Ich muss wieder einmal einen meinen Irrtum gestehen. Weil ich zwei Jahre lang keinen einzigen Grippefall behandeln musste, habe ich das Grippe-Virus als eine ausgestorbene biologische Art abgeschrieben. Ich habe einfach das Aussterben dieser Virenart – die wahrscheinlich niemand, vielleicht die Wissenschaftler ausgenommen, nachweinen würde – für einen Kollateralschaden der Covid-Pandemie und der Maßnahmen gegen Covid 19 Virus gehalten.

               Wo sollte das arme Virus überleben? Sicher nicht auf einem Baum oder in einem Ameisenhaufen, nicht einmal unter der Erde kann es das schaffen, es braucht zu seinem Leben und Vermehrung die menschliche Schleimhaut – die wurde zwei Jahre lang durch Masken geschützt und diesen Schutz konnte das arme Virus nicht überwinden. Ich habe ihm bereits ein Grab geschaufelt und wollte eine Kerze auf seinem Grab anzünden – und da erschien die Bestie plötzlich aus dem nichts und wie! Wütend, aggressiv und tödlich.

               Wir wissen im Krankenhaus nicht, was wir tun sollten. So viele Grippefälle haben wir noch nie gehabt und unsere Alten sterben wie Fliegen am Winteranfang. Es sterben mehr alten Menschen als an Covid, was damit zusammenhängt, dass sie derzeit überhaupt nicht geschützt werden.  In Covidzeiten gab es „lock down“, es gab keine Besuche in den Altersheimen, also gab es nur eine sehr minimale Übertragungsmöglichkeiten des tödlichen Virus. Covid schaffte es sogar diese Verteidigungsmaßnahmen durchzubrechen, die arme Grippe war dagegen machtlos. Dann aber stiegen in die Sache die Soziologen und Psychologen ein. Manche wollten habilitieren, manche sehnten sich nach einer Präsentation in den Medien. Sie publizierten Studien, in denen sie sehr beeindruckend das extreme Leiden der armen Pensionisten feststellten, die keine Besuche von Kindern und Enkelkindern empfangen durften und sie beschrieben, in welche Depressionen sie dadurch verfallen sind. Demzufolge fällt niemandem ein, in einem Altersheim oder in einem Krankenhaus Besuche zu verbieten. Und wenn es ihm auch einfallen sollte, versucht er so schnell wie möglich diese Idee zu vergessen. Niemand will auf den Titelseiten der Zeitungen wie ein blutrüstiger Sadist, der seinen Schützlingen Besuche von den mit Grippe angesteckten Kindern und Enkelkindern verwehren wollte, dargestellt werden. Demzufolge sind die Bewohner der Seniorenheime nicht mehr depressiv, anstatt dessen sind sie tot. Dazu kommt, dass der Patientenansturm auf ein von der Pandemie sehr beschädigtes und geschwächtes Gesundheitssystem trifft. Viele Pfleger und Schwester sind gegangen, viele Ärzte folgten ihnen, es gibt gesperrte Betten und ganze Abteilungen. Die Verteidigungslinie ist ausgedünnt.

               So viele Tote haben wir auf unserer Abteilung noch nie gehabt, während eines Weekends starben acht Patienten, sechs davon mit dem Grippevirus im Körper. Im Kühlraum haben wir lediglich vier Plätze, ich habe keine Ahnung, wo die anderen auf ihr Begräbnis gewartet haben.

               Natürlich waren das alles Leute, die bereits vorher schwer krank waren. Chronische obstruktive Bronchitiden, Asthma, Herzschwäche, Demenz. Diese Leute hatte aber Covid ebenso im Visier – trotzdem hat es nicht geschafft, so viele und so schnell umzubringen. Die Krankheitsverläufe sind für uns bisher unbekannt und sehr dramatisch. Das erste Symptom ist häufig – und nicht nur bei alten Menschen – Bewusstlosigkeit, also eine Synkope, häufig noch vor dem ersten Fieberschub. Nach so einem Ereignis eilen die Familienangehörigen mit dem Betroffenen ins Krankenhaus, wo er im Warteraum die dort sitzenden und nichts ahnenden Patienten anstecken, die dort auf eine Untersuchung aus anderen Gründen warten. Schon die Tatsache, dass sie im Warteraum eines Krankenhauses sitzen, zeugt davon, dass es sich nicht um gesunde Leute handelt, und das Virus kann sich austoben. Viele unsere Patienten verfallen in Rahmen der Grippeinfektion ins Delirium, also in einen Verwirtheitzustand.  In dem toben sie, sie verweigern jede Therapie, sie spucken, schlagen herum und versuchen zu flüchten. Viele können diesen Zustand nicht einmal mit Hilfe von Medikamenten überwinden. Sie stürzen, brechen sich den Oberschenkel oder erleiden eine intrakraniale Blutung – die Prognose ist dann ziemlich hoffnungslos. Wir haben keine Kapazität, alle diese Patienten auf der Intensivstation zu behandeln und dort zu warten, bis sich ihre Verwirrtheit und der Zwang zur Bettflucht beruhigt. Die gerontologische Abteilung der Psychiatrie ist sinnlos zu kontaktieren, die systemisierten Betten reichen sogar in den normalen Zeiten nicht aus und die Krankenschwestern aus diesen Abteilungen wurden aus Verzweiflung auf die infektiösen Abteilungen zur Hilfe überstellt, wo sie sich schnell selbst angesteckt haben.

               Es ist ein ziemlich verzweifelter Kampf, mancher deliranter Zustand bessert sich nicht einmal nach Wochen, eine Normalisierung des psychischen Zustandes erleben also viele von diesen Patienten nicht mehr. Die Grippe räumt also die Seniorenheime konsequenter als es Covid tat. Viele Patienten, die stationär aus anderen Gründen waren, steckten sich bei dem Besuch ihrer Verwandten an. In den Zeiten vor Corona wurde in so einer Situation einer Epidemie ein Besuchsverbot erlassen. Aus dem höher eingeführten Grund traut sich das jetzt niemand – es wird allerdings darüber bereits seit Wochen nachgedacht…

               Natürlich fallen unserer Krankenschwestern krankheitsbedingt aus, auf der Intensivstation erkrankten an Grippe fast zugleich acht von ihnen, die übrigen arbeiteten praktisch ohne freie Tage um die Ausfälle zu kompensieren. Ich ziehe den Hut ab vor ihnen. Auch einige unsere Kollegen hat es erwischt.

               Die politische Hexenjagd gegen Impfungen von Herrn Kickl und Frau Belakowitsch brachte ihre Früchte. Ungefähr acht Prozent der Bewohner von Österreich sind gegen Grippe geimpft. (Ehrlich zugegeben, vor der Coronazeiten war es nicht viel besser) Ich gebe zu, dass ich im Fall der heurigen Grippeimpfung auch anfangs skeptisch war. Das Vakzin wird aus den Stämmen der isolierten Viren aus der letzten Saison mit der Berücksichtigung der erwarteten Mutationen produziert. Woher sollten die Produzenten das Material für ein wirksames Vakzin in zwei Jahren ohne Grippe gewinnen?

               Ich habe einige wichtigen Details übersehen. Es gab doch ein Paar Grippefälle. In Wien gab es in der gesamten Saison 2021/2022 3000 Fälle, in Berlin waren es 743 Fälle. Interessant war die Karte von Deutschland. Im Westen gab es die Grippe kaum, die meisten Grippefälle gab es in Ostdeutschland mit Schwerpunkt Sachsen.

               Was mir wirklich entgangen ist, war die Grippeepidemie im Sommer 2022 in Australien. Dort gibt es nämlich Winter, wenn es bei uns Sommer gibt und es ist nur die Frage, ob sie dort in der Entwicklung des Virus ein halbes Jahr vor uns (dann wirkt die aus dortigen Viren gewonnenes Vakzin gut) oder hinter uns (dann wirkt es eben nicht) sind. Heuer waren die Australier offensichtlich vor uns.

               Der Verlauf der Epidemie in Australien war nämlich fast identisch mit der derzeitigen Entwicklung bei uns. Die Epidemie fing früher als üblich an und erreichte ihren Gipfel bereits Ende Mai und Anfang Juni (normalerweise ist es Ende Juli). Sie betraf 212 573 Menschen (ein Jahr früher war es 435 Fälle in dem ganzen Land mit 25 Millionen Einwohnern). In dem gesamten Land starben in Zusammenhang mit der Grippe 246 Menschen, in den Krankenhäusern wurden 1581 Menschen aufgenommen, davon 6,5% auf die Intensivstationen. Im Jahr 2019, also ein Jahr vor dem Ausbruch der Covid-Pandemie, war es noch schlimmer. Es erkrankte ein viertel Million Menschen und 590 davon starben. Also man konnte das Material für die Vakzin für den Winter 2023 bei uns sehr wohl finden. Das aktuelle Vakzin hat nach Angaben des Hygieneinstitut eine Antigenkompatibilität (also gewährleistet den Schutz) gegen 97,4% der Influenza A Fälle (Typ H1N1) und 93,9% gegen den Typ H3N2. Die Fälle, die wir behandeln, sind ausschließlich Influenza Typ A, was der heurigen Statistik entspricht. Es gab Jahre, als diese Übereinstimmung lediglich 15% ausmachte, so ein Vakzin schützte natürlich nicht. Heuer ist die Situation günstig, leider bekamen die Impfgegner Gehör, was zu Folge hunderte Tote hat. Die niedrigen Totenzahlen in Australien wundern mich, sollte es so gehen wie bisher wird Australien in dieser Disziplin sogar von unserem Bezirk mit 80 000 Einwohnern eingeholt. In Australien waren aber vor allem Kinder und Jugendliche krank, bei uns sind das die Senioren, fragen Sie nicht warum.

               Damit die Lage in den Krankenhäusern nicht zu einfach wäre, hat jemand einen dreifachen diagnostischen PCR-Test aus den Schleimhäuten erzeugt, also gleichzeitig für Covid, Influenza und RSV Virus – Respiratorisch Synzytial Virus. Dieses haben wir nie bevor getestet und die Kranken mit diesem Virus nicht isoliert. Jetzt müssen wir das machen. Also getrennt müssen die Patienten mit Covid, die mit Influenza und die mit RSV liegen. Wie wir das mit unseren 60 Betten für 80 000 Einwohner machen sollen, sagt uns niemand. Zwischenzeitlich hatten wir kein einziges Zimmer für Patienten ohne Viren. In einem befreundeten Krankenhaus hat der Direktor entschieden, dass man verschiedene Infektionen nicht mischen darf, dafür aber ganz wohl die Geschlechter. In einem Zimmer liegen also Männer mit Frauen – aber mit dem gleichen Virus. Herr Direktor glaubt wahrscheinlich, dass seine Klientel keine unanständigen Gedanken mehr hat und im Falle der Erkrankung dann schon überhaupt nicht. Er könnte sich ziemlich irren, zumindest nach der Erzählung einer meinen guten Bekannten, die Direktorin in einem Seniorenheim ist. Das müssen wir aber dem Schicksal überlassen, die Viren lassen keine Alternative zu.

               Bereits seit Jahren gibt es ein Medikament, dass die Vermehrung von Viren blockieren und damit die Dauer der Erkrankung verkürzen und die Symptome lindern kann. Bei vielen immun geschwächten Alten könnte es das Leben retten. Man muss dazu aber rechtseitig kommen.  Das Medikament muss man binnen ersten 48 Stunden ab den ersten Symptomen verabreichen, sonst wirkt es nicht. Was nicht so einfach ist. Man muss es zum Hausarzt schaffen, der muss den Test haben und machen und dann das Medikament Tamiflu verschreiben.

               Also entschied ich mich den Schutz gegen das heimtückische Virus in eigene Hände zu nehmen. Man kann nämlich gleich vier Verteidigungslinien bilden.

  1. Der Respirator. Wenn die FFP-Masken zwei Jahre lang verlässlich gegen Grippe schützen konnten, schaffen sie das auch jetzt. Ich empfehle ihre Benutzung allen gefährdeten Menschen. Natürlich ist das Internet bereits voll mit den Informationen über ihre Schädlichkeit, wie man die eigenen Gifte im Körper hält, weil man sie nicht ausatmen kann. Ich trage die FFP2 Maske in der Arbeit (ich gebe zu, dass meine Begeisterung dafür sich in Grenzen hält, sie wirkt aber, also ist sie zu akzeptieren). Ich nehme sie in die Straßenbahn oder in den Bus mit und beobachte, ob jemand in meiner Nähe hustet oder rote Augen hat. Dann setze ich sie an.
  2. Der Sliwowitz war immer ein guter Schutz vor Infektionen, natürlich der von eigenen Zwetschen gebrannte und er muss über fünfzig Prozent Alkohol haben. Das überwindet kein Virus. Natürlich handelt sich um ein Stamperl und nicht um eine Flasche täglich. Die Flasche übersteht das Virus zwar nicht, der Patient aber auch nur schwer.
  3. Die Impfung. Heuer wahrscheinlich doch wirksam. Die, die an die Verschwörungstheorien von Frau Belakowitsch glauben, kann ich beruhigen. Es handelt sich um kein RNA-Vakzin, vor dem die Verschwörungstheoretiker eine panische Angst haben, weil sie um ihre DNA fürchten. Obwohl genau diese Leute diese Änderung eher als eine Chance betrachten sollten. Es ist ein Vakzin der alten Schule. Auch die Nebenwirkungen mit hohem Fieber und Muskelschmerzen, die bei älteren Vakzinen häufig waren, treten heutzutage kaum auf.
  4. Wenn man dann noch Tamiflu von der Apotheke abholen könnte, wird es nicht schaden das zur Hand zu haben, sollte plötzlich ein hohes Fieber eintreten eventuell auch mit einem Kollaps und kurzer Bewusstlosigkeit.

Durch diese Barrieren kommt das Virus nicht durch, ähnlich wie die Russen bei Bachmut, zumindest glaube ich daran. Ich warne allerdings davor, die Verteidigung nur auf die Linie zwei zu reduzieren.

Ich halte euch die Daumen, dass das Virus euch meidet.

2 Comments on Ein Seniorenmassensterben – die Grippeepidemie 2022/2023

  1. Endlich Deinen Blog gefunden und auch gelesen!!
    Bin wiedereinmal ( bzw. weiterhin) begeistert von Deinem Wissen, Deiner Schreibkunst und Deinem Humor!
    Liebe Grüße aus dem Nachtdienst!

    • Also deshalb habe ich dich im Dienst nicht getroffen. Es ist klar, du hast was besseres zu tun gehabt gute Literatur gelesen. Voll verständlich. Danke für dein Kommentar.

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