Tarquinia ist ein nettes Städtchen mit etwa 15.000 Einwohnern in der Nähe des Tyrrhenischen Meeres, das auf eine lange und bewegte Geschichte zurückblicken kann. Genau das macht es interessant – archäologische Funde aus der Umgebung haben es zu einem der spannendsten historischen Reiseziele in Italien gemacht.
Gegründet wurde es irgendwann im zwölften Jahrhundert vor Christus und erlebte seine Blütezeit im sechsten Jahrhundert v. Chr., als es Tarchuna hieß und die letzten Könige, die über Rom herrschten, von dort stammten. Der letzte von ihnen, Lucius Tarquinius Superbus, wurde im Jahr 509 v. Chr. aus Rom verbannt, womit Rom zur Republik wurde. “Verbannt” ist vielleicht nicht ganz zutreffend – der König befand sich gerade auf einem Feldzug, als die Römer ihm einfach die Stadttore versperrten und ihn nicht mehr hineinließen.
Tarchuna war eines der zwölf Städte des etruskischen Städtebundes und musste früher oder später in Konflikt mit dem nahen Rom geraten. Als es 358 v. Chr. so weit war, besiegten die Tarchuner zwar die Römer, versäumten es jedoch, sie zu vernichten. Es folgten mehrere Niederlagen und schließlich ein 40-jähriger Friedensvertrag im Jahr 351, der 308 um weitere vierzig Jahre verlängert wurde. Doch die Römer hatten nicht genug Geduld und gliederten die Stadt bereits im Jahr 281 v. Chr. in ihr Territorium ein. Die Stadt erhielt den neuen Namen Tarquinii und verlor an Bedeutung. Die Nähe zum Meer erwies sich als Segen, aber auch als Fluch. Einerseits brachte der Hafen von Gravisca der Stadt in einer Zeit, in der das Reisen über Wasser viel schneller und sicherer war als über Land, satte Gewinne und Wohlstand. Andererseits führte dies im achten Jahrhundert zur völligen Zerstörung der Stadt durch die Sarazenen, die im Hafen landeten und die Stadt dem Erdboden gleichmachten.
Die Bewohner machten sich nicht einmal die Mühe, die Ruinen wieder aufzubauen, sondern zogen auf den benachbarten Hügel und gründeten dort eine neue Stadt mit dem Namen Corneto. Im Jahr 1872 beschlossen sie jedoch, zu ihren Wurzeln zurückzukehren, und die Stadt wurde wieder in Tarquinia umbenannt. Ab 1922 verschwand der Name Corneto endgültig – Benito Mussolini, der stolz auf die alte Geschichte seines Landes war, war dies lieber so.
Tarquinia ist also eigentlich nicht Tarquinia – und trotzdem lohnt sich ein Besuch. Auf den ersten Blick wirkt es wie ein kleines San Gimignano mit vielen Türmen städtischer Paläste und großteils erhaltenen mittelalterlichen Stadtmauern.
Parken ist kein Problem – es gibt einen großen Parkplatz direkt bei der Touristeninformation, und der liegt außerdem in einem Park, sodass man das Auto im Schatten abstellen kann. Die Touristeninformation befindet sich in einem riesigen Gebäude eines ehemaligen Klosters, und die freundliche junge Frau dort sprach sehr gut Englisch.
Das wichtigste Gebäude der Stadt ist natürlich das Archäologische Museum, das sich direkt hinter dem Stadttor im „Palazzo Vitelleschi“ befindet.

Dieser prachtvolle Renaissancepalast hat seine eigene Geschichte und wäre vermutlich auch ohne die vielen ausgestellten Exponate, die in der Nekropole des einstigen etruskischen Tarchuna gefunden wurden, einen Besuch wert.
Der Palast wurde vom einheimischen Kardinal Giovanni Vitelleschi in Auftrag gegeben, einer der schillerndsten Figuren der aufkommenden Renaissance. Vitelleschi war weit mehr ein Soldat und Condottiere als ein Geistlicher – was seiner kirchlichen Karriere jedoch nicht im Wege stand, insbesondere weil er sich in den unruhigen Zeiten gut zu positionieren wusste und auf die „richtige Seite“ stellte. Im Jahr 1431 wurde in Rom Eugen IV. zum Papst gewählt. Gegen ihn erhoben sich die Mitglieder der Familie Colonna, aus der sein Vorgänger Martin V. stammte, der auf dem Konzil von Konstanz im Jahr 1417 gewählt worden war. Die Colonnas hatten von ihrem Verwandten große Besitzungen in und um Rom erhalten, darunter auch die Engelsburg, und hatten das Gefühl, dass der neue Papst nicht vorhatte, diesen ihren Riesenbesitz unangetastet zu belassen. 1434 lösten sie in Rom einen Aufstand gegen den neuen Papst aus, der am 4. Juni jenes Jahres verkleidet in einem kleinen Boot, bedeckt mit Schilden, fliehen musste, während ihn die Menge vom Ufer aus mit Steinen und Pfeilen attackierte. Eugen gelang die Flucht, er fand Asyl in Florenz, er wollte allerdings Rom keineswegs aufgeben.
Giovanni Vitelleschi blieb ihm treu und bot sich als idealer Befehlshaber der päpstlichen Truppen an. Die Wette des Papstes ging auf – schon im Oktober unterwarf Vitelleschi Rom mit brutaler Gewalt, das sich wieder einmal kurz als Republik versuchte. Er entzog den Bürgern sämtliche Rechte und zwang den Stadtsenat, ihn zum „tertius pater patriae post Romulum“ – also zum „dritten Vater der Stadt nach Romulus“ – zu ernennen. Er herrschte mit harter Hand, und der Papst dankte ihm für seine Loyalität unter anderem, indem er ihn zum Erzbischof von Florenz und zum lateinischen Patriarchen von Alexandria ernannte. 1437 erhob Papst Eugen Vitelleschi schließlich auch zum Kardinal. Von den Aktivitäten ihres berühmten Sohnes profitierte auch die Stadt, die damals noch Corneto hieß. 1435 verlieh ihr der Papst die Stadtrechte und machte sie zum Bischofssitz.
Gerade in jener Zeit, auf dem Höhepunkt seiner Macht, ließ sich der frisch ernannte Kardinal in seiner Heimatstadt Tarquinia einen Palast erbauen – die Bauzeit war von 1436 bis 1439. Und so sieht der Palast auch aus. Es ist ein repräsentativer Sitz eines Mannes, der im Grunde die katholische Kirche beherrschte – und sich dessen auch bewusst war. Besonders das Obergeschoss mit den privaten Räumen war reich mit Fresken geschmückt, und kein Geringerer als Filippo Lippi malte 1437 die Madonna für die Kapelle des Kardinals. Diese Madonna, bekannt als „Madonna von Tarquinia“, gehört zu den Juwelen der italienischen Renaissancemalerei.

Kardinal Giovanni konnte seinen neuen Luxus jedoch nicht lange genießen – hauptsächlich, weil er das Maß nicht kannte. 1440 begann der Papst ihm zu misstrauen, denn er sah, wie Vitelleschi immer mehr Macht an sich riss. Es gelang, Briefe abzufangen, die der Kardinal mit einem der berühmtesten Condottieri seiner Zeit, Niccolò Piccinino, austauschte, der gerade in der Toskana wütete. Der Papst fürchtete – möglicherweise zu Recht –, dass diese beiden Herren ihn stürzen wollten und Vitelleschi vielleicht selbst nach der Papstkrone strebte. Er ließ ihn daher hinterhältig von seinem Kastellan der Engelsburg, Antonio Rido, gefangen nehmen. Vitelleschi leistete bei der Verhaftung offenbar Widerstand, denn offiziell starb er kurz darauf an den Folgen seiner Verletzungen.
Heute befindet sich in seinem Palast das Archäologische Museum mit den reichhaltigsten etruskischen Funden in ganz Italien. Zahlreiche Grabsteine – männliche wie weibliche, aus Stein oder Keramik – und viele Fundstücke aus diesen Gräbern sind dort zu sehen. Die Etrusker waren recht konservativ, lehnten lange die neue Methode der roten Figurenkeramik ab und blieben bei der alten Technik der schwarzen Figuren. Ihre Spezialität waren Gefäße, die unter Sauerstoffausschluss in Kohlenmonoxid gebrannt wurden, wodurch sie ihre intensive schwarze Farbe erhielten. Was die auf der Keramik dargestellten Themen betrifft, waren sie allerdings nicht allzu konservativ – auf Tellern und Gefäßen gibt es viele erotische Szenen. Interessant fand ich, dass dabei nicht nur der klassische Geschlechtsverkehr von hinten dargestellt ist, sondern auch der in der Missionarsstellung – ich dachte, diese sei erst von den Christen eingeführt worden, aber offenbar lag ich falsch.

Im Museum gibt es neben der Madonna von Lippi auch mehrere rekonstruierte etruskische Gräber mit Wandmalereien sowie eine große numismatische Sammlung. Die Hauptattraktion ist eine Sammlung goldener Münzen (ich zählte 174) aus der Zeit der römischen Kaiser Valentinian I., Valentinian II., Theodosius, Arcadius und Honorius. Diese wurden bei Ausgrabungen in Gradisca entdeckt. Wahrscheinlich hatte ein unglaublich reicher Mensch diesen Schatz vergraben, um ihn vor den herannahenden Westgoten unter Alarich zu verbergen, die Italien im Jahr 410 verwüsteten. Offenbar überlebte er den Gotensturm nicht und konnte das Gold nie wieder ausgraben.

Der berühmteste archäologische Fund ist allerdings ein Fragment einer Statue geflügelter Pferde, das zum Symbol von Tarquinia wurde. Es ist in einem eigenen Saal im obersten Stockwerk des Gebäudes ausgestellt.

Die Hauptachse der Stadt ist die „Corso Vittorio Emanuele“, auf der man bis zum Hauptplatz „Piazza G. Matteotti“ mit dem reizenden „Palazzo Comunale“ hinaufspazieren kann.

Aber Achtung! Bestellt euch auf keinen Fall weißen Wein in der Bar auf diesem Platz! Wir bekamen ein schrecklich saures Gesöff, vermutlich Apfelwein, und die Kellnerin wollte nicht verstehen, dass wir unter Wein etwas völlig anderes verstehen. Es mag sich um eine lokale Spezialität handeln – aber auf die kann man mit gutem Gewissen verzichten. Das so etwas in Italien passieren konnte, war für mich vollkommen unvorstellbar.
Das Städtchen selbst ist mit seinen steinernen Gebäuden und den vielen Türmen und Kirchen charmant. Der Dom („Duomo“) ist etwas eigenartig, denn obwohl er im klassizistischen Stil umgebaut wurde, blieb die Apsis in ihrem gotischen Stil erhalten. Diese sowie die Seitenkapellen sind mit Fresken von Antonio da Viterbo aus dem Jahr 1509 geschmückt. Die Kirche wirkt dadurch etwas uneinheitlich, aber die Fresken anzuschauen lohnt sich auf jeden Fall.
Die Hauptattraktion von Tarquinia liegt jedoch außerhalb der Stadt – auf der „Necropoli Etrusca“, auch Monterozzi genannt. Eintrittskarten kann man zusammen mit denen für das Museum kaufen, und ein großer Parkplatz befindet sich direkt vor dem Eingang. Das Problem ist nur, ihn zu finden. Als wir uns auf das GPS und die Beschilderung verließen, landeten wir irgendwo im Niemandsland. Erst als wir die Adresse „Via di Ripagretta“ eingaben, kamen wir an den richtigen Ort.
Diese etruskische Nekropole erinnert stark an das Tal der Könige in Ägypten. Es sind einige Gräber zugänglich. Man steigt über Treppen hinunter in die Grabkammern, die wunderschön geschmückt sind – bemalt mit Naturmotiven, aber vor allem mit Szenen von Festen und Banketten. Das brachte den britischen Schriftsteller D.H. Lawrence, der die Ausgrabungen im April 1927 besuchte, auf die Idee, dass die Etrusker sich auf den Tod freuten und ihn als Befreiung von den irdischen Mühen sahen. Vielleicht lag das auch daran, dass Lawrence an Tuberkulose litt und seinen eigenen Tod nahen fühlte. Er starb im März 1930 im Alter von 44 Jahren, und sein Werk „Etruscan Places“ erschien erst postum im Jahr 1932.
Wir sind in mehrere Gräber hinabgestiegen, die heute durch Glaswände vom Publikum getrennt sind, um zu verhindern, dass Feuchtigkeit an die Fresken gelangt und sie beschädigt. Am schönsten ist meiner Meinung nach die „Tomba dei Leopardi“, mit einer wunderschön erhaltenen Malerei eines Festmahls, wo dem Verstorbenen von links Speisen und Getränke von Dienern gebracht werden, während von rechts Musik gespielt wird. Über seinem Kopf befindet sich das Bild zweier Leoparden, nach denen das Grab benannt wurde.

Übrigens: Nur 5 Kilometer von der Stadt entfernt liegen schöne Strände, die sich hervorragend zum Baden eignen. So lässt sich eine Bildungsreise wunderbar mit dem Genuss eines Meeresbades verbinden.