gerollt, nach Besuch einer historischen Gedenkstätte war das Baden ein Muss. Segesta des Stammes der Elymen suchte jahrzehntelang einen Weg, den griechischen gehassten Konkurrenten Selinunt zu vernichten. Um die Allianz mit Athen schließen zu können, begann es einen gigantischen Tempel der Göttin  Athena im monumentalen dorischen Stil zu bauen.

Als dann aber die Athener im Jahr 413 v.Ch. ihren Kampf gegen Syrakus verloren haben und ihre ganze Flotte vernichtet wurde, gab es keinen Grund mehr, den Tempel fertig zu bauen, daher blieb er bis heute eine Art eines Potemkinsdorfes. (Wahrscheinlich das älteste  auf der Welt – zweitausend Jahre vor Potemkin.) Segesta verbündete sich mit Karthago und die Karthaginer machten Selinunt dem Boden gleich. Als dann aber während des ersten punischen Krieges auf die Insel Römer einmarschierten, erinnerten sich die Bürger von Segesta, dass sie laut einer Legende eigentlich mit den Römern verwandt sind und wechselten die Seiten. Als Belohnung mussten sie dann, als die Insel wirklich von Römer eingenommen wurde, keine Steuer zahlen. Der Opportunismus zahlte sich schon damals aus und wenn man sich sein Benehmen richtig begründen kann…

               Diese Verwandtschaft mit den Römern entstand, als Flüchtlinge aus Troja im heutigen Castellmare del Guolfo anlegten. Die Frauen aus Troja hatten von der Reise schon genug (möglicherweise waren sie seekrank wie meine Gattin) und sie beschlossen, dass ihre Männer mit weiteren Abenteuern Schluss machen sollten. Sie zündeten im Golf die vor Anker liegenden Schiffe an, nur Aeneas mit seiner Familie gelang die Flucht auf seinem Schiff, mit dem er dann in die Mündung vom Tiber fuhr und danach die Stadt Alba Longa gründete. Er wurde dort König, seine Nachkommen waren dann Jahrhunderte später Romulus und Remus, die Rom gegründet haben. Der Rest der Trojaner, die ihre Schiffe auf diese Art verloren haben, gründete dann die Stadt Segesta. Ob diese Legende wahr ist, oder aus praktischen Gründen frei erfunden wurde, werden wir nicht mehr erfahren, die Bürger von Segesta waren, wie schon gesagt, sehr erfinderisch, wenn es um ihren Profit ging.  

Heute erinnern an die ehemalige Existenz dieser Stadt der unvollendete Tempel und ein atemberaubendes Theater mit dem Blick auf die Landschaft bis zum Meer bei Castellmare de Guolfo, wo einmal die trojanischen Schiffe brannten. Vom Tempel zur Akropolis mit dem Theater, ist es zu Fuß eine halbe Stunde, wenn man in der Zeit hinkommt, wenn die Sonne bereits zu brennen beginnt, zahlt sich aus, ein Ticket für Bus um 3 Euro zu kaufen, der euch dann hinbringt.

               Übrigens nicht weit von Segesta gibt es das Ort Calatafimi. Eigentlich nichts, was man unbedingt sehen müsste, allerdings ist dieses Dorf mit dem Nationalheld Giuseppe Garibaldi verbunden. Nach der Landung mit seinen „Tausend Rothemden“ auf Sizilien traf er gerade hier das erste Mal an das zahlen-  und rüstungsmäßig weit überlegene Heer des sizilianischen Königsreiches und zum Erstaunen allen überlebte er und siegte sogar. Der Weg nach Palermo war frei und damit auch zur Eroberung des italienischen Südens – mit dem die italienische Regierung bis heute nicht weiß, was sie tun soll.

               In Selinunt hatte ich Glück, dass ich mich bei der Anfahrt verirrt habe – die sizilianische Straßenbezeichnung ist offensichtlich nur für Einheimische gemeint und die kennen sich ohnehin aus. Dank des Irrtums wusste ich, dass man vom Tempelbezirk, wo die Eintrittskarten verkauft werden, zu Akropolis mit dem Auto fahren kann.

Deshalb konnten wir mit gutem Gewissen das Angebot, uns um 12 Euro !!! mit einem Kleinbus hinzubringen, ignorieren. Sollte diese Besucherberaubung noch ein Rest der Tradition vom antiken Selinunt sein, begann ich zu verstehen, warum die Bürger von Segesta diese Stadt so hassten und sie gewannen sogar dafür meine Sympathien.           

               Im Sommer zahlt es sich auf Sizilien aus, bereits in der Früh bei den Sehenswürdigkeiten zu sein. Die Strände sind meistens nicht weit entfernt, wie dieser in Selinunt.

Die Sehenswürdigkeiten öffnen ihre Tore um neun Uhr und wir waren regelmäßig unter den ersten Besuchern. (Niemals aber die Allerersten, überall wurden wir von mindestens einem Auto mit tschechischem Kennzeichen überholt, die Tschechen leiden offensichtlich so tief in Süden auf Schlaflosigkeit.) Gegen Mittag, wenn die Sonne das Land heiß machte, konnten wir uns bereits im Meer abkühlen. Der schönste Strand Siziliens ist am Capo di Vito im Nordwesten der Insel,

gut vereinbar mit einem Besuch des Städtchens Erice auf einem kegelförmigen Berg mit einer Festung auf der Spitze und unglaublich schönen Ausblicken.

               Die Preise auf Sizilien waren erschwinglich (mit Ausnahme Cefalú, Taormina oder Erice  – also in den berühmten touristischen Destinationen, die sich bereits der Kaufkraft der Besucher angepasst haben – die Sizilianer, wie ich schon erwähnte, haben eher Zeit als Geld. Außer diese Zentren kann man also ziemlich günstig essen – natürlich, wenn man Melanzani mag, das ist nämlich wahrscheinlich ein untrennbares Teil jeder sizilianischen Mahlzeit.   

               Sogar die Naturliebhaber kommen auf ihre Kosten. Nicht nur auf dem Ätna, wohin man mit dem Auto fahren kann, um dann vom Massentourismus abgefangen und zur heißen Lava gebracht zu werden. Allerdings ist das Bild der strömenden roten Lava auf den Hängen des Berges in der Nacht, wenn man von Catania in Richtung Messina fährt, sehr eindrucksvoll. Der Vulkan hat übrigens sogar mehrmals in der Geschichte die Stadt Catania bedroht, am meistens im Jahr 1669. Dass das „Castelo Ursino“ damals direkt am Meer stand, ist heute kaum zu glauben, die Burg wurde von Lava umströmt und liegt jetzt weit vom Meer entfernt. Die Stadt Catania ist aber nicht besonders schön und damit nicht wirklich besuchswert, ich würde sie also aus meiner Erzählung über Sizilien ausklammern.

Im Westen der Insel gibt es in der Nähe des Städtchens Scopello (na ja, Städtchen, eher ein größeres Dorf, aber was, seien wir ehrlich, ein Dörfchen, also ein Loch) gibt es der Naturpark Zingaro. Einer der Wege führt am Meer vorbei, ist 7 Kilometer lang und unterwegs gibt es zahlreiche Museen zu unterschiedlichen Themen und kleine Strände mit kristallklarem Wasser und wunderschönen färbigen Fischen, die zwischen den Beinen der Besucher schwimmen.

Wir schafften 5 Kilometer hinzulegen, dann kam Mittag und mit ihm Temperaturen um 40 Grad Celsius. Dort fanden wir einen größeren Strand und entschieden wir uns zu warten, bis es abkühlt. Die Entscheidung war eindeutig falsch. Es kühlte nämlich nicht ab. Wir warteten und die Temperaturen stiegen an. Um drei nachmittags war heißer als um zwei, um vier heißer als um drei. Es wurde uns klar – wenn wir unseren Parkplatz erreichen möchten noch bevor der Park seine Tore schloss, mussten wir los. Meine Frau hatte mit dem Überleben auf dem Rückmarsch in der Nachmittagshitze nicht gerade kleine Probleme. Es half nicht einmal die Taktik „Schnell laufen, damit die Hitze früher hinter uns ist.“. Kalte Umschläge und Wasser konnten das tragische Ende nur verschieben, nicht aber verhindern. Gott sei Dank, gibt es auf dem Weg eine Quelle, wo wir unsere rasch schrumpfenden Wasservorräte wieder auffüllen konnten. Vor einem sicheren Tod hat uns ein kaltes Bier „Birra Moretti“ in einer Bar direkt hinter dem Ausgang aus dem Nationalpark gerettet. Also, wenn Sie den Park besuchen möchten, dann gehen sie früh morgens hin, lassen Sie sich durch die wunderschönen kleinen Strände mit den Fischen wie aus einem Aquarium unterwegs nicht verführen, sondern laufen Sie so schnell wie möglich um das andere Ende des Nationalparks noch zu verträglichen Temperaturen zu erreichen. Ins Wasser können Sie dann jederzeit am Rückweg eintauchen – wenn Sie dazu noch Kraft und Lust haben – man muss doch zu den Stränden vom Weg abbiegen und zum  Meer absteigen. Was eigentlich nicht das Schlimmste ist, aber man muss dann wieder zurück auf den Weg hinauf.

Sie können es glauben oder nicht, aber wir haben wirklich eine tschechische Gruppe getroffen, die irgendwann vor sieben Uhr auf den Weg aufbrach, um über die Berggipfel mit einer Höhe von 915 Meter zu gehen. (Man startet auf Seehöhe, also die Höhe des Berges ist zugleich der Höheunterschied) und gingen auf dem Weg am Meer zurück. Sie schauten erstaunlicherweise so aus, dass sie es überleben konnten.        

Ein Jahr nach unserem Besuch gab es im Nationalpark Zingaro einen riesiger Brand, also weiß ich nicht, wie viel von seiner Schönheit übrig geblieben ist.

Also sollte ich in jemandem durch meine Erzählung Lust Sizilien zu besuchen wecken, zögern Sie nicht. Wie ich schon sagte, es ist noch immer Europa, sogar Europäische Union und die Gesetze sind hier grundsätzlich ident mit den unseren. Nur es gibt, um John Travolta aus dem Film „Pulp Fiktion“ zu zitieren „solche kleine Unterschiede“

Übrigens in zwei Wochen geht die Erzählung weiter.

Sizilien I.Teil

               Es ist eigentlich noch Europa, sogar noch die Europäische Union und deshalb gelten hier grundsätzlich die gleichen Gesetze wie bei uns. Nur die Interpretation ist ein bisschen anders. Das kapierte ich spätestens in dem Moment, als mich bei der Durchfahrt durch Palermo plötzlich und gleichzeitig zwei Motorräder überholten, und zwar einer links und der zweite rechts. Nach der Bodenmarkierung konnte man annehmen, dass die Schnellstraße zwei Fahrspuren hätte. Aber wenn sich Palermitaner entscheiden, dass es zu wenig ist, bilden sie spontan eine dritte. Ich würde dringend empfehlen, ihnen das Spiel nicht zu verderben, sie könnten dann nervös oder sogar grantig werden. Übrigens, die Mittellinie gibt es manchmal wirklich, dann aber wieder nicht. Es ist mir ein Rätsel, wie dann der beinahe hundertjährige Opa weiterfuhr, der sich hartnäckig an der Mittellinie als Führungslinie hielt und damit permanent die mittlere Spur bildete. Sonst ist aber das Autofahren auf Sizilien eine relativ ruhige Angelegenheit. Niemand hat es eilig, die Zahl der Autos, besonders in der westlichen Hälfte der Insel, ist eher niedrig und auf den Autobahnen gibt es keine Maut, also man fährt kostenlos. Ausnahme ist die nur die Autobahn A 19 zwischen Catania und Palermo, dort haben wir auf dem Weg nach Cefalu 1,80 Euro bezahlt. Die Sizilianer sind ähnlich rücksichtsvoll wie die Italiener auf dem Festland, oder eher vorsichtig. Weil sie selbst sehr „kreativ“ fahren, erwarten sie, dass die anderen Teilnehmer im Straßenverkehr genau so „deppert“ wie sie selbst sind und passen also auf. Wenn ein Auto eine Delle oder einen Kratzer hat – und das kommt häufig vor – ist es eher ein Parkschaden. Als ich am ersten Tag sah, was auf dem Parkplatz beim Strand in Trapetto vor sich gegangen ist, entschied ich mich, lieber zu Fuß hinzugehen Es war mir klar, dass ich als ein Mitteleuropäer diesen Parkplatz ohne Dauerschaden am Auto und an der Seele niemals verlassen könnte. Sizilianer schaffen das zwar, allerdings für den Preis von Blechschäden am eigenen sowie auch an vielen anderen Autos. Die Polizei versuchte es, in das Chaos Ordnung zu bringen und verteilte fleißig Strafzettel, die die Autobesitzer wieder vor der Abfahrt demonstrativ wegwarfen.

               Als ich dann nach zwei Wochen meinen Fiat Bravo am Flughafen in Palermo zurückgab (nach der Meinung unserer Apartmentvermieterin handelte sich für das Fahren auf Sizilien um ein unsinnig großes Auto), kroch die Vertreterin der Autovermietungsagentur beinahe unter das Fahrzeug, um dann mit ungläubigem Gesicht festzustellen, dass es keinen Schaden am Auto gab. Sie hielt mich in diesem Moment offensichtlich für einen Außerirdischen.

               Das Reisen auf Sizilien hat trotzdem einen bestimmten Zauber. Es ist nicht besonders einfach, das Ziel zu finden, das man erreichen möchte, und Grundkenntnisse der italienischen Sprache sind dabei nicht wirklich hilfreich. Wir suchten unsere Unterkunft in Trapetto und natürlich fanden wir sie nicht. Ich rief die Haushälterin an und diese Dame erklärte mir, dass unser Apartment im Stadtzentrum sei, nahe der alten Kirche. Ich fand es wieder nicht und  kam in den Hafen. Dort saßen einige von der Sonne gebräunten Sizilianer. Ich fragte, wo ich „Chieza vecchia“ finden kann. Sie schüttelten ihre Köpfe, sie haben von dieser Kirche offensichtlich noch nie gehört. Ich versuchte deutlich und langsam zu artikulieren „kieza vekchia“. Sie zuckten die Schulter, dann aber strahlte einer und sagte „á czeca vecza“ und zeigte mir die Richtung. Ich verstand, dass es nicht einfach sein würde. Und es war wirklich nicht. 

               Nach Palermo fuhren wir aber mit dem Bus, Es zahlte sich aus, ich konnte mir wirklich nicht vorstellen, was ich dort mit meinem Auto im Stadtzentrum tun sollte. Natürlich mussten wir auf den Bus beinahe vierzig Minuten warten, wegen so einer Verspätung regte sich aber keiner auf, es gehört zum Lebensstil der Inselbewohner. Die Afrikaner kommentierten einmal den amerikanischen Spruch „time is money“ mit den Worten, dass die Amerikaner Geld haben mögen, sie wieder, also die Schwarzafrikaner, haben dafür Zeit. Die Sizilianer verhalten sich sehr ähnlich. Das Geld haben sie nicht (Nach der Rückkehr vom Urlaub erfuhr ich, dass sich das Land im Bankrott befand und der damalige Ministerpräsident einen Rücktritt des Gouverneurs erwartete), dafür aber genug Zeit. Sogar der Ministerpräsident Monti musste sich mit dem Rücktritt des Gouverneurs gedulden. Ein Kellner in der Bar in Trapetto, der 24 Jahre auf dem Flughafen in Düsseldorf gearbeitet hatte, um jetzt vor zwei Jahren nach Sizilien zurückzukehren, weil ihm das hektische Leben in Deutschland viel zu viel Stress bereitete, erzählte uns, wie schwierig es für ihn nach der Rückkehr war, sich daran zu gewöhnen, dass man bei jedem Treffen und bei jedem Termin eine halbe bis eine ganze Stunde warten musste. Als er fragte, warum man sich nicht zu vereinbarter Zeit treffen konnte, bekam er eine Antwort: „Du musst dich anpassen“. Er passte sich also an.

               Sizilianer haben keine Probleme. Wenn sie Probleme haben, dann wissen sie nichts davon oder wollen es nicht wissen. In erster Linie betrifft das die Entsorgung von Abfällen. Jeden Morgen lassen sie von den Balkonen Sackerl mit Abfällen an einem Spagat nieder und ein Dreiräder, der durch die Gassen fährt, sammelt sie ein. Ich kannte mich in dem System der Mülltrennung nicht ganz aus, also fragte ich unsere Vermieterin. Sie dachte kurz nach und dann sagte sie „Ihr habt aber doch ein Auto.“              

Ich gab es zu und sie erklärte uns: „Dann könnten Sie alles zusammenpacken und wenn Sie die Stadt verlassen, können sie es in einen Container werfen, der am Straßenrand steht.“ Das Problem haben wir ziemlich schnell kapiert. Die Container stehen wirklich dort, sie haben aber eher nur einen hinweisenden oder eher einen symbolischen Wert. Alle sind nämlich hoffnungslos überfüllt und um sie herum hunderte Meter entlang der Straßen türmen sich Säcke mit Abfällen aller Art – wochen-, möglicherweise monatelang bis ein Bagger kommt, der einzig fähig ist, sie wegzuräumen.        

        Palermo ist natürlich besuchswert, aber darüber werde ich andermal schreiben. Aber Palermo ist bei weitem nicht allein. Bereits auf einem Berg im Innenland oberhalb der Stadt steht Monreale. Die Kirche hier ließ Wilhelm II., genannt aus mir unbekannten Gründen „der Gute“, bauen, hundert Jahre nachdem das sein Großvater Roger II. in Palermo tat. Damit hatte Wilhelm bereits ein Vorbild, das unbedingt zu übertrumpfen galt. Dazu wollte dieser, mit seinem aufwändigen Lebensstil bekannter König, den Erzbischof von Palermo in Weißglut bringen. Also gab es genug Motivation, damit das Werk gelang.

Was nämlich an sizilianischen Werken aus der Zeit der Normannischen Könige auffällig ist, ist die Tatsache, dass sie ein Produkt einer unglaublichen gesellschaftlichen und religiösen Toleranz sind. Nicht umsonst sind Sizilianer gerade auf diese Zeit der normannischen Herrschaft stolz und man stolpert über die Spuren dieser Epoche auf jedem Schritt und Tritt. Nicht nur, dass in dieser Zeit Sizilien wirklich ein unabhängiges Königsreich mit der Hauptstadt in Palermo war, aber dank der toleranten Politik ihrer Herrscher wurde es damals zum reichsten Land der damaligen Welt. Um das Rezept dieses Erfolges zu verstehen, müssen wir ein bisschen tiefer in die Geschichte der Insel eintauchen.          

               Sizilien war die Kornkammer des alten Roms. Schon damals gab es hier eine blühende Landwirtschaft und der Sklavenmarkt in Enna war einer der größten im Reich. (Die Sklaven machten mehrmals Aufstände und zweimal im zweiten Jahrhundert vor Christus gelang es ihnen, hier eine unabhängige Republik zu gründen, bis diese von den römischen Legionen niedergeschlagen wurde). Nach dem Fall des Römischen Reiches beherrschten die Insel für ein paar Jahrzehnte die Goten und dann eroberte der berühmte byzantinische Heerführer Belisarius die Insel für seinen Kaiser Justinian. Danach war Sizilien griechisch und Kaiser Konstantin II. versuchte sogar, die Hauptstadt des Byzantinischen Reiches von Konstantinopel nach Syrakus zu verlegen. Es hatte eine bestimmte Logik, weil Sizilien damals gerade in der Mitte des Reiches lag, aber wie es schon mit den logischen Dingen einmal so ist, die Idee wurde nicht umgesetzt. Sizilien wurde zur Peripherie des Reiches und konnte der Invasion der Araber im neunten Jahrhundert nicht statthalten. Die Araber beherrschten die Insel, ließen aber die einheimischen Griechen in Ruhe weiterleben. Sie verlagerten die Hauptstadt von Syrakus nach Palermo, weil der Kontakt nach Osten für sie nicht mehr so wichtig war, wie für ihre Vorgänger und bauten auf der Insel Bewässerungsanlagen. Die Araber kamen aus Tunesien, wo es nur sehr wenig regnete und Bewässerungssysteme für die Landwirtschaft unentbehrlich waren. Weil es auf Sizilien doch viel mehr Regen gab, verwandelten sie die Insel dank ihrer Bewässerungstechnik in ein wahres Paradies. In so ein, dass örtliche Herrscher unter sich zu streiten begonnen haben. Wie man sagt: „Wenn es dem Esel zu wohl wird, geht er aufs Eis tanzen“. Im Jahr 1061 rief der Herrscher von Messina normannische Ritter unter der Führung zwei Brüder Roger und Robert Guiscard von Hauteville zur Hilfe gegen seinen Gegner in Syracus. Diese ehemaligen Wikinger eroberten in einem Handstreich Messina und begannen Stück für Stück die Insel einzunehmen. Sie bekamen zu diesem gottgefälligen Unternehmen den Segen vom Papst höchstpersönlich und dann, als die letzten arabischen Widerstandnesten im Südosten der Insel kapitulierten, wurde Roger zum Graf von Sizilien. Sein gleichnamiger Enkelsohn erreichte dann die Königswürde. Er nutzte ein Schisma in Rom, ließ sich vom Gegenpapst zum König krönen, womit er den wahren Papst wütend machte. Als ihm der Papst den Krieg erklärte, nahm er den Pontifex fest und als Gegenleistung für seine Freilassung ließ er sich die Königskrone auch von ihm bestätigen. Was an den Normanen faszinierend war,-  obwohl sie auf der Insel im Auftrag des Papstes waren, mit der Aufgabe, alles was nur geht, zu christianisieren und das übrige auszurotten – sie ließen alles beim Alten. Die Araber durften weiter in Ruhe ihre Bewässerungsanlagen ausbauen, die Griechen wieder ihre Kirchen mit ihren Mosaiken schmücken, niemand wurde zu etwas gezwungen und alle waren mit dem gegebenen Zustand zufrieden. Die Kirchen aus dieser Zeit sind die Frucht dieser Politik der Toleranz. In Palermo, Monreale oder Cefalu, um nur die drei berühmtesten zu nennen. Der Kreuzgang in Monreale  ist 47×47 Meter groß und jede der hundert Säulen ist anders, keine zwei haben ein gleiches Kapitell.

König Wilhelm hatte übrigens kein Problem damit, mit dem Bau der monumentalen katholischen Kirche einen arabischen Architekten zu beauftragen  und dieser hatte wieder – obwohl ein Moslem – kein Problem, eine katholische Kirche zu bauen und nicht einmal damit, die Kapitell der Säulen mit im Koran verbotenen Motiven zu schmücken. Für einen guten Lohn hat er eine gute Arbeit geleistet. Wir könnten auch noch heute davon lernen.

               Nach Normannen kamen die Staufer, die auch alles beim Alten belassen haben (nur die unruhigen Araber siedelte Kaiser Friedrich II. nach Lucera in Apulien um), im Jahr 1266 – wieder im Auftrag des Papstes – kamen die Franzosen und das hundertjährige Werk der Toleranz war dahin. Die Franzosen verärgerten zwar durch ihr Verhalten die Sizilianer soweit, dass sie  bei der Sizilianischen Vesper im Jahr 1282 alle ermordet worden sind, aber ein zerschlagenes Porzellan kann man nicht mehr zusammenkleben – die Zeit des sizilianischen Wohlstandes war definitiv dahin und sollte nie mehr zurückkehren.

               Soviel zur Einführung des Besuches Siziliens. Nächste Woche geht’s los.

Brixen

               Es ist irgendwie immer besser Maut einzuheben als zu arbeiten. Die Stadt Brixen bot sich  schon durch ihre Lage südlich des Brennerpasses, der bereits in den Zeiten des Römischen Reiches der Hauptübergang von Deutschland nach Italien war, für solche Tätigkeit optimal an. Das sicherte ihr einen Wohlstand (ähnlich wie dem nördlich liegenden Innsbruck, das die einzige Brücke über den Fluss Inn kontrollierte oder Verona in Süden, wo sich diese Brennerstrasse nach Italien öffnete). Das die Stadt Brixen (italienisch Bressanone) reich war, merkt man auf Schritt und Tritt. Ebenso merkt man, dass hier der Bischof ein unabhängiger Herr auf seinem Gebiet war und zugleich er auch den Titel eines souveränen Reichsfürsten besaß.

               In einer verhältnismäßig kleinen Stadt mit etwas mehr als zwanzigtausend Einwohnern ragt eine ganze Reihe Kirchentürme in  den Himmel empor, die über die Vergangenheit der Stadt keinen Zweifel aufkommen lassen. Übrigens auch im Wappen der Stadt ist das Lamm Gottes mit einer Fahne mit rotem Kreuz abgebildet – sollte doch noch jemand Zweifel haben.

               Offiziell wurde die Stadt im Jahr 901 gegründet, worauf die „Jahrtausendsäule“ auf einem kleinen Platz vor dem Bischofspalast, die zur Feier des Tausendjahrenbestehens der Stadt im Jahr 1901 aufgestellt wurde, erinnert.

Im Jahr 990 übertrug Bischof Albuin (der später heilig gesprochen wurde) den Bischofsitz von Stift Säben (dieses monumentales Kloster kann man in Klausen bewundern, wenn man von der Autobahn Richtung Bozen in Richtung „Passo di Gardena“, also das „Grödnerjoch“ abbiegt), nach Brixen und diese Stadt blieb dann Bischofsitz bis zum Jahr 1964, als er nach Bozen verlegt wurde.

               Die Bischöfe von Brixen standen in den Kämpfen zwischen Päpsten und Kaisern meistens treu auf der kaiserlichen Seite, einer von ihnen wurde dafür sogar mit der Papstwürde belohnt. Bischof Poppo wurde zum Papst – oder besser gesagt zu einem Gegenpapst unter dem Namen Damassus II. gegen den Skandalpapst Benedikt IX. gewählt. Benedikt IX. wurde zweimal aus Rom vertrieben und zweimal kehrte er zurück. Einmal verkaufte er sogar sein Amt, um nach dem Tod seines Nachfolgers wieder zurückzukehren. Kaiser Heinrich III. hatte von seinen Schurkereien die Schnauze voll und ließ im Jahre 1047 den ihm ergebenen Bischof von Brixen Poppo zum  Papst wählen. Dieser übernahm das päpstliche Amt am 17.Juli 1048, starb aber bereits nach 23 Tagen, ob an Malaria oder an Gift des unverbesserlichen Benedikt IX, ist nicht geklärt. 

               An die Päpste mit einer Beziehung zu Brixen erinnern drei Tafeln mit Wappen in der Vorhalle des Domes, neben Damassus II. ist das Pius VI., der nach Brixen im Jahr 1782 kam, um sich von erfolglosen Verhandlungen mit Kaiser Josef II. in Wien, wo er den Kaiser von seinen Reformen abbringen wollte, zu erholen und letztendlich Benedikt XVI. Josef Ratzinger hatte zu Brixen eine sehr enge Beziehung. Im Jahr 1967 nahm er hier als Vortragender an einem Priesterseminar teil und die Stadt gefiel ihm sosehr, dass er hier in den Jahren 1968 – 1976 regelmäßig im Wirtshaus „Stremitzer Grüner Baum“ seinen Sommerurlaub verbrachte. (Das Hotel findet man am anderen Ufer des Flusses Eisack – oder italienisch Isareo, im Stadtviertel Stufes, wenn man die Brücke in der Altstadt überquert und dann nach links abbiegt. Brixen lieg am Zusammenfluss dieses Flüsschens mit der größeren Rienza). Diese Praxis setzte Josef Ratzinger in den Jahren 1978 – 2004 als Kardinal fort und Brixen vergaß er nicht einmal, als er zum  Papst gewählt wurde und besuchte die Stadt mehrmals in der Zeit seines Pontifikats. Was für Johann Paul II. Val d´Aosta war, war für Benedikt XVI. Brixen. Er besuchte die Stadt sogar nach seiner Abdankung.

               Der Dom von Brixen ist ein monumentaler Bau im Stil des reinsten Barocks.

Es kommt selten vor, dass man ein Gebäude in so einem einheitlichen Stil sehen kann, er wurde in den Jahren 1745 – 1754 gebaut. Es ist eine riesige einschiffige Kathedrale, die mit ihren barocken Merkmalen von innen sowie auch von außen den Besucher blendet, inklusiv zweier hoher Türme und blauer Seitenkapellen, die dem Platz „Piazza del duomo“ zugewandt sind. Im Dom, geschmückt mit Unmengen an Altären, gibt es Grabmäler der Bischöfe von Brixen inklusiv des heiligen Albuins. Das einzige, das ein bisschen stört, ist die Tatsache, dass Eingang und Seitenkapellen blau sind und die Fassade der Kirchentürme gelb, die Farben passen nicht ganz gut zusammen, aber gegen  das Geschmack der Architekten…                 

Durch den italienischen Namen sollte man sich nicht beirren lassen, in Brixen wird fast ausschließlich Deutsch gesprochen, Italienisch spielt hier eine unterordnete Rolle und in den Namen der Straßen und auch in anderen mehrsprachigen Anschriften ist Deutsch fast immer an der ersten Stelle und Italienisch an der zweiten, obwohl Brixen, wie das ganze Südtirol seit 1918 zu Italien gehört. Im Gegenteil zum überwiegend italienischen Meran und gemischten Bozen behielt Brixen seinen deutschen Charakter, obwohl es natürlich auch einen italienischen Namen besitzt, schon erwähnte: Bressanone.      

 Der Dom ist von weiteren kirchlichen Gebäuden flankiert, auf der rechten Seite ist es der romanische Kreuzgang aus dem Jahr 1200, der in Jahren 1390 – 1510 mit wunderschönen Fresken im Stil der Renaissance geschmückt wurde, auf der linken Seite ist das dann die Pfarrkirche des Erzengels Michael im gotischen  Stil – inklusiv eines gotischen Kreuzganges. Das Wahrzeichen der Stadt ist der „Weiße Turm“, der zur Kirche des Erzengels Michael gehört.

Es ist das höchste Gebäude in der Stadt, mit seinen 71 Meter Höhe überragt er alle anderen zahlreichen Türme und er war der Sitz der Feuerwache. Gebaut wurde er um das Jahr 1300, im Jahr 1444 wurde er wie fast die ganze Stadt durch ein Feuer vernichtet. (Die Feuerwache ist wahrscheinlich eingeschlafen). Er wurde neu gebaut und erhielt den Namen „Schwarzer Turm“. Nachdem er eine neue Bedeckung am Ende des sechzehntes Jahrhunderts erhielt, wurde der Name geändert. Später erhielt er ein Kupferdach, das allerdings im ersten Weltkrieg abmontiert wurde, weil das Kupfer zur Kanonenerzeugung benötigt wurde. Er blieb weiß und es steht ihm gut.

               Auf dem großen Platz „Piazza del duomo“ befindet sich auch das Rathaus und der „Lebensbrunnen“, ein modernes Werk des südtiroler Künstlers Martin Rainer und stellt die Entwicklung des menschlichen Lebens in einer Spirale dar, die aus der Hand Gottes ausgeht und wieder in sie zurückkehrt.      

               Die Bischöfe wohnten im Palast Hofburg, den man am Rande der Altstadt findet, umgeben von einem Wassergraben und mehreren Gärten. Die ursprüngliche Burg ließ Bischof Bruno von Kirchberg in den Jahren 1255/1256 bauen. Erwähnungswert ist die Tatsache, dass nach diesem Bischof das fabelhafte Städtchen Bruneck (Brunico) östlich von Brixen heißt, das gerade dieser Bischof gründen ließ, um auch auf dem Wege von Osttirol die Maut kassieren zu können. Das Geld für den neuen Palast war also da. Übrigens nach diesem Herrn heißt auch die Brunogasse (Via Bruno), die zur Hofburg führt. Von der Burg des Bischofs Bruno blieb kaum was erhalten, eigentlich nur die Mauer im Keller. In den Jahren 1595 – 1610 ließen die Bischöfe Andreas von Österreich (der Sohn von Erzherzog Ferdinand von Tirol aus der Skandalehe mit Philippine Welser, geboren auf dem tschechischen Schloss Breznice) und Christoph Andrä von Spaur,  die Hofburg zu einem Schloss im Stil der Renaissance umbauen, das mit Statuen der habsburgischen Dynastie bereichert wurde.

Der Palast war der Sitz der Fürstbischöfe bis zur Säkularisation im Jahr 1803, dann war die Erhaltung des Gebäudes viel zu teuer und der Palast wurde nur teilweise bewohnt. Deshalb schenkte der Bischof Josef Gargitter nach Verlegung des Bischofsitzes nach Bozen das Gebäude der Stadt als Diözesanmuseum und diese Funktion hat es bis heute. Neben den repräsentativen Räumen der ehemaligen reichen Bischöfe, des üblichen Kirchenschatzes und Werken der Kirchenkunst, gibt es hier auch eine schöne Krippenausstellung.

               Ein anderes Museum – Museum der Pharmazie“ findet man am anderen Ende der Altstadt vor der Brücke über den Eisack auf dem Weg ins Viertel Stufens, dort, gleich hinter der Brücke, wird man von wunderschönen Häusern mit Fresken auf den Mauern und schmalen Gassen begrüßt.

               Das Priesterseminar befindet sich am Rand der Altstadt und es ist ein großes Gebäude am  Ufer des Eisacks, zu Recht rühmt es sich mit dem Namen „Seminario maggiore“. Hier lernte der zukünftige Papst Benedikt XVI. Brixen kennen und lieben.     

               Viel unauffälliger ist das „Seminar der englischen Jungfrauen“ Es ist ein kleines Kirchlein im Stil des Klassizismus, im Jahr 2011 wurde es in den Besitz der „Autonomen Provinz Südtirol“ übernommen. Protestanten des augsburgischen Bekenntnisses lesen ihre Messen im Kirchlein „Heiliger Eberhard – wenn man auf dem Zentralparkplatz nahe des Stadtzentrums einparkt, führt der Weg in die Stadt direkt an dieser Kirche vorbei. Das Parken in Brixen in der Nähe der Altstadt ist im Gegensatz zu vielen italienischen Städten absolut unproblematisch und gut gekennzeichnet.

               Schön rekonstruiert ist auch das gotische Gebäude vom „Spital zum Heiligen Geist“ aus Ende des vierzehnten Jahrhunderts bei einem der Stadttore (es wurden gleich mehrere erhalten) auf der Straße „Großer Graben“. Und letztendlich ist auch der Stadtfriedhof an der Romstraße besuchswert. Hier wird seit Ende des achtzehnten Jahrhundert bestattet, vom Eingangstor sieht man eine neugotische Kapelle, Arkaden auf beiden Seiten mit hohen Bergen im Hintergrund, auch ein Friedhof kann unter diesen Umständen romantisch aussehen.       

               In  Brixen wurde der berühmteste Südtiroler aus der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg geboren –  Reinhold Messner. Der erste Mensch, der alle zwölf Achttausender ohne künstlichen Sauerstoff bestiegen hat (und wie ein österreichischer Satiriker schrieb, sogar die ganze Wiener U-Bahn Linie 6  hinter sich gebracht hat und überlebte – ebenso ohne Sauerstoff). Sein Museum haben wir in Brixen nicht gefunden, dafür gibt es aber ein Mountain Museum mit seinem Namen in fünf verschiedenen Orten in Südtirol, eine davon zum Beispiel im Schloss in Bruneck oder auf dem Kronplatz.

Allerdings der Name Brixen muss jedem Tschechen, der in der Schule nur ein bisschen aufgepasst hat, mit dem Namen Karel Havlicek Borovsky  verbunden sein. Sein Werk „Tiroler Elegien“ gehörte zur Pflichtliteratur und wir lernten, wie dieser nationale Held hier im fernen Brixen litt.

Seine Seele litt vielleicht tatsächlich, weil er aus dem politischen Leben ausgeschieden war und die von ihm verlangte Unterschrift, dass er sich nach der Rückkehr nach Tschechien vom politischen Leben fernhalten würde, brach ihn dann wirklich. Auf der anderen Seite handelte sich für den an Tuberkulose leidenden Schriftsteller um einen Heilaufenthalt.

               Karel Havlicek wurde nach seiner Ankunft in Brixen im Hotel Elefant untergebracht und auch später, als er sich ein Haus mit Gartenaltan gemietet hatte, damit auch seine Frau und Tochter kommen durften (die ganze Familie von Karel Havlicek litt an Tuberkulose und seine Gattin verstarb noch bevor er nach Hause zurückkehren durfte), bezog er das Essen aus diesem Hotel. Die Spesen für die Reise nach Brixen in der Höhe von 150 Gulden bezahlte das Polizeidirektorium und Karel Havlicek bezog die ganze Zeit seines Aufenthaltes in der gesunden Bergluft in Brixen in regelmäßigen monatlichen Raten 500 Gulden jährlich. Das war in der Zeit, als ein höherer Beamter ein Jahresgehalt 500 – 700 Gulden, ein Lehrer 130 Gulden und ein Arbeiter um 100 Gulden im Jahr verdiente. So viel also zum kaiserlichen Terror.

               Havlicek blieb in diesem unfreiwilligen Asyl, das zwar seiner Lunge, nicht aber seiner Seele taugte, vier Jahre. Das Hotel Elefant ist auch heute noch eine der besten Adressen in Brixen.

Es steht an der nordöstlichen Ecke der Stadt – direkt gegenüber der Polizeidirektion (ein bisschen Tradition muss doch bleiben). Es ist ein Viersternluxushotel mit einem eigenen großen privaten Garten, wo Hochzeiten und Veranstaltungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden können. Im Inneren ist das ein Luxus mit einem Hauch historischer Patina, die Räume sind mit Holzschnitzereien geschmückt und überall gibt es Fresken mit Darstellung des historischen Elefanten, der dem Hotel seinen Namen gab. Dieser Elefant namens Soliman war ein Geschenk des portugiesischen Königs Johann III. an Erzherzog Maximilian, den späteren Kaiser Maximilian II. Der Erzherzog kehrte im Jahr 1551 von seinem langen Aufenthalt in Spanien zurück, wo er auch mit der spanischen Infantin Maria – der Cousine des portugiesischen Königs – verheiratet wurde. Der Elefant litt auf der langen Reise auf dem Schiff nach Genua und dann über die Alpen und in Brixen war schon fast sterbend. Ein vierzehntage lange Aufenthalt in der Herberge des Wirtes Andrä Posch brachte ihn wieder auf die Beine und so konnte er letztendlich eine Zielstation in Wien erreichen. Dort verendete er allerdings bald an Folgen einer falschen Fütterung.  

               Anders gesagt, ich konnte nicht nachvollziehen, warum Karel Havlicek sein Aufenthaltsort in Brixen nicht mochte. Wir tranken zur Ehre des berühmtesten tschechischen Querulanten auf der Hotelterasse ein kleines Bier für einen unverschämten Preis von 5 Euro – allerdings mit dem Wein, den mein Freund Vladimir bestellt hat, war es mit 7 Euro für ein Achtel noch schlechter. Die Preise waren also wirklich in Elefantenhöhe. Aber was würde man schon für einen Nationalhelden nicht tun, oder?                Uns hat Brixen im Gegenteil zu Havlicek gefallen, euch wird es sicherlich auch. Brixen ist nicht wirklich Italien, es ist noch immer eher Österreich mit einem Hauch Italiens, gerade das verleiht ihm aber ein interessantes Flair.        

Florenz III

               Als wir die Stadt Florenz im Jahre 1469 verlassen haben, sah sie bereits dem heutigen Stadtbild sehr ähnlich. Aber das Entscheidende fehlte noch. Nicht nur der große Regierungskomplex um den „Palazzo Pitti“ mit „Giardino Boboli“ auf dem linken Ufer des Arnos. Die Medici waren in dieser Zeit dabei, ihre Macht auszuüben und sie zu genießen, hatten aber noch keinen Bedarf, sie zu demonstrieren. Soweit war Lorenzo der echte Enkelsohn des großen Cosimos. Auch die „Fortezza Bassa“ nahe dem Hauptbahnhof war noch nicht da, die Medici hatten noch keinen Bedarf, sich vor dem Hass der Menschenmenge zu fürchten und zu schützen. Aber das Wichtigste, was der Stadt noch fehlte, waren ihre Kulturschätze, Bilder und Statuen der größten Meister, die Florenz zu Florenz machen sollten. Noch kein David vor dem „Palazzo Vecchio“, keine „Pieta“ im Duomo, keine Reiterstatue Cosimos I.und kein Neptunbrunnen auf der „Piazza della Signoria“, oder Statuen in der „Logia dei Lanzi“ (die übrigens noch immer nicht diesen Namen trug). Santa Maria Novella wartete noch auch ihre Fresken und Santa Croce auf  Grabmäler in ihrem Inneren.

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(Auf ihre heutige Fassade sollte sie noch 400 Jahre warten) Und es fehlte – fast symbolisch – auch der „Palazzo Uffizi“, wo die größten Schätze heute großteils ausgestellt sind.

               Dass Florenz zu Kulturhauptstadt Italiens aufgestiegen ist, ist einem Mann zu verdanken, nämlich Lorenzo, der einen Beiname „der Prächtige“ bekam. Dass es aber möglich war, ist nur durch Glück und möglicherweise durch Gottes Fügung passiert.

               Im Jahr 1478 verlor nämlich der Papst mit der aufstrebenden Stadt seine Geduld und entschied sich für ein Verbrechen, dass auf den Stuhl Petri schon für immer einen Schatten werfen sollte. Sixtus IV. sollte damit die Reihe der Verbrecher auf dem päpstlichen Thron beginnen, nach ihm folgten Innozenz VIII., Alexander VI. Borgia und Julius II. della Rovere, die durch ihres Benehmen die Reformationsbestrebungen beflügelten und Männern wie Martin Luther, der einer davon war, notwendige Argumente in die Hände legten.

               Der Papst entsandte Mörder nach Florenz, die Lorenzo und seinen Bruder Giuliano ermorden sollten. Sie erhielten vom Papst bereits eine Absolution, egal, wie sie ihren Verbrechen durchführen würden. In der Stadt standen sie in Verbindung mit der Familie Pazzi, die auf einen Volksaufstand nach dem Tod der „Diktatoren“ hoffte und die Herrschaft in der Stadt an sich reißen wollte. Der Mord war  während der Besichtigung der Kunststätten der Medici vorgesehen. Giuliano, der gerade dabei war, sich von einer lästigen Verletzung zu erholten, kam aber nicht. Die Mörder entschieden sich also für „Plan B“. Die Brüder Medici sollten in der Kirche während der Kommunion ermordet werden, wenn sie knien und damit wehrlos ausgeliefert sein würden. Das war aber sogar für den vom Papst entsandten professionellen Mörder Giovanni Battista Montececcovi zu viel. Er weigerte sich in der Kirche zu morden. Schnell wurden als Ersatz für ihn zwei Priester engagiert, die sich bereit erklärten, den Mord durchzuführen. Ihre Unerfahrenheit in der Handhabung von Dolchen sollte sich für die Verschwörern aber rächen. Giuliano wurde zwar durch neunzehn Stichwunden ermordet, Lorenzo aber nur am Nacken verletzt. Er konnte sich wehren und durch die Sakristei flüchten. Die Mörder von Guiliano verfolgten ihn, Lorenzos Freund Francesco Neri stellte sich aber ihnen in den Weg. Er verlor sein Leben, verschaffte aber Lorenzo genug Zeit zur Flucht.

               Die Verschwörer liefen trotzdem gleich zum Rathaus, um über den Tod beider Medici zu berichten und den Gonfaloniere, also den Bürgermeister, aufzufordern, ihnen die Macht zu übergeben. Der Bürgermeister war aber logischerweise ein Anhänger der Medicipartei. Unter einem Vorwand hielt er die Verschwörer in einem Raum fest und schickte Boten zur Kirche, um sich über die Lage ein Bild zu machen. Als er erfuhr, dass Lorenzo lebte, ließ er seine Gäste an sechs Fenstern des Palastes aufknüpfen. Es folgte eine Hetzjagd auf die Attentäter, nur dank höchstpersönlichem Eingreifen Lorenzos wurden nur achtzig Menschen getötet.

               Der Papst setzte seine Hasskampagne fort, er konfiszierte den ganzen Besitz der Medici in Rom, das alles konnte aber nicht den Aufstieg Lorenzos und seiner Kunstschule, die er finanzierte, aufhalten. Diese Schule produzierte Künstler, die dann Lorenzo nach ganzes Italien exportierte und sie machten die beste Werbung für Florenz. Die besten Bilder aus dieser Zeit befinden sich heute in der Gallerie Uffizi. Es ist umwerfend die Werke größten Meister der Hochrenaissance zu vergleichen. Von einem Punkt aus kann man die „Verkündigung Marias“ von Sandro Botticelli und Leonardo da Vinci sehen und den Blick genießen.

Eines dieser Bilder im Gold strahlend und den Besucher ansprechend, das andere silbrig und kalt, nur dem Autor selbst zugewandt. Aber es gibt hier natürlich nicht nur diese beiden Künstler. Man kann Bilder von Rafael, Perugino oder Tizian und vielen weiterer berühmten Künstler bewundern. Es gab sogar eine Malerin, also eine Frau – für diese Zeit absolut unüblich, die Berühmtheit in bildender Kunst erreichte – das Bild von Artemisia Gentileschi „Judith und Holofernes“ ist in den „Uffizien“ ausgestellt – und es ist eine brutale Angelegenheit – immerhin wurde diese Künstlerin in ihren jungen Jahren brutal vergewaltigt und diese Tatsache verfolgte sie und ihre Kunst das ganze Leben lang

 Die Madonna von Michelangelo Buonarotti ließ bereits eine neue künstlerische Strömung,  den Manierismus, ankündigen. Der „Palazzo Uffizi“, also der Beamtenpalast, besitzt die höchste Dichte an Bildern der Hochrenaissance weltweit. „Primavera“ oder „Die Geburt der Venus“ von Sandro Botticelli hatten aber großes Glück, dass sie nicht vernichtet wurden, eigentlich Glück haben wir, die sie bewundern können.   

               Glück hatten sie auch im Jahr 1993, als die italienische Mafia im Innenhof der „Uffizien“ einen mit Sprengstoff geladenes LKW hochgehen ließ. Neben fünf Tote hatte diese Explosion unreparierbare Schäden an den Kunstwerken verursacht. Eine Reihe von Werken wurde vernichtet oder beschädigt, viele konnten nicht mehr rekonstruiert werden.

Eine größere Gefahr für „Primavera“ oder „Venus“ lauerte aber unmittelbar nach Lorenzos Tod. Gegen Ende von Lorenzos Leben begann nämlich in der Stadt ein Bußprediger namens Girolamo Savonarola zu wirken. Er wurde eigentlich von Lorenzo eingeladen und Savonarola war sein Beichtvater. Lorenzo wurde immer mehr von Gewissenbissen geplagt und fürchtete den Tod. Er war sich nicht sicher, ob er bei allen von ihm ausgesprochenen Todesurteilen gerecht war. Sein Gewissen belasteten auch seine zahlreichen Geliebte, die dieser nicht gerade schöne, aber charmante Mann hatte, weil seine Gattin aus der Familie Orsini nur sehr zögerlich am freizügigen Leben in Florenz teilnahm. Lorenzo ließ also Savonarola freie Hand. Trotzdem bekam er im Moment seines Todes keine Absolution. Savonarola verlangte von ihm nämlich, dass er für sich und seine Nachkommen auf jede Macht in der Stadt verzichten sollte und auf diese Forderung drehte sich Lorenzo nur schweigend zur Wand und starb.

Lorenzo starb im Jahre 1492, zwei Jahre später brach in der Stadt ein Aufstand aus und sein Sohn Pietro wurde mit der ganzen Familie aus der Stadt vertrieben. Die Stadt wurde von Savonarola beherrscht, der dort ein Regime eingeführt hat, das dem „Islamischen Staat“ ähnelte. Unter anderem bedeutete das auch Vernichtung kultureller Kunstwerken. Jedes Bild, auf dem nur eine bisschen nackte Haut zu sehen war, sowie auch unanständige Bücher wie „Dekameron“ von Boccacio, sollten verbrannt werden. Auf der „Piazza della Signoria“ wurde ein zehn Meter hoher Haufen von Bildern und Büchern aufgetürmt, für den ein venezianischer Geschäftsmann 22 000 Dukaten angeboten hat. Es half nicht. Die Kunstwerke wurden verbrannt, nur dank der Tapferkeit mancher Menschen entgingen die Bilder von Sandro Botticelli der Zerstörung.

               Vier Jahre später hatten die Bürger von Florenz Savonarolas Terrorregimes die Nase voll. Er wurde gehängt und seine Leiche öffentlich verbrannt, an den Ort der Hinrichtung erinnert heute eine Steinplatte auf dem Boden nahe der Neptunfontäne. Immerhin hat sich Savonarola als ein Vorläufer der Reformation eine Statue auf dem Lutherdenkmal in Worms verdient. Die Kultur durfte nach seinem Tod wieder in die Stadt zurückkehren, gerade in dieser Zeit entstand im Jahr 1504 der „David“ von Michelangelo, heutiges Wahrzeichen der Stadt. Ohne ihn können wir uns Florenz gar nicht vorstellen. Die Stadt leistete aber auch ohne Savonarola weiter einen erbitterten Widerstand gegen Rückkehr der Medici. Die erlangten aber inzwischen großen politischen Einfluss. Ein Zeichen der Versöhnung zwischen Lorenzo und Papst Sixtus war die Ernennung Lorenzos Sohnes Giovanni zum Kardinal (er war damals gerade 13 Jahre alt). Im Jahr 1513 wurde Giovanni zu Papst Leo X. Ihm folgte auf dem päpstlichen Thron sein Cousin, der Sohn des ermordeten Giulianos Giulio als Papst Klemens VII. Medici eroberten Urbino, wo sie zu Herzögen wurden und Katharina Medici, Tochter des Herzogs von Urbino, Lorenzo, wurde durch Hochzeit mit dem französischen Thronfolger Heinrich im Jahr 1533 zur zukünftigen französischen Königin. Vierzig Jahre später sollte sie in die Geschichte als Anstifterin der Bartholomäusnacht in Paris im Jahr 1572 eingehen. Medici traten in die Gesellschaft der Souveräns, zwischen Könige und Fürsten, sie waren keine Bankierfamilie mehr und waren nicht bereit, das Weiterbestehen der florentinischen Republik in der Form, wie sie unter der Herrschaft von Cosimo und Lorenzo funktionierte, zu tolerieren.                      

Die Medici kamen im Jahr 1530 mit Hilfe der Armee des Kaisers Karl V. zurück in die Stadt. Papst Klemens VII,  bekannte sich stolz zu seinem eigenen Sohn Alessandro ( bis dahin gaben die Päpste ihre Söhne für Neffen aus – von hier stammt das Wort Nepotismus – Nepos heißt in Latein Neffe) und setzte ihn als ersten toskanischen Herzog durch. Der Wüstling freute sich an seinem Glück nicht lange, bereits im Jahr 1537 wurde er ermordet. Er machte seinem Verwandten aus der Nebenlinie der Medici, Cosimo I. Platz, der zum ersten Großherzog der Toskana aufsteigen sollte. Seine Reiterstatue aus Bronze von Giambologna schmückt die „Piazza della Signoria“.

Seine Enkeltochter Maria sollte wieder einmal durch die Hochzeit mit Heinrich IV. zur französischen Königin werden und nach Heinrichs Ermordung herrschte sie dann lange Zeit im Namen ihres unfähigen Sohnes Ludwig XIII. In „San Lorenzo“ ließen sich die neuen Herzöge eine neue fürstliche Kapelle bauen, zwar in der Nähe, aber doch getrennt von ihren Vorfahren, die doch „nur“ gemeine Bürger waren. Weil die Verwaltung des neuen Staates viele Beamten brauchte, ließ Cosimo für sie einen neuen Palast bauen – das Projekt realisierten berühmte Architekten Vasari und Buontalenti. So entstand der Palast „Uffizi“, der jedem Besucher von Florenz ein Begriff ist, weil er im achtzehnten Jahrhundert zu einer Gallerie umgewandelt wurde.

Aus der Zeit des Herrschaftsantritts Cosimos I. stammt auch der Neptunbrunnen auf der „Piazza della Signoria“, ein Werk von Bartolomeo Ammanatis – in die Toskana schaute damit ein wenig (aber wirklich nur ein wenig) Barock. Die Florentiner nennen diesen Brunnen „Il Biancone“ also „der große weiße“.

Nach den erlebten Erfahrungen mit ihrem Volk verließen sich die Medici nicht mehr auf seine Liebe, sondern bauten eine Festung, wo sie sich im Falle von Unruhen und Aufständen zurückziehen konnten. Die Festung heißt „Fortezza da Basso“ und befindet sich in der Nähe des Hauptbahnhofs. Wer sie sehen will, darf sich nicht durch den logischen Zwang, direkt ins Zentrum zu laufen, hinreißen lassen, die Festung ist nämlich auf der anderen Seite.

               Die Medici residierten seit langer Zeit nicht mehr im bescheidenen Palast Medici-Riccardi, sie zogen in den „Palazzo Pitti“ auf dem linken Arnoufer, um damit weit genug vom Stadtpöbel entfernt zu sein. Hinter dem Palast gibt es einen wunderschönen Garten „Giardino di Boboli“ mit einer kleinen Festung „Forte die Belvedere“. Man weiß ja nie…

Heutzutage gibt es im „Palazzo Pitti“ eine der großartigsten Pinakotheken Italiens, vor allem die Werke von Raffaelo Santi (1483 – 1520). Eigentlich in jedem Saal gibt es zumindest ein Bild von diesem Kind Gottes, das im Laufe seines relativ kurzen Lebens Unmenge Bilder schaffen konnte.

Rafael malte nämlich leicht und seine Kunst wurde sehr gefragt, zum Neid seines Konkurrenten Michelangelo, der, getrieben von seinem Genie – viel mehr Werke begonnen als vollendet hat. Das Original seines Davids befindet sich im „Museo Academico“, wo man auch viele seine unvollendeten Statuen in unterschiedlichen Stadien der Bearbeitung sehen kann. Normalerweise ist das „Museo Academico“ von Touristen überfüllt und bei „David“ gibt es das gleiche Gedränge, wie im Louvre bei „Mona Lisa“. Ich hatte aber einmal vor vielen Jahren großes Glück, als eine Firma in Rahmen eines Ultraschallkongresses, an dem ich in Florenz teilnahm, das „Museo Academico“ außerhalb der Öffnungszeiten für die Kongressteilnehmer reservieren ließ. Zu meinem Erstaunen nutzte dieses Angebot nur ein Handvoll Ärzte. Und so durfte ich vor dem David zuerst mit einer Gruppe Kollegen aus Japan und dann ganz allein stehen – ein Augenblick, den man nie vergisst.

               Die Medici starben im Jahr 1737 mit Großherzog Giovanni Gastone aus. Dass wir ihre Kultursammlungen bewundern dürfen, verdanken wir seiner Schwester Anna Maria Ludovica, die die ganze Familiensammlung, die sie vom Bruder geerbt hatte, der Stadt Florenz vermachte und damit den Ruhm der Stadt als Kulturzentrum begründete. Gerade wegen der Kulturschätze, die die Stadt infolge ihres Testaments nicht verlassen durften, kommen die Touristen aus der ganzen Welt massenhaft hierher.

               Die Macht in der Toskana ging an die Habsburger, genauer gesagt an Franz Stephan von Lothringen, der gezwungen wurde, auf sein Herzogtum Lothringen zu verzichten, damit die Franzosen die Ansprüche seiner Gattin Maria Theresia auf die habsburgischen Erblande akzeptierten. (Was sie dann ohnehin nicht taten). Es ist aber notwendig zu sagen, dass die Toskana von seiner Herrschaft profitierte. Er leitete positive Reformen ein, die dann sein Sohn, der spätere Kaiser Leopold II. fortsetzte.

               Die Habsburger mussten die Toskana nach der verlorenen Schlacht bei Solferino im Jahr 1859 verlassen, für eine kurze Zeit wurde Florenz in den Jahren 1865 – 1871 sogar zur Hauptstadt Italiens, bis es diese Würde an Rom abgeben musste.

 Kulturhauptstadt Italiens blieb Florenz aber bis heute.

Florenz II

Wir haben im letzten Artikel Florenz am Ende des vierzehnten Jahrhunderts verlassen, als es sich bemühte, sich von schweren Schlägen, wie Pest, Konkurs der größten Banken und Aufstand der Ciompi zu erholen. 

Hätten wir damals die Stadt angeschaut, hätten wir eine für ihre Zeit imposante Agglomeration mit acht Kilometer langer Befestigungsmauer gesehen. Auf dem Berg über die Stadt ragte das Kloster San Miniato empor, im Stadtzentrum rivalisierten die „Campanilla“ von Giotto mit dem Turn des „Palazzo vecchio“ um die Ehre des höchsten Gebäudes der Stadt. Den „Palazzo vecchio“ hätten wir im heutigen Aussehen gefunden, natürlich noch ohne David vor ihm, ihm gegenüber die „Loggia dei Lanzi“, die der Versammlungen der dezimierten Bevölkerung der Stadt diente. Auch hier hätten wir vergeblich nach Stauen gesucht, die sie heute schmücken „Perseus mit Kopf der Meduse“ von Benvenuto Cellini und „Raub der Sabinerinen“ von Giambologna. Die Loggia hatte damals nicht einmal ihren heutigen Namen, den bekam sie nach den deutschen Landsknechten des Herzogs Cosimo I. aus der Familie Medici, über die wir uns heute unterhalten werden. Es gab bereits den „Il Bargelo“ und die Kathedrale, allerdings noch ohne die heutige Kuppel. Die finanzielle Notlage der letzten Jahrzehnte erzwang die Unterbrechung des Baus. Dafür ragten über die Paläste der Stadt viele Türme, die aus Ferne bereits angekündigten, dass im Haus eine Familie logiert, die sich mit einem Adelstitel schmücken durfte. Der Fluss Arno wurde von einer einzigen Brücke überbrückt, die wir als „Ponte vecchio“ kennen, statt Goldschmuck wurden hier aber in den Geschäften Lebensmittel und Fische verkauft, der Geruch aus den Buden war für die Überquerung des Flusses nicht gerade einladend, und wer es versuchte, dann am besten mit einem Tuch vor der Nase. Natürlich hätten wir noch nicht den „Palazzo Uffizi“ oder den „Palazzo Pitti“ gefunden, die dominikanische Kirche „Santa Maria Novella“, „San Lorenzo“ oder „Santa Croce“ sahen ganz anders und viel bescheidener aus. Alle diese Kirchen haben auf ihre innere Ausstattung noch gewartet. Natürlich fehlten auch alle heutigen Paläste der reichen florentinischen Familie, die mussten auf ihre Entstehung die Renaissance abwarten.

               Im Hintergrund des politischen Lebens der Stadt arbeitete bereits unermüdlich der Gründer des Ruhmes der Familie, die in die florentinische, aber auch in die Weltgeschichte, eingehen sollte. Giovanni Medici, genannt „Bicci“ war nicht nur ein Bankier, aber auch ein Politiker. Das Bankhaus Medici war relativ jung und nicht besonders groß, damit entging es aber der Katastrophe der älteren Bankhäuser. Giovanni wirkte auch als ein Anwalt und erarbeitete sich eine Position, die einem Justizminister entsprechen würde. Er setzte eine Steuerreform durch, die arme Schichten der Bevölkerung begünstigte und gewann damit in den unteren und mittleren Schichten der florentinischen Gesellschaft eine große Popularität. Dazu beflügelte er die Erzeugung von Stoffen aus Wolle und beschäftigte damit immer mehr Leute, die von ihm abhängig wurden. Florentiner nutzten die Tatsache, dass das Osmanische Reich in einem Dauerstreit mit Genua und Venedig war und knüpften mit der „Großen Pforte“ sehr gute Beziehungen. Der Handel mit dem Orient blühte und nach dem Fall von  Konstantinopel gewannen die Florentiner in den Türken einen wichtigen Abnehmer ihrer Waren – natürlich solange sie sie durch die venezianische Blockade durchbringen konnten.

               Giovanni trat auf die Bühne der Weltpolitik im Jahre 1409, als er sich entschied, den Wahlkampf eines gewissen Seeräubers namens Baldassare Cossa zu finanzieren, der zum Staunen aller Papst werden wollte. Niemand würde auf ihn einen Cent setzen, Giovanni erkannte aber das Potenzial dieses Mannes und unterstützte ihn. Als sein Kandidat wirklich zum Papst unter dem Namen Johann XXIII. wurde, brachte es dem Haus Medici Zugang zum römischen Finanzmarkt.

               Im Wappen der Medicis gibt es fünf Kugeln, die unterschiedlichste Interpretationen hervorriefen. In Zusammenhang mit dem Namen Medici entstanden Vermutungen, dass es sich um Pillen handelt, da die „Medici“ Ärzte oder Apotheker wären. Die einfache Wahrheit ist, dass die Medici seit der Entstehung Ihrer Familie sich nur mit Finanzen beschäftigten und die sechs Kugel sind sechs Münzen, so genannte „Besants“, die bekannt gaben, dass im Haus, auf dem dieses Zeichen angebracht war, sich eine Wechselstube befand.      

               Im Jahr 1414 wurde von Kaiser Sigismund ein Konzil nach Konstanz auf dem Bodensee einberufen, das die Spaltung der Kirche mit drei Päpsten beenden sollte. Giovanni zögerte nicht und entsandte nach Konstanz seinen ältesten Sohn Cosimo. Auf der Stelle, wo auf dem Platz nahe der Kathedrale von Konstanz die Wechselstube der Medici stand und wo Cosimo wirkte, gibt es heute die „Bar Medici“.

Johann XXIII. verlor zwar seinen Kampf gegen den Kaiser, die Medici aber haben gewonnen. Und das, obwohl sie ihren Kandidaten aus der kaiserlichen Gefangenschaft für 40 000 Dukaten freikaufen mussten. Dank der Kontakte, die Cosimo in Konstanz knüpfte, drangen die Greifer der Bank Medici in das ganze Europa. Cosimo kehrte aus Konstanz als ein geschätzter Herr zurück und im Jahr 1429 übernahm er von seinem Vater die Geschäfte.

               Sein Vater gab ihm folgende Ratschläge: „Heget nie eine Meinung, die dem Willen des Volkes zuwider ist, selbst wenn das Volk Dummheiten macht. Vermeidet es, zu dozieren, redet vielmehr sanft, verständlich, wohlwollend. Macht den Regierungspalast nicht zur Stätte euer Geschäfte, sondern wartet, bis man euch ruft. Denkt daran, dem Volk seinen Frieden und dem Handel seine Blüte zu erhalten. Sorgt dafür, dass nicht mit Fingern auf euch gezeigt wird.“

               Heute würden wir ihn Populist nennen, vielleicht sogar den Vater des Populismus, gäbe es nicht vor ihm bereits ein gewisser Gaius Julius Caesar.

               Cosimo nahm sich die Ratschläge seines Vaters zum Herzen. Seit den Zeiten des Kaisers Augustus gab es auf der Welt keinen Politiker, der so geschickt bei der Machtergreifung vorging, wie Cosimo, nämlich unbemerkt. Er ließ sich nie in öffentliche Ämter wählen, er sorgte aber dafür, dass seine Verwandte oder Schuldner gewählt wurden. Er handelte so geschickt, dass die Tatsache, dass er die Macht über die Stadt an sich riss, nur die Reichsten und Einflussreichsten bemerkten, nicht aber die breiten Massen. Zusätzlich erweiterte Cosimo die Stoffproduktion um das Geschäft mit Seide und auch dieser riskante Zug ging auf. Er wurde zum größten Arbeitsgeber in der Stadt.

               Seine politischen Gegner konnten keine Mittel gegen den geschickten Mann finden. Deshalb ließen sie ihn am 7.September 1433 im „Palazzo vecchio“ verhaften und einkerkern. Weil sie wussten, dass sie sich keinen öffentlichen Prozess gegen Cosimo ohne Gefahr eines Volksaufstanden leisten konnten, entschieden sie ihn im Gefängnis zu vergiften. Sein Kerkermeister konnte aber zählen, von wem er mehr Profit haben konnte und warnte ihn vor dem Giftanschlag. Cosimo hielt also 4 Tage einen Hungerstreik. So viel Zeit brauchte er, um ein tausend Dukaten zusammenzubringen um den „Gonfaloniere“ zu bestechen und der ermöglichte ihm eine Flucht nach Padua. Cosimo brauchte ein weiteres Jahr, bis er durch Intrigen, Bestechungen und Geldüberweisungen eine Armee aufstellen konnte, die danach problemlos die Opposition überwältigte und Cosimo durfte triumphal in die Stadt einziehen. Machiavelli wird einmal schreiben: „Selten ist ein Mann nach einem großen Sieg in seine Heimat zurückkehrend, von einer solchen Volksmenge und mit so herzlichen Kundgebungen oder Anhänglichkeit empfangen worden, wie Cosimo bei seiner Rückkehr aus der Verbannung.“            

Cosimo dosierte seine Rache sehr vorsichtig. Er verbannte aus der Stadt nur die größten Konkurrenten der Familien Strozzi und Albizzi, es wurden keine Paläste oder Türme niedergerissen, wie es früher Brauch war, nur achtzig Personen wurden in die Verbannung geschickt und nach einiger Zeit durften sie sogar zurückkehren und zwischen Albizzi und Medizi sollten in Zukunft sogar eheliche Verbindungen entstehen. Cosimo beherrschte die Stadt und wurde zum „Pater patriae“. Die Stadt unter seiner Herrschaft wurde immer reicher, Cosimo investierte 600 000 Dukaten in die Kunst. Die wichtigste Tat war die Anstellung des genialen Architekten Brunelleschi für die Fertigstellung des Domes. Die neue revolutionäre Lösung der Kuppel, die ohne Stützgerüst gebaut wurde, war für die Bauarbeiter so ungewöhnlich, dass sie Angst hatten dort zu arbeiten und Brunelleschi musste persönlich nach oben klettern und dort die Backsteine legen, um sie von ihrer Angst zu befreien.

Die Statuen aus dem Dom, unter ihnen auch die „Pieta“ von Michelangelo, kann man in Museum „Museo dell´Opera del Duomo“ sehen. Cosimo ließ die Kirche „San Lorenzo“ umbauen, ein Jahr vor seinem Tod wurde hier die berühmte Kapelle Medici fertiggestellt, die als Grabstätte der Familie dienen sollte. Er ließ für sich nur einen ziemlich “bescheidenen” Palast bauen, der heutige Palast Medici-Riccardi, weil er dann später an die Familie Riccardi verkauft wurde, als ihn die Medici nicht mehr brauchten.

               Vom Vater hat Cosimo gelernt, dass es notwendig ist, in der Weltpolitik mitzumischen. Er nutzte den Kampf zwischen Papst Eugen IV. und der Konziliarbewegung, die ein Konzil nach Basel gerufen hat. Eugen verlagerte das Konzil nach Ferrara und hierher kam auch der byzantinische Kaiser Johann, um über die Einigung der westlichen und östlichen Kirche zu verhandeln. Cosimo ergriff seine Chance. Durch große Bestechungen brachte er den Papst und den Kaiser dazu, dass sie unter dem Vorwand einer drohenden Pestepidemie von Ferrara nach Florenz umzogen. Seine Erfahrungen aus Konstanz kamen jetzt zu gute. In Florenz wurde dann am 6. Juli 1439 in der gerade neu vollendeten Kathedrale der Vertrag über die Union zwischen Westen und Osten der so genannte „Laenentur coeli“ unterschrieben. Zwar erfüllte dieser Vertrag nicht, was er versprach, da er von der Mehrheit des byzantinischen Klerus abgelehnt wurde, das Konzil brachte aber Fürste und kirchliche Oberhaupte nach Florenz und die alle gaben Geld aus, vor allen der byzantinische Kaiser. Und sie meldeten nach Hause Nachrichten von einer wundervollen reichen Stadt am Fluss Arno und von den ungeahnten Handelsmöglichkeiten mit dieser Metropole und mit ihrem Herrscher Cosimo, der unglaublich schöne Stoffe aus Wolle und Seide produzierte. In PR kannte sich also Cosimo perfekt aus.

Im Jahr 1453 bewirtete er in seinem „bescheidenen“ Haus Kaiser Friedrich III. auf seiner Reise nach Kaiserkrönung in Rom. Die Person des Kaisers war für Cosimo bei weitem nicht so wichtig, wie sein Sekretär Aeneas Silvius Picolomini, der später zum Papst Pius II. werden sollte. Cosimo lud die besten Maler seiner Zeit in die Stadt und er unterstützte freigiebig ihre Arbeit, was später in der Zeiten der Regierung seines Enkelsohnes Lorenzo zu größtem Ruhm von Florenz und der Familie Medici führen sollte. Jetzt waren es Fra Angelico, Donatello, Giovanni Ruccelai, Lorenzo Ghiberti und weitere, die den Boden für die Größten der Hochrenaissance wie Sandro Botticelli, Filippo Lippi Leonardo da Vinci oder Michelangelo Buonarotti vorbereiten sollten. 

               Cosimo starb im Jahr 1464 gebrochen durch den Tod seines Sohnes Giovanni vor einem Jahr zuvor. Sein zweitgeborener Sohn Pietro war sehr krank und es war offensichtlich, dass er nicht  lange zu leben hatte. Das bestätigte sich zwar, er lebte aber trotzdem lang genug, dass sein Sohn Lorenzo, später genannt „ der Prächtige“ obwohl er selbst kein schöner Mann war und im Jahr 1469 gerade zwanzig Jahre alt, bereits im Stande war, die Macht über die Stadt zu übernehmen und aus ihr das mächtigste Zentrum damaligen Italiens zu machen. Es sollte die berühmteste Epoche für Florenz einbrechen, aber darüber das nächste Mal.

Florenz I

               Florenz ist ein Pilgerort, der beinahe so oft wie Rom besucht wird. Florenz ist die Stadt der Kultur und interessant ist die Tatsache, dass während in Rom ganze Generationen und Generationen von unzähligen Künstlern, die von Päpsten gesponsert wurden, an der Schönheit der Stadt arbeiten mussten, in Florenz das ganze Kulturwunder in einer relativ kurzer Zeit als Verdienst einer einzigen Familie entstand. 

               Florenz ist eine Stadt, die ich zufällig von allen italienischen Städten am häufigsten besucht habe, trotzdem ist die Stadt immer noch nicht „abgehackt“. So nennt es meine Frau und in der Praxis bedeutet das, dass ich immer noch nicht besucht habe, was ich besuchen möchte und somit ist ein weiterer Besuch dieser Stadt unentbehrlich. Ein eintägiger Besuch zahlt sich einfach nicht aus. Man schaut sich die Kathedrale an, eventuelle läuft man auf die Campanille, man besucht die „Ufizzien“, weil man sich per Internet eine Eintrittskarte reserviert hat (auf einen anderen Weg versuchen Sie es nicht einmal), man macht ein Photo mit der Kopie des Davids auf der „Piazza dela Signoria“, bewundert die Goldschmiede auf dem „Ponte vecchio“ und vielleicht schafft man es noch, die Säle „Palazzo Pitti“ mit dem Garten „ Giardino di Boboli“  zu durchlaufen. Aber was ist mit „San Lorenzo“ mit Gräbern der Familie Medici, was ist mit „Santa Croce“ mit Grabsteinen berühmter Florentiner was mit Santa Maria Novella mit Fresken von Boccacio und Filippino Lippi, was mit „Palazzo vecchio, Bargello, Museo Academico, San Miniato, Fortezza da Basso und mit allen wunderschönen Palästen?  Und so weiter, usw… Einen Kaffee  in einem der zahlreichen Bars auf „Piazza della Republica“ zu trinken, das kann man im Stress vergessen. Es geht einfach nicht! In Florenz muss man einige Tage bleiben, was bedeutet, dass man auch ein entsprechendes Budget zur Verfügung hat. Florenz ist nämlich schön in seinen Interieurs und die sind nicht kostenlos zu bewundern.

               Genau so hoffnungslos ist es zu versuchen über Florenz einen Artikel von vier bis fünf Seiten zu schreiben (geschweige von drei, was angeblich die längste empfohlene Textlänge im Internet sei). Es ist einfach eine unmögliche Mission, obwohl die Geschichte von Florenz eigentlich wesentlich kürzer ist, als die Geschichte der Mehrzahl italienischer Städte. In der Zeit, als die Mehrzahl von ihnen bereits stand und lebte, gab es in der Region des Flusses Arno, wo heute diese stolze Stadt steht, nur einen undurchlässigen Morast, wo Hannibals letzter Elefanten ertrank. Eine Stadt in dieser Region gab es zwar, aber die befand sich auf einem Hügel und hieß Fiesole. Sie ist auch heute auf dem gleichen Platz und ist ein Vorort des heutigen Florenz. Einmal war es umgekehrt.

               Fiesole brauchte einen Hafen am Fluss Arno und so entstand Fiorentina auf dem Flussufer, häufig überschwemmt (übrigens die letzte große Flut besuchte Florenz noch im Jahr 1966). Dann bauten Römer hier die Straße „Via Cassia“ und überbrückten den Fluss mit einer Brücke, die einen Schutz benötigte und so siedelte hier Gaius Julius Caesar seine Veteranen an und der Grundstein einer zukünftig berühmten Stadt wurde gelegt.

               Auf ihren Ruhm musste Florenz noch eine Weile warten. Bis zum Hochmittelalter blieb es im Schatten des mächtigen Pisa, des befestigten Lucca auf der wichtigen Kreuzung der römischen Straßen und sogar auch Arezzos. Um alle diese Nachbaren zu überholen, musste sehr viel Kleinarbeit getan werden. Keine der toskanischen Städte war so konsequent im Gewinn des Hinterlandes, im Straßen – und Infrastrukturausbau und in der Umsiedelung der Adeligen in die Stadt, wo sie hohe Türme an ihren Palästen bauten und mit reichen Kaufleuten eine neue Nobilität der Stadt entstehen ließen. Im elften Jahrhundert gab die Stadt das erste Zeichen der kommenden Prosperität – es war die Kirche „San Miniato al Monte“, zu der den Grundstein um das Jahr 1090 Bischof Hildebrand legte, der gute Beziehungen zum Kaiser sowie auch zu den Päpsten pflegte.

Die Kirche ließ er zur Ehre eines lokalen heiligen Minius bauen, der während der Christenverfolgung unter Kaiser Decius im Jahr 295 hingerichtet wurde. Die Glaubwürdigkeit der Legende über das Leben und Tod des Heiligen wird durch die Erzählung, dass er mit seinem eigenen, bereits abgetrennten, Kopf unter dem Arm auf den Berg gelaufen sei, wesentlich geschwächt, aber bei den Legenden geht es nicht um die Glaubwürdigkeit, sondern um den Kult. Also machen wird ein Auge zu und bewundern wir die Schönheit des Baues, der zu seiner Verehrung gebaut wurde. Es ist der einzige rein romanische Bau in der Stadt, eigentlich über der Stadt, also wenn man Florenz von oben anschauen möchte, muss man hierher fahren, zu einem ausgedehnten Klosterkomplex am südlichen Ufer des Arnos – also auf der Gegenseite des Stadtzentrums. 

In der gleichen Zeit, also im elften Jahrhundert, genauer im Jahr 1059, wurde der Grundstein des Baptisteriums gelegt, also des Taufhauses im Stadtzentrum. Das achteckige Gebäude aus weißem und dunkelgrünem Marmor musste auf seine Vollendung bis in das fünfzehnte Jahrhudert warten, als es mit der letzten Bronzetür geschmückt wurde. Es hat insgesamt drei Tore. Das Südtor mit den Szenen aus dem Leben des Johannes des Täufers schuf Andrea Pisano bereits im Jahr 1330. Das Nordtor schuf im Jahr 1401 Lorenzo Ghiberti, das schönste ist  aber das Osttor vom gleichen Künstler (er arbeitete an dieser Tür lange 27 Jahre!) Porta del Paradiso, also Paradistor. Den Namen verdankt die Tür Michelangelo, der angeblich sagte, dass die Tür so schön sei, dass sie würdig wäre, im Eingang zum Paradies zu stehen.

Kurz danach bekam Florenz das erste Mal Eroberungslust und zog im Jahr 1125 – absolut ohne Grund – gegen seine Mutterstadt Fiesole und nach einer vierjährigen Belagerung nahm sie ein. Für eine gute Integration der neuen Einwohner spricht, dass der erste Podestá, der gewählte Stadtherrscher, ungefähr einhundert Jahre später, gerade aus Fiesole stammte.

               Florenz setzte neben dem zielstrebigen Infrastrukturausbau auf Bankwesen. Gelddarlehen gegen Zinsen wurde von der katholischen Kirche streng verboten, die Bürger von Florenz zeigten aber deutlich weniger Angst vor dem Höllenfeuer als ihre Nachbaren aus den anderen toskanischen Städten. Familien Bardi, Cerchi, Donati und andere bauten ihre Niederlassungen in der ganzen damals bekannten Welt aus und zu ihren Kreditnehmern gehörten auch der französische oder der englische König. Über die lokal fehlenden Hemmungen bei Geldleihen gegen Zinsen spricht auch die Tatsache, dass sich in Florenz keine bedeutende jüdische Gemeinde niedergelassen hat, die sonst diese für Christen verbotene Tätigkeit gerne übernahm. Florenz wurde reicher, es lebte aber immer noch im Schatten der mächtigeren Nachbarn. Es wurde allerdings bereits fleißig gebaut. Vor allem entstand der „Palazzo vecchio“, der im Jahr 1314 vollendet wurde und in dem sich heute das Rathaus befindet.

Es hat einen für seine Zeit absolut extravaganten Turm mit einer Höhe von 94 Meter. Ursprünglich tagte hier der Stadtsenat und danach wurde das Gebäude der Amtssitz der Herrscher aus der Familie Medici. Als diese sich am anderen Arnoufer den Palast Pitti gebaut haben und dorthin umzogen, hieß der „Palazzo Pitti“ einige Zeit „Palazzo nuovo“, also „der neue Palast“ und das Gebäude auf der „Piazza della Signoria“ wurde logisch zum alten Palast. Der Name sollte ihm schon bleiben. Weiter entstand in der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhundert auch das „Bargello“.

Also das Gebäude, wo der Bürgermeister seinen Sitz hatte und wo im Innenhof die Bürgen der Stadt gefoltert und hingerichtet wurden. Heute gibt es hier ein großes Museum der Skulpturen der florentinischen Künstler, wie zum Beispiel „Der betrunkene Bacchus“ von Michelangelo. Dieses Museum hat so komische Öffnungszeiten, dass ich es bei meinen eintägigen Ausflügen nie geschafft habe, es zu besuchen (es ist 8:15 bis 14 Uhr, aber einmal ist am Sonntag geschlossen, andersmal wieder am Montag und manchmal an beiden diesen Tagen und ich habe nie den richtigen Tag erwischt.) Das ist also einer der Hauptgründe, warum ich die toskanische Metropole unbedingt noch einmal besuchen muss. Oder vielleicht sogar zweimal?

               Gerade in dieser Bauzeit wurde nach einem der wiederkehrenden Hochwässer, das die alte römische Brücke niedergerissen hatte, auf ihren Fundamenten eine neue Brücke gebaut, die allerdings paradoxerweise „Alte Brücke“, also „Ponte vecchio“ heißt und neben dem Palast auf der „Piazza della Signoria“ zum Wahrzeichen der Stadt werden sollte. Auf der Brücke wurden, wie es damals Brauch war, Geschäfte gebaut, vierundzwanzig auf jeder Seite, also insgesamt achtundvierzig. Ursprünglich wurden hier Lebensmittel verkauft, diese wurden aber später durch Goldschmiedgeschäfte ersetzt. Diese blieben hier bis heute. Ein Spaziergang über „Ponte vecchio“ ist also eine Augenweide, man wird von allen Seiten durch das Strahlen des Goldschmucks geblendet. Man muss hier nichts kaufen, aber ein Spaziergang über die Brücke ist einfach ein muss.

Schon deshalb, weil man sonst den Fluss nicht überqueren kann. Das wussten schon die Medici, die späteren Herrscher der Stadt und ließen sich im Obergeschoß der Geschäftenreihe einen geheimen überdachten Gang bauen, durch den sie unbeobachtet den Arno von ihrem Palast Pitti, wo sie lebten, zum „Palazzo dei Uffizi“, wo ihre Administrative, also ihre Beamten, ihren Sitz hatten, überqueren konnten.   

Im gleichen Jahr wie der „Palazzo vecchio“ begannen die Florentiner mit dem Bau des Domes „Santa Maria del Fiore“. Hier überschätzen sie aber ihre Kräfte. Der Bau wurde infolge der Pestepidemie unterbrochen und musste auf seine Vollendung unter der Führung des genialen Architekten Brunelleschi bis 1436 warten. Aber darüber später. Erfolgreicher waren die Florentiner bei dem Bau des Glockenturmes. Für dieses Projekt gewannen sie niemand kleineren als Giotto, der für die letzen Jahre seines Lebens in seine Heimatstadt zurückkehrte. Sein Projekt wurde einige Jahre nach seinem Tod im Jahr 1359 fertig gebaut. Der Glockenturm ist 82 Meter hoch und man kann ihn auf 414 Treppen besteigen. Obwohl das eine physisch anspruchsvolle Leistung ist, steht vor dem Eingang ständig eine Schlange, da der Gipfel der „Campanilla“ einen berauschenden Blick auf die Stadt bietet.

Natürlich zogen im dreizehnten Jahrhundert beide Bettlerorden der Dominikaner und Franziskaner in die Stadt ein. Über die Kirche „Santa Maria Novella“, die Dominikaner gehört, stolpert der Stadtbesucher gleich vor dem Hauptbahnhof (der übrigens den Namen dieser Kirche trägt).

Hinter einem Platz mit einem kleinen Obelisk gibt es eine Kirche mit einem großen Kloster. Der ursprüngliche Bau war romanisch-gotisch, das derzeitige Aussehen im Stil der Renaissance bekam die Kirche von Leon Battista Alberti in der Zeit der Herrschaft des ersten Medici Cosimos des Älteren in den Jahren 1456 – 1470. Im Inneren blieb die Kirche gotisch, die Innenausstattung stammt aber aus der Zeit der florentinischen Hochrenaissance, wie die „Geburt Christi“ von Sandro Botticelli (sein Bild „Die Anbetung der drei Könige“ wurde von hier nach Uffizien überführt) oder die Fresken von Filippino Lippi in der Kapelle Filippo Strozzi.

Die Franziskanerkirche befindet sich natürlich am anderen Ende der Stadt, wie es Brauch war, damit sich die zwei Bettlerorden nicht konkurrierten.

Die Kirche „Santa Croce“ hat in Florenz eine beinahe symbolische Bedeutung. Nicht wegen ihrer Fassade, die aus dem neunzehnten Jahrhundert stammt, sondern dank ihrer Innenausstattung, wo man 250 Grab- und Denkmäler berühmter Italiener finden kann. Der berühmteste Florentiner liegt aber in seinem Grab nicht, darüber später. Die Fresken in den beiden Kapellen rechts des Hauptaltars sind ein Werk von Giotto.

Anfangs des vierzehnten Jahrhunderts begannen die Florentiner den dritten Mauerring mit einer Gesamtlänge von acht Kilometern mit achtundsiebzig Türmen zu bauen. Dieser schloss auch die Vorstädte ein, die bisher nur mit Palisaden geschützt wurden. Die Mauer sollte sich auszahlen. Im Jahr 1311 zog Kaiser Heinrich VII. nach Italien, um hier die kaiserliche Autorität zu festigen, was seit der Zeiten Barbarossas niemand gewagt hatte. Die Stadt Florenz, die gerade vor kurzer Zeit die Seiten gewechselt hatte und von Guelfen, also der Papstpartei, beherrscht wurde, stellte für ihn ein Hindernis dar, das unbedingt entfernt werden musste. Das durch Krankheiten dezimierte kaiserliche Heer konnte aber keinen Belagerungsring um die Stadt bilden, der Kaiser schaffte es gerade noch, vor den Toren der Stadt seine Macht und Ärger zu demonstrieren, was die Florentiner ruhig ignorieren durften. Als der Kaiser zu einem neuen Angriff ansetzte, diesmal gestärkt durch Kontingente der anderen mit Florenz rivalisierten toskanischen Städte, die die wachsende Macht der Arnostadt mit Sorgen beobachteten, starb er plötzlich in einem Militärlager bei Siena. Die Mauer von Florenz musste auf die nächste Belastungsprobe weitere zweihundert Jahre warten, bis sie von Kaiser Karl V. belagert wurde – und nicht stand hielt.

               Der Anfang des Aufstieges von Florenz zu Metropole von Toskana war ganz unauffällig. Mit der Verwaltung dieser Region wurde im Jahr 1245 der uneheliche Sohn Kaisers Friedrich II., Friedrich von Antiochia, der mit einer schönen Frau aus Florenz verheiratet war, beauftragt. Dieser charmante und regierungsfähige Kunstliebhaber wählte die Geburtsstadt seiner Gattin zu seiner Residenz und – was für weitere Entwicklung der Stadt wichtig war – er vertrieb die Guelfen, als die Papstpartei, im Jahre 1248 aus der Stadt. Es wurden die Türme der Paläste der Guelfen niedergerissen und die Stadt wurde streng ghibellinisch, was sich als Segen für die kulturelle Entwicklung der Stadt herausstellen sollte.   

               Gerade in dieser Zeit sollte die Stadt der Welt die größten Schriftsteller ihrer Zeit, Dante Alighieri und Giovanni Boccacio, aber auch die Künstler der darstellenden Kunst wie Giotto, der in Florenz geboren und in dieser Stadt die letzten Jahre seines Lebens verbrachte, schenken. Die Ausnahme ist nur Francesco Petrarca, der dritte der größten Schriftsteller der entstehenden Renaissance. Seine Eltern stammten zwar aus Florenz, aber als Anhänger der Papstpartei mussten sie die Stadt in der Regierungszeit von Friedrich von Antiochia verlassen. Francesco kam also in Arezzo zur Welt, er studierte in Bologna, lebte in Avignon und starb letztendlich nahe Padova. In Florenz hatte er nur seine Wurzel.

               Dante hatte die besten Voraussetzungen eine große politische Karriere in seiner Geburtsstadt zu machen. Er stammte aus einer bedeutenden florentinischen Familie, er wurde in die Familie Donati verheiratet, einer der wichtigsten Familien in der Stadt. Er zeichnete sich in zwei Schlachten, die Florenz gegen ihre Nachbarn führte, aus. Zuerst in der Schlacht bei Campaldina im Jahr 1289 gegen Arezzo und dann im Kampf um die Festung Caprone gegen Pisa. Dante stieg in das „Consiglio de Podesta“ auf, also in das Beratungsgremium des Bürgermeisters. Dann traf er seine Beatrice (obwohl er verheiratet war), verliebte sich in sie und wurde zum Dichter. Seine Sonettensammlung „La vita nuova“ aus dem Jahr 1296 gilt als Geburtsstunde der Renaissanceliteratur. Schon deshalb, da Dante es wagte, im florentinischen Dialekt zu dichten, die offizielle Sprache der Literatur war damals natürlich Latein. Latein war aber die Sprache der Kirche und Dante stellte ins Zentrum seines Interesses einen Menschen (eine Frau), die Liebe zu ihr und die Bewunderung eines Menschenwesens. Der Grundstein zum Humanismus wurde damit gelegt und entfernte aus der Mauer des mittelalterlichen Denkens, in dem das Leben auf der Erde nur ein Marsch durch einen Tränental sein sollte mit Belohnung im Jenseits, den ersten Stein. Infolge der Untergrabung dieser Weltansicht sollte diese Mauer bald einstürzen.

Aber gerade für Dante sollte das Leben zum Tränental werden. Als er im Jahr 1302 in Rom als Anführer einer Gesandtschaft der Stadt weilte, fand in seiner Abwesenheit in der Stadt ein Staatsstreich statt. Die Partei der Guelfen gelang an die Macht und für Dante gab es keine Rückkehr mehr. Er wurde zu einer Gefängnisstrafe und zum Besitzverlust verurteilt und als er sich weigerte, in die Stadt zurückzukehren, zusätzlich zum Tode durch Verbrennung. Die Strafe betraf auch seine Söhne, nicht aber seine Frau, die in die Stadt zurückkehren und sogar den Besitz, den sie in die Ehe als Mitgift brachte, retten durfte. Dante wurde zum Anführer der Opposition, die sich in Emigration befand. Wir finden ihn beim Heer der Emigranten in Moltepulciano, das allerdings beim Versuch, die Verhältnisse in Florenz zu ändern, im Jahr 1304 scheiterte. Wir finden ihn auch an der Seite Kaisers Heinrich VII. bei seinem eher erbärmlichen Versuch im Jahr 1312, die widerspenstige Stadt einzunehmen. Dann verschwand Dante vom Bildschirm des damaligen politischen Lebens, dafür begann er mit dem Schreiben seines wichtigsten Werkes, das auch heute zu den größten Werken der Weltliteratur gezählt wird – mit der „Göttlicher Komödie“. Im Exil wechselte er seine Aufenthaltsorte, nach Verona ließ er sich in Ravenna nieder, da der örtliche Herrscher Guido da Polenta sein großer Verehrer war. In seinem Auftrag fuhr Dante im Jahr 1321 als Gesandter nach Venedig, steckte sich dort mit einer fieberhaften Erkrankung an und nach der Rückkehr nach Ravenna fand sein erschöpfter Körper nicht mehr genug Kräfte, sich der Krankheit zu erwehren. Er starb am 13. September 1321 im Alter von sechsundfünfzig Jahre. Florenz bekannte sich zu spät zu seinem berühmtesten Landsmann. Vergeblich wurde ihm in der Kirche „Santa Croce“ ein prächtiges Grabmal gebaut, dieses ist bis heute leer. Ravenna weigerte sich, den Leichnam des Vaters der italienischen Sprache auszuliefern. Er ruht in Ravenna, nur das Öl, das an seinem Grab brennt, darf seine Geburtsstadt Florenz, die ihn so schändlich behandelte, liefern.

               Auf Hochmut folgt Fall. Seit Mitte des vierzehnten Jahrhunderts erlitt Florenz einige vernichtende Schläge. Zuerst war das die Pest im Jahr 1348, die die Hälfte der Bevölkerung ausrottete – dafür aber Boccacios „Decameron“ entstehen ließ. Danach gingen die Bankhäuser Bardi und Cerchi in Konkurs und rissen eine Reihe kleineren Banken mit sich ins Verderben. Ihre größten Schuldner, der französische und englische König, verzettelten sich nämlich in den hundertjährigen Krieg und waren nicht imstande, weder die Kredite, noch zumindest die Zinsen, zu zahlen. Im Jahr 1378 kam es dann zum Aufstand der Arbeiter der Textilerzeugung der Stadt, die inzwischen neben dem Bankwesen die wichtigste Rolle spielte. Der Aufstand der „Ciompi“ erschütterte die Struktur der Stadt und ihre Verfassung, die noch aus dem Jahr 1255 stammte und auf die die Florentiner so stolz waren. Es dauerte lange vier Jahre, bis es gelang, die rebellierende Menschenmenge auf der Straße zu besiegen und mehr oder weniger wieder Ordnung in der Stadt herzustellen.

               Dass sich die Stadt von diesen tödlichen Schlägen im Gegensatz zu ihren Konkurrenten erholen und einen neuen und noch größeren Ruhm erreichen konnte, war Verdienst einer Familie. Bereits in der Zeit des „Ciompi“ Aufstandes  zog ein gewisser Salvestro Medici im Hintergrund die Fäden, sein Sohn Giovanni begründete dann den Ruhm seiner Familie als ein beliebter Anwalt der Armen und natürlich auch als ein erfolgreicher Bankier, der den von der traditionellen Bankenfamilien geräumten Raum einnahm. Aber darüber das nächste Mal.   

Pisa

               „Piazza dei Miraculi“, bedeutet „Platz der Wunder“. Wenn sich eine Stadt erlaubt, seinen Hauptplatz so zu benennen, fehlt es ihr sicher nicht am Selbstbewusstsein. Im Fall der Stadt Pisa ist dieses Selbstbewusstseins aber auch begründet. Ihr Platz mit der Kathedrale, dem Baptisterium und dem schiefen Turm gehört zu den bekanntesten, aber auch zu den schönsten, der Welt. Manchmal wird es auch „Campo dei Miraculi“ also Feld der Wunder genannt, dass ändert aber nichts an der oben genannten Tatsache.

               Als ich Pisa das erste Mal in meinem Leben besuchte, es war im Jahr 1993 – noch mit dem Auto Marke Skoda 120, gab es kein GPS und ich irrte machtlos im Gewirr der engen Gassen und suchte ein Plätzchen, wo ich das Auto für einen kurzen Augenblick abstellen durfte um in den Stadtplan einen Blick zu werfen. Ich fand endlich so einen Platz, hielt an, aber noch bevor ich überhaupt den Stadtplan in die Hand nehmen konnte, stand neben meinem Auto ein italienischer Polizist und klopfte an mein Fenster. Als ich es aufmachte, voll Angst, dass ich irgendwo parke, wo das strengst verboten war, fragte er mich kurz: “Torre?“ und zeigte mit den Händen eine schiefe Ebene.           

               Ich nickte. „Torre.“ So erfuhr ich, dass ein Turm auf Italienisch „Torre“ hieß, über die Geste des Polizisten gab es keinen Zweifel. Er zeigte auf eine Ausfahrt aus dem Platz und sagte: „Questa direttione.“

               Obwohl ich damals noch kein Wort italienisch verstand, war mir alles sofort klar und bald parkte ich in der Sichtweite des Wahrzeichens von Pisa ein. Der Polizist wusste, was los war. Was sonst hätte ein Exot in einem merkwürdigen Auto in Pisa gesucht?

               Heute scheint es unglaublich zu sein, dass dieser berühmte Platz direkt am Meer stand, genauer an der Mündung des Flusses Arno ins Meer. Heute trennt es zehn Kilometer Pisa vom Meer, so viel Boden konnte in der relativ kurzen Zeit von tausend Jahren der Fluss Arno anschwemmen. Gerade diese Anschwemmungen waren der Grund für den Untergang der stolzen Stadt, die im Frühmittelalter eine echte Großmacht war, viel wichtiger und mächtiger als das damals noch bedeutungslose Florenz. Pisa war eigentlich einer der vier wichtigsten „Meeresrepubliken“ (Pisa, Genua, Venedig und Amalfi). Neben dem Hinterland in der Toskana gehörten ihr auch die Inseln im Tyrrhenischen Meer, seit Anfang 11. Jahrhundert Korsika und seit 1052 auch Sardinien. Der Hauptgegner waren die Sarazenen, also Araber, die 1004 Pisa sogar einmal überfallen und geplündert haben. Sie sollten es lieber nicht tun, die verärgerten Pisaner waren ihnen dann eine Nummer zu groß. Die Stadt ging in eine Gegenoffensive über und vertrieb die Araber aus „ihrem“ Meer.

               Gerade in dieser Zeit der Blüte und des Reichtums begann die „Piazza dei Miraculi“ zu entstehen. Der Grundstein für die Kathedrale wurde im Jahr 1063 gelegt und im Jahr 1174 wurde sie geweiht. Der Bau des Baptisteriums wurde im Jahr 1152 gestartet und die Campanile, also der Turm, der Pisa weltweit berühmt machen sollte, folgte im Jahr 1173. Es gibt hier noch den „Campo Santo“, also „Das heilige Feld“.

Das entstand dadurch, dass die Kreuzfahrer (genauer gesagt der Erzbischof Ubaldo Lanfranchi, der an dem verbrecherischen vierten Kreuzzug, der mit Eroberung von Konstantinopel und Vernichtung von Byzanz endete, teilgenommen hat) hierher Erde aus Jerusalem, (angeblich direkt vom Berg Golgota) gebracht haben, um hier in der heiligen Erde die bedeutendsten Bürger der Stadt Pisa begraben zu können. Die Erde schafft es angeblich binnen einigen Tagen den Leichnam in ein kahles Skelet umzuwandeln, also bin ich mir nicht sicher, welchen Stoff hier die Kreuzritter beigemischt haben. Der Friedhof ist überraschend monumental mit einer Kirche mit vergoldeter Kuppel in der Front und hohen Bögen auf den Seiten, die sich anscheinend nicht entscheiden können, ob sie sich noch im Stil der Gotik oder schon der Renaissance präsentieren möchten. Natürlich findet man in den Kolonnaden auch viele Statuen berühmter Persönlichkeiten und Sarkophage aus römischen Zeiten.           

               Aber zurück zur Kathedrale.

Der Architekt Buschetto mischte den frühchristlichen Stil mit Byzantinischem, Lombardischem und Arabischem, ergänzte das alles mit einigen antiken Elementen und es entstand ein neuer spezifischer Stil, so genannter pisanischer romanischer Stil, nach dem man dann nicht nur in der gesamten Toskana, sondern auch auf Sardinien, Kirchen baute. Imposant wirkt der Wechsel des dunkelgrünen und sahneweißen Marmors, das gefiel den Italiener so lange, dass in diesem Stil noch am Ende neunzehnten Jahrhunderts der Architekt Maccicini sein „Cimitero monumentale“ in Mailand baute. Es ist nämlich wirklich schön. Was der Kathedrale von Pisa ihre Eigenartigkeit gibt, sind vier Säulengallerien in der Fassade, es geht um eine wirklich beeindruckende Schöpfung, wenn wir bedenken, dass bei uns im Mitteleuropa damals gerade erste Rotunden gebaut wurden, nicht zu groß, damit sie nicht einstürzten. Bronzetüre aus der gleichen Zeit findet man im Querschiff der Kathedrale, in der Hauptfassade gibt es eine Tür aus dem sechzehnten Jahrhundert, weil die ursprüngliche holzende bei einem Feuer verloren gegangen ist. Dieses Feuer ist auch der Grund, warum die Kirche in ihrem Inneren überwiegend im Renaissancestil inklusiv einer prächtigen vergoldeten Kassettendecke ausgestattet ist. Es stört nicht, der romanische Stil verträgt sich mit der Renaissance sehr gut. Fünf Schiffe sind dann halt fünf Schiffe, das verleiht jeder Kirche ihr imposantes Aussehen, die Schiffe sind durch antike Säulen voneinander getrennt, die Seeleute von Pisa als Kriegsbeute in die Stadt brachten. Übrigens, die Bögen zwischen den Säulen können sich wieder einmal nicht entscheiden, ob sie romanisch oder arabisch aussehen möchten, es ist etwas dazwischen  und  damit wieder einmal einfach pisanisch. Was mit dem Rest der Kirche nicht übereinstimmt, ist die Kanzel. Es ist eine wunderschöne Kanzel mit beinahe filigranen Reliefs aus dem alten und neuen Testament, stehend auf den Säulen aus Porphyr – aber gotisch. Sie passt einfach in die wunderschöne romanische Kirche nicht wirklich, aber ich war gern bereit, es ihr zu verzeihen.

               Das Baptisterium steht getrennt vor dem Hauptportal und es ist ein ganz anderes Kapitel.

Mit dem Bau wurde bereits im Jahr 1152 begonnen, der Bau musste aber aus finanziellen Gründen unterbrochen werden. Heute kann man „Gott sei dank“ sagen. Die Tatsache machte es nämlich möglich, dass die Fortsetzung des Baus im Jahr 1260 Nicolo Pisano übernehmen konnte, einer der größten Künstler der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts, ein Schüler der „Scuola nuova siciliana“ und damit ein Vorläufer der Renaissance. Neben dem Projekt des Baptisteriums, das mit einer Statue des heiligen Johannes des Täufers auf seiner Kuppel im Jahr 1395 finalisiert wurde, schuf Nicolo Pisano auch die Kanzel. Mit Reliefs mit den Bildern aus dem Leben Christi. Mit einem Adler, auf dessen Flügeln sich das Lesepult für den Priester befindet. Gleich wie in der Kathedrale. Es dauerte ein bisschen, bis ich entdeckt habe, dass der Adler das Wappentier der Stadt war.                      Das Wahrzeichen der Stadt ist aber der „Torre“ also der Turm – Glockenturm, Campanile, wie man ihn nennen möchte. Ein absolut eigenartiger Glockenturm, weil er schief ist. Das Problem war die unzureichende Inspektion des Unterbodens an der Stelle, wo Pisaner den Turm bauen wollten. Wie ich schon sagte, die Stadt stand am Ufer des Flusses Arno, auf seinen Sandanschwemmungen. Schon während des Baus begann sich der Turm auf dem instabilen Boden zur Seite zu neigen, die Pisaner bekamen ein bisschen Angst und sie brachen den Bau im Jahr 1185 ab. Dann aber gewann doch der Stolz, sie passten die Achse des Turmes an und beendeten den Bau.          

Der Turm neigte sich aber weiter und im zwanzigsten Jahrhundert drohte bereits der Einsturz, man durfte also EINIGE Jahrzehnte den Turm nicht besteigen. Die Rettung des Turmes war eine schwere Arbeit. Er bekam zuerst eine Art Sicherheitsgurt und auf der nördlichen Seite wurden sieben Kubikmeter des Bodens entfernt. Es gelang den Turm um 43 cm aufzurichten und so die Neigung zu erreichen, die der Turmachse aus der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts entsprach. Man darf also den Turm wieder besteigen. Es führen drei hundert Stufen hinauf, der Aufstieg ist aber lediglich für schwindelfreie Personen geeignet. Es ist nämlich ein eigenartiges Gefühl, wen man auf der nördlichen Seite des Turmes steht und der Boden unter den Füßen weg ins NICHTS läuft. Der Turm ist auf der nördlichen Seite 56,6 Meter hoch, auf der südlichen Seite aber nur 54,25 Meter. Es ist ein unwiederholbares Erlebnis, besonders abends. Ein Blick auf Pisa von oben, wenn man sich schon an die ungewöhnliche Situation mit der abfallenden Plattform gewöhnt hat, ist wunderschön. Obwohl die Medici, nachdem sie Pisa erobert und ihrem florentinischen Imperium angeschlossen hatten, ein Großteil der Altstadt niedergerissen und durch neue Boulevards ersetzt haben. „Piazza die Miraculi“ bleibt das Symbol des ehemaligen Ruhms und Reichtums des alten Pisas.

               Nichts dauert aber ewig, nicht einmal der Wohlstand der Stadt Pisa. Das Meer entfernte sich von der Stadt mehr und mehr, die Hegemonie über die Meere musste die Stadt an Genua abgeben. Genua vertrieb Pisa aus Korsika (Sardinien mussten sich diese beiden Mächte ohnehin von Anfang an teilen). Eine echte Tragödie war für die Stadt das Aussterben des Stammes der Hohenstaufen auf dem kaiserlichen Thron. Pisa war, in Gegenteil zu seinen ewigen Rivalen Florenz und Lucca, immer fest auf der Seite der Ghibellinnen, also auf der Seite des Kaisers. Nach dem Jahr 1268, als der letzte Staufer Konradin hingerichtet wurde, wurde die Lage der Stadt immer bedenklicher und im Jahr 1284 erlitt Pisa eine vernichtende Niederlage in der Seeschlacht bei Meloria gegen Genua. Die Zahl der gefangenen Pisaner war so riesig, dass ein Spruch aus dieser Zeit sagte, wenn man einen lebenden Pisaner sehen möchte, muss man nach Genua fahren. Anschließend verfiel die Stadt in einen Bürgerkrieg und der ganze Ruhm war dahin. Auf dem Festland wurde Florenz stärker und stärker und nach langen Kämpfen mit wechselhaften Ergebnissen gliederte es Pisa im Jahr 1406 definitiv in sein toskanisches Imperium ein. An diesen bösen Moment erinnert der Löwe auf den Mauern der „Piazza die Miraculi“ – es handelt sich um einen florentinischen Löwen, den die Eroberer auf den Mauern bauen ließen und die Bürger von Pisa mussten dem verhassten Symbol den Hintern küssen. Der Löwe hat den Adler besiegt.     

               Außer der „Piazza dei Miraculi“ gibt es in Pisa nicht so viel zu sehen, aber wenn man sucht, dann findet man auch. Suchen bedeutet aber „suchen“ im wahren Sinne des Wortes. Pisa steht in der Ebene und im Gewirr der Gassen ist die Orientierung nicht gerade einfach. Das wirkliche Stadtzentrum war die „Piazza dei Cavallieri“. Hier stehen zwei (eigentlich drei) interessante Gebäude. Im älteren „Palazzo dell´Orologio“ mit dem Uhrturm wurde Herzog Ugolino delle Gherrardesca im Jahre 1288 mit seinen Söhnen und Enkelsöhnen durch Hunger zum Tode gequält, da ihm die Pisaner die Schuld für die katastrophale Niederlage bei Melorie, die ihre Übermacht am See beendet hat, zugeschrieben haben.

Das schönste Gebäude ist der „Palazzo dei Cavallieri“, ein monumentales Gebäude im Stil der Renaissance, gebaut von Giorgio Vasari mit wunderschönen Sgraffiti auf der Fassade. Das dritte Gebäude ist die Kirche „Chieza di Santo Stefano dei Cavallieri“, die ebenfalls ein Werk von Vasari ist. Die Kirche und der Palast waren der Sitz des Ordens des heiligen Stephans, der von Cosimo I. Medici gegründet wurde, als dieser zum Großherzog von Toskana aufstieg.

               Es gibt in Pisa wie in jeder italienischen Stadt mehr als genug Kirchen. Eine davon ist aber Pflichtprogramm, ein herrliches Kirchlein am Ufer des Arnos „Santa Maria dell Spina“. Es ist winzig klein, aber wunderschön. Eine Hochgotik mit vielen Türmchen und Fassadenschmuck, trotzdem gibt es hier zumindest auf den Bögen über der Tür (Türen gibt es hier zwei, obwohl immer nur ein geöffnet wird) die typische pisanische Kombination des dunkelgrünen und sahnenweißen Marmors – die Bögen sind natürlich im romanischen Stil. Wie sonst in Pisa? Den Namen hat das Kirchlein von einem Dorn der Dornkrone Christi erhalten, der hier als heilige Reliquie aufbewahrt wird.

               Natürlich, wenn man Zeit und Lust hat, darf man durch die Gässchen der Altstadt bummeln. Die einmal reiche und große Stadt schrumpfte im siebzehnten Jahrhundert auf knappe 3000 Einwohner. Aus der berühmten Epoche ist hier noch die Kirche der heiligen Katharina, der „Palazzo dei Medici“, das Kloster der Benediktiner „San Matteo“, wo heute das Nationalmuseum mit den Bildern und Statuen lokaler Künstler untergebracht ist – das wertvollste Stück ist der Reliquienschrein des heiligen Lussorius von Donatello.  

               Also wie überall in Italien ist auch in Pisa viel zu sehen, aber  der „piú bella piazza del mondo“ also dem schönste Platz der Welt, kann nichts in der Stadt das Wasser reichen.

               Wunder sind einfach Wunder und die sind nicht wiederholbar.