Die Architektur des Zentrums von Tirana wurde von den italienischen Architekten Florestino Di Fausto und Vittorio Morpurgo entworfen, die von Mussolini ins Land geschickt wurden. Rund um den Skanderbeg-Platz, dem Zentrum Tiranas, stehen Gebäude aus den 1920er- und 1930er-Jahren im Stil der italienischen Neorenaissance. Sie sind bunt bemalt, was auf die Initiative des früheren Bürgermeisters von Tirana, Edi Rama, zurückgeht, der die grauen Betonplattenbauten aus der kommunistischen Ära mit Farben verschönern ließ. Heute ist sein Freund Erion Veliaj Bürgermeister der Stadt. Edi Rama schaffte es bis zum Ministerpräsidenten Albaniens – übrigens der größte in Europa (mit einer Körpergröße von 202 cm – sein Geld hat er sich als Basketballspieler in Italien verdient). Mit Wladimir Putin (in seinen besten Jahren war er 168 cm klein, jetzt wird das wahrscheinlich noch schlimmer sein) wird er wohl nie zusammentreffen, das würde der kleinwüchsige russische Diktator psychisch nicht verkraften.
Tirana verfügt über breite Boulevards, viel Grün im Stadtzentrum, schöne Parks, die modernsten Fünf-Sterne-Hotels (wie das Hotel Piazza) und Überreste einer Burg, die man leicht übersehen könnte, wenn man nichts von ihr wüsste. Es ist fast unglaublich, dass 1991 das höchste Gebäude der Stadt das Minarett einer Moschee mit 35 Metern war, die der Diktator Enver Hoxha offenbar vergessen hatte, abreißen zu lassen. (Mit Kirchen und Moscheen ging er sonst rigoros um – die meisten ließ er entweder abreißen oder in Kinos, Sporthallen oder Erholungsheime für Mitglieder der kommunistischen Partei umbauen.)
Dennoch gibt es einiges zu sehen. Liebhaber historischer Denkmäler kommen aber nicht wirklich auf ihre Kosten. Ich muss gestehen, dass auch ich, bevor ich mich auf die Reise in den Süden begab, nur sehr vage Vorstellungen von der Geschichte Albaniens hatte. Der Name Skanderbeg war mir ein Begriff, ich wusste, dass in Apollonia der erste römische Kaiser Augustus Rhetorik studierte, und dass der unglückliche ermordete ungarische König Karl II. auch als Karl von Durrës bekannt war – was bedeutete, dass dieser Hafen im Mittelalter irgendwie zu Italien gehören musste. Viel mehr war mir nicht bekannt, was natürlich auch daran lag, dass sich das Land nach dem Zweiten Weltkrieg vom Rest der Welt vollständig isoliert hatte.
Zunächst zerstritt sich der albanische Diktator Enver Hoxha mit Tito, dann mit Breschnew und schließlich sogar mit Mao Zedong. Albanien lebte in seiner eigenen abgeschotteten Welt und es interessierte niemanden. Nur Diktator Enver war in seiner Paranoia überzeugt, dass die ganze Welt Albanien erobern und vor allem ihn persönlich umbringen wollte. Deshalb ließ er im ganzen Land Tausende von Bunkern bauen, die eine Eroberung Albaniens unmöglich machen sollten. Wahrscheinlich glaubte er bis zu seinem Lebensende, dass diese Taktik erfolgreich war und die Invasionsarmeen abgeschreckt hatte. In Wirklichkeit dachte niemand in der Welt auch nur im Traum daran, das arme Land anzugreifen.
Die Bunker sind buchstäblich überall. Im Zentrum von Tirana steht einer der größten von ihnen, der Platz für die gesamte albanische Regierung bot und heute das Museum Bunk’Art 2 beherbergt. Das Bild der Stadt prägen dann viele weitere kleinere Bunker für ein oder zwei Soldaten (falls sie sehr dünn waren – was bei der damaligen Ernährung durchaus möglich war, denn die Fleischration betrug angeblich nur ein Kilogramm pro Monat).
Der größte von allen ist allerdings Bunk’Art 1 und er befindet sich in einem Vorort von Tirana. Der war eigentlich der wichtigste von allen. Den Bunker im Stadtzentrum ließ Hoxha nämlich nur als Reserve bauen. Lediglich für den Fall, dass er es aus irgendeinem Grund nicht in sein Hauptquartier schaffen sollte.
Am Strand von Adria, wo wir wohnten, befand sich unweit unseres Hotels ein solcher Bunker direkt am Strand, sogar mit einer Schießscharte für eine Kanone.
Da wir aber den Strand zwei Kilometer nach Süden und zwei Kilometer nach Norden abwanderten und keinen weiteren Bunker fanden, musste dieser ganz allein offenbar eine Küstenlinie von mindestens vier Kilometern verteidigen – wie das möglich gewesen sein sollte, ist mir ein Rätsel. (Na gut, es gibt dort doch zwei Bunker, direkt nebeneinander. Ein findiger Albaner hatte die Idee, aus dem zweiten ein Restaurant und eine Bar mit Terrasse zu machen. Doch offensichtlich scheiterte das Projekt, und übrig sind nur übelriechende öffentliche Toiletten geblieben.)
Dafür sind die Hügel über dem Tal bei der Stadt Fier regelrecht von Bunkern mit Kanonenscharten durchlöchert. Ich zählte vierzehn und bin sicher, dass ich nicht alle entdeckt habe.
Albanien erklärte sich zum ersten „atheistischen Staat der Welt“. Das Praktizieren jeglicher Religion war streng verboten und wurde mit Aufenthalten in Straflagern geahndet. Die Geheimpolizei „Sigurimi“ war allgegenwärtig, und die Brutalität des albanischen Kommunismus war unvorstellbar – sie übertraf sogar das russische System. Heute dürfen sich die Menschen wieder zu einer Religion bekennen. Zehn Prozent sind Katholiken, zwanzig Prozent orthodoxe Christen und siebzig Prozent Muslime. Doch aufgrund des langjährigen Einflusses des Kommunismus ist das religiöse Empfinden der Menschen oft recht lau. Die Muslime in Albanien gehören zudem größtenteils der Bektaschi-Sekte an, die eng mit den syrischen Aleviten verwandt ist. Diese nehmen den Koran nicht allzu wörtlich ernst und feiern sogar Weihnachten. Die Unterschiede zu den Aleviten sind marginal; es handelt sich einfach um eine europäische, und daher noch weniger ernsthaft ausgelebte Form des Islam.
Die Heiligtümer ihrer Propheten – der Derwische – sind über ganz Albanien verteilt, oft in unzugänglichen Bergen, wo sie als Einsiedler lebten. Und Berge gibt es in Albanien viele! Ein solches Heiligtum befindet sich auf einem Aussichtspunkt auf einem Berg über der Stadt Kruja. Die Fahrt dorthin führt über endlose Serpentinen und ist nichts für Menschen mit Reisekrankheit. Die Besichtigung lohnt sich jedoch. Es handelt sich um eine kleine Höhle, in der Dutzende von Kerzen brennen. Natürlich muss man, wie in jedem muslimischen Heiligtum, die Schuhe vor dem Eingang ausziehen.
Während des Kommunismus mauerten die Menschen Kreuze in die Wände ein, um heimlich beten zu können, ohne dass die Geheimpolizei diese Kreuze entdecken konnte. Heute ist das Praktizieren von Religion wieder erlaubt, und überall stehen katholische und orthodoxe Kirchen sowie Moscheen nebeneinander. Der türkische Präsident Erdoğan, der versucht, in Albanien Einfluss zu gewinnen – obwohl die Albaner ihn bisher demonstrativ ignorieren – investierte 30 Millionen Dollar in den Bau einer großen Moschee in Tirana. Diese hat vier Minarette und war im Jahr 2018 noch nicht fertiggestellt.
Die Albaner nähern sich der Religion pragmatisch, ähnlich wie ihr Nationalheld Skanderbeg. Gjergj Kastrioti, genannt Skanderbeg, wechselte im Laufe seines Lebens mehrmals die Religion: vom Islam zum Katholizismus, dann zur Orthodoxie und wieder zurück zum Katholizismus – je nachdem, wie es ihm gerade passte und welche Verbündeten er gewinnen wollte. Das minderte seine Popularität bei den Albanern keineswegs, im Gegenteil, es stärkte sie vielleicht sogar. Zwar sieht man in Albanien auch Frauen im Tschador oder Hidschab, doch das ist bislang ein seltenes Phänomen. Allerdings wurde die Hauptmoschee in Shkodra mit saudischem Geld gebaut – und wo Saudi-Arabien erst einmal Fuß fasst…
Das letzte Mal machte Albanien im Jahr 1998 weltweit Schlagzeilen, als das Land einen vollständigen Zusammenbruch seines Finanzsystems erlebte. Es handelte sich um den sogenannten „Pyramiden-Skandal“: Banken sammelten Einlagen der Bevölkerung ein und versprachen Zinsen von bis zu fünfzig Prozent. Diese wurden den ersten „Investoren“ aus den Einlagen der späteren Anleger ausgezahlt, bis das gesamte System kollabierte. Die Banken gingen in Konkurs, und Albanien wurde zahlungsunfähig. Die Tatsache, dass die Menschen diesen Versprechen Glauben schenkten und auf ein so durchschaubares Pyramidensystem hereinfielen, zeigt, dass sie keinerlei Vorstellung von Finanzsystemen oder von dem Umgang mit Geld hatten.
Während die südlichen europäischen Länder traditionell einen eher lockeren Umgang mit Geld pflegen, hatten die Albaner vor dem Jahr 1989 und noch lange danach überhaupt keinen. In der kommunistischen Ära spielte Geld in Albanien tatsächlich keine Rolle. Die Menschen verdienten zwar kaum etwas, Wasser und Strom wurden dafür kostenlos geliefert. Hier stieß der tschechische Energiekonzern ČEZ auf Probleme, als er in die albanische Energiebranche investierte. Für Strom zahlte einfach niemand – weder Privatpersonen noch Behörden oder Krankenhäuser. Als verzweifelte Manager 2013 die Stromversorgung von Krankenhäusern einstellten, um Zahlung zu erzwingen, wurden sie wegen öffentlicher Gefährdung angeklagt. ČEZ zog sich daraufhin aus Albanien zurück, und die albanische Regierung verpflichtete sich schließlich 2014, die fehlenden Gelder teilweise nachzuzahlen. Die letzte Zahlung von 200 Millionen Kronen (ca 8 Millionen Euro) sollte in Jahr 2018 auf dem Konto von ČEZ eingehen.
Die positive Wirkung tschechischer Investoren in Albanien lässt sich recht einfach zusammenfassen: Die Albaner erfuhren die schockierende Nachricht, dass man für Strom zahlen muss – und akzeptierten diese Tatsache letztendlich. Heute ist dies weitgehend selbstverständlich.
Obwohl die Menschen wenig Geld haben, zögern sie nicht – und das ist sehr positiv –, in Bildung zu investieren.
Das durchschnittliche Einkommen eines Albaners betrug im Jahr 2018 etwa 200 Euro im Monat. Wie mir ein Taxifahrer erklärte, der uns – natürlich schwarz ohne Rechnung – nach Durrës fuhr, sind die Albaner noch nicht so weit, Steuern zu zahlen. Als Fahrlehrer in einer Fahrschule verdient er genau diese 200 Euro im Monat. Die Studiengebühren an der Universität, auf die er alle drei seiner Kinder schicken möchte (zwei sind bereits dort), kosten 1000 Euro pro Jahr. Für zwei Kinder gibt er also fast sein gesamtes offizielles Gehalt aus. Um zu überleben, braucht er ein zweites, inoffizielles Einkommen. Er war äußerst freundlich. Es ist bemerkenswert, wie gut sich Menschen verstehen, die eine Sprache gleich schlecht sprechen. In unserem Fall war das Italienisch, und wir haben uns hervorragend angefreundet.
Albanien entstand 1912 hauptsächlich auf Initiative von Österreich-Ungarn, wofür es bis heute dankbar ist. Allerdings war Österreich-Ungarn nicht von idealistischen Gedanken über das Selbstbestimmungsrecht der Völker geleitet, sondern verfolgte eigene Interessen. Es fürchtete eine zu große Stärkung Serbiens, das nach der Niederlage der Osmanen im Ersten Balkankrieg Anspruch auf dieses Gebiet erhob. Die Unabhängigkeit Albaniens wurde im Hafen von Vlora vom Balkon eines sehr bescheidenen Gebäudes ausgerufen, in dem sich heute das Unabhängigkeitsmuseum befindet. Ein repräsentativeres Gebäude konnte man damals trotz aller Bemühungen nicht finden, da es in der Stadt keines gab.
Den ersten Herrscher, Wilhelm zu Wied, stellten die Preußen. Die Vorstellung, dass ein Protestant in einem religiös gespaltenen Land allgemein akzeptiert würde, da er keiner der im Land vertretenen Gruppen angehörte, erwies sich als falsch. Zum Glück schlug der neue Herrscher nach seiner Ankunft in Albanien am 7. März 1914 sein Hauptquartier in Durrës auf, von wo aus es nicht schwer war, zu fliehen. Genau das tat er auch. Am 15. Juni erschossen nämlich die Albaner seinen Militärkommandanten, den niederländischen Oberst Ludwig Thomson (ihm zu Ehren gibt es in Durrës ein Denkmal, und eine Straße im Stadtzentrum trägt seinen Namen). Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs hatte Wilhelm endgültig genug von seiner Regentschaft in Albanien. Am 3. September 1914, nach nicht einmal 200 Tagen auf dem Thron, bestieg er ein Schiff und verließ Albanien für immer.
Um zukünftigen Herrschern die Lust auf so eine feige Flucht zu nehmen, wurde 1920 entschieden, die Hauptstadt ins Landesinnere nach Tirana zu verlegen, das damals eine unbedeutende Ortschaft mit einer einzigen kleinen Moschee war. Alle Gebäude, die man heute in Tirana sieht (mit Ausnahme der bereits erwähnten Moschee), entstanden also nach 1920, sodass auch die ältesten kaum älter als 100 Jahre sind. Dies prägt auch das Erscheinungsbild der Stadt. Hinzu kommt, dass seit 1991, als es endlich gelang, das kommunistische Regime zu stürzen, die Stadtbevölkerung von 200.000 auf die heutigen 650.000 Einwohner anwuchs.
Trotz der Bemühungen Italiens und des Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen (wie das spätere Jugoslawien damals hieß), die das verhindern wollten, wurde Albanien als unabhängiger Staat auf der Pariser Konferenz 1920 im Sinne des Selbstbestimmungsrechts der Völker anerkannt. Als Dank dafür steht auf einem der Plätze in Tirana eine Statue von Woodrow Wilson, der diese Konferenz – wenn auch nicht besonders erfolgreich – leitete.
Die kulturellen Sehenswürdigkeiten hebe ich mir für den nächsten Artikel auf. Das kommt im nächsten Jahr. Jetzt möchte ich mich in die Weihnachtspause verabschieden. Ich wünsche meinen Lesern, die genug Geduld mit meinem Deutsch hatten und meine Artikel lasen, frohe Weihnachten und alles Gute im neuen Jahr, das verspricht, spannend zu sein.